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15. Wahlperiode
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   157. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2005

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Der Kollege Karl Hermann Haack feiert heute seinen 65. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich ihm sehr herzlich.

(Beifall)

Nachträglich gute Wünsche gehen auch an den Kollegen Uwe Göllner, der am 14. Februar seinen 60. Geburtstag feierte.

(Beifall)

   Die Fraktion der SPD teilt mit, dass sie die Kollegin Astrid Klug als Nachfolgerin für den ehemaligen Kollegen Jann-Peter Janssen als Schriftführerin vorschlägt. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist Kollegin Astrid Klug als Schriftführerin gewählt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern.

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Verschuldung und europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt

(siehe 156. Sitzung)

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ronald Pofalla, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Pakt für Deutschland

– Drucksache 15/4831 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Rechtsausschuss FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 29)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Paula, Karin Rehbock-Zureich, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker Beck (Köln), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Eisenbahn-Magistrale für Europa zwischen Paris und Budapest

– Drucksache 15/4864 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Königshofen, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Maßnahmen zur Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung GmbH

– Drucksache 15/4829 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Tourismus

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wieder als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung verankern

– Drucksache 15/3995 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 30)

Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Erhöhung der Anzahl von Ausschussmitgliedern

– Drucksache 15/4863 –

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Das Kioto-Protokoll tritt in Kraft: Auf dem Weg zu einem globalen effektiven Klimaschutz

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Jürgen Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Seeschifffahrt und Küstenschutz in Deutschland stärken

– Drucksache 15/4847 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Haushaltsausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Birgit Homburger, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Exportinitiative für erneuerbare Energien verantwortlich und sachgerecht gestalten

– Drucksache 15/4845 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Rechtsausschuss FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Verena Butalikakis, Monika Brüning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe umfassend, innovativ und unbürokratisch gestalten

– Drucksache 15/4830 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)InnenausschussSportausschuss Rechtsausschuss FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss

ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches

– Drucksache 15/4832 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 19 – Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler – abgesetzt werden.

   Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 154. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Grietje Bettin, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Impulse für eine internationale Ausrichtung des Schulwesens – Den Bildungsstandort Deutschland auch im Schulbereich stärken

– Drucksache 15/4723 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Innenausschuss

   Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Verbraucherpolitischer Bericht 2004

– Drucksache 15/4499 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismus

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung – Aktionsplan Verbraucherschutz

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Jella Teuchner, Michael Müller (Düsseldorf), Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung – Aktionsplan Verbraucherschutz

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Umfassende Politik für Verbraucher – weg von einem engen Aktionsplan zum Schutz der Verbraucher

– Drucksachen 15/959, 15/1007, 15/1001, 15/2058 –

Berichterstattung:Abgeordnete Jella TeuchnerUrsula HeinenUlrike HöfkenGudrun Kopp

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Ursula Heinen, Peter H. Carstensen (Nordstrand), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Bessere Verbraucherinformation bei Lebensmitteln, Produkten und Dienstleistungen

– Drucksachen 15/927, 15/4281 –

Berichterstattung:Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm Ursula Heinen Ulrike Höfken Hans-Michael Goldmann

   Zum Verbraucherpolitischen Bericht 2004 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion, das Wort.

Manfred Helmut Zöllmer (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht lässt sich die gewachsene Bedeutung des Verbraucherschutzes in Deutschland heute auch an der Uhrzeit dieser Debatte ablesen: Sie findet zur Kernzeit statt. Längst hat der Verbraucherschutz unter dieser Bundesregierung sein Mauerblümchendasein, das er noch unter der Kohl-Regierung innehatte, verlassen.

(Ursula Heinen (CDU/CSU): So ein Quatsch!)

Wie wir alle wissen, geschieht so etwas nicht von selbst. Nur wer den politischen Rahmen richtig gestaltet und engagiert politisch arbeitet, kann einen Bericht vorlegen, der eindeutig dokumentiert: Verbraucherpolitik ist eine Erfolgsgeschichte dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In dem vorliegenden Bericht 2004 werden die Ziele und Schwerpunkte der Verbraucherpolitik vorgestellt. Ferner legt der Bericht dar, welche konkreten Verbesserungen und Fortschritte für die Verbraucherinnen und Verbraucher entstanden sind, und er gibt einen Ausblick auf anstehende Vorhaben.

   Eine wirksame und moderne Verbraucherpolitik muss aktiv als Querschnittsaufgabe – vielleicht im Sinne eines Consumer Mainstreaming – die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher benennen,

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Deutsche Sprache wäre auch schon Verbraucherschutz!)

berücksichtigen, stärken und Instrumente schaffen, welche sie in die Lage versetzen, ihre Rechte wirksam zu verfolgen.

   Wir wollen durch eine aktive Verbraucherpolitik die Nachfrageseite des Marktes zu einer gestaltenden Kraft machen, die auch Ziele der Produktinnovation, der Qualitätsverbesserung, des Umwelt- und Gesundheitsschutzes im Marktgeschehen verankert. Die gleiche Augenhöhe von Anbietern und Nachfragern ist unser Ziel. Sie ist für eine moderne Wirtschaftspolitik unverzichtbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen das real existierende Ungleichgewicht am Markt zwischen organisierter Anbietermacht auf der einen Seite und individualisierten Nachfragern auf der anderen Seite, deren Interessen oftmals zersplittert sind und deren Kaufentscheidungen von unterschiedlichen Motiven abhängen sowie von unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten geprägt sind, beseitigen. Dies unterscheidet uns fundamental von der Opposition, die mit ihrer Verbraucherpolitik genau dieses Ungleichgewicht zementiert. Sie hat dabei letztlich nur die Interessen der Unternehmen im Auge. Die Verbraucher bleiben bei der Opposition lediglich eine Restgröße. Sie werden mit Placebos abgespeist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt einen anderen, viel propagierten Mythos, der insbesondere in Kreisen der FPD zu Hause ist.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Er heißt: Der Markt allein wird schon alles richten, weil die Kaufentscheidung der Konsumenten letztlich den Erfolg von Produkten bestimmt. Das kann man dem FDP-Antrag entnehmen, der uns vorliegt. Damit werden natürlich die unzähligen Fälle des Missbrauchs von Marktmacht zum Beispiel im Telekommunikationsbereich, die Schuldenfalle für minderjährige Handynutzer oder die Opfer unlauterer Geschäftsmethoden geleugnet und ignoriert. Nein, der Markt alleine richtet das nicht. Mit Marktgläubigkeit und Ignoranz ist keine vernünftige Politik zu machen. Damit lassen Sie von der FDP die Verbraucherinnen und Verbraucher im Stich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Bundesregierung verfolgt eine aktive Verbraucherpolitik. Ich will dies an drei ausgewählten Beispielen deutlich machen. Im vergangenen Jahr haben wir das UWG novelliert und insbesondere Regelungen zum Schutz vor irreführender Werbung und aggressiven Geschäftspraktiken durchgesetzt. Im Falle eines Verstoßes können Wettbewerber und anerkannte Klageverbände gerichtlich Unterlassung und Schadenersatz verlangen. Als neues Instrument haben wir den Gewinnabschöpfungsanspruch eingeführt – im Übrigen nicht nur hier, sondern auch in einer Reihe anderer Gesetze – und damit die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher im Markt deutlich gestärkt.

   Mit der letztjährigen und der bevorstehenden Novellierung des Telekommunikationsgesetzes gibt es bzw. wird es einen sehr viel besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher geben. Dies betrifft beispielsweise Phänomene wie überhöhte Rechnungen und Kostenfallen bei Handys. Wir verbessern zudem die Preistransparenz durch genauere Preisansagen und Preisangaben. Es ist gut – wir begrüßen dies ausdrücklich –, dass auch die Mobilfunkunternehmen den Forderungen der Politik nachgekommen sind und eigene Produkte für Kinder und Jugendliche auf den Markt bringen, die eine Überschuldung zu verhindern helfen.

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

– Sehr schön, lieber Kollege Goldmann. – Daran sieht man, dass es zu Produktinnovationen führt, wenn man die Nachfrageseite des Marktes stärkt. Dies ist das Ergebnis einer aktiven Verbraucherpolitik. Das ist das, was wir machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir setzen das Prinzip „vom Stall bis zum Teller“ mit einem einheitlichen Lebensmittel- und Futtermittelgesetz um. So schaffen wir Transparenz und verbessern die Lebensmittelsicherheit. Gleichzeitig wollen wir die aktiven und passiven Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich verbessern. Denn wir wissen: Die stärksten Waffen der Verbraucherpolitik sind Transparenz und Information.

   Das laufende Vermittlungsverfahren zu dem entsprechenden Gesetz zeigt die Opposition bisher nur als Bedenkenträger. Ich fordere CDU/CSU und FDP sowie die B-Länder auf: Blockieren Sie dies nicht wieder! Denn blockiert hat die Opposition bisher nach Kräften, ob bei der Regelung zur unverlangt zugesandten Werbung, bei der Verbraucherinformation, beim Lebensmittel- und Futtermittelgesetz oder bei der Telekommunikation. Sie spitzen als Verbraucherpolitiker zwar den Mund, pfeifen aber nie, weil Sie von Ihren Wirtschaftspolitikerkollegen immer zurückgepfiffen werden.

Frau Merkel hat das Defizit der Union in der Verbraucherpolitik ja klar benannt und beklagt. Verändert hat sich bei der CDU/CSU aber nichts. Im Leitantrag für den Düsseldorfer Parteitag taucht das Wort „Verbraucher“ nur einmal auf. Die Verbraucherpolitik der Union bleibt eine Blackbox. Auch neue Papiere können daran nichts ändern. Das vorliegende neue Positionspapier zur Verbraucherpolitik enthält nicht einen originären Gedanken.

   Diese Koalition hat in der Verbraucherpolitik noch viel vor; das können Sie unserem Antrag entnehmen. Ich kann abschließend nur feststellen: Aktive Verbraucherpolitik bleibt eine dauernde Aufgabe. Diese Bundesregierung handelt.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach vierjähriger Tätigkeit der Verbraucherschutzministerin wird nun zum ersten Mal ein verbraucherpolitischer Bericht vorgelegt. Das Ergebnis könnte man in einigen wenigen Worten zusammenfassen: Es kreißte der Berg, heraus kam eine Maus.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   In der Tat enthält dieser Bericht viel heiße Luft und viel Geschwafel. In weiten Bereichen schmückt sich die Ministerin mit fremden Federn, nämlich mit Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen wurden und teilweise nicht einmal umgesetzt werden mussten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zu vielen Themen, die die Verbraucher ganz elementar betreffen, beispielsweise zu den Fahrgastrechten oder zu den überhöhten Energiepreisen, wird in dem Verbraucherbericht und auch sonst nichts, aber auch gar nichts gesagt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Lieber Herr Zöllmer, da hilft es auch nicht, wenn in vielen Programmen das Wort „Verbraucher“ vorkommt. Davon haben die Verbraucher nichts. Wir brauchen eine Politik für die Verbraucher.

(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damit ist bewiesen, dass Sie davon nichts verstehen!)

   Eines wird in dem Bericht allerdings deutlich, nämlich die Grundausrichtung Ihrer Verbraucherpolitik mit dem Wunsch nach zunehmender staatlicher Bevormundung des Verbrauchers.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das will ich an einigen Beispielen begründen.

   Es ist immer wieder die Rede von der Förderung des nachhaltigen Konsums. In dem Bericht heißt es, der Verbraucher sollte dazu befähigt werden, im Rahmen seiner Konsumentscheidungen auch ökologische, soziale und ethische Aspekte zu berücksichtigen.

(Manfred Helmut Zöllmer (SPD): Genau!)

Meine Damen und Herren, wer soll das denn bewerten? Was sind denn ethische Aspekte?

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das wissen Sie gar nicht!)

Außerdem stellt sich die Frage: Wer kann sich das alles leisten?

(Manfred Helmut Zöllmer (SPD): Das haben wir vermutet!)

Kann sich jeder das, was Sie propagieren, leisten?

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie wollen bewusst den Verbraucher auf Ihre ideologische Linie lenken.

(Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Typisch CDU! – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wollen Wahlfreiheit auf der Basis von Information!)

Nicht anders ist auch zu verstehen, dass Sie in der Landwirtschaft ständig einen Keil zwischen die Biolandwirte und die konventionellen Landwirte treiben und fordern, 20 Prozent der Erzeugnisse sollen Bioprodukte sein.

(Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch langweilig, was Sie sagen!)

Mein Gott, das soll der Markt entscheiden, das hat nicht die Politik zu entscheiden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Verbraucher sollen das entscheiden auf der Basis von Informationen!)

   Das Leitbild unserer Verbraucherpolitik ist nicht der staatlich gelenkte Verbraucher wie bei Ihnen.

(Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist gar nicht der Verbraucher! Das ist der Unterschied!)

Das Leitbild unserer Verbraucherpolitik ist der mündige Verbraucher,

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Das ist ja ganz neu!)

der selbstständige Verbraucher. Er soll entscheiden, was ihm schmeckt und was ihm gefällt. Letztlich soll bei der Konsumentscheidung auch ausschlaggebend sein, was er sich leisten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   In diesem Zusammenhang stellen sich natürlich die Fragen: Welche Rolle spielt dabei die Politik? Was braucht der Verbraucher? Er braucht zuallererst umfassende Informationen, und zwar Informationen, die er auch verstehen kann.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Das ist der Punkt!)

Nicht die Menge der Information und die vielen Vorschriften sind ausschlaggebend, sondern die Aufbereitung ist entscheidend, damit der Verbraucher etwas damit anfangen kann. Da ist Mehr nicht unbedingt besser.

   Das Verbraucherinformationsgesetz, das Sie angesprochen haben, meine Damen und Herren, ist nicht die einzige Grundlage, die Information der Verbraucher zu verbessern.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Vollkommen richtig!)

Es ist dennoch ein wichtiges Feld. Im Übrigen haben wir nie blockiert, auch nicht beim Lebensmittel- und Futtermittelgesetz. Das Gegenteil ist der Fall: Schon lange, bevor Sie diese Idee in dieser Legislaturperiode vorgetragen haben, stand ein entsprechender Antrag von uns auf der Tagesordnung des Ausschusses.

(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sie sind die obersten Verbraucherschützer! Das ist es!)

   Als Zweites braucht der Verbraucher Produktvielfalt, Qualität und Sicherheit der Produkte.

   Das bringt mich dazu, auf den Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Verbraucherpolitik einzugehen. Lieber Herr Kollege Zöllmer, ich sehe keinen Gegensatz zwischen Wirtschaft auf der einen und Verbrauchern auf der anderen Seite; ein solcher Gegensatz ist faktisch nicht vorhanden.

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Beide, sowohl die Wirtschaft – das gilt übrigens auch für die Landwirtschaft – als auch der Verbraucher, haben das gleiche Interesse: gute, qualitativ hochwertige, saubere und sichere Produkte zu Preisen, die sich jeder leisten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daher ist es falsch, von vornherein einen ideologischen Keil zwischen die beiden Seiten zu treiben.

   Ich will Ihnen diesen Zusammenhang einmal am Beispiel der Lebensmittel deutlich machen. Die Land- und Ernährungswirtschaft in unserem Land ist bereit und in der Lage, qualitativ hochwertige Produkte herzustellen und – auch regional – vielfältige Erzeugnisse anzubieten. Das kommt den Verbrauchern zugute. Ihre Regierung schafft durch nationale Alleingänge in den Bereichen Pflanzenschutz und Tierschutz Produktionsbedingungen, die der deutschen Landwirtschaft das Leben im Vergleich zur europäischen Konkurrenz immer schwerer machen. Wenn Sie so weitermachen, dann tragen Sie dazu bei, dass dieser Wirtschaftszweig im eigenen Land immer schwächer und dass dadurch die Produktvielfalt für den Verbraucher immer geringer wird. Das hat mit Verbraucherpolitik nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dem Verbraucher ist am meisten gedient, wenn er unter vielen Produkten – auch unter solchen, die im eigenen Land hergestellt worden sind; das gilt gerade im Lebensmittelbereich – auswählen kann.

   Außerdem benötigt der Verbraucher einen Rechtsrahmen, der ihm Schutz vor defekten und gefährlichen Produkten gewährt. Der Verbraucher muss vor unlauteren Geschäftsmethoden und vor überhöhten Preisen geschützt werden.

   Es wundert mich schon, dass die Verbraucherministerin beispielsweise zu dem Phänomen der überhöhten Energiepreise in unserem Land schweigt. Dazu hat man in den vergangenen Wochen und Monaten überhaupt kein Wort gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie schweigt dazu natürlich, weil sie genau weiß, dass die Regierung selbst einen Großteil der Schuld trägt. Etwa 40 Prozent der Stromkosten sind staatlich bedidngt: durch die Ökosteuer, durch das EEG und durch vieles andere mehr. Das sollte der Verbraucher auch wissen. Die Verbraucherministerin wäre gut beraten, im Kabinett auf dieses Problem hinzuweisen und darauf hinzuwirken, dass dies anders wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber hier gibt es natürlich ideologische Scheuklappen. Es wird klar, dass es Ihnen nicht um die Interessen der Verbraucher, sondern einzig und allein um die Wahrung Ihrer ideologischen Interessen geht.

   Ein Zitat aus einer Pressemitteilung des Ministeriums zum Verbraucherpolitischen Bericht 2004 der Bundesregierung vor einigen Wochen will ich Ihnen nicht vorenthalten:

Eine moderne Verbraucherpolitik, die die Nachfrageseite stärkt, ist also ein wichtiger Motor für wirtschaftliches Wachstum …

Was ist die Realität? Wir haben kein nennenswertes Wachstum und keine Stärkung der Nachfrageseite. Infolgedessen, Frau Minister, können Sie Ihr Geschwafel von der so genannten modernen Verbraucherpolitik dieser Regierung wirklich vergessen. Besser als mit diesem Zitat hätten Sie das Versagen Ihrer Regierung nicht beschreiben können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Bundesministerin Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Wir folgen immer noch dem Motto „Wissen, was drin ist“. „Wissen, was drin ist“ ist in dieser Gesellschaft, in diesem Land immer noch nicht politischer Alltag; es ist noch keine Selbstverständlichkeit. Tatsache ist – trotz dieses sehr sachkundigen und seriösen Redebeitrags meiner Vorrednerin –:

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir müssen in dieser Republik bei jedem Schritt noch immer um Aufklärung, Schutz und Transparenz hart kämpfen. Ich weiß auch, wer uns oder – besser –den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher dabei immer wieder im Wege steht: Frau Hasselfeldt, auch Sie. Die gute Nachricht ist: Wir betreiben das trotzdem.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir haben mit unserem Verbraucherpolitischen Bericht 2004 die Eiszeit von CDU/CSU – so kann man, glaube ich, schon sagen – durchbrochen und kräftig losgelegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Sie müssen diese Meinung nicht teilen. – Frau Hasselfeldt, Sie haben mit Ihrem Beitrag gerade noch einmal wunderbar gezeigt, dass Sie gar nicht wissen, worüber Sie reden. Allein schon durch Ihren Hinweis, bestimmte Dinge seien in Europa und nicht von uns entschieden worden, fühle ich mich bemüßigt, Ihnen das kleine Einmaleins moderner Politik zu erklären: Wir sind Teil der Europäischen Union. Als Teil der EU der 25 gestalten wir die Entscheidungen der Europäischen Union mit. Wir schieben sie sogar manchmal an. Insofern werde ich mich im Guten wie im Schlechten nie auf den Standpunkt zurückziehen: Das hat Europa entschieden und das haben wir entschieden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Als ehemalige Ministerin wissen Sie, Frau Hasselfeldt, das auch sehr genau. Aber Ihnen geht es offensichtlich nicht darum, hier Sachthemen anzusprechen.

   Wir haben das Thema Verbraucherpolitik bzw. Verbraucherschutz auf die Agenda gesetzt und in den letzten vier Jahren gezeigt, was man in diesem Bereich machen muss, worum es geht und dass es in Zukunft noch viel zu tun gibt. Es geht um vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutz, also um den Schutz jedes Einzelnen und der Gesellschaft, um Prävention.

   Lassen Sie mich das am aktuellsten Beispiel darlegen: Lebens- und Futtermittelgesetzbuch. Dabei geht es darum, aus elf Gesetzen endlich ein Gesetz zu machen, in der gesamten Kette wirklich alle Produktstufen miteinander zu verbinden. Dabei geht es auch darum, in höchstem Maße Sicherheit herzustellen, die Organisation so aufzubauen und die Abläufe so zu gestalten, dass man Rückrufaktionen besser durchführen kann; denn eine Rückrufaktion ist gut für beide: für die Wirtschaft, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen, um klar zu zeigen: „Uns könnt ihr vertrauen; wir bemühen uns darum“, und auch für die Gesundheit der Verbraucher. Das heißt, es gibt endlich Transparenz in der gesamten Lebensmittelkette vom Futter bis zur Ladentheke – und das in einem Lebensmittelmarkt, der immer komplizierter wird und in dem man sich mit Conveniencefood aus immer mehr Produkten und Bestandteilen auseinander setzen muss. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir haben hart mit den Ländern ringen müssen, damit sich die Länder bereit erklärten mitzumachen.

   Nächster Punkt: Wirtschaftlicher Verbraucherschutz. Auch hierbei geht es um Schutz. Es geht nämlich darum, dass sich die Menschen im Dschungel der Verträge zurechtfinden und dass sie angesichts immer neuer Angebote und globaler Warenströme, die der normale Mensch nicht immer sofort durchblickt, nicht übers Ohr gehauen werden.

   Viele Märkte, meine Damen und Herren von der Opposition, sehen heute ganz anders aus als vor zehn bis 15 Jahren. Viele Märkte gibt es überhaupt erst seit einigen Jahren. Das A und O ist auch da wieder das Vertrauen der Verbraucher. Nur wenn wir Verbrauchervertrauen aufbauen, werden wir überhaupt in der Lage sein, in diesen modernen Vertragsstrukturen die Potenziale des 21. Jahrhunderts zu nutzen, nicht nur etwas für die Verbraucher zu tun, sondern auch Strukturen zu entwickeln, die am Ende sogar für den Export von Dienstleistungen gelten. Das betrifft den gesamten Telekommunikationsbereich, den Versicherungsbereich und den Markt der Dienstleistungen. Letzterer ist sozusagen der globale Wachstumsmarkt Nummer eins. Das Thema Dienstleistung ist für Europa eines der Themen bei der WTO. Wir wollen die Möglichkeit haben, unsere guten deutschen Dienstleistungen anzubieten, aber immer und überall, also nicht nur hier, sondern auch international, auf einem hohen Niveau: Made in Germany. Dazu gehören für uns Transparenz und Information für die Verbraucher, egal ob etwas hier oder woanders angeboten wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Da gehören Verbraucherpolitik und wirtschaftlicher Erfolg zusammen. Ich freue mich darüber, dass auch die CDU/CSU schon davon redet. Als ich vor drei, vier Jahren hier stand, wurde in der Regel noch gesagt, Verbraucherpolitik störe die wirtschaftliche Entwicklung. Insofern bin ich froh darüber, dass Sie bei uns abschreiben. Ich sage Ihnen aber eines ganz klar: Wir werden an dieser Stelle auch weiter ordnungspolitisch handeln. Niemand will nämlich von Spam, von unerwünschter Werbung im Internet, überrollt werden. Niemand soll mit 0190er-Nummern im wahrsten Sinne des Wortes über den Tisch gezogen werden.

Wir haben das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geändert, was Mondpreise und Lockvogelangebote angeht. Ich nenne auch das Telekommunikationsgesetz. Wir wollen zusätzlich das Teledienstegesetz ändern; der Entwurf soll heute in erster Lesung behandelt werden. All das sind Erfolge, die sozusagen gerade die sozioökonomisch schwachen Familien in dieser Republik schätzen, weil insbesondere sie jede Menge schlechter Erfahrungen gemacht haben.

   Es geht auch um Informations- und Beratungsleistungen. Bei der Prospektrichtlinie geht es um die Frage, welche Informationen ein Prospekt über die darin enthaltenen Dienstleistungen enthalten muss. Da muss Transparenz her durch mehr Informationen; damit steigt dann auch die Qualität. Sie dagegen haben sonst immer den Einwand vorgebracht, das würde die wirtschaftliche Tätigkeit stören. Ich wundere mich auch, dass sich die Opposition bei den Beratungen über diese Punkte gegen Mindestqualifikationsanforderungen gewehrt hat. Mir ist es nicht egal, wer in dieser Republik die Menschen berät, die eine Lebensversicherung abschließen wollen. Wer sein sauer verdientes Geld in eine Lebensversicherung investiert, hat meines Erachtens einen Anspruch darauf, dass die Politik dafür sorgt, dass die Berater eine Mindestqualifikation haben. Das ist Aufgabe der Verbraucherschutzpolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das werden wir zum Beispiel beim Versicherungsvermittlungsgesetz, notfalls auch gegen Ihren Widerstand, umsetzen.

   Ich sehe mich veranlasst, noch eines in Richtung Opposition zu sagen: Als Juristin kommt mir angesichts Ihres Verhaltens relativ schnell und natürlich der schöne juristische Ausdruck „Tun durch Unterlassen“ in den Sinn. Das ist das, was Sie machen: Sie reden hier zwar nett, aber in Wahrheit sind Sie an keiner Stelle eine wirkliche Hilfe, um Verbraucherschutzpolitik umzusetzen, nicht einmal dann, wenn Ihre Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat aktiv sind. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich an dieser Stelle endlich aktiv mit der Frage des Rechts auf Information auseinander setzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir wollen nicht, dass die Menschen Verträge aufgeschwatzt bekommen, und zwar mit Blick auf wirklich alle wirtschaftlichen Bereiche. Somit reicht es nicht, wenn Sie Ihre Bereitschaft andeuten, sich beim Verbraucherinformationsgesetz zu bewegen.

   Das gilt übrigens auch, meine Damen und Herren, für die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie. Auch hier darf nicht zugelassen werden, dass der Verbraucherschutz hintenansteht. Auch wenn Liberalisierung und die Schaffung besserer Entfaltungsmöglichkeiten der Wirtschaft innerhalb des Binnenmarktes der EU nötig sind, müssen wir nichtsdestotrotz darauf achten, dass unsere Schutzstandards für die Gesundheit der Menschen nicht abgesenkt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich sage es ganz klar: Es darf keine Liberalisierung auf Kosten der Umwelt und keine Liberalisierung auf Kosten der Gesundheit geben. Deshalb werden wir auch für Veränderungen und Klarstellungen kämpfen, zum Beispiel wenn es darum geht, den ordentlichen fachlichen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln sicherzustellen. Daran haben wir ein doppeltes Interesse: ein wirtschaftliches, weil wir nicht wollen, dass zum Beispiel Obst und Gemüse aus Deutschland ins Gerede kommen, und ein gesundheitliches, weil wir nicht wollen, dass durch Dienstleister aus anderen EU-Mitgliedstaaten die Standards unterlaufen werden und wir dann das Problem von erhöhten Rückständen in den Lebensmitteln haben. Genau das wollen wir nicht, stattdessen wollen wir dafür sorgen, dass höhere Standards in der EU umgesetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir haben schon mehr Erfolge erzielt, als im Bericht, der Ihnen heute vorliegt, vermerkt sind. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Thema der Überschuldung von Kindern durch den Gebrauch von Handys zu sprechen kommen. Das Thema der Überschuldung von Kindern und Jugendlichen muss eines der zentralen Themen im Bereich der Verbraucherschutzpolitik sein, weil die Kinder heutzutage mit ganz neuen Vertragsstrukturen konfrontiert sind, die wir in unserer Kindheit und Jugend nicht kannten. Damals konnte man 20 Pfennig irgendwo ausgeben oder sie in die Spardose stecken. Heute ist es so, dass die Kinder bei der Benutzung von Internet und Handy nicht merken – sie sind da noch schwächer als die Erwachsenen –, dass sie Verträge abschließen und wie teuer sie das kommt.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Kinder können keine Verträge abschließen!)

Zugleich werden sie massiv von Werbung beeinflusst, die versucht, von ihnen das Geld abzuziehen.

   Deshalb bin ich froh, dass wir es geschafft haben, dass nicht nur mehr Klarheit durch einige gesetzliche Regelungen im Telekommunikationsbereich geschaffen wurde – so muss zum Beispiel angegeben werden, wie teuer eine Dienstleistung ist –, sondern dass darüber hinaus nach fast einjährigen Gesprächen mit Telefonunternehmen vonseiten der Wirtschaft den Eltern zwei neuartige Vertragsformen für die Handys ihrer Kinder angeboten werden. Das sind endlich ordentliche Angebote für Kinder mit ordentlichen Tarifen, bei denen die Mehrwertdienste, die ungeheuer viel Geld kosten, grundsätzlich ausgeschlossen werden können.

Das ist die Alternative zur Prepaidcard.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Seit einigen Tagen haben wir zwei auf dem Markt. Alle haben verstanden, warum die Eltern sich für eine Prepaidcard entscheiden. Wer sich auskannte, wusste allerdings, dass man für die Prepaidcard einen zu teuren Tarif zahlen muss.

   Sie sehen, dass man den Verbraucherinteressen auf zwei Arten dienen kann: mit ordnungspolitischen Maßnahmen, aber auch mit freiwilligen Maßnahmen der Wirtschaft. Hier haben zwei Anbieter ihre Chancen auf dem Markt erkannt. Guter Kundenservice wurde da mit dem Interesse der Verbraucher, nicht zu viel an Handygebühren zu zahlen, verbunden.

   Wir werden das auch in vielen anderen Bereichen tun: notwendige ordnungspolitische Maßnahmen mit Maßnahmen der Wirtschaft auf freiwilliger Basis verbinden. Die Wirtschaft soll das machen, was ihr möglich ist. Den wirtschaftlichen Vorteil, den sie dadurch hat, dass sie als Erste solche Vertragsstrukturen und Angebote einführt, kann sie dann auch auf dem europäischen oder internationalen Markt nutzen.

   Für uns ist aber eines wichtig: Die Zukunft von Kindern und Jugendlichen dürfen wir an dieser Stelle nicht dem Zufall überlassen. Wenn wir uns die Verschuldungsstatistiken anschauen, stellen wir fest, dass wir vonseiten der Verbraucherpolitik noch eine Vielzahl von Vertragsstrukturen durchkämmen und sie so gestalten müssen, dass sie für Kinder und Jugendliche akzeptabel sind.

   Ich will aber im Zusammenhang mit dem Thema der Rolle der Unternehmen noch einen anderen Punkt ansprechen. Da muss ich auf Sie eingehen, Frau Hasselfeldt. Bei Ihrer Rede habe ich, ehrlich gesagt, einen Augenblick das Gefühl gehabt, Sie machen jetzt die Kühlschranktür auf und lassen einen kalten Hauch heraus, was ich von Ihnen gar nicht erwartet habe. Sie haben gesagt, die Verbraucher müssten selber entscheiden und sich fragen, was sie sich leisten können. Das ist der Anfang von einer langen Strategie, die bei „Geiz ist geil“ endet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): So ein Blödsinn!)

