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"Die Finanzierungsmöglichkeiten gleichen einem Flickenteppich", sagte Mario Patuzzi, Referatsleiter in der Abteilung Grundsatzfragen der beruflichen Bildung & Weiterbildung des DGB-Bundesvorstands, in der öffentlichen Anhörung zum "Gesetzentwurf zur Änderung des Berufsqualifikationsgesetzes und Bericht zum Anerkennungsgesetz 2015" am Mittwoch, 30. September 2015, vor dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung unter Vorsitz von Patricia Lips (CDU/CSU).
Kritik in diese Richtung äußerten fast alle Experten, wenn sie auch im Grundsatz das vor gut drei Jahren beschlossene Gesetz lobten. Grundsätzlich sollen mit dem Anerkennungsgesetz die Verfahren zur Bewertung ausländischer Berufsqualifikationen im Zuständigkeitsbereich des Bundes vereinfacht und für bisher nicht anspruchsberechtigte Zielgruppen geöffnet werden. Doch viele Antragsteller hätten kaum Chancen auf Begleichung der Kosten, mahnten die Fachleute, und würden deshalb keine Anerkennung ihrer Qualifikation erreichen.
Michael van der Cammen, Leiter der Koordinierungsstelle Migration der Bundesagentur für Arbeit, wies darauf hin, dass das Anerkennungsgesetz einen wichtigen Beitrag zur Deckung des Fachkräftebedarfs leiste. Die Anerkennung beruflicher Abschlüsse erhöhe das Einkommen um rund 28 Prozent wie auch die Wahrscheinlichkeit, qualifikationsadäquat beschäftigt zu sein. Gleichwohl machte er darauf aufmerksam, dass in Deutschland der formale Abschluss fast mehr wiege als die vorhandene Kompetenz. Das werde in den Niederlanden von den Betrieben anders gehandhabt.
Dr. Ottmar Döring, Leiter des Fachstelle "Beratung und Qualifizierung" des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung betonte, dass das Anerkennungsgesetz vor allem bei den reglementierten Berufen erfolgreich sei, also den Berufen, bei denen ein Nachweis einer bestimmten Qualifikation zur Berufsausübung nötig ist. Eine gelungene Arbeitsmarktintegration könne man aber nicht alleine anhand von Quantitäten beurteilen, sondern auch anhand der Veränderung einer Kultur in einem Land, der Sensibilisierung von Mitarbeitern in Beratungsstellen. Daher leiste die Anerkennungsberatung auch dann einen positiven Beitrag, wenn danach kein Antrag gestellt wird.
Michael Gwosdz vom Diakonie-Hilfswerk Hamburg, das seit 2010 über 5.000 Menschen mit ausländischen Abschlüssen aus über 140 Ländern beraten hat, wies darauf hin, dass für die Betroffenen oft Kosten anfielen, die sie nicht stemmen könnten, und sprach sich deshalb ebenfalls dafür aus, Lücken in der Kostenübernahme zu schließen. Das Bundesland Hamburg habe beispielsweise ein eigenes Stipendienprogramm aufgelegt, um die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse nicht an finanziellen Hürden scheitern zu lassen. Ein vergleichbares Programm auf Bundesebene wäre ein wichtiges Signal, dass die Aussage "Kein Arzt oder Ingenieur soll mehr Taxifahrer sein" ernst gemeint sei.
Ähnlich argumentierte Heike Klembt-Kriegel, Geschäftsführerin der IHK FOSA (Foreign Skills Approval), die das Gesetz "eine grundsätzliche Säule der Fachkräftesicherung" nannte, aber ebenfalls appellierte, Lücken in der Finanzierung zu schließen. Stephan Schiele von MigraNet (IQ Landesnetzwerk Bayern Tür an Tür Integrationsprojekte) sagte, man könne das Gesetz nicht hoch genug loben, forderte aber, der Vereinheitlichung von Verfahren mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Weitere Durchführungsverordnungen und Handlungsleitfäden für die Anerkennungsstellen wären hilfreich.
Die Leiterin des Multiplikatorenprojekts im Förderprogramm "Integration durch Qualifizierung (IQ)" bei der ebb Entwicklungsgesellschaft für Berufliche Bildung in Köln, Sabine Schröder, machte deutlich, dass ein Drittel der Flüchtlinge über berufliche und akademische Abschlüsse verfügt, was zu einem deutlich höheren Beratungsbedarf führe. Sie forderte eine Erhöhung der Ressourcen. Zudem müsse das Anerkennungsgesetz bei den Betrieben bekannter gemacht werden. (rol/30.09.2015)