Menu | Plenum | Parlaments-TV |
Sport/Ausschuss- 08.06.2016
Berlin: (hib/HAU) Gehirnerschütterungen bei Sportlern werden vielfach nicht erkannt und zudem oft bagatellisiert. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer Sitzung des Sportausschusses am Mittwochnachmittag geladenen Mediziner sowie die Vertreter des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) einig. Vor den Abgeordneten sprachen sie sich dafür aus, eine Sensibilisierung für die Problematik bei Sportlern aber auch Ärzten zu schaffen und regionale Vorsorgekonzepte zu entwickeln.
Jürgen Fischer, Direktor des BISp, sagte, die Erfahrungen zweier Sportler hätten in letzter Zeit dazu geführt, dass die Medien sich des Themas stärker annehmen. Da sei zum einen der deutsche Eishockey-Nationalspieler Stefan Ustorf, der in seiner Karriere mehrere Gehirnerschütterungen erlitten und wegen eines Schädel-Hirn-Traumas schließlich seine Karriere habe beenden müssen. Ustorf leide noch immer unter den Spätfolgen der Verletzung.
Ein anderer Fall sei der des Kapitäns der deutschen Handball-Nationalmannschaft, Steffen Weinhold, der bei einem Spiel während der Europameisterschaft 2016 den Ball mit etwa 100 Km/h aus kürzester Entfernung an den Kopf bekam. Der deutsche Teamarzt habe daraufhin eine Gehirnerschütterung attestiert aber Weinhold dennoch für den nächsten Tag als spielfähig eingestuft. Dies, sagte Fischer, habe ein großes Risiko mit sich gebracht.
Wer eine Gehirnerschütterung hat und zu schnell wieder spielt, trage ein hohes Risiko, sich eine zweite Gehirnerschütterung zuzuziehen, sagte der Neurologe Andreas Gonschorek vom Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg. Er forderte, in keinem Falle den Sportler selber darüber entscheiden zu lassen, ob er weiterspielen kann. "Der betroffene Sportler selbst ist nicht in der Lage zu erkennen, ob er von einem Schädel-Hirn-Trauma betroffen ist oder nicht", sagte der Mediziner. Abgesehen von eventuellen Spätfolgen erhöhe eine Gehirnerschütterung auch das allgemeine Verletzungsrisiko, weil dem Sportler die Reaktionsfähigkeit fehle.
Es gebe in dem Bereich einen hohen Wissensbedarf, sagte Ingo Schmehl vom Unfallkrankenhaus Berlin. Wie seine anwesenden Kollegen auch engagiert sich der Neurologe bei der Hannelore Kohl Stiftung im Projekt "Schütze Deinen Kopf". Ziel der Homepage sei es, Informationen zu vermitteln und Ansprechpartner zu nennen. Der Neurologe sprach sich für die Schaffung eines Schädel-Hirn-Trauma-Netzwerks aus. "Daran hapert es derzeit in Deutschland", sagte Schmehl.
Mit Regeländerungen könne der Sport durchaus Einfluss auf die Häufigkeit von Gehirnerschütterungen nehmen, sagte Claus Reinsberger, Leiter des Sportmedizinischen Instituts der Universität Paderborn. Beispiel dafür sei die Änderung beim Fußball, wonach mit einer Roten Karte bestraft wird, wer mit dem Ellenbogen den Kopf des Gegners trifft. Seitdem seien weniger Gehirnerschütterungen aufgetreten, sagte Reinsberger. Der Sportmediziner und Neurologe beklagte zudem, dass es im deutschen Spitzensport keinen Behandlungspfad bei Kopfverletzungen gebe. Die Versorgung des Sportlers hänge davon ab, ob der jeweilige Arzt die oft nicht leicht zu erkennenden Symptome einer Gehirnerschütterung erkennt, was nicht immer der Fall sei.