Das sage ich ganz bewusst. Sie haben auf der einen Seite so getan, als wollten Sie verbraucherpolitisch vorwärts kommen, haben aber auf der anderen Seite den Punkt angeführt: Was können sie sich überhaupt leisten?

(Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Wegen Ihrer Wirtschaftspolitik!)

   Wir müssen die Verbraucher an dieser Stelle genau aufklären über die Frage, was ihr Handeln jeweils bewirkt. Ich nenne das Beispiel Kinderspielzeug. Wir wollen eine Zertifizierung. Da geht es nicht nur um die Frage, was sich die Verbraucher leisten können. Es geht natürlich nicht, dass hier ein Mädchen mit einer süßen Puppe und leuchtenden Augen steht, während da hinten der Arbeiterin die Augen tränen, weil sie für 30 oder 40 Euro im Monat arbeiten muss. Es geht aber auch darum, dass die Verbraucher Verantwortung haben

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Wissen Sie eigentlich, was ein Verbraucher in Deutschland verdient?)

und dass zum Beispiel beim Kinderspielzeug erkennbar ist, woher es kommt, damit die Verbraucher eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gitta Connemann (CDU/CSU): Sie müssen es doch nicht bezahlen!)

   Dieses Ziel werden wir weiterhin verfolgen. Ich glaube und hoffe, dass am Ende dieses Jahres die Puppe unter manchem Weihnachtsbaum notfalls 10 Euro mehr kostet, dass dafür dieses aber für die asiatischen Arbeiterinnen hinsichtlich ihrer Entlohnung akzeptabel ist. Dieses Thema hat schon auf der Spielwarenmesse eine Rolle gespielt und da besteht Offenheit.

   Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das Verbraucherinformationsgesetz. Wir hören vonseiten der CDU/CSU immer wieder, dass sie Verbraucherpolitik machen wolle. Da sage ich ganz klar: Dann machen Sie es endlich! Vor einiger Zeit hat uns zwar ein Antrag zum Thema Verbraucherinformation vorgelegen, aber wir lesen auch das Kleingedruckte. Wenn vorne Verbraucherinformation gefordert wird, es anschließend aber heißt, dass es Verbraucherinformation nur dann geben könne, wenn das eines Tages in der EU ein Thema sei, dann ist es verlogen, hier heute zu sagen, Sie seien bei diesem Thema vorne gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich sage Ihnen ganz klar: Wir haben eine entsprechende Vorlage im Bundesrat. Das Verbraucherinformationsgesetz ist mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetz verbunden. Wenn Sie Verbraucherpolitik machen wollen, wenn Sie endlich wegwollen von der mittelalterlichen Haltung, Akten gehörten den Behörden und seien deshalb vor dem Volk geheim zu halten, dann sagen Sie hier Ja zum Verbraucherinformationsgesetz! Hören Sie auf mit den Fisimatenten in Bezug auf Europa und anderes! Wir haben ein Gesetz für Bundesbehörden vorgelegt und Sie können sich nicht einmal hinter der Aussage verstecken, dass der Bund erst einmal sagen solle, wie die Länder das bezahlen sollen. Sagen Sie einfach Ja – wie bei einer Eheschließung! Verbünden Sie sich mit den Verbrauchern!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gitta Connemann (CDU/CSU): Dann lieber unverheiratet!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.

Gudrun Kopp (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich muss feststellen, Frau Ministerin Künast: Wer bei diesem Thema mit Ihnen eine Ehe eingeht, ist hoch gefährdet.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben gesagt, Ihnen sei wichtig, zu wissen, was drin ist. Ich sage: Noch viel wichtiger ist, zu wissen, was eigentlich gemeint ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die Interessen der Verbraucher ernst zu nehmen ist höchstes Ziel der sozialen Marktwirtschaft. Jede Firma, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen am Markt erfolgreich sein möchte, hat sich an dem zu orientieren, was die Verbraucher nachfragen. Das sind beispielsweise Informationen, Produktsicherheit und die gesamte Palette dessen, was die Verbraucher in die Lage versetzt, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Ich wehre mich ganz vehement gegen Ihre Unterstellung, dass es der anderen Seite dieses Hauses, also CDU/CSU und FDP, nur darum ginge, weniger Gesundheitsschutz und weniger Rechte für Verbraucher zu installieren. Das ist wirklich eine perfide Unterstellung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das sind Tatsachen!)

   Glauben Sie wirklich, wir wollten nicht, dass alle Menschen gesundheitlich unbedenkliches Spielzeug für ihre Kinder kaufen können? Meinen Sie wirklich, wir wollten mit ansehen, wie die Augen der Eltern und der Kinder tränen, weil sie mit bedenklichen Inhaltsstoffen in Berührung kommen? Darüber müssen wir doch nicht diskutieren. Ihre Behauptung zu diesem Punkt ist unter Niveau.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gitta Connemann (CDU/CSU): Das ist auf den Punkt gebracht! – Helmut Heiderich (CDU/CSU): Das ist Künast-Niveau!)

   Für die FDP ist Verbraucherpolitik ein originäres Freiheitsthema. Wir möchten die Verbraucher in die Lage versetzen, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Wir möchten nicht, dass die Politik – wie im Falle von Rot-Grün – versucht, sie zu manipulieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind gegen den manipulierten Verbraucher. Wir möchten den Verbrauchern offen sagen, was hinter all diesen Plattitüden steckt.

   Marktmacht ist wichtig. Sie ist auch wichtig bei einer Selbstverpflichtung der Unternehmen. Ich möchte Ihnen dazu ein gutes Beispiel nennen. Angesichts der etwa 3 Millionen überschuldeten Haushalte in Deutschland hat sich das „Girokonto für jedermann“ bewährt, das Banken und Kreditinstitute im Rahmen einer freiwilligen Vereinbarung ermöglichen. Der letzte Bericht an die Bundesregierung zu diesem Thema, den wir alle hoffentlich zur Kenntnis genommen haben, zeigt, dass dies ein gangbarer Weg ist. Dieses Beispiel „Girokonto für jedermann“ zeigt, dass man mit freiwilligen Vereinbarungen auf privatrechtlicher Ebene Menschen in Not wirklich helfen kann.

(Jella Teuchner (SPD): Das funtioniert doch gar nicht!)

   Wir Liberale wollen besondere Rechte für Verbraucher installieren. Für uns Liberale ist es beispielsweise unmöglich, dass Sie es zugelassen haben, dass die Konten von Bürgern – Stichwort: gläsernes Bankkonto – eingesehen werden können. Außerdem wollten Sie nicht, dass wenigstens im Nachhinein die Kontoinhaber über diese Prüfung informiert werden.

(Jörg van Essen (FDP): Unmöglich!)

Das ist eine Aushöhlung des Rechtsschutzes der Kontoinhaber, sozusagen eine Entrechtung.

(Martin Dörmann (SPD): Das ist doch Blödsinn!)

Die FDP hat dafür sorgen können, dass wenigstens im Nachhinein eine Information der Kontoinhaber erfolgt. Zu diesem Punkt haben Sie nichts gesagt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Für eine bessere Information der Verbraucher und für die Stärkung ihrer Stellung am Markt hätten wir Liberale uns gewünscht, dass Sie sich ein Beispiel an der Regelung der Fluggastrechte nehmen und sich vehement dafür einsetzen, dass auch Bahnkunden ein Recht auf Schadenersatz erhalten und nicht als Bittsteller auf irgendwelche freiwilligen Vereinbarungen angewiesen sind. Bahnkunden können keine Rechte in Anspruch nehmen, wie es eigentlich wünschenswert wäre. Es ist also sehr wichtig, dass auch Bahnkunden mehr Rechte erhalten. Diesen Aspekt haben Sie aber völlig hintangestellt.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben sich mit einer Vereinbarung zufrieden gegeben, die nicht hält, was sie verspricht.

   Stimmen Sie endlich zu – das ist fast schon ein Ladenhüter –, dass die Länder selber über den Ladenschluss entscheiden können und halten Sie nicht weiterhin an der alten Regelung fest!

   In der Energiepolitik lassen Sie es zu, Frau Künast, dass Bürger in unserem Land, die aufgrund Ihrer katastrophalen Wirtschaftspolitik zum Teil in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, absolut hohe Energiepreise zu tragen haben. Sie halten es für völlig normal, dass den Bürgern zusätzliche Lasten aufgebürdet werden, denn 40 Prozent der von Privaten zu zahlenden Energiepreise sind staatlich verursacht. Sie lassen es zu, dass den Bürgern diese Preiserhöhungen zugemutet werden.

   Sie unternehmen gar nichts, um die Regulierung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs auf den Weg zu bringen, damit wir auf diesem Gebiet mehr Wettbewerb bekommen. In dieser Hinsicht hört man von Ihnen überhaupt nichts. In der Koalition gibt es seit Monaten Streit darüber, wie ein solches Energiewirtschaftsgesetz auszusehen hat. Inzwischen leiden die Verbraucher darunter; sie zahlen die Zeche, während Sie zuschauen und so tun, als leisteten Sie in der Verbraucherpolitik genug.

(Beifall des Abg. Ernst Burgbacher (FDP) – Martin Dörmann (SPD): Das war nicht sehr überzeugend!)

   Eine letzte Anmerkung zur Dienstleistungsrichtlinie, Frau Ministerin Künast: Ihr Kollege Clement hat in seinem Jahreswirtschaftsbericht ausdrücklich ausgeführt, wie wichtig diese Dienstleistungsrichtlinie hinsichtlich der nötigen wirtschaftlichen Entwicklung und der Schaffung von Arbeitsplätzen auch für den Standort Deutschland ist. Ich habe ihn nicht so verstanden – wir als Liberale sehen es selbstverständlich auch nicht so –, dass diese Dienstleistungsrichtlinie zulasten von Sicherheits- und Gesundheitsstandards gehen soll. Wir müssen Wege finden, wie wir innerhalb des Europas der 25 den Binnenmarkt auch auf diesem Gebiet verwirklichen. Dabei werden wir sehr genau darauf achten, dass dies in einer Weise erfolgt, dass auch die Bürger unseres Landes davon profitieren können. Eine Diffamierung dieser Richtlinie ist also nicht angebracht.

(Beifall bei der FDP)

   Zum Abschluss: Wir als Liberale sind dagegen, die Verbraucher zu gängeln und sie mit Bürokratie zu traktieren; wir wenden uns dagegen, dass dies fortgesetzt wird, denn das Thema Freiheit ist wichtig.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteilte Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion, das Wort.

Gabriele Hiller-Ohm (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Ziel ist es, Verbraucherinteressen von Anfang an in alle wichtigen Politikbereiche einzubeziehen. Das ist uns in den letzten Jahren schon sehr gut gelungen. Als Beleg dafür greife ich nur die Verbraucherrechte bei Finanzdienstleistungen und Kapitalanlagen auf. Wir haben beim Verbraucherministerium ein Referat für Finanzdienstleistungen eingerichtet und diesem Bereich damit eine neue Qualität verliehen. Diese Strukturveränderung hat sich bereits hervorragend bewährt. So sind wir ein gutes Stück weitergekommen, zum Beispiel beim Anlegerschutz und bei der privaten Altersvorsorge.

   Mein erstes Beispiel bezieht sich auf den Anlegerschutz: Wir erinnern uns sicherlich alle an den so genannten Schrottimmobilienskandal. Wertlose Immobilien wurden mit falschen Versprechungen zu deutlich überteuerten Preisen an den Mann und an die Frau gebracht. Möglich wurde dieser Skandal, weil Banken und Bausparkassen mit freiberuflichen Immobilienvermittlern zusammengearbeitet haben, die an keine verbindlicheren Informationspflichten als Losverkäufer auf dem Jahrmarkt gebunden waren. Damit ist jetzt Schluss. Nach unserer Reform des Anlegerschutzgesetzes dürfen Immobilien- und Wertpapiervermittler nicht mehr mit unbewiesenen Versprechungen arbeiten, für die sie anschließend nicht haftbar gemacht werden können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das zweite Beispiel betrifft die private Altersvorsorge. Auch bei der Riester-Rente haben wir den Verbraucherschutz weiter gestärkt, zum Beispiel durch Entbürokratisierung bei der Antragstellung auf staatliche Zulage, durch die Gleichstellung von Männern und Frauen bei den Tarifen und durch verbesserte Informationspflichten. Diese Verbraucherorientierung sollte auch Vorbild für eine Neugestaltung des Versicherungsvertragsrechts sein. Damit bin ich bei den Projekten, die noch vor uns liegen.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Was ist mit denen?)

So werden wir zum Beispiel das nationale Versicherungsvertragsrecht und die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Versicherungsvermittlungsrecht beackern. Unser Versicherungsvertragsrecht, meine Damen und Herren, stammt aus dem Jahre 1907 und bedarf dringend einer Auffrischung. Nutzen wir die Gelegenheit, verbraucherpolitische Korsettstangen einzuziehen und die Wettbewerbsbedingungen für Versicherungsprodukte gerechter zu gestalten!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wie sieht es heute aus? Der Abschluss einer Kapitallebensversicherung bringt dem Vermittler in der Regel sofort eine saftige Provision in voller Höhe. Bei der verbraucherfreundlichen Riester-Rente hingegen verteilt sich seine Provision über fünf Jahre. Zu welchem Produkt wird der Vermittler wohl raten? Eine Gleichstellung der Anlageprodukte würde der Riester-Rente endlich den Schub verleihen, den sie braucht, und wir hätten weniger Sorgen mit der privaten Altersabsicherung in Deutschland.

   Auch die Umsetzung der EU-Versicherungsvermittlungsrichtlinie wird die Stellung des Verbrauchers im Versicherungsdschungel stärken. Eine Verpflichtung zur besseren Beratung soll vor teuren Fehleinschätzungen schützen. Heute sind die meisten Menschen in unserem Land schlichtweg falsch versichert. So meinen sie, mit einer Kapitallebensversicherung die richtige Wahl getroffen zu haben. Fehlanzeige, denn fast 80 Prozent dieser Versicherungen werden – mit erheblichen Kosten für den Versicherungsnehmer – vor Vertragsablauf gekündigt oder auf Eis gelegt.

(Helmut Heiderich (CDU/CSU): Weil die Menschen alle arbeitslos werden!)

Viele Deutsche haben eine Unfallversicherung und meinen, damit gegen Invalidität abgesichert zu sein. Welch ein Trugschluss, denn in den meisten Fällen von Invalidität und Tod zahlt die Versicherung keinen einzigen Cent.

   Mit dem neuen Gesetz wollen wir sicherstellen, dass Vermittler ihren Kunden nicht mehr das Blaue vom Himmel versprechen dürfen, um an eine fette Provision zu gelangen. Sie sehen, unsere Politik zieht in die richtige Richtung.

   Wie aber sieht es bei der Opposition aus? Auch wenn Sie heute, ohne rot zu werden, verbal sogar die Verbraucherzentralen noch überholen wollen, so bleibt doch die Tatsache, dass Sie keine Politik für die Verbraucher machen. Im Gegenteil, Sie benutzen die Verbraucherinnen und Verbraucher, um andere Interessen durchzusetzen. Ich erinnere nur an die Reform des Alterseinkünftegesetzes. Wir wollten die Besserstellung von Lebensversicherungen komplett abschaffen. Sie haben diese Privilegierung bis zuletzt verteidigt, Verbraucherinteressen vorgeschoben und argumentiert, eine Abschaffung bedeute Steuererhöhungen zulasten der Verbraucher. In Wirklichkeit aber ging es Ihnen nur darum, Ihren Freundinnen und Freunden aus der Versicherungsbranche Pfründe zu sichern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Helmut Heiderich (CDU/CSU): Wie billig!)

Ich bin sicher, dass wir auch bei der anstehenden Umsetzung der EU-Versicherungsvermittlungsrichtlinie auf Ihren Widerstand stoßen werden, wenn es darum geht, Verbraucherrechte gegen die Versichererlobby zu stärken.

   Einen fortschrittlichen Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen und Kapitalanlagen gibt es nur mit Rot-Grün, meine Damen und Herren. Dies wissen die Menschen zum Glück. Deshalb freue ich mich als Schleswig-Holsteinerin auch schon auf das Wahlergebnis am kommenden Sonntag.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Wahlkampf!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ursula Heinen (CDU/CSU):

Herr Präsident! Sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon abenteuerlich, wie sich die Ministerin in ihrer Rede gerade mit fremden Federn geschmückt hat. Sie hat gesagt, die Regierung habe im Hinblick auf die 190er-Nummern und auf Spam etwas durchgesetzt. Wie war es aber wirklich? Meine Kollegin Martina Krogmann, die bei uns für diesen Bereich zuständig ist, hatte zweimal die Initiative ergriffen und Gesetzentwürfe und Anträge vorgelegt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Beim Thema Spam hat sie beispielsweise im März 2004 – das ist jetzt fast ein Jahr her – einen Antrag vorgelegt, der von Ihnen in der vergangenen Woche aufgegriffen

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Lesen dauert!)

und mit einem Anti-Spam-Gesetz verbunden wurde, das heute – dies zeigt, wie wichtig Ihnen dieses Thema ist – um 23 Uhr im Plenum des Bundestages diskutiert werden wird. Wir sollten einmal betonen, von wem die Initiativen in diesem Bereich ausgehen: von den Unionsfraktionen und mit Sicherheit nicht von den Koalitionsfraktionen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Martin Dörmann (SPD): Karneval ist doch vorbei!)

   Ein weiteres Thema – da können wir heute gerne die Nagelprobe machen – ist das Verbraucherinformationsgesetz. Vorhin wurde es als Erfolg bezeichnet, dass wir über ein Verbraucherinformationsgesetz diskutieren, das sich nur auf den Bereich Lebensmittel bezieht und das Teil des neuen Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches werden soll.

(Jella Teuchner (SPD): Was wollen Sie denn? Sie verhindern doch alles!)

Es wird zurzeit im Vermittlungsausschuss behandelt.

   Heute wird auch über unseren Antrag zu einem Verbraucherinformationsgesetz abgestimmt, das nicht nur den Bereich der Lebensmittel, sondern alle Produkte betreffen soll. Da frage ich Sie: Was ist denn für die Verbraucher besser, ein gesondertes Verbraucherinformationsgesetz, das alle Produkte mit einbezieht, oder ein Verbraucherinformationsgesetz,

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Frau Heinen, jetzt fangen Sie mal an, sich zu schämen! Das ist doch wohl eine Frechheit!)

das sich ausschließlich mit dem Bereich der Lebensmittel befasst? Lesen Sie unseren Antrag durch!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Heute steht die Beschlussempfehlung des Ausschusses zur Abstimmung. Ich kann Sie nur auffordern, uns zuzustimmen, wenn Sie es mit den Verbraucherinteressen ernst meinen.

(Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Dass Ihnen die Zunge nicht abfällt, wundert mich!)

Stimmen Sie für ein Verbraucherinformationsgesetz, das alle Produkte betrifft, und dagegen, es nur auf Lebensmittel zu konzentrieren und es dann noch in ein Gesetz einzubauen, in das es überhaupt nicht gehört!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung zeigt eines ganz deutlich – nichtsdestotrotz teilen wir die Auffassung, dass es eine gute Sache ist, einen solchen Bericht vorzulegen –: Es werden unglaublich viele Versprechungen gemacht. Es werden richtig teure Kampagnen gestartet,

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Ja, richtig teure!)

ohne dass die einzelnen Themen nachhaltig – sprich: dauerhaft und konsequent – behandelt werden. Hier wird vieles medienwirksam angekündigt, ohne dass den wohlklingenden Worten auch tatsächlich Taten folgen.

   Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen: die Plattform „Ernährung und Bewegung“, die im vergangenen September mit viel Aufwand gestartet wurde

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Ganz pompös!)

und von der wir seit einem halben Jahr nichts mehr gehört haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gab noch ein Buch der Ministerin dazu; aber außer dem Gründungskongress haben wir von dieser Plattform nichts mehr gehört. Jetzt habe ich irgendwo gelesen, dass es im März eine Mitgliederversammlung geben soll.

   Hinzu kommt, dass sich das Verbraucherministerium und das Gesundheitsministerium bei dem wichtigen Thema der Ernährung nicht ganz einig darin sind, wer tatsächlich die Federführung hat. Morgen wird in erster Lesung der Entwurf eines Präventionsgesetzes des Gesundheitsministeriums diskutiert; auch darin gibt es einen großen Bereich, der sich mit Ernährung befasst. Ich habe dem Ministerium die Frage gestellt, wer eigentlich zuständig ist und die Federführung hat. Die Antwort lautete, dass die Verbraucherministerin und die Plattform „Ernährung“ gerne eingeladen sind, sich in die Stiftung „Prävention“ einzubringen und dort mitzuarbeiten.

8Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Weil Ernährung uns alle angeht!)

Aber das ist keine Federführung durch das Verbraucherministerium!

   Ein weiteres Thema, das uns beschäftigt hat, sind die Dioxine in Hühnereiern. Ich möchte jetzt aus dem Verbraucherpolitischen Bericht der Bundesregierung zitieren. Da heißt es nämlich:

Die Bürgerinnen und Bürger müssen darauf vertrauen können, dass die angebotenen Produkte gesundheitlich unbedenklich und sicher sind.

Schon bei einem begründeten Verdacht, dass Lebensmittel gesundheitlich bedenklich sein könnten, werde gehandelt. Weiter heißt es:

Auch wenn noch Unsicherheiten in der wissenschaftlichen Bewertung bestehen und deshalb noch keine Klarheit über das Ausmaß bestimmter Gesundheitsgefahren vorliegt, wird unter Anwendung des in der EU etablierten Vorsorgeprinzips gehandelt und nicht abgewartet, bis durch zeitaufwendige wissenschaftliche Untersuchungen abgesicherte Ergebnisse vorliegen, die den Verdacht bestätigen oder entkräften.

Das ist Ihr Prinzip; das schreiben Sie nieder. Das heißt, sobald der Verdacht besteht, dass etwas nicht in Ordnung ist, informieren Sie.

   Beispiel: Dioxine. Wann haben Sie etwas gewusst?

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Viel zu spät! – Gitta Connemann (CDU/CSU): Richtig, das war ein Skandal!)

Vor gut zweieinhalb Jahren wussten Sie, dass in Freilandeiern Dioxine enthalten sein können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Martin Dörmann (SPD): Das ist schön länger bekannt! Das weiß jeder, der sich damit beschäftigt!)

Warum haben Sie die Bevölkerung nicht informiert? Weil es, wie es Frau Hasselfeldt vorhin deutlich gemacht hat, nicht zu Ihrer ideologische Sichtweise passt, dass mit Freilandeiern irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte.

   Das empfinde ich als Verbraucherin als eine grobe Täuschung. Sie wollen, dass die Verbraucher Freilandeier essen, weil Ihnen das besser passt. Gestern habe ich mir erneut die Internetseiten auf www.freiheit-schmeckt-besser.de angesehen; das kann ich Ihnen nur empfehlen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auf der Hauptseite steht noch immer kein Wort von der Dioxinbelastung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das letzte Mal auch schon nicht! – Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Da kann man nur Bioeier empfehlen!)

Nur wenn man sich mühsam durch die Seiten klickt, findet man dazu einen kleinen Hinweis.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein wissenschaftlicher Abriss ist das!)

Was Sie machen, ist Verbrauchertäuschung; denn die Fakten passen überhaupt nicht in Ihre Ideologie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Julia Klöckner (CDU/CSU): Sie spielen mit gezinkten Karten!)

   Ein nächstes Beispiel. Als der Verbraucherpolitische Bericht im Kabinett vorgestellt wurde – hier im Plenum haben wir über ihn schon einmal kurz diskutiert –, haben Sie das Beispiel Schrottimmobilien angeführt. Das haben Sie allerdings nicht im Bericht getan, sondern – das ist ja die Art, wie Verbraucherpolitik von Ihnen betrieben wird: Sie kündigen etwas an – in einem Interview im Nachrichtenmagazin „Stern“. Dort haben Sie ausgeführt, dass das ein wichtiges Thema sei und man in dieser Frage unheimlich viel tun müsse. Hier teilen wir zwar Ihre Auffassung, wissen aber auch, dass es juristisch unglaublich schwierig ist, nachträglich etwas zu unternehmen, um den Verbrauchern zu helfen.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir machen es trotzdem!)

Sie aber haben sich sogar auf die Aussage versteift – auch das möchte ich zitieren –: „Der Fall Badenia ist so etwas wie der BSE-Fall im Bankenbereich.“ Das waren im vergangenen Winter Ihre Worte.

   Mittlerweile sind Monate vergangen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, genau! Monate!)

Wenn dieser Fall tatsächlich der BSE-Fall im Bankenbereich ist, dann frage ich mich: Warum sitzen Sie hier so gelassen? Warum haben Sie noch keine entsprechende Initiative eingebracht?

(Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Eine sehr gute Idee!)

Warum haben Sie noch nicht mit dem Finanzministerium und dem Justizministerium gesprochen? Warum passiert nichts?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage es Ihnen: weil es Ihnen nicht passt. Sie kündigen Themen an und lassen sie wieder fallen, als seien es heiße Kartoffeln, wenn Sie merken, dass Sie damit überfordert sind, tatsächlich etwas zu unternehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie haben das Thema Überschuldung erwähnt. Die Überschuldung privater Haushalte ist in der Tat ein gravierendes Problem. Dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zufolge waren rund 2,77 Millionen Haushalte überschuldet; mittlerweile geht man schon von über 3 Millionen überschuldeter Haushalte aus. Wie reagieren Sie darauf? Es ist nicht etwa so, dass Sie Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik ändern, damit wieder mehr Menschen Arbeit bekommen. Vielmehr geben Sie ein Handbuch für Schuldnerberater heraus und informieren zum Beispiel darüber, wie man sich besser schützen kann und wie man besser mit den Banken verhandelt. Stattdessen sollten Sie lieber an die Wurzel des Problems gehen und sagen, wo Sie etwas besser oder anders machen wollen; denn gegen diese Verschuldung können wir nur ankämpfen, indem wir eine andere Wirtschaftspolitik betreiben.

   Zum Schluss meiner Rede kann ich nur sagen: Statt Kampagnen zu starten, sollten Sie das Geld lieber in Unternehmen bzw. direkt in die Wirtschaft investieren; es wäre besser, Sie würden die Unternehmen unterstützen.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sollen Unternehmen finanzieren? – Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also doch wieder diese Vorschläge! Das ist ja interessant! – Gegenruf des Abg. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Sie sollen gucken, dass die Leute Arbeitsplätze kriegen! Sie sollen bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffen!)

– Sie sollten die Unternehmen mit einer vernünftigen Steuer- und Wirtschaftspolitik unterstützen, damit in Deutschland wieder Arbeitsplätze entstehen und damit in diesem Land nicht über 5 Millionen Menschen arbeitslos sind; das würde uns mehr helfen. Sie aber geben das Geld für Kampagnen aus, die nur der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Ministerin dienen, allerdings weniger den Verbraucherinnen und Verbrauchern.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Matthias Berninger, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgeordnete Heinen hat eben erneut versucht, den Eindruck zu erwecken, dass bei Freilandeiern eine besondere Gesundheitsgefährdung in Bezug auf das Supergift Dioxin vorliege.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat sie so nicht gesagt!)

Vor dem Hintergrund, dass in den vergangenen Wochen von verschiedenen Seiten versucht worden ist, diesen Eindruck zu erwecken, sehe ich mich veranlasst, zwei Dinge klarzustellen.

   Erstens. Die Untersuchungsämter der Länder, allen voran die Länder Baden-Württemberg und Bayern, haben in den letzten Monaten intensiv an diesem Thema gearbeitet. In den letzten Wochen haben sie die Anzahl der Proben noch einmal erheblich erhöht. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass bei Freilandeiern oder gar bei Eiern aus dem ökologischen Landbau keine erhöhte Dioxinbelastung, die zu einer besonderen Gesundheitsgefährdung führt, vorliegt. Vor diesem Hintergrund hat auch der niedersächsische Landschaftsminister vor laufender Kamera seine ursprünglichen Ratschläge an die Verbraucherinnen und Verbraucher, in Zukunft auf den Konsum von Freilandeiern zu verzichten, wieder zurückgenommen.

Ich erwarte von Ihnen daher, dass Sie Verantwortung zeigen und den Verbraucherinnen und Verbrauchern kein X für ein U vormachen, dass Sie diese fachlichen Erkenntnisse in Ihre Rede einfließen lassen und aufhören, zu behaupten, es gebe hier eine besondere Gesundheitsgefährdung durch Freilandeier. Diese Behauptung halten Sie ja nur deshalb aufrecht, weil Sie von der Unionsfraktion sich weiter vor den Karren der Käfighalterinnen und -halter in Deutschland spannen lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Heinen, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.

Ursula Heinen (CDU/CSU):

Staatssekretär Berninger, was Sie gerade gesagt haben, ist wieder eine Täuschung der Verbraucherinnen und der Verbraucher. Wir wissen aus allen Untersuchungen, dass die Belastung von Freilandeiern mit Dioxinen höher ist als die Belastung von Eiern aus Käfighaltung.

(Widerspruch bei der SPD)

Das belegen alle Untersuchungen und das können Sie bei allen Landwirtschaftsministern nachlesen. Die Niedersachsen haben ihre Untersuchungsergebnisse sogar ins Internet eingestellt, sodass Sie das entsprechend nachvollziehen können. Ich bitte Sie herzlich, hier bei der Wahrheit zu bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Anders ist es doch nicht zu erklären, warum die Europäische Union einen Übergangszeitraum für den Grenzwert für Dioxin in Freilandeiern gesetzt hat. Dieser Übergangszeitraum hat mit dem 1. Januar 2005 geendet; seitdem gelten auch für Freilandeier strengere Werte. Wozu hätte es sonst einen solchen Übergangszeitraum geben sollen? Ich bitte Sie also herzlich, bei der Wahrheit zu bleiben und nicht weiter Verbrauchertäuschung zu betreiben.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst muss ich sagen: Frau Heinen lügt.

(Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU)

Denn erstens war es Ministerin Künast, die sich vehement für eine Verschärfung des Grenzwertes für Dioxin eingesetzt hat, und zweitens haben die Ergebnisse der Untersuchungen von 1999 bis 2003 ganz klar ergeben, dass die größere Belastung mit Dioxin bei den Käfigeiern vorgelegen hat. Deshalb müssen hier ganz andere Schlussfolgerungen gezogen werden; das ist inzwischen auch vonseiten der Länderminister deutlich gemacht worden.

