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Einführung in die Ausstellung "STRAWALDE" am 15. März 2006, 17 Uhr von Dr. Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages
Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Böttcher, sehr geehrter Herr Flügge,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
gerne greife ich einen Hinweis auf, den der Herr Präsident in seiner Begrüßung gegeben hat, den auf die fast unüberschaubare Schaffensfülle des Künstlers Strawalde-Böttcher. Gerade diese Schaffensfülle ist es, die zu Beginn einer solchen Ausstellungsplanung Bedenken aufkommen läßt, ob es überhaupt möglich ist, dieser Vielfalt auf doch begrenztem Raum – es stehen gerade einmal 300 qm zur Verfügung – gerecht zu werden, dies einerseits ohne zu dichte Hängung, aber andrerseits auch ohne Vernachlässigung wichtiger Aspekte der Werke. Dieser Herausforderung soll mit einer klaren Gliederung der Exponate begegnet werden, ohne daß dadurch die gebotene Großzügigkeit eine Einbuße erleidet.
Strawaldes Gestaltungsreichtum erschöpft sich nicht allein in der Gleichzeitigkeit von Malerei und Filmschaffen, sondern läßt ihn auch in der Malerei und im Film immer wieder neue Wege beschreiten: Er schafft ungewohnte Werkgruppen oder experimentiert mit neuen Techniken. Eine solche ungewohnte Technik konnten Sie gleich vor der Eingangstür erleben: Strawalde hat für den Eingangsbereich dieser Ausstellung erstmals auf LED-Lichtkästen Zeichnungen gesetzt, Zeichnungen, die genau auf die farblichen Spiele und Gestaltungsmöglichkeiten der LED-Technik hin konzipiert sind. Die Farben der Zeichnungen changieren, durch die Farben des Lichtes, treten hervor oder verschwinden wieder, so daß eine überraschend neuartige Installation aus Licht, Zeichnung und Farbe entsteht.
Im Eingangsbereich treffen Sie auf eine Vitrine, in der prachtvolle Bücher ausliegen, die Strawalde für befreundete Dichter wie Wolfgang Hilbig oder den inzwischen verstorbenen Karl Mickel geschaffen hat, Bücher, die man in die Hand nehmen müßte, um ihren ganzen Reiz dank der Qualität des Druckes und der Materialität von Papier, Einband und Bindung zu erfahren. Dieser Hinweis kann nur eine Andeutung sein, kann nur eine kleine Vorstellung von den vielen Künstlerbüchern Strawaldes geben.
Den unteren Ausstellungsbereich nehmen sodann eher abstrakte Arbeiten ein. Diese vorsichtige Formulierung deutet darauf hin, daß auch hier der Versuch, kategorisierende Schubladen für Strawaldes Arbeiten zu finden, mißlingen muß. Es sind also "eher" abstrakte Arbeiten, aber in ihnen läßt sich eine Fülle organischer oder figürlicher Motive entdecken, die in ihnen verborgen sind. Im oberen Ausstellungsbereich sind dann seine – wie sie Strawalde selber nennt – "Weibsbilder" versammelt. Wie gerne hätte man Strawalde immer wieder an das Verdikt "solche Porträts malt man doch heutzutage nicht mehr" gemahnt. Strawalde jedoch tauft seine "Weibsbilder" einfach selbstironisch "Ana Chron", wider den Zeitgeist also, und nimmt sich die Freiheit, so zu malen, wie es seiner Vorstellung von der Freiheit des Künstlers entspricht.
Mit dieser Haltung hat er in seinem bisherigen Leben stets anecken müssen und wollen – und es sieht nicht danach aus, dass er nunmehr mit bald 75 Jahren bereit wäre, diese selbstbewußte, ja trotzige Haltung aufzugeben. Diese Feststellung gilt auch für sein filmisches Schaffen, das sowohl in diesem Kabinett hier als auch auf der oberen Ausstellungsebene präsentiert wird. Im Kabinett erleben Sie drei Experimentalfilme, die nun so gar nicht der dokumentarischen Strenge seiner berühmten "Arbeiterfilme" entsprechen: Es sind Kunstpostkartenübermalungen und der Prozeß des Malens wird im Film nachvollzogen - es ist ein Experimentalfilm, also ein neuer künstlerischer Zugriff in der Sprache des Films. Vielleicht ist der Begriff "experimentell" geradezu ein charakterisierendes Attribut für das Schaffen Strawaldes überhaupt. Und das malerische Ergebnis dieses Experimentes, die übermalten Kunstpostkarten, sind im Kabinett erstmals seit Jahren wieder zu sehen. Das Kabinett mit den Filmen und mit den Karten ist für sich schon eine faszinierende poetische Gesamtinstallation.
Dem Grundzug Strawaldes, seiner Experimentierfreude verdanken wir heute eine weitere Erstvorstellung, nämlich die Videoprojektionen auf der oberen Etage. Strawalde notiert mit der Videokamera Impressionen, Augenblicke im wahrsten Sinne des Wortes als "Augen-Blicke" von kleinen und doch so herrlichen Momenten, die normalerweise unbeachtet vorübergehen. Er hält das Zusammenspiel von Sonne und Kiefernzweigen, von Spiegelungen in einem Wassertropfen, die Bewegungen eines Insektes an einer Fensterscheibe oder das Spiel des Sonenlichts im Atelier fest, denn das Auge des Malers übersieht nichts. Im Kunst-Raum dort oben werden seine Videosequenzen auf einen Betonpfeiler im Aussenbereich projeziert und leuchten auf dem Grau des Betons wie kostbare Edelsteine auf.
Wie Sie also bemerken können, haben sich die Ausrichter der Ausstellung bemüht, Ihnen einen umfassenden Überblick über die wesentlichen Werke und Techniken Strawaldes zu bieten, dies aber in notwendiger Konzentration auf das Wesentliche. Die Bandbreite des Schaffens von Strawalde-Böttcher soll auf diese Weise deutlich werden, aber auch die Kostbarkeit jeder einzelnen seiner künstlerischen Hervorbringungen. Mit ihm ist im "Kunst-und-Bau-Programm" für das Reichstagsgebäude eine der wichtigen Gegenwartspositionen der heutigen Kunst vertreten, und diese Ausstellung bietet die Gelegenheit, sich der herausragenden Bedeutung dieser Position mit einer Schau auf den größeren Werkzusammenhang zu vergewissern.
Ich danke Strawalde für die so vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit, danke Ulrich Gumpert und Günter Sommer dafür, dass sie diese Eröffnung mit ihren musikalischen Darbietungen so eindrucksvoll bereichern und danke allen, die in den letzten Tagen mit anerkennungswürdigem Einsatz mitgearbeitet haben, allen voran dem Team Rommel für den Ausstellungsaufbau und der Firma Room Division für die LED-Installation in buchstäblich letzter Minute