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Diebstahl, Körperverletzung, sexuelle Übergriffe – und eine Polizei, die von der Situation in der Kölner Silvesternacht schlichtweg überfordert war. Nun beschäftigten zumindest die Vorkommnisse im Hauptbahnhof auch den Bundestag. In der Fragestunde (18/7210) am Mittwoch, 13. Januar 2016, erkundigt sich Irene Mihalic, Sprecherin für innere Sicherheit von Bündnis 90/Die Grünen, wie die Bundesregierung den Vorwurf beurteilt, die für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Bahnhofsgebäude zuständige Bundespolizei sei aufgrund von Personal- und Ausrüstungsmangel der Lage nicht mehr Herr geworden. Genau das hatte ein leitender Bundespolizist in einem internen Bericht kritisiert, aus dem mehrere Medien in der vergangenen Woche zitierten. Für die Abgeordnete aus Gelsenkirchen, selbst Polizistin von Beruf, ein Zeichen für ein strukturelles Problem bei der Bundespolizei: Durch die Flüchtlingskrise, die den Einsatz vieler Beamten an den Grenzen erfordere, sei die Personalsituation „katastrophal“, so Mihalic im Interview. Fehler der Silvesternacht müssten aufgearbeitet werden. Einseitige Kritik an den Sicherheitskräften findet die Innenexpertin jedoch unfair. „Mir geht es darum, dass die Bundesregierung diese Personalprobleme anerkennt und nicht einfach nur mit dem Finger auf die Polizei zeigt.“ Das Interview im Wortlaut:
Frau Mihalic, nach den Übergriffen hat die Polizei viel Kritik geerntet. Selbst ein Bundespolizist nennt die Situation in einem internen Papier „chaotisch und beschämend“. Sie wollen von der Bundesregierung nun wissen, mit welcher Veranlassung dieser Bericht verfasst wurde. Wieso interessiert Sie das?
Ganz einfach, weil aus den Medienberichten nie hervorging, ob es sich dabei um einen offiziellen Einsatzbericht handelt oder um einen, der auf Veranlassung der Presse formuliert wurde. Vielleicht haben ja „Spiegel online“ oder die „Bild-Zeitung“ bei dem Polizisten nachgefragt, der dann seine Aussage verschriftlicht hat.
Vermuten Sie, dass der Bericht gezielt als eine Art Rechtfertigung an die Öffentlichkeit gelangte?
Das wäre auch denkbar. Allerdings finde ich viel wichtiger, was darin über die Einsatzsituation geschrieben wurde – nämlich, dass die Polizei nicht über genügend personelle und räumliche Kapazitäten verfügte, um zum Beispiel Verdächtige festzunehmen. Das wirft eine Frage auf, mit der sich die Bundesregierung, die zuständig ist für die Bundespolizei, dringend auseinandersetzen muss: Ist die Bundespolizei tatsächlich so aufgestellt, dass sie eine Einsatzlage, wie sie sich in der Silvesternacht in Köln entwickelt hat, bewältigen kann?
Laut Bundesinnenministerium war die Bundespolizei im Hauptbahnhof mit 70 Beamten im Einsatz. Das soll mehr gewesen sein mehr als normal. War das aus Ihrer Sicht genug?
Im Nachhinein ist es natürlich leicht, zu sagen, dass die Zahl der Polizisten nicht gereicht hat. Für eine durchschnittliche Silvesternacht mag die Einsatzstärke auch durchaus angemessen gewesen sein. Wissen tue ich es aber nicht – mir fehlen für eine Einschätzung die Vergleichszahlen. Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob die Einsatzstärke im Vorjahr ähnlich war – oder warum jetzt dieser Kräfteansatz gewählt wurde. Wichtig ist aber noch eine weitere Frage: Gab es Einsatzreserven, auf die man angesichts dieser neuen Größenordnung der Angriffe hätte zurückgreifen können? Der Verdacht steht im Raum, dass die Personalsituation bei der Bundespolizei so katastrophal ist, dass es gar nicht möglich war, solche Einsatzreserven zu bilden. Wenn sich das bewahrheitet, ginge es nicht mehr nur um mögliche Fehler in der Silvesternacht, sondern um ein strukturelles Problem der Bundespolizei.
Welchen Eindruck haben Sie selbst als Politikerin und ehemalige Polizistin: Ist die Bundespolizei ausreichend gut vorbereitet und ausgestattet?
Ich fürchte nein. Um mir ein besseres Bild zu machen zu können, haben ich bereits im November eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zur Personalsituation der Bundespolizei gestellt. Es ist ja bekannt, dass derzeit viele Beamte an der österreichischen Grenze sowie an anderen Grenzübergängen eingesetzt werden, um dort Flüchtlinge aufzunehmen, zu registrieren oder Kontrollen durchzuführen. Das bindet ungeheuer viel Personal.
Was hat die Bundesregierung Ihnen mitgeteilt?
Wir haben erfahren, dass allein in Nordrhein-Westfalen elf Reviere der Bundespolizei permanent unterbesetzt sind und dass mancherorts in den Dienststellen der 24-Stunden-Betrieb gar nicht aufrechterhalten werden kann. Das wirft ein Licht auf die Personalsituation der Bundespolizei insgesamt. Die Probleme in der Silvesternacht wundern mich angesichts dessen also kaum.
Was fordern Sie?
Mir geht es vor dem Hintergrund der Silvesternacht vor allem darum, dass die Bundesregierung diese Personalprobleme anerkennt und nicht nur einfach mit dem Finger auf die Bundespolizei zeigt. Sicherlich wurden Fehler gemacht, die untersucht werden müssen. Aber die Bundesregierung muss sich fragen lassen, ob die Probleme, über die wir jetzt diskutieren, überhaupt aufgetreten wären, wenn die Personalsituation der Bundespolizei nicht so angespannt wäre. Insofern war es überhaupt nicht fair, wie Minister de Maizière einseitig die Kölner Polizei kritisiert hat, ohne seinen eigenen Verantwortungsbereich konsequent in den Blick genommen zu haben.
Kritisiert wurde die Kölner Polizeiführung auch dafür, dass sie zunächst die Herkunft der mutmaßlichen Täter verheimlichte – weil ihr dies politisch zu heikel erschien. Die Debatte um die deutsche Flüchtlingspolitik hat es dennoch angeheizt. Regierungsmitglieder von Union und SPD wollen kriminelle Ausländer schneller abschieben. Was halten Sie davon?
Wenig. Kriminalität unter Migranten und auch Flüchtlingen ist kein neues Phänomen. Ob es also wirklich einen Bedarf für gesetzliche Veränderungen gibt, bezweifle ich. Man muss sich auch immer vergegenwärtigen, dass man mit einer Verschärfung der Gesetzgebung nicht nur die Täter von Köln trifft, sondern alle. Bevor man sich zu solchen Forderungen hinreißen lässt, sollte man erst einmal die Ereignisse der Silvesternacht gründlich analysieren. Bis jetzt scheint noch niemand genau zu wissen, was eigentlich passiert ist. Berichte sind unterschiedlich, Aussagen von Polizisten widersprechen sich. Erst wenn wir alle Fakten kennen, ist es Zeit, politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber noch nicht jetzt. (sas/12.01.2016)