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Im Bundesnachrichtendienst (BND) bestanden bereits lange vor der Affäre um die Enthüllungen des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA), Edward Snowden, Zweifel, ob die Ausforschung von Asylbewerbern nach geheimdienstlich verwertbaren Erkenntnissen weiterhin sinnvoll war. Dies berichtete der derzeit zuständige Referatsleiter im Kanzleramt, Albert Karl, am Donnerstag, 26. November 2015, im NSA-Untersuchungsausschuss.
Der heute 53-Jährige hatte 1985 als Bürosachbearbeiter beim BND eine Laufbahn begonnen, die ihn seither in verschiedene Funktionen in der Welt der Nachrichtendienste führte. Bereits von 2003 bis 2008 war er Referent in der zuständigen Abteilung 6 im Kanzleramt und kehrte dann zum BND zurück. Seit dem 5. August 2013 leitet Karl das Referat 603, das unter anderem für den Bereich "Technische Aufklärung", also Abhörmaßnahmen, zuständig ist.
Der BND unterhielt seit 1958 eine getarnte "Hauptstelle für das Befragungswesen" (HBW), die zunächst vor allem Flüchtlinge aus der DDR und Ländern des Ostblocks, später Asylbewerber ausforschte. Dabei kooperierten deutsche Beamte mit Agenten des US-Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA). Ins Visier des Untersuchungsausschusses geriet die mittlerweile abgewickelte HBW vor allem wegen der Vermutung, bei der Befragung von Asylbewerbern könnten Erkenntnisse angefallen sein, die dann im Drohnenkrieg der USA gegen radikalislamische Freischärler Verwendung fanden.
In seiner Vernehmung berichtete Karl allerdings, dass im BND spätestens seit 2011 massive Zweifel am Wert der HBW-Aktivitäten aufgekommen seien. Die gewonnenen Informationen hätten den Aktualitätserfordernissen moderner Aufklärungsarbeit nicht mehr entsprochen. Schließlich seien Gewährsleute befragt worden, die ihre Herkunftsländer oftmals schon seit geraumer Zeit verlassen hatten. Der Ertrag an wirklich brandheißen Erkenntnissen sei daher gering gewesen. Weder qualitativ noch quantitativ habe die HBW die Erwartungen erfüllt. BND-Präsident Gerhard Schindler habe daher Ende Januar 2014 entschieden, die Dienststelle zum 30. Juni aufzulösen.
Wenige Wochen zuvor hatte die HBW noch im Zuge der durch die Snowden-Enthüllungen entfachten Geheimdienstdebatte Furore gemacht. Am 19. November 2013 hatte die "Süddeutsche Zeitung" einen Bericht veröffentlicht unter dem Titel "Deutsche Behörde horcht Asylbewerber aus". Im Bundestag gab der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Ole Schröder (CDU), zu, dass die HBW dem BND unterstand, was bis dahin verschwiegen worden war. Im Kanzleramt sah sich der Zeuge Karl ein Vierteljahr nach Antritt seiner Referatsleiterstelle mit einer Flut parlamentarischer Anfragen konfrontiert, deren Gegenstand die Ausforschung von Asylbewerbern war. Er forderte daher einen Bericht über die HBW an.
In diesem Bericht, der ihn am 25. November erreichte, war unter anderem zu lesen, dass die Flüchtlinge zwar in der Regel von deutschen und amerikanischen Geheimdienstlern gemeinsam befragt wurden, hin und wieder aber auch von DIA-Agenten allein. Karl reagierte unverzüglich und wies die HBW noch am selben Tag in einer Mail an, sicherzustellen, dass künftig keine Befragungen mehr ohne Anwesenheit von BND-Mitarbeitern stattfanden. Da die HBW eine Einrichtung unter der organisatorischen Verantwortung des BND war, habe er dies für unabdingbar gehalten, betonte der Zeuge.
Auf die Frage, ob die Vernehmung von Asylbewerbern in Deutschland allein durch US-Geheimdienstler nicht auch rechtswidrig gewesen sei, entgegnete er: "Ich habe mich nicht gesondert damit auseinandergesetzt. Davon musste ich ausgehen, dass das rechtmäßig war."
