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15. Wahlperiode
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   16. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 9. Februar 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie herzlich.

   Der Kollege Karl Diller hat am 27. Januar seinen 65. Geburtstag gefeiert.

(Beifall - Volker Kauder (CDU/CSU): Oh! Zwei Jahre hat er dann ja noch! - Heiterkeit)

Herr Kollege Diller, Herr Staatssekretär, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrem Geburtstag nachträglich sehr herzlich. Alles Gute!

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ergebnisse der wissenschaftlichen Auswertung der Hartz-Gesetze I bis III konsequent umsetzen

- Drucksache 16/547 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Ilse Aigner, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Christian Lange (Backnang), Ludwig Stiegler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Impulse für den Mittelstand

- Drucksache 16/557 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Josef Fell, Matthias Berninger, Anja Hajduk, Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: ERP-Sondervermögen in seiner Vermögenssubstanz erhalten

- Drucksache 16/548 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN: Haltung der Bundesregierung zu den sozialen Auswirkungen der Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im Inneren - die Polizei kann durch die Bundeswehr nicht ersetzt werden

- Drucksache 16/563 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Tierschutzpolitik energisch fortführen und weiterentwickeln

- Drucksache 16/550 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: EU-Kommission muss nationale Tierschutzbemühungen respektieren

- Drucksache 16/549 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Den Schutz der Anwohner vor Fluglärm wirksam verbessern

- Drucksache 16/551 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin Deligöz, Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Leben und Arbeiten mit Kindern möglich machen

- Drucksache 16/552 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gleiche Rechte, gleiche Pflichten - Benachteiligungen von Lebenspartnerschaften abbauen

- Drucksache 16/565 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Bestandssanierung der Verkehrsinfrastruktur ausweiten und effektive Sanierungsstrategie vorlegen

- Drucksache 16/553 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Haushaltsausschuss

ZP 12 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Beitrag der deutschen Politik zur Deeskalation des Konfliktes um den Karikaturenstreit

   Die Tagesordnungspunkte 6 - Berufliche Bildung - und 16 - Welthandelskonferenz - sollen getauscht werden.

   Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 10 b abzusetzen.

   Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatzpunkt 1 auf:

3. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht 2005 der Bundesregierung zur Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt

- Drucksache 16/505 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Ergebnisse der wissenschaftlichen Auswertung der Hartz-Gesetze I bis III konsequent umsetzen

- Drucksache 16/547 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gerd Andres.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt muss für uns alle vor allem Ansporn sein, mehr Menschen die Chance auf Arbeit zu geben. Dazu sind wir entschlossen. Mit den Hartz-Gesetzen der Agenda 2010 sind bereits weit reichende Reformen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik umgesetzt worden. Ihr Ziel ist es, verkrustete und ineffiziente Strukturen aufzubrechen: weg von der Verwaltung von Arbeitslosigkeit hin zur entschlossenen und schnellen Vermittlung in Arbeit. Wir wollen aktivieren statt alimentieren und die Arbeitsmarktreformen zum Erfolg führen. Die Bundesregierung wird prüfen, was funktioniert, und ändern, was nicht funktioniert.

   Dazu dient der Zwischenbericht zur Evaluation der ersten drei Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, den die Bundesregierung nun vorgelegt hat. Er folgt der Aufforderung des Bundestages vom 14. November 2002, die Wirkung der Hartz-Gesetze zu evaluieren. Gegenstand ist zunächst die Evaluation der Hartz-Gesetze I bis III. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende, Hartz IV, ist erst später in Kraft getreten; die Ergebnisse dieser Evaluation folgen frühestens Ende 2006.

   Die ersten beiden Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt enthalten eine Neuausrichtung aller zentralen Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Außerdem tragen sie zur Flexibilisierung der Zeitarbeitsbranche bei und regeln die geringfügige Beschäftigung neu. So wurden in Hartz II die Mini- und Midi-Jobs erweitert und der Existenzgründungszuschuss, die so genannte Ich-AG, eingeführt. Beide Gesetze traten am 1. Januar 2003 in Kraft, einzelne Instrumente erst im Frühjahr 2003.

   Das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt mit Wirkung ab 1. Januar 2004 steuert die Neuorganisation der Bundesagentur für Arbeit hin zu mehr Kundenorientierung und Vermittlung sowie zu einer Erhöhung von Effektivität, Effizienz und Transparenz der Abläufe in der Agentur.

