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Die Mitglieder der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) unter Vorsitz von Michael Müller haben sich bei ihrer Sitzung am Montag, 18. April 2016, intensiv mit der Rolle der sogenannten Regionalkonferenzen bei der geplanten Öffentlichkeitsbeteiligung im Endlagersuchprozess auseinandergesetzt. Vorgesehen ist, dass die Regionalkonferenzen jeweils in den Regionen eingerichtet werden, die in der ersten Phase der Endlagersuche für eine übertägige Erkundung ausgewählt werden. Durch die Gremien sollen die lokalen Interessen gegebenenfalls bis zur Festlegung eines Endlagerstandortes in das Verfahren eingespeist werden und die Beteiligung der Betroffenen ermöglicht werden.
Die Regionalkonferenzen gehören dabei zu einer zweiten Beteiligungsschiene, die neben den verwaltungsrechtlich gebotenen Beteiligungsformen bestehen soll. Nach Vorstellung der zuständigen Arbeitsgruppe sollen die Regionalkonferenzen zudem mit einem eigenen Nachprüfrecht ausgestattet werden. Damit sollen die Konferenzen die Möglichkeit haben, Entscheidungen des Vorhabenträgers der Endlager-Suche, der Bundes-Gesellschaft für kerntechnische Entsorgung (BGE), erneut durch das BGE selbst oder die zuständige Aufsichtsbehörde, das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BKE), prüfen zu lassen.
Zwischen den Kommissionsmitgliedern waren vor allem die Abhängigkeiten der inneren Strukturen der Regionalkonferenzen strittig. Nach einem von der Arbeitsgruppe vorgelegten Entwurf soll jeweils eine Vollversammlung die Mitglieder eines sogenannten Vertretungsorganes wählen. Dabei soll sich das Vertretungsorgan paritätisch zu je einem Drittel aus Vertretern von Politik und Verwaltung, Organisationen und Einzelbürgern zusammensetzen. In der Vollversammlung soll jeder wahlberechtigte Bürger der betroffenen Region stimmberechtigt sein.
Mehrere Kommissionsmitglieder kritisierten den Vorschlag, auch die Vertreter aus Politik und Verwaltung sowie der Organisationen, darunter fallen zum Beispiel lokale Umweltinitiativen, von der Vollversammlung wählen beziehungsweise bestätigen zu lassen. Michael Sailer plädierte dafür, dass nur die Vertreter der Einzelbürger durch die Vollversammlung gewählt werden sollten. Die Vertreter aus Politik und Verwaltung und aus den Organisationen sollten sich in Eigenregie auf ihre jeweiligen Mitglieder für das Vertretungsorgan einigen. Erhard Ott wiederum betonte, dass es für die Glaubwürdigkeit wichtig sei, dass alle Mitglieder des Vertretungsorganes durch die Vollversammlung legitimiert würden.
Grundsätzliche Skepsis an der Zusammensetzung der Vollversammlung meldete Prof. Dr.-Ing. Wolfram Kudla an. Er sprach sich dafür aus, auch die stimmberechtigten Mitglieder der Vollversammlung wählen zu lassen. Ansonsten sei das Gremium sehr leicht zu kapern.
Michael Sailer problematisierte den Aspekt in Hinblick auf mögliche Konflikte zwischen Vollversammlung und Vertretungsorgan. So bestünde, wenn dafür nicht eine Regelung getroffen würde, die Gefahr, dass sich die Vollversammlung dafür entscheide, Aspekte aus einem eventuellen Nachprüfauftrag zu streichen, die zum Beispiel von den Vertretern aus Politik und Verwaltung für wichtig befunden wurden.
Prof. Dr. Bruno Thomauske sah ebenfalls noch Klärungsbedarf in Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen Vollversammlung und Vertretungsorgan. Vorstellbar wäre zum Beispiel, das Vertretungsorgan mit operationaler Verantwortung auszustatten. Die Vollversammlung könnte dann in einer abgeschwächten Rolle Anregungen liefern.
Für eine grundsätzliche Offenheit bei der Beteiligung sprach sich Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) aus. Selbstorganisationsfähigkeit, Klugheit und Vernunft der Bürger sollten nicht unterschätzt werden. Wenn es die Kommission mit Partizipation ernst meine, "müssen wir die Angst vor dem Bürger schon ein Stück ablegen", sagte die Grünen-Abgeordnete. Klaus Brunsmeier betonte, dass es bei der Endlagersuche einen neuen Ansatz der Öffentlichkeitsbeteiligung brauche, auch wenn der vielleicht nicht "ganz so einfach ist". "Diese Offenheit sollten wir uns geben", sagte Brunsmeier.
