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15. Wahlperiode
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   17. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 10. Februar 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b sowie den Zusatzpunkt 8 auf:

15. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen

- Drucksache 16/508 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Horst Friedrich (Bayreuth), Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Das Fluglärmgesetz unverzüglich und sachgerecht modernisieren

- Drucksache 16/263 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Den Schutz der Anwohner vor Fluglärm wirksam verbessern

- Drucksache 16/551 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung Bundesminister Gabriel.

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung bringt heute ihre Gesetzesnovelle zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm ein. Die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft haben ein gemeinsames großes Interesse daran, dass wir diese Novelle zügig beraten und für Rechtssicherheit sorgen.

   Wenn ich die Anträge und die Positionierungen zu diesem Vorhaben richtig verstanden habe, dann sind wir uns fraktionsübergreifend einig, dass der Gesetzgeber handeln muss. Diese Meinung kommt jedenfalls auch in den Anträgen der Oppositionsfraktionen FDP und Grüne sehr dezidiert zum Ausdruck.

(Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Denn Millionen Menschen, die in der Nähe von Flughäfen leben, werden durch Fluglärm nicht nur gestört, sondern auch einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Wir wissen alle, dass wissenschaftliche Studien seit langer Zeit Lärm als eine der großen Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen belegen.

   Wir wissen gleichzeitig, dass wir hier gleichsam zwei Seelen in einer Brust haben. Es gibt diejenigen, die, sofern sie sich das leisten können, zu jeder Zeit mit Flugzeugen möglichst weit wegfliegen wollen, diejenigen, die vom Lärm betroffen sind und die Flughafennutzung zum Zwecke der Lärmminderung einschränken wollen. Diese beiden Seelen spiegeln sich natürlich auch in dem Gesetzentwurf wider. Wir alle - jedenfalls die, die sich länger als ich mit diesem Thema befasst haben - wissen, dass in den letzten sechs Jahren immer wieder der Versuch unternommen wurde, beides zu einem ausgewogenen und vertretbaren Kompromiss zu führen.

   Lassen Sie mich deshalb eine Bemerkung vorab machen. Ich habe bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfes bemerkt, dass wir - wie alle das gelegentlich tun - immer noch ein bisschen reflexartig das wiederholen, was wir in der Vergangenheit, als wir entweder in der Regierung oder in der Opposition waren, zu bestimmten Themen gesagt haben. Ich schlage vor, dass wir, weil es sich hier um eine sehr schwierige Suche gehandelt hat - sonst hätte es nicht sechs Jahre gedauert, bis man zu einem Gesetzentwurf gekommen ist -, versuchen, in den Ausschussberatungen sehr dezidiert darauf einzugehen, welche denkbaren Kritikpunkte es gibt und was zu den vorliegenden Kompromissen geführt hat. Es ist ja ein Gesetzentwurf, der eins zu eins den Kompromiss der alten Bundesregierung wiedergibt. Ich kann gut verstehen, dass sich diejenigen, die damals in der Opposition waren - zum Teil sind sie es ja auch heute noch -, an das erinnern, was sie zu jener Zeit gesagt haben. Das würde uns nicht anders gehen. Aber vielleicht können wir es schaffen, noch einmal genau zu überprüfen, ob das, was gegen den Gesetzentwurf eingewandt wird - einerseits von den Vertreterinnen und Vertretern derjenigen Bürgerinitiativen, die die Belastung noch weiter verringern wollen, andererseits von den Vertretern der Fluggesellschaften oder Flughäfen -, ob also diese Maximalpositionen wirklich durchgesetzt werden sollten oder ob wir nicht mit diesem Gesetzentwurf einen Stand erreicht haben, der gewährleistet, dass wir das inzwischen frei entwickelte Richterrecht als Parlament wieder einfangen und eine wirklich verlässliche gesetzliche Grundlage schaffen.

   Wir sollten ehrlich zugeben, dass unser Gesetzentwurf, der den Versuch unternimmt, beide Seiten zu respektieren, noch nicht all das beinhaltet, was die Rechtsprechung in Deutschland abdeckt. Es gibt Hinweise darauf, dass auch Rechtsprechung stattfindet, die weit über das hinausgeht, was selbst der Kompromissentwurf von Rot-Grün aus der letzten Legislaturperiode enthält.

Auf der anderen Seite gibt es Flughafenbetreiber, die insbesondere ihre Neubauten, aber auch ihre Erweiterungsbauten bereits heute schon gemäß den Richtlinien dieses Gesetzentwurfs errichtet haben.

   Derzeit läuft ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht um den Flughafen Berlin-Brandenburg International. Ich will in diesem Zusammenhang auf einen Punkt hinweisen, der für diejenigen, die dieses Projekt wollen, wichtig ist: Die Seite, die diesen Flughafen bauen will, bezieht sich vor Gericht auf diesen Gesetzentwurf mit seinen Lärmgrenzwerten und nimmt sie als Argument für die Bewilligung der Planungen. Diesen Punkt muss man wissen, wenn man den Gesetzentwurf wesentlich verändern will.

   Die Bayern liegen, was den Bereich Lärmschutz angeht, wieder einmal weit vorne. Der Flughafen München ist heute einer der wirtschaftlichsten Flughäfen, die wir in Deutschland haben. Dort gibt es aber überhaupt keine Probleme, die im Gesetz vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten.

(Beifall des Abg. Ulrich Kelber (SPD))

   Man sollte aber auch offen ansprechen, dass es bei einem Flughafen Schwierigkeiten gibt, nämlich beim Flughafen Frankfurt/Main. Dort entstanden die Probleme, weil über einen langen Zeitraum zu wenig unternommen worden ist. Man hat sich darauf verlassen, dass die gesetzlichen Regelungen entweder nicht kommen oder nicht so scharf ausfallen werden. Deshalb ist der Investitionsbedarf in Hessen höher als an jedem anderen Standort. Übrigens hat Leipzig überhaupt keine Probleme mit der Einhaltung dieser Grenzwerte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

- Darüber freuen sich die Leipziger.

   Wir haben also an einem Flughafen Probleme, über die wir offen reden müssen. Aber wir sollten nicht so tun, als ginge es einfach von der Hand, alle Probleme durch eine wesentliche Änderung des Gesetzentwurfes zu lösen. Meine Bitte wäre also, sehr intensiv in die Beratungen einzusteigen. Ich will dem Ausschuss dafür gerne zur Verfügung stehen. Das gilt natürlich auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Hauses. Wir wollen diesen Gesetzentwurf nicht durchpeitschen, sondern wir wollen dafür sorgen, dass wir sachgerecht über die Probleme reden, die sich bei der Suche nach Kompromissen natürlich immer ergeben. Dass es diese Probleme gibt, sollte weder die eine noch die andere Seite verschweigen.

   Das geltende Gesetz stammt aus dem Jahre 1971. Wir alle können uns vorstellen, dass es längst nicht mehr up to date ist. Damals gab es in Deutschland 2 500 Starts und Landungen pro Tag; heute sind es 6 000. 1971 wurden 32 Millionen Passagiere befördert. 2005 waren es 165 Millionen. Das 35 Jahre alte Gesetz entspricht nicht mehr den Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung. Die Lärmschutzzonen reichen kaum über die Flughafengelände hinaus. Das noch geltende Fluglärmgesetz erlaubt sogar, ein Krankenhaus oder einen Kindergarten unmittelbar am Zaun der großen deutschen Flughäfen zu errichten. Das wird niemand von Ihnen für sinnvoll halten.

   Aus diesem Grund müssen wir das inzwischen durch Richterrecht in der beschriebenen Art und Weise sehr unterschiedlich geregelte Problem beim Lärmschutz neu lösen. Einige Stimmen sagen, dass dies bitte schön nicht in einem neuen Fluglärmgesetz geregelt werden sollte, sondern im Luftverkehrsgesetz. Ich will niemandem unterstellen, dass er damit gezielt versucht, in eine Bundesratsdebatte einzusteigen. Man muss aber Folgendes wissen: Wenn wir Entbürokratisierung wollen, dann macht es nicht viel Sinn, ein Gesetz zweimal zu beraten, nämlich das Fluglärmgesetz für den Bereich des Bestandes und das Luftverkehrsgesetz bei wesentlichen Aus- und Erweiterungsbauten. Denn es sind die gleichen Regelungen. Der Verweis im vorliegenden Gesetzentwurf auf § 8 des Luftverkehrsgesetzes ist nach meiner Auffassung wirklich eine exzellente Möglichkeit zur Minimierung unnötiger Bürokratie. Auf anderen Wegen würden wir dies nicht erreichen. Mehr Rechtssicherheit gibt es durch eine andere Vorgehensweise nicht. Das ist alles durch die Verfassungsrechtler geprüft worden. Daher glaube ich, dass wir hier eine sinnvolle Lösung gefunden haben.

(Beifall bei der SPD)

   Ich will auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs nicht intensiver eingehen; das werden wir in den Ausschussberatungen tun.

   Im Gesetz sind erweiterte Schutzzonen vorgesehen. Im Antrag der FDP-Fraktion, aber auch im Antrag der Grünen wird darauf hingewiesen, dass man bei Haupt- und Nebenflugbetriebsrichtungen gleiche Regelungen in Bezug auf den Lärmschutz haben sollte. Unser Vorschlag, erweiterte Schutzzonen einzurichten, stellt einen guten Kompromiss dar. Man muss nur wissen, dass diese erweiterten Schutzzonen ganze Gemeindeteile betreffen. Ich war lange genug in der Kommunalpolitik tätig, um zu wissen, was ein absolutes Bauverbot in einer Gemeinde für den Bürgermeister bedeutet.

Auch da sind uns als Parteien die kommunalpolitischen Probleme unserer Bürgermeister und Landräte nicht fremd. Es geht vielmehr darum, mit entsprechenden technischen Maßnahmen zu versuchen - in diesem Fall zugegebenermaßen gestreckt über zehn Jahre -, weiterhin vorhandene Baumöglichkeiten zu nutzen.

   Auf die Kosten will ich allerdings noch eingehen. Im Vorfeld sind gigantische Kosten veranschlagt worden: am Anfang um die 5 Milliarden Euro. Dann gab es in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten eine Untersuchung darüber, welche Kosten in den kommenden zehn Jahren ausgelöst werden. Ich glaube, dass wir diesen Kostenschätzungen deshalb trauen können, weil alle Beteiligten an dieser Untersuchung teilgenommen haben. Bei Verkehrsflugplätzen entstehen Kosten von 600 Millionen bis 740 Millionen Euro, bei Militärflugplätzen Kosten von 75 Millionen bis 95 Millionen Euro. Umgelegt auf den Zeitraum von zehn Jahren bedeutet dies eine Verteuerung um 1 Euro pro Ticket. Bei einer Verteuerung um 1 Euro pro Ticket kann ich, ehrlich gesagt, keine Gefährdung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit erkennen, jedenfalls dann nicht, wenn Freunde von mir für einen Flug nach Barcelona weniger bezahlen als für ein S-Bahn-Ticket in Berlin.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sollte man also realistisch sehen.

   Ich gebe zu: Es gibt ein Problem; das ist der Flughafen Frankfurt. Dort gibt es einen sehr großen Nachholbedarf. Deshalb sind die Kosten dort relativ hoch. Ich bin gern bereit, auch darüber noch zu reden. Aber an sich haben wir einen guten Kompromiss gefunden.

   Eine abschließende Bemerkung zum Thema „Ungleichbehandlung des militärischen Flugverkehrs und des zivilen Flugverkehrs“. Wir haben uns in unserem Kompromiss dazu entschieden, den Vorschlag, beide Verkehre gleich zu behandeln, nicht zu übernehmen. Es gibt ja insbesondere aus der FDP-Fraktion Forderungen nach einer Gleichbehandlung. Sie wissen so gut wie ich, dass der Grund dafür, dass wir für eine differenzierte Behandlung waren, der ist, dass die Tagesrandbelastung bei Militärflughäfen bzw. Militärflugzeugen am Morgen, am Abend, in der Nacht und vor allen Dingen am Wochenende, also gerade dann, wenn sich Menschen in ihrer Erholungsphase befinden, weit geringer ist als bei zivilen Flughäfen. Wir sind der Überzeugung, dass für die zivile Luftfahrt schärfere Grenzwerte gelten müssen, als es bei Militärflugplätzen nötig ist. Das ist der Grund dafür, dass wir uns im Kompromisswege für eine Differenzierung der Werte entschieden haben.

   Ich glaube, nach sechs Jahren Debatte - es ist ein schwieriges Feld; mit Sicherheit sind nicht alle Probleme gelöst - haben wir einen vertretbaren Kompromiss geschlossen, bei dem wir eine wirklich überalterte Rechtssituation sowohl zugunsten der Luftverkehrswirtschaft - sie hat jetzt Planungssicherheit - als auch zugunsten der Anwohnerinnen und Anwohner haben erneuern können. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Michael Kauch, FDP-Fraktion.

Michael Kauch (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Novellierung des Fluglärmgesetzes ist lang und leidig. Bereits die Vorgängerregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung von 1998 den Menschen in den Einflugschneisen versprochen, es werde sich jetzt etwas ändern. Eingehalten wurden diese Versprechungen bis zum Schluss jedoch nicht.

   Jetzt legt die neue Regierung endlich einen Gesetzentwurf vor. Das begrüßen wir ausdrücklich.

   Viel zu lange haben nicht nur die Anwohner darauf gewartet, dass der Lärmschutz an die aktuellen Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung angeglichen wird. Viel zu lange haben auch die Flughafenbetreiber darauf gewartet, dass es endlich Rechtssicherheit, Planungssicherheit und vor allen Dingen Wettbewerbsgleichheit unter den Flughäfen gibt. Denn die Vielzahl der unterschiedlichen Urteile hat dazu geführt, dass die Wettbewerbssituation der der einzelnen Flughafenstandorte nicht mehr fair geregelt ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Tatsächlich wird heute an den meisten Flughäfen entweder freiwillig oder durch Auflagen der Betriebsgenehmigung mehr für den Schallschutz getan, als es das Gesetz von ihnen verlangt. Wenn es nach der heutigen Rechtslage, nach dem heutigen Fluglärmgesetz, ginge, dann wäre beispielsweise an meinem Heimatflughafen in Dortmund die Schutzzone 1 an der Startbahn und die Schutzzone 2 am Terminal zu Ende. Das ist der Stand des Fluglärmgesetzes von 1971. Deshalb haben wir erheblichen Handlungsbedarf.

   Ich möchte an dieser Stelle aber auch den Sorgen begegnen, die Bürger im Blick darauf haben, was denn passiert, wenn wir jetzt ein Gesetz verabschieden, es aber eine Betriebsgenehmigung gibt, die einen stärkeren Lärmschutz vorsieht.

Ich denke, alle - auch die Schutzgemeinschaften gegen Fluglärm - sollten dazu beitragen, dass in der Diskussion Sachlichkeit einkehrt. Wenn wir hier ein Gesetz verändern, das Mindeststandards setzt, dann hebt das natürlich nicht die bestehenden Betriebsgenehmigungen auf.

   Wir begrüßen, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Wir begrüßen aber ausdrücklich nicht, dass sie diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat; denn sie macht damit nichts anderes, als die Fehler der Vorgängerregierung eins zu eins zu übernehmen.

(Beifall bei der FDP)

   Herr Gabriel, Sie sind mit Ihrem Entwurf eines Fluglärmgesetzes weiter gekommen als der Kollege Trittin, der heute ebenfalls unter uns weilt. Inhaltlich ist es aber kein Fortschritt gegenüber der Einigung vom Mai, die das Kabinett nie erreicht hat. Dieses Fluglärmgesetz ist weit davon entfernt, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den betroffenen Anwohnern, den Nutzern und den Flughafenbetreibern zu leisten. Vor allem müssen wir feststellen: Auch Sie begehen mit Ihrem Gesetzentwurf den trittinschen Fehler, beim Lärmschutz Bürger erster, zweiter und dritter Klasse zu schaffen.

(Beifall bei der FDP)

   Anwohner von Militärflughäfen sollen lediglich bei Grenzwerten geschützt werden, bei denen nach einhelliger Einschätzung der Lärmwirkungsforschung eine Gesundheitsgefährdung besteht. Sie argumentieren, das sei durch die besondere Situation in den Tagesrandlagen begründet. Natürlich ist das Lärmbild an einem Militärflughafen ein anderes als an einem Verkehrsflughafen. Die Grenzwerte, über die wir reden, sind aber bereits Mittelwerte. Das heißt: Wenn man in den Tagesrandlagen eine niedrigere Belastung als an den Verkehrsflughäfen hat, dann ist sie während des Tages umso größer. Es gibt in diesem Land auch Menschen, die nachts im Spätdienst oder frühmorgens arbeiten und während des Tages ihre Ruhephasen brauchen. Deshalb müssen alle Anwohner, wenn es um Mittelwerte über den Tag geht, gleich behandelt werden.

