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Die von der Bundesregierung geplante Ausbildungsreform in den Pflegeberufen wird von vielen Fachleuten grundsätzlich unterstützt und als Chance für eine Aufwertung der Branche angesehen. Die Zusammenführung der bisher drei getrennten Ausbildungen Altenpflege, Krankenpflege und Kinderkrankenpflege zu einer generalistischen Ausbildung wird jedoch von Fachleuten auch kritisch beurteilt, wie eine gemeinsame öffentliche Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss unter Vorsitz von Dr. Edgar Franke (SPD) und im Familienausschuss unter Vorsitz von Paul Lehrieder (CDU/CSU) am Montag, 30. Mai 2016, ergab. Vor allem in der Kinderkrankenpflege wird ein Verlust an Fachkompetenz befürchtet, wie auch aus den schriftlichen Stellungnahmen der Fachleute hervorgeht.
Andere Experten loben allerdings gerade die geplante interdisziplinäre Ausrichtung der Ausbildung, weil in den Krankenhäusern immer mehr ältere Patienten gepflegt werden müssen und in den Pflegeheimen oft sehr kranke Bewohner. Auch die Einführung eines Pflegestudiums und die Abschaffung des Schulgeldes für die Pflegeausbildung werden an dem Gesetzentwurf positiv hervorgehoben.
Viele Fachverbände halten eine fundierte Bewertung der Novelle jedoch für unmöglich, solange die konkrete Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, die noch erarbeitet wird, nicht vorliegt. So erklärte die Bundesärztekammer (BÄK), erst wenn die Verordnung vorgelegt werde, könne geprüft werden, ob die zukünftigen Pflegekräfte besser auf die wachsenden Anforderungen vorbereitet würden.
Die vorgelegten Eckpunkte reichten für diese Prüfung nicht aus. Das Gesetzgebungsverfahren sollte daher so lange ausgesetzt werden, bis die Verordnung vorliege. Der Arbeitgeberverband BDA warnte davor, angesichts der Bedeutung dieser Reform die Verordnungen im Schnellverfahren zu erzwingen.
Mit der Ausbildungsreform soll der ,,Zukunftsberuf" Pflege an die neuen Anforderungen angepasst werden. Die sich wandelnden Versorgungsstrukturen erforderten eine übergreifende pflegerische Qualifikation, heißt es in den Gesetzentwurf (18/7823). Mit Blick auf den bestehenden Fachkräftemangel sei die nachhaltige Sicherung der Fachkräftebasis eine wichtige Aufgabe. Das Ziel sei, ,,die Pflegeberufe zukunftsgerecht weiterzuentwickeln, attraktiver zu machen und inhaltliche Qualitätsverbesserungen vorzunehmen".
Nach Angaben der Bundesregierung entsteht mit der Reform der größte Ausbildungsberuf in Deutschland mit mehr als 133.000 Auszubildenden. Die generalistische Ausbildung solle auf alle Arbeitsfelder vorbereiten und einen Wechsel zwischen Pflegebereichen erleichtern. Ausgebildet wird mit dem Berufsziel Pflegefachfrau oder Pflegefachmann. Die Ausbildung dauert drei Jahre und wird außerdem "angemessen" vergütet. Der praktische Ausbildungsanteil soll künftig überwiegen. Das Studium dauert auch drei Jahre und soll vertieftes Wissen über Grundlagen der Pflegewissenschaft vermitteln.
Die Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland erklärte, unter keinen Umständen dürfe die Reform dazu führen, ,,dass sich das Qualitätsniveau im Bereich der Kinderkrankenpflege verschlechtert". Eine zusätzliche Nachqualifizierung sei den Pflegenden nicht zuzumuten, zumal in der Kinderkrankenpflege schon jetzt in vielen Bereichen, etwa der Kinderonkologie oder Intensivmedizin, eine zusätzliche zweijährige Weiterbildung nötig sei. Wie der Verband zu bedenken gab, würde eine Nachqualifikation in der Kinderkrankenpflege jährlich rund 120 Millionen Euro kosten. Zahlreiche Fachverbände der Kinder- und Jugendmedizin verlangten ebenfalls nachdrücklich, das grundlegend differenzierte Berufsbild der Kinderkrankenpflege zu erhalten.
Die Kinderkrankenschwester Monika Otte, die Ende 2015 im Bundestag eine Petition zum Erhalt der Kinderkrankenpflegeausbildung eingebracht und erfolgreich die nötigen Unterstützerstimmen gesammelt hat, argumentierte, nach einer von ihr selbst gestarteten Umfrage würden sich die meisten Kinderkrankenpfleger nicht für den Beruf entscheiden, wenn die Ausbildung in der geplanten Weise verändert werde. Sie würden der Pflege also verloren gehen. Die Überschneidungen der Ausbildungsinhalte seien nicht hoch. Eine generalistische Ausbildung würde zudem eine Weiterbildung voraussetzen, die im Gesetzentwurf nicht konzipiert und nicht finanziert sei.
