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Die Bundesländer sollen gesetzlich verpflichtet werden, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen und eine angemessene Betreuung, Unterkunft und Versorgung zu gewährleisten. Dies sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/5921) vor, über den der Bundestag am Freitag, 25. September 2015, in erster Lesung beriet. Die Regierung will mit ihrer Gesetzesinitiative die Verteilung unbegleiteter Flüchtlingskinder im Bundesgebiet verbessern und die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention sicherstellen.
Zudem soll die Altersgrenze für Aufenthalts- und Asylverfahren von 16 auf 18 Jahre angehoben werden. Mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingssituation warb Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) in der Debatte für eine möglichst zügige parlamentarische Beratung der Gesetzesinitiative: „Wir sollten das Gesetz schnell beschließen.“
Nach Angaben der Bundesregierung befanden sich Ende 2014 bundesweit 17.955 unbegleitete ausländische Minderjährige in vorläufigen Schutzmaßnahmen oder Anschlussmaßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Von 2010 bis 2013 sei die Zahl unbegleiteter Flüchtlingskinder, die nach Deutschland kamen, um 133 Prozent gestiegen. Etliche Jugendämter beziehungsweise örtliche Träger der Jugendhilfe, die für die Inobhutnahme der Flüchtlingskinder zuständig sein, seien gegenwärtig überlastet und ihre dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung und Betreuung erschwert oder nicht mehr möglich. In diesem Jahr seien bereits rund 22.000 Flüchtlingskinder nach Deutschland gekommen, sagte Ministerin Schwesig. Bis Ende des Jahres werde ihre Zahl voraussichtlich auf 30.000 ansteigen. Diese Kinder hätten ein Recht auf Schutz, Betreuung, Bildung und medizinische Versorgung.
Schwesig begrüßte ausdrücklich die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder am Donnerstagabend im Kanzleramt. So sollen die Länder eine monatliche Kostenpauschale von 670 Euro pro Flüchtling erhalten. Darüber hinaus unterstütze der Bund die Länder bei der Betreuung von unbegleiteten Flüchtlingskindern mit 350 Millionen Euro. Flüchtlingskinder seien „aber nicht nur ein Kostenfaktor“, sondern auch „junge Staatsbürger von morgen“, gab Schwesig zu bedenken. Umso wichtiger sei es, sie erfolgreich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Harte Kritik übte der familienpolitische Sprecher der Linksfraktion Norbert Müller. An dem Gesetzentwurf zeige sich erneut, dass in der Bundesregierung unklar darüber bestehe, ob sie eine flüchtlingsfreundliche oder flüchtlingsfeindliche Politik betreiben will. Er könne im Entwurf die „Handschrift des Familienministerium nicht mehr erkennen“. Durchgesetzt hätten sich in erster Linie das Innenministerium und die von den Flüchtlingsströmen am stärksten betroffenen Bundesländer.
So habe Bayern wiederholt minderjährige Flüchtlinge „planlos“ in Busse und Züge gesetzt und nach Brandenburg und Berlin bringen lassen. „Vielleicht ist Ihnen das Kindeswohl ausländischer Kinder nicht so wichtig wie das deutscher Kinder“, sagte Müller mit Blick in die Reihen der CSU-Bundestagsabgeordneten. Eine bürokratische Verteilung der Flüchtlingskinder nach dem Königsteiner Schlüssel, wie im Gesetz vorgesehen, werde nicht funktionieren. Der Bund schiebe die Probleme auf Länder und Kommunen ab, kritisierte Müller. Die zusätzlich 350 Millionen Euro seien nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“ und würden nicht ausreichen.
Freundlicher beurteilte die Familienpolitikerin Katja Dörner für Bündnis 90/Die Grünen den Gesetzentwurf. Er sei „besser als wir befürchtet haben“. Dörner lobte ausdrücklich, dass 16- bis 18-Jährige Flüchtlinge im Asylrecht nicht mehr wie Erwachsene behandelt werden sollen. Es mache zudem Sinn, dass Flüchtlingskinder anders als gehabt im Bundesgebiet verteilt werden. Allerdings habe der Staat eine besondere Schutzverantwortung für die Kinder. Bei der Verteilung der Kinder auf die Länder müsse das Kindeswohl immer an erster Stelle stehen, sagte Dörner.
Allerdings geht der Gesetzentwurf den Grünen nicht weit genug, da er den Prämissen der UN-Kinderrechtskonvention „nicht vollumfänglich“ nachkomme. In ihrem Antrag (18/5932), über den der Bundestag ebenfalls beriet, moniert die Oppositionsfraktion, dass die Überprüfung der Interessen und Bedürfnisse der minderjährigen Flüchtlingskinder nicht festgeschrieben sei, zudem gebe es keine Standards für Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten. Die Grünen fordern die Regierung unter anderem auf, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen ein Netzwerk von Übersetzern und Therapeuten aufzubauen. Nur wenn Kinder sich in ihrer Muttersprache ausdrücken können, sei es möglich, sie auch angemessen zu beteiligen. Zudem regen sie den Aufbau von Schwerpunktjugendämtern an, in denen die Kompetenzen im Umgang mit Flüchtlingskindern gebündelt werden. Vertreter der Koalitionsfraktionen wiesen die Kritik der Opposition zurück.
Der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Marcus Weinberg, verteidigte die Verteilung der Flüchtlingskinder auf die Länder. Es sei richtig, auch jene Länder stärker in die Pflicht zu nehmen, die bislang nicht so viele Flüchtlinge aufgenommen hätten. Zudem könnten die Länder am besten beurteilen, in welchen Kommunen Flüchtlingskinder am besten untergebracht werden können.
Auch Weinberg sprach sich für eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes aus. Zudem müssten zügig Strukturen aufgebaut werden, um die jungen Flüchtlinge erfolgreich zu integrieren. Die in Deutschland ankommenden Flüchtlingskinder würden immer jünger werden, seien zum Teil unter 14 Jahren alt. „Sie werden in zehn Jahren auch noch in Deutschland leben“, sagte der Christdemokrat.
Auch die SPD-Abgeordnete Gülistan Yüksel warb für eine schnelle Verabschiedung des Gesetzentwurfes. Damit könnten die Knotenpunkte, an denen Flüchtlingskinder hauptsächlich in Deutschland ankämen, schnell entlastet werden.
Gleichzeitig gelte im Gesetz aber das Primat der Jugendhilfe. Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention gelte für alle Kinder das gleiche Recht. (aw/25.09.2015)