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Wer sich als deutscher Unternehmer in Tunesien engagieren will, kommt an Malek Abidi nicht vorbei. Die 32-Jährige arbeitet in Tunis als Office-Managerin bei der Deutsch-Tunesischen Industrie- und Handelskammer (AHK-Tunesien). „Wir stellen für Industrie, Handel und Wirtschaft eine Brücke zwischen Deutschland und Tunesien dar“, sagt Malek Abidi. In diesem September muss die AHK-Tunesien aber ohne ihre sehr gut Deutsch sprechende Office-Managerin auskommen. In dieser Zeit nimmt die studierte Handelswissenschaftlerin am Sonderprogramm des Internationalen Parlamentsstipendiums (IPS) für arabische Staaten teil. „Ich bin stolz hier im Deutschen Bundestag sein zu dürfen“, sagt sie und dankt vor allem ihrem Chef, dem Geschäftsführer der AHK-Tunesien, für seine Unterstützung bei der Bewerbung für das IPS. Ebenso wie der Deutschen Botschaft in Tunis, über deren Facebook-Seite die Tunesierin überhaupt erst vom IPS-Sonderprogramm erfahren hat.
In Berlin will sie nun schauen, wie das parlamentarische System in Deutschland funktioniert. „Vieles, was ich hier erfahren habe, kann man in den Medien so nicht finden“, sagt sie und freut sich besonders, im Abgeordnetenbüro von Manfred Zöllmer (SPD) mitarbeiten zu dürfen. Ein erstes Zwischenfazit kann die 32-Jährige schon nach zwei Wochen ziehen: Vieles, was im Bundestag zu den parlamentarischen Abläufen gehört, kennt sie auch aus dem tunesischen Parlament.
Die Stipendiaten aus den anderen Ländern, so erzählt sie, seien sehr beeindruckt vom Ablauf der Plenardebatten gewesen, „weil es in ihren heimischen Parlamenten offenbar nicht so läuft“. Für Malek Abidi war es hingegen ein Déjà-vu. „Es war so, wie ich es aus dem tunesischen Parlament kenne. Es wird gestritten, aber es kommt auch zu Kompromissen, zu Lösungen im Interesse der Bevölkerung.“ Das gleiche gelte für Pressekonferenzen. „Auch bei uns darf alles gefragt werden, und die Regierungsvertreter müssen mit Ausführlichkeit und Transparenz antworten. Ich bin stolz darauf, dass wir schon so weit sind“, sagt sie und fühlt sich in ihrer Einschätzung bestätigt: „Wir sind in Tunesien auf dem richtigen Weg hin zur Demokratie.“
Eine neue Verfassung, „die vereint, was vielen nicht vereinbar schien“, freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die Gleichstellung von Mann und Frau – Tunesien habe seit dem „Arabischen Frühling“ 2011 viel erreicht, findet sie. Mehr als die meisten arabischen Staaten, wie sie auch nach Gesprächen mit ihren Mitstipendiaten erfahren hat. Insofern spricht Malek Abidi auch eher vom „Tunesischen Frühling“. Doch auch sie weiß: „Es bleibt natürlich noch viel zu tun.“ Ihren Landsleuten müsse bewusst sein, dass die Veränderungen nicht von heute auf morgen kämen. „Man braucht einen langen Atem auf dem Weg zur Demokratie.“
Die Terroranschläge dieses Jahres lassen die junge Tunesierin nicht zweifeln. Der Kampf gegen den Terrorismus habe derzeit oberste Priorität. Man müsse aber damit rechnen, dass es noch zu weiteren Anschlägen kommen könnte. „Dennoch: Es gibt keinen Grund zur Panik! Wir sind auf dem richtigen Weg, auch wenn darauf noch einige Steine liegen“, bleibt sie zuversichtlich.
Dass der tunesische Präsident Beji Caid Essebsi unlängst um internationalen Unterstützung beim Kampf gegen den Terror geworben und davor gewarnt hat, dass die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) Tunesien attackieren wolle, hält sie gleichwohl für richtig. „Wir brauchen internationale Unterstützung, insbesondere von Deutschland. Wir brauchen vor allem das Know-how.“ Schließlich gelte Deutschland auch für Tunesien als „Benchmark“. Dies habe ihr auch der tunesische Finanzminister bestätigt, mit dem Malek Abidi in Vorbereitung ihrer IPS-Zeit gesprochen hat.
Und so freut sich die Tunesierin, dass Bundespräsident Joachim Gauck ihr Land als erstes nordafrikanisches Land besucht und aufmunternde Worte gefunden hat. „Der Bundespräsident hat bestätigt, dass Tunesien gigantische Schritte zur Demokratie gemacht hat und zweifellos zu einem Vorbild für die freiheitsliebenden Menschen der ganzen Region geworden ist“, sagt Malek Abidi. Dies mache deutlich: „Deutschland hat den Willen, Tunesien zu unterstützen.“
Deutschland, das zeigen viele Aussagen der 32-Jährigen, spielt in ihrem Leben eine wichtige Rolle. Da ist zum einen der Job bei der Deutsch-Tunesischen Industrie- und Handelskammer. Die guten Kontakte zur Deutschen Botschaft in Tunis, zum Goethe-Institut und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) kommen dazu. „Außerdem sind viele meiner Freunde und Kollegen deutscher Herkunft“, fügt sie hinzu. Dass Deutsch eine sehr schwere Sprache ist, so erzählt sie, habe im Übrigen dazu geführt, dass sie sich entschied, Deutsch an der Universität zu studieren und nebenbei Sprachkurse am Goethe-Institut zu machen. „Deutsch zu lernen stellte eine große Herausforderung für mich dar. Und ich suche solche Herausforderungen.“
Welche Herausforderungen die Zukunft für Malek Abidi bietet wird sich zeigen. In zehn oder zwanzig Jahren tunesische Präsidentin zu sein, kann sie sich derzeit nicht vorstellen. „Ich bin eher zivilgesellschaftlich engagiert“, sagt sie und fügt hinzu: „Man kann auch politisch hoch wirksam handeln, ohne in der ersten Reihe zu stehen.“ (hau/21.09.2015)