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4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex)/Ausschuss- 13.05.2016
Berlin: (hib/MWO) Drei ehemalige Mitarbeiter des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) standen am Donnerstag Rede und Antwort in der 8. Sitzung des 4. Untersuchungsausschusses, der sich mit der Aufarbeitung der sogenannten Cum/Ex-Geschäfte befasst. Bei diesen kam es zwischen 1999 und 2011 durch Leerverkäufe von Aktien um den Dividendenstichtag herum zu einer mehrfachen Erstattung beziehungsweise Anrechnung von tatsächlich nur einmal einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer.
Der Bankenverband hatte im Dezember 2002 in einem Schreiben an das Bundesfinanzministerium (BMF) auf die Problematik aufmerksam gemacht und eine Lösung vorgeschlagen, mit denen allerdings nur die inländischen Fälle unterbunden werden konnten. Dieser Vorschlag war 2007 in einer Gesetzesänderung aufgegriffen worden. Endgültig waren die Cum/Ex-Geschäfte erst 2012 für illegal erklärt worden. Der dem Fiskus durch diese Geschäfte gegebenenfalls entstandene Schaden wird auf etwa zwölf Milliarden Euro geschätzt.
Unter Vorsitz von Hans-Joachim Krüger (SPD) wollten die Ausschussmitglieder nun Aufklärung über die Hintergründe dieses Schreibens und über die Rolle der Bankenverbandes bei der Identifizierung und Lösung des Cum/Ex-Problems. Besonders interessierte die Abgeordneten im Verlauf der fünfeinhalbstündigen Befragung, warum der Verband erst 2002 auf das Problem aufmerksam machte und warum es so lange dauerte, bis die Praxis unterbunden wurde.
Grundlage der Befragung war die Auswertung aller Unterlagen des Bankenverbandes, die mit dem Brief und der darin behandelten Thematik im Zusammenhang stehen. Aus den 14 Ordnern mit Akten und Dokumenten geht nach Angaben aus dem Umfeld des Ausschusses hervor, dass dem BdB das Problem seit Ende der 1970er Jahre bekannt war.
Als erster Zeuge sagte Hans-Jürgen Krause, bis Ende 2003 einer der Geschäftsführer des Bankenverbands, zu dem Themenkomplex aus. Aus der Sicht des 75-Jährigen wollte der Bankenverband mit dem Brief vom Dezember 2002 einen Anstoß dazu geben, steuerinduzierte Gestaltungsmöglichkeiten endgültig zu beenden und zwar durch eine Regelung in Übereinstimmung mit den Börsenbedingungen. Es sei darum gegangen, eine Lücke zu schließen, die es Aktienkäufern ermöglicht habe, nicht abgeführte Steuern anzurechnen. Der in dem Brief an das BMF enthaltene Vorschlag habe darauf abgezielt, unberechtigte Steuerbescheinigungen zu vermeiden. Daher sollte es rein steuerrechtlich möglich werden, dass auch Kompensationszahlungen in der Folge des Wechsels des Aktieneigentümers genauso wie Dividenden steuerpflichtig werden. Dieser Vorschlag habe wiederum auch eine Lücke gehabt, auf die der Verband das Ministerium auch aufmerksam gemacht habe: Und zwar sei bei ausländischen Fällen nicht erkennbar, ob es sich um Leerverkäufe handelte. Damals sei dem Verband aber keine umfängliche Lösung eingefallen.
Nach den Worten von Krause, der seit 1989 Mitglied der Geschäftsführung des Bankenverbandes und zuständig für Steuerrecht und Steuerpolitik war, ist die Problematik von Aktiengeschäften um den Ausschüttungstermin im Verband seit Ende der 1970er Jahre bekannt gewesen, es sei dabei aber um "einfache" Verkäufe gegangen und nicht um Leerverkäufe. Mit seiner Initiative von 2002 wollte der Bankenverband nun eine gesetzliche Regelung erreichen, sagte Krause weiter. Warum diese erst 2007 zustande kam und erst 2012 auch ausländische Cum/Ex-Geschäfte unterbunden wurden, könne er nicht sagen. Er nehme aber an, dass es einfach keine schnellen Lösungen gegeben habe. Der Verband habe die Thematik auch nicht als "das riesengroße Thema" erachtet. Wegen der falschen Steuerbescheinigungen und der damit verbundenen Haftung sei es aber "gefährlich" gewesen. Mit dem Vorschlag aus dem Dezember 2002 habe man daher Nägel mit Köpfen machen wollen. Es habe sich dabei um ein Projekt auf Arbeitsebene gehandelt.
