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„Niemandem soll es mit diesem Gesetz schlechter gehen“, das betonte nicht nur Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD). Das betonten auch die Abgeordneten von Union und SPD, nachdem sie sich von den Oppositionsfraktionen im Bundestag harsche Kritik am Bundesteilhabegesetz anhören mussten. Über den Gesetzentwurf (18/9522), eines der zentralen sozialpolitischen Projekte der Großen Koalition, hat der Bundestag am Donnerstag, 22. September 2016, in erster Lesung beraten.
Schwerpunkt des Gesetzes ist die Neufassung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Eine wesentliche Änderung hier: Die Eingliederungshilfe wird aus dem „Fürsorgesystem“ der Sozialhilfe herausgeführt und in das neu gefasste SGB IX integriert.
Fachleistungen der Eingliederungshilfe sollen künftig klar von den Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt und finanziert werden. Mit der Erhöhung der Vermögensfreibeträge und der Befreiung der Ehe- und Lebenspartner aus der Finanzierungspflicht soll es künftig möglich sein, deutlich mehr vom eigenen Einkommen zu behalten, so die Regierung.
Neu ist auch, dass künftig ein Reha-Antrag ausreichen soll, um alle benötigten Leistungen von verschiedenen Reha-Trägern zu erhalten. Leistungen der Reha-Träger „aus einer Hand“ sollen zur Regel werden. Außerdem soll ein Netzwerk aus unabhängigen Beratungsstellen aufgebaut werden, um die Betroffenen über Teilhabeleistungen aufzuklären.
Mit einem Budget für Arbeit soll zudem die Teilhabe am Arbeitsleben gestärkt werden. Anstelle von Werkstattleistungen sollen künftig auch Lohnkostenzuschüsse und Unterstützung im Betrieb durch dieses Budget ermöglicht werden.
Andrea Nahles (SPD) bezeichnete das Gesetz als einen „Quantensprung“. Wer die derzeitigen Regelungen kenne, wisse, durch welchen Dschungel sich Menschen mit Behinderungen kämpfen müssen, um zu ihrem Recht zu kommen. Künftig werde ein Antrag ausreichen, um alle nötigen Leistungen verschiedener Träger zu bekommen, sagte Nahles. Auch die „lebensfremde Regelung“, das Partnereinkommen bei der Verrechnung der Eingliederungsleistungen mit einzubeziehen, werde endlich beseitigt. „Viele Menschen mit Behinderungen und ihre Familien werden im Alltag spürbar entlastet“, betonte die Ministerin.
Katrin Werner (Die Linke) betonte, viele Betroffenen befürchteten, künftig keine Eingliederungsleistungen mehr zu bekommen, wenn sie nicht in fünf von neun Lebensbereichen, sondern nur in zwei Bereichen eine Einschränkung haben. Dieser Katalog führe dazu, dass Menschen von Teilhabe ausgeschlossen werden, so Werner.
Es dürfe auch nicht sein, die Bewilligung von Leistungen in den Ermessensspielraum von Sachbearbeitern der Träger zu legen, sagte sie. Sie forderte die Bundesregierung auf, das Gesetz grundlegend zu überarbeiten.
Karl Schiewerling (CDU/CSU) warf der Opposition vor, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen zu skandalisieren. Niemand hier im Bundestag wolle die Lebenssituation von behinderten Menschen verschlechtern, betonte er. Es handele sich auch nicht um ein Spargesetz, wenn die Bundesregierung jährlich 700 Millionen Euro dafür einplane.
Es sei aber auch unmöglich, alle Wünsche zu erfüllen, sagte er in Bezug auf den breiten Beteiligungsprozess der Verbände und die deutliche Kritik am Gesetzentwurf.
Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) wies den Vorwurf der Skandalisierung zurück: „Ganz viele Fachleute haben Angst vor dem Gesetz!“ Und es sei auch nicht so, dass jetzt alle einzeln mit ihren Interessen ankämen, denn ein Großteil der Verbände habe sich zusammengeschlossen und sechs Kernforderungen für Nachbesserungen formuliert.
Auch Rüffer zeigte sich überzeugt: „Der Entwurf wird die Situation der Menschen mit Behinderungen nicht verbessern.“ Es müsse ausreichend sein, in einem Lebensbereich eine Einschränkung zu haben, um Teilhabeleistungen zu bekommen, forderte sie.
Dr. Carola Reimann (SPD) warf der Opposition ebenfalls vor, in „unverantwortlicher Art Ängste zu schüren“. Natürlich sei es klar, dass es Ängste gebe, hart erkämpfte Ansprüche zu verlieren, wenn sich die Rahmenbedingungen so massiv ändern wie durch das Gesetz.
„Aber niemand wird seine Ansprüche verlieren.“ Das 5-von-9-Verfahren sei ein einheitliches Verfahren, das von allen Beteiligten gewünscht wurde, betonte sie. (che/22.09.2016)