Die Arbeitsgruppe soll nun die in der Sitzung aufgeworfenen Fragen vertieft diskutieren. Zudem soll zur nächsten Kommissionssitzung eine Entscheidungsvorlage zur Frage der Wahl des Vertretungsorganes vorgelegt werden.
Ein Kommissions-Papier (K-Drs. 212; AG4-27) hatte im weiteren Verlauf der Sitzung zum Thema Gorleben bei mehreren Mitgliedern der Kommission für erhebliche Irritationen gesorgt. In dem Entwurfsteil für den Abschlussbericht der Kommission, der die Geschichte des lange als Endlager feststehenden Standortes nachzeichnet, heißt es als Fazit, dass es "Auffassung der Kommission" sei, dass ein Endlager dort "politisch nicht durchsetzbar" sei.
Während der Kommissionssitzung am 18. April distanzierten sich einige Mitglieder des Gremiums deutlich von dem Papier. Eine Diskussion des Papiers als solches fand nicht statt. Es soll nun erneut überarbeitet werden und in der nächsten Kommissionssitzung behandelt werden. Auch in der zuständigen Arbeitsgruppe war nach Aussagen von Arbeitsgruppen-Mitgliedern das Papier zuvor bereits strittig diskutiert worden.
Steffen Kanitz (CDU/CSU) sagte, dass die Aussagen in dem Papier zumindest in seiner Fraktion "in keiner Weise konsensfähig" seien. Es handle sich um ein Thema mit "enormer Sprengkraft". Mit Verweis auf Aussagen von Anti-AKW-Initiativen zu einem vermeintlichen Gorleben-Aus betonte der Christdemokrat, dass keine falschen Hoffnungen geweckt werden dürften. Das Vorgehen im Hinblick auf die Veröffentlichung des Papiers als Kommissionsdrucksache bezeichnete Kanitz als "falsch".
Die Ko-Vorsitzende der Endlagerkommission, Ursula Heinen-Esser, sagte, sie habe sich ob des Papiers "maßlos geärgert". Zudem habe sie sich gewundert, dass mit "politischen Kriterien" eine "ganz neue Kategorie der Bewertung" für die Endlagersuche eingeführt worden sei.
Sylvia Kotting-Uhl hingegen sah in der reinen Veröffentlichung der Drucksache keinen "Streitwert". Die Grünen-Abgeordnete stellte aber infrage, ob es Sinn ergebe, solch ein Papier zu verfassen. Es sei "Grundkonsens" im Vorfeld des Neustarts der Endlagersuche gewesen, Gorleben erstmal im Verfahren zu belassen. Es dürften durch die Kommission keine "unerfüllbaren Hoffnungen" geweckt werden, indem Gorleben schon ausgeschlossen werde. Dies werde vermutlich weder im Bundestag und "schon gar nicht" im Bundesrat eine Mehrheit finden, warnte Kotting-Uhl.
Erhard Ott verwies auf die Diskussionen in der zuständigen Arbeitsgruppe. Das Papier sei in dieser Form nicht akzeptabel. Dahinter stehe die Frage, ob ein "wesentlicher Grundsatz" der Endlagersuche, die "weiße Landkarte", aufgegeben werde. Hubertus Zdebel (Die Linke) sagte hingegen, dass ohnehin keine "weiße Landkarte" existieren würde. Auf der Landkarte sei Gorleben der "schwarze Fleck", an dem sich die Geister schieden. Ohne eine klare Positionierung der Kommission zu Gorleben könne es keinen Neuanfang der Endlagersuche geben, sagte Zdebel.
Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass strittige Themen kritisch diskutiert werden müssten. Der Verweis auf politische Mehrheiten sei fehl am Platz, das würde sich erst am Ende entscheiden. Dr. Matthias Miersch (SPD) sagte, die Kommission müsse sich zu Gorleben verhalten. Ob die Kommission eine gemeinsame Haltung entwickle, müsse dann geschaut werden. Ähnlich äußerte sich Klaus Brunsmeier vom BUND. Klar sei, dass das Papier noch nicht die abschließende Position der Kommission darstelle, sagte Brunsmeier.
Michael Müller plädierte eindringlich dafür, sich mit Gorleben lösungsorientiert auseinanderzusetzen. Die Kommission würde ihre Arbeit verfehlen, wenn sie es nicht täte. Die Kunst werde sein, eine für alle "befreiende Lösung" zu finden. "Das wird die Nagelprobe der Kommissionsarbeit sein", sagte Müller. (scr/18.04.2016)