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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 4. Oktober 2016)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika Lazar warnt vor einem überzogenen Abbau öffentlicher Einrichtungen in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. „Sorgen in schwierigen Regionen staatliche Einrichtungen und Zivilgesellschaft nicht mehr für Zusammenhalt, überlassen wir denjenigen das Feld, die gegen unsere Demokratie arbeiten“, sagte Lazar, die Sprecherin ihrer Fraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus ist, der Wochenzeitung „Das Parlament“. Sie verwies darauf, dass in den 1990er Jahren „staatliche Strukturen sich aus Regionen zu sehr zurückgezogen haben und dort dann rechte Kreise ihr Unwesen treiben konnten“. „Daraus sollten wir gelernt haben“, fügte die Leipziger Abgeordnete hinzu.
Sie verwies darauf, dass der aktuelle Regierungsbericht zum Stand der deutschen Einheit genügend Anhaltspunkte biete, dass die Bedrohung durch den Rechtsextremismus in Ostdeutschland eine besondere Herausforderung darstellt. Er zeige, dass „besonders 2015 die Zahl flüchtlingsfeindlicher Übergriffe dramatisch in die Höhe geschnellt ist“. Auch sei es angesichts der „ganzen Entwicklung von Pegida und Co.“ nicht verwunderlich, dass nicht nur der Tourismus in Dresden einen Dämpfer erhalten habe, sondern auch Unternehmen und universitäre Bereiche berichteten, dass ausländische Arbeitskräfte und Studierende dann lieber nicht nach Dresden kämen.
Als eine Gegenstrategie empfahl die Grünen-Parlamentarierin, beispielsweise „mit auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass Pegida nicht die Mehrheit der Dresdner ist“. In Leipzig habe es bei der ersten „Legida“-Demonstration Anfang 2015 mehr als 35.000 Gegendemonstranten gegeben. „Das sind klare Bekenntnisse, die auch außerhalb von Sachsen und Deutschland wahrgenommen werden“, auch wenn ein ganzes Maßnahmenbündel gegen Rechtsextremismus erforderlich sei und es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handele, betonte Lazar.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Lazar, der Regierungsbericht zur deutschen Einheit konzentriert sich ganz auf Ostdeutschland. Ist es nach 26 Jahren Einheit nicht an der Zeit, das ganze Land in den Blick zu nehmen?
Lazar: Das hat sich historisch nach 1990 ergeben. Man kann darüber nachdenken, das in der nächsten Legislaturperiode anders zu machen. Aber in diesen Jahresberichten zeigt sich auch, dass Ostdeutschland in bestimmten Themenfeldern nach wie vor Nachholbedarf im Vergleich zu westdeutschen Entwicklungen hat. Darauf hinzuweisen, ist eine legitime Aufgabe. Auch sind diese Berichte immer erstklassige Datenquellen für die Entwicklung der vergangenen Jahre. Daher ist so ein Bericht zum jetzigen Zeitpunkt durchaus berechtigt.
Was sagen Sie zu Klagen westdeutscher Bürgermeister, dass ihre Infrastruktur in den vergangenen Jahren zugunsten des Ostens vernachlässigt wurde?
Lazar: Blickt man zurück bis Anfang der 1990er Jahre, war es auch für jede westdeutsche Region nachvollziehbar, dass man insbesondere in die ostdeutsche Infrastruktur massiv investieren musste, um die Lebensbedingungen vergleichbar machen zu können. Jetzt sagen einige West-Regionen, in manchen ostdeutschen Gebieten laufe ja alles super. Aber die speziell für den Osten vorgesehenen Finanzmittel sind bis 2019 begrenzt, und es ist absehbar, dass man danach nicht nach Himmelsrichtungen schaut, sondern gezielt strukturschwache Gegenden in Ost und West unterstützt.
Nach wie vor liegt die Wirtschaftskraft je Einwohner im Osten knapp 28 Prozent unter dem Westniveau. Die kleinteilige Wirtschaftsstruktur und das Fehlen von Konzernzentralen dienen oft zur Erklärung. Was also tun?
Lazar: Gewachsene Wirtschaftsstrukturen lassen sich nicht einfach transferieren. Nicht nur die Firmenzentralen sind im Westen geblieben, auch Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Es gibt aber im Osten durchaus auch kleine Traditionsfirmen, die versuchen, mit innovativen Produkten Marktlücken zu finden. Nötig ist, die Bedingungen für Unternehmen und Arbeitskräfte in Ostdeutschland weiter zu verbessern. Die Unternehmen müssen auch Arbeitskräfte finden und halten können. Dabei ist der Mindestlohn von Vorteil. Die Menschen müssen gerne in einer Region bleiben und da ihr finanzielles Auskommen finden.
22 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse im Osten profitieren vom Mindestlohn, für den im Westen nur knapp neun Prozent arbeiten.
Lazar: Die Befürchtungen, dass gerade in Ostdeutschland durch den Mindestlohn viele Arbeitsplätze verloren gehen, haben sich nicht bestätigt. Die Menschen haben nun mehr Geld in der Tasche. Deshalb ist es insbesondere für Ostdeutschland gut, dass wir den Mindestlohn endlich haben.
Zugleich wird im Osten eine verschärfte Altersarmut befürchtet wegen der oft jahrelang unterbrochenen Erwerbsbiografien nach der Wende.