   Unsere rot-grüne Verbraucherpolitik ist erfolgreich und konsequent; das tut Ihnen weh. Sie steht im Gegensatz zu den Sprechblasen der Verbraucherpolitiker von der FDP und der CDU/CSU, die nie irgendeine Konsequenz im Bundesrat oder bei den Beschlüssen ihrer Fraktionen gehabt haben. Für uns ist Verbraucherpolitik eine wichtige Frage der Lebensqualität und der sozialen Gerechtigkeit. Aufgabe der Verbraucherpolitik ist die Rahmensetzung: einerseits im Hinblick auf die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit, andererseits – und gleichwertig dazu – im Hinblick auf den Schutz von Verbrauchern, die dieses Schutzes bedürfen. Dieser Aspekt fehlt bei Ihnen vollkommen. Frau Hasselfeldt hat noch einmal betont: Das Ziel ist der mündige Verbraucher. Übrigens sagt auch der EuGH: Der durchschnittlich informierte und aufgeklärte Verbraucher soll das Leitbild sein. Doch die CDU/CSU und die FDP vernachlässigen in eklatanter Weise die Schutzinteressen großer Bevölkerungsgruppen, etwa der Kinder. Gerade eben kam wieder der Einwurf, die Eltern sollten doch dafür geradestehen, was ihre Kinder da anrichten.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Rein rechtlich tun sie es sogar, Frau Höfken!)

Sie kennen doch die Realität überhaupt nicht! Sie wissen doch gar nicht, was Eltern erleben: eine Telefonrechnung von über 400 Euro, die sie bezahlen sollen. Das ist doch eine Frechheit!

   Sie vernachlässigen aber auch die Schutzinteressen der älteren Menschen. Ihre Potenziale und Bedürfnisse werden massiv unterschätzt und zum großen Teil erheblich missachtet. Diese Bevölkerungsgruppe wird bei einer Reihe von Produktangeboten regelrecht diskriminiert: bei der Telekommunikation oder den neuen Medien, durch die Banken usw. Das ist beispielhaft dafür, wie notwendig und wie gut die stringente Entwicklung unserer Verbraucherpolitik ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich werde jetzt nicht wiederholen, was wir schon alles erreicht haben, aber eines doch noch erwähnen: Wir möchten, dass bei der Verbreitung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln Grenzen gezogen werden, damit die Menschen ihre Wahlfreiheit behalten können. Was dagegen tun Sie von der FDP? Sie – ausgerechnet Sie! – rauben den Menschen ihre Freiheit; so viel zum Thema Freiheitspartei!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg van Essen (FDP): Zu Recht ein müder Beifall!)

   Ganz im Gegensatz zu dem, was die CDU/CSU mit ihrem neuen Papier tut, haben wir die Verbraucherpolitik weiterentwickelt und sie dabei ganz klar mit der Wirtschafts- und Innovationspolitik verknüpft. Man muss ganz deutlich sagen – das hat mich etwas überrascht –: Das „aktuelle“ verbraucherpolitische Konzept von CDU/CSU ist mit Ausnahme der wenigen fehlenden Punkte genau das gleiche Konzept wie das von vor eineinhalb Jahren. Es ist ein aufgewärmter Auflauf.

   Geradezu gruselig ist dabei – das will ich hier hervorheben – Ihr Verständnis von Wirtschaftspolitik. Es heißt in Ihrem Konzept nämlich: Ihre Verbraucherpolitik sichert dem Einzelnen Lebensqualität, aber – dieses „aber“ muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – sie bietet auch Spielraum für Wirtschaftswachstum und Innovation. – Na toll, wenn das Ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind, dann kann ich nur sagen: Vor derart wirtschaftsfeindlichen verbraucherpolitischen Vorstellungen Ihrer Partei und Fraktion behüte uns der liebe Gott und der Wähler.

(Gudrun Kopp (FDP): Dann betrachten Sie mal die Zahl der Arbeitslosen!)

   Ich will jetzt noch einige Dinge anführen, die aktuell diskutiert werden.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin Höfken, Sie können das leider nicht tun, denn Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich weiß, leider Gottes ist sie etwas eingeschränkt worden. – Ich denke, es ist deutlich geworden, dass Ihr verbraucherpolitisches Konzept nicht die mindeste Grundlage hat. Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, gerade auch in Bezug auf die Wahl in Schleswig-Holstein: Mogelpackungen und Wählerverarschung – das kann es nicht sein!

(Gudrun Kopp (FDP): Primitiv!)

Wer in Zukunft weiterhin eine Verbraucherpolitik will, der wählt Rot-Grün. Das wird sich auch so zeigen.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Kollegen Hans-Michael Goldmann von der FDP-Fraktion.

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Liebe Kollegin Höfken, zum Schluss haben Sie sich zwar besonders im Ton vergriffen,

(Beifall bei der FDP)

aber schon davor, im Zusammenhang mit dem Dioxin, haben Sie etwas Falsches gesagt, nämlich als Sie von „Sprechblasen“ der agrarpolitischen Sprecher gesprochen haben. Nun will ich das Ganze einmal dorthin herunterzurren, wo es hingehört. Es gibt die Behauptung – sie ist falsch –, dass Freilandeier gesünder sind als Käfigeier. Diese Behauptung verbreitet die Ministerin auf ihrer Homepage nach wie vor.

   Erster Punkt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die durchschnittliche Dioxinbelastung bei Käfigeiern geringer ist als bei Freilandeiern? Das kann Sie eigentlich auch der gesunde Menschenverstand lehren; denn Hühner, die im Freiland leben, kommen mit dem Boden in besonderer Weise in Berührung und nehmen dadurch möglicherweise etwas mehr Dioxin auf als Hühner in Käfigen. Dieses Dioxin landet dann im Ei. Das ist nun einmal leider so.

   Zweiter Punkt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass uns allen die von Frau Künast angesprochenen Werte der besonderen Belastung bei Käfigeiern bekannt waren, weil sie aus einem Skandal herrühren – bei der Futtermittelbereitstellung für die Hühner, die dieses Futter erhielten, wurden damals Bahnschwellen zur Trocknung benutzt; dieser Vorgang datiert aus dem Jahre 1999 und wir haben ihn im Ausschuss, in dem wir uns sehr darüber beklagt haben, dass hier jemand unverantwortlich gehandelt hat, mehrere Male behandelt – und dass das nichts, aber auch gar nichts mit der generellen Belastung von Eiern aus der Käfighaltungsproduktion zu tun hat?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Frau Ministerin Künast wusste das auch. Insofern muss sie sich den schwarzen Peter schon ein Stück weit zuschieben lassen, wenn sie zum Beispiel im „Spiegel“ und im „Focus“ in diesem Zusammenhang von arglistiger Täuschung spricht.

   Dritter Punkt. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch die Fragen, die ich in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung gestellt habe, eindeutig belegen, dass sie von diesen Dingen gewusst hat und dass sie die Verbraucher im Grunde genommen arglistig getäuscht hat, indem sie den Eindruck erweckt hat, Freilandeier seien weniger dioxinbelastet als Käfigeier?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Höfken, Sie haben die Gelegenheit zur Antwort.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich bedanke mich ganz herzlich für diese Intervention, die mir Gelegenheit gibt, noch einmal in die Diskussion einzusteigen. Ganz klar ist: Keines der Untersuchungsergebnisse gibt die Aussagen, die Herr Goldmann wiederholt hat, in irgendeiner Weise her. Ganz im Gegenteil hätten die Langzeitstudien dazu führen können, dass wir verstärkt über die Problematik von Käfigeiern diskutieren müssen. Die Ministerin hat, um das ganz deutlich zu sagen, dafür gesorgt – dies steht im Gegensatz zu den von Ihnen gemachten Anschuldigungen –, dass die Dioxinbelastung für die Verbraucher verringert wird.

   Die CDU/CSU, die bei den Großfeuerungsanlagen verhindert hat, dass es zu einer Verbesserung des Schutzes der Menschen kommt, stellt sich jetzt hier hin und erklärt: Wir wollten das Dioxinproblem schon immer lösen. Sie haben einen verbesserten Schutz verhindert. Aber noch einmal zu der Studie: Kein einziges Ergebnis lässt eine solche Aussage zu.

   Ich möchte damit noch etwas anderes in Verbindung bringen, was zeigt, wie ideologisch Ihre Beiträge motiviert sind. Wir haben die bisherigen Ergebnisse nie dazu benutzt, um solche Aussagen zu machen. Ich nenne als Beispiel einmal die Kette „real“, die der Metro gehört. Sie hat in einem Jahr den Absatz der Freiland- und Bodenhaltungseier auf 70 Prozent gesteigert. Wo aber kommen diese Eier her? Da Sie mit allem Nachdruck verhindern, dass sich die Geflügelwirtschaft in Deutschland der Nachfrage auf dem Markt anpasst,

(Lachen bei Abgeordneten der FDP)

kommen die von „real“ verkauften Eier nun aus den Niederlanden, aus Frankreich, aus Österreich oder aus anderen europäischen Ländern, die nicht das allermindeste Problem damit haben, tiergerechte Produkte anzubieten. Das ist ein gutes Beispiel für die unglaubliche Ideologie der CDU/CSU und der FDP, die mit Markt und Wirtschaft nichts zu tun hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Christel Happach-Kasan, FDP-Fraktion.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil offensichtlich die Diskussion über Dioxine besonders spannend ist, möchte ich noch einmal daran erinnern, dass die TA Luft, die sich im Sinne einer Dioxinminderung ausgesprochen positiv ausgewirkt hat, unter christlich-liberaler Regierung geschaffen worden ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bereits das Umweltbundesamt hat inzwischen festgestellt, dass Abfallverbrennungsanlagen – gegen die Sie sich als Grüne immer gestemmt haben – zu einer Reduzierung der Dioxinkonzentration beigetragen haben. So viel zu einer rationalen, am Bürger orientierten Umweltpolitik!

   Verbraucher wollen wählen können. Sie wollen Qualität, Sicherheit und Auswahl. Darin sind wir uns in diesem Hause alle einig. Aber wir müssen unser Augenmerk auch auf Folgendes richten: Verbraucher sind Menschen, die, bevor sie in den Laden gehen, ein Einkommen erzielt haben müssen. Sie müssen etwas verdient haben, entweder als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger. Genau dies verhindern Sie mit Ihrer Politik.

(Beifall der Abg. Gudrun Kopp (FDP))

   Im Bundesgebiet sind 12,1 Prozent und damit mehr als 5 Millionen Menschen arbeitslos. In Schleswig-Holstein sind es 12,7 Prozent – 178 000 Menschen –; das ist die höchste Arbeitslosenquote in einem westdeutschen Flächenland. Das ist Ergebnis rot-grüner Politik, insbesondere in Schleswig-Holstein, aber auch im gesamten Bundesgebiet. Wir müssen feststellen, dass jeder vierte Arbeitsplatz in Schleswig-Holstein von der Land- und Ernährungswirtschaft abhängt. Deswegen stehen wir so schlecht da. Kollegin Hasselfeldt hat es bereits ausgeführt: Mit den Sonderregelungen, die Sie immer wieder erlassen, verschlechtern Sie die Wettbewerbsposition der Betriebe in der Ernährungs- und Landwirtschaft und vertreiben damit Arbeitsplätze aus unserem Land.

(Beifall der Abg. Gudrun Kopp (FDP))

Dies ist eine ideologische Politik, die mit dem Argument des Verbraucherschutzes in keiner Weise gerechtfertigt werden kann.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Sie setzen wieder Ihre Hasskampagne an!)

– Kollegin Hiller-Ohm, Sie erinnern mich daran, dass ich doch noch einmal feststellen muss: Auch in Schleswig-Holstein lohnt sich Leistung. Die beste Leistung haben gerade in der letzten Woche Wolfgang Kubicki und Peter Harry Carstensen erzielt. Ihre Ministerpräsidentin hat mit einer Zwei minus und die unbekannte grüne Spitzenkandidatin mit einer Fünf abgeschlossen. Von daher bin ich hinsichtlich der Wahlen in Schleswig-Holstein sehr zuversichtlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gustav Herzog (SPD): Sagen Sie doch mal was zur Verbraucherpolitik!)

   Ich war erstaunt, dass Ministerin Künast in ihrem Beitrag davon gesprochen hat, sie wolle das Vertrauen der Verbraucher erwerben.

In der Tat ist das genau der Punkt: Wir brauchen das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Sie werden das nicht schaffen!)

Was aber machen Sie? Sie versuchen an jeder Stelle, die Sie finden können, das vorhandene Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in unsere Land- und Ernährungswirtschaft zu untergraben, womit Sie den Wirtschaftsstandort Deutschland extrem schwächen. Der Kollege Trittin geht noch weiter. Er schickt Bauernspione aufs Land, um Misstrauen gegen unsere heimische Landwirtschaft zu schüren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Ich finde, es ist eine absolute Unverschämtheit, dass sich Ministerin Künast als Ministerin für Landwirtschaft nicht vor die bäuerlichen Betriebe gestellt und gesagt hat, dass das nicht in Ordnung ist.

(Manfred Helmut Zöllmer (SPD): Ihre Rede ist eine Zumutung!)

– Herr Kollege Zöllmer, alle agrarpolitischen Sprecher sind sich im Ausschuss einig gewesen, dass das eine Methode ist, die absolut ungeeignet ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie haben ein Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch vorgelegt – ein bürokratisches Monster, das sicherlich nicht zu mehr Sicherheit beiträgt, sondern zu Unsicherheit, weil ein solches Gesetzbuch nicht handhabbar ist. Es ist natürlich schön, ein Motto „vom Stall auf den Teller“ auszugeben – wundervoll! –, aber das muss nicht im Gesetzbuch stehen. Wir können mehrere Gesetzeswerke haben, die für jeden Bereich speziell angeben, was Sache ist. Sie aber schaffen mit 150 Verordnungsermächtigungen eine unklare Rechtssituation, die niemand mehr versteht.

   Zum Thema Dioxin in Freilandeiern hat mein Kollege Goldmann alles sehr zutreffend und sehr richtig gesagt.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr falsch!)

Ich appelliere an Sie, damit aufzuhören, unsere Betriebe mit Sonderregelungen zu schwächen. Ich nenne zum Beispiel das BSE-Testalter, den Bereich Pflanzenschutz oder auch

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt reicht’s aber!)

das Verbot der Verfütterung tierischer Fette. All dies sind Verschlechterungen für unsere Betriebe. Gleichzeitig wissen wir, dass solche Produkte aus anderen Ländern importiert werden. Sie sind ungefährlich. Deswegen gibt es keinen Grund, unsere Betriebe durch solche Vorschriften zu schwächen. Ich fordere Sie auf: Hören Sie auf mit Sonderregelungen für unsere Betriebe! Sehen Sie zu, dass Sie unsere Standards in der EU durchsetzen! Das ist eine richtige Politik, die nach vorne schaut und die gesamte EU voranbringt – nicht aber das, was Sie machen.

   Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Martin Dörmann, SPD-Fraktion.

Martin Dörmann (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Happach-Kasan, zu Ihrer Rede nur eine Anmerkung: Das war kein Beitrag zu einer verbraucherpolitischen Debatte, sondern allenfalls ein Beitrag zum Wahlkampf, allerdings ein schlechter.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der von der Bundesregierung vorgelegte „Verbraucherpolitische Bericht 2004“ dokumentiert den hohen Stellenwert, den Verbraucherpolitik für die rot-grüne Koalition einnimmt. Zahlreiche Maßnahmen wurden bereits umgesetzt und haben den Schutz und die Stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich erhöht. Zu Recht orientiert sich die Bundesregierung dabei am Leitbild des selbstbestimmten und informierten Verbrauchers.

   Wir alle leben in einer Informationsgesellschaft, in der die verfügbaren Informationen von Tag zu Tag ebenso wachsen wie das Bedürfnis der Menschen, sich zu orientieren und zu informieren. Die rot-grüne Koalition hat an vielen Stellen bewiesen, dass sie diesen Bedürfnissen konsequent Rechnung trägt. In mehreren Gesetzen wurden stärkere Informationsrechte bereits fest verankert, bei einigen steht der endgültige Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens unmittelbar bevor.

   Beim Geräte- und Produktsicherheitsgesetz beispielsweise wurden Hersteller und Händler dazu verpflichtet, bei Sicherheitsmängeln von Produkten die Behörden von sich aus zu informieren. Die zuständigen Behörden wiederum müssen nunmehr die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen über Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Öffentlichkeit zugänglich machen.

   Die eingebrachte Neufassung des Umweltinformationsgesetzes verpflichtet alle Stellen der öffentlichen Verwaltung des Bundes zur Herausgabe von Umweltinformationen. Beispielsweise soll jede Person Daten über die Schadstoffbelastung von Böden abrufen können. Das ebenfalls bereits eingebrachte Informationsfreiheitsgesetz eröffnet einen allgemeinen und voraussetzungslosen Zugang zu amtlichen Informationen des Bundes unter Berücksichtigung des Daten- und Geheimnisschutzes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Jedermannsrecht stärkt die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Es schafft mehr Transparenz und demokratische Kontrolle.

   Bereits beschlossen hat der Bundestag das neue Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, das sich derzeit im Vermittlungsverfahren befindet. Nach den Vorstellungen der rot-grünen Koalition sollen in dem Gesetz umfassende Verbraucherinformationsrechte geregelt werden. Das ursprünglich geplante Verbraucherinformationsgesetz ist leider am Widerstand der Union im Bundestag und insbesondere im Bundesrat gescheitert.

   Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu dem Beitrag der Kollegin Heinen anmerken. Was das Verbraucherinformationsgesetz angeht – aber nicht nur in diesem Zusammenhang –, muss ich feststellen, Frau Kollegin Heinen, dass Ihr Umgang mit der Wahrheit reichlich ergänzungsbedürftig ist. Ihre heutigen Äußerungen sind reine Nebelkerzen, sodass ich mich frage, ob Sie noch wissen, wo Sie selber stehen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das war eine gute Rede!)

   Ich möchte zwei Punkte festhalten. Erstens. Was Sie als Mogelpackung eines Verbraucherinformationsgesetzes vorlegen, bleibt weit hinter dem zurück, was wir ursprünglich vorhatten und was wir jetzt im Lebensmittel- und Futtermittelbereich regeln wollen.

   Zweitens ist Ihre Behauptung falsch, dass das, was wir im LFGB regeln wollen, hinter den ursprünglich im Verbraucherinformationsgesetz vorgesehenen Regelungen zurückbleibt.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Aha!)

Das ist in weiten Teilen völlig unzutreffend; denn alle Erzeugnisse, die wir ursprünglich regeln wollten, sind im LFGB berücksichtigt: Lebensmittel, kosmetische Produkte, Bedarfsgegenstände und Wein. Hinzu kommen jetzt noch Futtermittel.

   Die Union wird an dieser Stelle eindeutig Farbe bekennen müssen. In Pressemitteilungen bezeichnet sie Verbraucherschutz gerne als eine zentrale politische Aufgabe. Doch Papier ist geduldig. Ein Schiff aus Papier kann aber nicht lange schwimmen. Bisher sah die Realität doch so aus: Wenn es um die tatsächliche Umsetzung von zusätzlichen Verbraucherinformationsrechten geht, dann taucht die Union gerne weg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir und vor allem die Bürgerinnen und Bürger werden Sie aber ausschließlich an Ihren Taten messen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union. Geben Sie sich also endlich einen Ruck!

   Wir wollen zum einen das Recht der Behörden regeln, in bestimmten Fällen über verbraucherrelevante Sachverhalte aktiv zu informieren, und zwar auch und gerade im Vorsorgebereich. Zum anderen wollen wir aber auch das Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher auf den Zugang zu Informationen verankern, die bei den Behörden bereits vorliegen. Dies soll auch dann gelten, wenn die Behörden nicht selbst aktiv informieren müssen, etwa weil gesetzlich festgelegte Grenzwerte noch nicht überschritten sind. Gerade dagegen wehrt sich doch die Union.

   Mit diesen umfassenden Informationsrechten wollen wir dem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein und Informationsbedürfnis der Verbraucherinnen und Verbraucher gerade im Lebensmittelbereich nachkommen. Hiermit würden wir gleichzeitig ihre Stellung als aktive Marktteilnehmer deutlich stärken. Es ist dabei durchaus beabsichtigt, indirekt auch einen Qualitätswettbewerb bei den Unternehmen herbeizuführen. Wenn ein Unternehmen damit rechnen muss, dass bestimmte möglicherweise problematische Informationen über ein Produkt vom Verbraucher abgerufen werden können, dann wird er sich bemühen, die Qualität des Produktes zu verbessern, um gegenüber Konkurrenten bestehen zu können. Eine so verstandene Verbraucherpolitik ist deshalb ein wichtiger Bestandteil einer sozialen Marktwirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Von daher ist es nicht nachzuvollziehen, dass sich die Union bisher so sehr gegen die Forderung eines Qualitätswettbewerbes durch mehr Informationen stemmt. Das liegt weder im Verbraucherinteresse noch im Interesse der Unternehmen, die qualitativ hochwertige und unbedenkliche Produkte herstellen. Ich fordere deshalb die Marktwirtschaftler in der Union, aber auch in der FDP auf, endlich den Weg für mehr Informationsrechte und besseren Wettbewerb freizumachen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gitta Connemann (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wäre dieser verbraucherpolitische Bericht ein Roman, dann müsste er den Titel „Mehr Schein als Sein“ tragen.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist der Wunsch Ihres Gedankens!)

Denn Wort und Tat, Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Das zeigt sich übrigens auch in dieser Debatte, Frau Kollegin Höfken und Herr Staatssekretär Berninger. Ihre Dreistigkeit der Aussagen zum Thema Dioxin verschlägt einem die Sprache. Sie stehen damit im Widerspruch zu einer Aussage der Bundesregierung. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat am 5. November 2004 in der Antwort auf eine entsprechende Frage Folgendes festgestellt:

Bei Käfighaltung lag die mittlere Konzentration bei circa 1 pg/g Fett, bei Freilandhaltung um den Faktor 1,5 bis 2 höher.
(Julia Klöckner (CDU/CSU): Wer lügt denn jetzt?)

Sie haben die Unwahrheit gesagt

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und die Kollegin Heinen und den Kollegen Goldmann völlig unzutreffend der Unwahrheit bezichtigt. Ich erwarte insoweit eine Entschuldigung.

(Widerspruch bei der SPD)

   Sie tricksen und wahren den schönen Schein. Das aber ist alles.

   Wenn man sieht, welche Maßnahmen laut Ihrem verbraucherpolitischen Bericht umgesetzt worden sind, dann muss man sagen, dass die Liste kurz ist. Ihre Versäumnisse werden auch von anderen gesehen. So kritisiert Frau Professor Müller, immerhin grüne Präsidentin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes – ich zitiere aus ihrer Pressemitteilung vom 1. Dezember 2004 –:

Für Teile der Bundesregierung scheint es die Verbraucher als Fahrgäste, als Energieverbraucher oder als Eigenheimbauer einfach nicht zu geben.

Vollkommen zutreffend: Schein und Sein!

   Nehmen wir nur den Fahrgast als Beispiel. Wie heißt es noch im „Aktionsplan Verbraucherschutz“ der Bundesregierung im Jahre 2003 – ich zitiere –:

Ziel ist es, … die Rechtspositionen der Fahrgäste zu definieren und zu verbessern.

Das ist ein hehrer Anspruch, auch heute noch! Denn leider hat sich nichts verändert. Es blieb beim Ziel. Nach wie vor ist jeder Fahrgast in Deutschland faktisch ohne Rechte. Trotz von uns wiederholt eingebrachter Anträge gilt noch immer die Eisenbahn-Verkehrsordnung aus dem Jahre 1938, die sämtliche Haftungsansprüche der Reisenden ausschließt. Zwar hat sich die Deutsche Bahn nach lange ausgeübtem Druck der Opposition endlich im Oktober letzten Jahres zu Leistungen im Falle von Verspätungen verpflichtet. Es ist aber eine freiwillige Selbstverpflichtung im Rahmen Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die jederzeit geändert oder aufgehoben werden kann. Das ist Sand im Auge jedes Fahrgastes.

   Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat dies erkannt. Ich zitiere aus dem Verordnungsvorschlag vom März letzten Jahres:

Der Fahrgast ist die schwächere Partei eines Beförderungsvertrages und seine diesbezüglichen Rechte sind zu schützen.

Deshalb hält die Kommission freiwillige Vereinbarungen für nicht ausreichend und fordert, diese gesetzgeberisch zu regeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was sagt die Bundesregierung? Kein Wort! Man reibt sich die Ohren, und das bei einer Bundesregierung, die den Druck der Daumenschrauben einer EU-Vorlage normalerweise noch immer um zwei Umdrehungen erhöht. Gegenüber einem ehemaligen Staatsunternehmen wird die sonst übliche Marter aber nicht angewandt.

   Dies gilt übrigens auch für die Deutsche Post AG. Dieser bescheinigt die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post eine Monopolstellung. Sie warnt sogar vor deren Ausweitung. Zu wessen Lasten? Natürlich des Verbrauchers! Jeder von uns erlebt es doch zurzeit in seinem Wahlkreis. Täglich werden Postdienststellen geschlossen, und das immer unter dem Deckmantel der so genannten Selbstverpflichtung der Post. Gerade der ländliche Raum leidet besonders; er blutet aus. Was sagt die Bundesregierung? Ich zitiere aus ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde:

Insgesamt wird aus Sicht der Bundesregierung der Gewährleistungsauftrag für eine flächendeckend angemessene und ausreichende Versorgung mit Postdienstleistungen in vollem Umfang erfüllt.

Hört, hört!

   Die Wirklichkeit der Bundesregierung und die Realität der Bürger unterscheiden sich offensichtlich erheblich. Aber was soll es? Es gibt ja nur 2 Millionen bis 3 Millionen Postkunden pro Tag und der Kanzler muss ja seine Briefmarken nicht selbst kaufen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Glücklicherweise gibt es aber das Bundeskartellamt. Da die Bundesregierung nicht gehandelt hat, hat dieses entschieden, und zwar zugunsten des Verbrauchers. Die Rechte privater Briefdienstleister sind gestärkt worden. Mehr Wettbewerb, niedrigere Preise, davon profitiert der Verbraucher. Zudem hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik, also gegen die Bundesregierung, eingeleitet. Der Vorwurf lautet: Private Anbieter werden benachteiligt. Und die Antwort der Bundesregierung? Schweigen! Wir reiben uns einmal mehr die Ohren. Bei dem Problem der Post gibt es noch nicht einmal einen formulierten Anspruch der Bundesregierung.

   Ganz anders ist es im Bereich des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Hier engagiert sich die Bundesregierung, jedenfalls für den Genießer edler Fruchtsäfte. So heißt es im Verbraucherpolitischen Bericht 2004 – ich zitiere –:

Durch die Änderung der Fruchtsaftverordnung wurde die Verkehrsbezeichnung „Fruchtsaft aus Fruchtsaftkonzentrat“ für Erzeugnisse festgelegt, die aus Fruchtsaftkonzentraten unter Hinzufügen von zuvor entzogenem Wasser hergestellt werden.

Allerhand!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Während der Fruchtsaftkonzentratkonsument höchsten staatlichen Schutz genießt, sind Millionen Deutsche gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt, und zwar ohne jeglichen Schutz. Ich spreche hier von dem Bereich der Schönheitsoperationen. Hier bewegen wir uns in einem Grenzgebiet zwischen kommerziellem Angebot und medizinischer Leistungserbringung. Nach Schätzungen sind im Jahre 2003 circa 1 Million Eingriffe in Deutschland durchgeführt worden – 1 Million! –, und dies nur mit dem Ziel, das Aussehen zu verbessern, nicht, um eine Krankheit zu behandeln.

Diese Konsumenten von Schönheitsoperationen vertrauen auf die Qualifikation ihrer Ärzte und Heilpraktiker. Was sie nicht wissen: Anders als im normalen Krankenhaus mit Facharztstandard darf jeder Heilpraktiker ohne jegliche Erfahrung zum Beispiel Fett absaugen. Jeder approbierte Arzt darf zum Skalpell greifen. Er muss zuvor noch nicht einmal einen Wochenendkursus belegen. Er darf sich Schönheitschirurg oder kosmetischer Chirurg nennen oder sich mit anderen wohlklingenden Titeln schmücken. Und das in einem Land, in dem an die Bezeichnung „Fruchtsaftkonzentrat“ strengste Maßstäbe gelegt werden! Absurd? Nein, Realität. Wir reiben uns Ohren und Augen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hals-, Nasen- und Ohrenärzte modellieren neue Brüste, vor laufender Kamera in Reality-TV-Shows werden menschliche Barbiepuppen geformt, Eltern lassen ihre Kinder zu Abbildern von Hollywoodstars umgestalten – hier in Deutschland im Jahre 2005.

(Manfred Helmut Zöllmer (SPD): Das ist alles Schuld von Rot-Grün!)

Und das alles mit einem hohen gesundheitlichen Risiko! So weisen Studien aus den USA darauf hin, dass von 5 000 Fettabsaugungen eine tödlich endet. Menschen sterben, Menschen werden verstümmelt.

(Unruhe bei der SPD)

– Sie finden es komisch. Nun gut.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Sie finden wir komisch!)

Hier ist wirklich Schutz geboten – für den Verbraucher, den Patienten, den Bürger. Und was tut die Bundesregierung? Sie sieht keinen Handlungsbedarf. So die Antwort auf eine Anfrage meiner Fraktion.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die wollen doch alle mündig sein! Die wollen das gar nicht! – Zuruf der Abg. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD))

– Liebe Frau Wolff, wir leben alle unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle denselben Horizont; dafür bin ich dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Das haben Sie nicht umsonst gesagt!)

Die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf, so die Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion. Auch darüber findet sich kein einziges Wort in diesem Bericht. Er ist ein Armutszeugnis.

   Als Fazit bleibt: Ein breiter Bericht, wenig Maßnahmen, vieles nicht erkannt. Auf diesen Bericht passt deshalb nur das Urteil von Christian Friedrich Hebbel: „Wörter sind Laternen: Steck ein Licht hinein und sie geben einen guten Schein.“

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Kollegin Ulrike Höfken, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Schon wieder! Die redet heute die ganze Zeit, hat aber nichts zu sagen!)

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Hinter dem Horizont von Frau Connemann geht es weiter; das ist hier richtig gesagt worden.

   Ich bedanke mich für die Möglichkeit, die Eiersituation hier darzustellen. Um es ganz klar zu sagen: Nach dieser Studie, die sich über den Zeitraum von 1999 bis 2003 erstreckt hat, sind Eier aus Käfigproduktion definitiv stärker mit Dioxinen belastet als Eier aus anderen tiergerechteren Produktionsformen.

   Im Jahr 2004 hat Minister Ehlen in Niedersachsen sieben Proben bei Freilandhaltung genommen. Diese Aussagen waren statistisch irrelevant. Inzwischen hat auch Minister Ehlen vor laufender Kamera seine entsprechende Empfehlung aufgrund dieser „Erkenntnisse“, nämlich keine Freilandeier mehr zu essen, widerrufen. Baden-Württemberg wiederum, im Übrigen ein CDU-Land – vielleicht gibt es dort Sachverstand in einer benachbarten FDP-Fraktion –, hat nun das Problem in Angriff genommen und große Freilandbetriebe untersucht. Baden-Wüttemberg erklärt aktuell: Es gibt keinen Dioxinskandal in diesem Zusammenhang.

   Zum Schluss möchte ich die „FAZ“ zitieren, die sicher unverdächtig ist, was die Nähe zu Rot-Grün angeht. Sie hat die CDU/CSU und die FDP im Zusammenhang mit ihrer angeblichen Dioxineierskandalkampagne „Eierwerfer“ genannt. Ich sage Ihnen: Das verjährt nicht.

   Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Connemann, Sie haben das Wort.

Gitta Connemann (CDU/CSU):

Frau Höfken, es ist mir ja nicht gestattet zu sagen: „Sie eiern rum“, sonst würde ich es tun.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das würde ja gar nicht stimmen!)

Kein Mensch hat behauptet, es gebe einen Dioxinskandal.

(Widerspruch bei der SPD)

Es ging um die Werte. Weder die Kollegin Heinen noch der Kollege Goldmann haben behauptet, es gebe einen Dioxinskandal.

(Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Erfindung der Presse! Jetzt wissen wir, wer schuld ist! Endlich wissen wir es! Nicht Herr Goldmann!)

Es ging um die erhöhten Werte. Ich gebe noch einmal zur Kenntnis: Sie behaupten, diese Werte seien nicht erhöht. Damit setzen Sie sich in Widerspruch zum eigenen Ministerium, nämlich zum Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das auf eine Anfrage der Kollegin Julia Klöckner vom 28. Oktober 2004 am 5. November 2004 antwortete:

Bei der Freilandhaltung liegen die Werte um den Faktor 1,5 bis 2 höher.
(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nur bezogen auf diesen Fall in Niedersachsen!)

Würden Sie das bitte endlich zur Kenntnis nehmen oder dürfen wir Ihre Reaktion dahin gehend verstehen, dass Sie behaupten, Ihr eigener Bundesumweltminister sage nicht die Wahrheit?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben mich jetzt falsch gefragt!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Jella Teuchner, SPDFraktion.

Jella Teuchner (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn dieser Eindruck heute etwas täuscht, weil von vielen anderen Themen gesprochen wird: Verbraucherpolitik ist zu einem eigenständigen Politikfeld geworden. Ich denke, es ist wichtig, gerade auf den verbraucherpolitischen Bereich noch einmal besonders einzugehen. Uns liegt nämlich ein Antrag der FDP vor, der schlicht und einfach besagt: Eine eigenständige Verbraucherpolitik ist nicht notwendig; der Markt regelt das allein. Ihre umfassende Politik für Verbraucherinnen und Verbraucher ist demnach nichts anderes als Marktideologie, die Sie mit dem Feigenblatt „Stiftung Warentest“ kaschieren wollen. Das ist zwar ein netter Versuch, funktioniert aber leider nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   In Ihrem Antrag schreiben Sie, die alleinige Zuordnung des Verbraucherschutzes zu einem Fachministerium habe sich nicht bewährt. Abgesehen davon, dass gerade im wirtschaftlichen Verbraucherschutz die Federführung für vieles noch immer bei anderen Ministerien liegt: Warum eigentlich? War es besser, als Verbraucherschutz lediglich die Sache eines Referats im Wirtschaftsministerium war? War es besser, als es noch keine Fachministerin gab, die dem Verbraucherschutz ein Gesicht gab? Nein, die Verbraucherpolitik hat einen Schritt nach vorne gemacht, gerade weil es jetzt ein Ministerium gibt, das sich in seinem Schwerpunkt auch darum kümmert. Das ist ein Erfolg, den Sie mit einem lapidaren Satz nicht leugnen können.

   Warum ist Ihnen dieser Erfolg ein Dorn im Auge? Doch nur, weil Sie eigentlich gar keinen eigenständigen Verbraucherschutz haben wollen! Das haben Sie heute in allen Ihren Reden und in Ihrer Kurzintervention ganz klar zum Ausdruck gebracht. Ihrer Meinung nach leben wir sowieso schon in einem verbraucherpolitischen Paradies:

Zahlreiche privatwirtschaftliche Qualitäts- und Markenprogramme, die den Verbrauchern durch entsprechende Prüf-, Güte- und Markenzeichen kommuniziert werden, haben bereits zu mehr Markttransparenz geführt.

Dies kann man im FDPAntrag lesen. Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit; die Wirklichkeit sieht nämlich ganz anders aus.

   Der VZBV hat zur Grünen Woche eine Zusammenstellung veröffentlicht, die deutlich macht, wie Verbraucherinnen und Verbraucher im Bereich der Lebensmittel getäuscht werden. Im Frühjahr 2004 hat die Stiftung Warentest in einem Test von 34 Honigen 18-mal „mangelhaft“ vergeben – wegen unzutreffender und irreführender Bezeichnungen. Das Panel des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Oberschleißheim untersuchte von 2002 bis 2004 insgesamt 63 Olivenöle und beanstandete 25 Produkte als falsch gekennzeichnet. Viele der Bezeichnungen, die eine besondere Qualität suggerieren, haben keinerlei Aussage: „Aus eigener Herstellung“ kann auch eine aus einer Backmischung hergestellte Torte sein. „Aus kontrolliertem Anbau“ sagt nichts aus. Auf der Verpackung von Eiern ist ein bäuerlicher Hof abgebildet und trotzdem sind es Käfigeier.

   Auch vor dem Hintergrund dieser Diskussion möchte ich hier noch einmal darauf hinweisen, dass nicht alle Freilandeier automatisch Ökoeier sind.

(Ursula Heinen (CDU/CSU): Sehr gut!)

Lassen Sie doch endlich einmal Ihre Verbohrtheit beiseite und kommen Sie zur Realität zurück!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Verstehen Sie mich hier nicht falsch: Es gibt viele Unternehmen, die ihre Verantwortung ernst nehmen. Es gibt aber auch solche, die versuchen, sich durch Tricksen und Täuschen Vorteile auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher zu erschleichen. Dies darf nicht sein. Wer hier einfach nur auf den Markt verweist – so wie Sie es in Ihrem Antrag tun –, der schadet nicht nur den Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern auch den verantwortlich handelnden Unternehmen.

   Der Staat hat – das zeigt dieses Beispiel – einen klaren ordnungspolitischen Auftrag für den Verbraucherschutz. Es war nicht der Markt, der dafür gesorgt hat, dass Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Organismen gekennzeichnet werden müssen. Es war auch nicht der Markt, der dafür gesorgt hat, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vor dem Missbrauch von Mehrwertdiensten in der Telekommunikation geschützt werden. Im Gegenteil, gerade im letzten Fall war es der Markt, der das Problem geschaffen hat. Wir bekennen uns zwar zur Marktwirtschaft – das ist nicht die Frage –; wir sehen aber, dass wir in einigen Bereichen ganz klare Schutzvorschriften brauchen. Deswegen bekennen wir uns zur eigenständigen Verbraucherpolitik als notwendigen Teil der sozialen Marktwirtschaft.

   Frau Connemann, ich gehe jetzt einmal auf Ihren Beitrag ein. Wenn Sie auf der einen Seite verlangen, dass im Post- und Telekommunikationsbereich ordnungspolitisch eingegriffen wird, auf der anderen Seite aber sagen: „Wir brauchen hier eine völlige Liberalisierung

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Das habe ich gar nicht gesagt!)

und mehr Öffnung, damit sich der Wettbewerb entwickelt und damit auch andere Anbieter auf dem Markt auftreten können“, dann ist das widersprüchlich. Diese Aussage müssten Sie vielleicht noch einmal etwas genauer erklären. Das hat im Übrigen auch nichts mit dem Horizont zu tun; diesen Ausdruck habe ich für sehr unpassend gehalten. Einen solchen Hinweis hätten Sie eigentlich nicht nötig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Eine eigenständige Verbraucherpolitik sorgt im Zusammenhang mit den verschiedenen Fachressorts dafür, dass die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher gewahrt bleiben. Dies kann am besten in Zusammenarbeit mit den Unternehmen und den Verbraucherverbänden erreicht werden. Der Staat hat hier die Verantwortung. Er kann sie nicht einfach an die Märkte delegieren.

   Der verbraucherpolitische Bericht zeigt, dass wir diese Aufgabe ernst nehmen. Es ist eine Querschnittsaufgabe, an der alle Ressorts mitwirken, und da ist ein Fachministerium, das der Verbraucherpolitik den notwendigen Nachdruck gibt. Diesen Weg werden wir auch in Zukunft weitergehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Maria Flachsbarth, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirksamer Verbraucherschutz ist ein positiver Standortfaktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland; denn wirksamerer Verbraucherschutz fördert das Verbrauchervertrauen in qualitativ hochwertige Konsumartikel und Dienstleistungen. Dazu ist es erforderlich, den Verbraucher als eigenverantwortlich handelnden Marktteilnehmer durch sachliche, transparente und verständliche Information und Aufklärung zu stärken, um ihm so durch fundierte Entscheidungskompetenz Wahlmöglichkeiten zwischen Produkten mit verschiedenen Qualitätsstandards, Leistungen und Preisen zu ermöglichen.

   Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben daher in unserem Antrag zur Verbesserung der Verbraucherinformation dargelegt, dass es notwendig ist, das Produktkennzeichnungsrecht zu vereinheitlichen sowie Kennzeichnungen verständlicher zu formulieren, gemeinsam mit der Wirtschaft ein Konzept zur Verbraucherinformation zu erarbeiten und insbesondere die Verbraucherzentralen als unabhängige Beratungsgremien zu stärken.

   In Deutschland gibt es seit Anfang der 60er-Jahre ein flächendeckendes Netz von Verbraucherberatungsstellen, die vielerorts eine hervorragende Arbeit leisten, indem sie dem Verbraucher helfen, für ihn zum Teil unverständliche, weil in Fachchinesisch abgefasste, oder aber unüberschaubare, weil zu umfangreiche, Informationen zu sichten und entsprechend seinen persönlichen Bedürfnissen zu werten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihr besonderer Vorteil ist, dass sie privat organisiert und daher unabhängig sind. Aber sie sind auf die Zuschüsse der Länder angewiesen und angesichts der allgemein notwendigen Sparmaßnahmen zum Teil in ihrer Arbeitsfähigkeit gefährdet. So spart Schleswig-Holstein im Haushalt 2005 gegenüber 2004 bei der Direktförderung nahezu 10 Prozent ein.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Hört, Hört!)

In Mecklenburg-Vorpommern musste im letzten Jahr die Verbraucherzentrale einen Insolvenzantrag stellen.

   Damit werden gerade in Flächenländern, die ländlich geprägt sind, bewährte Strukturen des Verbraucherschutzes infrage gestellt. Die Bundesregierung sollte unseren Vorschlag dazu aufnehmen und Konzepte für die Stärkung der Verbraucherberatung, zum Beispiel durch Gründung einer Stiftung, erarbeiten und gemeinsam mit den Ländern zukunftsfähige Strukturen schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ziel von Verbraucherschutzpolitik darf es nicht sein, den Bürger zu bevormunden oder zu verängstigen, sondern muss es sein, ihm alle notwendigen Informationen für seine Kaufentscheidung zu geben. An dieser Messlatte bewerten wir das vorgelegte Aktionsprogramm und den Bericht. Bei Durchsicht der Drucksachen erkennt man aber weniger den Gedanken des mündigen Bürgers als vielmehr überbordende Bürokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wer einen Überblick darüber haben will, meine Damen und Herren, schaue nur auf die letzten Seiten des Verbraucherpolitischen Berichts. Wenn das Ihr Beitrag zum Masterplan Bürokratieabbau ist, na dann herzlichen Glückwunsch!

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Jawohl!)

   Ein Beispiel für überbordende Demokratie beim Schutz von Verbrauchern ist die Pflege alter Menschen, ohne Zweifel ein Bereich, in dem Verbraucherschutz eine besondere Bedeutung hat, nicht nur wegen des wachsenden Marktsegments. Pflegebedürftige und von daher in vielen Fällen hilflose Verbraucher bedürfen des besonderen Schutzes ihrer Interessen gegenüber den Anbietern von Pflegedienstleistungen. 2003 trat das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz in Kraft, das Dokumentationspflichten festschreibt, die zur Einhaltung eines guten Pflegestandards sicherlich unabweisbar sind. Allerdings hatte es auch zur Folge, dass nach Berechnungen des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe inzwischen über 40 Prozent der Arbeitszeit in der Pflege für Bürokratie aufgewandt werden. Diese Zeit steht für die Pflege der alten Menschen und die menschliche Zuwendung der Pflegenden und damit für das, was die Lebensqualität der Seniorinnen und Senioren maßgeblich beeinflusst, nicht mehr zur Verfügung. Dringend notwendig ist es daher, die Dokumentationspflichten gemeinsam mit den Pflegedienstleistern und den Pflegekassen auf das unbedingt notwendige Maß zurückzuführen. Hierüber steht in den Berichten kein Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, zum Verbraucherschutz in der Pflege gehört des Weiteren auch, an den individuellen Bedarf angepasst zu pflegen. Über- wie Unterversorgung sind schädlich. Mit einem in Kanada entwickelten Verfahren namens PLAISIR lässt sich auf einfache und unbürokratische Weise der individuelle Pflegebedarf messen. Dieses Verfahren wurde im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zwischen 1999 und 2003 untersucht. Hierbei hat sich ergeben, dass rund 30 Prozent der in den Pflegeheimen lebenden Personen genauso gut zu Hause gepflegt werden könnten, insgesamt aber auch über 15 Prozent mehr Personal in den Heimen notwendig wäre. Die Einführung dieses Systems ist nach Angaben der Bundesregierung an immer neuen und nicht tragbaren Forderungen der kanadischen Rechteinhaber gescheitert. Nicht nur Schleswig-Holsteins Sozialministerin, die der SPD angehört, forderte die Bundesregierung auf, erneut zu verhandeln und zu einem Abschluss zu kommen – doch leider bislang vergeblich. Auch hierzu findet sich in den vorliegenden Berichten kein Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, das hier gemeinsam von allen Fraktionen geäußerte Ziel, den Verbraucher durch qualifizierte Informationen zu stärken, um ein objektives Urteil zu ermöglichen, gerät leider nicht nur durch irreführende Werbung in Gefahr, sondern auch durch gezielte und von interessierter politischer Seite initiierte Kampagnen. Dies führt zu einem desinformierten und verunsicherten Verbraucher. Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Gentechnikgesetzgebung. Statt einer Informationsoffensive auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und Förderung weiterer notwendiger wissenschaftlicher Untersuchungen erfolgt ein Quasiverbot durch die Hintertür, übrigens auch im Widerspruch zum geltenden EU-Recht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das ist nicht nur zum Schaden für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland, sondern auch zum Schaden für die Wahlfreiheit des Verbrauchers.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rote Gentechnik ist inzwischen weitgehend etabliert und akzeptiert. Mit ihrer Hilfe werden hochwertige und sehr gut verträgliche Medikamente hergestellt – zum Beispiel Insulin zur Diabetesbehandlung –, die sich am Markt wegen ihrer herausragenden Eigenschaften komplett durchgesetzt haben. Das war nicht immer so: Noch in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts – so lange ist das noch nicht vorbei – hat ein gewisser Joschka Fischer als hessischer Umweltminister den Bau eines entsprechenden Bioreaktors verhindert, weil ihm die Rote Gentechnik als höchst riskant galt. Hoechst Frankfurt baute die Fertigung dann übrigens im benachbarten Ausland, im Elsass, auf und die Wertschöpfung erfolgt entsprechend auch in Frankreich – bis heute.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Unglaublich! Das schadet unserem Land!)

   Heute dreht sich die politische Diskussion um die Grüne Gentechnik, also die mittels gentechnischer Methoden forcierte Züchtung von Pflanzen. Von der Bundesregierung wurde der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen durch das neue Gentechnikgesetz quasi unmöglich gemacht. Sie weigert sich, das Potenzial, welches die Gentechnik für eine gesunde Ernährung und den Verbraucherschutz bietet, zu sehen, zum Beispiel durch die Zucht glutenfreien Weizens, der Zöliakiepatienten, die an einer allergischen Darmerkrankung leiden, eine „normalere“ Ernährung ermöglichen würde,

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Güte! So was von alten Hüten!)

durch die Zucht resistenter Pflanzensorten, die einen geringeren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ermöglichen und damit die Rückstände in Umwelt und Lebensmitteln verringern, oder durch die Zucht pilzresistenter Getreidesorten, die einen wirksamen Schutz gegen Mykotoxine bieten, vor denen im Bericht ausdrücklich gewarnt worden ist. Zugleich ist nämlich durch die im Hochwasserschutzgesetzentwurf enthaltenen Anbauauflagen in Überschwemmungsgebieten mit einem höheren Befall durch Mykotoxine zu rechnen.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Flachsbarth, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU):

Sehr gern.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht wieder Dioxineier!)

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Eierei bleibt eigentlich euch überlassen. – Mich interessiert, da Sie – wenn auch nicht erkennbar ist, in welchem Zusammenhang das mit dem Thema steht – über Gentechnik reden und meinen, dass dadurch eine unglaubliche Pestizideinsparung möglich würde und dass Agrogentechnik ein wichtiger Faktor zur Verbesserung der Umweltsituation sei, wie Sie im Hinblick auf eine differenzierte Beurteilung Studien sowohl aus den USA wie beispielsweise auch aus Argentinien, die der Gentechnik und der Agrogentechnik durchaus sehr zugeneigt sind, beurteilen, die zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Die US-Amerikaner beispielsweise stellen fest, dass eine Einsparung nur in den ersten drei Jahren zu verzeichnen sei – das hängt auch von der Kultur ab –, die Einsatzmenge dann aber stark ansteige und die ursprüngliche Einsatzmenge deutlich überschreite. Ähnliche Ergebnisse gibt es in Argentinien.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie müssen bitte eine Frage formulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich frage ja, sogar sehr intensiv, und ich hoffe, nicht noch länger. –

(Zurufe von der FDP: Wir auch!)

Mich treibt um, wie Sie das beurteilen. Darüber hinaus würde ich, da Sie gesagt haben, dass durch die Gentechnik auch der Verbraucherschutz verbessert werde, gerne wissen, wie Sie diese Erkenntnis genau begründen.

Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU):

Frau Kollegin Höfken, Sie wissen genauso gut wie ich, dass es unterschiedliche wissenschaftliche Einschätzungen gibt. Es gibt eine Vielzahl von sehr positiven wissenschaftlichen Einschätzungen und Berichten, die beschreiben, dass es tatsächlich zu herausragenden Einsparungen von Pflanzenschutzmitteln und zu einer wesentlichen Verbesserung insbesondere in den so genannten Entwicklungsländern kommt.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Welche denn?)

Liebe Kollegin, in diesem Zusammenhang ist ganz besonders wichtig, dass wir in unserem eigenen Land im Rahmen des Erprobungsanbaus wissenschaftliche Untersuchungen ermöglichen, um die Unsicherheiten, die es ohne Zweifel noch gibt, auszuräumen, und dass wir uns im Rahmen der Entwicklung von Standards bezüglich Sicherheitssystemen im Umgang mit der Grünen Gentechnik an die Spitze der Bewegung stellen. Leider Gottes verhindert die rot-grüne Bundesregierung durch ihre Politik eben gerade das.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Flachsbarth, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Däubler-Gmelin?

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU):

Bitte schön.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):

Vielen Dank, liebe Kollegin, dass Sie die Frage zulassen. Ich weiß, es stört manchmal schon. – Mir geht es sehr darum, dass wir in dieser umstrittenen Frage endlich einmal über die gleichen Zahlen reden. Da Sie gerade erwähnt haben, dass es zahlreiche Gutachten gebe, die in hohem Maße positiv über Einsparungen berichten würden, habe ich die Bitte, dass Sie diese freundlicherweise ein bisschen konkreter benennen oder sie uns anschließend sogar zur Verfügung stellen.

Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU):

Liebe Kollegin Däubler-Gmelin, ich mache das sehr gerne und werde Ihnen die Untersuchungen im Anschluss an die Debatte zukommen lassen. Ich habe sie jetzt nicht dabei. – Ich glaube, auch diese Diskussion zwischen uns beiden zeigt deutlich, wie eminent wichtig es wäre, dass sich ein Wissenschafts- und Forschungsstandort, der Deutschland doch sein will und sollte, in diesem Zusammenhang aktiv in die Diskussion mit einbringt. Das geht nur, wenn Sie entsprechende Untersuchungen ermöglichen, und eben gerade das ist leider Gottes durch Ihre rot-grüne Politik nicht möglich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber kommen wir auf die Mykotoxine und auf die Bedrohung durch Fusarien zurück. Mögliche Abhilfe könnte fusarienresistenter, gentechnisch veränderter Weizen bieten. Ein entsprechender Probeanbau wurde – das habe ich jetzt mehrfach gesagt – sowohl im letzten wie auch im vorletzten Sommer von Gentechnikgegnern zerstört. Die zuständige Ministerin, Frau Künast, wollte in der Sendung „Frontal 21“, auf die Zerstörung angesprochen, diese noch nicht einmal verurteilen. Ein solches Verhalten ist nicht im Sinne des Verbraucherschutzes, weil der Aktionsplan ebendiesen kontrollierten Erprobungsanbau explizit erfordert.

   Nachzutragen bleibt in diesem Zusammenhang, dass die Firma Syngenta, die den Weizen entwickelt hat, ihre Forschungstätigkeit in Deutschland inzwischen eingestellt hat. Eine Zukunftstechnik mit erheblichen Chancen für eine gesündere Ernährung wurde somit aus Deutschland vertrieben. Lebensmittel, die so gründlich wie keine anderen auf ihre Sicherheit überprüft sind, bekommen aus Gründen des vermeintlich vorsorgenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes keinen Zugang zum deutschen Markt.

   Insgesamt ist das Verbraucherkonzept der Bundesregierung somit zu einseitig, zu bürokratisch und ideologisch belastet. Das ist nicht unsere Auffassung von einer modernen, zukunftsfähigen Verbraucherschutzpolitik.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Waltraud Wolff, SPD-Fraktion.

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin am Ende dieser Debatte schon etwas verwundert.

(Rainer Brüderle (FDP): Oh!)

Die CDU/CSU schwingt sich hier zum Verbraucherschützer der Nation auf.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Das sind wir!)

Ich will daran erinnern: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz gestimmt. Aber heute verkauft sie draußen im Lande die damit verbundenen Erfolge.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): So ein Quatsch!)

Sicherlich wird es so sein, dass Sie uns in zehn Jahren erzählen, Sie hätten den Atomausstieg Deutschlands forciert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann (CDU/CSU): Das würden wir niemals behaupten!)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung macht eine hervorragende Verbraucherpolitik. Das belegt nicht nur der vorgelegte Bericht, sondern das zeigt auch die heutige Debatte in eindrucksvoller Weise. Es wird die Vielfalt der Bereiche deutlich, in denen wir konkrete Maßnahmen umgesetzt haben.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Fruchtsaft!)

Selbst wenn die Kolleginnen und Kollegen der Opposition immer wieder versuchen, das Gegenteil zu suggerieren, werden sie das Rad der guten Entwicklung der Verbraucherpolitik nicht zurückdrehen. Denn die Bündelung der politischen Verantwortung für den Verbraucherschutz in einem eigenen Ressort ist richtig und zielführend.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Gerade bei der Bewältigung der Lebensmittel- und Futtermittelskandale – ich nenne hier nur Dioxin in Kartoffeln und Nitrofen im Getreide – hat sich die Neuorganisation der Lebensmittelsicherheit und des gesundheitlichen Verbraucherschutzes bewährt. Mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung und mit dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit haben wir zwei sehr schlagkräftige Organisationseinheiten, die die Risikokommunikation und auch das Risikomanagement im Krisenfall vortrefflich leisten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Entsprechend werden wir in dem Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechtes mehr Transparenz schaffen und die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin verbessern.

   Die Verbraucherpolitik in dieser Legislaturperiode ist einfach eine Erfolgsstory. Wir haben das Leitbild des mündigen, selbstbestimmten und informierten Verbrauchers. Es bedarf natürlich einer ganz besonderen Informationskultur, die wir hier mitgestalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Dass Verbraucher Informationen einfordern, zeigt eine repräsentative Emnid-Umfrage. Sie zeigt nämlich, dass sage und schreibe 72 Prozent der Verbraucher eine lückenlose Auflistung aller Zutaten in den Lebensmitteln fordern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Etwa die Hälfte der Befragten gab an, dass die Informationen auf Lebensmittelverpackungen unzureichend und unverständlich seien. Diese Tatsache allein belegt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Verbraucherschutz ist für bestimmte Gruppen unserer Bevölkerung besonders wichtig. Ich nenne hier Kinder, Jugendliche und ältere Menschen. Ich war in dieser Woche – wie auch Kollegen aus anderen Fraktionen – auf einer Veranstaltung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen zum Thema „Zielgruppenorientierte Verbraucherarbeit für und mit Senioren“.

Auf dieser Veranstaltung haben wir merkwürdigerweise parteiübergreifend festgestellt, dass gerade die älter werdende Generation eine ganz wichtige Zielgruppe ist; das ist eindeutig. Deshalb müssen wir, müssen alle beteiligten gesellschaftlichen Bereiche für die Verbraucheranliegen von Kindern, von Jugendlichen und von Senioren sensibilisieren und aktuelle Handlungsfelder aufzeigen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

   Betrachten wir doch einmal den Jugendschutz. Hier kann man meiner Auffassung nach nicht genug tun. Ich nenne als erstes Stichwort die Handytarife. Es geht nicht an, dass die Wirtschaft ihre Profite vor den Jugendschutz stellt. In diesem Zusammenhang spreche ich Sie, Frau Hasselfeldt, ganz explizit an. Sie haben hier eingangs gesagt, die Wirtschaft und die Verbraucher hätten gleiche Interessen. Das ist eben nicht so. Die Wirtschaft hat Interesse an Profit; die Verbraucher und erst recht junge Menschen müssen an dieser Stelle geschützt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum ist der Ansatz von Frau Künast völlig richtig, die Wirtschaft aufzufordern, Handyverträge mit Schutzklauseln für junge Nutzer vorzulegen.

   Als zweites Stichwort nenne ich die Alcopops. Wie kann es sein, dass wir hier im Bundestag eine verschärfte gesetzliche Regelung zum Schutz unserer Kinder beschließen und am gleichen Tag von der Wirtschaft neue Wege angekündigt werden, um die jugendliche Kundschaft weiterhin mit Alcopops zu bedienen? Klar ist doch, dass der Gesetzgeber in der Verantwortung steht; diese Verantwortung nehmen wir gern wahr. Dies zeigt sich auch daran, dass Krisen und Skandale immer besser gemanagt werden.

   Eines steht doch fest: Das schwächste Glied in der Kette der Lebensmittelsicherung ist entscheidend. Von daher sind die Länder an dieser Stelle aufgefordert, ihrer Verantwortung nachzukommen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

nämlich die Lebensmittelkontrollen richtig durchzuführen und für eine entsprechende Ausstattung der Behörden zu sorgen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei so manchem Skandälchen in der letzten Zeit muss man fragen, ob es nicht förmlich inszeniert ist. Da wir schon mehrfach über die Schadstoffbelastung der Eier geredet haben, ist es doch erstaunlich, dass passend zur Grünen Woche in den Medien und besonders in der Boulevardpresse über den so genannten Dioxinskandal zu lesen war. Eine Woche später konnte man in „Monitor“ sehen und hören, wer hierbei welche Interessen verfolgt und wie an dieser Stelle Politik ganz gezielt in Misskredit gebracht wurde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte von Ihnen nicht missverstanden werden, denn ich meine auch, dass der Schutz der Verbraucher absoluten Vorrang hat. Aber angesichts einer solch mangelhaften Datenerfassung kann man bei diesen Angriffen auf die Agrar- und Verbraucherpolitik unserer Regierung, gelinde gesagt, auf einige merkwürdige Gedanken kommen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Verbraucherleitbild ist der mündige und verantwortlich handelnde Marktteilnehmer. Was braucht der? Verständliche, vollständige und anwendbare Informationen. Das hat Politik zu leisten; dafür haben wir die Rahmenbedingungen zu schaffen, Frau Kopp. Man kann nicht immer sagen, die Wirtschaft bzw. der Markt werde es schon richten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   In unserem Entschließungsantrag fordern wir, dass die Wirtschaft mehr zielgruppenorientierte und zielgruppenbezogene Maßnahmen für Verbraucherinnen und Verbraucher entwickelt, beispielsweise Seniorenprodukte, Heimverträge und Medienangebote. Aber nicht nur die Wirtschaft ist gefragt. Ich appelliere auch an die großen Verbraucherschützer, die sich heute in dieser Debatte auf den Oppositionsbänken gefunden haben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):

Ich komme zum Schluss. – Seien Sie aufgeschlossen, meine Damen und Herren, und lassen Sie uns Gemeinsamkeiten finden, denn Verbraucherschutz sollte unser aller Anliegen sein. Aber man muss am Schluss auch ganz deutlich sagen: Verbraucherschutz kommt nicht von allein. Wir müssen von staatlicher Seite den richtigen Rahmen setzen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zunächst zum Tagesordnungspunkt 3 a: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/4499 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 15/4865 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/2058. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des Berichts der Bundesregierung über den „Aktionsplan Verbraucherschutz“ auf Drucksache 15/959 den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/1007 zu dem genannten Bericht anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen.

   Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1001 mit dem Titel „Umfassende Politik für Verbraucher – weg von einem engen Aktionsplan zum Schutz der Verbraucher“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion und Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.

   Tagesordnungspunkt 3 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/4281 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Bessere Verbraucherinformation bei Lebensmitteln, Produkten und Dienstleistungen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/927 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Gegenstimmen der CDU/CSU angenommen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis d sowie Zusatzpunkt 2 auf:

4. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Weichen stellen für eine bessere Beschäftigungspolitik – Wachstumsprogramm für Deutschland

– Drucksachen 15/2670, 15/3726 –

Berichterstattung:Abgeordneter Fritz Kuhn

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Für eine qualitätsorientierte und an den regionalen Bedürfnissen ausgerichtete Ausschreibungspraxis von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Ausschreibungspraxis in der Arbeitsmarktpolitik effizient und effektiv ausgestalten

– Drucksachen 15/3213, 15/2826, 15/4598 –

Berichterstattung:Abgeordneter Karl-Josef Laumann

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Fuchs, Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Bürokratische Hemmnisse beseitigen – Bessere Rahmenbedingungen für Arbeit in Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Reform des Kündigungsschutzgesetzes – Abschaffung von Hemmnissen für die Einstellung neuer Mitarbeiter

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Keine Sperrfrist bei Abschluss eines Abwicklungsvertrags nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung

– Drucksachen 15/4156, 15/3724, 15/4407, 15/4622 –

Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Michael Fuchs

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Gemeinnützige Träger bei Ausschreibungen der Bundesagentur für Arbeit zulassen

– Drucksache 15/3313 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ronald Pofalla, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Pakt für Deutschland

– Drucksache 15/4831 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Rechtsausschuss FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ronald Pofalla (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist die erste Debatte im Deutschen Bundestag, die unter dem Zeichen von über 5 Millionen registrierten Arbeitslosen stattfindet. Noch niemals zuvor seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland musste ein Wirtschaftsminister derart desaströse Zahlen verantworten. Die höchste Arbeitslosigkeit seit über 70 Jahren, Herr Clement, haben Sie und diese rot-grüne Bundesregierung zu verantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es ist gerade einmal einen Monat her, Herr Minister, dass Sie gegenüber der „Berliner Zeitung“ vollmundig verkündet haben:

Wir können die Arbeitslosigkeit um 15 bis 20 Prozent senken.

Das war nichts anderes als medialer Hokuspokus und hat mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Vor knapp zehn Tagen haben Sie ebenfalls über die Medien angekündigt, dass man bei der Unternehmensbesteuerung zu Potte kommen könne. In Ihrer eigenen Koalition haben Sie dafür nur Hohn und Spott geerntet. Von einer seriösen Reformbemühung kann nach meiner festen Überzeugung überhaupt keine Rede sein. Auch Ihr Kollege Hans Eichel, der Schuldenweltmeister der Bundesrepublik Deutschland,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD – Ludwig Stiegler (SPD): Das ist immer noch Theo Waigel!)

hat dieses Vorhaben am vergangenen Montag im „Handelsblatt“ erstklassig kassiert.

Wer hat hier eigentlich etwas zu sagen? Der zuständige Minister sagt Nein zur Unternehmensteuerreform, der nicht zuständige Minister, Herr Clement, will die Unternehmensteuerreform und die Koalition ist wie immer uneinig. Im Ergebnis kommt nichts heraus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Clement, Sie sind vom Superminister für Wirtschaft und Arbeit zum Superminister für Wahrsagerei und Ankündigungen mutiert.

(Ute Kumpf (SPD): Heute ist nicht Aschermittwoch! Wir sind in einer Debatte!)

Sie haben keine Vorlagen und keine Ideen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Herr Minister, Sie bewegen nichts und Sie lösen nichts. Sie sind der Arbeitslosenweltmeister der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind persönlich und politisch gescheitert.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Denn die Strategie des Gesundbetens hat auf der ganzen Linie versagt. Erst gestern ist eine neue Studie erschienen, die belegt, dass immer mehr Arbeitsplätze aus Deutschland verlagert werden, weil der Standort Deutschland einfach zu schlechte Rahmenbedingungen vorgibt. Für diese Rahmenbedingungen ist ausschließlich die Bundesregierung, die seit sechs Jahren amtiert, verantwortlich.

   Die Internationale Arbeitsorganisation, die ILO, in Genf hat am Montag festgestellt, dass der weltweite Trend der Arbeitslosigkeit in 2004 gestoppt werden konnte und die Arbeitslosigkeit in der Welt gesunken ist. In Deutschland war leider das Gegenteil der Fall. Weltweit sinkt die Arbeitslosigkeit; in Deutschland steigt sie. Deutlicher kann das rot-grüne Versagen in der Beschäftigungspolitik durch eine Studie gar nicht ausgedrückt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD)

– Auf Ihre Zurufe komme ich gleich zu sprechen.

   Sie als sozialdemokratische Fraktion sind angetreten, etwas zu verändern. Wissen Sie, was Sie verändert haben? Durch die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland – das wird durch Studien bewiesen – nimmt die Armut in Deutschland Jahr für Jahr zu. Sozialdemokraten und Grüne haben ein Ansteigen der Armut durch Massenarbeitslosigkeit in Deutschland zu verantworten. Aus dieser Verantwortung lassen wir Sie nicht hinaus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Ludwig Stiegler (SPD): Nur in den verwirrten Köpfen der Schwarzen!)

   Um es deutlich zu sagen: Die Studie des DIW zeigt auf, dass seit 1999 unter Rot-Grün zwischen dem Anstieg der Armut und dem Anstieg der Massenarbeitslosigkeit ein Zusammenhang besteht. Dazu muss man sagen: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland hat einen Namen und der lautet: Wolfgang Clement.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Auch bei den Jugendlichen ist Ihre Bilanz verheerend. Sie feiern in diesen Tagen den vermeintlichen Erfolg des Ausbildungspaktes. Aber Sie wissen ganz genau, dass die Zahlen eine blanke Irreführung sind. In diesem Monat sind in Deutschland mehr als 635 000 Jugendliche unter 25 arbeitslos. Mehr als 410 000 junge Menschen befinden sich in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit und tauchen in der Arbeitslosenstatistik gar nicht auf. Wenn Sie beide Zahlen addieren, dann ist die Bilanz Ihrer Regierungspolitik für junge Menschen, dass wir zum ersten Mal in Deutschland bei den direkten und indirekten Arbeitslosen über 1 Million junge Menschen haben, die keine Chance haben, weil sie sich nicht auf dem Arbeitsmarkt platzieren können. Dafür sind Sie verantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ludwig Stiegler (SPD): Denen geben wir als Erste eine Chance!)

   Mehr betriebliche Lehrstellen können doch nur dann entstehen, wenn die Pleiteserie in Deutschland endlich gestoppt wird. Im vergangenen Jahr haben fast 40 000 Unternehmen ihre Tore geschlossen – so viele wie nie zuvor. Die volkswirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf mehr als 40 Milliarden Euro. Mehr als 600 000 Arbeitnehmer sind von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffen gewesen.

Herr Minister, ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine andere Zahl hinweisen, die für mich fast noch gravierender ist als die Arbeitslosigkeit – denn an dieser Stelle können Sie nicht tricksen und manipulieren, wie Sie es ansonsten in der Arbeitslosenstatistik und in anderen Zusammenhängen tun –: die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Das sind genau die Arbeitsplätze, die die Last der sozialen Sicherung schultern und die Finanzierung der Renten, der Kranken, der Pflegebedürftigen und der Arbeitslosen übernehmen. Hier erleben wir einen Aderlass in einem noch nie da gewesenen Ausmaß. Seit 42 Monaten sinkt die Zahl der regulär Beschäftigten in der Bundesrepublik Deutschland Monat für Monat.

   Ich sage das – vor allem in Richtung der Sozialdemokraten – noch einmal: Seit 42 Monaten geht die Anzahl der echten Jobs in Deutschland zurück. Im September 2001 gab es in Deutschland noch 28,2 Millionen reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Im September 2002 waren es 27,8 Millionen. Im September 2003 waren es nur noch 27,2 Millionen. In diesem Monat ist bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ein noch tieferer Stand zu verzeichnen. Es gibt nur noch 26,7 Millionen Menschen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, in die entsprechenden Versicherungssysteme einzahlen und damit über ihre Beiträge zur sozialen Stabilität in Deutschland beitragen.

   Man kann es auch anders ausdrücken: Seit Monaten steigt die Arbeitslosigkeit und seit Monaten sinkt die Beschäftigung. Um es in Zahlen zu sagen: Unter Ihrer Regierungsverantwortung, Herr Clement, ging die Anzahl der Jobs in den letzten dreieinhalb Jahren um 1,5 Millionen zurück und die Anzahl der registrierten Arbeitslosen stieg um 1,3 Millionen. Das ist eine verheerende Bilanz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der Mann, der dies zu verantworten hat – ich erinnere mich an Ihre Pressekonferenz von vor wenigen Tagen –, spricht von einer Schockstarre, in die man nicht verfallen dürfe. Herr Minister, wenn diese Zahlen bei Ihnen keinen Schock auslösen, dann weiß ich nicht, wovon Sie, wenn es um die Lage der Bundesrepublik Deutschland geht, überhaupt noch geschockt werden könnten.

(Ludwig Stiegler (SPD): Ein billiger rhetorischer Trick: Starre mit Schock gleichzusetzen!)

Herr Minister, Sie stehen in der Verantwortung. Sie müssen handeln. Sie müssen Vorlagen erarbeiten, tun es aber nicht. Sie sind perspektivlos und haben überhaupt keine Vorstellung davon, wie man die Arbeitslosigkeit in Deutschland wirksam bekämpfen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ludwig Stiegler (SPD): Plumpe Demagogie!)

   Dass das Thema Arbeitslosigkeit weder für Sie noch für Ihre Koalition von Bedeutung ist, zeigt sich daran – darauf will ich in diesem Zusammenhang hinweisen –, dass sich auch der Bundeskanzler verkriecht

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wo ist der denn?)

und an dieser zentralen Debatte zur Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht teilnimmt. Das ist für diesen Bundeskanzler typisch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Clement, Sie stehen allein. Der Bundeskanzler hat in einem Interview, das er um die Jahreswende gegeben hat, Sie persönlich unter anderem für die Umsetzung des Hartz-IV-Konzeptes verantwortlich gemacht. Ich habe Presseberichten entnehmen können, dass Sie um die Jahreswende verunsichert waren. Sie hätten nur uns fragen sollen. Wir hätten Ihnen gesagt: Immer wenn es schwierig wird und der Bundeskanzler Farbe bekennen muss, steht er nicht zu seinen Ministern. Herr Clement, Sie stehen allein. Der Bundeskanzler hat Sie um die Jahreswende in dieser zentralen Frage allein gelassen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Der spielt U-Boot und taucht ab!)

Jetzt müssen Sie allein versuchen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Der Bundeskanzler steht nicht an Ihrer Seite.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ludwig Stiegler (SPD): Das weiß der Pofalla, der Hellseher! Und der Angela laufen die Männer weg!)

   Wir haben Ihnen in einer Debatte Ende Januar dieses Jahres – ich wiederhole das – in einem Pakt für Deutschland angeboten, die Massenarbeitslosigkeit in den nächsten Wochen mit den dafür notwendigen Maßnahmen gemeinsam zu bekämpfen. Da Sie nicht in der Lage sind, Vorlagen in den Deutschen Bundestag einzubringen, haben wir heute einen Zehnpunkteplan eingebracht,

(Franz Müntefering (SPD): Ach du liebe Zeit! – Ludwig Stiegler (SPD): Einen Schmarren in Folio!)

in dem wir deutlich machen, dass die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland sofort mit uns gemeinsam bekämpft werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Herr Müntefering, haben Sie die Kraft, die in Ihrer Fraktion vorhandenen Gewerkschaftsinteressen hintanzustellen

(Franz Müntefering (SPD): Ein Zehnpunkte-Pofalla!)

und dieses Konzept mit uns gemeinsam umzusetzen.

(Franz Müntefering (SPD): Eine tolle Sache!)

Herr Müntefering, Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen.

(Franz Müntefering (SPD): Diese zehn Punkte sollten Sie hier einmal erläutern! Das lohnt sich wirklich! Da lacht das ganze Land! Aber Sie trauen sich wahrscheinlich gar nicht, das hier vorzulesen!)

Dort ist der höchste Stand der Arbeitslosigkeit seit Bestehen dieses Bundeslandes zu verzeichnen.

(Franz Müntefering (SPD): Ihre zehn Punkte will ich gerne einmal hören! Sie müssen sich ja nicht verstecken, wenn Sie zehn Punkte beschlossen haben!)

Ende Februar dieses Jahres wird es zum ersten Mal seit Bestehen des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, in dem Sie seit 39 Jahren regieren und versagen,

(Franz Müntefering (SPD): Nehmen Sie mal Ihre Hand aus der Tasche!)

über 1 Million Arbeitslose geben.

(Franz Müntefering (SPD): Wie ist das denn mit Ihren zehn Punkten? Was ist denn nun?)

Herr Müntefering, Sie sollten als Fraktions- und Parteivorsitzender die Kraft haben, hier mit uns gemeinsam Konzepte in Angriff zu nehmen, aufzugreifen und umzusetzen,

(Ludwig Stiegler (SPD): Lesen Sie den Schmarren vor! Das ist doch eine Lachnummer!)

damit auch in Ihrem Heimatbundesland diese dramatische Zahl von über 1 Million Arbeitslosen, die Realität ist und die Ihre Landesregierung und dieser Minister,

(Franz Müntefering (SPD): Was ist jetzt mit den zehn Punkten?)

der aus seiner Verantwortung als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen geflohen ist, zu verantworten haben, abnimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Müntefering (SPD): Lesen Sie die zehn Punkte einmal vor!)

   Herr Müntefering, ich verstehe ja Ihre Erregung.

(Michael Glos (CDU/CSU): Die ist nur künstlich bei ihm! – Ludwig Stiegler (SPD): Lesen Sie die zehn Punkte vor, damit wir etwas zu lachen haben!)

Sie müssten sich eigentlich schämen für die über 1 Million Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen und für die über 5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland, weil Sie die Verantwortung dafür eben nicht mehr anderen in die Schuhe schieben können. Sie handeln nicht; damit haben Sie diese Arbeitslosen zu verantworten.

(Franz Müntefering (SPD): Filibuster!)

Herr Müntefering, haben Sie die Kraft als Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender der SPD, hier im Deutschen Bundestag mit der Opposition zusammen einen Pakt für Deutschland zu bilden,

(Franz Müntefering (SPD): Das glauben Sie doch selbst nicht!)

der das Ziel hat, die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen.

(Franz Müntefering (SPD): Ein Weißwäscherverein sind Sie!)

– Herr Müntefering, Sie blockieren sich selber.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Müntefering (SPD): Lesen Sie Ihre zehn Punkte doch einmal vor! – Ludwig Stiegler (SPD): Merz, Seehofer, Meyer: Sagt mir, wo die Männer sind!)

   Herr Müntefering, Deutschland braucht endlich wieder eine Bundesregierung, endlich wieder einen Wirtschaftsminister, der die Sorgen der über 5 Millionen Menschen, die arbeitslos sind, ernst nimmt.

(Franz Müntefering (SPD): Sonntag ist Wahl; dann werden wir ja sehen, wie das aussieht!)

Die Bürger in unserem Land haben das mehr als verdient. Handeln Sie als Bundesregierung, handeln Sie als zuständiger Wirtschaftsminister – dafür sind Sie gewählt worden! Wenn Sie dieser Verantwortung nicht nachkommen, sind Sie gescheitert.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Klaus Brandner (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt ist das, was Herr Pofalla hier gerade zum Besten gegeben hat, plumpe Demagogie,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos (CDU/CSU): Sie freuen sich auch noch!)

ein Beispiel dafür, wie ernst es der CDU/CSU mit der Bewältigung der Arbeitslosigkeit in unserem Lande ist. Der Kanzler – das wissen Sie – kommt aus Spanien und wird an dieser Debatte noch teilnehmen; das ist Ihnen doch bekannt.

(Michael Glos (CDU/CSU): Hoffentlich hat er dort etwas gelernt!)

Auch dass Sie das so nutzen, zeigt ja nur, dass es Ihnen nicht um die Sache geht, sondern dass Sie es hier so darstellen wollen – Frau Merkel, da können Sie ruhig den Kopf schütteln –, als ob dieses Thema nicht im Zentrum unserer politischen Arbeit steht. Es steht für uns im Zentrum der politischen Arbeit!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Genau, so ist auch das Ergebnis!)

Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, dass wir es waren, die mit den Hartz-Gesetzen,

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Hartz ist doch gescheitert!)

die am 1. Januar 2005 in Kraft getreten sind, die entscheidendsten Reformen auf dem Arbeitsmarkt angestoßen und umgesetzt haben. 2004 – das wissen Sie – haben wir mit dem Umbau der Bundesagentur für Arbeit und den weiteren Reformen zu Dienstleistungen am Arbeitsmarkt begonnen. Mit diesen Gesetzen sind die weitgehendsten Veränderungen am Arbeitsmarkt umgesetzt worden, die es in der Bundesrepublik Deutschland jemals gegeben hat. Der Sachverständigenrat, dem Sie ja wohl noch am ehesten zuhören werden, bezeichnet die Arbeitsmarktreformen als die bedeutendsten Reformschritte der letzten Jahrzehnte. Nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis und packen Sie nicht Pakte aus, sondern packen Sie mit an, damit die Arbeitslosigkeit abgebaut wird!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Was bietet die selbsternannte Reformfraktion CDU/CSU? Sie legt einen Pakt mit abgestandenen Rezepten vor. Sie fordern die Senkung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung, ohne zu sagen, wie das gegenfinanziert werden soll, Sie fordern die Aufgabe des Günstigkeitsprinzips, Sie greifen in die Tarifautonomie ein, Sie fordern den Abbau von Mitbestimmungsrechten usw. Sie beschimpfen die Betriebsräte als Kostenfaktoren. Dabei sind gerade sie es, die mithelfen und mitstreiten, dass am Standort Deutschland Beschäftigung erhalten bleibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen sie als Übeltäter und diejenigen darstellen, die für diese Krise verantwortlich sind. Ich will das hier in aller Deutlichkeit sagen: Das ist schändlich.

   Wir brauchen nicht jede Woche einen neuen Pakt und eine neue Arbeitsmarktpolitik. Wir brauchen – das wäre hilfreicher – Menschen und Parteien, die anpacken und die Reformen umsetzen und die nicht das tun, was die CDU/CSU hinlänglich getan hat, sich nämlich bei gemeinsam verabschiedeten Reformen im Ernst der Lage aus dem Staub zu machen, wenn sie in der Bevölkerung offensiv auf Widerstand stoßen. Genau das hilft nämlich nicht mit, die Arbeitslosigkeit abzubauen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen auch niemanden, der erklärt, wie schlimm die Lage ist, keine Statistikdiskussion. Wir wissen selbst, wie ernst die Zahlen sind. Sie sind nicht zufrieden stellend.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Aha!)

   Ich will hier nichts beschönigen. Es ist völlig klar, dass wir uns mit der Höhe der Arbeitslosigkeit in diesem Land nicht abfinden können. Die harten Fakten sagen, dass die Zahl der registrierten Arbeitslosen im Januar 2005 5,037 Millionen betrug. Das ist eine Quote von 12,1 Prozent. Wir wissen, dass durch die Hartz-Reformen rund 238 000 Arbeitslose erstmals in der Statistik auftauchen. Als ehemalige Sozialhilfeempfänger waren sie nicht arbeitslos gemeldet oder kommen aus der stillen Reserve. Um es deutlich zu sagen: Diese Zahlen können uns nicht beruhigen, sie beunruhigen. Wir sollten aber auch keine Schönfärberei betreiben; denn im Januar 1998, als Sie noch Regierungsverantwortung trugen – es war also der gleiche Monat –, waren 4,824 Millionen Menschen als arbeitslos registriert. Rechnet man die 238 000 hinzu, dann hatten wir damals eine deutlich höhere Arbeitslosigkeit als jetzt.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es schändlich, dass Sie in der Öffentlichkeit versuchen, mit Ihren Zahlenmanipulationen die Dramatik darzustellen, dass wir die höchste Arbeitslosigkeit der Geschichte haben.

   Auch das wissen Sie: Die Arbeitslosenquote betrug damals 12,6 Prozent.

(Dirk Niebel (FDP): Das ist uninteressant!)

Nur: Wen interessiert das? Ich will diese Statistikdiskussion gar nicht führen, sondern Sie nur in einem Punkt entlarven: Sie versuchen, dieses Land mit statistischen Daten zu täuschen. Es ist richtig, dass die Arbeitslosigkeit zu hoch ist. Deshalb müssen wir daran arbeiten, sie zurückzuführen.

(Beifall bei der SPD)

   Die Konjunktur hat 2000 nicht immer mitgespielt. Die Opposition im Bundesrat leider auch nicht. Das Ergebnis im Vermittlungsausschuss zu den Arbeitsmarktreformen stand bereits im Dezember 2003 fest. Hätten Sie guten Willen gezeigt, dann wäre Hartz bereits im Frühjahr 2004 in Kraft getreten. Wir hätten also ein ganzes Jahr früher starten können, damit die arbeitsmarktpolitischen Gesetze wirken können und die Arbeitslosigkeit somit zurückgeführt werden kann. Stattdessen kam es zu weiteren Verzögerungen. Das ist Ihre Politik. Rüttgers in NRW fordert die Generalrevision und die FDP diskutiert in der nächsten Woche noch einen Antrag, Hartz IV um ein weiteres Jahr zu verschieben. Auch Sie haben oft genug davon gesprochen, Hartz IV zu verschieben. Milbradt hat mit den Gegnern der Arbeitsmarktpolitik, für die die CDU vorher gestanden hat, Arm in Arm dafür demonstriert, dass sie ausgesetzt und boykottiert wird. Das ist die Situation in diesem Land. Sie säen Verunsicherung und wundern sich, dass die Bevölkerung keine Orientierung mehr hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Erst beschließen Sie Gesetze mit und anschließend stehen Sie nicht mehr zu dem, was Sie gerade noch beschlossen haben.

   Zu der Blockadehaltung könnte man vieles auflisten. Ich nenne nur die Eigenheimzulage und Ihr Verhalten im Bundesrat. Deshalb will ich Ihnen ganz offen sagen: Anstatt konstruktiv mitzuarbeiten, betreiben Sie systematisch eine Strategie der Verunsicherung. Sie schreiben in Ihrem Antrag – das ist sehr bezeichnend –, die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei ein nationales Unglück.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Ja, was denn sonst? – Michael Glos (CDU/CSU): Ist sie ja auch!)

Ich glaube, die Historie zeigt, welchen Anteil Sie an diesem nationalen Unglück haben und wie wenig Sie bis heute mitgeholfen haben, die Lage zu verbessern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ihre Krokodilstränen sind auch in anderer Hinsicht sehr interessant, nämlich wenn es darum geht, wie man mit der Arbeitslosigkeit umgeht. Ich lese einmal vor, wie Herr Glos in einer Pressekonferenz in der letzten Woche zu den Entlassungen bei der Deutschen Bank Stellung nimmt und welches Mitgefühl er gegenüber den Arbeitslosen ausdrückt: Wissen Sie, wenn ich mir die betroffenen 2 000 Arbeitnehmer der Deutschen Bank ansehe – das sind in weiten Teilen Analysten und junge Bankkaufleute, die ohnehin immer schneller einen Job suchen –, dann hält sich mein Mitgefühl angesichts der angekündigten Entlassungen in Grenzen.

   Ihnen ist scheinbar egal, dass 2 000 Menschen auf der Straße stehen. Uns ist das nicht egal.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb will ich hier ganz deutlich sagen, dass ich mich von dem Stil von Herrn Ackermann und anderen, die so beliebig mit der Arbeitslosigkeit umgehen, distanziere. Wir würden es als gut empfinden, wenn die Unternehmen auch von Ihnen aufgefordert würden, ihre gestiegenen Gewinne für Investitionen zu nutzen. Sie sollen diese nicht in Profitraten stecken, sondern in Arbeitsplätze investieren. Dann hätten wir einen gemeinsamen nationalen Pakt geschaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ihr tut aber nichts!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?

Klaus Brandner (SPD):

Bitte.

Michael Glos (CDU/CSU):

Herr Kollege, würden Sie mir bestätigen, dass dies ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat ist? Ich habe gesagt: Es geht nicht um 6 000 Arbeitskräfte, sondern um 2 000 Arbeitskräfte in Deutschland. Darüber hinaus habe ich erklärt, dass wir froh sein müssen, dass der Konzernsitz einer Großbank in Deutschland bleibt. Würden Sie mir auch bestätigen, dass die Kampagne Ihrer Parteikollegin, der hessischen Landesvorsitzenden, gegen die Deutsche Bank für die Arbeitsplätze viel gefährlicher ist und zu einer Gefährdung von weiteren Arbeitsplätzen führen kann?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Klaus Brandner (SPD):

Erstens. Herr Kollege Glos, an der Länge des Zitats sehen Sie, dass ich nicht nur kurz, sondern schon etwas länger, also im Zusammenhang zitiert habe. Zweitens. 2 000 Arbeitsplätze sind für uns wichtig genug, anzumerken, dass man für die Erhaltung dieser Arbeitsplätze eintreten muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dies gilt besonders angesichts der Situation, in der sich dieser Konzern befindet. Wir hätten erwartet, dass man Alternativen vorschlägt, wie dieser Beschäftigungsabbau abgewendet werden könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das erwarten wir von innovativen Unternehmen und insbesondere von einer Bank, die ein so gutes Ergebnis vorgelegt hat. Daher hätten wir uns eine andere Signalwirkung erhofft. Das erwarten wir auch von der Opposition, Herr Glos.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Die Frage zu Hessen haben Sie nicht beantwortet!)

   Lassen Sie mich einen Satz zur Konjunktur sagen. Wir befinden uns – das ist ohne Frage richtig – in einer schwierigen konjunkturellen Situation. Auf die Ölpreise, den Eurokurs, aber auch die Reformverunsicherung hinsichtlich des Wachstums im vierten Quartal, das rückläufig ist, sei in diesem Zusammenhang hingewiesen. Ich will trotzdem deutlich machen: Ein Wachstum von 1,6 Prozent in 2004 ist ein Zeichen dafür, dass wir die Stagnationsphase überwunden haben und dass wir jetzt alles dafür tun müssen, das für 2005 prognostizierte Wachstum von 1,6 Prozent tatsächlich zu erreichen.

   Dafür, dass dies der Fall sein wird, sprechen eine Menge von aktuellen Indikatoren, zum Beispiel der Ifo-Geschäftsklimaindex oder die ZEW-Konjunkturanalyse, die diese Woche ein Plus von neun Punkten ausweist, das Konsumentenverhalten im Februar mit einem Plus von 4,1 Prozent, die Auftragseingänge und vieles mehr. All das zeigt: Nicht nur der Export, sondern auch die Binnenkonjunktur springt wieder an.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Wo denn?)

Wir sollten deshalb – das ist das Entscheidende – die Lage nicht schlechtreden, sondern gemeinsam Vertrauen in die Aufbruchsignale schaffen, damit es in diesem Land endlich vorwärts geht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich deshalb deutlich sagen, dass man sich gerade vor dem konjunkturellen Hintergrund mit dem Grundtenor Ihres Paktes einmal auseinander setzen muss. Wir alle wissen, dass die Binnennachfrage die Achillesferse ist. 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entstehen aus dem privaten Konsum. Dies vor Augen kann es nur darum gehen, den privaten Verbrauch zu stärken. Was aber fordern Sie? Sie fordern den Abbau von Arbeitnehmerrechten, weniger Kündigungsschutz und eine geringere Entlohnung. Sie wollen eine Verunsicherung und Schwächung der Arbeitnehmer. Wie das zu einem Anstieg der konjunkturell notwendigen Binnennachfrage führen soll, ist mir ein Rätsel.

   Deshalb rate ich Ihnen, einen Pakt, der aufbaut, vorzulegen, nicht aber einen Pakt, der abbaut. Damit kommen wir in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht einen Millimeter weiter.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Klaus Brandner (SPD):

Bitte, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Kollege Brandner, Sie haben eben mehrmals darauf verwiesen, dass die Beseitigung der Arbeitslosigkeit die große, zentrale Aufgabe dieser Bundesregierung ist. Wenn dem so ist, dann möchte ich Sie fragen, warum sich außer Minister Clement kein weiterer Bundesminister auf der Regierungsbank befindet.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Sie negieren dieses Problem. Sie nehmen es nicht ernst. Sie sehen die Sorgen und Nöte der Bürger nicht. Sie müssen endlich schalten und walten und etwas tun, wie es der Vorredner Pofalla eben gesagt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Ludwig Stiegler (SPD): Ihren Schmarn muss das Kabinett nicht ernst nehmen!)

Klaus Brandner (SPD):

Herr Hinsken, erstens möchte ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Regierungsbank gut besetzt ist.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ein Bundesminister! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben keine erste Reihe mehr!)

Es sind viele Vertreter der Regierung da. Ich wusste gar nicht, dass Sie davon ausgehen, dass die Staatssekretäre nicht zur Regierung gehören. Sie haben offenbar ein ganz neues Rechtsverständnis.

   Zum Zweiten sage ich Ihnen: Ich finde es wichtig, dass sich alle im Land immer dann, wenn sie Zeit haben, für die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und den Abbau der Arbeitslosigkeit einsetzen. Ich gehe davon aus, dass diese Regierung das mit allem Nachdruck und allem Engagement tut.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es wäre gut, wenn Sie nicht auf solche Nickeligkeiten hinweisen würden, sondern sich mit dem Zickzackkurs beschäftigen würden, den die CDU/CSU in der Vergangenheit gesteuert hat. Ich erinnere beispielsweise an Ihre Vorschläge zur Senkung des Beitragssatzes der Arbeitslosenversicherung. Das ist doch nichts anderes als das Einschränken der Arbeitsmarktpolitik auf Kernaufgaben, nämlich nur noch auf die Auszahlung des Arbeitslosengeldes. Dafür brauchen wir keine Bundesagentur für Arbeit. Wer die Arbeitslosigkeit weiter bekämpfen will, muss sagen, wie er das finanzieren will. Will er eine Kreditfinanzierung oder eine Erhöhung der Mehrwertsteuer

(Ronald Pofalla (CDU/CSU): Reden Sie doch nicht so einen Quatsch!)

oder will er die Senkung der Staatsausgaben?

(Ludwig Stiegler (SPD): Jeder will bei denen etwas anderes!)

   Sie fordern zum Beispiel bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten. Frau Merkel, die hier sitzt, hat zusammen mit Herrn Koch im Rahmen der Hartz-Debatte noch dafür gesorgt, dass Minijobber keinen einzigen Cent zu den 400 Euro hinzuverdienen können. Das Motto war: Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): So ein Quatschkopf!)

Nicht eine müde Mark Hinzuverdienst! Die Propaganda war, dass mehr Druck auf die Arbeitslosen eine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt bringt. Jetzt überschlägt sich die Union mit Forderungen, einen höheren Hinzuverdienst zu ermöglichen, was sie im Vermittlungsausschuss noch verhindert hat. Das ist ein Zickzackkurs, Frau Merkel, den ich Ihnen deutlich vorhalten muss. Heute so, morgen so!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Bei der Forderung, den Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung zu senken, verhält es sich nicht anders.

   Nehmen wir die von uns gemeinsam beschlossene Befristung bei der Altenpflegerausbildung. Die unionsregierten Länder und die FDP fordern jetzt, die Ausbildung zum Altenpfleger unbefristet aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit zu finanzieren.

