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Berlin: (hib/PK) Sozial- und Gesundheitsexperten befürworten eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Beiträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Mehrere Sachverständige machten anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses über Anträge der Fraktionen Die Linke (18/7237) und Bündnis 90/Die Grünen (18/7241) am Mittwoch im Bundestag sowie in ihren schriftlichen Stellungnahmen deutlich, dass die Zusatzbeiträge, die von den Versicherten alleine zu zahlen sind, in den kommenden Jahren weiter steigen werden.
Insofern sollten die Beiträge wieder je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen werden, um einseitige Belastungen zu verhindern. Die Arbeitgeberverbände lehnen einen Verzicht auf ihre bei 7,3 Prozent gedeckelten Beiträge hingegen strikt ab. Bei steigenden Lohnzusatzkosten wären Arbeitsplätze gefährdet, lautet ihr Argument.
Der GKV-Spitzenverband erinnerte in seiner Stellungnahme daran, dass die paritätischen Beiträge zum 1. Juli 2005 abgeschafft und das System der Finanzierung seither mehrfach geändert wurde, ohne zur Parität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zurückzukehren. Die Beitragssätze der GKV hätten 2004 zwischen 10,2 und 15,7 Prozent gelegen. Zum 1. Januar 2016 hätten nun 116 Krankenkassen Zusatzbeitragssätze zwischen 0,3 und 1,7 Prozent erhoben. Nur eine regionale Kasse verlange keinen Zusatzbeitrag. Ein weiterer Anstieg des Zusatzbeitrags sei unausweichlich. Für 2019 rechnet der GKV-Spitzenverband mit Zusatzbeiträgen zwischen 1,4 und 1,8 Prozent.
Der Sachverständige Hartmut Reiners erklärte, der Zusatzbeitrag schmälere das verfügbare Einkommen der Versicherten ohne erkennbaren Gegenwert. Er sprach sich dafür aus, den Arbeitgeberanteil "nicht kassenspezifisch zu gestalten, sondern auf den durchschnittlichen Zusatzbeitrag zu beziehen". Damit wäre eine automatische Anpassung des allgemeinen Beitragssatzes an die Ausgabenentwicklung erreicht. Die höhere Belastung der Arbeitgeber wäre "keine wirtschaftlich relevante Größenordnung". Die Gesamtkosten einer Handwerkerstunde etwa würden nur minimal steigen. Ein DGB-Vertreter merkte an, es gebe ja auch keine Hinweise darauf, dass sich die jetzige Deckelung der Arbeitgeberbeiträge positiv auf die Beschäftigung ausgewirkt habe.
Der Gesundheitsökonom Stefan Greß machte geltend, dass die Arbeitgeber mit der Festschreibung ihrer Beiträge jegliches Interesse an einer moderaten Beitragssatzentwicklung verloren hätten. Auch die "Tendenz zur Haushaltssanierung auf Kosten der Beitragszahler" wäre aus seiner Sicht bei einer paritätischen Finanzierung des Ausgabenanstiegs "kaum vorstellbar" gewesen.
Der Sozialverband VdK unterstützt die Forderung nach paritätischer Finanzierung ebenfalls. Steigende Zusatzbeiträge bedeuteten eine "stille Minderung" der Renten und Löhne. Der Zusatzbeitrag führe zu einem Preiswettbewerb, der alte, kranke und behinderte Menschen benachteilige. Überdies sollten gesamtgesellschaftliche Aufgaben aus Steuern finanziert werden.
Der Arbeitgeberverband BDA, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) lehnen eine höhere Belastung der Arbeitgeberseite strikt ab. Der BDA erklärte, die Deckelung des Arbeitgeberbeitrags bei 7,3 Prozent sei nötig, damit überproportional steigende Gesundheitsausgaben sich nicht negativ auf Beschäftigung und Wachstum auswirkten. Die Arbeitgeber beteiligen sich mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bereits stark an den Krankheitskosten. Die Versicherten könnten im Übrigen bei einer Anhebung des Zusatzbeitrags die Kasse wechseln. Ein BDA-Sprecher sagte im Ausschuss, es stimme nicht, dass die Arbeitgeber kein Interesse mehr daran hätten, Ausgabensteigerungen zu verhindern.
Der DIHK nannte die nachhaltige Finanzierung der Gesundheitsversorgung die eigentliche Aufgabe und forderte, den Wettbewerb im Gesundheitssystem zu stärken, der durch die Zusatzbeiträge befördert werde. Anzustreben sei eine lohnunabhängige Finanzierung mit einem Sozialausgleich über Steuern. Der ZDH sieht das ebenso und fordert, die Gesundheitskosten von den Lohnkosten zu entkoppeln. Die Vertreterin des ZDH bezifferte in der Anhörung die Kosten für die Handwerksbetriebe im Fall einer erneut paritätischen Finanzierung auf 88 Millionen Euro im Monat. Es sei unverzichtbar, den Arbeitgeberbeitrag festzuschreiben.
Linke und Grüne verlangen in ihren Anträgen eine Rückkehr zur Parität sowie perspektivisch die Einführung einer Bürgerversicherung. Die Linke schreibt in ihrem Antrag, Millionen Versicherte müssten 2016 mehr Geld für ihre Krankenversicherung ausgeben. Über den Zusatzbeitrag würden die Arbeitnehmer in diesem Jahr um mehr als 14 Milliarden Euro höher belastet als die Arbeitgeber, heißt es in dem Antrag. Für die Arbeitgeber bleibe der Anteil konstant bei 7,3 Prozent.
Die Grünen schreiben in ihrem Antrag, die durchschnittliche Beitragsbelastung in der GKV sei 2016 so hoch wie nie zuvor in der Geschichte, trotz guter Konjunktur und Arbeitsmarktlage. Die größeren Lasten müssten durch steigende Zusatzbeiträge allein von den Versicherten aufgebracht werden. Nötig sei eine faire Lastenverteilung. Die Bundesregierung habe sich nicht um eine langfristig stabile und gerechte finanzielle Basis für das Gesundheitswesen etwa durch eine Bürgerversicherung gekümmert. Mit der paritätischen Finanzierung wäre auch der Anreiz für die Arbeitgeberseite, auf eine effizientere und wirtschaftlichere Versorgung hinzuwirken, wieder gestärkt.
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