Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Der neue NSU-Ausschuss nahm seine Tätigkeit mit einer Anhörung von Sachverständigen auf. © DBT/photothek
Mit der Anhörung von fünf Sachverständigen ist der 3. Untersuchungsausschuss des Bundestages (,,Terrorgruppe NSU II") unter Vorsitz von Clemens Binninger (CDU/CSU) am Donnerstag, 17. Dezember 2015, in die Beweisaufnahme eingestiegen. Die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer des sogenannten ,,Nationalsozialistischen Untergrundes", Professor Barbara John, berichtete darüber, dass die von ihr betreuten Familien dankbar dafür seien, dass sich der Bundestag mit der erneuten Einrichtung eines Untersuchungsausschusses um die weitere Aufklärung der NSU-Verbrechen bemühe.
Die wirtschaftliche und soziale Lage der Angehörigen habe sich in den vergangenen Jahren stabilisiert. Allerdings hätten sie häufig mit rechtlichen Problemen zu kämpfen, etwa bei Fragen der Staatsangehörigkeit. Als besonders mitfühlend und effizient lobte John die Behörden Bayerns. Sie berichtete auch über einen Spendenfonds, mit dessen Hilfe es möglich sei, Fahrten von Angehörigen sowohl zum NSU-Prozess in München als auch zu den Gedenkstätten an den Tatorten zu finanzieren. John übt ihre Tätigkeit nach eigenen Angaben ehrenamtlich aus und verfügt über einen Mitarbeiter auf 400-Euro-Basis.
Die Journalistin Andrea Röpke, die als exzellente Kennerin der rechtsradikalen Szene gilt, warnte im Anschluss vor einer neuen Terrorgefahr, die von Rassisten ausgehe. Hinter den aktuellen Anti-Asyl-Protesten stünden häufig ,,neonazistische Drahtzieher". Im Hinblick auf den NSU-Prozess in München sagte sie später, dass sich Frauen in der rechtsradikalen Szene häufig damit herausredeten, ,,nur aus Liebe" dabei gewesen zu sein. Der Angeklagte Ralf Wohlleben sei einer der wichtigsten Strategen der rechtsradikalen Szene gewesen und gelte dort als ,,Held".
Nach Einschätzung des Publizisten und Dokumentarfilmers Dirk Laabs steht die rechte Szene derzeit unter enormem Handlungsdruck. ,,Wann wenn nicht jetzt muss man zeigen, dass den Worten Taten folgen", gelte dort vielfach als Maxime. In dieser Hinsicht gebe es Parallelen zu den neunziger Jahren, in denen sich auch die späteren NSU-Mitglieder radikalisiert haben.
Laabs kritisierte, dass es bei den Ämtern für Verfassungsschutz nach der Enttarnung des NSU im November 2011 Rücktritte gegeben habe, die Gründe dafür aber nicht öffentlich bekannt seien und auch keine weiteren persönlichen Konsequenzen folgten. ,,Dunkelster Flecken" sei Sachsen, wo sich mindestens zwei V-Leute im unmittelbaren NSU-Umfeld befunden hätten.
Der Leiter des Arbeitskreises Polizei der Innenministerkonferenz (IMK) Frank Niehörster nannte als wichtigste Konsequenz aus den NSU-Taten die Einrichtung eines gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus bereits im Dezember 2011. Alle ,,Altfälle" seinen systematisch auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund hin untersucht worden. Zudem habe sich die IMK entschieden, die ,,Informationsbeziehung von Verfassungsschutz und Polizei zu novellieren".
Wie er später ausführte, stoße das aber an Grenzen durch das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten. Die NSU-Verbrechen seien auch in die Lehrpläne für die Aus- und Fortbildung des Polizeinachwuchses und der Mitarbeiter aufgenommen worden.
,,Gravierende Fehler und Versäumnisse" der Verfassungsschutzämter im Zusammenhang mit den NSU-Verbrechen räumte Burkhard Freier ein, Leiter des Arbeitskreises Verfassungsschutz der IMK, ein. Als Konsequenz aus den NSU-Verbrechen habe man neue Analyse-Instrumente und einen neuen Leitfaden für die Speicherung von Daten entwickelt.
Zum Namen eines Verdächtigen müsse jetzt auch stets eine Analyse hinzugefügt werden. Außerdem sei mit der Hilfe eines ,,Behördenzeugnisses" die Verwertbarkeit von Informationen der Verfassungsschutzämter vor den Gerichten verbessert worden. Zudem bemühe man sich um gemeinsame Standards aller Verfassungsschutzämter für das Führen und Werben von V-Leuten. (rik/17.12.2015)