(Dirk Niebel (FDP): Nein, nur die Umschulung!)

Auf der anderen Seite fordern Sie, die Beitragssätze zu senken. Das ist ein Zickzackkurs. Der Kollege Laumann hat konstruktiv mitgeholfen, eine Einigung mit der CDU/CSU auf den Weg zu bringen. Die unionsregierten Länder machen das aber anders, Herr Laumann. Das wissen Sie doch. Sie rufen den Vermittlungsausschuss an, um die von mir angesprochene sachfremde dauerhafte Regelung zu bekommen. Die CDU/CSU hat sich also das Markenzeichen, einen Zickzackkurs zu steuern, redlich verdient.

   Ich will deutlich darauf hinweisen, dass wir in der Arbeitsmarktpolitik und auch insgesamt darauf setzen, Sicherheit im Wandel zu gewährleisten. Die Reformen müssen wirken.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Phrasen, nur Phrasen!)

Ständige Kursänderungen sind schädlich.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, Ihre Redezeit!

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Das ist gut so!)

Klaus Brandner (SPD):

Die Bereitschaft zum Wandel in der Gesellschaft bedeutet auch, dass wir die Menschen mitnehmen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Lange geschwatzt und nichts gesagt!)

Sie erfordert auch Sicherheit. In der Vergangenheit waren wir uns mit weiten Teilen der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft einig, dass diese Sicherheit erhalten bleiben muss.

   Mut zur Veränderung und Zukunftsoptimismus können aus meiner Sicht nur gedeihen, wenn den Menschen nicht der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Das musste einmal vorgelesen werden!)

Das ist aber etwas, was Sie mit Ihrem Pakt, mit diesen zehn Punkten, tun würden. Deshalb wollen wir, dass das Arbeitsrecht und der Arbeitsmarkt mit dem erforderlichen Umfang an Flexibilität ausgestattet werden; aber dazu brauchen wir die Schutzstandards. Die Arbeitnehmerrechte müssen dafür nicht beschnitten werden. Statt des Abbaus von Arbeitnehmerrechten ist ihre Modernisierung notwendig.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Darf der eine ganze Stunde reden! – Manfred Grund (CDU/CSU): Vorlesen!)

   Insofern fordere ich Sie auf: Packen Sie Ihren Pakt ein und helfen Sie aktiv mit, die auch von Ihnen beschlossenen Reformen offensiv umzusetzen! Dann kommen wir in diesem Land ein großes Stück weiter. Damit würden Sie den Menschen einen großen Dienst erweisen. Mit dem Pakt wird das nicht gelingen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP – Gerd Andres (SPD): Das ist der Arbeitsvermittler Niebel! Das muss man festhalten!)

Dirk Niebel (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Andres, 5 037 142 Menschen wurden an einem Stichtag gezählt. Bei diesen Einzelschicksalen handelt es sich nicht um eine statische Masse; vielmehr ändern sich die Personenkreise ständig. Es sind also weit mehr Menschen individuell betroffen. Aber der Staatssekretär und Gewerkschaftssekretär Andres macht nur dicke Lippen, statt sich des Problems anzunehmen.

(Beifall bei der FDP – Gerd Andres (SPD): Der Arbeitsvermittler Niebel! Der erfolgreichste Arbeitsvermittler, den wir je hatten! Im Arbeitsamt Heidelberg!)

   Wir brauchen eine Politik, die sich um die Menschen kümmert, die außerhalb des Arbeitsprozesses stehen und eine Chance bekommen wollen, in diesen Prozess hineinzukommen. Das ist eigentlich Ihre Aufgabe, Herr Andres, aber da Sie ihr offenkundig nicht nachkommen, haben Sie sich richtigerweise auf den Abgeordnetenplatz gesetzt.

(Zuruf von der SPD: Was ist denn dagenen zu sagen?)

Vielleicht können Sie an dieser Stelle Besseres bewirken.

(Klaus Brandner (SPD): Was will uns diese Botschaft sagen?)

   Das Grundproblem besteht doch nicht darin, dass die Firmen und Betriebe die Menschen rausschmeißen wollen, wie Sie uns das immer zu suggerieren versuchen; es besteht darin, dass Arbeitskräfte nur dann beschäftigt werden können, wenn es Aufträge gibt. Einem Unternehmer, dem die Aufträge fehlen, fällt es schwer, seine Mitarbeiterschaft zu halten. Das Problem liegt darin begründet, dass es diese rot-grüne Regierung seit 1998 nicht in den Griff bekommt, Wachstum zu schaffen, durch das die Zahl der Aufträge steigt und das zu mehr Beschäftigung in diesem Land führt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wenn in einem Jahr mehr als 40 000 Betriebe in die Insolvenz getrieben werden, dann sind das nicht die ersten, die sich überlegen, ob sie junge Menschen für drei Jahre als Auszubildende einstellen können. Sie denken vielmehr darüber nach, wie sie am Markt existieren und Aufträge akquirieren können, um ihre Belegschaft zu halten.

   Was aber machen Sie? Sie beschränken sich auf die Beschimpfung der Opposition. Der Staatssekretär bringt bräsige Sprüche gegenüber dem Parlament. So werden Sie mit Sicherheit nicht zukunftsfähig werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU))

   Die Arbeitslosigkeit hat in Deutschland den höchsten Stand seit 70 Jahren erreicht. Das sollte eigentlich Anlass genug sein, fernab von Wahlkampftheatralik und Polemik darüber zu sprechen, wie wir die Situation in den Griff bekommen können. Wir werden sie nicht dadurch in den Griff bekommen, dass Sie immer nur versuchen, Besitzstände zu wahren. Offenbar heißt es in Art. 1 des sozialdemokratischen Grundgesetzes: Einmal gewonnene Besitzstände sind unangreifbar.

(Ludwig Stiegler (SPD): Vorwärts immer, rückwärts nimmer!)

Das geht aber nicht an. Wir müssen den Menschen die Möglichkeit bieten, wieder in Beschäftigung zu kommen. Nur dann können sie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen und nur dann sind sie in der Lage zu konsumieren.

   Informieren Sie sich in der heutigen Ausgabe der „Welt“ über die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland! Der Binnenkonsum ist am Zusammenbrechen. Das Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent, von dem Sie immer wieder reden – wir hoffen darauf, auch wenn es immer noch deutlich unter der Beschäftigungsschwelle liegt –, ist doch nur vom Ausland induziert.

   Wir müssen dafür sorgen, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Dafür müssen die Rahmenbedingungen verändert werden. Das bedeutet erstens, dass die sozialen Sicherungssysteme in den Griff bekommen werden müssen. Seitens der FDP haben wir entsprechende Vorschläge vorgelegt, die sich sowohl auf die Neuordnung der Arbeitslosenversicherung als auch auf ein Entlassen der Krankenversicherung in die Freiheit und die Neufinanzierung der Pflegeversicherung beziehen.

(Gustav Herzog (SPD): Ihre Freiheit, Herr Niebel!)

Das alles sind Punkte, in denen wir viel weiter sind als Sie.

   Zweitens müssen wir die Bürokratie in den Griff bekommen. Es geht nicht an, dass in einem Betrieb pro Arbeitsplatz und Jahr Kosten in Höhe von 3 200 Euro für Frondienste gegenüber dem Staat entstehen. Herr Clement, der große Superminister, hat einen Masterplan Bürokratieabbau angekündigt. Es ist noch nicht einmal ein kleines Mäuslein daraus geworden.

   Drittens. Weil wir alle wissen, dass Deutschland kein Niedriglohnland werden soll und kann, müssen wir innovationsfähig bleiben.

(Beifall bei der FDP)

Dabei steht Herr Clement uns viel näher als den Regierungsfraktionen. Es geht doch nicht an, die Grüne Gentechnik allein aus ideologischen Gründen aus dem Land zu treiben. Es geht doch nicht an, die Stammzellenforschung, die Chancen für Arbeitsplätze in der Zukunft bietet, aus vorgeschobenen ethischen Gründen aus dem Land zu treiben. Wenn aber die Grünen älter werden und Zipperlein bekommen, dann bestellen sie über das Internet Medikamente, die durch die Stammzellenforschung entwickelt wurden.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael Glos (CDU/CSU))

Wir können unsere Chancen im Wettbewerb mit anderen Ländern und Gehaltsstrukturen nur dann wahren, wenn wir unsere Innovationsfähigkeit hochhalten. Wenn wir unsere Innovationsfähigkeit hochgehalten hätten, dann würde der Transrapid in Deutschland und nicht in Schanghai fahren, Herr Minister. Wenn wir aus Ängstlichkeit neue Technologien vertreiben, dann werden wir nicht nur hoch qualifizierte, sondern auch geringer qualifizierte Arbeitsplätze vernichten. Ich sage den Grünen ganz klar: In China herrscht zwar momentan ein großer Boom. Aber noch immer ist ein Drittel der chinesischen Haushalte nicht elektrifiziert. Meinen Sie nicht, dass auch diese irgendwann einmal Strom haben wollen? Wenn bei uns nicht weiter an der Sicherheit der Kerntechnologie geforscht wird, dann werden wir sie auch nicht exportieren können und die anderen bauen sich ihre eigenen Kraftwerke. Im Hinblick auf den globalen Wettbewerb und die Umweltverschmutzung halte ich das nicht für einen wirklichen Fortschritt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die Ängstlichkeit von Rot-Grün vernichtet Zukunftsarbeitsplätze in Deutschland. Der Kanzler ist übrigens nicht gekommen, obwohl er gesagt hat, dass er sich jederzeit am Abbau der Arbeitslosigkeit messen lasse. Ich habe eine ganze DIN-A-4-Seite mit derartigen Zitaten. Als der Bundeswirtschaftsminister sein Amt antrat, gab es 3,92 Millionen registrierte Arbeitslose – eigentlich müsste man die nicht registrierten noch hinzurechnen – und nun hat er die höchste Zahl an Arbeitslosen seit 70 Jahren zu verantworten. Er tut aber in den öffentlichen Verlautbarungen so, als ob das nur daran läge, dass die böse Opposition Konzepte vorlegt, die er nicht mittragen kann. So werden Sie nicht erfolgreich sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gerd Andres (SPD): Eine „niebulöse“ Rede war das! – Ludwig Stiegler (SPD): Niebel im Nebel!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einigen Vorbemerkungen beginnen. Herr Niebel, ich möchte Sie nur daran erinnern, dass Sie sich in der gestrigen Ausschusssitzung mit Vorschlägen hervorgetan haben, die darauf abzielen, der Förderung des Exportes erneuerbarer Energien durch die Bundesregierung unter anderem nach China den Garaus zu machen. Das verstehen Sie unter Exportförderung und Energiepolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Niebel, bitte.

Dirk Niebel (FDP):

Liebe Frau Kollegin, stimmen Sie mir zu – das können Sie gegebenenfalls im Protokoll nachlesen –, dass ich mich in der gestrigen Ausschusssitzung kein einziges Mal zu Wort gemeldet habe?

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das spricht aber für Sie als sehr engagierten Kollegen! – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist ja unglaublich! Sie schwindeln, Frau Dückert!)

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Niebel, ich muss Ihnen zustimmen, wenngleich Sie sich bei den Zurufen – das kennen wir schon – wieder einmal nicht zurückgehalten haben. Aber ich gehe noch immer davon aus, dass Sie Mitglied Ihrer Fraktion sind und die politische Haltung Ihrer Fraktion unterstützen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Geschwindelt! Ertappt!)

Herr Niebel – bleiben Sie bitte stehen; ich bin noch nicht fertig –, ich möchte Sie daran erinnern, dass sich Ihre Fraktion gestern tatsächlich gegen die Unterstützung des Exports erneuerbarer Energien stark gemacht hat und dass sie dagegen votiert hat.

   Noch ein anderer Punkt: Herr Niebel, Sie sprachen eben davon, wir verstiegen uns in Oppositionsbeschimpfungen. Ich halte es nicht für eine Oppositionsbeschimpfung, wenn ich Sie daran erinnere, dass Sie persönlich im Sommer letzten Jahres durch das Land gezogen sind und ständig behauptet haben – auch hier im Bundestag –, der 1. Januar 2005 sei das Datum für den Ausbruch bürgerkriegsähnlicher Verhältnisse in Deutschland, weil wir dann Hartz IV einführten. Das ist ein Beispiel für Ihre Politik der Verunglimpfung von Menschen und dafür, wie Sie immer wieder versuchen, sich aus Ihrer Verantwortung für die Umsetzung notwendiger Reformen zu stehlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich möchte noch eine Vorbemerkung machen. Heute liegen viele Anträge vor allen Dingen von CDU und CSU zur Beschäftigungspolitik vor.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Gute Anträge!)

Aber es liegt kein einziges Konzept von Ihnen zur Verbesserung der Beschäftigungsentwicklung vor. – Ich weiß, dass Sie einen Pakt vorgelegt haben. Darauf werde ich gleich zu sprechen kommen.

   Ich möchte noch ein anderes Beispiel anführen, das belegt, dass Sie nicht in der Lage sind, sich substanziell in die Debatte über die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland einzumischen. Herr Pofalla hat am Anfang seiner Rede beklagt – Sie erinnern sich sicherlich –, dass die Bundesregierung über eine Unternehmensteuerreform diskutiert. Er hat aber gleichzeitig beredt verschwiegen, dass die Opposition noch nicht einmal in der Lage ist, über das offenbar verschwundene Bierdeckelkonzept von Herrn Merz hinausgehende Konzepte für eine Unternehmensteuerreform in die Debatte einzubringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ludwig Stiegler (SPD): Sag mir, wo die Männer sind! – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das liegt doch im Ausschuss! Es liegt alles vor!)

Herr Pofalla, wenn ich mir das alles zu Gemüte führe, kann ich zu Ihrer gesamten Rede mit den Worten Lichtenbergs nur sagen: „Ach, wäre es doch heiße Luft gewesen – es war nur ein wehendes Vakuum.“

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Michael Glos (CDU/CSU): Wie originell!)

– Ich werde darauf noch zurückkommen.

   Meine Damen und Herren, ich finde es richtig, wenn Sie hier mit Engagement thematisieren, dass wir es mit über 5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland zu tun haben. Das sind in der Tat wirklich viel zu viele und auch die Struktur dieser Arbeitslosigkeit lässt keinen in dieser Regierung und in Deutschland ruhig bleiben. Das ist völlig klar. Es ist auch richtig, dass eine stille Reserve noch hinzuzurechnen ist. Weil diese Reserve still ist, kann sie natürlich in der Statistik nicht aufgeführt werden. Bei dieser stillen Reserve handelt es sich um Menschen, die Arbeit suchen, sich aber nicht melden.

   Vor dem Hintergrund dieser Daten kann die eindeutige Botschaft nur lauten: Wir müssen mit den Reformen weitermachen. Das ist die Botschaft in der jetzigen Situation; das ist vollständig klar.

   Sie schlagen in Ihren Anträgen einen Pakt mit zehn Punkten vor. Dazu will ich Ihnen eines sagen: Ganz abgesehen davon, wie sich diese zehn Punkte auf die Beschäftigungssituation auswirken – zur Bewertung komme ich gleich noch –, sind Sie doch diejenigen, die jetzt über Land ziehen und sich immer wieder von Hartz IV distanzieren, von einem Gesetz, das nach hartem Kampf im Vermittlungsausschuss mit Ihrer Zustimmung verabschiedet wurde.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Das stimmt überhaupt nicht!)

– Herr Laumann, auch Sie tun es gerade wieder mit Zwischenrufen. Herr Ministerpräsident Milbradt hat sich davon distanziert und auch Herr Rüttgers macht es immer wieder. Wenn man Sie einmal für ein gemeinsames Projekt gewinnt, machen Sie sich immer so schnell wie möglich wieder vom Acker. Deshalb ist Ihr Angebot auch nicht seriös.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Debatte um 5 Millionen Arbeitslose wird bei Ihnen aber noch in einer ganz anderen Weise instrumentalisiert. Die über 5 Millionen arbeitslosen Menschen in diesem Land werden zum Beispiel von Ministerpräsident Stoiber zum Kronzeugen genommen für die dumpfe Parole, die Bundesregierung sei schuld am Rechtsextremismus,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Da hat er nur Müntefering zitiert!)

die Arbeitslosigkeit von über 5 Millionen sei schuld am Wiedererstarken der NPD.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es!)

– Ich höre schon wieder: „So ist es.“ – Meine Damen und Herren, Sie benutzen diese Debatte für eine geschichtslose, unhistorische Gleichsetzung der politischen und sozialen Situation von 1932 mit der Situation im Jahre 2005.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf des Abg. Ernst Hinsken (CDU/CSU))

Wo leben Sie denn? Es ist doch erschreckend, dass Politiker wie Herr Hinsken oder Ministerpräsident Stoiber

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Müntefering! Oder Schröder! Schröder auch! 1998!)

als Mitglieder der politischen Elite hier einen geschichtsblinden Vergleich in die Welt setzen, der eigentlich nichts anderes macht, als diejenigen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, gleichzeitig noch zu verunglimpfen. Sie trauen sich nicht, das hier zu sagen, aber an den Stammtischen in Deutschland thematisieren Sie den Vergleich immer wieder. Sie benutzen diese 5 Millionen Arbeitslosen für eine solche Propaganda, meine Damen und Herren. Das ist unwürdig.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sie wissen, dass das, was Sie sagen, falsch ist!)

   Stattdessen sollten Sie sich mal auseinandersetzen mit Ihren eigenen Beschlüssen zum Beispiel in Berlin im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, wo Sie eine Gedenkveranstaltung zum 8. Mai dazu nutzen, die Differenzierung zwischen Tätern und Opfern zu verwischen. Gestern noch sagte Ihr Bürgermeister im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, man könne die Geschichte nicht auf zwölf Jahre Nazigeschichte reduzieren.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Da spricht ja das letzte Aufgebot!)

Auch das gehört in die Debatte, die Sie um die Arbeitslosigkeit in unserem Lande führen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist nicht doll angekommen!)

   Meine Damen und Herren, lassen Sie mich feststellen: Das ist eine populistische Debatte.

(Michael Glos (CDU/CSU): Na, so was!)

Trotzdem möchte ich jetzt auf das, was Sie hier inhaltlich vorschlagen, eingehen

(Michael Glos (CDU/CSU): Das wird auch höchste Zeit! Darauf warten wir schon lange!)

und die Frage stellen: Bringt es der Beschäftigungssituation in Deutschland etwas? Bringt es sie voran? Ist der Pakt, den Sie uns vorschlagen, ehrlich und wirksam?

   Ein Punkt dieses Paktes sieht vor, den Kündigungsschutz für viele Menschen zu streichen, indem die Schwelle entsprechend verändert wird. Ich frage Sie: Wie sollen dadurch Arbeitsplätze entstehen? Alle Untersuchungen der OECD oder wissenschaftlicher Institute im In- und Ausland belegen hinlänglich – das wissen auch Sie –, dass der Abbau von Schutzrechten von Arbeitnehmern – das gilt gerade für den Kündigungsschutz – überhaupt nicht dazu beiträgt, die gesamtgesellschaftliche Beschäftigungslage zu verbessern. Es ist wahr: Ein solcher Abbau trägt zu mehr „hire and fire“ bei; aber er trägt nicht dazu bei – ich wiederhole es –, die Beschäftigungssituation insgesamt zu verbessern.

   Sie schlagen vor, die Mitbestimmung in den Betrieben zu schleifen. Auch Sie wissen, dass gerade die Mitbestimmung, die Tarifautonomie usw. Deutschland einen sozialen Frieden beschert, der sich zum Beispiel darin äußert, dass Konflikte nicht in den Betrieben ausgetragen werden und dass wir die wenigsten Streiktage in Europa haben. Ich frage Sie mit allem Ernst: Wie soll der Vorschlag, die Mitbestimmung in den Betrieben zu schleifen, angesichts der Flexibilität, mit der unsere Betriebe auf Krisensituationen reagieren können, zu mehr Beschäftigung in Deutschland führen?

   Sie schlagen vor, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sofort um 1,5 Prozentpunkte zu senken, ohne einen Vorschlag zur Gegenfinanzierung zu machen. Wie stellen Sie sich die Streichung von Einnahmen in Höhe von 11 Milliarden Euro vor? Sollen alle Maßnahmen der Wiedereingliederung, der Qualifizierung und der Existenzgründung gestrichen werden? Ist das die Reaktion darauf, dass die Arbeitslosigkeit – wir beklagen diese Situation zu Recht – zu hoch ist? Lautet Ihre Antwort, den Menschen durch einen arbeitsmarktpolitischen Kahlschlag nicht mehr dabei zu helfen, den Weg in den Arbeitsmarkt zurückzufinden? Auch das ist keine Lösung unserer heutigen Arbeitsmarktprobleme.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Herr Pofalla, schauen Sie sich einmal Ihre beschäftigungspolitischen Vorschläge, durch die die Arbeitslosigkeit von 5 Millionen Menschen abgebaut werden soll, an, insbesondere den bahnbrechenden Vorschlag in Punkt 18. Da wird vorgeschlagen, Kleinbetriebe von der Pflicht zur Bestellung von Sicherheitsfachkräften und Betriebsärzten zu entbinden.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Das wäre doch gut! – Dirk Niebel (FDP): Wissen Sie, was das kostet?)

Ich glaube, ich brauche das nicht zu kommentieren. Dazu, dass sich die Opposition für einen solchen Pakt einsetzt, sage ich: Das ist nicht einmal heiße Luft, sondern nur ein Vakuum.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos (CDU/CSU): Sie sind sehr weltfremd! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben keine Ahnung – Dirk Niebel (FDP): Das kostet den Staat keinen Cent, aber entlastet die Unternehmen enorm!)

   Wir müssen uns mit allen Kräften anstrengen – das ist richtig –, die Arbeitsmarktsituation zu verbessern und die Beschäftigungsquote zu erhöhen. Besonders wichtig ist natürlich, die zu hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Der Ausbildungspakt hat zwar gewirkt, aber nicht ausreichend. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn Sie mit einem Pakt initiativ werden wollen, dann setzen Sie sich bei Ihren Landräten dafür ein, dass landauf, landab weitere Ausbildungsplatzpakte geschlossen und weitere Ausbildungskonferenzen durchführt werden. Die Unternehmer dürfen bei der Umsetzung des Konzepts „Fördern und Fordern“ nicht vergessen werden; sie dürfen nicht aus der Pflicht entlassen werden. Sie müssen dazu gebracht werden, ihre Pflicht, auszubilden, zu erfüllen. Völlig klar ist: Der Staat steht in der Verantwortung, was die Schulausbildung anbelangt.

   Natürlich haben wir Dringlichkeiten. Wir müssen die Beschäftigungsschwelle senken. Das ist schon geschehen: Zum Beispiel sind durch die neue Handwerksordnung über 16 000 neue Betriebe gegründet worden. Die Beschäftigungsschwelle liegt heute bei 1,6 Prozent. Das ist eine Verbesserung, auch wenn es noch nicht ausreicht.

   Außerdem müssen wir mehr Brücken in den Arbeitsmarkt bauen. Das ist völlig klar. Wir müssen Existenzgründungen weiterhin fördern. Sie beklagen, dass wir Existenzgründungen – zurzeit sind es 360 000 geförderte – nicht hinreichend fördern. Ich denke, wir haben den richtigen Weg – Stichwort Ich-AG – eingeschlagen.

   Ich sehe an dem Signal, dass ich gleich zum Schluss kommen muss, aber ich möchte Ihnen noch eines mit auf den Weg geben:

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Au ja!)

Wenn es gilt, den Weg in den Arbeitsmarkt zu fördern, dann gilt es auch – Frau Merkel, ich sehe Sie da gerade sitzen –,

(Michael Glos (CDU/CSU): Ach nein, was Sie nicht sagen! – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Im Gegensatz zum Bundeskanzler!)

endlich mit den Fehlern der Vergangenheit aufzuhören. Frau Merkel, Sie sind, wie Sie selber gesagt haben, aufgewacht. Sie haben über Nacht dazugelernt. Das wollen Sie sich nicht nehmen lassen. Das finde ich auch gut. Aber Sie haben bei der Arbeitsmarktpolitik etwas Wesentliches verhindert, nämlich bei den Zuverdienstmöglichkeiten als Brücken für Arbeitslose in den Arbeitsmarkt.

(Gerd Andres (SPD): Richtig!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Merkel, ich bin froh, dass Sie das so angesprochen haben. Wir sollten die Gelegenheit beim Schopf ergreifen. Menschen finden dann in den Arbeitsmarkt zurück, denke ich, wenn sie in ihrer Eigeninitiative gestützt werden. Das heißt, sie müssen

(Michael Glos (CDU/CSU): Sie müssen auf die Präsidentin hören!)

vom Zuverdienst etwas mehr behalten können. Wir schlagen vor, dass sie jeden zweiten Euro behalten können.

(Dirk Niebel (FDP): Setzen Sie das mal bei der SPD durch!)

Wir werden offen in diese Debatte gehen. Wir hoffen, die Fehler, die Sie bei Hartz IV durchgesetzt haben, ausmerzen zu können.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Schon wieder eine Minute gewonnen! – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist unglaublich! Auf Wiedersehen!)

Wir wünschen uns Ihre Unterstützung.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es mehr als recht und billig, dass der Deutsche Bundestag angesichts der Überschreitung einer weiteren Millionengrenze bei der Arbeitslosigkeit dieses Thema in den Mittelpunkt der Debatten nicht nur dieser Sitzungswoche, sondern auch der nächsten Sitzungswochen stellt. Dazu gehört zunächst einmal, dass wir zur Realität zurückkehren.

(Wolfgang Grotthaus (SPD): Jetzt bin ich aber mal gespannt!)

   Ich gehöre dem Ausschuss, der sich mit der Arbeitsmarktpolitik befasst – früher der Ausschuss für Arbeit und Soziales, heute der Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft –, seit 14 Jahren an. Ich sage hier ganz klar: Die Überschreitung der Fünf-Millionen-Grenze ist der Beweis dafür, dass sich die Probleme, die wir haben, mit der Arbeitsmarktpolitik nicht lösen lassen.

(Karin Roth (Esslingen) (SPD): Das ist doch richtig! Das sagen wir doch auch!)

   Wir haben zu Zeiten unserer Regierung stark auf ABM und FbW gesetzt. Wir haben damals große Anhörungen durchgeführt und uns mit der Frage befasst, warum das alles richtig ist. Sie haben eigentlich immer noch mehr gefordert. Die Wahrheit ist: Wir haben mit diesen Maßnahmen sicherlich Umbruchsituationen für einzelne Menschen abgefedert,

(Michael Glos (CDU/CSU): Aber nur für Einzelne!)

aber dem Arbeitsmarkt haben sie nicht geholfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie haben dann auf eine andere Arbeitsmarktpolitik gesetzt. Der Arbeitsmarktpolitik nach Hartz habe ich zunächst einmal sehr offen gegenübergestanden. Ich fand sie spannend. Dabei galt: weg von ABM, weg von FbW und hin zu anderen Maßnahmen, um die Leute in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Hartz hat gesagt: Wenn ihr das macht, werdet ihr innerhalb von drei Jahren zwei Millionen Menschen zusätzlich in Arbeit bringen. Das steht im Hartz-Bericht. Das ist bei der Übergabe des Berichts an den Bundeskanzler am 16. August 2002 so gesagt worden. Die drei Jahre sind am 16. August um. Trotzdem haben wir mehr Arbeitslose als je zuvor.

   Man hat damals gedacht, man könne viele Menschen über die so genannten Personal-Service-Agenturen in den ersten Arbeitsmarkt bringen. Es war die Rede von 350 000 jährlich. Geworden sind es nur etwa 20 000 insgesamt. Daran muss man erkennen, dass es nicht funktioniert hat.

   Dann hat man gedacht, man könne das Problem durch Ich-AGs lösen. Um 500 000 jährlich ging es. Wir haben schon damals gesagt, dass in einer so arbeitsteiligen Wirtschaft, wie wir sie in Deutschland haben, die Probleme in diesen Massen nicht mit Mitteln der Mikroökonomie zu lösen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

So wichtig das in Nischen ist: Die Probleme sind damit nicht zu lösen. Deswegen haben Sie die Zahl auch nicht erreichen können.

   Sie wissen, dass die Menschen in ihrer Angst vor dem Arbeitslosengeld II, nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes, in die Ich-AG gehen, weil es sonst keine andere Möglichkeit gibt, an monatlich 600 Euro Unterstützung der Arbeitsverwaltung zu kommen. Das ist die Wahrheit. Das ist aber keine Perspektive. Deswegen ist auch dieses Instrument gescheitert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Dann haben Sie etwas gemäß Ihren Aussagen ganz Tolles gemacht – ich war am Anfang sogar der Meinung, dass das eine gute Idee sei –, nämlich das Programm „Kapital für Arbeit“, also dass man für die Investitionen, die dafür erforderlich sind, um einen Lehrling zu übernehmen oder einen Arbeitslosen einzustellen, Kredite zu guten Konditionen bekommt. 120 000 jährlich sollten auf diese Weise in Arbeit kommen. Das Programm ist von der Bundesregierung wegen Erfolglosigkeit aufgegeben worden. Das ist die Wahrheit.

   Jetzt hören wir einmal auf, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen. Wir haben ABM und FbW gemacht und haben damit nichts erreicht. Es gibt mittlerweile Gutachten, die sagen, dass die Leute, die in ABM waren, schlechter in den ersten Arbeitsmarkt zurückvermittelt werden als Leute, die nie in ABM waren. Sie haben anderes ausprobiert. Nehmen wir doch einfach einmal zur Kenntnis, dass sich die Probleme des Arbeitsmarktes mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht lösen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wenn das nicht geht, müssen wir im Interesse der arbeitslosen Menschen in anderen Bereichen handeln. Es ist ja kein Spaß, vom Arbeitslosengeld II zu leben. Ich habe heute Morgen noch einmal mit einer Krankenschwester telefoniert, deren Mann mir gestern ein Fax geschickt hat. Er ist Maurermeister und wird jetzt Arbeitslosengeld II beziehen. Die Frau ist Krankenschwester und hat einen Job für 25 Stunden im Monat. Sie hat aber bei uns im Münsterland keine Chance, aufzustocken, weil selbst in dem Bereich der Arbeitsmarkt zu ist. Es handelt sich um gut ausgebildete Leute mit drei Kindern. Ich finde, diese Leute haben ganz schlicht und ergreifend einen Anspruch darauf, dass diese Regierung und das gesamte Parlament alles tun, um die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum in Deutschland zu schaffen und die Weichen entsprechend zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der Pakt für Deutschland, den Roland Pofalla hier vertreten hat und den wir auch in einen Antrag gegossen haben, ist dazu nur ein erster Schritt. Wir haben nur deswegen zunächst einmal eine Reform des Arbeitsrechts vorgeschlagen, weil wir dafür keine Gegenfinanzierung brauchen und auf diesem Gebiet relativ schnell handeln können, damit durch mehr Flexibilität eine Aufbruchstimmung in der Wirtschaft entsteht.

