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Fast fünfeinhalb Milliarden Euro sollen für das Agrarbudget im kommenden Jahr bereitgestellt werden. „Das ist eine gute Grundlage“, beurteilte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) am Donnerstag, 10. September 2015, seinen in erster Lesung vorgelegten Haushaltsentwurf 2016 (18/5500), der einen Gesamtetat von 5,491 Milliarden Euro für das Ressort Ernährung und Landwirtschaft vorsieht. Gegenüber dem aktuellen Haushalt (5,35 Milliarden Euro) stehen dem Ministerium im Einzelplan 10 über 140 Millionen Euro mehr zur Verfügung.
Nach Ansicht des Ministers ist der Landwirtschaftsetat ein „Lebensetat“, denn die sichere und gesunde Ernährung seien Lebensthemen. Doch die aktuelle Lage stelle sich für die Landwirte nicht einfach dar: „Die Bauern machen mit Vehemenz auf ihre wirtschaftlichen Sorgen und Nöte aufmerksam.“ Die Erzeugerpreise für Milch und für Schweinefleisch seien im Keller, die verhaltene Nachfrage auf den internationalen Märkten, ein hohes Angebot auf dem Binnenmarkt und die Folgen des Russlandembargos setze die Branche unter Druck.
„Wir müssen klug handeln“, sagte Schmidt. Im gleichen Atemzug warnte der Minister vor eingebrachten Vorschlägen zur Wiedereinführung der Milchquote zur Stützung der Marktpreise durch Regulierung. „Eine Rolle rückwärts zur Mengensteuerung alter Schule wird es mit mir nicht geben.“ Darin sei er sich mit dem Bauernverband, der EU und den Mitgliedstaaten einig. Als warnendes Beispiel erinnerte er daran, dass es bereits vor fünf Jahren eine Milchkrise gegeben habe, trotz Quote.
Schmidt will lieber auf Soforthilfen setzen. Dazu sollen Mittel von rund einer halben Milliarde Euro aus Brüssel fließen. Doch es müsse auch etwas in Deutschland geändert werden: „Wir haben einen Wettbewerb in unserem Lande, der über den Preis und nicht über die Qualität geht.“ Das Risiko des Marktes dürfe nicht allein bei den Erzeugern hängen bleiben. Weiterhin werde auch auf den Export gesetzt, denn die Landwirtschaft soll auch Zukunft in Deutschland produzieren. Gäbe es diese Option nicht, würde es das Aus für die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebe bedeuten. Der Export in aufnahmefähige Märkte wie China werde deshalb durch das Ministerium unterstützt.
Der Einzelplan des Landwirtschaftsministeriums sei eine Aneinanderreihung vertaner Chancen. Karin Binder (Die Linke) kritisierte, dass eine lückenlose Kontrolle von Lebensmitteln und der Produktion aufgrund EU-weiter Verflechtungen von Unternehmen und Handelsströme kaum noch zu gewährleisten sei. „Da helfen weder freiwillige Selbstverpflichtungen, noch schlecht ausgestattete Kontrollbehörden auf Landesebene“, sagte sie. „Das muss auf der Bundesebene angegangen werden.“ Doch davon sei nichts im Haushaltsplan zu erkennen.
Ebenfalls zu wenig Initiative attestierte Binder im Bereich der Ernährung, weil Übergewicht und Fettleibigkeit in der Bevölkerung zunehmen würden. „Wir müssen bei den Kindern ansetzen, besonders im Bereich der ungesunden Ernährung.“ Doch das Ministerium gebe die Verantwortung an die Verbraucher ab, statt die Lebensmittelwirtschaft in die Pflicht zu nehmen. Nur wenige Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen stünden somit zehn Milliarden Euro an Gesundheitskosten gegenüber. Deshalb forderte Binder verpflichtende Qualitätsstandards für Mahlzeiten in Gemeinschaftskitas und öffentlichen Kantinen sowie ein Verbot von Werbung und Sponsoring für Lebensmittel, die sich an Kinder richten, und eine stärkere Besteuerung von Softdrinks.
Die Weiterentwicklung des ländlichen Raumes thematisierte Willi Brase (SPD), die eine Querschnittsaufgabe sei, die die Bundesregierung insgesamt zu leisten habe. „Wir brauchen für die Gemeinschaftsaufgabe ,Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK)' mehr Mittel“, stellte er fest. Dafür würden keine Millionen reichen, sondern es bedürfe eine halbe Milliarde Euro. Außerdem würden aktuelle Untersuchungen zur demografischen Entwicklung auf dem Land mehr politische Hinwendung verlangen. „Wir müssen auch die Zuwanderung nutzen, um die Revitalisierung ländlicher Regionen anzugehen“, schlug Brase vor. Das sei zwar nicht einfach, „aber das sollten wir machen“.
Darüber hinaus müsse die Situation auf den Schlachthöfen in den Fokus genommen werden. Es sei nicht der Mindestlohn erkämpft worden, damit durch die Hintertür über Werkverträge vernünftige Arbeitsbedingungen ausgehebelt würden. Brase prangerte „mafiöse“ Zustände in der Branche an, die Menschen, die darauf aufmerksam machen, bedränge. „Das ist nicht akzeptabel.“
Friedrich Ostendorff (Bündnis 90/Die Grünen) griff den Minister direkt an, der im vergangenen Jahr angekündigt haben soll, dass die Zukunft der Milchwirtschaft nach dem Wegfall der Milchquote im April 2015 golden sein werde. „Aber für die Milchbauern hat es ein böses Erwachen gegeben“, sagte Ostendorff. „Der Preis liegt nun bei 24 Cent je Liter.“ Der Minister hoffe nur, dass es irgendwann besser werde. „Doch kurzfristige Liquiditätshilfen werden nicht reichen“, sagte der Grüne. Eine Antwort, was danach kommen soll, bleibe Minister Schmidt schuldig.
„Wir brauchen keinen Exportgipfel, sondern einen Milchgipfel“, sagte Ostendorff in Richtung Regierungsbank und forderte eine Aufstockung der GAK-Mittel um 200 Millionen Euro für den Umbau in eine grünlandgebundene Tierhaltung, um dadurch mehr Mittel aus EU-Töpfen zur Förderung zu generieren.
Alois Gerig (CDU/CSU), Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses, wehrte sich gegen die Kritik der Grünen: „Wenn Sie beklagen, dass Höfe sterben und zugleich die Bauern beschimpfen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn niemand mehr Landwirt sein will.“ Es sei eine Abwärtsspirale in einigen ländlichen Regionen zu erleben, der mit allen Ressourcen des Bundestages begegnet werden müsse. Dazu müsse in Infrastruktur, Straße, Schiene, Internet und Medizin investiert werden.
Gerig sah die Landwirtschaft derzeit stark bedroht, durch schlechte Preise und Diffamierungen. „Die Bauern haben einfach keine Lust mehr.“ Außerdem gebe es derzeit genug Alternativen am Arbeitsmarkt, die einen Ausstieg aus der Landwirtschaft erleichtern würden. Deshalb sei nun Krisenmanagement erforderlich, das unter anderem im Bereich der betrieblichen Risikovorsorge sowie mit höheren Zuschüssen für die Berufsgenossenschaftsbeiträge den Betrieben unter die Arme greifen könnte. „Es braucht positive Signale aus der Politik und Gesellschaft“, sagte Gerig. Den Bauern müsse gesagt werden, „dass wir sie wollen und brauchen“. (eis/10.09.2015)