Zur Frage warum der Verband erst 2002 aktiv geworden sei, sagte Krause, der Verband habe noch abgewartet, ob der Gesetzgeber von sich aus aktiv werde, zudem habe es andere Prioritäten wie das geplante Verbot von Leerverkäufen und die Zinsbesteuerung gegeben. Zu diesem Zeitpunkt sei das Ausmaß, also das Volumen, dieser Geschäfte auch nicht bekannt gewesen. Man habe keine Erkenntnisse über derartige Geschäftsmodelle zum Schaden des Fiskus gehabt. Es sei daher um die steuerrechtliche Einordnung und abwicklungstechnische Aspekte gegangen. Es habe sichergestellt werden sollen, dass jede Steuer, egal ob mehrfach angerechnet, auch abgeführt wird. Durch die Besteuerung der Kompensationszahlung sollten diese Geschäfte unattraktiv gemacht werden.
Krause zufolge war das Thema Leerverkäufe im Verband öfter diskutiert worden. Die Frage sei gewesen, wie man mit Leerverkäufen - egal ob beim Makler hängen gebliebener "Unglücksfall" oder gestalteter Fall - umgehen solle. Leerverkäufe an sich seien nicht zu verbieten gewesen, es sei daher darum gegangen, nicht gewünschte Folgen zu vermeiden. Und eine Idee, wie dies zu bewerkstelligen sei, habe niemand von heute auf morgen gehabt. Die Anregung zu dem Vorschlag von 2002 sei von Bankenvertretern gekommen, sagte Krause auf Nachfrage. Ein Schreiben der Deutschen Bank sei in ein Verbandsschreiben umgesetzt worden. Zur Übernahme ganzer Textpassagen aus dem Verbandsbrief in das Gesetz sagte Krause, er schließe daraus, dass niemandem etwas Besseres eingefallen ist.
Der zweite Zeuge, Thomas Weißgerber, konnte nicht viel zur Aufklärung beitragen, außer dass er bestätigte, die zweite Unterschrift unter den Brief vom Dezember 2002 geleistet zu haben. Es sei üblich gewesen, Verbandsbriefe von zwei Geschäftsführern zu unterzeichnen. Weißgerber gehörte seit 1993 der Geschäftsführung des Bankenverbandes an und verantwortete dort den Geschäftsbereich Wertpapiere/Börse. Er sagte, seine Unterschrift sei seine einzige Berührung mit dem Thema gewesen. Er habe weder vorher noch nachher damit zu tun gehabt, da es in die Zuständigkeit der Steuerabteilung gefallen sei. Krause habe ihn gebeten den Brief mit zu unterschreiben und habe ihm erklärt, worum es dabei gehe. Bis 2002 habe er die Materie nicht zur Kenntnis genommen, und dann habe es geheißen, es gebe da eine Lücke, die man schließen müsse. Vom Umfang dieser Geschäfte habe er keine Ahnung gehabt. Das Thema sei zwar bei Geschäftsführerbesprechungen Tagesordnungspunkt gewesen, es hätten aber immer nur die zuständigen Geschäftsführer berichtet.
Matthias Geurts als dritter Zeuge bestätigte den bisher bekannten Ablauf des Geschehens, konnte aber zu Einzelheiten nur wenige Angaben machen. Er war bis 2001 Referent für Steuerrecht beim Bankenverband, danach Direktor in der Steuerabteilung der Deutschen Bank und ist aktuell Associate Partner bei der Wirtschaftskanzlei Noerr. Zum Schreiben der Deutschen Bank an den BdB sagte er, es sei damals darum gegangen, die mehrfache Anrechnung der Kapitalertragsteuer einzudämmen, und die sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) von 1999 zum zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentum an mit Dividende erworbenen Aktien ergebenden Probleme in den Griff zu bekommen. Mit dem Brief sollte das Thema gelöst werden, da es "erhebliche Sorgen" bei den Banken gegeben habe. Dabei sei das Haftungsrisiko "sicherlich ein Grund" gewesen. Schwierig dabei sei gewesen, so schilderte es auch Geurts, festzustellen, wer Leerverkäufer ist und wer nicht.
Auf eine weitere Frage sagte er, es sei darum gegangen, deutlich zu machen, dass eine Lösung herbeigeführt werden müsse, "weil etwas entstehen kann, was nicht gewollt ist". Der Brief der Deutschen Bank an den BdB von Mai 2002 habe die Idee enthalten, eine komplette Regulierung von ausländischen Leerverkäufen über die Abwicklungsgesellschaft Clearstream einzuführen, wie es 2012 auch gekommen ist. Warum dies nicht schon früher erfolgte wisse er nicht. Nach dem Schreiben der Deutschen Bank an den BdB habe er sich nicht weiter mit dem Thema befasst. Von dem Ausmaß der Cum/Ex-Geschäfte, die an und für sich schon immer ein Thema gewesen seien, habe er erst aus der Presse erfahren, sagte Geurts auf Nachfrage. Zu den verschiedenen Gestaltungen könne er nichts sagen, weil er solche Geschäfte nie betreut und auch keine entsprechenden Gutachten gesehen habe.