(Beifall bei der FDP)

   An den neuen und auszubauenden Flughäfen wollen Sie Schallschutzmaßnahmen schon deutlich früher bezahlen lassen als an Bestandsflughäfen. Es ist ein durchaus diskussionswürdiges Argument, zu sagen: Wenn jemand einen neuen Flughafen baut, dann muss es einen Interessenausgleich zwischen ihm und den Anwohnern geben. Die Frage aber ist: Was ist das Schutzziel des Fluglärmgesetzes? Das Fluglärmgesetz hat das Ziel, Gesundheitsschutz sicherzustellen; das Luftverkehrsrecht hat das Ziel, den Interessenausgleich herzustellen. Deshalb sind wir der Meinung, dass die Frage der Ausbauflughäfen angemessen im Luftverkehrsrecht zu klären ist, weil es andere Schutzziele als das Fluglärmgesetz hat.

(Beifall bei der FDP)

   Das, was ich gerade aufgeworfen habe - Anwohner erster, zweiter und dritter Klasse -, umschreibt die zentralen Kritikpunkte unsererseits an diesem Gesetzentwurf. Da es um den Gesundheitsschutz der Menschen geht, müssen die Grenzwerte für alle gelten. Deshalb werden wir, die FDP-Fraktion, uns dafür einsetzen, dass im Ausschuss eine Anhörung mit Fachleuten aus der Lärmwirkungsforschung stattfindet, um insbesondere die Argumente bezüglich der Militärflughäfen auszuräumen.

   Es stellt sich folgende Frage: Besteht nicht das wirkliche Argument der Bundesregierung dafür, die Anwohner an Militärflughäfen schlechter zu stellen - Herr Gabriel, es ist vielleicht nicht Ihr Argument, sondern das Ihrer Kabinettskollegen -, darin, dass die Militärflughäfen die einzigen Flughäfen sind, wo der Bund die Maßnahmen selber bezahlen muss, während ansonsten mit dem Fluglärmgesetz ein Gesetz geschaffen wird, für dessen Umsetzung andere zahlen müssen, nämlich die Kommunen, die Länder oder die privaten Eigentümer der Verkehrsflughäfen? Wenn es den Bund selber Geld kostet, ist er nicht bereit, diese Kosten zu tragen. Das dürfte der tiefere Sinn dessen sein, was hier im Hinblick auf die Militärflughäfen beschlossen wird.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Wir, die FDP-Fraktion, wollen anspruchsvolle Grenzwerte, die dem aktuellen Stand der Lärmwirkungsforschung entsprechen. Wir wollen, was die Schallschutzmaßnahmen angeht, eine Gleichbehandlung des zivilen und des militärischen Fluglärms. Wir wollen die Einführung strenger Nachtschutzzonen. Dabei sollten wir in den Ausschussberatungen noch einmal darüber nachdenken, ob es möglicherweise sinnvoll ist, im Gesetz die Frage der Einzelschallereignisse gegenüber dem Dauerschallpegel stärker zu gewichten; denn gerade die Aufwachreaktionen in der Nacht, die gesundheitsgefährdend sind, kommen nicht so sehr durch den Dauerschallpegel, sondern durch laute Einzelereignisse zustande. Da sollten wir uns das Gesetz noch einmal genauer anschauen.

(Beifall bei der FDP)

   Die Grünen haben die so genannte 100/100-Regelung in ihrem Antrag wieder aufgewärmt, obwohl Herr Trittin sie bereits aus dem Gesetzentwurf gestrichen hatte. Wir bitten die Bundesregierung daher, bei ihrem Kurs zu bleiben; denn es muss darum gehen, realistische und nicht hypothetische Belastungsszenarien in das Gesetz aufzunehmen.

(Beifall bei der FDP)

   Es ist wichtig, zu fragen: Wie wollen wir die Siedlungssteuerung betreiben, um nicht die Zahl derjenigen zu erhöhen, die durch Lärm belastet werden? Deshalb wäre es sinnvoll, die Bauverbote im Fluglärmgesetz zu verschärfen. Die Bundesregierung macht in ihrem Gesetzentwurf das Gegenteil: Die Bauverbote werden gelockert. Auch darüber müssen wir im Ausschuss noch einmal dringend reden; denn es kann nicht sein, dass, um den von Ihnen angesprochenen Bürgermeistern Gutes zu tun, Bauvorhaben genehmigt und Häuser errichtet werden, in denen später Menschen wohnen, die erneut Schallschutzmaßnahmen einfordern, die finanziert werden müssen.

   Eines ist an diesem Vorgang bemerkenswert: Der Minister hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, dem die CDU/CSU auch zugestimmt hat. Noch vor der Entscheidung im Kabinett hat die Kollegin Reiche jedoch eine so grundsätzliche Kritik an diesem Gesetzentwurf in einer Pressemitteilung verbreitet, dass man sich fragen muss, ob dieser Gesetzentwurf überhaupt in der Koalition abgestimmt wurde. Darüber hinaus muss man die Kollegin Reiche fragen, ob sie sich jemals mit diesem Thema beschäftigt hat; denn über ihre Argumente zur Kostenschätzung wurde in den letzten Monaten ausführlich diskutiert und die Probleme sind einvernehmlich zwischen den Betreibern und den Fluglärmgegnern geklärt worden.

   An dieser Stelle möchte ich dazu aufrufen, die sachlichen Fragen des Gesetzentwurfs zu klären. Die liberale Opposition wird sich für einen angemessenen Interessenausgleich einsetzen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Petzold, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ulrich Petzold (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauch, selbstverständlich können wir manchem Argument folgen. Sie haben die Militärflughäfen angesprochen. Dazu möchte ich Ihnen etwas sagen. Wenn Sie die DLR-Studie und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster richtig lesen, dann kommen Sie nicht umhin, der Regelung zuzustimmen, die wir gefunden haben.

   Lärm ist eine Geißel der modernen Zivilisation.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Genau!)

In einer Zeit, in der Hektik und Stress immer mehr den Lebensrhythmus sehr vieler Menschen bestimmen, steigt das Bedürfnis nach Erholung und Ruhe. Waren Ruhe und Stille in den vergangenen Jahrhunderten noch etwas Selbstverständliches, wurde das Recht auf akustische Ungestörtheit in den letzten Jahren immer mehr zum Luxusgut.

   Ein wesentlicher Störfaktor für die meisten Bürger ist der Verkehrslärm, vor allem die Geräusche, die durch den zunehmenden Luftverkehr entstehen. Die Zahl der davon betroffenen Menschen steigt ständig und die Menschen fragen die Politik zu Recht nach Antworten für ihr Problem.

   Es wird immer wieder angeführt, dass das gültige Fluglärmschutzgesetz aus dem Jahr 1971 stammt, die letzte Aktualisierung 1984 vorgenommen wurde und sich seitdem nichts getan hat. Das ist, wie Herr Bundesminister Gabriel bereits ausgeführt hat, nur die halbe Wahrheit. Eine ganze Reihe von Gesetzen, Verordnungen und europäischen Richtlinien haben in Randbereichen immer wieder auf das Problem des Fluglärms Bezug genommen und sich positiv auf die Lärmminderung ausgewirkt. Man darf ebenso nicht vernachlässigen, dass Verkehrsflughäfen und Fluggesellschaften sehr viele technische Vorleistungen zur Lärmminderung erbracht haben. So wurden von ihnen bis zum Jahr 2002 rund 550 Millionen Euro für passive Lärmschutzmaßnahmen der Anwohner aufgewandt, 420 Millionen Euro wurden davon allein auf freiwilliger Basis ausgegeben.

   Das heute eingesetzte fliegende Material verursacht im Vergleich zu dem in der Zeit, in der das noch gültige Lärmschutzgesetz verabschiedet wurde, einen um 30 Dezibel verminderten Lärm. Auch lärmmindernde An- und Abflugverfahren mit neuen Technologien und optimierten Flugroutenplanungen haben sich sehr positiv ausgewirkt. Nicht umsonst werden die Lärmwerte pro Flugbewegung, die 1971 für Wohngebiete eingefordert wurden, heute schon auf dem Flugplatzgelände erreicht.

   Doch muss man natürlich auch feststellen: All die lobenswerten lärmmindernden Maßnahmen wurden durch den dramatisch gewachsenen Flugverkehr deutlich kompensiert.

   Deshalb gab es bereits 1997 eine Anhörung im Deutschen Bundestag, in der ein dringender Handlungsbedarf festgestellt wurde. Dieser mündete im Februar 1998 in einen Bundestagsbeschluss mit dem Auftrag an die Bundesregierung, eine Novellierung des Fluglärmgesetzes zum Schutz der Bevölkerung vorzunehmen. Im Mai 2005 legte der vorherige - seit 1998 im Amt befindliche - Bundesumweltminister den Entwurf eines Fluglärmschutzgesetzes vor, der jedoch der Diskontinuität anheim fiel. Umso höher ist es zu bewerten, dass Bundesminister Gabriel nach der Vereinbarung im Koalitionsvertrag das Problem Fluglärm so kurzfristig und zielstrebig in Angriff genommen hat. Wir werden seine Bemühungen, durch die Novellierung Rechtsfrieden und Rechtsicherheit für die Betroffenen herzustellen, unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es muss unser Ziel sein, den Gesetzgebungsvorgang in einem überschaubaren Zeitraum abzuschließen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! Wohl wahr!)

   Mit wachsender Sorge sehe ich jedoch ein Problem, über das gesprochen werden muss. Die Rechtsabteilung Ihres Hauses, Herr Minister Gabriel, hat die Gesetzgebungskompetenz für den vorliegenden Gesetzentwurf mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 und Art. 73 Nr. 6 des Grundgesetzes begründet. Dagegen steht die Auffassung der Bundesländer. Sowohl das Fluglärmgesetz aus dem Jahr 1971 als auch dessen zwischenzeitliche Änderungen wurden mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet. Mit der Novelle sollen die den Ländern im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung übertragenen Vollzugsaufgaben mit den entsprechenden Kostenfolgen erheblich ausgeweitet bzw. neu begründet werden. Damit würde das Gesetz unmittelbar in die Verwaltungskompetenz der Länder im Sinne von Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes eingreifen und es bedarf daher nach Auffassung der Länder zwingend der Zustimmung des Bundesrates.

   Herr Bundesminister, ich habe die Befürchtung, dass sich die Rechtsabteilung Ihres Hauses in der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit durch die Länder etwas vergaloppiert hat. Ich unterstelle nicht einmal, dass Ihre Juristen Unrecht haben, das nicht. Aber wir haben in der vorherigen Legislaturperiode auch schon versucht, das Hochwasserschutzgesetz - daran können Sie sich sehr gut erinnern, Herr Trittin - zustimmungsfrei durch den Bundesrat zu bekommen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! War es auch!)

Das Ende vom Lied war, dass der Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit seine Kompetenz für das Hochwasserschutzgesetz erklärte. Dadurch war es mit der geplanten Zustimmungsfreiheit vorbei. Sie wissen das ganz genau.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dadurch wurde es nicht zustimmungspflichtig!)

Da halfen dann auch keine Appelle an die Parteidisziplin Ihrer rheinland-pfälzischen Umweltministerin Conrad. Es hatte sich eine Phalanx von Ländern gebildet, die ein Jahr Verhandlungen zur Folge hatte, uns also ein Jahr Stillstand gekostet hat.

(Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Leider! Ja!)

Dies hätte bei rechtzeitigen, vertrauensvollen Gesprächen sicherlich vermieden werden können. Genau das fordern wir ein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir brauchen diese vertrauensvollen Gespräche auch in unserer Fraktion. Ich denke an die nicht gerade prickelnde Unterrichtung durch einen Ihrer Abteilungsleiter am Dienstag. Ich denke, der Umgang Ihres Hauses - das haben Sie bewiesen - kann ein ganz anderer sein. Ich hoffe auf eine sehr gute Zusammenarbeit in den nächsten Wochen.

   Ich gehe mit Sicherheit davon aus, dass sich die Positionen nicht so wesentlich unterscheiden und durchaus in Übereinstimmung gebracht werden können. Deswegen muss es uns in den nächsten Wochen darum gehen, folgende Fragen frühzeitig auszuräumen: Inwieweit dürfen in Fluglärmzonen überhaupt noch Wohngebäude oder lärmsensible Einrichtungen errichtet werden?

Muss es nicht eine Haftung für Bauherren und -planer geben, die den Lärmschutz vernachlässigt haben? Ist es möglich, weitere positive Anreize für einen verstärkten Einsatz Lärm mindernder Flugzeuge zu setzen? Sind ohne weitere Änderungen im Luftverkehrsgesetz tatsächlich alle Interpretationsspielräume und alle Anlässe für Rechtsstreitigkeiten beseitigt? Welche Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung sind so gesichert, dass sie bei gesetzlichen Regelungen berücksichtigt werden können?

   Zu einigen dieser Fragen wird sich in ein paar Wochen die Judikative in Leipzig im Rahmen des Mammutprozesses um den Großflughafen Schönefeld äußern. Welchen Zielpunkt sie dabei setzt, sollte uns nicht egal sein: Es geht zum Beispiel darum, ob die Forderung des Leipziger Regierungspräsidiums erfüllt wird, im Rahmen der Planfeststellung für den Leipziger Flughafen auch den Aspekt des Wiedereinschlafens in Nachtschutzzonen zu berücksichtigen, und um die Frage, welche Wirkung die Ergebnisse der DLR-Studie im Rahmen zukünftiger juristischer Verfahren entfalten werden. Wir sollten uns durchaus überlegen, wie wir in den nächsten Wochen mit den Betroffenen umgehen und in welcher Form wir gemeinsam mit ihnen beraten.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Lutz Heilmann, Fraktion Die Linke.

Lutz Heilmann (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird leider nicht immer gut. Seit Jahrzehnten wird über die Novellierung des Fluglärmgesetzes gesprochen. Rot-Grün hat sieben Jahre lang angekündigt, einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen. Jetzt dürfen wir im Bundestag über diesen Gesetzentwurf debattieren. Eine lange Lagerung führt zwar meist zu einem guten Wein, nicht aber zu einem guten Gesetzentwurf.

   Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein reiner „Schallschutzfenster-Fördergesetzentwurf“. Kein einziger Flughafen wird dadurch leiser und kein Anwohner wird wirklich vom Fluglärm entlastet. Dieser Gesetzentwurf ist ein reiner Erstattungsgesetzentwurf, in dem die Zahlungen der Flughäfen an die Anwohner geregelt werden.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen fordern Sie ja auch einen Flughafen in Neuhardenberg! Sagen Sie dazu auch mal etwas! Der dortige Bürgermeister von den Linken ist da ja ganz vorne mit dabei!)

   Wenn wir über Fluglärm reden, dürfen wir aber nicht nur über Schallschutzfenster oder technischen Fortschritt sprechen. In der Tat würde zwar das einzelne Flugzeug - wenn auch zu langsam, so aber doch kontinuierlich - leiser. Gleichzeitig würde sich jedoch die Anzahl der Flüge verdoppeln, in Deutschland in etwa alle 20 Jahre. Die Folge wäre, dass der Fluglärm insgesamt deutlich zunehmen würde.

   Noch dramatischer sind die Klimafolgen des Flugverkehrs: Er ist auf dem besten Weg, zum Klimakiller Nummer eins zu werden. So überstiegen die Klimafolgen des Luftverkehrs bereits im Jahre 2000 die der weltweiten PKW-Flotte. Der Anteil des Flugverkehrs am globalen Treibhauseffekt beträgt bereits 9 Prozent; die Tendenz ist steigend. Aufgrund massiver Subventionen sind im Luftverkehr sehr hohe Wachstumsraten zu verzeichnen. Gleichzeitig allerdings schädigt er die Umwelt am meisten. Daher fordern wir den Abbau aller Subventionen für den Flugverkehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn der Abbau der Subventionen würde selbst nach der niedrigsten Berechnung jedes Jahr mehr Geld einbringen als das Fluglärmgesetz in den nächsten zehn Jahren an Kosten verursacht.

   Noch immer gibt es keine Kerosinsteuer, noch immer zahlt der internationale Luftverkehr keine Mehrwertsteuer und noch immer werden die Billigflieger von Flughäfen massiv subventioniert. All dies ist nicht länger hinnehmbar. Denn im Gegensatz dazu sind in den Ticketpreisen der wesentlich umweltfreundlicheren Bahn Mineralölsteuer-, Stromsteuer- und Mehrwertsteuerzahlungen enthalten.

(Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Richtig! Das ist der entscheidende Punkt!)

Allein diese Bestandteile kosten die Kunden oft mehr als ein Flugticket. Wir hoffen, dass die EU ihre Planungen hinsichtlich der Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel nun umsetzt und dass die Bundesregierung dieses Vorhaben aktiv unterstützt.

   Werte Kolleginnen und Kollegen, das Fluglärmgesetz bringt einige Verbesserungen für die betroffenen Menschen. Es ist aber bei weitem nicht ausreichend. Für wirklichen Lärmschutz müssten echte Grenzwerte eingeführt werden, die nicht überschritten werden dürften.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese würden die Flughafenbetreiber zwingen, aktive Maßnahmen zur Senkung des Fluglärms durchzuführen, zum Beispiel Beschränkungen für laute Flugzeuge und Nachtflugverbote. Leider schafft der vorliegende Gesetzentwurf keine rechtliche Grundlage für Nachtflugverbote. Die gewählten Grenzwerte für die Tagschutzzonen sind nicht ausreichend. Ein wirksamer Gesundheitsschutz der Anwohner ist somit nicht gewährleistet.

   An einigen Flughäfen - der Minister sprach es an - wurden in letzter Zeit Grenzwerte für den Schallschutz festgelegt, die strenger sind als die, die im jetzt vorgelegten Gesetzentwurf enthalten sind.

In der Praxis sind niedrigere Grenzwerte also machbar. Die vorgesehenen Grenzwerte führen, wie der Minister richtig sagte, zu Mehrkosten von umgerechnet maximal 1 Euro. Ich bin mir sicher, unsere und auch Ihre Wähler zahlen gerne auch 2 Euro pro Flugticket mehr. Ja, mehr kostet ein anspruchsvoller Gesundheitsschutz im Flugbereich nicht.

(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE))

   Die vorgesehene Einführung einer Nachtschutzzone sehe ich zwar als eine deutliche Verbesserung an, die hierfür vorgeschlagenen Grenzwerte sind aber noch zu hoch. Statt des Wertes von 50 dB (A), der überdies erst ab 2011 gelten soll, muss schnellstmöglich ein Grenzwert von 45 dB (A) angesetzt werden. Nur so kann garantiert werden, dass Anwohnern Schlafstörungen erspart bleiben. Eine Übergangsregelung bis 2011 widerspricht doch dem gesunden Menschenverstand. Übergangsfristen von bis zu 13 Jahren für den Anspruch auf Schallschutz verhöhnen die Betroffenen, die teilweise seit Jahrzehnten auf eine Minderung der Lärmbelästigung warten. Ich empfehle allen Schöpfern dieser Regelung, in die Nähe eines Flughafens zu ziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dort können Sie einen Praxistest durchführen; ich wünsche Ihnen ein gutes Durchhaltevermögen.

   Die Festsetzung der Tagschutzzone 2 hat fast keine rechtlichen Konsequenzen. Wir fordern deswegen, dass wie in der Tagschutzzone 1 Erstattungssysteme eingeführt werden. Die Bauverbote in Schutzzonen werden durch viele Ausnahmeregelungen ausgehebelt. Statt die Bebauung einzuschränken, werden die Baumöglichkeiten mit diesem Gesetz sogar ausgeweitet. Damit entfällt ein wesentlicher Vorteil des Fluglärmgesetzes für die Flughafenbetreiber, die zu Recht darauf hinweisen, dass viele der heute von Lärm Betroffenen in die Nähe eines bestehenden Flughafens gezogen sind.

   Die so genannte 100/100-Regelung zur Messung des Fluglärms ist im Gegensatz zum Referentenentwurf des BMU von 2004 entfallen. Die stattdessen vorgeschlagene Sigma-Regelung wird bei der Lärmmessung zu bis zu 4 dB (A) niedrigeren Nominalwerten führen. Die Folge ist, dass die Schutzzonen um bis zu 30 Prozent kleiner ausfallen. Da sich die FDP-Fraktion in ihrem Antrag explizit gegen die Anwendung der 100/100-Regelung ausspricht, können wir diesem nicht zustimmen.

   Zum Antrag der Grünen. Auf Dauer werden Sie Ihren Spagat zwischen Regierung und Opposition nicht durchhalten. Die niedrigeren Lärmgrenzwerte für Militärflughäfen sind sachlich nicht zu begründen. Die Differenz von 3 dB (A) hört sich zwar wenig an, entspricht aber einer Verdoppelung des Verkehrs. Anwohner von Militärflughäfen haben außerdem nur einen Anspruch auf Schallschutzfenster, Anwohner von Zivilflughäfen hingegen haben zusätzlich einen Anspruch auf Belüftungsanlagen.

   Herr Minister, da Sie auf die Kommunalpolitiker hinweisen, würde ich gern erwähnen, dass viele Kommunen vom Tourismus leben, auch in meiner Gegend, um Lübeck, wo regelmäßig Tiefflüge auf der Tagesordnung stehen. Ich bitte, in der Debatte über das Gesetz darauf noch einmal zu sprechen zu kommen.

   Die Bevorzugung von Militärflughäfen soll einzig den Bundeskriegsminister

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

wohl gesonnen stimmen, dem der Schutz der heimischen Bevölkerung anscheinend wenig am Herzen liegt und der das Geld eher für kriegerische Einsätze der Bundeswehr benötigt.

   Werte Kolleginnen und Kollegen, über diese und andere Regelungen des Gesetzentwurfs werden wir im Ausschuss sicher ausführlich beraten. Ich verspreche Ihnen, dass wir uns dabei massiv für den Schutz der Lärmbetroffenen einsetzen werden.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Wir Grünen begrüßen es außerordentlich, dass der jetzige Bundesumweltminister Gabriel den unter Rot-Grün erarbeiteten Gesetzentwurf, den Jürgen Trittin durch das Kabinett und in den Bundesrat gebracht hat, hier einbringt. Das freut uns; das bekennen wir ganz offen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir waren davon überrascht.

   Wir werden uns nicht aus der Verantwortung stehlen, wie es andere machen. Damit will ich zum „Spagat“ kommen: Kollege Heilmann, der schlimmste Spagat, den es gibt, ist der, den die PDS im Osten macht nach dem Motto „Wir im Osten haben das gleiche Recht auf Fluglärm wie der Westen“. Ihre Bürgermeister im Osten kämpfen, aber um Fluglärm und um Flughäfen, während Sie hier im Bundestag so tun, als seien Sie die vorderste Front der Lärmschutzinitiativen. Das ist nicht glaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf. Ein solches Gesetz wird einen Fortschritt gegenüber dem rechtlichen Zustand der vergangenen 35 Jahre bedeuten; das kann man doch nicht übersehen. Das alte Gesetz ist in jeder Hinsicht unzulänglich. Um es bildlich zu sagen: Es wäre so, als wenn es im Automobilbereich noch heute die Abgasnormen und Grenzwerte der 60er-Jahre gäbe. So ist in etwa die derzeitige Situation im Bereich Fluglärm. Es kann uns Parlamentarier doch nur ärgern, wenn in Deutschland in unserer parlamentarischen Demokratie nicht mehr das Parlament Recht setzt, sondern die Richter das tun. Insofern ist es wichtig, dass wir bei der Erarbeitung eines solchen Gesetzes endlich in die Gänge kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein Wort zur früheren Opposition aus CDU/CSU und FDP und zu ihren Ländervertretern: Sie hätten in den letzten Jahren immer wieder die Möglichkeit gehabt, dieses Projekt nach vorne zu bringen. Es war zuletzt der Bundesrat, der ein solches Gesetz pauschal abgelehnt hat, obwohl es eigentlich gar nicht zustimmungspflichtig ist. Das Problem ist, dass zwar von vielen wohlfeil gesagt wird, für die Anwohner müsse beim Lärmschutz etwas getan werden, dass aber aufgrund der Interessen vor Ort gegen ein Lärmschutzgesetz gekämpft wird.

   Bevor ich auf die Details dieses Gesetzes zu sprechen komme, möchte ich noch Folgendes feststellen: Es ist eine Illusion - das haben wir immer gesagt -, zu glauben, mit einem Gesetz den Fluglärm insgesamt bekämpfen zu können. Dieses Gesetz konzentriert sich vor allem auf die Bereiche Entschädigung und Lärmschutzzonen. Das ist auch gut so. Darüber hinaus gibt es europäische Richtlinien wie zum Beispiel die zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen. Im Rahmen ihrer Umsetzung in deutsches Recht kann man viel besser aktive Lärmschutzmaßnahmen oder Nachtflugverbote durchsetzen. In diesem Zusammenhang kann viel besser eine gesetzliche Verankerung von aktivem Lärmschutz vorgenommen werden als in dem Fluglärmgesetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die europäische Umgebungslärmrichtlinie verlangt, dass auch an Flughäfen in Ballungsräumen Lärmschutz- und Lärmminderungspläne erarbeitet werden, dass also beim Schallschutz aktiv eingegriffen wird. Auch das steht noch an.

   Nun zum Gesetz selber. Jahrelang haben wir um dieses Gesetz gerungen und gekämpft, wir wissen, wer daran mitgewirkt hat und wo wir nachgeben mussten. Deswegen ist uns bewusst, dass dieses Gesetz Schwächen hat und dass es Stellen gibt, an denen nachgebessert werden muss. Weil wir nun in der Opposition sind, werden wir selbstverständlich nicht aufhören, zu denken. Das wäre ja auch absurd.

   Was sind unsere Kritikpunkte? Zunächst zu den Grenzwerten. Es ist richtig und gut, dass das Gesetz bei Neu- und Ausbau ambitionierte und am Stand der Wissenschaft orientierte Grenzwerte vorsieht. Falsch aber ist es, bei den bestehenden Flughäfen niedrigere Grenzwerte und damit mehr Lärm zuzulassen - und das auf Dauer. Wir wollen, dass die neuen besseren Grenzwerte aus der Lärmwirkungsforschung sukzessive auf die alten Flughäfen angewendet werden. Auch dort brauchen wir ambitioniertere Grenzwerte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen, dass die Grenzwerte regelmäßig überprüft werden. Das muss dann aber auch zu der Konsequenz führen, dass sie korrigiert werden, wenn die Wirkungsforschung sagt, sie seien nicht mehr richtig, heute wisse man mehr darüber, was Krankheiten verursacht.

   Zum Themenbereich Hauptflugrichtung und Nebenflugrichtung. Kollege Kauch, wir haben in unserem Antrag nicht die alte 100/100-Regel aufgegriffen, sondern haben nur festgestellt, dass es nicht sein kann, dass man ein Verfahren wählt, das diejenigen, die sich in der Nebenflugrichtung befinden, rechnerisch so benachteiligt, dass sie fast keinen Schutz bekommen. An diesem Verfahren üben wir Kritik. Das wollen wir korrigieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Das sagt die 100/100-Regel aber nicht aus!)

   Uns stört auch, dass die zeitliche Streckung für Entschädigungszahlungen viel zu lang ist. Menschen, die schon seit 20 oder 30 Jahren auf Maßnahmen warten, können nicht noch weitere zehn Jahre warten, bis sie endlich Geld für Schallschutzmaßnahmen bekommen.

   Schließlich ist es - da bin ich mit Ihnen, Herr Kauch, einer Meinung - nicht angemessen, dass Bürgerinnen und Bürger, die von militärischem Fluglärm betroffen sind, schlechtere Entschädigungsregeln haben. Da haben Sie vollkommen Recht. Der Verteidigungsminister möchte natürlich nichts aus seinem Etat hergeben. Das muss das Parlament zurückweisen und sagen: Wir wollen Gleichheit zwischen beiden Lärmbelastungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ein weiterer Punkt. Das Gesetz rechnet nach einer Methode, die in Europa nicht mehr gängig ist. Die Umgebungslärmrichtlinie definiert die neuen Lärmindizes „Lden“ und „Lnight“. Diese sollten wir heutzutage nicht mehr unterbieten; denn das ist der moderne messtechnische Standard. Wir wissen, dass wir an der alten Methode festgehalten haben, weil man mit dieser Methode etwas verstecken kann. Ich meine, das Parlament, das immer sagt, dass es das europäische Recht eins zu eins umsetzen will, sollte das auch bei den Messmethoden tun. Es muss eins zu eins und nicht eins zu minus eins umgesetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Unser letzter Kritikpunkt betrifft die Bauverbote. Auch die Flughafenbetreiber sagen, in den letzten Jahren sei immer näher an die Flughäfen herangebaut worden. Das treibe die Kosten hoch. Man muss den Mut haben, Bauverbote auszusprechen. Das ist durch das Gesetz zunächst einmal möglich. Zusätzlich enthält es aber zahlreiche Ausnahmen, durch die das Bauverbot so unterlaufen wird, dass es damit praktisch kaputtgeschossen ist. Auch hier muss nachgebessert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

   Ich komme zum Schluss. Wir brauchen ein neues Fluglärmgesetz mit besseren und anwohnerbezogenen Grenzwerten. Wir sagen es ganz offen: Bei einer solchen Regelung müssen wir eine Balance zwischen dem Flugverkehr, der Flugwirtschaft und den Anwohnern finden. Sie darf eben nicht dauerhaft zulasten der Anwohner gehen. Man darf nicht immer zuallererst nur an die Interessen der Flughäfen und nicht an die der Anwohner denken.

   Ein Letztes. Minister Gabriel, Sie haben gesagt, insgesamt koste das Ganze nicht viel. Das ist vollkommen richtig. Die Belastungen für die Flugwirtschaft und die Fliegenden durch dieses Gesetz sind absolut zumutbar. Das ist der Preis, den die Leute für die Belastung anderer zahlen müssen.

   Dass ausgerechnet der Flughafen Frankfurt besondere Probleme haben soll, kann ich nicht nachvollziehen. Das ist nämlich der Flughafen mit den größten Profitraten und dem stärksten Wachstum in den letzten Jahren. Der Chef von Fraport kann vor Kraft fast nicht laufen. Dies ist in dieser Woche beim Verkehrsforum Deutschland wieder zu beobachten gewesen. Man hat mit dem geworben, was man ist und kann. Angesichts der großen Zahl an Flügen in Frankfurt ist der Einzelflug gar nicht so stark belastet. Nicht einmal hier gibt es also einen berechtigten ökonomischen Einwand.

   Ich meine, wir sollten den Mut aufbringen, ein ambitioniertes Gesetz zu verabschieden.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile dem Kollege Marko Mühlstein, SPD-Fraktion, das Wort.

Marko Mühlstein (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Am Beginn meiner Rede möchte ich den Kollegen Petzold von dieser Stelle aus doch einmal kritisieren.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Was? Wir sind doch Freunde! - Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Reden Sie mal, dass wir klatschen können!)

Es gab sehr wohl nicht nur im Bundesumweltministerium, sondern natürlich auch in den zuständigen Häusern Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium eine juristische Prüfung.

   Wir sprechen heute hier über ein in den vergangenen Jahren gewachsenes Umweltproblem in der Bundesrepublik, die Lärmemissionen. Insbesondere der Fluglärm hat sich durch den stetigen Anstieg des Flugverkehrs zu einem ernsthaften Problem entwickelt. So fühlen sich laut Umweltbundesamt 12 Prozent der Gesamtbevölkerung durch Fluglärm wesentlich belästigt. In einigen Bundesländern sind es sogar 41 bzw. 44 Prozent der Einwohner.

   Aus der Belastung durch Fluglärmemissionen ist für viele Menschen ein ernstzunehmendes Umweltrisiko geworden. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute in der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen das mittlerweile 35 Jahre alte Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm den aktuellen Erfordernissen anpassen können. Aus meiner Sicht ist es sehr zu begrüßen, dass durch die Neufassung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm wesentlich mehr Bürgerinnen und Bürger in der Umgebung der Flughäfen Ansprüche auf Schallschutz erhalten werden. Außerdem wird für eine weitblickende Siedlungsplanung in lärmbelasteten Bereichen um Flughäfen gesorgt, um zukünftigen Lärmkonflikten besser vorzubeugen.

   Werte Kolleginnen und Kollegen, in der Novelle sind die Grenzwerte für die Lärmschutzzonen deutlich herabgesetzt worden. Zugleich wird mit der Neuregelung auf eine stärkere Harmonisierung mit den Lärmschutzstandards beim Neu- und Ausbau von Straßen- und Schienenwegen abgezielt. Hierfür gibt es mit der 16. Bundes-Immissionsschutzverordnung ja bereits seit 1990 eine analoge Lärmschutzregelung.

