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Von seinem Platz hat Rainer Arnold das Bild immer im Blick. „Der rot-weiße Karren“ nimmt schließlich auch fast die gesamte Rückwand des SPD-Fraktionssaales im Reichstagsgebäude ein: Ein Bilderzyklus von fast 30 Metern Länge, den Hella De Santarossa 1988 anlässlich des 125. Geburtstags der Sozialdemokratischen Partei malte. Gründung, Aufstieg aber auch Niederlagen der Partei inmitten der Kriege des 20. Jahrhunderts hat die Künstlerin farbenprächtig nachempfunden.
Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist auch ein Stück Familiengeschichte des verteidigungspolitischen Sprechers und Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss: Ein Vater als Betriebsrat, eine entfernte Cousine im schwedischen „Riksdag“ und ein Urgroßvater, Karl Völker, der als „roter General“ von Hamborn gegen die Nationalsozialisten Widerstand leistete.
Dessen politisches Erbe prägt und verpflichtet. 1972 wird Arnold 22-jährig Mitglied der SPD und im Ortsverein der Stadt Filderstadt aktiv. Es ist der Anfang eines mehr als 20-jährigen kommunalpolitischen Engagements. Arnold ist begeistert von Willy Brandt und dessen Reformpolitik auch im Bereich der Bildung: „Die SPD war die Partei“, sagt er, „die die voranbringen wollte, denen nichts in die Wiege gelegt war.“
So wie ihm, dem Jungen aus dem Arbeiterhaushalt, dem die Eltern immer gesagt hatten ‚Bub, du sollst es einmal besser haben‘. Sozialer Aufstieg durch Bildung – das verheißungsvolle Versprechen der Sozialdemokratie löst Arnold ein: Nach der Lehre als Fernmeldemonteur kann er an der Pädagogischen Hochschule Esslingen studieren. Er besteht die Eignungsprüfung für das Studium ohne Abitur, sattelt später ein Kontaktstudium der Erwachsenenbildung drauf. Bis zu seinem Wechsel in die beruflich betriebene Politik leitet er die Organisationsabteilung der Volkshochschule Stuttgart.
Mit dem Einzug in den Bundestag 1998 hat der heute 65-Jährige der familieneigenen SPD-Geschichte ein weiteres Kapitel hinzugefügt: Seit 2002 ist er Sprecher der Wehrexperten in seiner Fraktion, zudem gilt er als einer der erfahrensten Verteidigungspolitiker im Parlament. Profil gewann Arnold in vor allem in der Auseinandersetzung über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. An drei Untersuchungsausschüssen war er beteiligt.
Besonders aber im Kundus-Untersuchungsausschuss avancierte der als besonnen geltende Politiker aus dem Wahlkreis Nürtingen zum Chefankläger der Opposition. Sein Motto dabei: hart, aber fair. „Ich hatte mir vorgenommen“, sagt er im Rückblick, „den Finger in die Wunden zu legen – aber immer im Bewusstsein, dass Menschen auch Fehler machen.“ Schläge unter die Gürtellinie sind seine Sache nicht, wohl aber, wenn nötig, scharfe Kritik: „Wir führen eine politische Auseinandersetzung, keinen zwischenmenschlichen Kampf.“ Er weiß auch: „Man trifft sich im Leben immer zweimal.“
In der aktuellen Diskussion um ein neues Weißbuch als strategisches Grundlagendokument der deutschen Sicherheitspolitik hat sich Arnold als Befürworter einer europäischen Armee positioniert. In der Rüstungspolitik und in der Verteidigung solle die Bundeswehr noch viel stärker als bisher mit den Streitkräften anderer EU-Staaten kooperieren, findet er. Angesichts einer wachsenden Zahl von Konflikten und knapper Etats sei Arbeitsteilung unumgänglich. Besonders ärgert den Schwaben der unwirtschaftliche Umgang mit den begrenzten Mitteln: „Wir können das Geld nicht mehr zum Fenster rauswerfen wie bisher. Wir leisten uns in Europa zehn Panzermodelle und fünf Kampfflieger. Wir müssen das Geld bei Beschaffung und Betrieb künftig effizienter nutzen.“
So sachkundig er in seinem Fach ist, eigentlich ist Arnold ein Wehrexperte wider Willen. „Angemeldet hatte ich den Verkehrsausschuss“, erinnert er sich. „Doch dann hieß es: Einer aus Baden-Württemberg muss in den Verteidigungsausschuss. Ende der Ansage.“ Das habe ihn zunächst erschreckt. Ausgerechnet er, der Wehrdienstverweigerer, sollte sich um Bundeswehr und Rüstungspolitik kümmern?
