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Die aktuelle Flüchtlingskrise hat auch die vierstündige Generaldebatte zum Bundeshaushalt 2016 (18/5500) geprägt. Redner von Koalition und Opposition waren sich am Mittwoch, 9. September 2015, im Bundestag in der Aussprache über den Kanzleretat (Einzelplan 04) einig, dass die Fürsorge für die vor allem aus Syrien ankommenden Kriegsflüchtlinge nicht nur finanziell, sondern auch organisatorisch eine enorme Herausforderung ist, die aber bewältigt werden kann. Mehrere Redner gingen auf die spontane Hilfe der Bevölkerung für Flüchtlinge ein und sprachen von einem denkwürdigen Signal der Humanität und Solidarität, das derzeit international das Bild von Deutschland positiv präge. Vorrang müssten nunmehr die Organisation der Hilfe und die konsequente Integration der Asylbewerber haben. Frühere Integrationsfehler dürften sich nicht wiederholen.
Die Koalition von Union und SPD hatte sich am 6. September darauf verständigt, zur Bewältigung der Flüchtlingskrise sechs Milliarden Euro bereitzustellen. Mit drei Milliarden Euro sollen dabei die Länder und Kommunen von zusätzlichen Kosten entlastet werden. Die Bundesregierung berät am 24. September mit den Ministerpräsidenten über die konkrete Ausgestaltung der Flüchtlingshilfe.
Gestritten wird unter anderem noch über die Frage, ob Flüchtlinge auch eine Gesundheitskarte bekommen sollten, um ohne bürokratischen Aufwand zum Arzt gehen zu können. Viele Flüchtlinge sind vom Krieg in ihrer Heimat traumatisiert oder haben sich auf der Flucht verletzt, darunter viele Kinder. Sie benötigen medizinische und auch therapeutische Hilfe. Auch die winterfeste Unterbringung ist nach wie vor ein Problem.
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) sagte, das Jahr 2015 habe für viele Länder und Menschen Krieg, Terror, Tod und Verzweiflung gebracht. Sie nannte zuvorderst den Bürgerkrieg in Syrien und den IS-Terror dort und im Irak. Die Tragödien spielten sich vor den Toren Europas ab und gingen die Europäer daher etwas an. In Syrien und den Nachbarländern seien Millionen Menschen auf der Flucht. Auch Deutschland stehe hier in der Verantwortung. Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge, die nach Deutschland kämen, müssten schnell integriert werden, Deutsch lernen und eine Arbeit finden.
Sie versicherte, die Integration der Neubürger bringe mehr Chancen als Risiken. Ausländer ohne Bleibeperspektive würden konsequent zurückgeführt. Merkel betonte zugleich, wer nach Deutschland komme, müsse Regeln und Grundwerte akzeptieren. So würden keine Parallelgesellschaften geduldet. Attacken auf Flüchtlingsheime nannte Merkel abstoßend und beschämend.
Die nachhaltige Bewältigung der internationalen Flüchtlingskrise ist nach Ansicht Merkels eine europäische Aufgabe. So müsse effektiv gegen Schlepperbanden vorgegangen werden. Mit der Türkei seien weitere Gespräche nötig. Zudem sei eine verbindliche Verteilung von Flüchtlingen in Europa erforderlich. Deutschland müsse nun mutig sein und "manchmal vorangehen", dann werde es eine europäische Lösung geben. Die Herausforderung sei groß und andauernd. Sie sei aber überzeugt, dass Deutschland die Aufgaben lösen könne, sagte die Kanzlerin. Deutschland könne dank seiner guten wirtschaftlichen und finanziellen Lage auf diese plötzliche Herausforderung angemessen reagieren.
Die Opposition warf der Bundesregierung vor, viel zu spät auf die massenhafte Flüchtlingsbewegung im Nahen Osten reagiert zu haben. Auch Merkel selbst habe sich lange um die Probleme herumgedrückt, die nun auch innenpolitisch nicht mehr zu ignorieren seien. Oppositionsführer Dr. Gregor Gysi (Die Linke) begrüßte im Grundsatz die Botschaft der Regierung, dass die Flüchtlinge hier willkommen seien. Auch sei es gut und richtig, sechs Milliarden Euro zusätzlich bereitzustellen. Das reiche aber nicht. Gysi forderte daher, den Solidaritätszuschlag beizubehalten und auf Länder zu verteilen, um die Integrationskosten dauerhaft zu bewältigen.
Gysi sagte, es sei fantastisch, wie die Bevölkerung die Flüchtlinge begrüße. Gleichwohl sei der Staat dafür zuständig, die strukturellen Probleme zu lösen. Zugleich gab der Fraktionschef zu bedenken, dass manche Menschen angesichts der Flüchtlingsmassen auch Ängste hätten. Aufgabe der Politik sei es, solche Ängste abzubauen und zugleich für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Gysi forderte, die Asylbewerber müssten jetzt schnell integriert werden. Er warnte aber davor, Flüchtlinge in prekäre Arbeit zu vermitteln. Es dürfe kein neuer Niedriglohnsektor entstehen.