Zuvor hatte eine leitende Mitarbeiterin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat dem Ausschuss über die Kooperation ihrer Behörde mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) berichtet. Nach ihrer Schätzung hat das Bundesamt dem Geheimdienst jährlich etwa 300 bis 400 Asylbewerber zur Befragung vermittelt, sagte Renate Leistner-Rocca in ihrer Vernehmung. Die 62-jährige Juristin ist nach eigenen Angaben seit drei Jahrzehnten in der Nürnberger Behörde tätig und leitete dort von 2002 bis 2013 die Gruppe 43, zuständig für Querschnittsaufgaben und Sicherheitsfragen. Heute steht sie an der Spitze des Forschungszentrums des BAMF.
Der BND unterhielt die HBW bis zum Sommer 2014. Ihre Aufgabe war es, Asylbewerber nach nachrichtendienstlich verwertbaren Informationen aus ihren Heimatländern auszuforschen. In der HBW arbeiteten deutsche Geheimdienstler mit Agenten der DIA zusammen.
Wie die letzte Leiterin der HBW dem Ausschuss vor einigen Wochen berichtete, kam es dabei gelegentlich auch vor, dass DIA-Agenten allein, ohne Anwesenheit eines deutschen Kollegen, Flüchtlinge befragten. Dass Mitarbeiter eines ausländischen Nachrichtendienstes bei den Befragungen zugegen waren, geschweige denn, dass sie dabei gelegentlich sogar allein agierten, davon habe sie keine Ahnung gehabt, betonte die Zeugin.
Den Entscheidern in den Außenstellen des BAMF lag ein zwei- bis dreiseitiger, in Stichworten kurz gefasster Kriterienkatalog des BND vor. Wenn in der Anhörung eines Flüchtlings Begriffe aus diesem Katalog fielen, etwa zu Themen wie Drogenhandel, Terrorismus, organisierter Kriminalität, schickte der Sachbearbeiter das Anhörungsprotokoll an das Sicherheitsreferat in Nürnberg, das der von Leistner-Rocca geführten Gruppe unterstellt war.
Dort seien die Unterlagen geprüft und, wenn sich Hinweise auf nachrichtendienstlich relevante Aspekte erhärteten, der Kontaktperson des BND beim BAMF übergeben worden. Ihre Behörde habe der HBW dann vier Wochen eingeräumt, um zu entscheiden, ob ein Flüchtling für sie von Interesse war. In dieser Zeit habe das jeweilige Asylverfahren geruht, sagte Leistner-Rocca.
Die Zeugin betonte, dass die HBW in keinem Fall Einfluss auf den Verlauf eines Asylverfahrens genommen habe. Gelegentlich hätten die Geheimdienstler Ungeduld geäußerte, wenn das Verfahren eines Bewerbers, an dem sie interessiert waren, sich in die Länge zog. Ihre eiserne Devise sei jedoch gewesen. "Erst müssen wir anhören." Das BAMF habe zum Teil ja auch andere Prioritäten gehabt: "Die HBW musste sich gedulden."
Neben dem Kriterienkatalog habe es als Grundlage für die Kandidatenauswahl auch die sogenannten "Montagslisten" gegeben. Dabei habe es sich um ein Verzeichnis angehörter Asylbewerber aus bestimmten, den Geheimdienst besonders interessierenden Herkunftsländern gehandelt. Das Statistikreferat habe die Listen jeweils zu Wochenbeginn aktualisiert, daher der Name.
Als Rechtsgrundlage der Kooperation nannte die Zeugin Paragraf 8 Absatz 3 des BND-Gesetzes, das den Geheimdienst ermächtige, von anderen Behörden auch personenbezogene Auskünfte einzuholen, und diese Behörden zugleich verpflichte, die Auskünfte zu gewähren. Dass Thema sei im BAMF mehrfach zur Sprache gekommen, aber immer mit dem Ergebnis, dass die Datenübermittlung "rechtlich einwandfrei" sei, betonte Leistner-Rocca.
Bereits am Mittwoch, 25. November, bestritt der Leiter der Außenstelle Gablingen des Bundesnachrichtendienstes (BND) erneut energisch, in eine Kooperation mit Geheimdiensten der USA, Großbritanniens oder anderer angelsächsischer Länder eingebunden zu sein.
