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Die Hafen- und Seemannsromantik früherer Jahrzehnte ist längst Geschichte. Auf der See und zwischen den Häfen herrscht heute knallharter Wettbewerb. Und in diesem Wettbewerb schlagen sich die deutschen Unternehmen recht gut. Die wirtschaftliche Situation der deutschen Werften habe sich in den beiden vergangenen Jahren deutlich verbessert, stellt auch die Bundesregierung in ihrem als Unterrichtung (18/5764) vorgelegten vierten Bericht über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland fest. Umsatz, Auftragswert und Beschäftigtenzahlen der deutschen Werften lägen deutlich über denen des Vorjahres. Der Bericht war Anlass für den Bundestag am Donnerstag, 15. Oktober 2015, Bilanz zu ziehen.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Uwe Beckmeyer (SPD), erklärte, die maritime Wirtschaft sei nicht nur für die Küstenregion von Bedeutung, sondern sie reiche von Flensburg bis zum Bodensee. Zulieferbetriebe würden sich in ganz Deutschland befinden. „Wir müssen unsere Technologieführerschaft in Deutschland sichern und ausbauen“, forderte Beckmeyer, der die Wirtschaft aufrief, stärker auf umweltfreundliche Technologien zu setzen. Ihm sei es nicht egal, ob sein Toaster über Rotterdam oder Hamburg nach Deutschland komme, sagte Johann Saathoff (SPD). Es gehe um 400.000 Arbeitsplätze und 30 Milliarden Euro Wertschöpfung pro Jahr in Deutschland.
Herbert Behrens (Die Linke) kritisierte den Arbeitsplatzabbau in der Branche. Nur noch 7.000 Seeleute würden unter deutscher Flagge fahren. Die Schifffahrtskrise sei nicht zu Ende. Die Bilanz der Wirtschaft sei in Wirklichkeit „vernichtend“, Reeder würden unter die Flaggen von Niedriglohnländern flüchten, und trotzdem würden sie subventioniert, zum Beispiel durch eine Lohnsteuerermäßigung für die Beschäftigten.
Die Frage sei, ob Deutschland Schifffahrtsnation bleiben solle, fragte Rüdiger Kruse (CDU/CSU). Er beantwortete die Frage mit einem klaren Ja. Wenn man Exportnation sein wolle, müsse man Logistiknation sein. Und es gebe keine Logistik ohne Schifffahrt, sagte Kruse. Er sprach sich dafür aus, auch Schiffsantriebe mit Gas (LNG) zu fördern. Damit sichere man nicht nur den Export, „sondern wir tun zugleich etwas für Klima und Umweltschutz“.
Die Politik für die maritime Wirtschaft trete seit Beginn der Schifffahrtskrise auf der Stelle“, stellte Dr. Valerie Wilms (Bündnis 90/Die Grünen) fest. „Neue Ideen liefert die Koalition wirklich nicht“, sagte sie weiter. Die Koalition müsse den großen Wurf wagen, sonst gehe dieser Wirtschaftszweig unter. Es gebe regelmäßig Subventionen, ohne dass die maritime Wirtschaft ihre Zusagen einhalte. Es werde weiterhin ausgeflaggt. Die Koalition lasse sich nur das Geld aus der Tasche ziehen, kritisierte Wilms.
Mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD und gegen die Stimmen der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen wurde ein Antrag der Koalition (18/6328) angenommen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ein Gesamtkonzept für die Schifffahrt zu entwickeln und die Rahmenbedingungen so gestalten, "dass der Schifffahrtstandort Deutschland und die deutsche Flagge wettbewerbsfähig werden". Die Bundesregierung soll das nationale Hafenkonzept schnellstmöglich fortschreiben, gemeinsam mit den Ländern eine Strategie zur Nutzung von Flüssiggas (LNG) entwickeln und die Errichtung und den Betrieb eines deutschen Flüssiggasterminals (LNG-Terminal) zur Schaffung von Versorgungssicherheit im nationalen Interesse begleiten. Außerdem solle es steuerliche Erleichterungen geben.
Auch die Bundesregierung würdigt in ihrem Bericht, der zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen wurde, die Entwicklung der Werftindustrie: Zwar sei der Auftragsbestand Ende 2014 im Vergleich zu Ende 2013 von 49 auf 40 Schiffe gesunken. Im Gegenzug sei jedoch der Auftragswert von 9,1 auf 10,8 Milliarden Euro gestiegen. Der Umsatz der Werften betrug nach Angaben der Bundesregierung 6,4 Milliarden Euro (2013: fünf Milliarden Euro). Die Zahl der Beschäftigten sei um sechs Prozent auf 17.854 gestiegen. Die Offshore-Windenergie sei eine wichtige Säule der Energiewende und ein bedeutender Wirtschafts- und Wachstumsfaktor insbesondere in norddeutschen Küstenländern.
Die Bundesregierung attestiert der maritimen Wirtschaft eine "Schlüsselrolle für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes". Die Häfen würden einen wichtigen Teil der Grundversorgung der deutschen Industrie sichern. 95 Prozent des interkontinentalen Warenaustauschs würden über den Seeweg abgewickelt, gleiches gelte für 60 Prozent der deutschen Warenexporte. Der Güterverkehr über See werde weiter zunehmen, prognostiziert die Regierung. Deutsche Reedereien würden mit 2.962 Handelsschiffen die viertgrößte Flotte der Welt stellen.
In der Sparte Containerschifffahrt liege die deutsche Flotte sogar an erster Stelle. Gemessen an ihrer Transportleistung sei die Schifffahrt der umweltfreundlichste Verkehrsträger. Den deutschen Häfen wird bescheinigt, zu den "besten Umschlagplätzen der Welt" zu zählen. Es wird erwartet, dass die Umschlagvolumina der 19 größten deutschen Seehäfen von 269 Millionen Tonnen (2010) auf 468 Millionen Tonnen im Jahr 2030 steigen werden. "Damit die Häfen Hamburg und Bremerhaven weiterhin die größten Containerschiffe abfertigen und im Wettbewerb bestehen können, ist die Umsetzung der geplanten Fahrrinnenanpassungen an Elbe und Weser erforderlich", erklärt die Bundesregierung.
Ebenfalls an die Ausschüsse überwiesen wurde ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (18/6347), in dem gefordert wird, die Position des maritimen Koordinators mit mehr Kompetenzen auszustatten. Das Amt des Koordinators wird von Beckmeyer ausgeübt. Außerdem soll es nicht mehr im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sondern im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur angesiedelt sein. Dort würden das maritime Bündnis federführend bearbeitet, Entscheidungen über die Hinterlandanbindungen der Häfen getroffen und die Wasserstraßen verwaltet. (hle/15.10.2015)