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Psychologen und Mediziner fordern eine verbesserte Suizidprävention in Deutschland. Zwar sei die Zahl der Selbstmorde langfristig rückläufig, es gebe aber Risikogruppen, die einer besonderen Zuwendung bedürften, erklärten Psychiatriefachverbände und Ärztevertreter anlässlich einer Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages zum Thema Suizidprävention. Die Sachverständigen empfahlen den Ausbau der Präventionsangebote, eine gezielte Ansprache gefährdeter Menschen, eine bessere Kontrolle giftiger Substanzen und bestimmter Medikamente sowie eine verstärkte Suizidforschung.
In der Anhörung am Mittwoch, 14. Oktober 2015, unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) ging es um einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/5104) mit dem Ziel, Selbstmorde zu verhindern. Viele Menschen, die sich aus Verzweiflung, Vereinsamung oder fehlender Wertschätzung selbst töten wollten, suchten Hilfe, bekämen diese Hilfe aber oft nicht, heißt es in einem Antrag. Das Thema Suizid sei in Deutschland nach wie vor tabuisiert. So würden Suizidgedanken häufig nicht rechtzeitig erkannt.
Aufgabe der Gesellschaft sei es, eine verstärkte Informations- und Aufklärungsarbeit zu leisten sowie für bessere Lebensbedingungen zu sorgen, etwa über Quartierskonzepte, die der Einsamkeit entgegenwirken könnten. Die Grünen fordern konkret unter anderem eine Aufklärungskampagne und Angebote, um berufliche und familiäre Krisen besser bewältigen zu können. Ferner sollte Geld für die systematische Erforschung und Bewertung von Suizidpräventionsprogrammen und Behandlungsangeboten bereitgestellt werden.
Die Sachverständigen machten in der Anhörung deutlich, dass sie durchaus Handlungsbedarf sehen, obgleich die Zahl der Selbstmorde in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist, von 13.924 Fällen im Jahr 1990 auf 10.076 Fälle im Jahr 2013. In den achtziger Jahren war die Selbstmordrate noch wesentlich höher. Psychiater begründen diese langfristig günstige Entwicklung mit den vermehrten Antidepressionsprogrammen, Krisendiensten und der ausgebauten Telefonseelsorge, die zum Beispiel von den großen christlichen Kirchen angeboten wird. Inzwischen deutet sich aber wieder eine Trendwende an, wie ein Sachverständiger in der Anhörung sagte.
Laut Bundesärztekammer werden im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung pro Quartal mehr als drei Millionen Menschen mit psychischen und psychosomatischen Störungen ambulant behandelt. Die Zahl der Selbstmordversuche liegt nach Schätzungen von Experten um ein Vielfaches höher als die Anzahl der tatsächlichen Suizide. Ein Vertreter der Ärztekammer wies in der Anhörung darauf hin, dass es auch für Ärzte oft schwierig sei, Suizidgedanken bei Patienten zu erkennen. Viele strahlten eine ,,tückische Ruhe" aus. Es sei auch nicht einfach, Patienten mit der nötigen Sensibilität auf mögliche Lebenskrisen anzusprechen.
Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) treten Selbstmordgedanken am häufigsten in psychosozialen Krisen und bei psychischen Erkrankungen auf. Vor allem schwere Depressionen gehen mit Selbstmordabsichten einher. Als Risikogruppen gelten daneben Homosexuelle und Transsexuelle, Migranten und Flüchtlinge, junge Frauen, Menschen, die bereits eine Suizidkrise durchgemacht haben, und alte einsame Männer. Bei den über Siebzigjährigen liegt die Suizidrate der Männer viermal so hoch wie die der Frauen.
Die DGPPN fordert auch ganz praktische Vorkehrungen, um Suizide zu vermeiden. So müsse der Zugang zu sogenannten Hotspots verhindert werden, etwa durch Verschalung von Brücken, Eisenbahnlinien und Türmen. Ferner sollten Autoabgase entgiftet werden. In der Anhörung regte eine Sprecherin des Verbandes zudem an, in Jobcentern Profis einzusetzen, die einschätzen könnten, ob jemand womöglich auch suizidgefährdet sei.
Der Deutsche Caritasverband erklärte, es bestehe dringlicher Handlungsbedarf. Das Thema Suizid sei geprägt durch eine Mischung aus Hilflosigkeit, Ohnmacht und Unwissenheit und müsse aus der Tabuzone geholt werden. So sei das Wissen in der Bevölkerung über Erkennungsmerkmale und Vorkehrungen bei einer Suizidgefährdung gering. Die Relevanz des Themas werde unterschätzt. Immerhin gebe es mehr als doppelt so viele Suizidtote wie Verkehrstote. Ein Caritas-Vertreter betonte in der Anhörung: ,,Wir reden nicht über ein Randphänomen." Der Verband forderte zumindest eine nationale Aufklärungskampagne.
Wie die Caritas forderte auch die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS), die noch bestehenden Versorgungslücken zu schließen. Es gebe zu wenig einfach erreichbare Behandlungsangebote, die über die psychiatrischen und psychotherapeutischen Hilfen hinausgingen. Zudem sei mehr Aufklärung nötig, auch an Schulen.
Ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie wies darauf hin, dass der Selbstmord die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen in Deutschland ist. Das Jugendalter scheine eine Zeit zu sein, in der suizidpräventive Maßnahmen eine besondere Bedeutung hätten, zumal Lebenskrisen mit Selbstmordgedanken in Studien als bedeutender Risikofaktor für künftige weitere Suizidversuche und Suizide beschrieben würden.
In der Anhörung beklagten mehrere Sachverständige, dass erfolgreiche lokale Projekte zur Krisenprävention immer wieder aus Geldmangel eingestellt würden. Hier müsse es eine Verstetigung geben, zumal mit wenig Geld viel erreicht werden könne.
Ein Sprecher des Nationalen Suizid Präventions Programms für Deutschland forderte die Abgeordneten dazu auf, sich über Fraktionsgrenzen hinweg auf konkrete Initiativen zu verständigen, um die Zahl der Selbstmorde einzugrenzen. Es handele sich immerhin um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wünschenswert wäre besseres Datenmaterial und eine Sicherung der sogenannten Hotspots. (pk/14.10.2015)