   Der vorgelegte Evaluationsbericht ist Ausdruck eines selbstkritischen und zielorientierten Politikstils. Im Mittelpunkt steht dabei das Interesse der Betroffenen an einer Steigerung ihrer Beschäftigungsfähigkeit und Autonomie. Daran müssen sich alle arbeitsmarktpolitischen Strategien messen lassen. Wir lassen damit erstmals in diesem Umfang begleitend die faktische Wirkung der Arbeitsmarktpolitik untersuchen.

   Was jetzt vorliegt, ist ein Zwischenfazit. Der Bericht hat aufgrund des noch zu kurzen Beobachtungszeitraums den Charakter einer ersten Bestandsaufnahme. Er basiert auf Erkenntnissen, die über Mitte 2005 nicht hinausgehen, weil ein Teil der von den Instituten zu erstellenden Gutachten im Juli des vergangenen Jahres abgeliefert wurde. Seitdem wurde eine Reihe von Weiterentwicklungen und Änderungen insbesondere bei der Umgestaltung der Bundesagentur vorgenommen. Einige Regelungen, die sich als nicht wirksam erwiesen, wurden bereits modifiziert. Wir stehen also mitten in der Umsetzung. Auf der Basis des Endberichtes, der bis Ende 2006 vorzulegen ist, werden wir im nächsten Jahr, wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen, gesetzgeberische Konsequenzen für eine Neuausrichtung und Bündelung der aktiven Arbeitsmarktpolitik ziehen; aber einiges optimieren wir schon jetzt.

   Die vorliegenden Zwischenergebnisse enthalten Kritik, aber auch Zustimmung. Eine ganz wichtige Nachricht ist, wie ich finde: Der Umbau der Arbeitsverwaltung ist auf einem guten Weg. Die Dienstleistungen der Agentur unterliegen jetzt einer konsequenten Steuerung und Kontrolle und erfolgen kostenbewusst. Bereits im letzten Jahr hat die Bundesagentur für Arbeit einen fast ausgeglichenen Haushalt vorgelegt. Diese Entwicklung eröffnet die Möglichkeit, ab 2007 den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu senken und so ein Signal für mehr Beschäftigung zu setzen.

   Einige wichtige arbeitsmarktpolitische Instrumente haben sich als erfolgreich erwiesen. Hierzu gehören die Eingliederungszuschüsse an Arbeitgeber, die Existenzgründungsförderung mit dem Überbrückungsgeld und dem Existenzgründungszuschuss - der so genannten Ich-AG - sowie die Förderung der beruflichen Weiterbildung. Sie unterstützen eine schnellere Eingliederung in Erwerbstätigkeit. Auch die Beauftragung von Trägern mit Eingliederungsmaßnahmen erweist sich als erfolgreich.

   Die Reformen der Mini- und der Midijobs haben die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch ein Mehr an Flexibilität für die Unternehmen und die Beschäftigten verbessert: Beschäftigte können Beruf und Familie besser vereinbaren, Unternehmen können Auftragsspitzen abfedern. Bis Mitte 2005 gab es 1,8 Millionen zusätzliche geringfügig Beschäftigte. Zwar - auch das weist der Bericht aus - wurden damit so gut wie keine Übergänge in voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erreicht. Aber es gibt ganz deutliche Hinweise darauf, dass Schwarzarbeit über dieses Instrument legalisiert wurde.

   Arbeitslose benötigen eine dauerhafte und existenzsichernde Perspektive am Arbeitsmarkt. Deshalb ist es erfreulich, dass bis Mitte 2004 mit dem neuen Instrument bzw. der neuen Regelung der so genannten Midijobs - der Beschäftigung für zwischen 400 und 800 Euro - 125 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gesichert bzw. geschaffen wurden.

   Bei anderen Instrumenten zeigt sich, dass das Eingliederungsziel nicht oder nur ungenügend erreicht wurde. So konnten Integrationswirkungen der Beauftragung Dritter mit der Vermittlung und durch das Instrument der Vermittlungsgutscheine bislang nicht festgestellt werden.

Personal-Service-Agenturen verschlechtern im Schnitt sogar die Chance auf Integration. Weil einzelne PSA durchaus erfolgreich agieren, überlassen wir die Entscheidung über die Weiterführung künftig den regionalen Akteuren.

   Dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt selten unterstützen, war vor der Evaluation bekannt. Der Bericht hat das bestätigt. Deshalb sind ABM bereits in der Vergangenheit auf Agenturbezirke mit sehr schwierigen regionalen Arbeitsmärkten konzentriert worden. Generell sollten sie stark marktbenachteiligten Arbeitslosen vorbehalten bleiben.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, unterschiedliche Reformelemente zielen auf eine verbesserte Eingliederung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Erwerbstätigkeit. Bislang blieben hier Erfolge aus. Die Evaluation hat gezeigt: Diese Instrumente sind noch wenig bekannt. Die Bundesregierung wird die Anstrengungen zur Integration älterer Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt noch einmal deutlich verstärken. Das ist auch das Ziel der geplanten Initiative „50 plus“.

