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Die Bekämpfung von Fluchtursachen sehen Abgeordnete von Koalition und Opposition als vordringlichste Aufgabe der deutschen und europäischen Außenpolitik in den kommenden Jahren an. „Die Flüchtlingsströme werden kein Ende finden, wenn wir das Übel nicht an der Wurzel packen, wenn es nicht endlich mehr Sicherheit und Stabilität in den Regionen gibt, aus denen Menschen flüchten“, betonte Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Mittwoch, 9. September 2015, in der Debatte über den Haushaltsentwurf 2016 für das Auswärtige Amt. Dies betreffe den ganzen „Krisenbogen“ beginnend in Afghanistan bis hinüber nach Libyen „und allem, was dazwischen liegt“. So seien allein infolge des Bürgerkriegs in Syrien, der nun schon mehr als vier Jahre andauere, zwölf Millionen Menschen auf der Flucht.
Steinmeier begrüßte es, dass das von der Bundesregierung am 7. September beschlossene Maßnahmenpaket für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland auch das Auswärtige Amt einbeziehe und in die Lage versetze, neue Anstrengungen in den Herkunfts- und Transitländern zu unternehmen. 2016 sollen 400 Millionen Euro zusätzlich in den Haushalt eingestellt werden, um Maßnahmen im Bereich der Krisenprävention auszubauen.
Der Außenminister mahnte darüber hinaus aber auch Hilfe für die Transit- und Erstaufnahmeländer an. Insbesondere die internationalen Hilfsorganisationen, allen voran das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, müssten unterstützt werden. Es sei „ein Skandal“, kritisierte Steinmeier, „dass das UNHCR in diesen Tagen so unterfinanziert ist, dass die Essensrationen in den Flüchtlingslagern in Libanon und im Irak halbiert werden müssen.“ Ähnlich äußerte sich der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Niels Annen. Nicht nur Deutschland und die anderen europäischen Staaten müssten sich an der Finanzierung der UN und des UNHCR stärker beteiligen, auch die reichen Golfstaaten seien gefordert, betonte er.
Dem schlossen sich auch Redner der Opposition an. Beim UNHCR wäre Geld „gut angelegt“, betonte Dr. Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen). Michael Leutert (Die Linke) erklärte, das UNHCR sei derzeit „an seiner Belastungsgrenze angelangt“ und müsse als zentraler Akteur dringend gestärkt werden.
Leutert forderte die Bundesregierung aber auch auf, sich mit einer verbindlichen Quote dauerhaft am Resettlement-Programm der UNO zu beteiligen, bei dem es um die permanente Neuansiedlung besonders verletzlicher Flüchtlinge in Drittstaaten gehe. „Derzeit verfügt das UNHCR über 80.000 Resettlement Plätze“, legte Leutert dar. „Der Bedarf liegt aber bei 800.000. Deutschland sollte sich mindesten mit 7,2 Prozent dynamisch am jährlichen Bedarf beteiligen.“
Dr. Frithjof Schmidt (Bündnis 90/die Grünen) wies darauf hin, dass anerkannte Asylbewerber derzeit zwischen sechs und neun Monaten warten müssten, um einen Antrag auf ein Visum für die Familienzusammenführung zu stellen. Dies sei „skandalös“. Schmidt forderte Steinmeier auf, die Beschleunigung der Verfahren zur Chefsache zu machen. Die 50 neuen Stellen für die Visabehörden, die im vergangenen Jahr zusätzlich geschaffen worden seien, seien immer noch viel zu wenig.
Schmidts Fraktionskollege Tobias Lindner lobte zwar, dass der Etat des Auswärtigen Amtes im kommenden Jahr um 15 Prozent steigen und mehr Geld für die Krisenprävention und die Beseitigung von Fluchtursachen zur Verfügung stehen solle, mahnte jedoch weitere Erhöhungen, insbesondere bei den Mitteln für die humanitäre Hilfe an. „Der Bedarf an humanitärer Hilfe hat sich seit 2012 verdoppelt“, begründete der Grünen-Politiker seine Forderung.
Entschieden sprachen sich die Oppositionsfraktionen im Bundestag gegen ein militärisches Vorgehen gegen Schlepper auf dem Mittelmeer aus. An der umstrittenen EU-Mission Eunavor soll sich auch die Bundeswehr beteiligen, Außenminister Steinmeier hatte in den vergangenen Tagen bereits für ein entsprechendes Bundestagsmandat geworben.
„Der Einsatz von Soldaten ist hoch riskant und zwecklos“, sagte Stefan Liebich (Die Linke). Frithjof Schmidt zeigte sich überzeugt, dass das Flüchtlingsdrama nicht militärisch zu lösen ist. Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) bezeichnete es demgegenüber als „sinnvoll und notwendig“, gegen die Schleuser auch mit militärischen Mitteln vorzugehen. Europa müsse gegen den „brutalen Menschenhandel“ der insbesondere von Libyen ausgehe, aktiv werden.
Die Lage in der Ostukraine spielte in der Debatte nur eine Nebenrolle. Einig waren sich die Koalitionsfraktionen jedoch in ihrem Urteil, dass das zweite Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 erste Erfolge gebracht habe. Es sei eine gute Grundlage dafür, mit den Konfliktparteien einen Prozess zu beschreiten, urteilte Niels Annen.
Steinmeier sagte, seit dem 1. September werde der Waffenstillstand weitgehend eingehalten. Das Abkommen sei jedoch „nicht das Ende von Diplomatie, sondern der Anfang von Verantwortung“. Franz Josef Jung bezeichnete das mit dem Abkommen bisher Erreichte als „gut und wichtig“, mahnte aber auch an, dass die schweren Waffen endlich aus der Ostukraine abgezogen werden müssten.
Nach dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung (18/5500) umfasst der Etat des Auswärtigen Amtes 2016 (Einzelplan 05) ein Ausgabenvolumen von 4,39 Milliarden Euro und damit 673 Millionen Euro mehr als im laufenden Jahr. Knapp die Hälfte der Gesamtausgaben entfällt auf das Kapitel „Sicherung von Frieden und Stabilität“ - 2,07 Milliarden Euro sind dafür bislang vorgesehen, 623 Millionen Euro mehr als 2015.
Ein Großteil – 1,19 Milliarden Euro – wird an die Vereinten Nationen überwiesen. Die Ausgaben hierfür lagen 2015 noch bei 669,19 Millionen Euro. Für humanitäre Hilfe und Krisenprävention sind derzeit noch 600 Millionen Euro eingeplant, nach den Beschlüssen des Koalitionsausschusses soll dieser Betrag aber in jedem Fall um zusätzliche 400 Millionen Euro steigen. Unklar ist bislang, wohin die Mittel konkret fließen sollen.
Der Etat weist zudem 148,8 Millionen Euro an Einnahmen aus. Das sind rund 4,7 Millionen Euro mehr als im laufenden Haushaltsjahr. Für Personalausgaben sind insgesamt 964,4 Millionen Euro veranschlagt, 8,2 Millionen Euro weniger als 2015.
Die sächlichen Verwaltungsausgaben schlagen mit 345,86 Millionen Euro zu Buche (2015: 318,7 Millionen Euro), die Investitionen mit 170,7 Millionen Euro (2015: 171,6 Millionen Euro). (joh/09.09.2105)