   Schauen wir zurück auf das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm von 1971, das derzeit noch gilt. Danach besteht ein Anspruch auf baulichen Schallschutz für Wohnungen erst, wenn der Fluglärm 75 Dezibel überschreitet. Bei derart hohen Belastungen müssen die Menschen nicht nur massive Störungen und Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität hinnehmen, in unterschiedlichen wissenschaftlichen Studien wird auch aufgezeigt, dass derartiger Lärm vor allem zu Herz-Kreislauf-Störungen führt.

Die vom Bundeskabinett am 1. Februar dieses Jahres verabschiedete Novelle des Fluglärmgesetzes sieht daher vor, den Grenzwert für die Tagschutzzone 1 bei Verkehrsflugplätzen auf 65 Dezibel zu senken. Wird ein Verkehrsflughafen wesentlich ausgebaut, soll der Anspruch auf baulichen Schallschutz für Wohnungen im Flughafenumland bei einem fluglärmbedingten Mittelungspegel von 60 Dezibel einsetzen.

   Diese notwendigen Verschärfungen der Lärmgrenzwerte für die Tagschutzzonen um 10 bis 15 Dezibel orientieren sich maßgeblich an den Empfehlungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Diese Pflichten sollen künftig für alle Verkehrsflugplätze gelten und darüber hinaus für die größten Verkehrslandeplätze. Neben den zivilen Verkehrsflugplätzen erfasst der Gesetzentwurf auch die militärischen Flugplätze. Erstmals werden für Flughäfen mit relevantem Nachtflugbetrieb auch nachts Schutzzonen festgelegt. Ziel dieser Neuregelung ist es, die von Nachtfluglärm betroffenen Menschen vor gesundheitsrelevanten Schlafstörungen zu schützen.

   Das novellierte Fluglärmgesetz wird in den nächsten zehn Jahren Investitionen in den Lärmschutz auslösen. Bundesminister Gabriel sprach vorhin von den zu erwartenden Kosten und erwähnte, dass ein Flugticket dadurch in Zukunft um circa 1 Euro teurer werden wird. Diese Kostenbelastungen können angesichts von Kerosinzuschlägen und Sicherheitsgebühren in beträchtlicher Höhe aus meiner Sicht nicht als Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Verkehrsträgern oder gegenüber Flughäfen im Ausland bewertet werden.

(Beifall bei der SPD)

   Zukünftig werden nicht mehr Gerichtsurteile landauf und landab entscheiden, wie die Flughäfen ausgebaut werden können. Mit den verbindlich geregelten Eckdaten dieser Gesetzesnovelle gewährleisten wir als Gesetzgeber nach 35 langen Jahren eine verlässliche Planungs- und Rechtssicherheit, wovon der Standort Deutschland als Flugverkehrsstandort in Mitteleuropa, aber auch die als Anwohner betroffenen Bürgerinnen und Bürger deutlich profitieren werden.

   Der allseits bekannte Spruch „Viel Lärm um nichts“ kann maximal für die Anträge der Fraktion der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen gelten,

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

nicht aber für die vorliegende Novellierung des Fluglärmgesetzes. Schließlich haben wir mit dem Gesetzentwurf einen angemessenen Interessenausgleich erzielt, bei dem das Ziel der Ausgewogenheit mit hoher fachlicher Präzision erreicht wurde.

   Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Königshofen, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Norbert Königshofen (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns einig: Das Fluglärmgesetz aus dem Jahre 1971 muss novelliert werden. Wachstum des Flugverkehrs und gestiegene Sensibilität der Menschen - all das spricht dafür: Es besteht dringend Handlungsbedarf. Die Rechtsprechung der deutschen Gerichte ist weit über die Regelungen des Gesetzes hinweggegangen. Wir brauchen also eine grundlegende Modernisierung der Fluglärmgesetzgebung. Unser Ziel ist, einen fairen Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie zu schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Der Luftverkehr ist für uns alle wichtig. Deswegen - das müssen wir bei aller Koalitionsfreundschaft sagen - ist es natürlich ein Jammer, dass wir sieben Jahre lang nur Versprechungen gehört haben

(Ute Kumpf (SPD): Na, na, na!)

und es erst jetzt zu einer Novellierung dieses Gesetzes gekommen ist. Nun wissen wir: Die SPD hat es mit den Grünen nicht immer leicht gehabt. Da hat häufig der Schwanz mit dem Hund gewackelt.

(Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer ist denn jetzt der Schwanz?)

Aber wir müssen jetzt zu einem Ergebnis kommen.

   Wir nehmen in Kauf, dass dieser Entwurf aus rot-grüner Regierungszeit heute eingebracht wird. Wenn ich sage, dass wir das in Kauf nehmen, dann heißt das nicht, dass wir diesen Entwurf für das Nonplusultra halten. Nein, wir sind der Auffassung, dass dieser Entwurf an vielen Stellen unausgewogen ist, bei dem es also Verhandlungs- und Diskussionsbedarf gibt, nach unserer Meinung auch Veränderungsbedarf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir haben in den letzten Jahren immer wieder die Vorstellungen insbesondere der Grünen in einigen Punkten kritisiert. Daran hat sich auch nichts geändert, seit wir in die Regierung gekommen sind. Im Gegenteil: Wir haben dadurch vermehrt die Möglichkeit, unser Gedankengut mit einzubringen.

   Das Gesetz muss also zeitgemäße Lärmschutzstandards vorsehen. Es muss Rechts- und Planungssicherheit für die Flughäfen garantieren; es muss aber auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Luftverkehrswirtschaft sichern.

(Beifall der Abg. Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU))

   Wir haben stolz zur Kenntnis genommen, dass wir wieder Exportweltmeister sind. Man muss in diesem Zusammenhang berücksichtigen, dass rund 40 Prozent der deutschen Ausfuhren per Luftfracht abgewickelt werden. Der Status als führende Exportnation setzt insofern ein funktionierendes Luftverkehrswesen voraus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Darüber hinaus hängen allein 750 000 Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Luftverkehr ab. Der Luftverkehr ist also eine Jobmaschine. Auch das müssen wir bei der Neufassung des Gesetzes berücksichtigen.

   In dem Gesetzentwurf werden Entschädigungsrecht und Fachplanungsrecht vermischt. Darüber müssen wir reden. Einigen der heutigen Beiträge war zu entnehmen, dass auch von anderer Seite Diskussionsbedarf besteht.

   Des Weiteren müssen die bestehenden Ausnahmeregelungen bei Bauverboten eingeschränkt werden. Es ist doch unsinnig, den Menschen zu ermöglichen, immer näher an die Flughäfen heranzubauen, und dann von den Flughafenbetreibern zu fordern, Lärmschutzmaßnahmen zu finanzieren. Ein solches Vorhaben kann nicht ernsthaft verfolgt werden. In diesem Punkt muss nachgearbeitet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Mein Kollege Petzold hat auf einige weitere Punkte hingewiesen, die ich nicht wiederholen will. Wir stehen am Anfang der parlamentarischen Beratungen. Die Diskussion wird zeigen, ob eine Anhörung erforderlich ist.

   Die Union geht mit der Absicht in die Verhandlungen hinein, einen fraktionsübergreifenden Kompromiss zu erzielen. Wir wollen im Luftverkehr nicht nur mit dem Koalitionspartner allein, sondern - wie es unserer Tradition entspricht - mit allen gemeinsam etwas auf den Weg bringen. Wir hoffen auf gute Gespräche und ein gutes Ergebnis für die lärmgeplagten Menschen und für die Wirtschaft, die sich im weltweiten Wettbewerb behaupten muss. Sie muss sich auch in unserem Interesse behaupten.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Carstensen, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Christian Carstensen (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Luftverkehr ist einer der herausragenden Wachstumsmärkte in unserem Land. Das ist bereits festgestellt worden. Allein im vergangenen Jahr wurden über 165 Millionen Passagiere befördert. Das entspricht einem Plus von über 6 Prozent gegenüber 2004.

   Etwa 270 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind direkt in der Luftverkehrswirtschaft tätig. Dazu kommen durch indirekte Effekte noch eine weitere halbe Million zusätzliche Arbeitsplätze.

   Das ist gut für die beschäftigten Menschen und die betroffenen Regionen und es ist gut für unser Land insgesamt,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

zumal ein Ende des Wachstums und damit auch des Aufbaus zusätzlicher Beschäftigung in diesem Bereich in naher Zukunft nicht zu erwarten ist. Im Gegenteil: Für die nächsten 15 Jahre wird sogar von einer weiteren Verdoppelung der Luftverkehrsleistungen und einer entsprechend positiven Beschäftigungsentwicklung ausgegangen.

   Verkehrspolitisch werden wir auch im Rahmen dieser Gesetzgebung darauf achten, den Wachstumsbereich Luftverkehr zu unterstützen. Allerdings hat auch dieser Trend eine Kehrseite. Mehr Flugverkehr schafft nicht nur mehr Arbeitsplätze und zusätzliche Mobilität, sondern bringt leider immer zusätzliche Lärmbelastungen für die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner mit sich. Das ist schon mehrfach angesprochen worden und ich kenne das auch aus meinem eigenen Wahlkreis Hamburg-Nord/Alstertal sehr genau.

(Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Die fliegen jetzt von Kopenhagen!)

   Wenn sich inzwischen mehr als jeder dritte Bürger in Deutschland von Fluglärm gestört fühlt, dann macht dies den bestehenden Handlungsbedarf überdeutlich. Eine Neufassung des Gesetzes ist insofern dringend erforderlich. Sie muss zeitgemäße Lärmschutzstandards eindeutig festlegen und so den Schutz der Bevölkerung vor gesundheitsbeeinträchtigendem Lärm verbessern, Konflikte bei der Siedlungsplanung im Flughafenumfeld vermeiden, Rechts- und Planungssicherheit für die Flughafenbetreiber schaffen und gleichzeitig die Wettbewerbssituation erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Darin sind sich grundsätzlich alle Beteiligten einig, von den Flughafenbetreibern bis hin zu den Vertretern von Umwelt- und Anwohnerverbänden und offensichtlich auch alle Fraktionen hier im Haus. Ich finde, das ist eine gute Grundlage für die weitere parlamentarische Arbeit, die mit der heutigen ersten Lesung eingeleitet wird.

   Dabei sollte es uns um die Sache gehen. Unnötige, fast schon albern-reflexhafte Sticheleien wie von der FDP gegen die rot-grüne Vorgängerregierung sind aus meiner Sicht wenig hilfreich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man kann zwar meinen, dass man in der Opposition so etwas in Anträge schreiben oder hier im Plenum so sagen müsse. Ich bin mir aber ziemlich sicher, das bringt Ihnen in der Bevölkerung keine Sympathien und verstellt eher den Blick auf das Wesentliche, die Diskussion über die unterschiedlichen Argumente. Natürlich gibt es noch Diskussionsbedarf im Detail.

   Zum Schluss möchte ich noch dem Kabinett und insbesondere unserem Bundesumweltminister für die heutige Vorlage des Gesetzentwurfes herzlich danken. Es war richtig, hinsichtlich der Gesetzesvorlage keine weitere Zeit verstreichen zu lassen, nur um etwa angesichts einer neuen Regierungszusammensetzung in langwierigen regierungsinternen Abstimmungen einen geänderten Gesetzesvorschlag zu entwickeln, der dann wieder von allen Seiten kritisch hinterfragt und beleuchtet worden wäre. Der vorliegende Gesetzestext ist nun lange genug auf Arbeitsebene beraten und abgestimmt worden. Er bietet uns eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen.

   Das Ziel guter Politik muss es in diesem Fall sein, den beschriebenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner, die einer ständigen Lärmbelastung ausgesetzt sind, und den ebenfalls berechtigten Interessen der Wachstumsbranche Luftverkehr zu erreichen. Im weiteren parlamentarischen Verfahren werden wir Sozialdemokraten versuchen, diesen Ausgleich - hoffentlich in Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner und den Oppositionsfraktionen - herzustellen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege Carstensen, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen dazu sehr herzlich und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute.

(Beifall)

   Nun hat als letzter Redner in dieser Debatte das Wort der Kollege Josef Göppel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Josef Göppel (CDU/CSU):

Meine Damen und Herren! Ich möchte zuerst meinem Landesgruppenvorsitzenden zum Geburtstag gratulieren. Alles Gute!

(Beifall)

   Mir ist aufgefallen, dass unser Umweltminister in der großen Koalition voll angekommen ist, und zwar wegen seines empfindsamen Eingehens auf die Hinweise zum Änderungsbedarf, den einige bei dem vorliegenden Gesetzentwurf noch sehen.

   Ich bin der Meinung, dass der Gesetzentwurf, der vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, ein großer Schritt nach vorn ist. Das Gesetz sorgt für eine Synthese aus florierender Luftverkehrswirtschaft und mehr Schutz für die Menschen in einem dicht besiedelten Land. Das brauchen wir dringend.

   Mich hat übrigens die Rede meines Kollegen Königshofen sehr beeindruckt. Ich denke, wir Umweltpolitiker können von den Verkehrspolitikern noch viel an Selbstbewusstsein lernen. Das brauchen wir hier auch; denn viele Menschen sind von den Auswirkungen, die Flugplätze mit sich bringen, betroffen.

   Wir können einige positive Entwicklungen durch den Gesetzentwurf vermelden. Erstmals gibt es Nachtschutzzonen und einen Anspruch auf Entschädigung auch im Außenbereich. Zudem werden die zulässigen Grenzwerte gesenkt. Im Detail sehe ich - genauso wie Sie, Herr Kollege Kauch - Diskussionsbedarf bei der Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Flugplätzen. Hierüber sollten wir im Ausschuss noch einmal beraten; denn der Lärm für die Menschen lässt sich nicht teilen.

   Der zweite große Bereich betrifft die Rechtssicherheit für die Luftverkehrswirtschaft und die Betreiber. Sie wird durch die Festlegung von Grenzwerten auf formalgesetzlicher Grundlage gefördert. Das ist ein wichtiger Schritt angesichts der bisherigen großen Unterschiede in der Rechtsprechung. In Bezug auf die Flugplatzbetreiber möchte ich jetzt schon die Anregung geben, dass wir prüfen müssen, ob wir bei kleinen Flugplätzen schon 25 000 Flugbewegungen als Maßstab nehmen. Auch da sehen wir Änderungsbedarf.

   Der dritte Bereich ist mir als Kommunalpolitiker, der 32 Jahre selber in einem Stadtrat saß, besonders wichtig.

(Ute Kumpf (SPD): Da müssen Sie aber sehr klein gewesen sein!)

- Was, das glauben Sie nicht? - Es geht um die Balance zwischen kommunaler Planungshoheit und der notwendigen Siedlungslenkung. Diese Balance muss im Einzelfall gefunden werden. Die abgestuften Baubeschränkungen und die Ausnahmen davon gehören zu den Punkten, die wir in diesem Gesetz im Detail ernsthaft überprüfen müssen.

   Das, was wir auf jeden Fall ändern wollen, Herr Minister Gabriel, und ändern müssen, sind die 20 verschiedenen Kriterien für die Definition der Lärmschutzzonen. Es kann weder ein Bürger noch ein Kommunalpolitiker genau feststellen und selber nachvollziehen, was gemeint ist. Die Klarheit fehlt an dieser Stelle.

   Insgesamt ist das Gesetz ein Schritt nach vorn. Ich denke, dass wir die Abwägungen, die zwischen dem Schutz der Bevölkerung, der Luftverkehrswirtschaft und der Kommunalpolitik zu treffen sind, in den Ausschussberatungen richtig justieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

   Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/508, 16/263 und 16/551 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/508 und 16/263 sollen zusätzlich an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Berufsbildungsbericht 2005

- Drucksache 15/5285 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Neue Dynamik für Ausbildung

- Drucksache 16/543 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan für die Bundesregierung das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten den Berufsbildungsbericht 2005, der über die Entwicklungen auf dem Ausbildungsstellenmarkt 2004 Auskunft gibt. Wir werden - das füge ich gleich hinzu - schon in wenigen Wochen den Bericht über die Entwicklungen des Jahres 2005 vorliegen haben, über den bereits erste Meldungen veröffentlicht wurden.