Auch die Fachverbände für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie warben für die Erhaltung der getrennten Ausbildungszweige. So habe Deutschland mit der Altenpflege einen Beruf geschaffen, der auf die Pflege älterer und demenzkranker Menschen hervorragend abgestimmt sei. Pflegegeneralisten könnten in einer dreijährigen Ausbildung nicht die gleichen theoretischen und praktischen Kenntnisse erwerben, die heute in den Fachberufsausbildungen vermittelt würden. Aus Sicht der Verbände ist mit der geplanten Novelle ,,weder eine Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe noch eine Steigerung der Ausbildungszahlen zu erwarten", sondern eher das Gegenteil. Die nötigen Nachschulungen kosteten Zeit und Geld.
Nach Ansicht des Arbeitgeberverbandes BDA kann mit der Einheitsausbildung der wachsende Fachkräftebedarf speziell in der Altenpflege nicht gedeckt werden. Die Reform werde dazu führen, dass der Personalmangel in der Altenpflege verstärkt werde. Statt Aufwertung der Altenpflege werde diese faktisch abgeschafft. Eine BDA-Sprecherin sagte in der Anhörung, Spezialwissen sei in der Pflege zwingend geboten. Es sei ein großer Unterschied, ein Frühchen oder einen dementen Patienten zu pflegen. Zudem könnte eine "Superkönner"-Ausbildung manche Schüler überfordern.
Das Deutsche Rote Kreuz befürwortet die generalistische Pflegeausbildung, merkte jedoch an, dass die Ausbildung auch gerontologisches, geriatrisches, pädiatrisches und gerontopsychiatrisches Fachwissen vermitteln müsse. Dies spiegle sich in der Beschreibung des Ausbildungsziels im Gesetzentwurf nicht wider. Problematisch sei überdies, dass für die deutlichen Mehrkosten keine Refinanzierung vorgesehen sei.
Nach Ansicht des Pflegeschulleiters Carsten Drude bewirkt der Gesetzentwurf eine Aufwertung des Berufsstandes. Eine Spezialisierung sei erforderlich, jedoch erst nach einer gemeinsamen Grundausbildung. Die Sorge, Pfleger könnten künftig mit ,,flachem Wissen" auf die Patienten treffen, sei unbegründet. Spezialwissen wie etwa in der Intensivpflege müsse über eine strukturierte Weiterbildung vermittelt werden.
Auch der Deutsche Pflegeverband unterstützt das Reformvorhaben. Angesichts der zunehmenden Multimorbidität älterer Menschen in Altenpflegeheimen und Patienten mit eingeschränkter Alltagskompetenz in Krankenhäusern sei eine ,,Gesamtkompetenz der Pflegenden dringend erforderlich". Dem Fachkräftemangel werde entgegengewirkt, es entstünden mehr Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten in den Pflegeberufen.
Der Paritätische Gesamtverband befürwortet eine Zusammenlegung von Kranken- und Altenpflegeausbildung, gab aber zu bedenken, dass es voraussichtlich 20 Jahre dauern werde, bis rund die Hälfte der Fachkräfte mit neuer Ausbildung tätig sei. Angesichts der demografischen Entwicklung sei es unerlässlich, die Attraktivität und Qualität der Pflegeausbildung zu steigern. Der Verband regte zugleich an, das Gesetz ein Jahr später in Kraft treten zu lassen, um Pflegeeinrichtungen und Schulträgern die Möglichkeit zu geben, sich besser darauf vorzubereiten.
Mehrere Sachverständige erinnerten in der Anhörung daran, dass es in der Pflege letztlich auch darum gehe, die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass weniger Fachkräfte in andere Berufe abwanderten. Es gebe in der Branche einfach zu viele Berufsaussteiger, damit würden auch die Ausbildungskosten in die Höhe getrieben.
Mitberaten wurden Anträge der Opposition. Die Fraktion Die Linke plädiert in ihrem Antrag (18/7414) für eine integrierte Pflegeausbildung innerhalb einer mindestens dreijährigen dualen Ausbildung mit mindestens einjähriger Schwerpunktsetzung in allgemeiner Pflege, Kinderkrankenpflege oder Altenpflege. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt in ihrem Antrag (18/7880), das Gesetzgebungsverfahren so lange auszusetzen, bis die endgültige detaillierte Ausbildungs- und Prüfungsverordnung vorliegt. Es müsse Zeit bleiben, die Verordnungen in ihren Auswirkungen zu prüfen. Ferner sollte ein Konzept für eine integrative Ausbildung entwickelt werden. (pk/30.05.2016)
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