Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
In der ersten Lesung des Etats 2016 der Bundesministerin für Bildung und Forschung (18/5500, Einzelplan 30), Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU), spielte das Thema Integration am Donnerstag, 10. September 2015, eine wichtige Rolle. Während Vertreter der Koalition auf steigende Zahlen und eine richtige Prioritätensetzung verwiesen, bemängelte die Opposition einen ineffizienten Einsatz der Mittel. Ministerin Wanka sagte, der Haushalt beweise, „dass das Thema Bildung und Forschung in der Bundesregierung wie schon seit Jahren und seit Beginn der Legislaturperiode weiter Priorität hat“. Der Haushalt wachse erneut, und zwar um mehr als sieben Prozent. Seit 2005 habe er sich mehr als verdoppelt. Für das Jahr 2016 seien 16,4 Milliarden Euro geplant.
„Für mich im Fokus ganz entscheidend ist das Thema Bildungsgerechtigkeit“, erklärte die CDU-Politikerin: „Wir sind ein reiches Land, und Bildungschancen sind Lebenschancen. Diese Lebenschancen brauchen wir für die Einheimischen und die Zuwanderer.“
Bildungsgerechtigkeit heiße zum Beispiel, dass ihr Ministerium in den kommenden Jahren durch Alphabetisierungsprogramme verstärkt dafür sorgen wolle, dass Erwachsene lesen und schreiben lernen. „Wir wollen in den nächsten zehn Jahren 180 Millionen Euro dafür einsetzen.“ Damit sei es „das größte Programm, das es je gab für kulturelle Bildung in der Bundesrepublik Deutschland“. Ein Viertel der Zuwanderer nach Deutschland seien zwischen 18 und 25 alt. „Da ist es ganz entscheidend, dass man für diese Menschen Bildung und Arbeit ermöglicht. Die Voraussetzung ist natürlich, Deutsch zu können, und gute Schulbildung.“
Die Ministerin stellte einen Zusammenhang her zwischen der Hilfe Deutschlands für Flüchtlinge und der Leistungskraft von Forschung und Wirtschaft. „Wenn wir immer darüber reden, mit Sorge oder mit Begeisterung, wie viele Deutschland aufnehmen kann, dann ist doch ganz klar: Damit die Aufnahmebereitschaft wächst, müssen wir gut sein, müssen wir innovativ sein“, sagte sie. „Und deshalb brauchen wir Chancen für alle, die in diesem Land leben – auch auf ein Studium.“ Unter anderem sei die Wartedauer, nach der Flüchtlinge in Deutschland ein Studium aufnehmen können, verkürzt worden.
„Insgesamt kann man sagen, dass die Politik in den letzten Jahren sehr dazu geführt hat, dass Forschung und Wirtschaft gestärkt sind, dass wir aber nicht nachlassen dürfen, sondern dass wir diesen Weg weitergehen müssen“, fasste die Ministerin zusammen.
Roland Claus (Die Linke) warf der Ressortchefin vor, sie habe ein allzu optimistisches Bild der Bildungslandschaft in Deutschland gezeichnet. „So schön und heil ist die Welt nicht, Frau Ministerin“, sagt er. Die steigenden Ausgaben für Bildung und Forschung würden nichts über tatsächlich erreichte Ergebnisse und die Effektivität des Mitteleinsatzes aussagen. „Gemessen werden die Bienen nicht an ihren Flugkilometern, sondern an dem Honig, den sie nach Hause tragen“, erklärte der Abgeordnete.
Als „gravierendes Problem“ bezeichnete Claus die befristeten Arbeitsverträge im akademischen Bereich. Bei den unter 30-Jährigen liege der Anteil der Zeitverträge bei 80 Prozent der Beschäftigten, bei den unter 35-Jährigen bei 70 Prozent und bei den unter 40-Jährigen immer noch bei 60 Prozent. Zudem hätten die Hälfte der befristeten Verträge eine Laufzeit von unter einem Jahr. „Ein solcher Zustand ist weder sozial noch kreativitätsfördernd“, warnte der Abgeordnete. Zwar habe die Ministerin das Problem erkannt; er fordere sie aber auf, „diesen Zustand energischer zu überwinden, als dies bislang der Fall ist“.