Aus diesem Grund habe seine Tätigkeit den Ausschuss auch nicht zu interessieren, weil sie nicht zu dessen Untersuchungsgegenstand gehöre, betonte der Zeuge A.N. in seiner Vernehmung. Der Ausschuss unter Vorsitz des Christdemokraten Prof. Dr. Patrick Sensburg durchleuchtet die Zusammenarbeit des BND insbesondere mit dem US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) in den Jahren 2002 bis 2014.
Ein erstes Mal war A.N. bereits am 24. September 2015 vor dem Ausschuss aufgetreten und gab am 25. November zu, von diesem Erlebnis nachhaltig negativ beeindruckt gewesen zu sein. "Wenn ich stutze vor Fragen und Denkpausen einlege, dann deshalb, weil ich nach der letzten Vernehmung immer danach suche: Wo ist der Fallstrick?", erklärte er den Abgeordneten.
In Gablingen bei Augsburg war A.N. zwischen 1987 und 2001 zuständig für die Computertechnik. Seit dem 1. Oktober 2012 leitet er die Dienststelle. Über seine Tätigkeit hatte er bereits in seiner ersten Vernehmung so viel verraten, dass in Gablingen Funkverkehre über Kurzwelle abgehört werden. "Sie wissen, dass wir neben der Kurzwellenerfassung auch noch etwas anderes machen", sagte er am 25. November, doch darüber werde er nicht öffentlich Auskunft geben.
Ebenfalls nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit wollte der Zeuge sagen, ob die Abhörantenne in Gablingen im Verbund mit anderen Antennen betrieben wird, wo die abgehörten Ziele liegen, welche Datenbanken in Gablingen genutzt werden, ob der abgehörte Kurzwellenverkehr zivilen oder militärischen Ursprungs sei, welche Veränderungen im Umgang mit Selektoren es nach 2013 gegeben habe, ob in Gablingen ein System zur Ausfilterung der Daten deutscher Grundrechtsträger in Gebrauch sei, ob von dort aus auch Standorte von Kurzwellensendern ermittelt werden.
Den Vorhalt, dass in Gablingen Kurzwellenüberwachung betrieben werde, sei bei Wikipedia nachzulesen, quittierte er mit der Bemerkung: "Nur weil etwas in Wikipedia steht, ist das noch lange kein Grund, etwas zu bestätigen oder zu dementieren."
Zweimal ersuchte der Zeuge den Vorsitzenden förmlich, wenn auch vergeblich, eine Frage zurückzuweisen; unter anderem mochte er nicht beantworten, ob von Gablingen aus auch europäische Nachbarländer überwacht worden seien. Immerhin berichtete er, dass bis 1998 - außerhalb des Untersuchungszeitraums, wie er betonte - in Gablingen Agenten der NSA stationiert gewesen seien. Vermutlich deswegen sei er als Dienststellenleiter nach Bad Aibling eingeladen worden, als dort BND und NSA das Jubiläum ihrer Zusammenarbeit feierten.
Auf die Frage des Vorsitzenden, ob es 1998 eine Vereinbarung gegeben habe, dass der BND als "Gegenleistung" für die Übergabe von Gablingen die NSA weiterhin an den dort gewonnenen Informationen teilhaben lassen sollte, entgegnete der Zeuge: "Von einer Vereinbarung weiß ich nichts", und ergänzte später: "Als Dienststellenleiter weiß ich von einer Gegenleistung an die Amerikaner nichts."
Der Ausschuss habe schon viele schwierige Zeugen erlebt, kommentierte SPD-Obmann Christian Flisek den Auftritt: "Aber so was haben wir noch nie gehabt." Der Grüne Dr. Konstantin von Notz erklärte, das öffentliche Bild, das der BND biete, sei "desaströs". Der Zeuge entgegnete, Arbeitsweise und Methodik des BND müssten geheim bleiben: "Da nehme ich's ziemlich genau. Das hat in der Öffentlichkeit nichts verloren."
