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Berlin: (hib/MWO) Erst dauerte es Jahre, aber auf einmal musste es ganz schnell gehen. So schilderte ein leitender Mitarbeiter des Bankenverbandes am Donnerstag im 4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex) das endgültige Aus der sogenannten Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen von Aktien um den Dividendenstichtag.
Im Jahr 2009 habe das Bundesfinanzministerium den Bundesverband deutscher Banken (BdB) vertraulich über großangelegte Steuergestaltungsmodelle mithilfe von Cum/Ex-Geschäften über das Ausland zum Schaden des Fiskus informiert, sagte der inzwischen pensionierte BdB-Mitarbeiter Wolfgang Skorpel (63) in der öffentlichen Zeugenbefragung des Ausschusses unter Vorsitz von Dr. Hans-Joachim Krüger.
Das Ministerium habe unter "enormen politischen Druck" gestanden und zunächst die geltenden Regularien verschärft, sagte Skorpel, der bis 2014 im BdB für Steuern zuständig war. Da dies offenbar nicht ausgereicht habe, sei in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Kreditwirtschaft daraufhin eine Alternative zur bisherigen Praxis erarbeitet worden. Mit einem "Systemwechsel" und der Verlagerung des Steuerabzugs vom Emittenten auf die Kreditinstitute sollte die steuerabführende mit der bescheinigenden Stelle identisch werden und die Möglichkeit der mehrfachen Steuererstattung unterbunden werden. Das 2011 beschlossene Gesetz (OGAW IV) sei dann zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten.
Dabei war die Gesetzeslücke, die ausländischen Banken die einträglichen Cum/Ex-Geschäfte ermöglichte, den bisherigen Zeugenaussagen zufolge bereits gut zehn Jahre zuvor von der Deutschen Bank und dem BdB erkannt worden; eine erste Eindämmung dieser für die Banken mit einem Haftungsrisiko versehenen Praxis erfolgte aber erst durch das Jahressteuergesetz 2007 - und dann auch nur für die inländischen Banken. Dies sei allen Beteiligten bekannt gewesen, sagte Skorpel, was seine Nachfolgerin im BdB, Sabine Weber (50), die nach ihm befragt wurde, wie auch andere Zeugen im bisherigen Verlauf bestätigten.
Skorpel erklärte die langwierigen Abläufe damit, dass das Cum/Ex-Problem anfangs keine große Priorität besessen habe und auch nichts über die Umfänge dieser Deals bekannt gewesen sei. Erst ab 2009 sei mit Nachdruck nach einer grundsätzlichen Lösung gesucht worden. Die Bundesregierung hatte nach eigenem Bekunden (BT-Drucksache 18/1603) Cum/Ex-Geschäfte lange lediglich als abstrakte Möglichkeit gesehen und nicht als Gestaltungsmodell. Erst nach dessen Bekanntwerden 2009 habe man reagiert.
Skorpel wie auch Weber verwiesen darauf, dass aus Sicht des Bankenverbandes und auch der Abwicklungsgesellschaft Clearstream eine allumfassende Lösung des Problems über die Jahre hinweg wegen der fehlenden Identifizierbarkeit von Leerverkäufen zunächst nicht möglich erschien. Auf keinen Fall sei die auch nach 2007 weiter existiert habende Lücke absichtlich gelassen worden. Denn die Motivation der Banken hinter dem Brief an das Bundesfinanzministerium vom Dezember 2002 sei gerade die Minimierung der Haftungsrisiken gewesen. Der in dem Brief enthaltene Regelungsvorschlag war vom Ministerium in das Jahressteuergesetz 2007 übernommen worden. Innerhalb des damals geltenden Systems habe es aber keine Lösung für das Auslandsproblem gegeben, sagte Skorpel.
Weber, die im Juli 2002 beim BdB anfing und den Brief an das Bundesfinanzministerium im Auftrag des damaligen BdB-Geschäftsführers Hans-Jürgen Krause verfasste, sagte aus, dass es zunächst nicht abzusehen gewesen sei, ob das Ministerium dem Verbandsvorschlag folgen oder einen eigenen unterbreiten werde. Die Thematik sei dann aber 2005 aufgegriffen worden. Nach ihrer Wahrnehmung habe es sich bei doppelt erstatteten Steuern zunächst um Einzelfälle gehandelt, wann daraus ein Geschäftsmodell geworden sei, wisse sie nicht. Auch über Fallzahlen und Volumina könne sie nichts sagen. Auf die Frage Krügers, wieso das Problem nach vielen Jahren vergeblicher Versuche dann doch in relativ kurzer Zeit gelöst worden sei, sagte Weber, dass möglicherweise "alle Beteiligten mit der Sache gewachsen" seien. Am Anfang habe man offenbar nicht realisiert, dass für eine Lösung das System geändert werden müsse.
Eine Rolle spielte in der vierstündigen Sitzung auch die Vorbereitung des Jahressteuergesetzes 2007. Dazu befragte der Ausschuss Thomas Kehm vom Bundeszentralamt für Steuern (ehemals Bundesamt für Finanzen), der in einem Schreiben vom Oktober 2005 den Vorschlag des Bankenverbandes von 2002 als "uneingeschränkt geeignet" hielt, die problematischen Leerverkäufe um den Dividendentermin zu regeln. Vor dem Ausschuss sagte der 1961 geborene Kehm auf die Frage Krügers, wieso er zu dieser Auffassung gekommen sei, er habe damals "geglaubt, die vorgeschlagene Regelung könnte ausreichen, die Leerverkaufsproblematik in den Griff zu bekommen". Immerhin habe es vorher gar keine Lösung gegeben.
Es sei aber auch klar gewesen, dass die Regelung nicht ausreiche. Das sei aber für das Bundesamt "kein Problem" gewesen, denn dort habe man den Inlandsfall im Blick gehabt, und der sei damit geregelt worden. Man habe geglaubt, dass der größte Teil des Problems erledigt sei. 2005 habe niemand einschätzen können, wie sich die Problematik entwickelt. Zu Cum/Ex-Deals als Geschäftsmodell habe er bis zu diesem Zeitpunkt keine Erkenntnisse gehabt, sagte Kehm. Anlass seines Schreibens sei eine Sitzung der Einkommensteuerreferatsleiter des Bundes und der Länder gewesen, die die Einschätzung des Bundesamtes geteilt habe. Einschränkend sagte er aber, man habe zu dieser Zeit nicht das ganze Problem überblickt.
Zu der Sitzung der Einkommensteuerreferatsleiter äußerte sich auch Ilona Knebel (47). Die langjährige Beamtin im Finanzministerium Nordrhein-Westfalens war seit 2004 im Einkommensteuerreferat beschäftigt und 2005 die zuständige Sachbearbeiterin. Sie hatte eine Stellungnahme zu dem BdB-Vorschlag verfasst, in der sie schrieb, dass ein Leerverkäufer keinen Dividendenanspruch habe, weil er nicht im Besitz der Aktie sei. Das Anliegen der Verbände sei daher abzulehnen. Dem Ausschuss sagte sie, mit Cum/Ex-Geschäften sei sie erstmals in einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums von 2005 konfrontiert worden. Die Besonderheit der Auslandsverkäufe habe damals aber nicht auf der Agenda gestanden. Der Hinweis in ihrer Stellungnahme sei damals nicht weiterverfolgt worden, und mit dem Beschluss der Referatsleiter zugunsten einer Gesetzesänderung sei die Sache erledigt gewesen, sagte Knebel. Das sei nichts Besonderes gewesen, denn es könne bei jedem Beschluss sein, dass ein Vorschlag keine Mehrheit findet.
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