Kontroverse um Rehabilitation von Deserteuren ohne Einzelfallprüfung
Berlin: (hib/JUM) Uneinig zeigten sich die geladenen Sachverständigen am Mittwochnachmittag bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (14/5612). Die Gesetzesinitiative sieht die Abschaffung von Einzelfallprüfungen vor, denen sich Deserteure der Wehrmacht sowie Homosexuelle bis heute unterziehen müssen, um rehabilitiert zu werden.
Franz Seidler, Professor für Neuere Geschichte an der Münchner Bundeswehruniversität, äußerte Vorbehalte gegen den Entwurf. Zum einen würden mit der Einführung dieses Gesetzes etwa eine Viertelmillion Urteile annulliert, ohne dass eine nachvollziehbare Abgrenzung festzumachen wäre zwischen den Militärgerichtsurteilen, die aufgehoben werden, und denen, die beibehalten werden sollen. Seidler betonte, dass Straftaten wie Desertion in allen Armeen der Welt als Vergehen oder Verbrechen gelten. "Nirgendwo ist Ungehorsam, Feigheit und Selbstverstümmelung straffrei", so der Münchner Wissenschaftler. Seiner Ansicht nach würde das Gesetz die Wurzeln des militärischen Lebens, die Ordnung der Streitkräfte und die Einsatzbereitschaft der Truppe beschädigen.
Professor Peter Steinbach von der Universität Karlsruhe widersprach dieser Auffassung. Es sei heute unbestritten, dass die Nationalsozialisten einen Rassen- und Weltanschauungskrieg geführt hätten. Dieser Krieg mache alle Versuche obsolet, die militärischen Aktionen der Deutschen Wehrmacht soldatisch zu rechtfertigen. Steinbach begrüßte die Gesetzesinitiative und empfahl eine grundsätzliche Rechtfertigung der Desertion während des Dritten Reichs. Er betonte, dass Desertion nicht als Ausdruck von Feigheit, sondern als Abwendung von einem menschenverachtenden, totalitären Regime zu werten sei. Von Verantwortungslosigkeit, Kameradenverrat oder Gefährdung der Zivilbevölkerung könne in diesem Zusammenhang keine Rede sein. Im Gegenteil: Desertion verlangte Konsequenz und Mut, so Steinbach.
Auch Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz und selbst Deserteur, begrüßte die Gesetzesvorlage. Baumann schilderte, wie er von der Reichswehr nach seiner Desertion gefasst, gefoltert und gefangengesetzt worden sei und auch nach dem Krieg mit zahlreichen politischen sowie gesellschaftlichen Demütigungen habe fertig werden müssen. Er habe seit 1945 erfolglos um seine Rehabilitation gekämpft. Der vorgelegte Gesetzentwurf stelle seine Würde wieder her, sagte Baumann.