   2004 ist das erste Jahr der Umsetzung des Paktes für Ausbildung gewesen. Es gab Zuwachsraten im Vergleich zum Jahr 2000. Mit Blick auf die Ausbildungsverträge insgesamt betrug die Zuwachsrate 2,8 Prozent. Die Zuwachsrate von Verträgen im Bereich der betrieblichen Ausbildung betrug insgesamt 4,5 Prozent. Zugleich gab es einen Rückgang der öffentlich finanzierten Ausbildungsplätze um rund 10 Prozent. Wenn wir den nächsten Berufsbildungsbericht vorliegen haben, dann werden wir feststellen, dass dies eine erfreuliche erste Etappe gewesen ist, die aber noch nicht verspricht, dass sich daraus eine generell positive Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt ergeben wird. Das wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

   Wir werden in diesen Jahren mit einer zunehmenden Zahl von Schulabsolventen zu tun haben; sprich: mehr Jugendliche suchen eine Lehrstelle. Deshalb ist unbestritten, dass die Zahl der Unternehmen in Deutschland, die ausbilden, größer werden muss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Unbestritten ist, dass wir uns um die Nahtstelle zwischen Schule und Beschäftigung zur Stabilisierung der Ausbildungsreife kümmern müssen. Unbestritten ist auch, dass wir die Modernisierung der Ausbildungsberufe - damit verbunden ist ein besonderes Augenmerk auf Einstiegsqualifikationen, auf eine Modernisierung, die eine Berufsbildungsbiografie nach dem Bausteinprinzip ermöglicht - zügig voranbringen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Entsprechend sind die Aussagen im Koalitionsvertrag. Wer diesen Vertrag liest, spürt: Berufsbildungspolitik, die Modernisierung, die Weiterentwicklung der Strukturen der beruflichen Bildung werden in dieser Legislaturperiode vorangebracht. Um es in einem Satz zu sagen: Wir können mit der bisherigen Bilanz nicht zufrieden sein; es reicht nicht im Hinblick auf die Jugendlichen, die eine qualifizierte Ausbildung brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Ulrike Flach (FDP) und der Abg. Cornelia Hirsch (DIE LINKE))

   Ich mache klare Aussagen: Erstens. Kein Jugendlicher bis zum Alter von 25 Jahren soll länger als drei Monate ohne Ausbildung und Arbeit bleiben.

   Zweitens. Wir setzen den Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs fort. Wir werden uns aber gleichzeitig um die Weiterentwicklung, um die Veränderung und auch um die Modernisierung der Strukturen der beruflichen Bildung kümmern. Kurz gesagt: Die duale Ausbildung wird sich auch in den nächsten Jahren nicht per Naturgesetz stabil weiterentwickeln. Es braucht neue Impulse, neue Dynamik, damit die duale Ausbildung das Herzstück der beruflichen Bildung bleibt. Wir dürfen keine weitere Verstaatlichung der beruflichen Bildung - übrigens mit erheblichen Kosten für die 16 Länder - zulassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Ulrike Flach (FDP))

   Wir müssen den hohen Stellenwert der beruflichen Bildung für die Integration der Jugendlichen mit Migrationshintergrund sehen. Wer sich Zahlen aus Deutschland anschaut, stellt fest: Bei Jugendlichen im Alter von 15 Jahren ist vieles an Integration noch nicht gelungen. Der Anteil derjenigen in der Bevölkerung mit einem Sekundarstufen-II-Abschluss liegt - quer durch alle Altersgruppen - bei 83 Prozent. Im OECD-Durchschnitt liegt dieser Anteil bei 64 Prozent. Das heißt, Deutschland hat im internationalen Vergleich einen außerordentlich hohen Anteil an hoch qualifizierten Abschlüssen. Dies ist der beruflichen Bildung zu verdanken. Sie ist ein äußerst geeignetes Instrument zur Integration. Sie ist ein äußerst geeignetes Instrument, um Jugendlichen, die in ihrer bisherigen Bildungsbiografie noch nicht erfolgreich waren, Erfolge zu ermöglichen, zum Beispiel zu einem qualifizierten Schulabschluss zu kommen. Deshalb sollten wir auch das Instrument der beruflichen Bildung für eine bessere Integration, für eine bessere Qualifizierung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund nutzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Worauf werden sich unsere Maßnahmen konkret beziehen? Im Ausschuss haben wir es in dieser Woche kurz angesprochen: Es geht um eine strukturelle Weiterentwicklung. Es geht um die Stärkung der dualen Ausbildung. Es geht darum, dass wir nicht zulassen dürfen, dass immer mehr Jugendliche im Bereich der beruflichen Bildung 13, 14 oder 15 Schuljahre erleben. „Erleben“ ist eigentlich das falsche Wort; denn sie sind völlig entmutigt. Sie sind nicht mehr motiviert, weil sie den Eindruck haben, in Warteschleifen zu sein, die nicht zu einer wirklichen beruflichen Qualifikation führen.

   Deshalb werden wir seitens der Bundesregierung jetzt in einem nächsten Schritt prüfen: Wo wird das, was das Berufsbildungsgesetz an Möglichkeiten bietet, genutzt und welche Impulse müssen wir setzen, damit es eine bessere Verzahnung zwischen beruflicher Vollzeitschule und dualer Ausbildung gibt? Alle Partner der beruflichen Bildung müssen sich darauf einigen, zügig eine vernünftige berufliche Bildung zu ermöglichen. Es kann nicht sein, dass Jugendliche, die ein zweijähriges kaufmännisches Berufskolleg absolviert haben, dann, wenn sie eine Lehrstelle bekommen, wieder von vorn beginnen müssen. Wir brauchen einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Lebenszeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Keskin?

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Bitte schön.

Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):

Könnten Sie uns vielleicht sagen, wie viele Jugendliche trotz dieses Ausbildungspakts keinen Ausbildungsplatz bekommen haben?

Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Sie meinen die aktuellen Zahlen 2005. Die reiche ich Ihnen gern nach. Sie wissen, dass es bis zum Ende des Jahres Nachvermittlungen gegeben hat. Die Zahlen von Ende Dezember werden gerade ausgewertet. Beim Vergleich zwischen 2004 und 2005 können Sie feststellen, dass die Zahl der nicht vermittelten Jugendlichen zugenommen hat. Ich kann es Ihnen auch in einem Satz sagen: Unabhängig davon, wie exakt die Zahl ist - ich habe sie nicht im Kopf -: Es sind zu viele.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Ich kann Ihnen helfen: 11 000! - Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 11 500!)

- Herr Rossmann ruft mir gerade zu, dass es 11 000 sind. Es sind 11 000 zu viel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 11 500!)

   Erster Punkt der strukturellen Veränderung: bessere strukturelle Verzahnung.

   Zweiter Punkt: weitere Modernisierung der Ausbildungsberufe.

   Drittens. Im Kontext der Modernisierung von Ausbildungsberufen: mehr gestufte Ausbildung. Für gestufte Ausbildungen gelten zwei Kriterien; auch darüber sollten wir im politischen Raum Konsens erreichen. Erstes Kriterium: Die gestufte Ausbildung muss auch Teil einer weiter gehenden Ausbildung werden können. Sie darf nicht Sackgasse sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zweites Kriterium: Bevor wir eine gestufte Ausbildung zulassen, müssen wir im Interesse der Jugendlichen sicherstellen, dass es danach eine Berufstätigkeit geben kann. Wenn diese beiden Kriterien erfüllt sind, dann - davon bin ich überzeugt - werden wir deutlich mehr gestufte Ausbildungen zulassen können, auch als eine Weise der Einstiegsqualifikation. Wenn diese beiden Kriterien nicht erfüllt sind - auch das sage ich ganz klar -, ist gestufte Ausbildung Schwindel, weil sie nicht zu einer Berufstätigkeit der Jugendlichen führt.

   Ein weiterer Punkt: europäische Öffnung, nationaler Qualitätsrahmen, Leistungspunkte in der beruflichen Bildung. Dieser Prozess, der bereits läuft, wird uns Gelegenheit geben, auch im internationalen Vergleich die Stärken der beruflichen Bildung festzustellen und von da ausgehend die Modernisierung der beruflichen Bildung voranzubringen.

   Zwei Drittel aller Jugendlichen durchlaufen einen Weg in der beruflichen Bildung. Deshalb entscheidet sich hier viel über die Zukunftschancen der jungen Generation. Auch deshalb ist dieses Thema ein Schwerpunkt der Bildungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat man der Rede aber nicht angemerkt! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Diese Rede war super!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Patrick Meinhardt, FDP-Fraktion.

Patrick Meinhardt (FDP):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Schavan, dieser Berufsbildungsbericht ist das beste Dokument für das, was in Deutschland falsch läuft: Bürokratie pur, Vorschriften ohne Ende, Regelungswut bis ins letzte Detail. Damit müssen wir in der Bundesrepublik Deutschland endlich Schluss machen.

(Beifall bei der FDP)

   Ich darf einmal ein schillerndes Beispiel aus dem Berufsbildungsbericht vorlesen:

Die Ermächtigungsnorm zum Erlass von Ausbildungsordnungen in § 4 in Verbindung mit § 5 BBiG fußt im Kern auf der bisherigen Ermächtigungsnorm in § 25 des Berufsbildungsgesetzes von 1969.

Wir haben es alle verstanden.

(Beifall bei der FDP - Jörg Tauss (SPD): Kennen Sie das nicht? Soll ich Ihnen das erläutern?)

   Wir haben in diesem Land in allererster Linie ein mentales Problem: Solange wir in Normen, Vorschriften und Erlassen denken bzw. - noch viel schlimmer - in der Bildungspolitik auch so handeln, werden wir die Zukunftsperspektiven in diesem Land nicht nachhaltig verbessern. Deswegen die klare Schlussfolgerung für uns: Entrümpeln wir endlich die Bildungsbürokratie!

(Beifall bei der FDP)

   Die neue Bundesregierung ergänzt jetzt den rot-grünen Bericht durch einen schwarz-roten Koalitionsantrag. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, wir von der FDP haben volles Verständnis. Wenn Sie nämlich nur diesen Berufsbildungsbericht vertreten müssten, hätten Sie nun wohl arge Argumentationsnöte. Wir sehen Ihnen schon jetzt an, dass Sie sich innerlich verbiegen müssen, weil Sie nicht sagen können, was Sie eigentlich sagen wollen.

   Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland von 1999 bis 2005 1,35 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren. Wir haben im Augenblick 1,4 Millionen junge Erwachsene im Alter von 20 bis 29 Jahren ohne Ausbildung.

(Jörg Tauss (SPD): Man muss nicht so laut reden!)

Fast jeder vierte Auszubildende bricht seine Ausbildung vorzeitig ab und bei der beruflichen Weiterbildung sind wir weit abgeschlagen Schlusslicht. Über eine halbe Million Schüler werden nicht ihren Talenten entsprechend optimal gefördert.

   Meine sehr geehrten Damen und Herren von Rot-Grün, Sie haben in unserem Land sieben wertvolle Jahre verspielt.

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie sieht das denn eigentlich in Baden-Württemberg aus?)

Sie haben der Generation sieben Jahre Zukunft verbaut. Ihre Wirtschafts- und Bildungspolitik war für Deutschland eine Katastrophe.

(Beifall bei der FDP - Nicolette Kressl (SPD): Laut ist nicht gut genug!)

Jetzt ist es Aufgabe dieser schwarz-roten Koalition, keine kleinen Trippelschritte zu machen,

(Jörg Tauss (SPD): Große Trippelschritte!)

sondern wirklich eine große Koalition zu werden.

   Unser Hauptproblem ist, dass wir zu wenige Lehrstellen haben. Zugleich sehen wir, dass die Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, ihre soziale Verantwortung wahrnimmt und selbst dann ausbildet, wenn der Gewinn des Unternehmens es eigentlich nicht zulässt. Allen Unternehmerinnen und Unternehmern, die bereit sind, junge Menschen in ihrem Betrieb auszubilden, hierfür - hoffentlich in Ihrer aller Namen - ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Hat die FDP auch Auszubildende? - Nicolette Kressl (SPD): Was tut Ihre Fraktion?)

- Die Gewerkschaften hinken ja wohl mehr hinterher, was die Ausbildung angeht.

   Die Frage ist: Woran liegt es, dass es zu wenige Lehrstellen gibt? Heinrich von Pierer, der Regierungsberater, analysiert die fünf Ausbildungshemmnisse sehr treffend: mangelnde Vorbildung der Schulabgänger, zu hohe Ausbildungskosten, die tariflichen Übernahmeverpflichtungen, die oft zu lange Ausbildungsdauer, viel zu starre Berufsbilder. Gerade weil Heinrich von Pierer wie der Rufer in der Wüste dieser großen Koalition wirkt, ein klares Signal von der FDP: Recht hat er!

(Beifall bei der FDP - Jörg Tauss (SPD): Fünfmaliger Blödsinn!)

- Sagen Sie das Ihrem eigenen Regierungsberater.

   Jetzt das Programm: Deutschland muss flexibler werden. Wissen Sie was? Deutschland ist schon viel flexibler, als Sie alle denken. Schauen wir nach Bayern: Hier feiert das Azubi-Sharing mit massiver Unterstützung der bayerischen Liberalen Erfolge.

(Lachen bei der SPD - Jörg Tauss (SPD): 2 Prozent!)

Mehrere Kleinbetriebe, die jeder für sich nicht die nötigen Kapazitäten haben, teilen sich einen Auszubildenden.

   Schauen wir nach Nordrhein-Westfalen: Kaum ist dort Schwarz-Gelb im Amt, schon gibt es ein Werkstattjahr, das eben nicht die duale Ausbildung aushebelt, sondern sie ergänzt und in der Verbindung von Schule, Praktikum und Beruf Zusatz- und Einstiegsqualifikationen ermöglicht.

   Schauen wir nach Baden-Württemberg: Regionale Pakte für Ausbildung sind dort erfolgreich. Der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs, den wir unterstützen, läuft nur so gut, wie er in der Region aktiv umgesetzt wird. Deswegen haben wir in Baden-Württemberg eine erheblich höhere Zunahme der Bewerberzahlen für eine Lehrstelle.

(Nicolette Kressl (SPD): Der Bewerberzahlen!)

Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg zeigen es halt: Schwarz-Gelb kann es besser.

(Beifall bei der FDP - Jörg Tauss (SPD): Die Bewerberzahlen können wir auch steigern! Das kriegen wir hin!)

Schauen wir in die neuen Bundesländer: Sie machen uns vor, wie wir durch ein kleines Stück mehr an Flexibilität ein Mehr an Ausbildungsplätzen hinbekommen. Der Tarifvertrag zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und der Christlichen Gewerkschaft Metall zeigt, wie es anders geht. Im Kern beinhaltet der Tarifvertrag eine niedrigere Grundvergütung. Diese lässt sich durch Zulagen erhöhen, die für gute Leistung in der Berufsschule gezahlt werden. Einen Bonus gibt es noch obendrauf für einen erfolgreichen Abschluss der Ausbildung. Diese Belohnung guter schulischer Leistungen hat sich bisher äußerst positiv auf die Lernergebnisse der Auszubildenden ausgewirkt. Denn der Anreiz, die Höhe des Gehaltes selbst beeinflussen zu können, motiviert und belohnt den Fleiß der Auszubildenden. Das ist ein vorbildlicher Weg.

(Beifall bei der FDP)

   Die Idee fußt auf dem Vorschlag, dass sich drei Auszubildende zwei Lehrstellen teilen sollen. Diese Idee wurde jetzt von dem DIHK und seinem Präsidenten Braun in die Diskussion wieder eingeführt,

(Jörg Tauss (SPD): Deswegen wird sie nicht intelligenter!)

sie wurde aber schon viel früher geboren, Herr Tauss, nämlich im Herbst 1995. Auch damals gab es eine große Koalition, allerdings eine Koalition zweier Ministerpräsidenten: Der eine war Kurt Biedenkopf und der andere war Gerhard Schröder. Beide haben damals zumindest erkannt, dass wir mehr Flexibilität im Ausbildungsmarkt brauchen, auch wenn es der eine von beiden später dann vergessen hat.

(Jörg Tauss (SPD): Mäkeln Sie nicht an Herrn Biedenkopf rum!)

   Deswegen unser liberaler Tipp an die große Koalition: Statt noch ein weiteres Sonderprogramm, ein weiteres JUMP, JUMP plus oder Start-Up sollten wir den Weg der sächsischen Wirtschaft und der Christlichen Gewerkschaft energisch unterstützen und ihn zum politischen Programm machen: „Aus zwei mach drei!“

(Beifall bei der FDP - Jörg Tauss (SPD): Bei der FDP heißt es: Aus drei mach zwei!)

   Wenn wir mehr Freiheit wagen wollen, dann müssen wir in Deutschland flexibler werden. Nur so werden wir zu einer Gesellschaft der wirklichen Chancen werden. „Aus zwei mach drei!“ ist ein schlechtes Motto für die Mehrwertsteuererhöhung, aber das beste Motto für mehr Ausbildung in Deutschland.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD: Oh! - Jörg Tauss (SPD): Patrick, das war mittelpeinlich! Da musst du dich steigern!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nun hat die Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nicolette Kressl (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege Meinhardt, Ihr Beitrag war ein Beispiel dafür, dass laut nicht unbedingt inhaltsvoll bedeutet.

