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Ob Terroranschläge in Paris, Syrien-Konflikt, die Flüchtlingsströme oder die Ukraine-Krise – Deutschland und Frankreich stehen momentan vor enormen Herausforderungen, die beide Länder gemeinsam angehen wollen. Um ihr Vorgehen auch auf parlamentarischer Ebene abzustimmen, kamen am Donnerstag, 3. Dezember 2015, die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Assemblée nationale, Élisabeth Guigou und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Dr. Norbert Röttgen, zu politischen Gesprächen in Berlin zusammen. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz bekundeten sie einander die Solidarität beider Länder und loteten die Möglichkeiten gemeinsamen Handelns aus.
„In diesen Zeiten merkt man, wie wichtig die deutsch-französische Partnerschaft ist“, unterstrich Norbert Röttgen in seinen einleitenden Worten. „Die Solidarität, insbesondere von Deutschland, tröstet uns“, schickte Élisabeth Guigou ihren Ausführungen voraus. Sie sei beeindruckt von dem breiten Ausdruck des Mitgefühls seitens der deutschen Bevölkerung angesichts der Anschläge in Paris, aber auch von der entgegengebrachten politischen Unterstützung und der angebotenen militärischen Hilfe im Kampf gegen den IS in Syrien. „Wir wissen den deutschen Beitrag sehr zu schätzen.“
Guigou zeigte sich entschlossen nun Wege gemeinsamen Handelns zu finden, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederhole. In Syrien, im sogenannten „Islamischen Staat“ liege momentan die Hauptbedrohung, die Hauptquelle des Terrors. „Wir müssen den IS besiegen“ stellte sie fest. „Dazu sind militärische Maßnahmen unerlässlich.“
Für Frankreich sei aber der Militäreinsatz nicht das einzige Mittel. Man setze darüber hinaus auf eine politische Lösung für Syrien und die Region. „Wir sind uns der Relativität militärischer Interventionen bewusst“, so Guigou. Wie der Einsatz in Mali gezeigt habe, müsse auf ein erfolgreiches militärisches Zurückdrängen der Terrormilizen ein solcher Einsatz auf politischer Ebene weitergeführt werden.
Die Wiener Syrien-Konferenz, die nun fortgesetzt werden solle, sei bereits ein ermutigender Schritt. Alle Länder der Region und sämtliche syrischen Kräfte gehörten dabei an den Verhandlungstisch. „Frankreich stellt keine Vorbedingungen für eine Nachkriegsordnung in Syrien“, sagte Guigou, allerdings müsse Syriens Präsident Baschar Hafiz al-Assad seine bisherige Rolle aufgeben.
Norbert Röttgen betonte, wie groß aus deutscher Perspektive die Notwendigkeit sei, aus humanitären Gründen und um unserer eigenen Sicherheit willen, eine klare politische und militärische Antwort zu geben auf den IS in Syrien, der seinen Terror bis nach Europa trage. Den Militäreinsatz, inklusive der deutschen Unterstützung, begreife er dabei als Teil einer umfassenden politischen Strategie für die gesamte Region des Nahen Ostens mit ihren zahlreichen Konflikten.
In den letzten Jahrzehnten habe man sich in der Region zu stark auf das Engagement der Vereinigten Staaten verlassen. „Wir haben die Probleme im Nahen Osten in der Vergangenheit verdrängt, weil die Probleme dort so enorm groß sind“, kritisierte Röttgen die deutsche und europäische Politik der zurückliegenden Jahre. Wegschauen sei aber keine Option. „Wir haben unsere Lektion gelernt. Wir müssen uns um diese Nachbarregion mehr kümmern.“ Dazu sei eine stärkere europäische Rolle nötig, sagte Röttgen.
„Einfluss haben wir dort nur als Europäer“, erteilte er unkoordinierten nationalen Alleingängen eine Absage. Es sei Zeit, ein neues politisches Format nach dem Vorbild der E3+3-Gruppe oder dem Normandie-Format, wie man sie für die Nuklearverhandlungen mit Iran und die Ukraine-Krise nutze, zu schaffen. Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien könnten in einem solchen permanenten Gremium eine gemeinsame, einheitliche Nahost-Politik formulieren und umsetzen. „Europa ist als Ganzes gefordert.“
Leider zeige sich die EU gerade in einer sehr schlechten Verfassung, befinde sich in einer doppelten Krise: einer äußeren, nie dagewesenen Herausforderung stehe eine innere Krise der Solidarität gegenüber, egal wohin man schaue: von dem Umgang mit den Flüchtlingsströmen bis zum Schuldenstreit.
„Wir dürfen nicht immer bis zu einer Krise warten, um die EU weiter zu entwickeln“, sagte Guigou. Es gehe nun aber darum, aus dem aktuellen sicherheitspolitischen Krisenzustand zu lernen und die EU außen- und sicherheitspolitisch handlungsfähiger zu machen, betonten sowohl Röttgen als auch Guigou. Beide Politiker waren sich einig, dass der Schlüssel zur Lösung der Probleme auf europäischer Ebene liege, und mahnten die erprobte Vorreiterrolle Deutschlands und Frankreichs an. Sie hoffe, dass Berlin und Paris jetzt neue, gemeinsame Initiativen ergreifen, sagte Guigou. Dabei wolle man bei neuen Formaten niemanden ausschließen, sagte sie im Blick auf andere EU-Länder. (ll/03.12.2015)