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Experten urteilten über die geplante Speicherung von Telekommunikationsdaten. © picture-alliance/Bildagentur-online
Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist aus Sicht von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu begrüßen. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses unter Vorsitz von Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) am Montag, 21. September 2015, deutlich. Die gegenteilige Ansicht vertraten Dr. Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein und der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik, die sich gegen das in gleichlautenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung (18/5171) sowie der Fraktionen von CDU/CSU und SPD (18/5088) geplante Vorhaben aussprachen, künftig wieder Telekommunikationsverkehrsdaten sämtlicher Bürger verdachtsunabhängig zu speichern.
Laut den Entwürfen sollen Telekommunikationsunternehmen, Internetprovider und andere Zugangsanbieter verpflichtet werden, sogenannte Verkehrsdaten zehn Wochen lang zu speichern. Standortdaten, die bei der Nutzung von Mobildiensten anfallen, sollen vier Wochen lang gespeichert werden. 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die damals geltende Regelung der Vorratsdatenspeicherung für grundrechtswidrig erklärt.
Die Möglichkeit der Verkehrsdatenabfrage sei ein „aus der ermittlungstaktischen Arbeit der Strafverfolgungsbehörden nicht wegzudenkendes Ermittlungsinstrument“, sagte Dr. Nikolaus Berger, Richter am Bundesgerichtshof (BGH). Lediglich auf die geschäftsmäßige Speicherung der Verkehrsdaten durch die betreffenden Telekommunikationsunternehmen zu vertrauen, biete keine ausreichende Grundlage für eine rechtsstaatliche Aufklärung schwerer Straftaten, da Ergebnisse von Strafverfahren nicht zufallsbedingt von der Speicherpraxis der verschiedenen Unternehmen abhängen dürften. Skeptisch zeigte sich Berger bezüglich der in den Gesetzentwürfen enthaltenen Speicherfristen, die sich als zu kurz erweisen dürften.
Dem stimmte Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, zu. Die kurzen Speicherfristen seien „weder verfassungsrechtlich geboten noch ermittlungstechnisch ausreichend“, sagte er und sprach sich für eine Sechsmonatsfrist aus. Die Speicherfristen dürften nicht politisch motiviert festgelegt werden, sondern müssten sich nach den Bedürfnissen der Praxis richten, forderte Frank. Gleichzeitig nannte er es „nicht nachvollziehbar“, dass der E-Mail-Verkehr sowie die Daten über aufgerufene Internetseiten bei der Speicherung ausgeklammert werden sollen.
Im Bereich der Internetkriminalität sei die Datenspeicherung unverzichtbar, betonte Oberstaatsanwalt Rainer Franosch als Vertreter des Hessischen Justizministeriums. Die Gesetzentwürfe trügen dem zwar grundsätzlich Rechnung, sagt er. Die kurzen Speicherfristen und der zu sehr eingeschränkte Straftatenkatalog seien jedoch praxisuntauglich.
Die Polizei unterstütze die Forderung nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, sagte Frank Thiede vom Bundeskriminalamt (BKA). Es gehe dabei nicht darum, „die Daten fünf Jahre zu speichern“, machte er deutlich und sprach sich für eine Speicherfrist von sechs Monaten aus. Die Gesetzentwürfe, so der BKA-Vertreter, stellten einen Fortschritt dar „gegenüber dem Stillstand nach 2010, den wir ertragen mussten“.
Eine klare Ablehnung der Pläne von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen gab es durch Heide Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein. Die Entwürfe sei weit davon entfernt, die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundene Überwachung von 80 Millionen Bürgern rechtfertigen zu können, sagte Sandkuhl. Es gebe keine valide Untersuchung, wonach dieser schwerwiegende Rechtseingriff erforderlich sei. Zudem würden vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemachte Vorgaben – etwa zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern – nicht ausreichend beachtet, kritisiert die Anwaltsvertreterin.
Strittig unter den Experten war auch, ob die Regelung verfassungsrechts- und europarechtskonform ist. Aus Sicht von Meinhard Starostik verstößt die geplante Regelung sowohl gegen die EU-Grundrechte als auch gegen die deutsche Verfassung. Schon in seinem Urteil von 2010 habe das Bundesverfassungsgericht die mit der Speicherung von Verkehrsdaten verbundene Gefahr der Persönlichkeitsprofilerstellung gesehen. Seitdem, so Starostik, habe es eine Zunahme der Datenabfassung gegeben. Mit Blick auf die europäische Ebene verwies der Anwalt auf die Vorgaben des EuGH, der eine EU-Richtlinie unter anderem deshalb gestoppt hatte, weil Berufsgeheimnisträger nicht von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen waren.
Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger von der Universität Augsburg machte deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht 2010 zwar die damalige Regelung für verfassungswidrig erklärt habe, „nicht aber grundsätzlich die Speicherung von Daten“. Zwar gebe es bei dem Gesetzentwurf Klarstellungsbedarf. Die Regelung wahre aber den vom Gericht gesetzten Rahmen und bleibe teils sogar hinter den Vorgaben zurück. Ähnlich stelle es sich auf europäischer Eben dar, so Wollenschläger weiter. Das EuGH-Urteil zur entsprechenden Richtlinie sei kein grundsätzliches Nein zur Verkehrsdatenspeicherung, sagte er. (hau/22.09.2015)