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Knapp ein Jahr nach der „Orientierungsdebatte“ stimmt der Bundestag am Freitag, 6. November 2015, über die Gesetzentwürfe von vier fraktionsübergreifenden Gruppen von Abgeordneten zum Thema Sterbebegleitung ab. In der auf zwei Stunden und 15 Minuten angesetzten Aussprache wird ab 9 Uhr über vier Gesetzentwürfe und einen weiteren Gruppenantrag debattiert, die aus den Reihen der Abgeordneten erarbeitet worden sind und über die ohne die sonst übliche Fraktionsdisziplin entschieden werden soll. Das Parlament hatte am 13. November 2014 erstmals über das heikle Thema Sterbebegleitung beziehungsweise Sterbehilfe diskutiert, wobei die Abgeordneten in der emotionalen Aussprache neben politischen Positionierungen auch persönliche Erfahrungen vorbrachten. Ähnlich emotional verlief auch die erste Lesung der Gesetzentwürfe am 2. Juli 2015.
Die Debatte wird live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Vier fraktionsübergreifende Gruppen von Abgeordneten haben Gesetzentwürfe vorgelegt: eine Gruppe um die Abgeordneten Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Petra Sitte (Die Linke) und Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) nennt ihren Gesetzentwurf "über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung" (18/5375). Eine weitere Gruppe um die Abgeordneten Prof. Dr. Patrick Sensburg, Thomas Dörflinger, Peter Beyer und Hubert Hüppe (alle CDU/CSU) hat einen Entwurf "über die Strafbarkeit der Teilnahme an einer Selbsttötung" (18/5376) eingebracht.
Die dritte Gruppe um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU/CSU), Dr. Carola Reimann, Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach und Burkhard Lischka (alle SPD) hat ihren Entwurf "zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (18/5374) betitelt. Der Gesetzentwurf der vierten Gruppe um die Abgeordneten Michael Brand (CDU/CSU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Die Linke) und Dr. Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) bezieht sich auf die "Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" (18/5373).
Zudem hat eine weitere Gruppe von Abgeordneten um Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU), Brigitte Zypries (SPD), Matthias W. Birkwald (Die Linke) kurzfristig einen Antrag (18/6546) zur Abstimmung vorgelegt, keine neuen Straftatbestände bei der Sterbehilfe zu schaffen. Danach soll der Bundestag bekräftigen, dass eine Änderung des Strafrechts in Bezug auf die Sterbehilfe nicht erforderlich ist. Der Rechtsausschuss hat zu den Gesetzentwürfen eine Beschlussempfehlung vorgelegt (18/6573) und dem Bundestag empfohlen, einen "Beschluss herbeizuführen".
Unterschieden wird zwischen der aktiven, passiven und indirekten Sterbehilfe. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland als Tötung auf Verlangen strafbar, passive und indirekte Sterbehilfe nicht. Bei der passiven Sterbehilfe werden lebensverlängernde medizinische Maßnahmen entsprechend dem Patientenwillen nicht eingeleitet, nicht fortgesetzt oder abgebrochen. Bei der indirekten Sterbehilfe bekommt der Patient zur Schmerzlinderung medizinisch gebotene Mittel, die als unvermeidbare Folge eine lebensverkürzende Wirkung haben.
Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland nicht strafbar, Selbstschädigung auch nicht. Bei Verwendung bestimmter Substanzen kann sich ein Suizidhelfer jedoch nach dem Betäubungsmittelrecht strafbar machen. Zudem sieht die sogenannte Garantenpflicht vor, dass derjenige, der eine Selbsttötung begleitet, also etwa ein Arzt, unter Umständen dazu verpflichtet ist, einem bewusstlosen Menschen, der sterben will, Hilfe zu leisten. Andernfalls könnte dies als unterlassene Hilfeleistung oder Totschlag gewertet werden.
Liegt allerdings eine eindeutige Willensbekundung des Menschen vor, der sterben möchte (Patientenverfügung), wird von der sogenannten Garantenpflicht abgesehen. Rechtlich schwierig ist gleichwohl die Unterscheidung zwischen der strafbaren Tötung auf Verlangen und der straflosen Beihilfe zum Suizid. Die Mediziner betonen, dass Ärzten in Deutschland die Beihilfe zum Suizid nach dem Berufsrecht verboten sei. So verpflichte das Berufsethos den Arzt, Hilfe zum Leben zu leisten, nicht Hilfe zum Sterben.
Umstritten ist die organisierte Sterbehilfe. Damit sind Organisationen gemeint, die ideell (Vereine) oder kommerziell ausgerichtet sein können und für die es keine speziellen rechtlichen Regelungen gibt. Richter haben in Deutschland kommerziell ausgerichtete Angebote aber schon untersagt, weshalb der "Sterbetourismus" beispielsweise in die Schweiz, wo die Regeln lockerer und einschlägige Medikamente verfügbar sind, Zulauf hat. In der Orientierungsdebatte wurde deutlich, dass eine große Mehrheit der Abgeordneten jede Form von kommerzieller Sterbehilfe strikt ablehnt.
Daneben geht es um die Kompetenz und Rechtssicherheit für Ärzte. Manche Abgeordneten wollen, dass den Medizinern der ,,begleitete Suizid" unter bestimmten Voraussetzungen vorbehalten bleibt, andere lehnen die ärztlich assistierte Selbsttötung ab. Die Bundesärztekammer verweist auf ihre Musterberufsordnung von 2011, wonach ,,die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe" ist. Allerdings ist die Regelung nicht verbindlich, der Passus wurde nicht von allen Landesärztekammern wortgleich übernommen.
In der Orientierungsdebatte wiesen zahlreiche Redner darauf hin, dass der Wunsch zu sterben oft stark geprägt ist von der Angst vor Schmerzen, Qual und Fremdbestimmung am Ende des Lebens. Daher müsse zunächst die Hospiz- und Palliativversorgung verbessert werden. Darin waren sich die Abgeordneten auch in der ersten Lesung der Gesetzentwürfe grundsätzlich einig. Das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (18/5170, 18/5868) wurde am Donnerstag, 3. November, verabschiedet. Auch in der ersten Lesung herrschte grundsätzlich Einigkeit darin, dass die Palliativ- und Hospizversorgung gestärkt werden müsse.
In der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses nahmen am 23. September zwölf Sachverständige zu den vier Gruppen-Gesetzentwürfen Stellung. Zwischen den Medizinern, Ethikern und Rechtswissenschaftlern bestanden erhebliche Differenzen in der Bewertung der vorgelegten Entwürfe. Welcher Entwurf sich letztlich durchsetzen wird, ist weiterhin völlig offen. (pk/05.11.2015)