   Wir wollen die Reformen zum Erfolg führen. Dazu müssen die vorhandenen Mittel so effektiv und effizient wie möglich eingesetzt werden. Wo Maßnahmen und Förderinstrumente sich als unwirksam erwiesen haben oder nicht mehr überschaubar sind, werden wir entsprechend handeln.

(Dirk Niebel (FDP): Jetzt!)

- Danke für den Zwischenruf. - Bei einigen Instrumenten ist dies bereits geschehen.

(Dirk Niebel (FDP): Sie sind so klasse!)

So ist, wie bereits gesagt, die Verpflichtung, in jedem Agenturbezirk eine Personal-Service-Agentur einzurichten, abgeschafft worden. ABM wurden deutlich zurückgefahren. Die Zusammenführung von Überbrückungsgeld und Existenzgründungszuschuss - der so genannten Ich-AG -, erfolgreiche Instrumente, die aber einfacher gestaltet werden können, soll schon Mitte 2006 erfolgen.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einmal betonen: Wir sind gut beraten, auf die Ergebnisse des Endberichtes 2006 zu warten. Auf dieser Basis werden wir weitergehende Entscheidungen für eine Neuausrichtung und Bündelung der aktiven Arbeitsmarktpolitik treffen.

   Die systematische Überprüfung der Wirksamkeit arbeitsmarktpolitischer Gesetze, wie sie jetzt stattfindet, ist in Deutschland einzigartig. Sie ist Ausdruck einer transparenten und rationalen Politik. Wir wollen dazulernen. Wir wollen damit aber auch Vorbild für andere Politikfelder sein.

   Wir setzen in diesem Zusammenhang auf eine faire Debatte. Dazu gehört, die differenzierten Untersuchungsergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, sie entsprechend zu kommunizieren und darüber zu diskutieren. Der größte Klopfer, den ich in diesem Zusammenhang wahrgenommen habe, war die Berichterstattung einer großen überregionalen Zeitung, die dem erlauchten Leserkreis mitteilte, die Evaluation dieser drei Gesetze beweise, dass Hartz IV gescheitert sei. Dass die ganze Evaluation mit Hartz IV überhaupt nichts zu tun hat, ist dem beteiligten Journalisten offensichtlich nicht aufgefallen. Es geht also um eine differenzierte Debatte. Es geht darum, zur Kenntnis zu nehmen, was ist und welche Wirkungen das, was wir getan haben, entfaltet.

   Zugleich ist die begrenzte Reichweite der Arbeitsmarktpolitik zu beachten. Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit unterstützt die Ausgleichsprozesse auf dem Arbeitsmarkt. Sie fördert die berufliche Wiedereingliederung der Arbeitslosen. Sie kann aber nur begrenzt die Schaffung von Arbeitsplätzen bewirken. Die Lösung der Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Unternehmen und Gewerkschaften sind mindestens so gefordert wie die Politik. In der Politik betrifft das die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik insgesamt.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ziel gilt: Wir wollen Politik für mehr Arbeit machen, mit Initiativen für mehr Wachstum, mit Investitionen in die Zukunft und mit der Fortführung der Arbeitsmarktreformen. Die Evaluation der Wirklichkeit unserer Arbeitsmarktpolitik ist hierfür eine wichtige Orientierung. Stochern im Nebel oder die Behauptung, dieses oder jenes wirke so oder so, können wir uns im Interesse der Betroffenen nicht leisten. Deshalb hat die Bundesregierung diesen Zwischenbericht vorgelegt. Deshalb sind das Parlament und die entsprechenden Ausschüsse herzlich eingeladen, die Wirksamkeit dessen, was wir in der Arbeitsmarktpolitik tun, offen, fair und nach Kenntnisnahme der Realitäten zu diskutieren.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Dirk Niebel, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dirk Niebel (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann sich manchmal schon die Frage stellen, ob die grundlegende, umfassende Arbeitsmarktreform, durch die die Arbeitslosigkeit in Deutschland signifikant gesenkt werden sollte, überhaupt stattgefunden hat.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Die Frage ist berechtigt!)

Wenn man dem Herrn Staatssekretär zugehört hat, kann man sich mit einem gewissen Maß an Berechtigung durchaus auch die Frage stellen, warum wir im letzten Jahr überhaupt gewählt haben, wo doch alles so gut ist.

   Im letzten Monat wurden tatsächlich wieder über 5 Millionen Arbeitslose registriert. Wir alle wissen doch, dass diejenigen, die eine Ich-AG betreiben, die einen 1-Euro-Job haben oder die sich in einer Arbeitsbeschaffungs-, Trainings- oder Bildungsmaßnahme befinden, in dieser Statistik nicht registriert worden sind. Das heißt, das tatsächliche Ausmaß der Unterbeschäftigung in Deutschland spielt sich bei 6 bis 7 Millionen Menschen ab. Trotzdem tut der Herr Staatssekretär so, als ob alles gut sei.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Leider wahr!)

   Peter Hartz ist im August 2002 mit der Leitung einer Reformkommission beauftragt worden. Die Freien Demokraten sind der festen Überzeugung, dass die Idee, auch die Instrumente des Arbeitsmarktausgleiches neu zu gestalten und zu überprüfen, grundsätzlich vernünftig gewesen ist. Erinnern wir uns doch einmal daran, dass die alte Bundesregierung im August 2002 nach einem wirklich schönen Aufzug am Gendarmenmarkt im Französischen Dom zelebriert hat, dass die Arbeitslosigkeit in zwei Jahren halbiert werden wird. Das muss man bitte auch einmal mit den heutigen Zahlen vergleichen dürfen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Der alte BA-Vorstand hat noch Anfang des Jahres gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass die 5-Millionen-Grenze in diesem Winter überschritten wird, liegt deutlich unter 50 Prozent. - Nachdem Schwarz-Rot Ende letzten Jahres noch die Frühverrentungsregelung für Arbeitslose verlängert hat, hat er wahrscheinlich damit gerechnet, dass das wirkt; denn über 400 000 ältere Arbeitslose tauchen in der Statistik nicht auf. Lassen Sie uns doch endlich einmal damit aufhören, die Statistik zu verkleistern! Lassen Sie uns das tun, was wir im Wahlkampf gefordert haben, nämlich beim Beschreiben des Ausmaßes der Unterbeschäftigung in Deutschland ehrlich sein.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE))

   Der vorliegende Bericht ist eine Dokumentation des Misserfolges rot-grüner Arbeitsmarktpolitik. Die Bundesregierung will aber keine Konsequenzen daraus ziehen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): So ist das!)

Sie sagt: Wir warten mal ab, bis der Abschlussbericht Ende des Jahres vorgelegt wird. - Sie wollen die Gelder der Beitragszahler ein ganzes Jahr lang für Maßnahmen, bei denen schon heute klar erkennbar ist, dass sie nicht zur Integration in den Arbeitsmarkt beitragen, weiter verschleudern. Das ist unverantwortlich. Das ist eine Politik der ruhigen Hand und die ruhige Hand haben Sie doch eigentlich abgelöst.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Schauen wir uns die einzelnen Instrumente an:

   Völlig zu Recht loben Sie die Möglichkeit der Integration von Arbeitslosen als selbstständige Unternehmer. Das Überbrückungsgeld wurde von Ihrem früheren Arbeitsminister Wolfgang Clement immer als ein Bestandteil der Hartz-Reform bezeichnet. Das Überbrückungsgeld gibt es aber schon seit 1986, also seit 20 Jahren. Seitdem funktioniert es gut.

   Sie haben die Ich-AG eingeführt. Bei diesem Instrument konnte man sich hinstellen und sagen: Ich mache mich selbstständig. - Dies war auch ohne Geschäftsidee, Kostenplan und Kalkulation möglich. Dieses Instrument ist erst auf dem Weg zum Erfolg, seitdem hier die Kriterien eingeführt worden sind, die beim Überbrückungsgeld schon seit 20 Jahren gelten, seitdem man also eine Vorstellung davon haben muss, ob ein Unternehmen überhaupt tragfähig ist. Deswegen ist es richtig, diese beiden Förderinstrumente zusammenzuführen. Dabei unterstützen wir Sie ausdrücklich. Das ist jedoch kein Ergebnis der Hartz-Reform.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig!)

   Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen führen, wie Sie richtigerweise feststellen, nicht zu einer Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Nein, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden durch sie sogar stigmatisiert und die Dauer der Arbeitslosigkeit wird verlängert. Warum fördern Sie so etwas mit den Mitteln der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler weiter? Da könnten Sie das Geld auch verbrennen.

(Beifall bei der FDP)

   Bei den Personal-Service-Agenturen ist es genau das Gleiche. Das ist subjektiv ja auch verständlich. Die Menschen stellen ihre Suchprozesse ein, weil sie morgens irgendwohin gehen. Sie tun den Tag über dann ja auch etwas und gehen irgendwann nach Hause. Sie haben also das Gefühl, sie hätten eine Arbeit.

   Was war mit den Personal-Service-Agenturen bei der Vorstellung der Ergebnisse der Hartz-Reform? 500 000 Dauerarbeitsplätze sollten geschaffen werden.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja!)

Ich sage Ihnen auch, warum das nicht funktioniert hat: Steuer- und beitragsfinanziert haben Sie eine ungerechte Konkurrenz zur privaten Zeitarbeitsbranche in diesem Land aufgebaut. Private können das offenkundig besser; denn sonst würde die Zahl der Beschäftigten im Bereich der Zeitarbeit nicht so exorbitant ansteigen, während die Personal-Service-Agenturen von Anfang an floppten.

   Ungefähr 2 Millionen Menschen oder 39 Prozent der Arbeitslosen sind nicht qualifiziert. Deswegen war es richtig, dass die mit der Hartz-Gesetzgebung von der rot-grünen Bundesregierung abgeschafften Minijobs von Ihnen wieder eingeführt worden sind. Aber es war schon damals falsch, dass man sie teurer als den Vorgänger gemacht hat. Es ist doppelt falsch, dass die neue Bundesregierung sie noch einmal teurer machen will. Sie sind eines der wenigen flexiblen Instrumente am Arbeitsmarkt. Auch wenn es oftmals „nur“ Nebenjobs sind, geht das, was in der legalen Wirtschaft verdient wird, unmittelbar in den Konsum und fördert die Binnenkonjunktur in Deutschland. Deswegen ist es ein großer Fehler, hier eine weitere Verteuerung herbeizuführen.

(Beifall bei der FDP)

   Wir als Freie Demokraten fordern, die Obergrenze bei Minijobs auf 600 Euro zu erhöhen und bis zu 40 Prozent anrechnungsfrei als Hinzuverdienst zu ermöglichen. Das gibt auch denjenigen, die heute gar keine Arbeit haben, die Möglichkeit, auf diesem Wege den ersten Schritt in den Arbeitsmarkt zu machen.

   Das Thema ältere Arbeitnehmer ist heute auch in einem anderen Sinne hochaktuell. Die Instrumente, die Sie dafür bei der Hartz-Gesetzgebung vorgesehen haben, funktionieren bis auf den Eingliederungszuschuss nicht. Den Eingliederungszuschuss - seien Sie ehrlich - gab es auch schon vor den Hartz-Reformen. Was machen Sie stattdessen zur Integration älterer Arbeitnehmer? Sie verlängern die Vorruhestandsregelung für ältere Arbeitslose mit dem Wissen, dass im Februar der Leistungsbezug von Arbeitslosengeld richtigerweise verkürzt worden ist. Als Regierung hätten Sie sich auch auf den Marktplatz stellen und rufen können: Entlasst eure älteren Arbeitnehmer!

   Die Wirkung ist genau die gleiche. Wir sehen an der Arbeitsmarktstatistik: Über 30 000 ältere Menschen sind im vergangenen Monat zusätzlich entlassen worden, und zwar weil Sie das falsche politische Signal gegeben und den Betrieben suggeriert haben: Ältere Arbeitnehmer in Betrieben sind mehr Kostenfaktor als Wettbewerbsvorteil. Damit haben Sie eine falsche Politik gemacht.

(Beifall bei der FDP)

   Sie versuchen das Ganze mit einer Diskussion über Mindestlöhne zu kompensieren, die wir mit dem Arbeitslosengeld II oder über die Kombilöhne faktisch schon haben, die so, wie sie bisher diskutiert werden, zu flächendeckenden Mitnahmeeffekten führen. Wir schlagen stattdessen vor - das hat auch der Herr Bundespräsident in einem Gespräch im „Stern“ Anfang dieses Jahres für richtig befunden -, ein System der negativen Einkommensteuer einzuführen, einen Universaltransfer wie beim Bürgergeldkonzept der Liberalen, bei dem das Steuer- und Transfersystem zusammengefasst wird, damit auch Geringverdiener die Chance haben, in der legalen Wirtschaft wieder Beschäftigung zu finden.

   Lassen Sie uns auf die Vermittlungsgutscheine zu sprechen kommen. Die Freien Demokraten waren immer der Ansicht, es ist ein guter Weg, Wettbewerb dadurch herzustellen, dass der Arbeitssuchende mit Nachfragemacht ausgestattet wird. Aber wir haben auch von Anfang an gesagt, die Vermittlungsgutscheine in der Art, wie Sie sie vorlegen, können nicht funktionieren. Sie richten sich nur nach der Dauer der Arbeitslosigkeit. Völlig unberücksichtigt bleibt, ob jemand qualifiziert ist, welche beruflichen Erfahrungen er hat oder ob er gesundheitlichen Einschränkungen unterliegt.

   Gestalten Sie die Vermittlungsgutscheine marktgerecht aus und geben Sie dem Arbeitssuchenden Nachfragemacht, damit er zum Vermittler seines Vertrauens gehen kann. Das kann der private Vermittler, aber auch der staatliche Vermittler sein. Dieser muss sich dann durch die Einnahmen aus Gutscheinen bei den erfolgsabhängigen Lohnkomponenten refinanzieren, die eingeführt werden müssen.

   In diesem Zusammenhang komme ich auf die gestrige Ausschusssitzung zurück. Dort hat das BA-Vorstandsmitglied Herr Becker stolz erzählt, dass nach fünf Jahren Verhandlungen über die Einführung erfolgsabhängiger Lohnkomponenten bei den Angestellten der BA eventuell in diesem Jahr die Möglichkeit besteht, dass man sich über einen entsprechenden Tarifvertrag verständigt. Und da reden Sie von der Reform der Bundesagentur? Über fünf Jahre hat es gedauert - das ist auch noch nicht sicher -, bis man sich auf etwas verständigt, was im normalen Wirtschaftsleben gang und gäbe ist, nämlich erfolgsabhängige Lohnkomponenten einzuführen. Gleichzeitig tun Sie so, als sei der Reformprozess auf einem positiven Weg, weil in dem Bericht steht, es sei nicht mehr ganz so schlimm, wie es am Anfang war.

   Bei einer Behörde, deren Kosten für den virtuellen Arbeitsmarkt außerhalb jedes Controllings und außerhalb jedes Budgets explodiert sind, einer Behörde, bei der die Kundenzufriedenheit nach Ihrem Evaluationsbericht zurückgegangen ist, einer Behörde mit über 90 000 Mitarbeitern, von denen sich gerade einmal ungefähr 12 500 im Kerngeschäft, nämlich der Arbeitsvermittlung, befinden, sagen Sie: „Alles ist gut“?

   Die Bundesagentur hat im Jahre 2004 ein verantwortetes Budget, also nicht nur ihren eigenen Haushalt, sondern auch die Steuermittel, von 85 Milliarden Euro verwaltet. Wenn das ein Staatshaushalt wäre, wäre das im Vergleich mit den 235 Ländern dieser Welt Platz 21, und zwar vor der Russischen Föderation und gleich hinter Indien mit einem Staatshaushalt von 87 Milliarden Euro. Diese Dimension sollte Ihnen deutlich machen ohne Schaum vor dem Mund und ohne Böswilligkeit gesagt, dass Mitteleinsatz und Ergebnis - im Jahr 2004 waren es 1,4 Vermittlungen pro Vermittler in ungeförderte Beschäftigungsverhältnisse pro Monat - in keinem vernünftigen Verhältnis stehen.

(Beifall bei der FDP)

   Wir schlagen daher vor, die Bundesagentur in ihrer jetzigen Struktur aufzulösen und ein Dreisäulensystem zu schaffen, das aus einer Versicherungsagentur für die Lohnersatzleistung, einer schlanken Arbeitsmarktagentur, die sich um das überregional Notwendige, vor allem die Transparenz des Stellenmarktes, kümmert - sie muss nicht größer sein als das Bundeskartellamt, das mit seinen etwa 300 Mitarbeitern hoch effizient arbeitet -, und der aktiven Arbeitsmarktpolitik vor Ort - weil vor Ort die richtigen Entscheidungskompetenzen gebündelt sind - in kommunaler Trägerschaft besteht.

(Beifall bei der FDP)

   Nachdem wir jetzt erfahren haben, dass Sie über fünf Jahre brauchen werden, um beim Hauptpersonalrat eine Selbstverständlichkeit durchzusetzen, sage ich Ihnen voraus, dass darin die einzige Möglichkeit besteht, um eine Veränderung zu erreichen. Denn wenn eine Behörde aufgelöst wird, passiert etwas Bemerkenswertes: Sie existiert zunächst einmal nicht mehr. Das heißt, Sie können mit der Arbeit beginnen und die Struktur, die Sie aus politischer Sicht für richtig halten, umsetzen, ohne dass eine drittelparitätische Selbstverwaltung mit Frau Engelen-Kefer an der Spitze oder ein Hauptpersonalrat das Vorhaben blockieren kann.

   Im Zusammenhang mit Frau Engelen-Kefer komme ich auf die Förderung der Älteren zurück. Sie werden mir nachsehen, dass es mir wehtut, dass die Dame jetzt weggemobbt wird und deshalb in den Vorruhestand geht. Die Dame wird uns wirklich fehlen; aber schließlich kann ein Gewerkschaftsfunktionär nicht zusammen mit einer stellvertretenden Vorsitzenden für die Frühverrentung argumentieren, wenn dieses Instrument nicht auch von ihr selbst in Anspruch genommen wird.

(Beifall bei der FDP)

   Wir brauchen nicht nur die sozialpolitisch gut gemeinte Begleitung der Arbeitslosigkeit, wie sie in der Hartz-Evaluierung festgestellt wurde; notwendig ist vielmehr ein wachstumsorientierter politischer Kurs bzw. eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, die es ermöglicht, seinen Lebensunterhalt wieder durch eigene Arbeit zu finanzieren. Dazu hat Rot-Schwarz aber nichts vorgelegt.

   Im Gegenteil: Statt die Menschen und Betriebe durch ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen zu entlasten, erhöhen Sie die Steuern. Statt die Liquidität der Betriebe zu unterstützen, indem Sie auf das unsinnige Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro verzichten, kündigen Sie für das nächste Jahr ein Investitionsprogramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro an. Das heißt, Sie nehmen den Betrieben erst einmal 20 Milliarden Euro weg und kündigen an, ihnen später auf vier Jahre verteilt 25 Milliarden Euro - aber bitte schön zweckgebunden - wieder zurückzugeben. Das ist kein wachstumsorientierter politischer Kurs. Es führt vielmehr dazu, dass sich die Arbeitslosigkeit weiter verfestigt und dass Sie - gemessen daran, was Sie sich in der Regierungserklärung vorgenommen haben - im Endeffekt scheitern werden.

   Wir wollen das gerne verhindern und bieten Ihnen an, mit unseren Konzepten dafür zu sorgen, dass der Arbeitsmarktausgleich so organisiert wird, dass die Menschen in Deutschland wieder eine Chance haben.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht der Bundesregierung, den wir heute debattieren, ist eine Zusammenfassung der Berichte von insgesamt 20 verschiedenen Forschungsinstituten, die sich mit den Auswirkungen der Gesetze Hartz I bis III beschäftigt haben. Er stellt eine solide Grundlage für unser weiteres politisches Handeln dar.

   In diesen Berichten geht es insbesondere darum, wie weit der organisatorische Umbau der Bundesagentur vorangeschritten ist und wie es mit der Neuausrichtung der Arbeitsvermittlung, der Förderung beruflicher Weiterbildung und den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aussieht. Es geht um Mini- und Midijobs, Eingliederungszuschüsse, Existenzgründungen und Arbeitnehmerüberlassung, um nur die wichtigsten Themen herauszugreifen.

   Es ist klar, dass Teile des Berichts inzwischen nicht mehr aktuell sind. So ist beispielsweise der Umstrukturierungsprozess innerhalb der BA, von dem niemand sagt, er sei schon zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen, seit der Erstellung des Berichts schon weitergekommen. Der Bericht stellt einen Zwischenstand dar und verweist zu Recht darauf, dass erst Ende 2006 ein Abschlussbericht mit endgültigen Handlungsempfehlungen vorliegen wird.

   Für die Koalition ist es eine große Herausforderung, in dieser Zeit in diesem Land Mitverantwortung in der Regierung zu tragen. Wahr ist aber auch, dass der Bericht manchen Anlass bietet, den neuen Freunden von der Sozialdemokratie etwas ins Stammbuch schreiben zu wollen.

Aber wahr ist auch: Uns geht es nun in erster Linie darum, nach vorne zu schauen. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag - schon vor dieser Beratung und den vorliegenden Handlungsempfehlungen - wichtige Punkte aufgenommen, die jetzt durch die Studie bestätigt werden.

   Lieber Kollege Niebel, unabhängig davon, wie man zu einzelnen Maßnahmen steht, kann man nicht sagen, Geld werde weiterhin verschleudert und Konsequenzen würden nicht gezogen. Das ist nachweislich falsch. Wir haben die Personal-Service-Agenturen als Obligatorium zum Ende des letzten Jahres abgeschafft, weil sie zu teuer waren und die Eingliederungschancen verschlechtert haben. Wir haben also Konsequenzen gezogen. Wir verschleudern kein Geld. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist ein Instrument, bei dem wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner einen wesentlichen Kurswechsel eingeleitet haben. Es war richtig und notwendig, dieses Instrument als Pflichtleistung abzuschaffen.

