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Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) hat der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Staatssekretär a.D. Dr. August Hanning, die Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) verteidigt. Ohne diese Kooperation wäre der BND nicht in der Lage gewesen, seine Aufgaben zu erfüllen, zumal in den turbulenten Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001, betonte Hanning in seiner Vernehmung am Freitag, 2. Oktober 2015. Er könne sich auch an keinen Vorgang erinnern, bei dem die Kooperation von der US-Seite dazu benutzt worden wäre, Ziele unter Verletzung deutscher Interessen aufzuklären. Der Vorwurf, die NSA habe in das gemeinsam mit dem BND in Bad Aibling betriebene Abhörsystem Suchmerkmale eingespeist, die zur Ausspähung europäischer Firmen und Institutionen geeignet waren, ist eines der Themen des Ausschusses.
Der heute 69-jährige Hanning war von November 1998 bis November 2005 BND-Präsident und anschließend bis November 2009 Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Als er an die Spitze des Nachrichtendienstes gelangt sei, habe er die für Funkaufklärung zuständige Abteilung 2 in einem "kritischen" Zustand vorgefunden, berichtete Hanning.
Den Lauschern des BND habe damals die Gefahr gedroht, von dem rasanten technischen Wandel auf dem Gebiet der Telekommunikation und der Datenübermittlung, der Zunahme internet-basierter Verkehre und dem Ausbau neuer Glasfasernetze, abgehängt zu werden. Mit seinen begrenzten Ressourcen wäre der BND allerdings nicht in der Lage gewesen, aus eigener Kraft Abhilfe zu schaffen.
In dieser Situation empfand Hanning die Zusammenarbeit mit den Amerikanern als unentbehrliche Hilfe, als er sich 2002 angesichts der Herausforderung durch den Terrorismus und den Krieg in Afghanistan zur "Ertüchtigung" der Funkaufklärung entschloss. "Die Amerikaner sind der Elefant, wir sind das Pony", so habe er das Verhältnis zwischen NSA und BND immer gesehen. Der US-Dienst sei technisch unendlich überlegen gewesen, allerdings habe die deutsche Seite diesen Vorsprung durch Qualität ansatzweise wettmachen können: "Wir waren in Teilbereichen so gut, dass auch die NSA gestaunt hat."
Grundlage der Zusammenarbeit, betonte Hanning, sei die "strikte Beachtung" deutschen Rechts und deutscher Interessen gewesen. Dies habe nicht zuletzt auch für den gemeinsamen Betrieb der Abhöranlage in Bad Aibling seit 2002 gegolten. Bad Aibling habe bis dahin der US-Armee gehört, die die Einrichtung seit den 1950er Jahren genutzt habe. Als BND-Präsident drang Hanning darauf, sie in deutsche Hoheit zu überführen.
Er habe den bestehenden Zustand als "Relikt aus der Besatzungszeit" empfunden, das die deutsche Souveränität verletze. Das Thema habe "schwierige Diskussionen" ausgelöst. Auch im US-Kongress sei der Widerstand gegen die Abtretung einer so wichtigen Anlage zunächst groß gewesen. Beide Seiten hätten sich schließlich darauf geeinigt, dass der BND Bad Aibling übernahm, die Amerikaner aber den Zugang zu den dort gewonnenen Informationen behielten.
Die Gefahr von Interessenkonflikten in dieser Zusammenarbeit ist nach Hannings Ansicht gering. Es gebe hier und da "unterschiedliche Sichtweisen", aber: "Bei 95 Prozent der Aufklärung gab es keine gegensätzlichen Interessen." Der BND sei dennoch nie "blauäugig" gewesen, die "Sensibilität" in der zuständigen Abteilung vielmehr "sehr hoch", so Hanning: "Der BND hält sich strikt an Recht und Gesetz. Das ist der Ruf, den wir haben, und daran haben wir uns auch immer gehalten."