Lazar: Das ist ein großes Problem. Waren bislang aufgrund der typischen DDR-Erwerbsleben die Renten für Männer und Frauen insgesamt nicht so dramatisch niedriger als im Westen, kommen jetzt die Menschen mit den unterbrochenen Erwerbsbiografien ins Rentenalter. Um einer verfestigten Altersarmut entgegenzusteuern, schlagen wir Grüne eine Garantie-Rente vor, damit man nicht auf Grundsicherung im Alter angewiesen ist, obwohl man dem Arbeitsmarkt viele Jahre zur Verfügung gestanden hat.
Der Jahresbericht warnt auch vor den Folgen von Fremdenfeindlichkeit für die Wirtschaft und den gesellschaftlichen Frieden in Osten....
Lazar: Gerade dieser Bericht zu 2015 bietet leider genügend Anhaltspunkte, dass die Bedrohung durch den Rechtsextremismus in Ostdeutschland eine besondere Herausforderung darstellt. Das heißt nicht, dass Westdeutschland da keine Probleme hat, aber der Bericht zeigt, dass es bezogen auf die Einwohnerzahl in den vergangenen Jahren eine besondere Häufung gab und besonders 2015 die Zahl flüchtlingsfeindlicher Übergriffe dramatisch in die Höhe geschnellt ist. Und angesichts der ganzen Entwicklung von Pegida und Co. ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur der Tourismus in Dresden einen Dämpfer erhalten hat, sondern auch Unternehmen und universitäre Bereiche berichten, dass ausländische Arbeitskräfte und Studierende sagen, dann lieber nicht nach Dresden zu kommen. Eine Strategie, um dem entgegenzuwirken, ist beispielsweise, regelmäßig mit auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass Pegida nicht die Mehrheit der Dresdner ist. Das ist dort in knapp zwei Jahren leider unzureichend gewesen.
Nur Gegendemonstrationen werden aber kaum reichen...
Lazar: Natürlich nicht, aber es ist ein wichtiges Zeichen. Zum Glück haben wir – das sage ich gerade als Ostdeutsche – Demonstrationsfreiheit in diesem Land. Als in Leipzig Anfang 2015 das erste Mal Legida demonstrierte, gab es mehr als 35.000 Gegendemonstranten. Das sind klare Bekenntnisse, die auch außerhalb von Sachsen und Deutschland wahrgenommen werden. Völlig klar ist, dass ein ganzes Maßnahmenbündel gegen Rechtsextremismus erforderlich ist, und der Bericht sagt ja, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Jeder muss sich bewusst sein, dass er für ein friedliches Zusammenleben auch eine Verantwortung hat, ob im persönlichen oder beruflichen Rahmen.
Die Bundesregierung verweist in dem Bericht auch auf die Chancen durch Zuwanderung in die strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. Zu Recht?
Lazar: Natürlich kann Zuwanderung für positive Entwicklungen in von Abwanderung bedrohten Gegenden sorgen, aber es kommt auf die Rahmenbedingungen an. Ich halte wenig davon, Geflüchtete nur deshalb in Regionen anzusiedeln, weil es dort genügend Wohnungen gibt. Es muss immer auch Unterstützungsstrukturen geben, und im ländlichen Raum ist das nicht so ein Automatismus wie im städtischen Bereich, in dem es auch eine größere Struktur der Zivilgesellschaft gibt. Die Menschen, die zu uns kommen, sind eine Bereicherung, doch brauchen sie Voraussetzungen wie Wohnraum, Arbeit und Integrationsmaßnahmen. Dafür gibt es positive Beispiele auch in Ostdeutschland, aber nach wie vor auch abschreckende Berichte. Die Verantwortlichen in den Landkreisen dürfen nicht nur schauen, wie die Unterbringungsmöglichkeiten sind, sondern auch, welche Unterstützung es dort gibt.
Zuwanderung als Mittel, den Bevölkerungsrückgang in strukturschwachen Räumen abzufangen, sehen Sie nicht?
Lazar: Die Diskussion hatten wir vergangenes Jahr, als einige sagten, da sei ja genug Platz, um die Migranten dort hinzuschicken. Ich meine: Das sind Menschen – die kann man nicht einfach irgendwo hinfahren, wo Platz ist. Wer Integration möchte und will, dass sich die Menschen bei uns heimisch fühlen, muss Rücksicht auf die Bedingungen vor Ort nehmen.
Greift die scheinbare Logik, Rechtsextremismus mit schlechter Wirtschaftslage in Verbindung zu bringen, zu kurz?
Lazar: Das greift zu kurz; es gibt da keinen Automatismus. Es ist ein Anhaltspunkt, wo es schwierig werden könnte; deshalb ist es so wichtig, dass Regionen sowohl wirtschaftlich als auch zivilgesellschaftlich stabil bleiben. Sorgen in schwierigen Regionen staatliche Einrichtungen und Zivilgesellschaft nicht mehr für Zusammenhalt, überlassen wir denjenigen das Feld, die gegen unsere Demokratie arbeiten. Wir haben in den 1990er Jahren die Erfahrung gemacht, dass staatliche Strukturen sich aus Regionen zu sehr zurückgezogen haben und dort dann rechte Kreise ihr Unwesen treiben konnten. Daraus sollten wir gelernt haben.