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Tacita Dean
Tacita Dean bedient sich bei ihren Arbeiten unterschiedlicher Techniken und Medien – von Filmaufnahmen über die Malerei bis zur Fotografie, Medien, die sie oft zusammenführt und miteinander verbindet. Inhaltlich kreisen ihre Arbeiten um das Verfließen der Zeit, gehen der Frage nach, welche Erinnerungen bleiben und wie wir mit diesen Erinnerungen leben. Sie handeln oft vom Untergang und vom Verlust, der erst die Erinnerungen an das, was war, freisetzt.
Die im Jakob-Kaiser-Haus ausgestellte Arbeit „Die Regimentstochter“, eine Installation aus Opern-Programmheften aus den Jahren 1934 bis 1942, greift ebenfalls diese Thematik auf. Es sind Hefte, die sie im Jahre 2000 auf einem Flohmarkt in Berlin gefunden hatte, darunter ein Heft zu Gaetano Donizettis komischer Oper „Die Regimentstochter“, das der Installation den Titel gab. Aus den Titelseiten der Programmhefte waren vom Vorbesitzer Partien herausgeschnitten worden – genau die Stellen, an denen sich ursprünglich Hakenkreuze befanden. Geschah dies noch vor 1945 als ein Akt der Distanzierung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime oder erst nach 1945 aus der Sorge vor Entdeckung und Bestrafung? Jedenfalls ist die Erinnerung an das „Dritte Reich“ entfernt, geblieben sind Lücken wie Leerstellen im Gedächtnis. Tacita Dean hat ihre Objets trouvés wie vorgefunden belassen und die 36 unterschiedlichen Hefte nebeneinander in Holzrahmen gehängt.
Jedes Heft erzählt eine eigene Geschichte, denn die herausgeschnittenen Partien geben wie durch ein Fenster den Blick frei auf ein Foto der Aufführung oder eine Textpassage. Der Betrachter muss rätseln, welche Person er sieht. Oft sind die Gesichter angeschnitten, so dass nur gerade die Augen des Komponisten oder Schauspielers zu sehen sind. So entstehen surreale Kompositionen, entfernt an Collagen von Max Ernst erinnernd, wenn über der Zeile „Deutsches Opernhaus Berlin“ nur der Ansatz einer Rokoko-Perücke im Fenster sichtbar wird oder zum „Fliegenden Holländer“ lediglich eine Hutkrempe. Lesbare Passagen mit idyllisch-heiteren Textfragmenten offenbaren, wie vom Schrecken der damaligen Zeit durch vordergründig fröhliche Unterhaltung abgelenkt werden sollte.
So öffnet das nicht mehr Sichtbare umso deutlicher den Blick auf die Vergangenheit, und eine Leerstelle wird zum paradoxen Mahnmal, das die mitdenkende Phantasie des Betrachters stärker fordert als jede demonstrative Gestaltung. In diesem Sinne lässt Tacita Dean, indem sie schlicht zeigt, was geblieben ist, vor unserem geistigen Auge nicht nur eine konkrete historische Situation und ihre Abgründe, sondern darüber hinaus ein Anti-Monument zur gängigen Erinnerungskultur entstehen.
geboren 1965 in Canterbury, lebt und arbeitet in Berlin
2005, Installation aus 36 Programmheften in Holzrahmen, Leihgabe der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Die Installation ist im Rahmen der Kunst- und Architekturführungen im Jakob-Kaiser-Haus an Wochenenden zu besichtigen.
Telefon: +49 (0)30-227-32027 oder
kunst-raum@bundestag.de
www.kunst-im-bundestag.de
Text: Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages