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Lars Klingbeil (links), Alexander S. Neu, Eberhard Gienger, Bernhard Kaster, Sylvia Pantel (vordere Reihe) mit russischen Gastgebern © Swetlana Winokurowa
Es war ein diplomatischer Affront: Als Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU), Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag, im Mai 2015 am Moskauer Flughafen Scheremetjewo gestoppt und die Einreise nach Russland verweigert wurde, löste das eine Diskussion aus: Sollen Parlamentarier generell auf Besuche in Russland verzichten? Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CDU/CSU) sagte angesichts des russischen Vorgehens eine geplante Visite in Moskau demonstrativ ab. Wellmann, der zwar Russland für seine Politik in der Ukraine kritisiert, aber dennoch für eine politische Lösung gekämpft hatte, plädierte nun für eine „Abkühlphase“.
Ganz anderer Meinung ist Bernhard Kaster (CDU/CSU). Die Einreiseverbote für Fraktionskollegen wie Wellmann oder auch Dr. Michael Fuchs hält der Vorsitzende der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe zwar für falsch. Dennoch gelte es, eine politische Eiszeit zwischen Russland und Europa zu verhindern: „Wir müssen unbedingt alle Gesprächskanäle offenhalten.“
Gerade die Deutsch-Russische Parlamentariergruppe, die er seit 2009 leitet, sieht der Abgeordnete aus Trier hier in einer wichtigen Funktion: Die meisten der derzeit 35 Mitglieder seien dem Land seit langer Zeit verbunden. Kaster selbst etwa ist seit fast 20 Jahren regelmäßig in Russland zu Gast und pflegt dorthin viele – auch freundschaftliche – Kontakte. Die Verbindungen der Parlamentarier gelte es zu nutzen, findet der CDU-Politiker, um zu einer besseren Verständigung zwischen Russland und Deutschland beizutragen. „Eine Parlamentariergruppe ist wie eine Brücke. Eine Brücke von Parlament zu Parlament – aber auch von Parlament zu Regierung.“ Und gerade deshalb dürfe der Austausch nicht eingestellt werden, erst recht nicht in schwierigen Zeiten.
Und so reiste eine Delegation der Parlamentariergruppe, zu der der stellvertretende Vorsitzende Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen), Eberhard Gienger und Sylvia Pantel (beide CDU), Lars Klingbeil, Andreas Schwarz (beide SPD) sowie Dr. Alexander Neu (Die Linke) gehörten, unter Kasters Leitung vom 4. bis 9. Juli 2015 nach Nowosibirsk und Moskau. Nach den Einreiseverboten für die Bundestagsabgeordneten war es die erste offizielle Visite aus Deutschland.
Mit Restriktionen hatte die Delegation nicht zu kämpfen. Im Gegenteil: „Die russische Seite war sichtlich darum bemüht, dass alles gut läuft“, sagt Kaster. Dass der Kern des Konflikts zwischen Russland und Europa, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Politik des Kremls in der Ostukraine, bei Gesprächen mit Duma-Abgeordneten dennoch nicht ausgeklammert wurde, war für den CDU-Politiker wichtig. Ebenso wie eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre: „ Ich sage unseren russischen Kollegen immer: ‚Wir sitzen ja nicht als Diplomaten oder Außenminister zusammen, sondern als Parlamentarier. Und als solche sollten wir offen aussprechen, was wir denken.‘“ Dieser Appell habe auch dieses Mal gewirkt. Ihre Standpunkte hätten beide Seiten allerdings beibehalten. „Beim Thema Krim ist kein Durchkommen“, räumt Kaster ein.
Ein weiteres zentrales Thema der Gespräche mit Duma-Abgeordneten, Wirtschaftsvertretern und Wissenschaftlern: die gegen Russland im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen. Vor allem unter Wirtschaftsvertretern und Wissenschaftlern habe es große Sorgen gegeben, dass die Sanktionen noch verschärft würden, fasst Kaster die Gespräche zusammen. „Unsere Gesprächspartner haben uns sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Zusammenarbeit mit Europa und speziell Deutschland brauchen.“
Angesichts der Ankündigung des russischen Präsidenten, sich als Reaktion auf die EU-Sanktionen wirtschaftlich stärker in Richtung China und Zentralasien zu orientieren, ist dies für die deutschen Abgeordneten eine wichtige Erkenntnis – und ein Beleg dafür, wie wichtig Delegationsreisen sind: „Diese Gespräche vor Ort helfen uns, ein realistisches Bild der Lage zu bekommen“, betont Kaster. Zudem habe es sich bewährt, so der Vorsitzende der Parlamentariergruppe, nicht nur in Moskau Kontakte zu pflegen, sondern wie auch bei früherer Gelegenheit andere Regionen Russlands zu besuchen: Dieses Mal trafen die Abgeordneten unter anderem Regionalpolitiker und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteure im sibirischen Nowosibirsk.
Im Mittelpunkt der Gespräche mit Oppositionspolitikern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen standen vor allem die wachsenden Repressionen. „Es hat sich ein politisches Klima entwickelt, das unsere Gesprächspartner zwingt, vorsichtig zu sein und abzuwägen, wen sie treffen und worüber sie sprechen“, berichtet Kaster. Gerade die neue NGO-Gesetzgebung, die es der russischen Regierung erlaubt, gegen „unerwünschte“ ausländische Nichtregierungsorganisationen mit strafrechtlichen Mitteln vorzugehen, habe ein „Klima der Einschüchterung“ geschaffen.
Für den Russland-Kenner Kaster eine „bedrückende Entwicklung“: Noch gut erinnert er sich an eine ganz andere, hoffnungsvolle Stimmung in Russland: „Ich habe noch im Ohr, wie bei einem Besuch in Moskau 1999 eine junge Touristenführerin fast euphorisch zu mir sagte, dass man endlich wieder offen sagen dürfe, was man denke. Sie war sich sicher, dass sich das russische Volk dies nie wieder nehmen lassen würde.“ Heute jedoch versuche der Kreml, wieder alles „unter Kontrolle zu halten“, sagt Kaster. Diese „Rückwärtsbewegung“ habe er nicht für möglich gehalten, ebenso wie den Konflikt in der Ukraine: „Ich hätte nicht gedacht, dass wir noch einmal in eine so spannungsgeladene Situation kommen.“ Trotzdem – oder auch gerade deswegen – setzt Kaster weiter auf den Dialog der Parlamentarier: „Wir brauchen ein gutes Verhältnis zu Russland.“ (sas/26.10.2015)