Am Donnerstag, 1. Oktober, wies ein ehemaliger Referatsleiter im Bundeskanzleramt vor dem Untersuchungsausschuss darauf hin, dass eine effiziente politische Rechts- und Fachaufsicht über den BND kaum zu leisten sei. Dies liege am zahlenmäßigen Missverhältnis zwischen rund 6.000 Geheimdienstlern und etwa 30 Mitarbeitern des Kanzleramts, die sie kontrollieren sollten, sagte der Zeuge Joachim Mewes.
Zudem stammten einige der Aufseher selber aus dem BND: "Ob das die ideale Lösung für die Dienstaufsicht ist, weiß ich nicht." Es liege schließlich auf der Hand, dass ein BND-Mitarbeiter "in der Zeit, in der er bei der Aufsicht ist, nicht dazu neigt, sich mit seiner Herkunftsbehörde anzulegen."
Der heute 66-jährige Mewes war von 1999 bis 2008 in der für die Rechts- und Fachaufsicht über die Nachrichtendienste zuständigen Abteilung 6 im Kanzleramt tätig. Seit Juli 2003 leitete er hier das Referat 612, wo er unter anderem Anträge des BND auf G10-Genehmigungen zu bearbeiten hatte. Eine solche Genehmigung ermächtigt den Geheimdienst, den Kommunikationsverkehr deutscher Staatsbürger zu überwachen, die im Prinzip dem Schutz des grundgesetzlich verbürgten Fernmeldegeheimnisses unterliegen.
Das sogenannte G10-Gesetz regelt die zulässigen Ausnahmen, wenn konkrete Verdachtsmomente dazu Anlass geben. Mewes hatte diese Anträge zu prüfen und an die für die Genehmigung zuständige G10-Kommission weiterzuleiten. Wegen der Eilbedürftigkeit in den meisten Fällen sei eine gründliche Prüfung allerdings kaum möglich gewesen.
Vom Grundrechtschutz deutscher Staatsbürger, der nur in streng definierten Ausnahmefällen aufgehoben werden darf, ist der Umgang des Geheimdienstes mit sogenannten "Routineverkehren" zwischen ausschließlich ausländischen Teilnehmern strikt zu unterscheiden. Nach den Worten des Zeugen tut sich hier ein "rechtliches Nirwana" auf. Die Routineaufklärung des BND spiele sich auf einem "Dunkelfeld" ab, "das sich keiner so richtig angesehen hat". Der Nachrichtendienst sei eben "eine Behörde besonderer Art".
Mewes erinnerte sich eines Besuchs vor zehn Jahren beim weltweit größten Glasfaserknotenpunkt, den die Telekom damals in Frankfurt betrieb. Er sei mit Mitgliedern der G10-Kommission einer Einladung des BND gefolgt, der nach eigenem Bekunden die Gäste mit neuen technischen Möglichkeiten der G10-Erfassung vertraut machen wollte. Der Knoten sei in einem unscheinbaren Bürogebäude in einem Frankfurter Vorort untergebracht gewesen: "Der BND hat uns gezeigt, was da stattfindet, wobei man außer Kabeln, Leuchten und Dioden nichts gesehen hat."
Der Besuch habe vermutlich 2005 stattgefunden, meinte Mewes. Zu diesem Zeitpunkt erfasste der BND gemeinsam mit dem US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) in Frankfurt den gesamten kabelgestützten Fernmeldeverkehr in Ländern des Mittleren Ostens. Die bis 2007 fortgeführte Operation fand unter dem Decknamen "Eikonal" statt. Beim Besuch des Mannes aus dem Kanzleramt und seiner Begleiter war davon allerdings mit keinem Wort die Rede. Die Gastgeber erweckten den Eindruck, sie seien in Frankfurt allein mit rechtlich einwandfreien G10-Überwachungen beschäftigt.
Hätte er damals gewusst, dass in Wahrheit ausländische Routineverkehre erfasst und ausgewertet wurden, und dies unter dem Vorwand einer G10-Genehmigung, hätte er "gewisse Bedenken gehabt", sagte Mewes: "Das wäre ja letztlich auf einen gewissen Missbrauch der G10-Kommision hinausgelaufen."
