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Der Bundestag hat am Dienstag, 24. November 2015, der Opfer der jüngsten Terroranschläge gedacht. Vor Beginn der Haushaltsberatungen sagte Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert, der Bundestag trauere mit allen Franzosen um die vielen Opfer dieser „mörderischen Attacke“ auf ihre Hauptstadt. „Unser tiefes Mitgefühl ist bei allen Angehörigen der Getöteten und den vielen Verletzten.“ Den Abgeordneten der französischen Nationalversammlung habe er bereits am Morgen nach den Anschlägen „unser Mitgefühl übermittelt“. Im Gedenken an die Opfer erhoben sich die Abgeordneten zu einer Schweigeminute.
Nicht nur in Frankreich, auch hierzulande hätten sich seit diesen Ereignissen die Prioritäten verschoben, betonte der Bundestagspräsident. „Der Terror betrifft uns alle, er kennt keine Grenzen. Wir denken nicht nur an die Opfer in Paris, sondern ebenso an die über 200 russischen Passagiere, die auf dem Rückflug von ihrem Urlaubsort Ägypten waren, an die Hotelgäste in Bamako und Mogadischu, an die Menschen in Sarajevo, Bagdad und Beirut, die alle in den vergangenen drei Wochen bei Terroranschlägen jäh aus ihrem Leben gerissen wurden.“
Die Zahl unschuldiger Opfer fanatischer Terroristen habe weltweit einen erschreckenden Höchststand erreicht. Im Verlauf des letzten Jahres habe es über 32.000 Opfer gegeben, sagte Lammert. Weit über die Hälfte aller Terrorangriffe und fast 80 Prozent aller Todesfälle konzentrierten sich auf die Länder Afghanistan, Irak, Nigeria, Pakistan und Syrien. Zehn der elf am stärksten vom Terrorismus betroffenen Länder wiesen auch die höchsten Flüchtlingszahlen auf.
„Der Terror ist uns sehr nahe gerückt, seine Bedrohung ist real. Ihre blutigste Spur ziehen die Islamisten vor allem in den Staaten, in denen die meisten ihrer Glaubensbrüder leben – dort, wo vielerorts Krieg herrscht, der dem Terrorismus wiederum als Nährboden dient, und dem Menschen entfliehen wollen, die zu uns strömen, um unseren Schutz zu suchen“, sagte der Bundestagspräsident und bekannte sich zur „Humanität als Leitlinie staatlichen Handelns“: „Aber wir werden Humanität nicht mit Naivität verwechseln. Wir werden Muslimen wie Christen und Juden mit Respekt begegnen und religiösen Fanatikern mit der gebotenen Härte.“
Nichts könne die „terroristische Barbarei“ rechtfertigen. Gegner sei nicht der Islam, sondern der Fanatismus, „nicht Religion, sondern Fundamentalismus“. Es reiche nicht zu sagen, dass die Gewalt nicht mit dem Islam zu tun habe. Der Schriftsteller Navid Kermani habe alle Muslime dazu aufgerufen, „die Fratze abzureißen, die das Gesicht unserer Religion entstellt“, fügte Lammert hinzu.
Im Selbstverständnis einer jeden freien Gesellschaft begründe sich „unsere Pflicht, diese Freiheit vor denen zu schützen, die sie angreifen“. Freiheit sei verwundbar, das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit nicht kostenlos aufzulösen: „Wir stehen immer wieder vor schwierigen Abwägungsprozessen – und wir werden Entscheidungen treffen müssen, damit wir auch unter den gegenwärtigen Bedingungen größtmögliche Freiheit und Sicherheit gewährleisten können“, unterstrich der Bundestagspräsident.
Lammert zitierte auch Helmut Schmidt, der im Oktober 1977, am Ende des „sogenannten Deutschen Herbstes“, über politisches Handeln im Zeichen des Terrorismus im Bundestag gesagt habe: „Wer weiß, dass er so oder so, trotz allen Bemühens, mit Versäumnis und Schuld belastet sein wird, wie immer er handelt, der wird von sich selbst nicht sagen wollen, er habe alles getan und alles sei richtig gewesen. Er wird nicht versuchen, Schuld und Versäumnis den anderen zuzuschieben, denn er weiß: Die anderen stehen vor der gleichen unausweichlichen Verstrickung. Wohl aber wird er sagen dürfen: Dieses und dieses haben wir entschieden, jenes und jenes haben aus diesen oder jenen Gründen unterlassen. All dies haben wir zu verantworten. Zu dieser Verantwortung stehen wir auch in Zukunft.“
Lammert dankte allen Sicherheitskräften und -behörden, die seit den Anschlägen von Paris in erhöhter Alarmbereitschaft ihren Dienst leisten. Die Notwendigkeit und die Bedeutung ihrer Arbeit seien nicht hoch genug einzuschätzen. (vom/24.11.2015)