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Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller (CSU) fordert die europäischen Staaten zu einem größeren Engagement in der Flüchtlingskrise auf: „Es fehlt Europa an Entschlusskraft“, sagte Müller am Mittwoch, 9. September 2015, in der ersten Lesung des Haushaltsentwurfs der Bundesregierung für 2015 für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (18/5500, Einzelplan 23). Der Vorschlag des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, einen Fonds aus EU-Mitteln in Höhe von 1,8 Milliarden Euro für die Krisenregionen in Afrika aufzulegen, sei begrüßenswert, aber bei Weitem keine ausreichende Antwort. „Die EU als Friedensmacht muss in diesen Ländern Flagge zeigen“, sagte Müller.
Er kündigte an, den Etataufwuchs des Ministeriums in Höhe von rund 880 Millionen Euro auf 7,42 Milliarden Euro auch gezielt dafür zu verwenden, um die Situation der Flüchtlinge in den Krisenregionen in Nahost verbessern: Eine Milliarde Euro soll insbesondere für Flüchtlingslager, für Schulen und Krankenhäuser und Trauma-Zentren verwendet werden.
In vielen Flüchtlingslagern herrsche Elend, es gebe keine ausreichende Versorgung, zudem stehe der Winter vor der Tür. „Es fehlt an allem, das kann nicht so bleiben“, sagte Müller. Er kündigte zudem an, die Maßnahmen des Ministeriums zur Verhinderung von Fluchtursachen, darunter Ausbildungsinitiativen, zu verdoppeln – ohne die „klassischen Aufgaben“ der Entwicklungszusammenarbeit zu vernachlässigen.
Michael Leutert (Die Linke) erinnerte daran, dass die Konflikte in Syrien und im Irak nicht durch ein Land und erst recht nicht durch ein Ministerium zu bewältigen seien. „Wir sind in dieser Region weiter vom Frieden entfernt denn je“, und in diese Region habe Deutschland auch noch Waffen geliefert.
Eine Befriedung sei die Voraussetzung, die Flüchtlingskrise zu lösen und Entwicklungszusammenarbeit überhaupt wieder aufnehmen zu können. Leutert forderte den Minister auf, im Haushalt für die Hilfen für syrische Flüchtlinge und Syriens Nachbarländer einen noch deutlicheren Schwerpunkt zu setzen.
Sonja Steffen (SPD) erinnerte daran, dass sich der Haushalt des Ministeriums innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt habe. „Dieser große Sprung ist sehr erfreulich, aber man muss auch sehen, dass sich in dieser Zeit die Zahl der Flüchtlinge auf der Welt um 20 Millionen erhöht hat.“
Steffen plädierte dafür, den Fokus im Etat klar auf die Bekämpfung von Fluchtursachen zu setzen. Mehr als die Hälfte der Flüchtenden kämen derzeit aus gerade einmal fünf Ländern – aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan, Somalia und dem Sudan. Es müsse jetzt darum gehen, jene Länder in der Region zu unterstützen, die den Großteil dieser Flüchtlinge aufgenommen haben.
Auch Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen) nannte den Aufwuchs im Entwicklungsetat eine „frohe Botschaft“ –nüchtern betrachtet sei dieses Mehr aber auch „absolut notwendig“. Angesichts von mehr als 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sei es „moralische Pflicht und auch vernünftig“, im Haushalt neue Akzente zu setzen.
Umso bedauerlicher sei, dass der Entwicklungsetat langfristig stagniere: Noch immer schaffe es Deutschland, mit diesem Etat, lediglich 0,4 Prozent seines Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, statt seiner Verpflichtung nachzukommen, diesen Anteil auf 0,7 Prozent zu erhöhen.
Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) warnte vor einer Destabilisierung von Ländern wie Jordanien und dem Libanon. Angesichts zunehmender Gewalt und zunehmender Konflikte habe das Flüchtlingsthema eine neue Dimension erreicht. Es sei zu begrüßen, dass die Mittel für die Sonderinitiativen „Fluchtursachen bekämpfen“, „Eine Welt ohne Hunger“ und „Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost“ auf rund 400 Millionen Euro verdoppelt werden sollen: „Wir würden uns hier gerne mehr wünschen“, sagte Wöhrl.
Auch eine engere Verzahnung der beim Auswärtigen Amt angesiedelten humanitären Nothilfen und der beim Entwicklungsministerium angesiedelten Übergangshilfen sei erstrebenswert. Wöhrl betonte, dass die Entwicklungszusammenarbeit auch die Regierungen der Partnerländer in die Pflicht nehmen müsse, selbst vor Ort für Perspektiven der Menschen zu sorgen. Sie unterstrich zugleich, dass Europa entschiedener und geschlossener auf die Flüchtlingskrise reagieren und den „Schutz eines Flüchtlings als gemeinsamen Wert anerkennen“ müsse: „Die EU hat den Friedensnobelpreis bekommen, die EU-Mitglieder müssen zeigen, dass sie ihn auch verdient hat“, sagte Wöhrl. (ahe/09.09.2015)