Zuvor hatte im Ausschuss ein ehemaliger BND-Referatsleiter den Vorwurf nicht bestätigen können, seine Behörde habe "anlasslos und massenhaft" Daten an die NSA weitergeleitet. "In meinem Referat und in meinem Verantwortungsbereich hat das nicht stattgefunden", sagte der Zeuge J.S. in seiner Vernehmung. Der heute 60-jährige Bundeswehroffizier im Rang eines Obersten leitete zwischen Dezember 2006 und Juni 2010 das Referat T2d in der BND-Zentrale in Pullach, zuständig für "regionale Nachrichtenbearbeitung".
Mit seiner Vernehmung folgte der Ausschuss einem Wunsch der Opposition, die sich davon einen Beitrag zur Klärung der Frage erhoffte, ob der BND in großem Umfang sogenannte "Metadaten" über Zeitpunkt, Dauer und Standort von Telefon- oder E-Mail-Verkehren an die NSA weitergegeben hat. Davon war in Medien mehrfach die Rede gewesen.
So hatte im Mai dieses Jahres "Zeit-Online" berichtetet, Monat für Monat seien 1,3 Milliarden Datensätze vom BND an die NSA geflossen. In früheren Ausschusssitzungen hatten Zeugen, die in Außenstellen des BND mit der Überwachung internationaler Datenverkehre befasst sind, indes immer wieder bestritten, Material an die NSA geliefert zu haben.
Für den Ausschuss ergab sich daraus die Vermutung, die Abflüsse seien möglicherweise aus der Geheimdienstzentrale in Pullach erfolgt. Eine Aufzeichnung des BND aus dem Jahr 2009 schien nahezulegen, das damals von J.S. geleitete Referat sei auch für diesen Materialaustausch zuständig gewesen.
Dem widersprach der Zeuge freilich in seiner Vernehmung. Seine Hauptaufgabe sei die Bearbeitung von Nachrichten gewesen. Sein Referat habe aus verschiedenen Quellen gewonnene Erkenntnisse, die aus den Erfassungsstellen zugeliefert worden seien, zu sichten, zu verifizieren und daraus brauchbare Meldungen zu formulieren gehabt.
Sie habe diese Meldungen gegebenenfalls auch befreundeten Nachrichtendiensten zur Verfügung gestellt. Dabei habe es sich aber "grundsätzlich" nicht um Rohdaten gehandelt, sondern um ausformulierte nachrichtendienstlich relevante Erkenntnisse. Gelegentlich sei es vorgekommen, dass in "Fachgesprächen" mit Vertretern befreundeter Dienste auch Daten wie Mobilfunknummern oder E-Mail-Adressen ausgetauscht worden seien. Die Regel sei dies aber nicht gewesen: "Einen Rohmaterialaustausch mit der NSA hat es in meinem Referat nicht gegeben."
Er könne sich persönlich auch nicht daran erinnern, als Referatsleiter jemals Material auf dem Bildschirm gehabt zu haben, das er unter dem Aspekt des Grundrechtsschutzes deutscher Bürger oder aus politischen Gründen für fragwürdig hätte halten müssen, betonte der Zeuge. Die Ausfilterung rechtlicher bedenklicher Überwachungsergebnisse sei freilich schon in den Erfassungsstellen erfolgt, bevor das Material überhaupt bei ihm zur Bearbeitung gelandet sei.
Über den Umgang mit der Selektorenliste des BND zeichnet sich unterdessen ein Konflikt zwischen den Oppositionsvertretern im Ausschuss und der Bundesregierung ab. Am 23. November hatten der Ausschussvorsitzende Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) und die Obleute der Fraktionen Gelegenheit erhalten, das Verzeichnis BND-eigener Selektoren einzusehen, die bei einer Überprüfung 2013 als politisch fragwürdig aussortiert worden waren.
Die Bundesregierung ist im Gegensatz zu Linken und Grünen der Meinung, das Thema habe den Ausschuss nicht zu interessieren. Die Opposition möchte jetzt den Untersuchungsauftrag entsprechend erweitern und droht andernfalls mit einem eigenen Untersuchungsausschuss zum Thema BND-Selektoren.
Die Zeugenvernehmungen werden in öffentlicher Sitzung am Donnerstag, 26. November, fortgesetzt. (wid/27.11.2015)
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