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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) will sich auf dem am 17. Dezember beginnenden EU-Gipfel in Brüssel für eine schnelle Umsetzung der Vorschläge der EU-Kommission für einen verbesserten Grenz- und Küstenschutz an den EU-Außengrenzen einsetzen. Die Pläne der Kommission, die europäische Grenzschutzagentur Frontex mit mehr Befugnissen auszustatten, gingen in die richtige Richtung, betonte Merkel am Mittwoch, 17. Dezember 2015, in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Frontex müsse künftig mehr Grenzschützer und Material bereithalten, um im Bedarfsfall in den betroffenen Mitgliedstaaten eingesetzt werden zu können.
Die Kanzlerin forderte zudem den schnellen Aufbau funktionsfähiger Hotspots zur schnelleren Registrierung von Flüchtlingen in Griechenland und Italien. Ziel müsse es sein, sagte Merkel, an den EU-Außengrenzen „zu geordneten Verhältnissen“ zurückzukehren und die Zahl der Flüchtlinge insgesamt zu reduzieren. Die Türkei bleibe bei der Bekämpfung der Fluchtursachen ein „Schlüsselpartner“ für die EU.
Die CDU-Politikerin versicherte, dass sie weiter für einen dauerhaften und verbindlichen Umverteilungsmechanismus von Flüchtlingen in Europa kämpfen wolle. Sie zeigte sich aber skeptisch, dass das zweitägige Treffen des Europäischen Rates den erhofften Durchbruch bringen werde. „Wir haben hier ein wahrlich dickes Brett zu bohren“, sagte Merkel.
Sie äußerte aber die Hoffnung, dass die Staats- und Regierungschefs in Brüssel im Kampf gegen den Terrorismus einen entscheidenden Schritt vorankommen werden. „Auch Deutschland steht im Fadenkreuz des Terrorismus“, betonte die Kanzlerin.
Die EU müsse daher den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen des Schengener Informationssystems weiter verbessern und der Finanzierung von Terrororganisationen Einhalt gebieten. Merkel lobte zudem, dass es noch in diesem Jahr eine Einigung über die Speicherung von Fluggastdaten geben soll.
Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann stellte sich hinter den Plan der EU-Kommission, Frontex zu einer modernen Grenzschutzbehörde auszubauen. Wenn Länder wie Griechenland oder Italien die Außengrenzen nicht mehr ausreichend kontrollieren könnten, müsse die EU eingreifen können.
Zugleich forderte Oppermann massive Umschichtungen im EU-Haushalt, um Krisenländer stabilisieren und Fluchtursachen bekämpfen zu können. Hierfür sei jährlich ein zweistelliger Milliardenbetrag notwendig. „Es kann nicht sein, dass die EU 60 Milliarden Euro im Jahr für Agrarsubventionen ausgibt, während die Menschen in den Flüchtlingslagern nicht genug zu essen haben“, betonte der SPD-Politiker. Die EU müsse daher bei der Überprüfung des mittelfristigen Finanzrahmens „Schritt für Schritt umschichten“.
Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke) warf der Bundesregierung vor, die Bekämpfung von Fluchtursachen „zu einer Phrase verkommen“ zu lassen. Menschen, die um ihr Leben fürchten müssten, ließen sich nicht von Mauern, Zäunen und Hotspots abschrecken, urteilte der Linke-Fraktionschef. Grundsätzlich dürfe Flüchtlingspolitik keine Abschottungs- und Abgrenzungspolitik sein, sondern Menschenrechtspolitik.
Darüber hinaus kritisierte Bartsch die Kooperation mit der Türkei, die seiner Ansicht nach lediglich der „Fluchtabwehr“, nicht aber der Fluchtprävention dient. Er warnte zudem davor, die von der EU versprochene Zahlung in Höhe von drei Milliarden Euro an die Türkei an die Regierung in Ankara zu überweisen. Diese führe „Krieg gegen die Kurden“ und missachte grundlegende Menschenrechte. Die Mittel müssten vielmehr direkt den Hilfsorganisationen vor Ort zugutekommen. Das forderte die Fraktion auch in einem Entschließungsantrag (18/7045), der jedoch keine Mehrheit im Plenum fand.
Dr. Anton Hofreiter, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete die Bekämpfung von Fluchtursachen als „dringend notwendig“, warf der Bundesregierung jedoch vor, dabei falsche Prioritäten zu setzen. Ein besserer Informationsaustausch auf der sogenannten Balkan-Route habe mit Fluchtursachenbekämpfung nichts zu tun, da die Menschen dort bereits auf der Flucht seien, warf er Merkel vor.
Das Gleiche gelte für die Zusammenarbeit mit der Türkei. Außerdem sei es falsch, Diktatoren in Afrika mehr Geld zu geben, damit sie Flüchtlinge zurücknehmen oder diese von der Flucht abhalten. „Am Ende behandeln diese Diktatoren die Leute so mies, dass sie erst recht aus ihren Ländern flüchten“, urteilte Hofreiter. „Echte Fluchtursachenbekämpfung“ wäre es, sich beispielsweise für fairen Handel und die Bekämpfung des Klimawandels einzusetzen.
Volker Kauder (CDU/CSU) zeigte sich im Bundestag sichtlich erschüttert über den gegenwärtigen Zustand der EU. Sie befinde sich zurzeit in einem Zustand, „wie ich ihn in meiner ganzen 25-jährigen Zugehörigkeit zum Bundestag noch nie gesehen habe“, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende. Wesentlich verantwortlich dafür sind seiner Meinung nach die Nationalstaaten in Europa, etwa indem sie sich der Aufnahme von Flüchtlingen verweigerten oder gar, wie die Slowakei, gegen vereinbarte Verteilungsmechanismen vor dem Europäischen Gerichtshof klagten.
Europa, führte Kauder weiter aus, müsse wieder auf den Pfad von Wachstum und Stabilität zurückfinden. Dafür müsse es auch die Arbeitsplätze der Zukunft im Blick haben, um für junge Menschen Perspektiven zu schaffen. „Wir müssen alles daran setzen, moderne Entwicklungen in Europa voranzubringen“, forderte Kauder. Es brauche ein „mutiges und risikofreudiges Europa“ und nicht ein „Europa der Bewahrer“. (joh/16.12.2015)