   Es gehört aber hierzu auch noch anderes, liebe Leute, sonst hätten wir das Problem ja sehr schnell gelöst. Herr Minister Clement, Sie wissen doch so gut wie ich, dass wir bei den Löhnen nicht mit anderen Ländern konkurrieren können, wenn wir weiterhin so leben wollen wie jetzt. Auch bei den Ausgaben für Sozialleistungen werden wir nicht mit anderen konkurrieren können. Gleichzeitig wird aber durch eine ideologisierte Energiepolitik auch noch dafür gesorgt, dass in Deutschland mittlerweile auch der Produktionsfaktor Energie der teuerste in Europa ist. Das würde sich politisch schnell lösen lassen, indem man die Förderung regenerativer Energien wieder auf ein normales Maß zurückschraubt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ist das denn zu viel verlangt? Das könnten wir morgen im Deutschen Bundestag beschließen.

(Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das soll der Hauptfaktor für die Arbeitslosigkeit sein?)

Es ist doch niemand gegen regenerative Energien. Aber wir haben ihre Propagierung überdehnt. Wir bauen Windkraftanlagen in Gegenden, wo sie nie wirtschaftlich arbeiten werden. Lassen Sie uns doch diese Förderung wieder auf ein normales Maß zurückschrauben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ein armseliges Argument!)

   In diesem Jahr erreicht die Höhe der Förderung für regenerative Energien zum ersten Mal die der Steinkohleförderung, nur mit dem Unterschied, dass mit der Steinkohle x-mal so viel Strom erzeugt wird wie mit regenerativen Energien. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich hier im Bundestag einmal feststellen muss, dass die Förderung von deutscher Steinkohle, der ich aufgrund eines Bergwerkes in meinem Wahlkreis verbunden bin, wirtschaftlicher ist als die einer Energieart, die von Rot-Grün gepuscht wird. Das können wir uns einfach nicht mehr erlauben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Es gibt einen weiteren Punkt, Herr Clement, bei dem wir sehr schnell etwas ändern könnten, nämlich beim Energiewirtschaftsgesetz.

(Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja Untertageideologie!)

Es liegt vor, aber man streitet darüber und verabschiedet es nicht. Sie wissen doch, dass in den nächsten Jahren in Deutschland rund 40 000 Megawattstunden Kraftwerksleistung ersetzt werden müssen. Mit den diesbezüglichen Überlegungen der Energieversorger hängen auch erhebliche Investitionen in die Netze zusammen. Investitionen in Milliardenhöhe werden aber zurzeit nicht getätigt, weil die Rahmenbedingungen, die durch ein solches Gesetz geschaffen werden müssen, einfach nicht klar sind, weil Sie sich in der Regierung streiten. Setzen Sie doch diese Investitionen frei, indem Sie Rahmenbedingungen vorgeben. Wenn diese Investitionen getätigt werden, entsteht Wachstum, haben die Bauarbeiter wieder Arbeit, wird die Industrie angekurbelt, haben die Maschinenbauer wieder zu tun. Das wäre leicht machbar. Warum also kriegen Sie dieses Gesetz nicht einfach hin? Es wäre schön, wenn Sie darauf gleich einmal eine Antwort geben könnten, Herr Minister.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich begreife nicht, wie man in unserer Lage nur rein ideologisch von Zukunftsbereichen sprechen kann, in denen wir gutes Geld verdienen können. Herr Brandner, die IG Metall macht jetzt eine Kampagne nach dem Motto „Nicht billiger, aber besser“. Ich unterstreiche diese Kampagne. Aber wenn man eine solche Kampagne macht, dann muss man doch für Zukunftsfelder wie die Grüne Gentechnologie sein und darf sie nicht mit einer falschen Gesetzgebung aus dem Land treiben. Aber aufgrund der Veröffentlichungspflicht in Bezug auf die Anbauflächen, die Sie letzten Endes durchgesetzt haben, findet sie in Deutschland nicht mehr statt. Schauen Sie sich doch bei Bayer, BASF und überall sonst um! Sie wissen es doch! Warum machen Sie diesen Wahnsinn mit, wenn 5 Millionen Menschen in Deutschland auf Arbeit, Einkommen und soziale Sicherung warten?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Was machen Sie? Sie lassen die Beratung eines Antidiskriminierungsgesetzes in diesem Bundestag zu, das die kleinen Spielräume, die Sie im Arbeitsrecht geschaffen haben, wieder zuschüttet. Ich sage Ihnen: Die Kosten, die den Firmen durch dieses Gesetz entstehen, werden die Löhne weiter drücken und die Bereitschaft zu verlagern eher erhöhen als senken. Ein solches Gesetz passt zurzeit überhaupt nicht in die Landschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Was machen Sie? Heute Morgen lese ich in der Zeitung – ich dachte, ich bin noch nicht richtig wach –, dass ein Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit in Vorbereitung ist. Da feiert der Wahnsinn ja fröhliche Urstände! Vereinfachen Sie das Steuerrecht, dann brauchen Sie nicht noch mehr Gesetze; denn mehr Bürokratie und mehr Kontrolle führen zu weniger Freiheit und weniger Möglichkeiten, das Land voranzubringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Zu den Zuverdienstgrenzen bei Hartz IV sage ich Ihnen eines, Frau Dückert: Wir haben die Minijobs durchgesetzt und das ist das Einzige, was bei Hartz IV funktioniert.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben den Zuverdienst extrem verschlechtert!)

Wir brauchen – da bin ich genau Ihrer Meinung – einen vernünftigen Zuverdienst beim ALG II, weil die Lage auf dem Arbeitsmarkt so ist, wie sie ist, und die Leute keine Jobs finden. Ich bin ganz klar der Meinung, dass die alte Regelung mit einem Freibetrag von 160 Euro kein Anreiz war, immer mehr zu arbeiten und aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen. Deswegen kann ich mir – da habe ich meine Fraktion hinter mir; wir haben das besprochen – eine Kombination aus einem kleineren Freibetrag und einem prozentualen Anteil gut als Lösung vorstellen. Aber wir müssen dabei auch bedenken, dass Arbeitslosengeld II plus Zuverdienst im Ergebnis nicht höher liegen darf als das, was Menschen in mittleren Lohngruppen an Nettolöhnen erreichen. Da gibt es logische Grenzen, die man im Auge haben muss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Andres?

(Dirk Niebel (FDP): Fragt er jetzt als Staatssekretär oder als Gewerkschaftssekretär?)

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU):

Ja, die Zwischenfrage gestatte ich noch; dann muss ich aber Schluss machen.

Gerd Andres (SPD):

Ich wollte nur fragen, Herr Kollege Laumann, ob Sie sich an die gemeinsamen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss erinnern können und daran, dass eine vernünftige Zuverdienstregelung ausgerechnet an Ihrer Seite gescheitert ist. Können Sie das bestätigen?

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU):

Nein. An unserer Seite ist nur eines gescheitert: die Wiedereinführung eines Freibetrags. Wir wollen eine prozentuale Regelung. Wenn wir die Dinge in diesem Sinne gemeinsam ändern, ist das in Ordnung. Die Leute wollen nichts von Rechthaberei hören, sondern sie wollen die Probleme gelöst haben. Dazu leisten wir unseren Beitrag.

   Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Grotthaus, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wolfgang Grotthaus (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei manchen Redebeiträgen bedarf es schon einiger Kraft, ruhig zuzuhören und die Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Haltung der Opposition zu ihren Anträgen lautet nach dem, was ich gehört habe: Folgt unseren Anträgen und ihr werdet blühende Landschaften in Deutschland bekommen.

Blühende Landschaften wurden schon einmal versprochen. Was daraus geworden ist, kann man heute sehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Als ich Ihren Antrag und insbesondere die Überschrift „Weichen stellen für eine bessere Beschäftigungspolitik – Wachstumsprogramm für Deutschland“ gelesen habe, habe ich mich gefragt: Um welches Wachstum geht es und wie kann es erreicht werden? Nach einigen Diskussionsbeiträgen aus der Wirtschaft habe ich festgestellt, dass damit genau das Wachstum gemeint ist, das Herr Ackermann von der Deutschen Bank propagiert: Die Ertragsrate soll auf 25 Prozent erhöht werden – zulasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Unternehmens. Ich sage in aller Deutlichkeit: Dem werden wir nicht folgen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   In der Konsequenz würde dies die Aufgabe der Arbeitnehmerrechte, die Reduzierung des Kündigungsschutzes und der Mitbestimmungsrechte sowie die Aufgabe des Arbeitsschutzes von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bedeuten. Aus unserer Sicht wird an diesen Punkten deutlich, wohin die Reise gehen soll.

   Natürlich – da liegen wir mit Ihnen auf einer Linie – müssen Unternehmen Gewinne erzielen. Aber ich frage einmal sehr offen: Wer erarbeitet eigentlich diese Gewinne? Es sind im Wesentlichen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb soll es dabei bleiben, was auch von uns in den letzten Jahren immer wieder propagiert worden ist: Wir wollen die Gleichstellung von Human- und Finanzkapital im Arbeitsleben, die heute nicht immer gewährleistet ist. Dieses Ziel werden wir weiter verfolgen. Davon werden der Arbeitsmarkt und auch die Unternehmen profitieren.

   Ich will auf einige wenige Punkte Ihres Antrags eingehen. Sie fordern unter Punkt 6:

… im Tarifvertragsgesetz klarzustellen, dass es Unternehmen möglich ist, Langzeitarbeitslose im ersten Jahr ihrer Beschäftigung unter Tarif zu entlohnen.

Dies höhlt praktisch die Tarifhoheit der Tarifvertragsparteien aus. Ich frage mich manchmal, wie weit Sie vom Arbeitsleben entfernt sind.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Wir nicht!)

Haben Sie sich einmal die Verdienste in den unteren Lohngruppen der einzelnen Bereiche angeschaut? Sie liegen zum Teil unterhalb des Sozialhilfeniveaus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt in den Betrieben Kolleginnen und Kollegen, die 150 Stunden im Monat arbeiten und trotzdem Zuschüsse zum Lebensunterhalt bekommen. Und Sie wollen wirklich fordern, dass der Verdienst noch darunter liegt? Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, wie hoch die Gehälter in bestimmten Bereichen sind?

   Ich finde es teilweise – dieses Wort geht mir ansonsten nur schwer über die Lippen – menschenverachtend, was in Ihrem Antrag gefordert wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Punkt 7 Ihres Antrags fordern Sie:

… das Kündigungsschutzgesetz für Neueinstellungen bei Unternehmen, die weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigen,

– die FDP fordert eine Grenze von 50 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern –

auszusetzen … Bei Neueinstellungen muss eine Befristung bis zu vier Jahren möglich sein.

   Wie sollen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem Betrieb identifizieren und ihre Arbeitsleistung zum Nutzen des Betriebes einbringen, wenn sie überhaupt keine soziale Sicherheit haben? Wenn sie vier Jahre nicht wissen, ob sie weiterbeschäftigt werden, dann muss man schon fragen, wie sich diese Menschen mit dem Betrieb identifizieren sollen und was das Leitbild dieses Betriebes ist. Darüber machen Sie sich aber keine Gedanken.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Doch!)

Sie sagen einfach, dass Sie Wachstum wollen, und zwar zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

   Sie fordern weiterhin, „die kostentreibenden Teile des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes zurückzunehmen“. Arbeitnehmerrechte betrachten Sie also als kostentreibend. Ich habe Ihnen gerade schon einmal gesagt: Es geht darum, dass sich die Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vergleich zum Kapital nicht verschlechtert. Wir wollen den sozialen Frieden in dieser Republik aufrechterhalten. Vergleichen Sie einmal die Anzahl der Arbeitsstunden, die in Deutschland durch Streik ausgefallen sind, mit der aus anderen europäischen Ländern. Dass in dieser Republik die Zahl so gering ist, liegt an den Rechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dies ist auch ein Verdienst der Tarifvertragsparteien. Diese Tatsache können Sie doch nicht so einfach ignorieren. Deshalb sagen wir auch zu diesem Vorschlag Nein.

   Sie fordern ferner, „dass der Anspruch von Leiharbeitnehmern auf gleiche Arbeitsbedingungen und das gleiche Arbeitsentgelt erst nach zwölf Monaten Beschäftigung greift“. Damit schaffen Sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zweiter Klasse. Dies kann nicht hingenommen werden. Wir werden dieser Forderung eine klare Absage erteilen.

   Ich habe nur zu einigen wenigen Punkten Stellung bezogen. Ich möchte Ihnen aber noch eine Empfehlung geben.

Gehen Sie in die Betriebe, erzählen Sie das den Menschen in den Betrieben.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Jede Woche!)

– Herr Laumann, gehen Sie in eine Betriebsversammlung.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Es sind ja immer weniger da, mit denen man reden kann!)

Ich sage es Ihnen so, wie wir im Ruhrgebiet reden: Die Beschäftigten werden Sie mit dem Knüppel aus der Betriebsversammlung hinausprügeln; Sie werden sich in den Büros der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wiederfinden. Aber auch diese haben mit Ihrem Antrag nichts am Hut: Sehen Sie sich einmal die Position von Herrn Thumann zum Kündigungsschutzgesetz an.

   Wir sagen zu Ihren Anträgen: Damit werden Arbeitnehmerrechte eingeschränkt. Das ist die vordergründige Richtung. Es geht nicht um die Belebung des Arbeitsmarktes oder um Wachstum; vielmehr wollen Sie die Gelegenheit nutzen, Arbeitnehmerrechte in dieser Republik einzuschränken. Dem stimmen wir nicht zu. Von daher werden wir Ihren Antrag gleich ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.

Rainer Brüderle (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt einen bedrückenden Nachkriegsrekord bei der Arbeitslosigkeit. Laut amtlicher Statistik beträgt sie über fünf Millionen, aber die Wahrheit ist viel schlimmer: Wir haben sechs bis sieben Millionen Arbeitslose, weil wir etwa in ABM befindliche Personen gar nicht mit erfassen. Ich zitiere den Kommentar von Herrn Clement aus der „Wirtschaftswoche“: Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht.

   Jetzt frage ich mich, Herr Clement, was von den Ankündigungen zu halten ist, die Sie in der Vergangenheit geäußert haben, so im Januar 2003: Ich gehe davon aus, es gelingt, auf unter vier Millionen zu kommen. – Im Oktober 2003 verkündeten Sie: Die Arbeitslosigkeit wird sich 2004 langsam, aber sicher deutlich nach unten bewegen. Wir haben die Talsohle durchschritten. – Im Januar 2004 sagten Sie: Ich bin überzeugt, dass wir die Arbeitslosigkeit in geraumer Zeit halbieren können.

   All das waren Ankündigungen und Kommentare von Herrn Clement. In Wahrheit ist es jedoch nicht besser, sondern schlimmer geworden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen uns fragen, weshalb das so ist. Weshalb ist in Europa, beispielsweise in Großbritannien, in den Niederlanden und in Schweden, die Arbeitslosigkeit etwa halb so hoch wie in Deutschland? Was machen sie anders als wir? Dies kann nicht an der Weltwirtschaft liegen, denn die Holländer, Briten und Schweden arbeiten in der gleichen Weltwirtschaft wie wir Deutschen. Es gibt nicht zwei, eine sonnige, die es den anderen erlaubt, erfolgreicher zu sein, und eine bösartige, die es uns schwer macht.

(Beifall bei der FDP)

   Es liegt daran, dass elementare ökonomische Zusammenhänge ignoriert werden. Arbeitsplätze entstehen nicht durch rote Fahnen am 1. Mai, sondern dadurch, dass Frauen und Männer Geld in die Hand nehmen, in ein Geschäft gehen, etwas nachfragen, etwas kaufen; zur Herstellung dessen, was nachgefragt wird und gekauft werden will, werden andere Frauen und Männer benötigt. So entstehen Arbeitsplätze.

   Warum tun sie es in Deutschland nicht? Bei uns nimmt das Angstsparen sprunghaft zu. Sparen ist an sich nichts Schlechtes, aber im vierten Jahr der Stagnation der Binnenwirtschaft – im letzten Halbjahr hatten wir nicht nur Stillstand, wie die gestern veröffentlichten Zahlen belegt haben, sondern sogar einen Schrumpfungsprozess – schadet es. Das liegt daran, dass die Menschen kein Vertrauen haben und es keine Berechenbarkeit gibt.

   Nicht nur die von Ihnen verfolgte Steuerkonzeption ist Murks; vielmehr verunsichern Sie die Menschen permanent.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Herr Clement verkündet in der Talkrunde, die Unternehmensteuern müssten zusätzlich gesenkt werden, während Herr Eichel sagt, das komme nicht in die Tüte und sei nicht drin. Frau Simonis will die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent erhöhen und ein Steuererhöhungspaket im Umfang von 20 Milliarden Euro draufsatteln und beim Betriebsübergang die Vermögen- und die Erbschaftsteuer erhöhen. Angesichts dessen sollte sich niemand wundern, dass die Menschen bei uns kein Vertrauen haben und nicht mehr Geld ausgeben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   In einer Republik, die sich primär mit dem Dosenpfand, mit der Ökosteuer, mit Antidiskriminierungsgesetzen und Gentechnikverhinderungsgesetzen beschäftigt, kann kein Vertrauen aufkommen und kein Fortschritt für mehr Arbeitsplätze in Deutschland ausgelöst werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb ist es zentral, sich darauf zurückzubesinnen, wie eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik auszusehen hat und wie es die anderen machen.

   Der Staatsanteil in Deutschland ist zu hoch; er beträgt fast 50 Prozent. Außer Kuba und Nordkorea glaubt keiner mehr, dass man die Wirtschaft mit Hilfe eines hohen Staatsanteils in Gang bringen kann. Überall in der Welt ist man eher marktwirtschaftlich orientiert.

   Die Wirtschaft ist überreglementiert. Nicht einmal den Ladenschluss können Sie abschaffen, weil die Gewerkschaften dagegen sind. Geben Sie den Ländern doch die Kompetenz, darüber in eigener Zuständigkeit zu entscheiden! Aber das schaffen Sie nicht.

(Beifall bei der FDP)

   Die Masterpläne von Clement enthalten große Ankündigungen, zeitigen aber Miniergebnisse, wenn überhaupt etwas dabei herauskommt. Die Öffnung des Arbeitsmarktes gelingt Ihnen nicht, weil Sie weiterhin in aller Stille Regelungen verteidigen, von denen Sie wissen, dass sie für diejenigen sieben Millionen Menschen, die draußen stehen, keine Chance bieten, in den regulären Arbeitsmarkt zu gelangen.

Sie machen mit den Gewerkschaften nur Arbeitsmarktkonzepte für den „closed shop“, also für diejenigen, die drinnen sind; aber Sie geben denjenigen, die draußen stehen und auch Hoffnung und Perspektive haben wollen, keine Chance, hineinzukommen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie haben nicht die Kraft, die sozialen Sicherungssysteme wirklich wieder zu seriösen Sicherungssystemen zu machen. In der Gesundheitspolitik sind Sie nicht zu echten Kurskorrekturen bereit, sondern kleben weiter Heftpflaster auf die Wunden. Sie behelfen sich mit schönen bunten Luftballons und tollen Illusionen, aber die Kernprobleme werden nicht gelöst. Auch die Alterssicherung wird nicht seriös angepackt. Frauen in Deutschland haben, statistisch gesehen, noch 1,2 Kinder; die Gesellschaft wird immer älter. Eine Umlagefinanzierung – –

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Rainer Brüderle (FDP):

Erlauben Sie mir, dass ich wie die anderen Kollegen, die natürlich von einer anderen Couleur waren, meinen letzten Satz noch zu Ende spreche.

   Eine solche Finanzierung kann nicht ohne deutlich mehr Kapitaldeckung funktionieren. Wenn Sie diese Kernprobleme der Republik nicht lösen, dann werden Sie keine Arbeitsplätze schaffen. Wenn Sie weiterhin bunte Luftballons steigen lassen und die Menschen mit der Illusion abspeisen, Sie könnten grundlegende Probleme mit Etiketten lösen, dann werden Sie das Vertrauen in den Staat und in die Parteiendemokratie weiter unterminieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss zugeben, dass es mir nicht nur diese Debatte sehr schwer macht, sondern dass auch dieser Monat für mich sehr schwer ist. Herr Kollege Pofalla, ich bitte um Nachsicht: Wenn Sie noch einmal über das nachdenken, was Sie gesagt haben, dann werden Sie sicherlich nachvollziehen können, dass ich sehr auf den März hoffe.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel (FDP): Kalauer! – Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ein Feuerwerk der Rhetorik!)

   Es war ganz bezeichnend, wie Herr Kollege Laumann den hier vorgetragenen Zehnpunkteplan sehr diplomatisch als einen ersten Schritt gekennzeichnet hat. In Wahrheit ist er reif für den Aktenordner. Dort wird er auch landen, nicht aber in der Realität.

(Michael Glos (CDU/CSU): Wir sind hier doch nicht im Untersuchungsausschuss!)

   Voller Begeisterung habe ich den Auftritt von Herrn Laumann miterlebt, weil ihm etwas gelungen ist, was mir nie gelungen ist: bis hin zur FDP rauschenden Beifall für die Steinkohle zu bekommen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel (FDP): Nein, das haben Sie falsch verstanden!)

– Es tut mir Leid, aber Sie haben an dieser Stelle wirklich geklatscht.

(Dirk Niebel (FDP): Aber nur, weil die Förderung nicht so hoch werden soll!)

Ein Münsterländer, der hier für die Steinkohle wirbt, war für mich wirklich sehr bezeichnend.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Was Sie hier machen, ist Satire!)

   Die Situation in Deutschland ist durch die Schlagzeile gut gekennzeichnet, die heute in der „Welt“ zu lesen ist: „Deutsche Unternehmen bleiben zweckoptimistisch“.

(Michael Glos (CDU/CSU): Lesen Sie doch lieber den „Vorwärts“!)

Diese Schlagzeile besagt – ich sehe einmal von den alten Regeln ab, dass zwischen Nachricht und Kommentar zu trennen sei –, dass wir in Deutschland noch optimistisch sein und Zuversicht haben dürfen, wenn auch nicht mit einem guten Gewissen. In dem Artikel ging es um eine DIHK-Umfrage – im Gegensatz zu sonst haben Sie sie heute nicht erwähnt – unter mehr als 25 000 Unternehmen. Nach dieser Umfrage sagte die DIHK, es bleibe bei einer Wachstumserwartung von 1,5 Prozent und es gebe „keinen Anlass zu Pessimismus“:

Die Stimmung der Betriebe habe sich weiter verbessert. Im Gegensatz zu einigen Wirtschaftsforschern hält der Verband die Sorge vor einem Abrutschen in die Rezession für unbegründet. „Es gibt keine Rezessionsgefahr“, sagte Chefvolkswirt Axel Nitschke. Im Gegenteil: „Der Wachstumspfad ist breiter geworden.“ Die Inlandsnachfrage nehme so stark zu, daß Exportrückgänge kompensiert werden könnten.

   Dies ist das heute veröffentlichte Ergebnis einer DIHK-Umfrage.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Wir reden von den Zweigbetrieben im Ausland!)

Vor diesem Hintergrund ist manches dessen, was in dieser Debatte geschildert worden ist, neben der Realität. Die Situation, mit der wir zu tun haben, ist sehr kompliziert.

Diese Stärken der deutschen Volkswirtschaft lassen sich in ganz wenigen Begriffen beschreiben: Exporterfolge wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, also die höchsten Leistungsbilanzüberschüsse, eine Gewinnsituation gerade bei den international agierenden Unternehmen wie noch nie zuvor – die Gewinnsituation hat übrigens auch mit der Kostenreduktion in den Betrieben zu tun, nicht zuletzt zulasten des Personals –, eine moderate Lohnstückkostenentwicklung seit Mitte der 90-er Jahre – bei den Lohnstückkosten sind wir unseren Nachbarn weit überlegen – und eine große Flexibilität in den Betrieben.

   Zu Letzterem fordern Sie immer noch – das werden Sie noch bis an das Ende Ihrer Tage tun –, betriebliche Bündnisse gesetzlich abzusichern.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das hat doch Schröder selber gesagt!)

Wir haben in den Betrieben eine Flexibilität, die so hoch ist wie in kaum einem unserer Nachbarstaaten. 50 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten bereits auf der Basis von flexiblen Arbeitszeiten. 40 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten mit Arbeitszeitkonten. Die brauchen Ihre Gesetzgebung nicht. Sie rufen doch ständig: Verzichtet auf Gesetzgebung! Verzichten Sie doch auf diesen Unsinn, den Sie ständig verbreiten!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Hinzu kommt übrigens eine Steuerquote in Deutschland, die nach derjenigen in Slowenien und der Tschechischen Republik die niedrigste in der Europäischen Union ist.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Stimmt doch nicht! Arbeitslose zahlen keine Steuern!)

– Regen Sie sich nicht auf! Rechnen Sie einfach nach! – Die Abgabenquote, also Steuern plus Lohnnebenkosten, liegt ganz gering über der von Großbritannien und ist deutlich besser als die der vergleichbaren Industrienationen. – Das sind die Stärken; nur damit wir uns einmal klar werden, worüber wir reden.

   Dann kommen wir zu den Schwächen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist die Regierung!)

Eine Schwäche ist das zu geringe Wachstum. Das Wachstum ist ungefähr so hoch – Herr Austermann, das können Sie gleich in Ihre Rede mit einbeziehen –, wie es durchgehend in den 90-er Jahren war.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Minus 0,2 Prozent?)

So weit sind wir. Dieses Wachstum ist, wie Sie wissen, nicht hoch genug.

   Herr Pofalla, solche Vergleiche, wie Sie sie vorhin gezogen haben, bei denen Sie 70 Jahre zurückgegangen sind, sollten Sie nicht anstellen. Schauen Sie wirklich einmal 70 Jahre zurück und schauen Sie, wie hoch 1998 die Arbeitslosenzahlen waren!

   Aber das bringt uns nicht weiter. Der Arbeitsmarkt ist in einem bedrückenden Zustand. Die Arbeitsmarktzahlen werden im Februar – ich will das sehr deutlich sagen – deutlich schlechter sein, als sie es bisher schon sind. Das hat, wie alle wissen, natürlich damit zu tun, dass wir jetzt die tatsächlich erwerbsfähigen und die angeblich erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Arbeitsvermittlung aufnehmen. Es sind uns von kommunaler Seite offensichtlich Tausende von Menschen in die Arbeitsvermittlung überwiesen worden, zu denen uns die Krankenversicherer inzwischen mitteilen, dass diese Menschen nicht arbeitsfähig sind.

(Dirk Niebel (FDP): Da hätte man vielleicht die kommunale Trägerschaft wählen sollen! Dann wäre das nicht passiert!)

Das sind Suchtkranke und Komakranke sowie Menschen, die schwerste Behinderungen haben. Es gibt dort teilweise wirklich einen Wildwuchs, der jetzt in einer sehr ernsthaften Art und Weise abgearbeitet werden muss. Dann werden wir langsam aber sicher wieder einen Überblick über die wirkliche Situation bekommen.

   Das Problem, über das wir eigentlich reden müssen – Herr Kollege Laumann, damit sind wir beim Thema „Wachstum und Beschäftigung“ –, hat heute Herr Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des DIHK, angesprochen. Er hat nämlich gesagt: Der Keilriemen zwischen Konjunktur und Arbeitsmarkt ist gerissen. – Darin liegt in Deutschland ein Problem. Deshalb brauchen wir sehr wohl ein höheres wirtschaftliches Wachstum; aber wir brauchen auch die Fortsetzung dieses Wachstums in der betrieblichen und unternehmerischen Praxis. Darüber reden wir.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Handeln!)

   Deshalb ist es nicht richtig, wenn Herr Laumann sagt, wir bräuchten keine Beschäftigungspolitik, denn damit sei nichts zu erreichen. Wir brauchen vielmehr beides: Wir brauchen eine wirkliche Wachstumspolitik und wir brauchen zusätzlich eine Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, die den gegenwärtigen Herausforderungen gewachsen ist.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Sie machen keines von beiden!)

Das bedeutet die Umsetzung von Hartz IV. Aus Zeitgründen kann ich jetzt nicht all das, was damit zusammenhängt, ansprechen.

   Ich will Ihnen nur eines sagen: Wie Sie, Herr Kollege Laumann, über die Ich-AG reden, ist falsch. Ich bitte Sie wirklich, einmal nachzulesen, was ernst zu nehmende Zeitungen dazu berichten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Wahrheit ist es ermutigend, dass Menschen als einen Weg aus der Arbeitslosigkeit den Weg in die Selbstständigkeit wählen.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Klar!)

– Ihnen passt das nicht; ich weiß das. – Aber wenn Sie sich die bisherigen Untersuchungsergebnisse anschauen, dann werden Sie zugeben müssen: Es gibt keine Zahl, die ein schlechteres Abschneiden der Unternehmensgründungen aus der Arbeitslosigkeit signalisiert, als dies bei normalen Unternehmensgründungen, die aus Hochschulen, Schulen oder von anderer Stelle aus erfolgen, der Fall ist. Es gibt hier keinen signifikanten Unterschied.

   Deshalb ist das, was Sie dazu sagen, wirklich falsch. Sie gehen einen falschen Weg, wenn Sie diese Einrichtungen in Bausch und Bogen ablehnen. Das Gleiche gilt für Minijobs und Midijobs. Das Gleiche gilt für die Zeit- und die Leiharbeit.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Minijobs haben wir doch eingeführt!)

– Sie haben damals zugestimmt; das ist in Ordnung. Aber das ist doch trotzdem richtig.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Sie haben sie abgeschafft!)

– Ich habe keine Lust, über die Fehler, die alle irgendwie begangen haben, zu sprechen.

(Dirk Niebel (FDP): Was wollen Sie dann in der Zukunft machen?)

Das ist die Beschäftigungspolitik, die wir brauchen. Die wird praktiziert. Herr Niebel, wir werden in diesem Jahr zu dem Ergebnis kommen – Sie halten ja das Schild der Arbeitsagentur nicht hoch; deswegen will ich das ansprechen –, dass wir die Jugendarbeitslosigkeit – das ist die Bemühung, um die es geht und an der in anderer Weise mitgewirkt werden muss, als nur die immer gleichen Rituale in den Diskussionen zu vollziehen, wie es hier der Fall war – so weit senken, dass ein Jugendlicher in der Regel nicht länger als drei Monate im Jahr arbeitslos ist. Das hatte ich angekündigt. Es gibt immer ein paar Zitate, die – um mit Herrn Glos zu sprechen – aus dem Zusammenhang gerissen werden. Ich habe natürlich nicht davon gesprochen, die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr um 20 Prozent zu senken, sondern davon, dass wir die Reduzierung der Arbeitslosigkeit in dieser Höhe durch den Kurswechsel, den wir in der Arbeitsverwaltung durchgeführt haben, erreichen werden.

