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Wolfgang Böhmer (Dritter von links) übergibt Norbert Lammert den Abschlussbericht der Expertenkommission. © DBT/Melde
Die Stasi-Unterlagen sollten unter einer Reihe von Bedingungen bis zum Ende der nächsten Wahlperiode, also bis Herbst 2021, in das Bundesarchiv integriert werden. Das ist die Grundsatzempfehlung der vor zwei Jahren eingesetzten „Expertenkommission zur Zukunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)“ in ihrem Abschlussbericht (18/8050), den sie am Dienstag, 12. April 2016, an Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert übergeben hat.
Die 14-köpfige Kommission unter Vorsitz des früheren Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, stellt in dem Bericht fest, dass sich die Behörde des BStU vor allem als Instanz für die Öffnung der Akten bewährt habe und weltweit als Vorbild für den Umgang mit geheimpolizeilicher Vergangenheit gerühmt werde.
Am Dienstort Berlin des Bundesarchivs würden bisher schon die Unterlagen der staatlichen Verwaltung der DDR sowie der Parteien und Massenorganisationen der DDR archiviert und ohne Schutzfristen zur Einsicht bereitgestellt. Bereits jetzt kooperiere der BStU mit dem Bundesarchiv, etwa beim gemeinsamen Internetauftritt auf der Plattform „Argus“.
„Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Deutsche Bundestag nicht was völlig anderes tun wird, als Sie uns in dem Bericht empfehlen“, sagte Bundestagspräsident Lammert bei der Übergabe des Berichts, der „Grundlage für die Entscheidungen“ des Bundestages sei, aber nicht „ein zu eins“ und nicht „unverzüglich“ umgesetzt werde. Professor Böhmer sagte, die Kommission lege eine Lösung vor, der „13 unserer 14 Kommissionsmitglieder“ (darunter keine Bundestagsabgeordneten) zugestimmt hätten. „Was daraus wird, das muss der Bundestag entscheiden.“ Das Kommissionsmitglied Hildigund Neubert hatte ein Minderheitsvotum abgegeben.
Im Einzelnen empfiehlt die Kommission, das Stasi-Unterlagen-Archiv vollständig mit eigenem Namen und mit sichtbarer Eigenständigkeit unter dem Dach des Bundesarchivs weiterzuführen und die Akten grundsätzlich in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg beziehungsweise in den Ländern zu belassen. Die Stellen der Archivarinnen und Archivare und der Editorinnen und Editoren sollten mit den Akten in die Verantwortung des Bundesarchivs übergehen.
Die Regelungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes für den Umgang mit den Akten, also die Erteilung von Auskünften und die archivische Bearbeitung, sollten weitergelten, bis ein novelliertes Bundesarchivgesetz die Vorschriften des Stasi-Unterlagen-Gesetzes erübrigt. Bei der Digitalisierung der Bestände in enger Abstimmung mit dem Bundesarchiv sollten archivfachliche Gesichtspunkte oberste Priorität genießen, schreibt die Kommission. Ziel der Digitalisierung sei es, den Zugang zu den Unterlagen zu verbessern und dabei deren Aussagekraft vollständig zu erhalten. „Die Sichtbarkeit der Entstehungszusammenhänge bleibt Voraussetzung für eine offene Auswertung auch der digitalen Formen“, heißt es weiter.
Die Kommission weist darauf hin, dass sie derzeit nicht zu hinreichenden Informationen über die virtuelle Rekonstruktion zerrissener Akten gelangen könne, die für eine belastbare Empfehlung notwendig seien. Dies betreffe vor allem die technische Realisierbarkeit, die Höhe der zu erwartenden Kosten und den zu erwartenden wissenschaftlichen Ertrag der virtuell rekonstruierten Unterlagen.
Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, eine gemeinsame Arbeitsgruppe von BStU und Bundesarchiv zu bilden, um den Integrationsprozess zu planen und durchzuführen. Für diesen Integrationsprozess rechnet die Kommission mit einem mittelfristigen Zeitraum, „der zum Ende der nächsten Legislaturperiode abgeschlossen sein sollte“. Dem Bundestag wird vorgeschlagen, diese Handlungsempfehlungen in ein Artikelgesetz umzusetzen.
Aus Sicht des Kommissionsmitglieds Hildigund Neubert gibt es keine zwingenden sachlichen Gründe, das Stasi-Unterlagen-Gesetz aufzuheben, die damit gegründete Behörde zu zerschlagen und das Amt des BStU abzuschaffen. „Die Aufklärung über die kommunistische SED-Diktatur wird verschwimmen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für das Thema schwinden und das Bildungsniveau der Schüler und Studenten weiter absinken“, fürchtet sie in ihrem Minderheitsvotum.
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Akten soll nach den Vorschlägen der Expertenkommission zukünftig unter der Bezeichnung Bundesbeauftragter für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur als Ansprechpartner und Ombudsmann für die Opfer der kommunistischen Diktatur fungieren.
Zudem soll er Bundestag und Bundesregierung beraten. Wie bisher soll er weiterhin für fünf Jahre vom Bundestag gewählt werden und alle zwei Jahre einen Tätigkeitsbericht an das Parlament übergeben. (vom/abb/aw/12.04.2016)