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Das Parlament
Nr. 41-42 / 04.10.2004


 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Sandra Schmid

"Stark, klug - und verwundbar"

Welches Bild von Deutschland haben die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten?

Die Deutschen sind pünktlich, gewissenhaft, fahren schnelle Autos, essen viel Wurst und benehmen sich im Urlaub gern daneben. Deutsche kennen diese Vorurteile: Stereotype sind das zwar, doch sie sind häufig überzeugt, dass solche Klischees ihr Bild im Ausland prägen. Aber welches Deutschlandbild haben Polen, Ungarn oder die Bevölkerung in den Baltischen Staaten wirklich? Was assoziieren die Menschen in den Ländern mit Deutschland, die erst vor wenigen Monaten, am 1. Mai 2004, Mitglied der Europäischen Union geworden sind? Gibt es überhaupt ein Deutschlandbild und hat es sich seit den Umbrüchen in den letzten Jahrzehnten verändert?

Diese Fragen standen am 28. September im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion in der Berliner Akademie der Künste. Auf Einladung der Initiative "Kulturjahr der Zehn", die den kulturellen Austausch und Dialog zwischen Deutschland und den neuen EU-Ländern fördert, diskutierten Wissenschaftler und Journalisten aus Polen, Ungarn, der Slowakei, Litauen und Lettland über unterschiedliche Deutschlandbilder, über Ängste, Hoffnungen und Erwartungen.

"Wenn man die ältere Litauer nach ihrem Deutschlandbild fragt, dann stößt man ab und zu noch auf Sprichwörter", erzählte Alvydas Nikzentaitis, Historiker aus Vilnius. Selten sind diese schmeichelhaft: "Klein und dick wie ein Deutscher", zitiert Nikzentaitis ein solches erst auf litauisch, dann auf deutsch. Während das Publikum lachte, berichtete der Historiker weiter, in seinem Land fiele den meisten Menschen zu Deutschland als erstes "Mülltrennung" ein. Er erntete erneut Gelächter - die Deutschen fühlten sich erkannt.

Doch was so amüsant klingt, hat einen ernsten Kern: Gerade die jüngeren Litauer scheinen nicht viel mit Deutschland zu verbinden. "Die Deutschen haben in der Vergangenheit viel geredet, aber wenig getan", meinte Nikzentaitis. Besonders in der Auseinandersetzung mit Russland über die Regelung des Transits von Russland nach Kaliningrad, fühle sich Litauen übergangen, erklärte der Historiker. "Die deutsch-russischen Beziehungen gehen über unsere Köpfe hinweg." In dieser Kritik schwingen Befürchtungen mit, die auch viele Letten teilen. So sagte der lettische Journalist Ainars Dimants, es gäbe eine latente Furcht davor, von Deutschland und Russland übergangen zu werden. Besonders die Älteren hegten noch immer viele Ressentiments. Anders dagegen die Jüngeren: Für sie sei Deutschland als enger Vebündeter der USA und Mitglied der EU positiv besetzt.

Dennoch ist die deutsche Vergangenheit, besonders die nationalsozialistische, häufig ausschlaggebend für das Deutschlandbild in den neuen EU-Staaten. Je traumatisierender die Erfahrungen, desto negativer und eindimensionaler - auf diese Erfahrungen konzentriert - die Wahrnehmung Deutschlands. In Polen dominiert die Frage der Reparationen, die Deutschland an Polen zu zahlen habe, nicht nur die Diskussion in Medien und Politik, sondern auch ihre Perspektive auf den Nachbarn. "Viele Polen fühlen sich an die Zwischenkriegszeit, die Jahre der Weimarer Politik erinnert", sagte die Germanistin Maria Gierlak. Zwar gäbe es kein einheitliches Deutschlandbild, doch mit dem Aufflammen der Reparationsdebatte sei es sehr schwer geworden, sich differenziert mit Deutschland auseinander zu setzen. "Über die Vetreibungen von Deutschen aus Polen kann ich heute mit meinen Studenten kaum noch sprechen", berichtete die Universitätsdozentin.

Ganz anders die Gefühlslage in Ungarn und der Slowakei: In beiden Ländern war der Einfluss deutscher Kultur und Wissenschaft groß, Deutsch lange wichtigste Fremdsprache. Durch Krieg und Nationalsozialismus änderte sich das zwar, doch sind, so der slowakische Historiker Dusan Kovac, in der Slowakei kaum noch Ängste gegenüber den Deutschen vorhanden. "Die alten kulturellen Beziehungen haben nun wieder eine Chance", glaubt er. Ungarn hingegen erhoffe sich viel von Deutschland, sagte der Theologe und Politikberater Zoltán Balog. Aber auch Verständnis, schließlich wisse Deutschland, wie es ist, in einem postkommunistischen Land zu leben. "Wir sind eigentlich die besseren Deutschen", scherzte er und fügte hinzu: "Wir glauben oft, besser zu wissen, was Deutschland tun sollte." Aber die Deutschen beschäftigten sich zu viel mit sich selbst. "Immer geht es um 1945, warum nicht häufiger um 1989?" fragte der Theologe. "Aber wir mögen sie", meinte Balog schmunzelnd, "sie sind stark, klug - und verwundbar." Wenn sie nicht so wollten wie die Ungarn, könne man sie immer an Hitler erinnern. "Dann kriegen sie ein schlechtes Gewissen und wir haben sie auf unserer Seite."

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