Claus begrüßte das Bekenntnis der Ministerin zum Ziel der Bildungsgerechtigkeit und forderte in diesem Zusammenhang ein „sozialeres BAföG“. Der Bundesrechnungshof habe in der Bildungsförderung ein „unübersichtliches Nebeneinander von Instrumenten“ kritisiert, sagte er. „Gut, dass es mehr Geld für Bildung und Wissenschaft geben soll“, erklärte Claus. „Schlecht, dass so viel Geld in ein ineffizientes und veraltetes Bildungssystem geht.“
Hubertus Heil (SPD) verteidigte die Haushaltsplanung und dankte der Ministerin dafür, „dass sie darauf hingewiesen hat, was sie auf den Weg gebracht hat, aber was auch noch vor uns steht“. In der Tat sei es „die spannende Frage“, zu welchem Zweck die gestiegenen Mittel eingesetzt würden. Es gebe einen Konsens in der Koalition, dass man sich unter anderem auf Bildungsgerechtigkeit konzentrieren wolle.
Alle Menschen müssten „unabhängig von sozialer Herkunft, Hautfarbe, oder Geschlecht oder religiösem Hintergrund die Chance zu einem selbstbestimmten Leben haben“, sagte Heil. „Dafür schafft Bildung die Voraussetzung, und dafür schafft die Koalition eine ganze Menge.“ Aber auch Bürger bemühten sich, Bildungsgerechtigkeit voranzubringen. „Es gibt auch viele Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren, um jungen Menschen eine Chance zu geben, gerade in der aktuellen Flüchtlingshilfe“, meinte Heil: „Das nötigt Respekt ab, und dafür muss dieser Deutsche Bundestag auch einmal Danke sagen.“
Angesichts der aktuellen Aufgabe, Flüchtlinge durch Bildung zu integrieren, müsse der Bund schnell handeln. Ihm seien aber „durch künstliche, auch verfassungsrechtliche Grenzen an der ein oder anderen Stelle die Hände gebunden“. Das Kooperationsverbot erschwere „neue, gemeinsame Kraftanstrengungen zum Ausbau von Ganztagsschulen in diesem Land“. Darüber müsse geredet werden. Heils Schlussfolgerung lautete: „Ich glaube, dass dieser Etat sich sehen lassen kann, nicht nur die Summe, sondern auch die Instrumente, und das wird unser Land voranbringen.“
Ekin Deligöz von Bündnis 90/Die Grünen würdigte die Steigerung des Etats, warnte aber, dies sei „noch lange kein Grund sich auszuruhen“. Das Ziel, sieben Prozent des Bruttosozialprodukts für Bildung und dreieinhalb Prozent für Forschung auszugeben, sei noch lange nicht erreicht und hätte eigentlich 2010 erreicht werden sollen, sagte die Grünen-Politikerin mit Blick auf Vorgaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Die Ministerin verweise so oft auf den wachsenden Haushalt, „dass man fast schon das Gefühl bekommt, Sie verstecken sich dahinter“. Die Grünen-Politikerin warf der Ressortchefin vor, sie setze „an vielen Stellen das Geld falsch oder schlicht und einfach nicht verantwortungsvoll ein“. Als Beispiel für Verschwendung nannte sie die Verdoppelung der Mittel für den Rückbau kerntechnischer Forschungsanlagen auf 328 Millionen Euro und Defizite bei der Projektmittelüberwachung. „Wir haben keinen einzigen Cent, um ihn auf die Straße zu werfen, aber genau das machen Sie hier“, klagte sie. Bei der Ausbildung von Migranten fehle dagegen Geld: „Wir brauchen in diesem Land 11.000 Lehrerinnen und Lehrer für Deutsch als Fremdsprache. Dafür haben Sie keinen einzigen Cent übrig.“ Die Abgeordnete endete mit dem Vorwurf, an guten Ideen „mangelt es bei Ihnen, und das ist sehr bedauerlich“.
Albert Rupprecht (CDU/CSU) erinnerte daran dass Deutschland bei der Regierungsübernahme von Kanzlerin Angela Merkel „als der kranke Mann in Europa“ gegolten habe. „Wir sind zehn Jahre später eines der innovativsten und begehrtesten Länder dieser Welt. Wir erleben es bei den Flüchtlingen, mit allen Schwierigkeiten und Herausforderungen, wir erleben es aber auch bei den Studierenden, die zu uns kommen.“ Ihre Zahl sei so hoch wie noch nie. Auch für Wissenschaftler werde Deutschland immer attraktiver. „Das ist ein tolles Ergebnis, und darauf können wir auch stolz sein.“
Der Einzeletat sei mit einem Anstieg von 1,1 Milliarden auf 16,3 Milliarden Euro „der viertgrößte Fachhaushalt im gesamten Bundeshalt“. Während der Gesamthaushalt um 3,4 Prozent steige, wachse der Bildungs- und Forschungsetat um 7,2 Prozent, sagte Rupprecht: „Das ist gelebte Prioritätensetzung.“ (rol/10.09.2015)