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Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Vereinfachungen im System der Grundsicherung sorgt in der Summe nicht unbedingt für eine Entlastung der Jobcenter. Diese Befürchtung äußerte eine Mehrheit der Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales unter Vorsitz von Kerstin Griese (SPD) am Montag, 30. Mai 2016. Sehr kritisch bewertet wurden außerdem geplante Änderungen bei den sogenannten "temporären Bedarfsgemeinschaften", also auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Alleinerziehenden, deren Kinder sich zeitweise auch bei dem anderen Elternteil aufhalten.
Einige Sachverständige äußerten zudem Unverständnis über die Beibehaltung der Sanktionsregeln für Leistungsempfänger, die jünger als 25 Jahre sind. Positiven Anklang fanden dagegen Pläne, den Bewilligungszeitraum für den Bezug von Hartz IV von sechs auf zwölf Monate zu verlängern und die Möglichkeit der nachgehenden Betreuung auch nach dem Wegfall der Hilfebedürftigkeit.
Mit dem Entwurf für ein neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (18/8041) sollen zahlreiche Regelungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) vereinfacht und neu strukturiert werden. Die Neuregelungen betreffen unter anderem Fragen der Einkommensanrechnung, der Berechnung der Kosten für Unterkunft und Heizung und die Beratung der Leistungsberechtigten.
Der Entwurf legt auch fest, dass ein minderjähriges Kind, das sich wechselweise in beiden Haushalten der getrennt lebenden Eltern aufhält, als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft beiden Haushalten für den gesamten Monat angehört. Der Regelsatz des Kindes soll entsprechend der Gesamtzahl der Anwesenheitstage im jeweiligen Haushalt aufgeteilt werden.
Für den Deutschen Landkreistag betonte Markus Mempel, dass die Jobcenter dringend mehr Ressourcen brauchen, weshalb er den Entwurf grundsätzlich unterstütze. Jedoch sei er nicht "vollkommen glücklich", denn es entstünden durch ihn auch erhebliche bürokratische Mehrbelastungen zum Beispiel durch die Regelung für die "temporären Bedarfsgemeinschaften" und die Beibehaltung der Sanktionen für Leistungsempfänger bis zum Alter von 25 Jahren.
Frank Jäger vom Erwerbslosenverein Tacheles e. V. nannte die hier geplanten Änderungen "bürokratischen Irrsinn". Bisher gebe es eine tageweise Abrechnung des Regelsatzes bei Alleinerziehenden nur, wenn beide Elternteile hilfebedürftig seien. Durch die Ausdehnung dieser Methode auch auf Elternpaare, in den nur ein Elternteil SGB-II-Leistungen bezieht, werde die Zahl der Fälle deutlich steigen, sagte Jäger.
Dr. Stefan Sell, Professor für Sozialpolitik an der Hochschule Koblenz, warnte, die Änderungen würden die Situation von Alleinerziehenden deutlich verschlechtern. Er regte an, einen Unterhaltsmehrbedarf für den umgangsberechtigten Elternteil einzuführen, der SGB-II-Leistungen bezieht.
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) verteidigte dagegen die Sanktionsregeln. Deren Abschaffung widerspräche dem Prinzip des Förderns und Forderns. Die Sanktionsregeln überforderten die Hilfebedürftigen in der Regel nicht, sagte BDA-Vertreterin Anna Robra.
Für den Deutschen Caritasverband merkte Birgit Fix an, dass die Sanktionierung junger Leistungsempfänger ein "äußerst konfliktträchtiges Verfahren" sei, in dessen Folge viele Jugendliche komplett aus dem System fielen. Deren Wiedereingliederung sei oft sehr schwierig, betonte sie.
Sowohl BDA als auch Caritasverband wie auch einige andere Sachverständige sprachen sich für die Einführung von Bagatellgrenzen bei Rückforderungen durch die Jobcenter aus, um aufwendige Erstattungsbescheide auch bei Kleinstbeträgen zu vermeiden. (che/30.05.2016)