Gysi forderte die Regierung auf, auch die Fluchtursachen anzugehen und verurteilte Waffenlieferungen aus Deutschland an ausländische Staaten. In der internationalen Politik komme es vor allem darauf an, Kriege zu verhindern. Deutschland müsse sich auch dafür einsetzen, Hunger und Armut in der Welt zu bekämpfen sowie das Vermögen gerechter zu verteilen. Bittere Armut sei international auch ein Fluchtgrund.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach angesichts der spontanen Hilfsaktionen in der Bevölkerung von einem "September-Märchen". In vielen Orten des Landes stünden Helfer an Bahnsteigen mit Essen und Trinken für die ankommenden Flüchtlinge. "Wir sind plötzlich Weltmeister der Hilfsbereitschaft." Sie sei stolz auf ihr Land, militante Nazis seien in der Minderheit.
Die Grünen-Politikerin gab jedoch zu bedenken, ohne die tausendfache ehrenamtliche Hilfe wäre die Bundesregierung gar nicht in der Lage, die Flüchtlinge angemessen zu versorgen. Merkel habe spät reagiert, aber dann die richtigen Worte gefunden und deutlich gemacht, dass Deutschland aufnahmebereit sei. Nun müssten schnell Taten folgen, denn die Dimension der Aufgabe sei gewaltig. Nötig sei ein nationaler Flüchtlingspakt mit Ländern, Kommunen und Verbänden.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt werteten die erfolgreichen Hilfsaktionen der Bürger etwa in München hingegen als Beleg dafür, dass die Bewältigung plötzlich auftretender Krisen auch jenseits staatlicher Organisation funktioniert. Oppermann sagte, während in der ungarischen Hauptstadt Budapest das Chaos ausgebrochen sei, habe München den Andrang von über 20.000 Flüchtlingen an einem einzigen Wochenende hervorragend gemeistert.
In der Griechenlandkrise sei deutlich geworden, wie wichtig ein funktionierendes Staatswesen sei. In Deutschland zeige sich nun in der Flüchtlingskrise, wie wertvoll eine hilfsbereite Zivilgesellschaft sein könne. Oppermann sagte, es sei damit zu rechnen, dass die meisten der ankommenden Flüchtlinge auf Dauer im Land blieben. Das müsse in einer alternden Gesellschaft als große Chance gesehen werden.
Unionsfraktionschef Volker Kauder sprach von einer der größten Herausforderungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit der erfolgreichen Haushaltspolitik seien die Voraussetzungen geschaffen worden, nun nicht "kleinkariert" über das nötige Geld sprechen zu müssen. Neben der stabilen Konjunktur und Wirtschaft stimmten auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Kauder sagte, Flüchtlinge mit Asylgrund und Bleibeperspektive müssten nun gut untergebracht werden und schnell den Weg in den Arbeitsmarkt finden.
Wer jedoch keinen Asylgrund habe, müsse in die Heimat zurückkehren. Hier dürfe es keine Kompromisse geben. Kauder verwies zur Halbzeit der Legislaturperiode zugleich darauf hin, dass in der aktuellen Krisenbewältigung die Große Koalition gut funktioniere. Das Regierungsbündnis von Union und SPD habe diese Herausforderung nicht gesucht, aber angenommen. Selten sei sich die Regierung so einig gewesen wie beim Beschluss zum Flüchtlingshilfepaket.
Hasselfeldt erinnerte daran, dass neben den vielen zivilen Helfern auch Behörden und Organisationen bisher ein großartiges Engagement gezeigt hätten. Gleichwohl stießen die Länder und Kommunen derzeit an organisatorische und finanzielle Grenzen. Hasselfeldt versprach, die Kommunen würden in dieser neuen Lage nicht alleingelassen. Das Flüchtlingsdrama zeige im Übrigen, wie stark Innen- und Außenpolitik inzwischen miteinander verwoben seien. Der Gesamtverantwortung müssten sich nun alle demokratischen Parteien stellen.
Im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das Jahr 2016 (18/5500) sind Ausgaben in Höhe von 312 Milliarden Euro vorgesehen. Das sind 10,4 Milliarden Euro mehr als in diesem Jahr. Neue Kredite sollen nicht aufgenommen werden. Dem Ausgabenplus stehen geplante Steuermehreinnahmen in Höhe von 10,62 Milliarden Euro gegenüber. In der Generalaussprache zum Bundeshaushalt, auch Elefantenrunde genannt, wird traditionell allgemein über die Politik der Bundesregierung diskutiert. (pk/09.09.2015)