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Die Wachstumspotenziale durch die internetbasierte, auf Vernetzung aufbauende Produktionsform Industrie 4.0 sind ebenso groß, wie die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen. In dieser Einschätzung herrschte während der Debatte am Freitag, 13. November 2015, weitgehend Einigkeit. Der von den Koalitionsfraktionen zu diesem Thema vorgelegte Antrag (18/6643) fand jedoch bei den Oppositionsfraktionen keine Zustimmung. Union und SPD zeigten darin keine klare Vision auf, kritisierte Dieter Janecek (Bündnis 90/Die Grünen). Herbert Behrens (Die Linke) vermisste in der Vorlage Antworten auf entscheidende Fragen im Zusammenhang mit Industrie 4.0.
Forschungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU) urteilte hingegen zu Beginn der Debatte, dass Deutschland eine „Klasse-Ausgangsposition“ habe. Während etwa in China auf 10.000 Industriearbeitsplätze 14 Industrieroboter kämen seien das in Deutschland 286 Roboter. Auf diesem Vorsprung, so Wanka, könne man sich jedoch nicht ausruhen. „Man muss etwas daraus machen.“ Einiges sei schon geschehen. So habe sie bei der Hannover-Messe im vergangenen Jahr gemeinsam mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Plattform Industrie 4.0 etabliert, „wo Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammensitzen und über diese Dinge beraten“.
Beim IT-Gipfel in der kommenden Woche, so kündigte die Ministerin an, würden 200 Beispiele vorgestellt, „wo in Deutschland Industrie 4.0 umgesetzt wurde“. Für die Zukunft nannte Wanka drei Punkte entscheidend: So müssten die kleinen und mittelständischen Unternehmen mitziehen, was die Bundesregierung über eigens aufgelegte Programme unterstütze. Wichtig sei außerdem die IT-Sicherheit und die Mitnahme der Mitarbeiter.
Letzteres ist für die Linksfraktion der wichtigste Punkt, wie Herbert Behrens sagte. „Die Linke stellt die Mitarbeiter ins Zentrum von Industrie 4.0“, betonte er. Die erwarteten Produktivitätsgewinne müssten gerecht verteilt werden. Wenn schneller produziert werden könne, müsse das zu kürzeren Arbeitszeiten führen, forderte Behrens. Zugleich sei es richtig, dass sich die Belegschaft auf Veränderungen einstellen müsse.
Im Antrag der Koalitionsfraktionen stelle dies jedoch keinen Schwerpunkt dar, bemängelte er. Keine Antworten würden dort auch auf die teilweise anmaßenden Forderungen der Industrieverbände gegeben. Dazu gehörten die Forderungen nach Ausbau von Werksverträgen, der Beibehaltung von Leiharbeit sowie die Infragestellung des Acht-Stunden-Arbeitstages. „Arbeit im 21. Jahrhundert darf nicht zu den Arbeitsbedingungen aus dem 19. Jahrhundert gemacht werden“, sagte der Linke-Abgeordnete.
Es sei richtig, dass aus dem technologischen Fortschritt auch sozialer Fortschritt erwachsen müsse, bestätigte Hubertus Heil (SPD). Produktivität müsse auch gerecht verteilt werden. „Aber erst mal müssen wir für diesen Produktivitätssprung sorgen“, stelle er heraus. Das sei für die SPD kein Gegensatz, „sondern wechselseitige Bedingung“.
Anders als sein Vorredner war er jedoch der Ansicht, dass die meisten Themen in dem Antrag durchaus angesprochen würden. So sei – anders als von Behrens dargestellt – im Antrag ganz klar die Rede davon, dass beim Breitbandausbau auf Glasfaserkabel gesetzt werde. Auch die Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung finde sich in der Vorlage, ebenso wie die Forderung nach Unterstützung von innovativen Start-up-Unternehmen. „Wir müssen für mehr Wagniskapital sorgen“, sagte Heil.
Der Antrag thematisiere nicht die Rahmenbedingungen des Internet, kritisierte Dieter Janecek. Im Europäischen Parlament, so der Grünen-Abgeordnete, habe von Union und SPD jeweils lediglich ein Abgeordneter für die Netzneutralität gestimmt. „Das freie Internet ist in Gefahr“, sagte Janecek und forderte „Innovation durch Offenheit“ als Thema zu setzen.
Bedrohlich sei auch, wenn immer mehr Plattformen gebildet werden, an die sich andere andocken, „unsere Industrie aber diese Plattformen nicht baut“. Die Folge sei der Verlust an internationalen Marktanteilen, der aktuell schon zu konstatieren sei. Zwar gebe es keinen Grund „in Sack und Asche zu gehen“, sagte Janecek weiter. „Wir können das, haben es aber in der Vergangenheit nicht gut gemacht.“
Die Digitalisierung habe einen riesigen Absatzmarkt erzeugt, der der deutschen Wirtschaft weltweit neue Chancen gebe, sagte Axel Knoerig (CDU/CSU). „Allein durch Industrie 4.0 erwarten wir ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent“, sagte der Unionsabgeordnete. Es sei aber gleichzeitig richtig, dass sich die Debatte nicht nur um den technologischen Fortschritt drehen dürfe.
Unter dem Stichwort Arbeit 4.0 würden allerdings schon länger die Entwicklungen in der Arbeitswelt betrachtet. „Wir brauchen eine neue Kooperation von Wirtschaft und Arbeit“, sagte er. Benötigt werde ein Umdenken auf beiden Seiten. „Arbeitnehmer müssen unternehmensorientierter denken und Unternehmen müssen Mitarbeiterinteressen weitaus mehr berücksichtigen“, sagte Knoerig und forderte ein „neues digitale Management“. (hau/13.11.2015)