(Beifall bei der SPD - Patrick Meinhardt (FDP): Sie meint Tauss! - Weiterer Zuruf von der FDP)

- Nein, nicht automatisch, Herr Kollege. - Wenn Sie Ihre Energie ein bisschen mehr darauf verwendet hätten, einmal ernsthaft

(Jörg Tauss (SPD): Ja, ernsthaft!)

in den Berufsbildungsbericht hineinzuschauen, dann hätten Sie gemerkt, dass gerade im Bereich der Ausbildungsvergütung schon heute eine extrem differenzierte Struktur beispielsweise zwischen Branchen und zwischen Ost und West vorhanden ist. Das liegt unter anderem daran, dass im Berufsbildungsgesetz Möglichkeiten zur Flexibilisierung auch im Bereich der Vergütung bereits verankert sind.

(Ulrike Flach (FDP): Aber nicht ausreichend, Frau Kressl!)

Sie sollten sich also diese populistischen Überschriften sparen und sich ernsthaft mit der Thematik befassen.

(Beifall bei der SPD)

   Gemäß der Tagesordnung reden wir heute über den Berufsbildungsbericht und über einen Antrag zum Ausbildungspakt. Damit verbunden reden wir aber auch über Zukunftschancen junger Menschen. Von diesen Chancen hängt es ab, wie stark sie sich mit dieser Gesellschaft und mit diesem politischen System identifizieren. Denn es wird sie für ihr ganzes Leben prägen, ob wir ihnen Zukunftschancen geben oder verweigern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir reden auch über die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft; denn es ist völlig klar, dass es sich niemand leisten kann, die Potenziale, die in den Köpfen junger Menschen stecken, zu verschwenden. In diesem Punkt stehen wir, aber auch die Unternehmen ganz stark in der Pflicht. Wir werden die Unternehmen an ihre Verantwortung im Ausbildungsbereich erinnern, wenn sie später über Fachkräftemangel jammern sollten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir reden natürlich auch über die Zukunftsfähigkeit - Frau Ministerin Schavan hat es angesprochen - des dualen Systems an sich. Ob wir es schaffen, uns hinsichtlich Quantität und Qualität nach vorne zu bewegen, wird die Zukunft des dualen Systems entscheidend beeinflussen. Entscheidend ist, dass wir es schaffen, für eine Bewegung nach vorne zu sorgen, und dass sich nicht immer weniger Unternehmen an diesem System beteiligen und damit zu seiner Aushöhlung beitragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich habe gerade schon gesagt, dass wir uns sowohl die Qualität als auch die Quantität in diesem Bereich anschauen müssen. Lassen Sie mich zuerst etwas zur Frage der Quantität sagen.

Die unbefriedigende Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt vor ein paar Jahren hat unter der rot-grünen Regierung zu einer intensiven Debatte über die Zukunft von jungen Leuten geführt. Sie alle wissen, dass wir uns dann entschlossen haben, den Weg zu einer gesetzlichen Umlagefinanzierung frei zu machen.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Das war zugegebenermaßen eine umstrittene Diskussion. Aber diese Diskussion hat dann zu dem geführt, was heute „Ausbildungspakt“ genannt wird. Es darf nicht vergessen werden, wie er zustande gekommen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Im ersten Jahr des Ausbildungspaktes hatten wir ein zwar noch nicht ausreichendes, aber erfreuliches Ergebnis. Wir konnten nämlich feststellen, dass sich bei den betrieblichen Ausbildungsplätzen ein Zuwachs um 4,8 Prozent einstellte. Die Zahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze ist zwar zurückgegangen. Aber insgesamt gab es bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen einen Zuwachs um 2,8 Prozent. Das war die Umkehr des Trends des Abbaus von Ausbildungsplätzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir sehen jetzt, dass sich dieser positive Trend abschwächt. Ich kann an all diejenigen, die am Ausbildungspakt beteiligt waren und sind, nur appellieren: Alle sollten bitte dafür sorgen, dass nicht diejenigen Recht bekommen, die befürchtet haben - oder dies interpretieren könnten -, dass nur ein ständiger massiver Druck mit Zwangsmaßnahmen dazu führt, dass etwas passiert. Bitte strafen Sie dies Lügen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sorgen Sie dafür, dass die Freiwilligkeit nicht nur ein Jahr, sondern auch mehrere Jahre danach akzeptiert wird! Es wird eine entscheidende Frage sein, wie wir in Zukunft bei Vereinbarungen, was diesen Bereich angeht, miteinander umgehen können.

(Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Freiwilligkeit ist gut!)

   Vonseiten der Koalitionsfraktionen begrüßen wir ausdrücklich die Entscheidung, die Dauer des Paktes zu verlängern. Aber wir begrüßen auch die Entscheidung, den Pakt weiterzuentwickeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Man muss wissen: Dieser Pakt ist in sehr kurzer Zeit entwickelt und entworfen worden. Da macht es natürlich Sinn, sich Einzelregelungen noch einmal anzuschauen. Ich möchte - wir reden heute ja auch über einen Antrag zu diesem Thema -, dass die Gedanken des Parlaments hierzu nicht nur in Form von Anträgen auf dem Tisch liegen. Wir wollen vielmehr ausdrücklich an die am Pakt beteiligten Verhandlungspartner appellieren, diesen Antrag ernst zu nehmen und ihn in die Debatten über den Ausbildungspakt aufzunehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben im Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass in das Thema des Ausbildungspaktes Fragen der Ausbildungsfähigkeit und Möglichkeiten der tariflichen Vereinbarung einbezogen werden. Das halte ich für eine ganz wichtige Aussage.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für uns Sozialdemokraten - ich gehe fast davon aus, dass auch Sie diese Position teilen; aber ich kann nicht für die andere Fraktion sprechen -

(Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Für uns selbstverständlich auch!)

ist es völlig unverständlich - das will ich deutlich sagen -, dass einige Bereiche der Arbeitgeberseite und der Arbeitgeberverbände sich konsequent weigern, auf tariflicher Ebene über die Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze zu verhandeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dies ist für mich nicht verständlich. Im Bereich der IG BCE und der IG BAU gibt es Beispiele dafür, dass Unternehmensführer selbst sagen: Das ist für uns eine gute Lösung. - Wir appellieren deutlich daran, Gespräche über eine tarifliche Vereinbarung zu führen; denn dies wäre eine massive Unterstützung dessen, was im Pakt vereinbart worden ist.

   Eines ist doch klar: Vor Ort und auf Bundesebene haben sich beispielsweise die Industrie- und Handelskammern

(Jörg Tauss (SPD): Die Handwerkskammern auch!)

- auch die Handwerkskammern -

(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Jörg Tauss (SPD))

mit großem Engagement - das will ich anerkennen - in den Pakt eingebracht. Aber dass eine tarifliche Vereinbarung die Akzeptanz des Paktes wesentlich unterstützen und die Verbände nicht allein lassen würde, liegt doch auf der Hand und wäre ein wesentlich besserer Weg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Zurück zum Pakt selbst. Ich habe gesagt, dass wir die Frage der Ausbildungsfähigkeit mit einbeziehen wollen. Mir ist auf der einen Seite wichtig, dass das Thema der Ausbildungsfähigkeit nicht als Alibi benutzt wird, damit Unternehmen sagen können: Wir können nicht einstellen. - Auf der anderen Seite können wir natürlich auch nicht den Kopf in den Sand stecken.

(Beifall der Abg. Ulrike Flach (FDP))

   Ich glaube, es gibt eine realistische Betrachtungsweise in diesem Bereich. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Bund, Länder und Wirtschaft in dieser Frage zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang sei mir eine Anmerkung zu einem anderen Themenbereich erlaubt: Es ist fraglich, ob es wirklich sinnvoll ist, dass Zusammenspiel von Bund, Ländern und Wirtschaft zu erschweren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Ulrike Flach (FDP))

   Ich will im Zusammenhang mit dem Thema der Ausbildungsfähigkeit etwas zu den Einstiegsqualifizierungen sagen. Die Einstiegsqualifizierungen, ein neues Instrument, zeigen offensichtlich Wirkung. Bei der Auswertung des Paktes ist deutlich geworden ist, dass 57 Prozent aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Einstiegsqualifikationen anschließend in eine berufliche Ausbildung vermittelt werden konnten. Das ist eine gute Zahl.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Sie übertrifft Zahlen, die uns von anderen Qualifizierungsmaßnahmen bekannt geworden sind.

   Meiner Meinung nach ist ein betrieblicher Ansatz besser als ein rein schulischer.

(Beifall der Abg. Ilse Aigner (CDU/CSU))

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns in Bezug auf die Weiterentwicklung dieses Instruments die Frage stellen: Wie kann seine Akzeptanz noch verbessert werden? Ich will aber ebenfalls darauf hinweisen, dass die EQJs nicht nur den Anteil der Wirtschaft am Pakt darstellen; vielmehr wird die Finanzierung der EQJs durch den Staat geleistet. Das heißt, hier gibt es ein Zusammenspiel. Wir müssen uns gemeinsam die Frage stellen, auf welche Weise dies am besten weiterentwickelt werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Ich bin davon überzeugt - das ist heute auch von anderen Rednern gesagt worden -, dass wir eine Weiterentwicklung, etwas mehr Dynamik brauchen. Wir müssen uns Detail- und Einzelfragen anschauen. Aber das Ziel, jungen Menschen Zukunftschancen zu eröffnen, lohnt jede Anstrengung in diesem Bereich allemal.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun die Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Cornelia Hirsch (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Schavan, die Fraktion Die Linke stimmt Ihnen in einem Punkt ausdrücklich zu: Ja, wir brauchen neue Dynamik für Ausbildung.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber weder das, was bisher vorgetragen wurde, am allerwenigsten das, was von der Fraktion der FDP geäußert wurde,

(Jörg Tauss (SPD): Aber besser können die es nicht! Sie werden noch merken: Die können es nicht besser!)

noch der Inhalt des vorliegenden Antrags lassen solch eine neue Dynamik für Ausbildung erwarten.

   Zuerst einige Punkte zum Antrag. Erstens - ganz grundsätzlich - liegen dem Antrag offensichtlich wieder die gleichen unrealistischen Zahlen und Einschätzungen zur aktuellen Ausbildungssituation zugrunde, über die wir an dieser Stelle schon einmal diskutiert haben. Ein Beispiel, weil eben schon danach gefragt wurde: Die Ausbildungslücke wird im Antrag mit 11 500 Plätzen beziffert. Unsere Fraktion hatte Ende Januar eine Sachverständigenanhörung und es bestand unter allen eingeladenen Sachverständigen - darunter war auch ein Abteilungsleiter aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung, der die Zahlen wirklich kennen müsste - Konsens darüber, dass die tatsächliche Ausbildungslücke bei rund 100 000 Plätzen liegt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die übrigen knapp 90 000 Jugendlichen verschwinden bei Ihnen in Angeboten der zweiten oder dritten Wahl.

(Nicolette Kressl (SPD): Das stimmt nicht!)

Dazu, Frau Kressl, gehören eben auch die Einstiegsqualifizierungen. Eine solche Einstiegsqualifizierung ist aber kein Ausbildungsplatz; es ist ein billiges Praktikum.

(Beifall bei der LINKEN)

Mehr als ein Drittel der Jugendlichen steht danach wieder auf der Straße. Diese Jugendlichen brauchen einen Ausbildungsplatz. Sie tauchen aber in der Statistik nicht auf. Das ist schlicht falsch.

(Jörg Tauss (SPD): Aber zwei Drittel haben einen! Das ist auch nicht schlecht, oder?)

Deshalb fordern wir Sie auf: Legen Sie endlich eine realistische Ausbildungsbilanz vor!

(Beifall bei der LINKEN)

   Der zweite Punkt. Wir können nach wie vor - auch wenn es mittlerweile schon um eine Weiterentwicklung geht - Ihre Begeisterung über den Ausbildungspakt nicht teilen. Die Wirkungslosigkeit müsste auch für Sie offensichtlich sein. In Ihrem eigenen Antrag steht - ich zitiere -:

Die Bundesregierung hat den Ausbildungspakt mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft geschlossen, um das Ausbildungsverhalten der Betriebe positiv zu beeinflussen.

Das klingt gut. Dem steht aber die Presseerklärung des Bundesinstituts für Berufsbildung zur Ausbildungsbilanz 2005 gegenüber. Dort steht - wieder Zitat -:

Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze sinkt auf den tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung.
(Beifall bei der LINKEN)

Wo sehen Sie hier eine positive Auswirkung auf das Ausbildungsverhalten der Betriebe? Für uns ist klar: Der Ausbildungspakt ist kein Erfolg. Die Gewerkschaften haben unsere volle Unterstützung, bei einer solchen Lügengeschichte nicht einzusteigen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Dritter Punkt: Durchlässigkeit der Bildungswege. Dieses an sich vollkommen richtige und längst überfällige Vorhaben wird zwar nicht durch diesen Antrag, aber durch die geplante und mehrfach diskutierte Föderalismusreform konterkariert. Wenn die Möglichkeiten einer gesamtstaatlichen Bildungsplanung weiter eingeschränkt werden, dann ist die geforderte und auch angekündigte Durchlässigkeit zur Hochschule nur eine Worthülse. Was nützt es, wenn einem der Zugang zukünftig nicht mehr aufgrund eines fehlenden formalen Abschlusses, sondern aufgrund eines Kapazitätsmangels verweigert wird? Für denjenigen, der versucht, an die Hochschule zu kommen, ist das Ergebnis das gleiche. Deshalb lautet unser Appell an die Vernunft aller Beteiligten, sich gegen die vorliegenden Vorschläge aus der Koalitionsvereinbarung zur Föderalismusreform im Bildungsbereich zu wenden.

(Beifall bei der LINKEN)

   Vierter Punkt: das Jobstarter-Programm. Sie sprechen im Antrag von „Bündelung und Fortentwicklung“ der bisherigen Programme. Ganz nebenbei - das wird eben nicht gesagt - werden die Bundesmittel deutlich gekürzt. Auch dieses Programm ist damit eine reine Luftnummer. Eine nachhaltige Förderpolitik sieht anders aus.

(Beifall bei der LINKEN)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, um Dynamik in die Ausbildung zu bringen, sind andere Schritte notwendig. Diese vermissen wir in Ihrem Antrag. Ich möchte einige Punkte erwähnen, die aus unserer Sicht an oberster Stelle stehen müssen.

   Erster Punkt: Einführung einer gesetzlichen Umlagefinanzierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kressl, Sie haben wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Sie auf Freiwilligkeit, dass Sie auf Appelle an die Tarifpartner setzen. Bei unserer Sachverständigenanhörung, von der ich bereits sprach, herrschte auch Konsens darüber, dass, wenn auf Branchenebene tarifliche Vereinbarungen getroffen werden sollen, im ersten Schritt eine gesetzliche Grundlage vorhanden sein muss. Wir können nicht verstehen, dass in Ihrem Antrag eine solche Möglichkeit überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Zweiter Punkt: eine bessere und gezielte Förderung. Es ist mittlerweile fast zynisch, dass Sie immer wieder schreiben, an dem Ziel festzuhalten, dass kein junger Mensch länger als drei Monate arbeitslos sein darf. Sie kennen die Zahlen doch genauso gut wie ich. Eine halbe Million Jugendlicher steht ohne Arbeit auf der Straße. Aus unserer Sicht ist das Jobstarter-Programm keine Lösung. Nicht die Vernetzung von regionalen Partnern ist die entscheidende Aufgabe, vielmehr müssen erst einmal Förderangebote selbst finanziert und erhalten werden.

   Dritter Punkt: Geschlechtergerechtigkeit. Im vorliegenden Berufsbildungsbericht wird mehrmals auf die bestehende geschlechtsspezifische Diskriminierung eingegangen. Im Antrag tauchen diese Fragen überhaupt nicht mehr auf. Frau Ministerin Schavan, auch von Ihnen habe ich dazu nichts gehört. Dynamik für Ausbildung muss aber auch mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Ausbildung bedeuten.

(Beifall bei der LINKEN)

   Vierter und letzter Punkt: Europäisierung der Berufsbildung. Auch dazu steht nur sehr wenig im Antrag. Frau Ministerin, Sie sind darauf eingegangen. Das finden wir richtig; denn es ist sinnvoll, diese Debatte nicht an uns vorbeilaufen zu lassen. Dieser Prozess ist gestaltbar und sollte daher diskutiert und gestaltet werden. Ein großes Problem ist - ich beziehe mich dabei auf unsere Erfahrungen im Hochschulbereich -, dass in diesem Zusammenhang verstärkt die Modularisierung und die vor allem von der FDP befürwortete Stufenausbildung ins Gespräch gebracht werden. Wenn Stufenausbildung faktisch weniger Ausbildung bedeutet, dann ist das definitiv der falsche Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Dynamik für Ausbildung muss für uns Dynamik im Interesse der Jugendlichen und Dynamik für die immer größer werdende Zahl benachteiligter Jugendlicher sein. In diesem Sinne freuen wir uns auf die Ausschussberatungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.

Sie könnten darauf Einfluss nehmen, dass Elemente des modernisierten Berufsbildungsgesetzes, zum Beispiel die gestufte Ausbildung und die Anerkennung der Abschlüsse vollschulischer Ausbildungsgänge, endlich besser umgesetzt werden.

(Beifall der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Auch könnten Sie den Ausbildungspakt gemeinsam mit den Ländern weiterentwickeln, um die Schulabbrecherquote zu senken.

   Der Präsident des DIHK beabsichtigt, außerhalb des Paktes ein eigenes Programm zur Förderung der Schüler, zur Verbesserung ihrer Ausbildungsreife auf den Weg zu bringen. Diese Initiative hat er vor dem Treffen des Lenkungsausschusses angekündigt. Da frage ich mich doch: Warum haben Sie diese Idee nicht aufgegriffen, Frau Schavan, und gemeinsam mit den Ländern und den anderen Partnern des Ausbildungspaktes entsprechende Vereinbarungen getroffen? Warum versagen Sie hier auf der ganzen Linie?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Na, na! Ein bisschen ruhiger vielleicht!)

Man kann zusätzliche Initiativen ergreifen - Initiativen von Betrieben für Betriebe, die ausbilden - und die Ausbildungsverbünde und die überbetrieblichen Ausbildungsstätten stärken.

(Ute Kumpf (SPD): Aber das machen wir doch! - Weiterer Zuruf von der SPD: Ja, genau! Das tun wir!)

   Meine Damen und Herren, interessant ist, was nicht in Ihrem Antrag steht, wohl aber in Ihrem Koalitionsvertrag. Ich nenne als Stichworte die branchenbezogene Umlagefinanzierung und die zweite Chance, welche von der Ministerin immer so betont wird. Diejenigen, die keinen Schulabschluss haben, sollen eine zweite Chance bekommen und entweder ihren Schulabschluss nachholen oder eine Ausbildung machen können.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Das steht da doch drin! - Jörg Tauss (SPD): Ja, sogar explizit!)

- Das steht aber nicht in dem Teil Ihres Antrags, in dem Sie die Bundesregierung auffordern, aktiv zu werden.

(Uwe Schummer (CDU/CSU): Das steht drin! Sie müssen es nur nachlesen!)

Obwohl die Bundesregierung in diesem Bereich etwas tun könnte, fordern Sie das von Ihrer eigenen Ministerin nicht ein. Das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, Appelle, wie sie in Ihrem Antrag zu finden sind, reichen nicht mehr aus. Nun ist entschlossenes Handeln gefragt. Wir und auch die Jugendlichen erwarten deutliche Verbesserungen, und zwar bereits zu Beginn des kommenden Ausbildungsjahres. Wir werden genau überprüfen, welche Initiativen Sie einleiten und wie viele Ausbildungsplätze zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Dann werden wir über neue Instrumente wie eine branchenspezifische Umlagefinanzierung und die dafür notwendigen rechtlichen Grundlagen nachdenken.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Uwe Schummer (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Frau Kollegin Hinz, jemanden, der sich schlafend stellt, kann man natürlich nicht aufwecken, und demjenigen, der den Inhalt eines Antrags nur selektiv wahrnimmt, kann man kein umfassendes Verständnis davon vermitteln. Daher rate ich Ihnen: Lesen Sie genauer! Dann können wir fundierter diskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Der Berufsbildungsbericht 2005 macht eines klar: Wer mehr Ausbildungsplätze will, der muss viele Hebel in Bewegung setzen. Die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt haben die verschiedensten Ursachen. So gibt es unterschiedliche Akteure, die zusammengeführt werden müssen. Wir müssen also die beteiligten Akteure im Rahmen eines Ausbildungspaktes zusammenführen, die verschiedenen Instrumente abwägen und sie dann auch umsetzen. Aber man darf nicht, wie es teilweise von den Rednern der Linkspartei getan wird, auf nur ein Instrument setzen und alle anderen weitgehend ausblenden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Auch aufgrund des Ausbildungspaktes wurden in den letzten beiden Jahren 123 300 neue Ausbildungsplätze geschaffen.

(Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Aber keine zusätzlichen!)

83 000 Betriebe bilden nun erstmals aus. Die Vereinbarung, die im Rahmen des Ausbildungspaktes getroffen wurde, ist also eingehalten worden. Wer damit nicht zufrieden ist, muss sagen, dass wir andere Vereinbarungen brauchen.

(Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Richtig!)

Das wäre dann die Konsequenz.

(Cornelia Hirsch (DIE LINKE): Genau richtig!)

Aber das, was wir durch den Ausbildungspakt leisten wollten, haben wir erreicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP - Zuruf von der LINKEN: Dann lassen wir uns doch mal überraschen!)

   Es ist richtig: Legt man die Zahlen vom Dezember letzten Jahres zugrunde, stieg die Ausbildungsplatzlücke im Jahresvergleich von 9 500 auf 11 500 Stellen. Daran wird deutlich, dass der Ausbildungspakt eine neue Dynamik braucht. Allerdings muss man, wenn man diese Feststellung trifft, berücksichtigen, vor welchem Hintergrund diese Entwicklung stattgefunden hat: In den Jahren 2004 und 2005 wurden aufgrund der wirtschaftlichen Situation in Deutschland 776 420 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze abgebaut.

77 200 Betriebe gingen in Insolvenz. Außerdem gab es im letzten Jahr bei den Schulabgängern ein Plus von 9 000. - Vor diesem Hintergrund zeigt sich die wahre Leistung des Ausbildungspaktes.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach (FDP))

Dies wird aber nicht ausreichen. Der Pakt muss ergänzt werden. Deshalb haben wir in der letzten Wahlperiode einstimmig die Berufsbildungsreform verabschiedet.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Nein! Die FDP hat sich enthalten!)

- Die FDP hat sich der Stimme enthalten. Sie hat nicht mit Nein gestimmt. Das heißt für uns: einstimmig.

   Es ist eine alte Erkenntnis des früheren Mainzer Arbeiterbischofs von Ketteler, dass jeder Zuständereform eine Gesinnungsreform vorauseilen muss.

(Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gesinnungsreform, das ist ja klasse!)

Von daher ist es richtig, dass der Ausbildungspakt durch eine Strukturkommission ergänzt wird. Auf der einen Seite muss das Denken appellativ verändert werden, auf der anderen Seite müssen aber auch die Strukturen in der Berufsbildung verändert werden. Der Ausbildungspakt leistet Ersteres, die Strukturkommission hat Letzteres zu leisten. Gut ist, dass sowohl die Länder als auch die Gewerkschaften beteiligt sind.

   Zur Gesinnungsreform gehört der Appell an die Wirtschaft: Erwartet keine olympiareifen Bewerber! Nehmt die Menschen, die auf dem Ausbildungsmarkt sind! Schaut auf ihr Entwicklungspotenzial und darauf, wie ihr sie in den Betrieben entsprechend fördern könnt! - Die Wirtschaft sollte in dem Maße, wie sie in Maschinen investiert, auch in Menschen investieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn bei einer IHK-Befragung 71 Prozent der Unternehmer antworten, sie hätten Ausbildungsplätze nicht besetzt, weil keine geeigneten Bewerber vorhanden seien, dann ist dies keine gute Antwort. Aber auch an die Jugendlichen muss appelliert werden: Wartet nicht, bis sich der Wunschberuf oder der Wunschbetrieb findet! Kümmert euch rechtzeitig und flexibel um einen Ausbildungsplatz! Ein mäßiger betrieblicher Ausbildungsplatz ist besser als jede Ersatzmaßnahme.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Bei den türkischstämmigen Deutschen bleibt jeder zweite ohne eine berufliche Ausbildung. Von denen, die in Ausbildung sind, verteilen sich 44 Prozent auf zehn Berufe - es gibt aber 360 Berufsbilder. Laut Berufsbildungsbericht brechen 25 Prozent der Jugendlichen ihre Ausbildung ab.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Keskin von der Fraktion Die Linke?

Uwe Schummer (CDU/CSU):

Wenn es eine gute ist, ja.

(Jörg Tauss (SPD): Die letzte war schon nicht gut! Dann wollen wir mal hören!)

Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE):

Herr Kollege, wie wir gerade gehört haben, sind es Zehntausende Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Eigentlich wollte man mit dem Ausbildungspakt allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz verschaffen. Das ist nicht geschehen. Nun frage ich Sie: Ist es gerecht, dass manche Betriebe Jugendliche ausbilden, wovon alle Betriebe profitieren, und manche dies nicht tun? Wäre es nicht erforderlich, mit einem Gesetz alle Betriebe zu verpflichten, ihren Beitrag zur Ausbildung zu leisten?

Uwe Schummer (CDU/CSU):

Es gibt beispielsweise im Bauhauptbereich bereits seit mehr als 30 Jahren eine tarifliche Umlagefinanzierung der Ausbildungskosten. Wir müssen aber feststellen, dass die Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Bereich von etwa 100 000 in 1998 auf jetzt 39 000 massiv eingebrochen ist. Eine zentralistische Abgabe wäre also ebenso wie eine tariflich vereinbarte Abgabe keine Lösung. Wir müssen ein Bündel an Maßnahmen entwickeln. Die Antwort, die Frau Schavan bzw. die große Koalition gibt, ist: Wir brauchen eine neue Dynamik des Ausbildungspaktes, und zwar durch verschiedene Instrumente, die Strukturkommission genauso wie den Ausbildungspakt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Zwei Drittel der Jugendlichen, die ihre Ausbildung nach einem oder eineinhalb Jahren abgebrochen haben, sagen, dass es der falsche Beruf oder der falsche Betrieb war. Dies zeigt, dass wir bereits in der Schule die Berufsorientierung und die Berufsberatung verbessern müssen.

   42 Prozent der Betriebe sind nicht ausbildungsberechtigt: weil sie nicht die Breite eines Berufsbildes vermitteln, weil sie zu klein oder zu spezialisiert sind. Von den ausbildungsberechtigten Unternehmen bilden 40 Prozent aus. Diese Zahl zu erhöhen, ist die gemeinsame Aufgabe der Strukturkommission.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hierfür gibt es zwei Ansätze: qualifizierte Ausbildungsverbünde und Stufenausbildungen. Beide Instrumente wurden durch die Berufsbildungsreform aufgewertet. Mit dem Jobstarter- Programm wird die Förderung von Verbundsystemen weiter forciert. Durch Ausbildungsverbünde hat sich die Zahl der ausbildungsfähigen Betriebe um 3 Prozent erhöht.

   1,2 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre sind - das müssen wir zur Kenntnis nehmen - ohne berufliche Qualifizierung. Immer mehr Berufsbilder werden immer stärker theoretisch ausgerichtet. Ich möchte aus einem Schreiben des Verbandes für Gartenbau in NRW vorlesen, wie der Beruf Gärtner dargestellt wird - ich zitiere -:

Gärtner ist einer der schwierigsten Ausbildungsberufe.

Bewerber müssen über

qualifizierte Kenntnisse in den Bereichen Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und auch Latein verfügen.

Sie sollten also - das füge ich an - möglichst jede Pflanze mit ihrem lateinischen Namen kennen. Wenn wir Berufsbilder aus guten Gründen immer weiter aufwerten und theoretisch ausrichten, dann müssen wir aber auch überlegen, wie wir die praktisch Begabten durch Zwischenzertifizierungen ins Boot hineinholen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

wie wir für sie Bildungsstufen organisieren, die dauerhaft zu einer Bildungstreppe werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich glaube, dass die vorliegenden Anträge, mit einer Ausnahme, dazu geeignet sind, dass wir im Deutschen Bundestag in der Tradition der Berufsbildung auch überparteilich einen gemeinsamen Weg finden können. Bitte betrachten Sie unseren Antrag als ein Gesprächsangebot. Wir brauchen keine Rituale, sondern neues Denken, Gesinnungs- und Zuständereform.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nun hat das Wort der Kollege Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist, wenn man sich an die zurückliegenden Debatten zur beruflichen Bildung und zur Ausbildungsplatzversorgung erinnert, in denen es immer eine Phalanx des Protestes gab, schon ein Erlebnis der besonderen Art, miterleben zu können, dass diese Phalanx nun aufgebrochen ist.

(Ilse Aigner (CDU/CSU): Weil Sie auf uns eingegangen sind!)

Es gibt jetzt ein Zentrum von Vernunft, und zwar nicht nur bei CDU/CSU und SPD, sondern auch bei den Grünen; die schließe ich ausdrücklich mit ein.

(Beifall bei der SPD)

   Liebe Frau Hinz, Sie haben eben an dem, was Frau Schavan zu dem Antrag gesagt hat, vieles kritisiert. Aber ganz nüchtern: Wenn SPD und Grüne weiter regiert hätten, dann wäre in ihren Positionen vieles von dem enthalten, was nun zwischen SPD und CDU/CSU vereinbart worden ist.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dann wären wir weiter!)

Vieles von dem, was Sie in Ihrem Antrag eingebracht haben, ist deckungsgleich mit dem, was zwischen SPD und CDU/CSU vereinbart worden ist.

   Aber ist das so schlimm? Ist es nicht eher gut, dass wir eine Kontinuität im Grundverständnis haben, eine Kontinuität darin, dass wir wissen, dass die Fixierung auf eine Schlüsselmaßnahme im komplexen Bereich der Berufsbildung nicht ausreicht? Wenn die CDU/CSU früher gesagt hat, alle Probleme seien bei einem höheren Wirtschaftswachstum gelöst, haben wir immer die Position vertreten, dass das nicht so einfach ist. Während andere an eine Ausbildungsplatzumlage gedacht haben, waren wir diejenigen, die gesagt haben, dass das alleine auch nicht ausreicht. Es ist also gut, dass es ein neues Zentrum gibt. Dieses neue Zentrum hat sich dokumentiert, als wir das Berufsbildungsgesetz verabschiedet haben, bei dem es zwischen SPD, CDU/CSU und Grünen eine breite Übereinstimmung gab. Darauf können wir aufbauen.

   Trotzdem darf nichts unter den Tisch fallen. Wir von den Sozialdemokraten müssen klar machen und vielleicht auch nachfragen, welches die vereinbarten Leitplanken bei unserem Berufsbildungsverständnis waren. Denn das Leitbild einer Berufsausbildung bleibt immer noch das Berufsbild.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist nicht durch Modularisierung oder durch das Bausteinprinzip aufzulösen. Damals haben wir verabredet, dass die Stufung von Ausbildung zur Strukturierung, nicht zur Dequalifizierung führen muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Stufung von Ausbildung soll nicht die Hintertür sein, um zu erreichen, dass die dreijährige Ausbildung die Ausnahme und zweijährige Ausbildung die Regel wird, an die man dann vielleicht ein Jahr anschließen kann. Alles das ist von uns damals im Berufsbildungsgesetz, das wir gemeinsam verabschiedet haben, klargestellt worden. Wir gehen davon aus, dass das auch jetzt gilt und dass wir auf dieser Basis zumindest während dieser Legislaturperiode arbeiten können.

   Es ist auch wichtig, was Ministerin Schavan angesprochen hat, dass wir erkennen, dass wir Bildung über den gesamten Lebensweg brauchen. Diese beginnt bei der vorschulischen Bildung, geht über die Bildung in der Schule und in der Berufsvorbereitung bis zur Bildung beim Einstieg in den Beruf und bei der beruflichen Weiterbildung. Wenn wir an der Stelle in Modulen, in Bausteinen denken, dann kann das mit dem Berufsprinzip zusammenpassen, aber nur dann.

(Beifall bei der SPD)

   Das war noch einmal die Klarstellung unseres Verständnisses, das in der letzten Legislaturperiode mit breitester Mehrheit gesetzlich verankert wurde. Wir haben allerdings nicht nur eine Kontinuität beim Verständnis, sondern leider auch eine bei den Problemen und dementsprechend beim komplexen Zugang zu diesen Problemen. Auch dazu muss man ehrlich Stellung nehmen. Der Pakt ist eine gute Sache, aber er reicht nicht aus und muss weiterentwickelt werden.