Ein, zwei Nächte habe er darüber schlafen und nachdenken müssen, erzählt Arnold. „Aber dann dachte ich mir: In diesem Politikfeld ändert sich konzeptionell so viel.“ Er sagt zu. Eine Entscheidung, die auch wohlkalkuliert ist: „Warum nicht in einen Ausschuss gehen, in den nicht so viele wollen?“ Arnold lacht. „Das ist doch geschickt!“
Ein Stück weit ist Arnold auch Parteisoldat: Verlässlich, pragmatisch, loyal der Fraktion gegenüber. Selbst heftig in der Fraktion umstrittene Entscheidungen wie die Agenda 2010 hat der Parteilinke mitgetragen. „Ich bin dafür, dass man eine Entscheidung ausdiskutiert – auch kontrovers. Ist aber die Entscheidung gefallen – und es betrifft keine Gewissensfrage –, dann bleibt man bei der Fraktion.“ Für Gewissensentscheidungen gelte: „Die betreffen ganz substanzielle ethische oder religiöse Grundfragen. Wie hoch der Hartz-IV-Satz ist, gehört meiner Meinung nach nicht dazu.“
Militärische Interventionen hingegen schon: Gut erinnert er sich an die innerparteiliche Auseinandersetzung über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr 2001. „Das war eine Situation, in der die Regierung auf der Kippe stand“, erinnert sich Arnold. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte die Abstimmung über das Afghanistan-Mandat mit einer Vertrauensfrage verbunden, um mögliche Abweichler auf Linie zu bringen: Acht Grüne hatten nämlich frühzeitig ihre Ablehnung angekündigt, auch 20 Sozialdemokraten, insbesondere Parteilinke, waren unsicher, wie sie bei einer Abstimmung entscheiden würden.
Eine Machtprobe, die Schröder am Ende für sich entschied. Die SPD-Fraktion war danach allerdings kleiner: Christa Lörcher, Abgeordnete aus Baden-Württemberg, hatte die Fraktion verlassen. „Das hat mich schon beschäftigt. Sie war ja eine Kollegin, die ich geschätzt habe und mit der ich viele Gespräche geführt habe“, sagt Arnold.
Für ihn jedoch war die Zustimmung keine Frage. „Links heißt nicht pazifistisch zu sein“, sagte er einmal. „Ich habe nie geglaubt, dass man alle Konflikte nur mit diplomatischen Mitteln lösen kann. Wenn man sich den ganz Brutalen nicht mit Waffengewalt entgegenstellt, werden die Falschen am Ende siegen.“ Militärische Interventionen seien legitim, findet er, wenn es darum gehe, sich schützend vor Menschen zu stellen oder die Stabilität zu bewahren. „Peter Struck hatte damals Recht: Ein zerfallendes Afghanistan gefährdet unsere Sicherheit“, sagt Arnold.
Auch sonst verbindet den Sozialdemokraten manches mit dem 2012 verstorbenen ehemaligen Verteidigungsminister: Wie Struck kann auch Arnold ungeduldig reagieren, steht aber ebenfalls im Ruf, offen und humorvoll zu sein. Anders als sein früherer Fraktionschef, der sich als Minister in der Rolle des Soldatenkumpels gefiel, hält Arnold hingegen lieber Abstand.
Sich um die Belange der Soldaten zu kümmern, ist seine Aufgabe. Auf Kameradschaft macht er deswegen nicht. Ganz bewusst. „Die Distanz zu wahren, ist extrem wichtig“, betont er, „da halte ich es mit Max Weber. Ein guter Politiker braucht Leidenschaft für die Sache, Verantwortungsgefühl und distanziertes Augenmaß.“ Gleichwohl gehört auch er, wie fünf andere Mitglieder des Verteidigungsausschusses von der SPD und CDU/CSU, seit 2014 dem Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik an.
Zum Abstand halten gehört auch ein Leben neben dem Mandat, das Pflegen von Freundschaften und Hobbies. Das tut Arnold und lässt sich dabei gerne zuschauen: Über 20 Jahre war der passionierte Freizeitmusiker, der Schlagzeug und Gitarre spielt, nebenberuflich mit der Kapelle „Butterflies“ unterwegs. Etliche Auftritte absolvierte er pro Jahr – bis ihn die berufliche Politik immer in Anspruch nahm und ihm das „Festzelt als Betätigungsort“, wie er einmal bekannte, nicht mehr passend erschien.
Ausnahmen jedoch bestätigen die Regel: Zum 150. Geburtstag der SPD oder bei Treffen der Parlamentarischen Linken greift Arnold dann doch wieder öffentlich zur Gitarre. Natürlich im Programm des geschichtsbewussten Genossen: Arbeiterlieder. „Dem Morgenrot entgegen, ihr Kampfgenossen all. Bald siegt ihr allerwegen, bald weicht der Feinde Wall.“ (sas/09.11.2015)