   Ein zweites wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist, was im Rahmen des Ausbildungspaktes geschehen wird und was wir gemeinsam mit allen, die daran teilnehmen und guten Willens sind, tun können, damit junge Leute einen Ausbildungsplatz bekommen und wir in diesem Bereich Fortschritte erzielen.

   Auch will ich in aller Deutlichkeit sagen: Natürlich brauchen wir auch Unternehmerinnen und Unternehmer, die das wirtschaftliche Wachstum und die Chancen, die die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland bietet, zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätze nutzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Unternehmen und Arbeitgeber, von denen wir die Besten erst neulich ausgezeichnet haben, gibt es in Deutschland; dafür gibt es viele Beispiele.

   Die Zeit, in der die Produktionskosten in Deutschland gesenkt wurden, ist langsam zu Ende. Langsam, aber sicher befinden wir uns in einer anderen Phase. Die Arbeitnehmer haben dafür viele Opfer gebracht. Aber wir sind längst an dem Punkt, an dem sich eine Produktionsverlagerung aus ökonomischen bzw. betriebswirtschaftlichen Gründen für die meisten Unternehmen nicht mehr rechnet. Deshalb sind die Bilder, die Sie in diesem Zusammenhang an die Wand malen, meines Erachtens falsch.

   Was wir als Erstes tun müssen, ist, die Wachstumskräfte zu stärken. Das tun wir, indem wir den Kurs der Reformen, den wir in Deutschland – ohne Ihre Zustimmung – eingeschlagen haben, fortsetzen. Dazu gehört, dass wir uns auch die Unternehmensteuerreform anschauen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Nur anschauen?)

Dabei wird es keinen Widerspruch zwischen dem Kollegen Eichel und mir geben. Wir werden den Sachverständigenrat bitten, auf unsere konzeptionellen Fragen zu antworten und dazu Vorschläge zu erarbeiten.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Wann denn?)

- Das geschieht sofort und umgehend. Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Kollege. Der Sachverständigenrat wurde bereits gebeten, dies zu tun. Darüber hinaus werden wir auch mit dem Präsidenten des BDI sprechen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Der Sachverständigenrat macht jetzt also die Gesetze!)

- Sie haben dazu ja keine Konzepte entwickelt, auf die wir hätten zurückgreifen können. Sie haben wirklich ein Problem, wenn man vergleicht, welche Vorschläge Sie vorgelegt haben und was Sie heute fordern.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Wer regiert denn?)

   Ein zweiter Punkt ist – das hat der Präsident des BDI vorgeschlagen –, dass zumindest geklärt werden muss, ob reinvestierte Gewinne, durch die Arbeitsplätze geschaffen werden, gefördert werden können.

   Der dritte Aspekt ist, dass in Deutschland – das gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder und Kommunen – alle vorhandenen investiven Kräfte mobilisiert werden müssen, um auf produktive und positive Weise den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu finden und die Verbindung zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Arbeitsmarkt herzustellen.

   Die eigentlichen Probleme des wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland sind die mangelnde Ausnutzung des vorhandenen Arbeitspotenzials, die schrecklich hohe Arbeitslosigkeit, die viel zu niedrige Frauenerwerbstätigkeitsquote und die niedrige Erwerbstätigkeitsquote von Älteren.

Weil Sie ständig vom Thema Kündigungsschutz sprechen, sage ich Ihnen: Informieren Sie die Unternehmen darüber, dass sie für jeden über 55-jährigen Langzeitarbeitslosen, den sie einstellen, nicht das geringste Problem mit dem Kündigungsschutz haben, sondern dass sie unbegrenzt befristete Arbeitsverhältnisse eingehen können. Statt mit den Unternehmern über die Chancen zu sprechen, die wir in Deutschland eröffnet haben und weiter ausbauen werden, um im Standortwettbewerb bestehen zu können, führen Sie lieber Tabu- und Scheindiskussionen. Es gibt kaum eine Volkswirtschaft in Europa, die, was die Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen angeht, besser dasteht als die Bundesrepublik Deutschland.

   Es stimmt: Wir – ich auch – haben bezüglich des Arbeitsmarktes eine verdammt schwierige Phase zu durchlaufen. Darüber sind wir alle uns im Klaren; da müssen Sie gar keine weltmeisterlichen Begriffe bemühen. Ich glaube nicht, dass so etwas überzeugend ist; denn jeder von uns wird an dem gemessen, was war. Wir waren bisher auf der Strecke der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht besonders erfolgreich. Aber wir haben hier eine Wende vollzogen: mit der Agenda 2010, mit Hartz IV mit einer neuen Arbeitsmarktpolitik. Dieser Kurs wird fortgesetzt. Wir müssen dazu alle Kräfte mobilisieren.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Was denn? – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wo denn? Wann denn?)

– Mit Ihnen nicht, Herr Kollege Austermann. – Wir werden dazu alle Kräfte freisetzen müssen, die es in unserem Land gibt.

   Da sind einige Punkte in der Diskussion, bei denen ich Ihnen zustimme, beispielsweise bei der Stammzellentechnologie – „Stammzellenforschung“ muss man vorsichtigerweise sagen – und bei der Gentechnologie; durch die ständige Wiederholung, Herr Kollege Brüderle, wird das nicht bedeutsamer. Tatsächlich wird auch in Deutschland in die Grüne Gentechnologie investiert. Wir werden diesen Weg meines Erachtens fortsetzen müssen.

   Aber Sie werden mir zustimmen müssen: Damit allein werden wir es nicht schaffen. Wir müssen auf allen Feldern die Kräfte freizusetzen verstehen, die es gibt. Wir sind auf diesem Weg und ich bin überzeugt, dass dieser Weg erfolgreich sein wird. Was ich heute dazu gehört habe, hat mich – mit Ausnahme dieses wunderbaren Hinweises auf die Steinkohle in Deutschland – ehrlich gesagt wenig überzeugt. Aber wenn Sie mitmachen und uns unterstützen wollen, dann tun Sie das,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wobei denn?)

beispielsweise indem Sie die Mittel freigeben, die es in Deutschland gibt, damit wir in Wissenschaft und Forschung mehr investieren können als heute. Das allein wäre schon ein wichtiger Beitrag und könnte für die Psychologie der Unternehmen in Deutschland förderlich sein.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Angela Merkel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mir wie viele andere Kolleginnen und Kollegen – im Gegensatz zu Ihrer Seite des Hauses übrigens – die Debatte hier angehört. Ich finde, es ist eine Schande – das sage ich in Richtung Rot-Grün und in Richtung der Regierungsbank –, dass angesichts eines historischen Tiefstands der Beschäftigung und eines historischen Höchststands der Arbeitslosigkeit in Deutschland die Anwesenheit in dem Forum des Landes, in dem die Probleme der Menschen gelöst werden sollten, von Ihrer Seite so aussieht, wie sie aussieht. Eine Schande!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es ist weiter eine Schande, dass nicht Sie, die Regierenden, die die Mehrheit und damit den Gestaltungsspielraum haben, hier angesichts der Lage des Landes Vorschläge machen, wie es weitergehen soll, sondern dass wir, die Opposition, das tun müssen. Aber wir tun es; das ist unser Staatsverständnis und deswegen werden wir das auch weiter machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Art und Weise, wie Sie sich heute mit unserem Pakt für Deutschland auseinander gesetzt haben, zeigt, in welcher Art und Weise Sie überhaupt an die Dinge herangehen. Wenn man den Bundeswirtschaftsminister hört, hat man den Eindruck – ich habe das neulich schon einmal in einer Fernsehsendung gedacht –, man ist in einem volkswirtschaftlichen Grundkurs, wo man einmal ausprobiert, was man machen könnte, sollte, würde, welche Experten man befragen kann.

   Meine Damen und Herren, Sie stellen die Regierung und nur Sie können die Konzepte mit Ihrer Mehrheit durchsetzen. Deswegen haben Sie die Verantwortung dafür, dass sich in diesem Lande etwas ändert. Das ist es, worauf Millionen von Menschen in Deutschland warten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der Bundeskanzler ist irgendwo in der Luft,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ein Luftikus!)

der Wirtschaftsminister dreht sich wie ein Hamster im Laufrad und die Opposition muss dafür sorgen,

(Lachen bei der SPD – Ludwig Stiegler (SPD): Haha! Sie sind auf der Suche nach den verlorenen Männern!)

dass diese Debatte irgendein Niveau bekommt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Stiegler, Herr Brandner, reden Sie doch einmal mit dem Chef – –

(Franz Müntefering (SPD): Sie haben gerade das Niveau angesprochen! Dann fangen Sie einmal an; bis jetzt war noch nichts von Niveau dabei!)

– Herr Müntefering, passen Sie einmal auf! Sie haben hier schon den ganzen Tag von „Filibustern“ gesprochen. Sprechen Sie doch einmal mit dem Chef der Bundesagentur für Arbeit und fragen Sie ihn, ob nicht Potenziale vorhanden wären, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu senken! Sie werden von allen kundigen Leuten dort die Antwort bekommen, dass es natürlich solche Potenziale gibt.

(Ronald Pofalla (CDU/CSU): Selbst der DGB sagt das! – Franz Müntefering (SPD): Das Arbeitslosengeld streichen!)

– Wenn Sie jetzt wenigstens einmal zuhören könnten,

(Wolfgang Grotthaus (SPD): Das fällt schwer!)

dann wäre das sehr gut für uns alle.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie könnten den Menschen im Lande jetzt zum allerersten Male beweisen, dass sie, wenn wir ihnen etwas zumuten – das haben wir alle in diesem Hause getan, indem wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt haben; wir haben dabei mitgemacht –,

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das heißt „Unterstützung streichen“, nicht „zumuten“!)

dann auch die Chance haben, den Erfolg dieser Veränderung – das wäre die Senkung der Beiträge und damit ein Mehr an Beschäftigung – zu spüren. Deshalb unser Vorschlag; doch Sie haben ihn überhaupt nicht kommentiert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Völlig unsozial!)

   Herr Clement, stellen Sie sich folgende Fragen: Was nützt etwas? Was nützt nichts? Was bedeutet Bürokratieabbau? Sie kennen die Gewinnlage von kleinen und mittleren Unternehmen genau. Es geht dort um Renditen von 2 bis 3 Prozent. Bei wenigen Beschäftigten sind das wenige Tausend Euro. Ob man dann noch einen Arzt einstellen muss, ob man fünf oder sechs Berichte erstellen muss und ob man ein Antidiskriminierungsgesetz übergeknallt bekommt, aufgrund dessen anschließend Personalberater usw. eingestellt werden müssen, entscheidet über nicht weniger als über Tod oder Leben eines Unternehmens. So kommt es zu 40 000 Insolvenzen. Herr Clement, das muss sich verändern. Da hilft hier kein Gerede.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der Bundesfinanzminister – das haben wir uns doch nicht ausgedacht – hat dem deutschen Volk via Zeitung erklärt – anwesend ist auch er nicht –, dass vor 2007 mit einer Unternehmensteuerreform nichts zu machen ist. Jetzt erzählen Sie uns, Sie hätten die Sachverständigen gefragt. Sie regieren seit sechs Jahren und kennen die Entwicklung in Europa. Sie wissen ganz genau, dass es keine Vereinheitlichung der Steuersysteme gibt und wir wollen das auch nicht. Tun Sie etwas, legen Sie etwas vor und beschimpfen Sie nicht die Opposition! Wir sind zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit. Sie müssen aber sagen, was Sie wollen. Das ist das Mindeste, was wir von Ihnen erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Müntefering (SPD): Das ist aber gnädig!))

   Ich komme zur Gentechnologie. Von Ihnen kommt nur: Wir müssten mal, wir könnten mal, wir sollten weiter sprechen. Das Gesetz ist vor wenigen Wochen verabschiedet worden. Ihr Gewerkschaftskollege Herr Schmoldt – er ist immerhin Mitglied der Sozialdemokratischen Partei –

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Noch!)

erklärt auf jedem öffentlichen Forum, dass dieses Gesetz das Ende eines ganzen neuen Technologiezweiges ist. Sie mussten dieses Gesetz aber verabschieden, weil die Grünen nicht anders wollen und weil Ihnen der Friede in einer brüchigen Koalition über die Würde und die Sicherheit dieses Landes geht. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie können beim Energiewirtschaftsgesetz, in der Energiepolitik und an den Hochschulen etwas tun. Die Art und Weise, wie Sie versucht haben, jeden Wettbewerb zwischen den Hochschulen zu stoppen, ist bemerkenswert. Was ist denn das für eine soziale Gerechtigkeit – damit werden Sie sich noch auseinander setzen müssen –, wenn Studenten in Deutschland 14, 15, 16 oder 17 Semester studieren und Frau Bulmahn meint, sie müsse das mit einem Verbot von Studiengebühren untermauern? Warum sollen solche Leute keine Gebühren zahlen, damit mehr Gerechtigkeit in dieses Land kommt?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Grotthaus (SPD): So ein dummes Zeug! – Zuruf von der SPD: Das ist doch albern!)

   Nein, meine Damen und Herren, wir werden die Auseinandersetzung mit Ihnen über die Möglichkeiten dieser Bundesrepublik Deutschland und über das, was in den 80 Millionen Menschen steckt, weiterhin mit ganzer Härte führen.

(Franz Müntefering (SPD): Wann denn das? Was Sie heute erzählen, hat mit Härte nichts zu tun! Sie erzählen dummes Zeug!)

Wir werden Ihnen immer wieder vorhalten, dass uns eine Gängelung von oben, wie dies durch das Antidiskriminierungsgesetz geschieht, die Verhinderung des Wettbewerbs, wie Sie das an den Hochschulen immer wieder wollen, und Einheitsschulen in den Ländern, wie Sie sie jetzt wieder propagieren, vom Weltmarkt entfernen.

(Franz Müntefering (SPD): Das ist die Wahlkampfrede von Harry Carstensen!)

Diese Entwicklungen lassen uns zurückfallen. Wir wollen das Gegenteil. Darum werden wir kämpfen.

   Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Zweiter Versuch!)

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Frau Kollegin Merkel, es war sehr nötig, dass Sie sich in diese Debatte eingemischt haben, damit Sie versuchen konnten, den Eindruck, den Ihre Fraktion heute erweckt hat, zu korrigieren.

(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD))

   Wenn Sie mit dem, was Sie gesagt haben, etwas Bestimmtes signalisieren wollten, dann will ich Ihnen sagen, dass wir die Auseinandersetzung um die Arbeitsmarktpolitik und um die Wirtschaftspolitik in Deutschland wirklich ernst nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir behandeln dieses Thema aber nicht so, wie es heute von Ihrer Seite dargeboten worden ist.

   Ich fordere Sie auf, Frau Kollegin Merkel – damit sind wir bei dem, worum es geht –: Sorgen Sie in den Gesprächen mit den von Ihnen regierten Bundesländern dafür, dass endlich der Weg freigemacht wird, um die dann zur Verfügung stehenden Mittel in Wissenschaft und Forschung zu investieren. Das brauchen wir und darum geht es.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)

Sie predigen hier Subventionsverzicht, halten aber gleichzeitig weiterhin an Althergebrachtem fest, von dem Sie sich nicht lösen können. Sorgen Sie dafür, dass die Mittel aus der Eigenheimzulage freigegeben werden, um die Mittel in Wissenschaft und Forschung einsetzen zu können. Das ist wirkliche Wachstumspolitik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)

   Frau Kollegin Merkel, sagen Sie mir, wie Sie die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung – 11 Milliarden Euro sind das – finanzieren wollen. Das können Sie nur, indem Sie entweder einen Geldspuckautomaten einrichten, die Kriterien des Maastricht-Vertrages verletzen

(Lachen bei der CDU/CSU – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das muss er gerade sagen!)

– Sie können sich ruhig aufregen – oder alle Eingliederungsmaßnahmen für Arbeitsuchende in Deutschland streichen. Wenn wir Sie einmal beim Wort nehmen würden, dann würden Sie schon sehen, was bei Ihren Vorschlägen herauskommt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das ist das Problem: Sie können sich nicht von den Ritualen lösen.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Wer macht denn hier die Rituale?)

Sorgen Sie dafür, dass die Föderalismusreform vorankommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)

Sie haben sich mit keinem einzigen Satz in dieser Diskussion an die CDU/CSU-geführten Länder in Deutschland gewandt, die diese Reform blockiert haben. Sie haben auch keinen Satz zur Senkung der Eigenheimzulage gesagt. Genau das sind die Punkte, nicht das, wovon Sie gesprochen haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach (CDU/CSU): Jäger 90!)

   Ich möchte gerne erleben, wie Sie vor einer Betriebsversammlung die Lockerung des Kündigungsschutzes vertreten, die jetzt wirklich niemanden interessiert. Sie waren doch in der Diskussion mit Herrn Thumann selbst dabei. Sie haben sich richtig erschrocken, als Herr Thumann gesagt hat, dass der Kündigungsschutz und die mangelnde Flexibilität in den Betrieben nicht das Thema sind. Das Thema ist die Hardware. Über diese Hardware diskutieren wir hier. Dazu werden Sie etwas sagen müssen oder Sie werden an dem, was Sie fordern, scheitern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie sind mit der Politik, die Sie hier vertreten, schon einmal gescheitert. Noch heute fragt Norbert Blüm: Wo sind denn die Arbeitsplätze geblieben, die wir damals zugesagt haben, als wir den Kündigungsschutz gelockert haben? Diese Rezepte schlagen Sie auch heute noch vor. Sie werden aber weitere Schritte tun müssen. Dabei geht es um Ihre Mitverantwortung, nicht darum, ein paar Oppositionspunkte zu sammeln.

   Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach (CDU/CSU): Abtreten!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.

(Dirk Niebel (FDP): Ich dachte, der Kanzler wollte noch kommen! Das hat er doch versprochen!)

Petra Pau (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beantragt ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Sie sollen – so behauptet die Union – zu einer besseren Beschäftigungspolitik führen. Das wäre angesichts von 5 und mehr Millionen Arbeitslosen auch dringend nötig.

   Die vorgeschlagenen Maßnahmen haben allerdings einen gravierenden Makel: Sie bringen keine Besserung, sondern sie verschlechtern die Lage.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Sie senken nicht die Massenarbeitslosigkeit, sondern sie steigern sie. Sie schaffen auch keinen sozialen Frieden, sondern sie sind eine Kampfansage. Frau Merkel bemerkte hier eben, dass sie Niveau in die Debatte bringen muss. Ich finde, das, was in diesen Anträgen steht, ist unter Niveau.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Worum geht es konkret? Die Unternehmen sollen von Steuern und Abgaben entlastet werden. Tarifverträge sollen entwertet werden. Der Niedriglohnsektor soll ausgebaut und der Kündigungsschutz weiter aufgeweicht werden. All diese Vorschläge, Frau Merkel, sind längst im Praxistest und haben stets versagt, wenn es um die Senkung der Arbeitslosigkeit geht.

   Fragen Sie doch einmal die Bürgerinnen und Bürger im Land, in Ost und West, in Nord und Süd. Die meisten wissen es und viele erfahren es: Die Unternehmen, insbesondere die großen, werden seit Jahren entlastet, aber die Arbeitslosigkeit steigt. Tarifverträge werden von Tarifrunde zu Tarifrunde zugunsten betrieblicher Ausnahmen gelockert, doch die Arbeitslosigkeit wächst. Im Osten Deutschlands sind Billiglöhne längst die Regel. Trotzdem ist dort die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie im Westschnitt. Der Kündigungsschutz wurde schon einmal abgebaut, aber auch danach gab es nicht weniger, sondern mehr Arbeitslose.

   CDU und CSU – und nicht nur sie – beten dennoch gebetsmühlenhaft für ihre Ladenhüter. Das sichert ihnen vielleicht bei Sabine Christiansen am Sonntag gute Plätze, aber Alltagsprobleme lösen sie mit all diesen Vorschlägen nicht.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Geht es den Unternehmen gut, dann geht es allen gut – das ist eine These, die wider besseres Wissen immer wieder gepredigt wird. Nehmen wir aktuell die Deutsche Bank. Um es volkstümlich zu sagen: Der geht es saugut. Sie hat weltweit Milliardengewinne bilanziert. Sie hat keine 10 Prozent Steuern gezahlt. Zugleich will sie Tausende entlassen. Selbst die Bundesregierung hat sich darüber empört. Allerdings verfährt auch die Bundesregierung grundsätzlich nach derselben Logik: Sie senkt die Spitzensteuern und sie verordnet den Entlassenen mit Hartz IV Demut und Fron.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Außerdem belegen die Exportüberschüsse 2004 erneut: Von dramatischer Wirtschaftsschwäche kann im internationalen Vergleich überhaupt keine Rede sein. Nackte Zahlen und steigende Gewinne widerlegen solche Behauptungen. Ganz anders sieht es allerdings auf dem Binnenmarkt aus. Er bröckelt, es mangelt an Arbeitsplätzen, an Kaufkraft und damit an Nachfrage. Die Folge sind weitere Insolvenzen und zunehmende Arbeitslosigkeit, also ein Teufelskreis. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. Dafür sind die Vorschläge der Union völlig ungeeignet. Schlimmer noch, sie beschleunigen den „Saldo mortale“.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Den Begriff „Saldo mortale“ habe ich übrigens dem Gedicht „Die freie Wirtschaft“ entlehnt. Es endet:

Das laufende Band, das sich weiterschiebt, liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt.Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug sachtEure eigene Kundschaft kaputtgemacht...
Und Eure Bilanz zeigt mit einem Maleeinen Saldo mortale.

Der Autor dieses Gedichtes ist übrigens Kurt Tucholsky. Er schrieb es 1930.

   Wir haben – das sage ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch mit Blick auf aktuelle Debatten zum Rechtsextremismus – im Jahre 2005 keine Weimarer Verhältnisse. Aber das ist kein Grund, Fehler der Weimarer Politik zu wiederholen. Wer den Binnenmarkt schwächt, wer Fron und Demut fordert und Bürgerrechte beschneiden will, der vollzieht einen Salto mortale. Wir, die PDS, wollen eine solche Rückwärtsrolle nicht.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Die PDS ist für weit reichende und nach vorn weisende Reformen. Wir wollen ein Steuersystem, das die Gewinner nicht länger entlastet, während die Verlierer belastet werden. Das ist aber genau der Sinn Ihrer Steuerpolitik. Wir wollen solidarische Sozialsysteme, bei denen Geiz nicht geil ist, sondern bei denen einer des anderen Last trägt, und wir wollen eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen einen starken Binnenmarkt und Arbeit, von der man leben kann.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Deshalb lehnt die PDS im Bundestag Ihre Vorschläge ab.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) – Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist gut! Das machen wir auch!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Austermann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dietrich Austermann (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben alle mit Spannung darauf gewartet, was der Wirtschaftsminister bei seinem zweiten Versuch und der Nachbesserungsmöglichkeit darüber sagt,

(Karin Roth (Esslingen) (SPD): Sie können doch gar nichts, Herr Austermann! Sie sind doch einfach nur blöd!)

welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreift, um diese schreckliche Arbeitslosigkeit zu reduzieren.

(Ute Kumpf (SPD): Sie sind ein Heuchler!)

Es ist nichts gekommen, Herr Clement.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Wenn heute einer von diesen über 5 Millionen Arbeitslosen im Land und den vielen, die auch auf den Arbeitsmarkt drängen, aber keine Chance haben, gehört hat, was Sie gesagt haben, dann wird er sich deswegen keine bessere Perspektive ausrechnen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So ist es!)

   Ich frage die Menschen von dieser Stelle: Wenn ihr den Februar 2005 mit dem Jahr 1998 vergleicht, geht es euch heute besser als 1998 oder geht es euch schlechter?

Ich frage die Menschen in Schleswig-Holstein: Geht es euch heute besser oder schlechter als 1988?

(Bettina Hagedorn (SPD): Es geht ihnen viel besser!)

   Es ist ziemlich klar, dass die Perspektive für die Menschen schlechter geworden ist. Das gilt sowohl für die Arbeitsplätze als auch für die Ausbildungsplätze. Jeder von uns hat jeden Tag mit Menschen zu tun, die zum Beispiel berichten, dass sie als 40-Jähriger Marktleiter oder 50-Jähriger Bankangestellter keine neue Stelle finden oder als 55-Jähriger auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben. Was aber fällt Ihnen dazu ein? – Sie pöbeln unsere Fraktionsvorsitzende an. Sie haben keinen einzigen Vorschlag gemacht, den wir mittragen und gemeinsam umsetzen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie treten bei den Leuten als Gute-Laune-Bär auf und sagen ihnen: Liebe Leute, macht euch keine Sorgen und geht an die Arbeit! Aber die Leute haben keine Arbeit mehr. In Lübeck, einer schleswig-holsteinischen Großstadt, haben mehr als 20 Prozent der Einwohner keine Arbeit mehr. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Ihre Unterstützungstruppen in der Gewerkschaft immer wieder Neuansiedlungen von Firmen verhindern, dass die Grünen eine Politik gegen Arbeitsplätze und Investitionen betreiben und dass sich an vielen Stellen die Infrastruktur nicht weiterentwickelt, weil Rot-Grün eine Dauerblockade errichtet hat.

   Ich muss auf das Thema Dräger Medical nicht mehr eingehen, sondern möchte einen anderen Punkt erwähnen, der vielleicht symptomatisch für die Situation ist. Vergangenen Freitag war der Bundeskanzler in Lübeck, wo man ein großes Interesse daran hat, dass durch die Elektrifizierung der Bahn eine Verbindung zwischen den Häfen in Hamburg und Lübeck entsteht. Der Bundeskanzler hat in einer öffentlichen Erklärung, die in der Presse verbreitet wurde, angekündigt, dass die Elektrifizierung bevorstehe. Alle gehen nun davon aus, dass das Vorhaben finanziell abgesichert ist. In einem Gespräch mit dem Bahnvorstand und dem Finanzchef der Deutschen Bahn hat der Haushaltsausschuss aber gestern Abend erfahren, dass beide keine Basis für die Aussage des Bundeskanzlers sehen. Bis zum Jahr 2010 kann keine Umsetzung erfolgen, weil die Bundesregierung die Investitionsquote senkt. Die Investitionsquote sinkt deshalb, weil Sie die Verschuldung so aufgebläht haben und das Geld für Zinszahlungen und anderes verpulvern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel (FDP))

   Eine Regierung, die hohe Schulden macht, schafft Arbeitslosigkeit. Rot-Grün schafft hohe Schulden und Arbeitslosigkeit. Das gilt für Schleswig-Holstein wie für die Bundesrepublik insgesamt. Seit Frau Simonis in Schleswig-Holstein an der Regierung ist, hat sich die Zahl der Arbeitslosen um 52 000 erhöht. Schleswig-Holstein hat die höchste Arbeitslosigkeit aller westdeutschen Bundesländer mit Ausnahme von Bremen. Das war 1988 noch anders. Damals, vor dem Regierungswechsel, lag Schleswig-Holstein deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. In Hamburg hat sich die Situation zum Besseren gewendet; dort hat die Regierung gewechselt. Jeder intelligente Bürger kann seinen Schluss daraus ziehen, dass überall dort, wo die Union regiert, die Dinge besser laufen als dort, wo Rot-Grün regiert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Sie müssen die Frage stellen, ob man den Nachweis für eine erfolgreiche Arbeit dadurch liefert, dass man wie Herr Clement Reden hält, in denen nichts gesagt wird, oder dadurch, dass Wachstum und Beschäftigung steigen und die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Im ersten Quartal des vergangenen Jahres betrug das Wachstum 0,5 Prozent, im zweiten Quartal 0,4 Prozent; im dritten Quartal war das Wachstum gleich null und im vierten Quartal waren es minus 0,2 Prozent. Sie aber erzählen uns, dass der Wachstumspfad breiter wird. Das ist doch gelogen! Es stimmt nicht. Seit dem ersten Quartal des vergangenen Jahres geht der Anstieg des Wachstums zurück.

   Die Situation ist bedrückend, weil sich für die Menschen in unserem Land nichts bessert. Rot-Grün ist auf allen Ebenen – im Bund wie in Schleswig-Holstein – gescheitert. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Eine Regierung, die Schulden macht und das Geld verschleudert, wird nicht dazu beitragen, dass sich die Situation für die Menschen verbessert; sie sorgt vielmehr dafür, dass die Armut zunimmt. Sie können das an einer Fülle von Kriterien messen. Dies wird durch die Zunahme der Zahl der Kinder, die von Sozialhilfe leben, und zwar bundesweit, in Schleswig-Holstein in besonderem Maße, belegt. Sie können es auch an der Abnahme der Beschäftigungsquote, der Entwicklung der Einkommen in Schleswig-Holstein,

(Ludwig Stiegler (SPD): Legen Sie sich wieder hin!)

der Zahl der Arbeitslosen und an der zurückgehenden Infrastruktur ablesen.

   Meine Damen und Herren, Rot-Grün ist auf allen Ebenen ökonomisch gescheitert. Sie setzen die falschen Signale. Hätten Sie auf unsere Vorschläge gehört und sich inhaltlich damit auseinander gesetzt, –

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Austermann, bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.

Dietrich Austermann (CDU/CSU):

– dann wären Sie ein ganzes Stück weiter. Stattdessen liefern Sie den Menschen nur eine Show und verringern ihre Hoffnung, statt sie zu verstärken, weil sie feststellen müssen, dass die Regierung kein Konzept hat, um die Probleme des Landes anzugehen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/3726 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Weichen stellen für eine bessere Beschäftigungspolitik – Wachstumsprogramm für Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/2670 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.

   Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/4598. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 15/3213 mit dem Titel „Für eine qualitätsorientierte und an den regionalen Bedürfnissen ausgerichtete Ausschreibungspraxis von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.

   Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2826 mit dem Titel „Ausschreibungspraxis in der Arbeitsmarktpolitik effizient und effektiv ausgestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung einer fraktionslosen Abgeordneten angenommen.

   Tagesordnungspunkt 4 c: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/4622. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4156 mit dem Titel „Bürokratische Hemmnisse beseitigen – Bessere Rahmenbedingungen für Arbeit in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Stimme einer fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3724 mit dem Titel „Reform des Kündigungsschutzgesetzes – Abschaffung von Hemmnissen für die Einstellung neuer Mitarbeiter“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion sowie der Stimme einer fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.

   Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4407 mit dem Titel „Keine Sperrfrist bei Abschluss eines Abwicklungsvertrags nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Stimme einer fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Tagesordnungspunkt 4 d sowie Zusatzpunkt 2: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/3313 und 15/4831 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 157. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 18. Februar 2005,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15157
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