   Da ich gerade auf die Kontinuität der Probleme zu sprechen gekommen bin, möchte ich ein bestimmtes Problem noch einmal herausarbeiten. Ich will Frau Hirsch und den Vertretern der Linkspartei ausdrücklich Recht geben,

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Was?)

dass die Lücke bei der Versorgung mit Ausbildungsplätzen mehr als die genannten circa 11 500 beträgt. Es handelt sich natürlich bei dieser Zahl nicht um die der fehlenden vollwertigen beruflichen Ausbildungsverhältnisse, sondern bei dieser Zahl sind die Personen mitberücksichtigt worden, die sich in der Berufsvorbereitung, in EQJ-Praktika und in vielen anderen Maßnahmen bis hin zu Maßnahmen zur Unterstützung von Beschäftigung befinden. Die Lücke bei der Zahl von Ausbildungsverhältnissen beträgt 100 000. An dieser Stelle dürfen wir also nichts schönreden, sondern müssen die Dinge beim Namen nennen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

   Ich darf zur Linkspartei allerdings auch sagen: Wir bitten sie herzlich, die breit gefächerten Unterstützungsmaßnahmen, die entwickelt werden - damals von der SPD-Grünen-Regierung, jetzt auch von der neuen Regierung -, nicht zu disqualifizieren. Es geht um 100 Millionen Euro für Jobstarter. Das sind keine Luftblasen, Frau Kollegin.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie das hier im Bundestag nicht überzeugt, dann gehen Sie dahin, wo Sie als Linkspartei, als PDS, Regierungsverantwortung tragen,

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr gut!)

nämlich nach Mecklenburg-Vorpommern und nach Berlin. Dort werden Sie keine diffamierenden Äußerungen in Bezug auf die 100 Millionen Euro für das Jobstarterprogramm hören.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ihre Kräfte in der Regierungsverantwortung werden sich dort genauso konstruktiv und engagiert einbringen wie wir hier.

   Lassen Sie uns mit dieser Scharadenspielerei hier aufhören. Wir wissen doch, wie wir uns an den verschiedensten Stellen wechselseitig positiv auf Dinge beziehen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das führt zu den wirklichen Problemen. Es bleibt ein wirkliches Problem, dass es zu wenige Betriebe gibt, die ausbilden, und dass die Zahl der ausbildungsbereiten Betriebe leider sinkt. Ich will das knapp so beleuchten:

   Erster Hinweis. Wir haben 2 Millionen ausbildungsfähige Betriebe, von denen 50 Prozent nicht ausbilden. 400 000 von denen, die nicht ausbilden, haben unter zehn Beschäftigte, 100 000 von denen haben über zehn Beschäftigte. Das muss man sich einmal vorstellen: 100 000 Betriebe in Deutschland, die über zehn Beschäftigte haben und ausbildungsfähig sind, bilden nicht aus.

   Frau Schavan, ich darf Ihnen sagen, wie unser Blickwinkel ist: Wir von der SPD wünschen uns ausdrücklich, dass Sie beim Pakt für Ausbildung den Fokus auch auf diese Betriebe richten, weil es schon sehr starker Argumente der Betriebe mit zehn und mehr Beschäftigten dafür bedarf, dass sie sich der Ausbildung verweigern. Das geht wirklich nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Man könnte viel bewegen, wenn man an dieser Stelle eine gezielte Initiative durchführen würde. Unter Einschluss des Jobstarterprogramms, der Industrie- und Handelskammern, der Gewerkschaften und der Betriebsräte könnte man hier mehr bewegen, als wenn man sich auf die 400 000 Betriebe konzentriert, die leider nur ganz wenige Beschäftigte haben.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Zweiter Hinweis. Die nicht so gut auf eine Ausbildung Vorbereiteten bleiben ein kontinuierliches Problem. Damit meinen wir nicht ausschließlich Jugendliche mit Migrationshintergrund, aber sie sind mit gemeint. Hier muss eine stärkere Verknüpfung erfolgen, indem man sich um die entsprechenden Betriebe kümmert. Sie haben konstruktiv angekündigt, dass Sie bis 2010 10 000 zusätzliche Betriebe aus dem wachsenden Bereich der von Migrantinnen bzw. Migranten geführten Betriebe gewinnen wollen. Das unterstützen wir voll und ganz und ausdrücklich. Wir finden, dass das eine gute parteiübergreifend gestützte Initiative sein kann.

(Beifall bei der SPD)

   Das ist das eine und das andere gehört natürlich dazu: Diese Jugendlichen müssen natürlich auch eine Einstiegsqualifizierung und Berufsvorbereitung erhalten. Sie müssen an die betriebliche Wirklichkeit herangeführt werden. Wir haben Sie im Ausschuss so verstanden, dass Sie das nicht betriebsfern durchführen, sondern in den Betrieb hineinbringen wollen. Das unterstützen wir ausdrücklich. Das kann ein wegweisender zusätzlicher Punkt sein.

(Beifall bei der SPD)

   Ich will ausdrücklich auch ein sich neu stellendes Problem ansprechen: 2004 und 2005 mussten wir leider feststellen, dass junge Frauen die Verliererinnen bei den zusätzlichen Ausbildungsanstrengungen sind.

(Iris Gleicke (SPD): Leider wahr!)

Es gab ja 30 000 bis 40 000 zusätzliche Plätze. Diese werden zu über 75 Prozent von jungen Männern eingenommen, was sich auch schon darin ausdrückt, dass sich weniger junge Frauen als Männer im dualen Ausbildungssystem befinden, obwohl es von der Bevölkerungsrelation her gerade andersherum ist.

Das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das ist eine Diskriminierung in Bezug auf weitere Berufschancen, die gerade vor dem Hintergrund, dass die duale Berufsausbildung als sehr wichtig angesehen wird, aufgearbeitet werden muss. Wir erleben gerade, dass der ganze tertiäre Betriebs- und Arbeitsbereich eine zunehmende Zahl an Arbeitsplätzen bietet, aber die Zahl der Ausbildungsplätze nicht in gleichem Maße zunimmt. Schon an dieser Stelle zeigt sich, dass die Gleichung, mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze bedeuten zugleich mehr Ausbildungsplätze, so nicht stimmt. Ansonsten müssten wir im tertiären Bereich einen dramatischen Zuwachs an Ausbildungsplätzen haben. Den haben wir aber nicht.

(Beifall bei der SPD)

   Was Ministerin Schavan im Bereich Logistik, Tourismus, Luftfahrt, Nachrichtenübermittlung, Unternehmensdienstleistungen und Sozialberufe angedeutet hat, nämlich sich mehr um die Ausbildungsordnungen und die Entwicklung von Ausbildungsberufen zu kümmern, wird für eine wachsende Zahl von Ausbildungsplätzen wichtig sein. Dies bietet auch speziell jungen Frauen zusätzliche Chancen im tertiären Bereich und kann vielleicht dann das ausgleichen, was an anderer Stelle fehlt.

   Frau Hinz, Sie sprachen an, dass der Bericht nicht viel Neues bietet. So viel Neues konnte auch bei den guten Vorgaben, die wir mit Ministerin Bulmahn geschaffen haben, nicht über Nacht hinzukommen. Das werden Sie uns doch sicherlich zugestehen wollen.

   Um einen Punkt haben wir - dies ist jetzt von der Ministerin ausdrücklich als Perspektive herausgestellt worden - immer gerungen, nämlich das Programm der zweiten Chance. Das Thema zweite Chance sollte auch der Linkspartei wichtig sein. Sich auf die über 1 Million jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsausbildung oder ohne schulischen Abschluss zu konzentrieren, ist jede Anstrengung wert.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Rossmann, bitte kommen Sie zum Schluss.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Dies ist es auch wert, dass wir in der großen Koalition mit Ihnen und anderen zusammen mit unserer Ministerin hier zusätzlich Akzente setzen. Das sehen wir gewährleistet. Deshalb freuen wir uns darauf, dass wir eine gute Berufsbildungspolitik mit all unseren Anstrengungen weiterführen können.

   Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Alexander Dobrindt von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Alexander der Große! - Jörg Tauss (SPD): Alles Wesentliche ist eigentlich gesagt!)

Alexander Dobrindt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir uns in diesem Haus vor zwei Monaten zum letzten Mal über berufliche Bildung unterhalten haben, lag als Vorlage für die Debatte ein rückwärts gewandter Antrag der PDS mit der Forderung nach einer Ausbildungsplatzabgabe vor.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Wir alle können froh sein, dass wir heute eine positive Debatte führen und uns ein zukunftsorientierter Antrag der CDU/CSU und der SPD vorliegt. Das ist eine gute Perspektive für die jungen Menschen, die einen positiven Blick in die Zukunft werfen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der LINKEN)

- Aber darum geht es. Das ist das Entscheidende. Junge Menschen brauchen in Freiheit und Selbstbestimmung Perspektiven. Natürlich besteht ein wesentlicher Teil darin, einen Beruf zu erlernen und eine Aufgabe zu haben. Dafür müssen wir in der Politik die Rahmenbedingungen schaffen. Selbstverständlich werden wir in dieser Debatte auch die Unternehmen, die mitverantwortlich sind und ihre gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen wollen, daran erinnern. Aber all dies geschieht - das ist der Hauptpunkt - auf Basis einer freiwilligen Verpflichtung und nicht, wie es gerne immer wieder gefordert wird, auf Basis einer Zwangsabgabe. Für uns ist eine freiwillige Verpflichtung in Form des Ausbildungspaktes das Richtige.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Dobrindt, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hirsch?

Alexander Dobrindt (CDU/CSU):

Selbstverständlich.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Hirsch, bitte schön.

Cornelia Hirsch (DIE LINKE):

Herr Kollege, können Sie mir noch einmal konkret erläutern, worin aus Ihrer Sicht die Rückwärtsgewandtheit in der Forderung nach einer Ausbildungsplatzumlage besteht?

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Eine schöne Frage! Darüber könnte man stundenlang reden!)

Alexander Dobrindt (CDU/CSU):

Liebe Kollegin, wissen Sie, in unserer Debattenkultur haben wir uns in diesem Haus Gott sei Dank seit langer Zeit Gedanken darüber gemacht, wie wir junge Menschen in Arbeit bringen können, wie wir Ausbildungsplätze schaffen und wie wir damit umgehen können, dass die Situation vor Ort für viele Menschen in ihrem ganz persönlichen Bereich unglaublich schwierig ist. Wir haben uns lange Zeit überlegt, was hier der richtige Weg ist. Gemeinsam mit allen Fraktionen hier im Deutschen Bundestag, mit der deutschen Wirtschaft, mit den Unternehmen und den Verbänden haben wir eine Möglichkeit gefunden, junge Menschen in Arbeit zu bringen. Was wir aber bei dieser freiwilligen Aufgabe, die wir gemeinsam schultern wollen, nicht brauchen, ist, dass jemand die Unternehmen mit staatlichen Vorgaben zwangsverpflichten will, etwas zu tun, was sie freiwillig wesentlich leichter machen können.

(Widerspruch bei der LINKEN)

   Unsere Ansicht von der Welt und von der Situation in diesem Lande ist, dass Freiheit und Selbstbestimmung wichtiger sind als Zwangsvorgaben und all das, was Sie sich so ausdenken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!)

   In der deutschen Wirtschaft haben in einem erheblichen Maße die Kleinbetriebe und der Mittelstand diese Aufgabe wahrgenommen. Sie haben diese Kraftanstrengung freiwillig auf sich genommen und von September bis Januar die Lehrstellenlücke um 25 700 Ausbildungsplätze verringern können. Das ist eine riesige Zahl. Diese enorme Aufgabe wurde vor allem von den kleinen und mittelständischen Betrieben geschultert. Denn 50 Prozent der Ausbildungsplätze entstehen in Unternehmen, die unter 50 Mitarbeiter haben. Ich glaube, dass das eine besonders gute Nachricht ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   In der Nachvermittlungsphase konnte 93 Prozent der Jugendlichen - auch diese Zahl sollte in diesem Zusammenhang genannt werden - ein Ausbildungsangebot gemacht werden. Ich halte das für eine großartige Leistung und glaube, dass wir uns an dieser Stelle bei den Unternehmen, die sich für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe engagieren, nachdrücklich bedanken sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich will einen Punkt hervorheben, der in unseren Debatten nicht sehr häufig diskutiert wird, nämlich die Ausbildungssituation behinderter und schwerbehinderter Frauen und Männer. Auch in dieser Hinsicht wirkt sich der Ausbildungspakt enorm positiv aus. 97,4 Prozent der behinderten Jugendlichen haben dadurch einen Ausbildungsplatz erhalten. In diesem Bereich konnte eine enorme Verbesserung erreicht werden. Dieser Erfolg kann sich sehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Selbstverständlich befürworten wir weitere Anstrengungen. Die Ausbildungssituation kann noch verbessert werden. Dabei müssen aber die Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Dazu gehören erstens ein modernes Berufsbildungsgesetz und zweitens eine Mittelstandsoffensive, die Signale für den Aufschwung setzt.

   Die erste Rahmenbedingung, das Berufsbildungsgesetz, haben wir im vergangenen Jahr gemeinsam geschaffen. Das Gesetz beginnt, seine Wirkung zu entfalten. Wir haben die Verbundausbildung geschaffen. Angesichts der hohen Spezialisierung können immer weniger Betriebe in der Ausbildung ein komplettes Berufsbild abdecken. Durch den Zusammenschluss mehrerer Betriebe können Ausbildungseinrichtungen geschaffen werden, die die Bildungsinhalte arbeitsteilig vermitteln können.

   Wir haben des Weiteren die Stufenausbildung beschlossen. Sie braucht zwar Zeit - das steht außer Frage -, aber sie ermöglicht gerade den theorieschwächeren Jugendlichen eine attraktive Ausbildung und bietet ihnen einen Arbeitsplatz, damit sie sich nicht beim Arbeitsamt wiederfinden, wie es vielleicht bei der vollzeitschulischen Ausbildung der Fall wäre. Die Stufenausbildung bietet ihnen die riesige Chance auf einen richtigen Arbeitsplatz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich glaube, wir haben mit dem Berufsbildungsgesetz etwas sehr Wichtiges geleistet. Wir haben nämlich in den Entschließungsantrag zu dem Gesetzentwurf zum ersten Mal betriebliche Bündnisse für Ausbildung aufgenommen. Wir fordern auch, dass diese Chance genutzt wird, damit in Zukunft flexiblere Regelungen hinsichtlich der Arbeitszeit und der Vergütung möglich sind. Ich glaube, dass das durchaus vor Ort in den Betrieben geregelt werden kann. Auch darin liegt eine Chance für mehr Ausbildung.

   Lieber Kollege Meinhardt, ich habe Ihnen sehr genau zugehört, als Sie von der Initiative „Aus 2 mach 3!“ gesprochen haben. Ich glaube, dass dies nicht von uns geregelt werden muss. Aber die Arbeitnehmer vor Ort wären durchaus in der Lage dazu. Sie können dabei mit unserer Hilfe rechnen.

   Ich bin der Überzeugung, dass Solidarität unter den Auszubildenden in der heutigen Zeit durchaus eingefordert werden kann.

(Jörg Tauss (SPD): Na ja!)

- Gegen Solidarität unter Auszubildenden ist zunächst einmal nichts zu sagen, Herr Kollege Tauss.

(Jörg Tauss (SPD): Erst kommt die Solidarität der Arbeitgeber! Dann reden wir weiter!)

   Wenn drei statt zwei Auszubildende eine Chance in einem Unternehmen bekommen, dann ist das eine gute Nachricht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir die Möglichkeit schaffen, dass diese Chance vor Ort geboten wird, dann gibt es keinen Anlass, das zu kritisieren.

(Jörg Tauss (SPD): Aus zwei mach’ drei Abgeordnete!)

   Als weitere wichtige Weichenstellung sind die erforderlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das müssen wir mittelfristig auf den Weg bringen. Im Koalitionsvertrag ist eine ganze Reihe von entsprechenden Punkten zu diesem Thema enthalten. Vorgesehen sind beispielsweise bessere Finanzierungsmöglichkeiten, Abbau von Bürokratie und Förderung von Forschung und Technologie. Diesen Maßnahmenmix müssen wir gemeinsam auf den Weg bringen. Damit verbessern wir die Chancen für mehr Ausbildungsmöglichkeiten.

   Der Ausbildungspakt greift. Wir wollen gemeinsam dazu beitragen, ihn weiter zu optimieren.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5285 und 16/543 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 17. Sitzung - wird am
Montag, den 13. Februar 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16017
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