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Das Parlament
Nr. 41-42 / 04.10.2004


 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Hermann Glaser

Arthur Koestler

Ein bewegtes Leben

Die Gründe für meinen Entschluss, meinem Leben ein Ende zu setzen, sind so einfach wie zwingend: die Parkinsonsche Krankheit und eine langsam tötende Form von Leukämie." So Arthur Koestler in einem Abschiedsbrief, den er schon ein Jahr vor seinem Tod, zu dem er sich 1983 entschloss, verfasst hatte. Seine Frau Cynthia folgte ihm; ihre Angst vor einem Leben und Sterben ohne ihn war offensichtlich stärker als die vor dem gemeinsamen Selbstmord.

Der ungarisch-jüdische Schriftsteller und Journalist hatte ein Leben geführt, dem man die "energiegeladene Spannung von mindestens fünf gewöhnlichen Menschen" bescheinigte. Seinem Biographen ist es gelungen, diese widersprüchliche Existenz, auch auf der Grundlage unveröffentlichter Dokumente, vergessener früherer Arbeiten und vieler Gespräche mit Zeitzeugen, auf äußerst anschauliche Weise zu vergegenwärtigen.

Zwei fundamental unterschiedliche Perioden hätten sein Leben bestimmt, so Koestler selbst im Vorwort einer von ihm herausgegebenen Auswahl eigener, seit 1938 verfassten Texte: Die erste, konzentriert auf Politik, sei eine "Suche nach Utopia", die zweite eine "Suche nach Synthese" mit Hilfe von Wissenschaft und Philosophie gewesen.

Der Name des am 5. September 1905 in Budapest geborenen Koestlers ging auf den von Geheimissen umwitterten Großvater zurück, den dieser nach seiner Flucht aus Russland in Ungarn angenommen hatte. Zum Großvater und Vater hatte der Junge ein sehr gutes Verhältnis; das zur Mutter war ambivalent, ja geradezu von Hassliebe bestimmt. Einer der ältesten jüdischen Familien Prags entstammend, war sie offensichtlich eine vom Leben in der "ungarischen Verbannung" sowie von gesellschaftlicher Deklassierung und Isolation frustrierte Frau. Ihre Mutterliebe sei "maßlos, fordernd und launisch" gewesen, so Koestler in seiner Autobiographie "Der Pfeil ins Blaue". Sein exzentrisches Wesen, gerade auch was seine Beziehungen zu Frauen betraf (mit vielen Eskapaden und drei Ehen), war wohl stark von seinen teilweise "kafkaesken" Kindheitserfahrungen geprägt.

Der Titel seiner Lebensbeschreibung geht auf eine Vision zurück, die er schon 1919 hatte und dann in einem Gedicht 1924 in Worte fasste. Die Rede ist von "Sphärenmusik und Weltenkälte", von "kosmischer Ekstase" und "unfassbaren Dissonanzen", "zähneknirschender Ohnmacht" und "keimendem Sinn" ("Ich bin"). Das Gedicht habe er nach einem Erlebnis im Wiener Volksgarten geschrieben: Beim Lesen eines zionistischen Pamphlets über blutige antisemitische Ausschreitungen ergriff ihn ein körperlich spürbarer Anfall von Zorn.

Nachdem er sich wieder beruhigt hatte und davon träumte, wie er die Verfolgten der Erde "als Kämpfer und Buchautor" verteidigen könne, begann er nebenbei in einer Broschüre über Einstein zu blättern. Ein Satz erregte seine besondere Aufmerksamkeit: Die Relativitätstheorie führe die menschliche Phantasie über Gletschergipfel hinweg, die noch nie erkundet worden seien. Ein solches Gefühl des Höhenflugs verband sich bei ihm zugleich mit dem von "Ruhe und Frieden". Einerseits träumte Koestler weiterhin davon, die Rätsel des Universums zu ergründen, andererseits engagierte er sich für einen sehr irdischen Traum: die Errichtung eines jüdischen Staates."

Der meditative Yogi war stets auch ein Mann der Tat, der die Deckung des Schreibtischs verließ, um die Welt zu verändern: "In den zwanziger Jahren prügelte er sich als Wiener Student mit Antisemiten, lebte als Kibbutznik, Limonadenverkäufer und Reporter in Palästina. Anfang der dreißiger Jahre pilgerte er… durch Stalins Sowjetunion, spürte arabische Terroristen in Beirut auf, fuhr Ambulanzwagen durch das London des Blitz und berichtete aus dem israelischen Unabhängigkeitskrieg. Koestler saß als kommunistischer Spion in Francos Todeszelle, die französische Vorkriegs-Regierung internierte und die Gestapo jagte ihn, von Moskau wurde er als 'nervenkranker' Kalter Krieger beschimpft."

Das Leben Arthur Koestlers, das nun einen hervorragenden Biographen gefunden hat, gleicht einer Odyssee durch das 20. Jahrhundert. "Es ist die Geschichte eines Extremisten im Jahrhundert der Extreme."

Christian Buckard

Arthur Koestler. Ein extremes Leben. 1905-1983.

Verlag C.H.Beck, München 2004. 424 S., 24.90 Euro

Hermann Glaser, langjähriger Kulturreferent der Stadt Nürnberg, hat zahlreiche Arbeiten zur Kulturgeschichte der europäischen Nachkriegszeit vorgelegt.

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