Zuvor hatte die letzte zuständige Referatsleiterin im BND über das Programm berichtet, durch das der BND bis zum vergangenen Jahr mit amerikanischen Partnern Asylbewerber in Deutschland nach verwertbaren Informationen aus ihren Herkunftsländern ausgeforscht hat. Die Zeugin K. war Chefin der "Hauptstelle für das Befragungswesen" von 2008 bis zu deren Auflösung am 30. Juni 2014. Die studierte Juristin ist seit 1986 beim BND beschäftigt und leitete vor ihrer Tätigkeit im Befragungswesen Referate unter anderem für Vergaberecht und Partnerbeziehungen.
Die "Hauptstelle für das Befragungswesen" habe zu ihrer Zeit über vier Außenstellen und etwa 100 Mitarbeiter verfügt, unter ihnen rund 50 Befrager, berichtete die Zeugin. Überdies seien der Behörde bis zu zehn Mitarbeiter des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) ständig zugeteilt gewesen. Sie hätten jährlich rund 300 Flüchtlinge vernommen.
In Zeiten des Kalten Krieges zählten auch Spätaussiedler zur Zielgruppe. Die Asylbewerber seien um Auskünfte gebeten worden, die für die "Sicherheit der Bundesrepublik" von Interesse seien. Sie seien ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Teilnahme am Programm freiwillig sei und keinerlei Einfluss auf den Ausgang ihrer Asylverfahren habe.
Die Regel sei gewesen, dass die amerikanischen Partner nur gemeinsam mit ihren BND-Kollegen Flüchtlinge hätten befragen dürfen. In Einzelfällen sei es aber auch vorgekommen, dass ein NSA-Mitarbeiter allein am Verhörtisch gesessen habe, wenn auf deutscher Seite Personalknappheit herrschte. Die Erkenntnisse hätten beide Dienste aber immer gemeinsam ausgewertet.
In einer Außenstelle hätten 2012 Praktikanten und Bürosachbearbeiter einspringen müssen, weil sonst aus Mangel an hauptamtlichen BND-Befragern kein gemischtes Team zustande gekommen wäre und die Amerikaner sich beschwerten, dass sie deswegen untätig herumsaßen. In Fällen von besonderem nationalen Interesse habe der BND gelegentlich aber auch entschieden, die amerikanischen Partner außen vor zu lassen.
"Es war grundsätzlich die Ausnahme, dass die Amerikaner allein reingegangen sind", sagte die Zeugin. Im November 2013 freilich erließ das Kanzleramt eine strikte Weisung, dass auch solche Ausnahmefälle nicht mehr vorkommen durften. Einige Monate zuvor hatte der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden die Schnüffelpraktiken von US-Diensten in Deutschland und Europa offengelegt. Auf die Frage, wie und aus welchem Grund die Anweisung des Kanzleramts zustande gekommen sei, erkläre die Zeugin, das wisse sie nicht.
Im November 2013 hatten Süddeutsche Zeitung und Nordeutscher Rundfunk berichtet, dass Erkenntnisse aus den Befragungen von Asylbewerbern in Deutschland, insbesondere Telekommunikationsdaten verdächtiger Personen, im US-Drohnenkrieg gegen radikalislamische Freischärler Verwendung fanden. Die Zeugin K. konnte dem Ausschuss dafür freilich keine Anhaltspunkte liefern.
Auf die Frage, ob es in den Vernehmungen etwa auch um Handynummern gegangen sei, erwiderte sie: "Das war kein zentraler Punkt." Der BND habe sich nie für Telekommunikationsnetze und Kontaktdaten interessiert, auch für die Amerikaner sei das kein Thema gewesen. In den Vernehmungen sei vor allem die Versorgungslage in den Herkunftsländern zur Sprache gekommen, etwa der Brotpreis. Sie habe allerdings nie an einer Befragung teilgenommen, erklärte die Zeugin. Über Details könne sie daher nichts sagen. (wid/02.10.2015)
Sitzung am 1. Oktober:
Sitzung am 2. Oktober: