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Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert dankt im Namen des Deutschen Bundestages den vielen Tausend haupt- und ehrenamtlichen Helfern überall in Deutschland für ihr Engagement bei der Aufnahme von Flüchtlingen. „Das ist die überzeugendste Antwort auf dumpfe Vorbehalte und offenen Fremdenhass“, sagte er am Dienstag, 8. September 2015, bei der Eröffnung der ersten Plenarsitzung in der Haushaltswoche.
„Dass heute Menschen in Not in unserem Land den freien und sicheren Ort erkennen, der ihnen Schutz und Hilfe gewährt, ist angesichts unserer Geschichte ebenso erstaunlich wie ermutigend“, sagte Lammert. Die imponierende Bereitschaft der heute in Deutschland lebenden Menschen, diese humanitäre Herausforderung anzunehmen, sei ein wirklicher Grund stolz zu sein.
Viele Bürgerinnen und Bürger würden spontan helfen, freiwillig und ehrenamtlich, häufig mit bewundernswertem Einsatz von Zeit und Geld: „Sie ermöglichen Sprachunterricht, geben Nachhilfestunden, helfen im Umgang mit Behörden und bei Arztbesuchen, übernehmen Vormundschaften für unbegleitete Kinder, sie laden zu Nachbarschaftstreffen und Ausflügen ein, leisten Bürgschaften oder bieten die Unterbringung von Flüchtlingen in der eigenen Wohnung an.“
Aber zur Realität würden auch beschämende gewalttätige Ausschreitungen gegen Flüchtlinge, Unterkünfte und Polizisten, gehören, die von einer kleinen, lautstarken Minderheit verübt würden, um eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung zu schüren. „Nicht selten werden auch diejenigen unter Druck gesetzt, die sich vor Ort um eine Willkommenskultur bemühen“, sagte der Bundestagspräsident.
„Ja, es gehört zur Freiheit dieses Landes, auch gegen politische Entscheidungen zu protestieren und zu demonstrieren, die man falsch oder gar unzumutbar findet.“ Aber es dürfe keine Toleranz geben für Pöbeleien, persönliche Beleidigungen, anonyme Hass-Mails oder gar tätliche Angriffe. Dies sei die gemeinsame unmissverständliche Position aller im Parlament vertretenen Parteien und Abgeordneten.
Das Asylrecht bleibe die unantastbare Selbstverpflichtung der Verfassung Deutschlands und der deutschen Geschichte. „Und die Menschenwürde gilt für ausnahmslos alle, die in diesem Land leben – unabhängig davon, wie lange sie hier sind und wie lange sie bleiben können.“
Norbert Lammert: „Wir sehen verzweifelte Menschen auf ihrem Fluchtweg nach und durch Europa und erschütternde, kaum erträgliche Bilder derer, die diesen Weg mit dem Leben bezahlt haben, darunter auch viele Kinder.“ In das Mitgefühl und die Trauer würden sich berechtigte Sorgen mischen, wie mit dem weiter anhaltenden Zustrom die Kommunen fertig werden sollen und die Kontrolle über das eigene Land, seine Grenzen oder seine Rechtsordnung behauptet werden kann.
„Wir sprechen jetzt in Deutschland und in Europa über unseren Umgang mit diesem humanitären Ausnahmezustand“, machte Lammert deutlich. Deshalb müsse nun in den anbrechenden Haushaltsdebatten auch über nötige und mögliche Maßnahmen, über rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen und über vorrangige und nachrangige Aufgaben gestritten werden.
Europa könne aber weder die Grenzen für alle öffnen, noch seine Grenzen hermetisch abriegeln. Es sei ein Gebot der Redlichkeit, auch deutlich zu machen: „Nicht alle, die aus ihrer Heimat vor Not und Armut flüchten, werden nach Deutschland kommen oder in Deutschland bleiben können.“ Zur Redlichkeit gehöre im Übrigen auch, deutlich zu sagen, dass die humanitäre Herausforderung, vor der die Bundesrepublik aktuell stehe, keine schnell vorübergehende Aufgabe sei. „Dabei werden wir nicht nur staatlichen Behörden und gesellschaftlichen Einrichtungen in den nächsten Monaten einiges abverlangen müssen, sondern auch den Flüchtlingen, wenn die Integration gelingen soll“, so Lammert.
Vorrangig bedürfe es der gemeinsamen politischen Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen, um so flexibel wie möglich und so zügig wie nötig eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge sicherzustellen. Aber es brauche auch eine verbindliche europäische Lösung. „Wir müssen von allen, ausnahmslos allen EU-Mitgliedsstaaten erwarten, dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten daran beteiligen, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.“ Das hätten auch die europäischen Parlamentspräsidenten aus den G7-Staaten bei ihrer Konferenz am Samstag, 5. September 2015, in Leipzig einvernehmlich festgestellt.
„Diese große humanitäre, politische und kulturelle Herausforderung werde Deutschland verändern.“ Bundestagspräsident Lammert zeigte sich überzeugt, dass dies letztlich zum Vorteil Deutschlands geschehe, „wenn wir so mutig und entschlossen handeln, wie dies auch bei anderen großen Herausforderungen wie zuletzt der Finanz- und Bankenkrise geschehen ist“.
Dieses Bewusstsein solle die Debatten in der folgenden Haushaltswoche prägen. „Aber vor allem unser weiteres gemeinsames Handeln in Staat und Gesellschaft“, wünschte sich der Parlamentspräsident. (eis/08.09.2015)