(Dirk Niebel (FDP): Was haben Sie sonst noch gemacht?)

   Wir haben auch in anderen Bereichen genau das gemacht, was Sie, Kollege Niebel, gefordert haben, was Ihnen aber offensichtlich entgangen ist. Wir haben schon Konsequenzen aus erkennbaren Fehlentwicklungen gezogen. Das gilt auch für den Bereich der Ich-AGs. Mich verwundert es ein wenig, wie gut die Ich-AGs in der öffentlichen Berichterstattung über den Bericht der Bundesregierung gelegentlich wegkommen. In dem Bericht der Bundesregierung - er ist ja quasi eine Kurzfassung der rund 4 500 Seiten, die wir von den Instituten bekommen haben - werden die Ich-AGs nämlich ganz anders dargestellt. Dort steht beispielsweise über die Ich-AGs, von Existenzgründerinnen und -gründern sei die Kritik geäußert worden, dass das Konzept zu Mitnahme und Missbrauch verleite und dass eine stärkere Kontrolle der Eignung potenzieller Gründerinnen und Gründer zu fordern sei. Genau auf diesen Weg haben wir uns begeben.

   Wir debattieren heute auch über einen Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Dem Antrag ist der Schmerz über den Wählerwillen anzumerken, der Sie, die Grünen, nur zur fünftstärksten Fraktion gemacht hat. Dieser Schmerz ist menschlich verständlich.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber Sie sollten sich nicht nur an dem Instrument der Ich-AG hochziehen und fordern, dort müsse alles so bleiben, wie es ist. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang die Aussage in dem vorliegenden Bericht zu den Ich-AGs und den Instrumenten der Existenzförderung aus der Arbeitslosigkeit zitieren: Die Zusammenführung beider Instrumente erscheint sinnvoll. Genau das haben wir schon im Koalitionsvertrag festgelegt. Das werden wir zum 30. Juni dieses Jahres machen. Ich finde, diesen Weg sollten wir gemeinsam gehen; denn er ist richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Auf der anderen Seite erscheint mir, dass die Minijobs in der öffentlichen Darstellung sehr viel kritischer betrachtet werden, als es aus dem vorliegenden Bericht hervorgeht. Man muss sich natürlich ständig fragen, was man mit einem solchen Instrument erreichen will. Es ist wahr: Mit Minijobs wurden nicht in nennenswertem Maße Brücken in die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung geschlagen. Aber ich will deutlich sagen: Das ist für uns nicht in erster Linie Sinn und Zweck dieses Instruments gewesen. Vielmehr haben wir zur Kenntnis zu nehmen, dass es Millionen Menschen gibt, die ein solches Beschäftigungsverhältnis eingehen, weil sie in einer bestimmten Lebensphase ihre Konsummöglichkeiten verbessern wollen. Für die meisten sind Minijobs die einzige Einkommensquelle. Die Zahl der Fälle, in denen sie als Nebenjobs ausgeübt werden, ist eher gering. Es ist beispielsweise in den Untersuchungen der Bundesknappschaft nachzulesen, dass es keine Verdrängung der Vollzeitbeschäftigung durch den parallelen Aufbau der geringfügigen Beschäftigung gegeben hat. Dieses Instrument ist also erfolgreich und wir werden es deshalb beibehalten.

(Dirk Niebel (FDP): Aber teurer machen!)

   Die Zeitarbeit bzw. die Leiharbeit wird in dem Bericht ebenfalls als ein sehr dynamisches Marktsegment beschrieben, in dem seit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsrechts im Dezember 2002 mit Hartz I etwa 24 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Stellen entstanden sind. Es ist daher sinnvoll, darüber nachzudenken, wie man dieses Instrument noch attraktiver gestalten kann.

   Nachdem bei den PSAs schon Konsequenzen gezogen worden sind, ist unsere konkrete Aufgabe bei der Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik in diesem Jahr, ein sinnvolles, finanzierbares und einheitliches Instrument zur Förderung der Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit zu schaffen. Wir werden außerdem aus den bestehenden Modellen betreffend die Kombination aus Lohn und Transferleistungen ein stringentes und zielgruppengenaues Kombilohnmodell zu entwickeln haben. Auch dies werden wir in diesem Jahr tun. Da warten wir keine Berichte ab, sondern wir lassen die Arbeit, die wir machen, kritisch begleiten. Aber wo immer Konsequenzen gezogen werden können, werden sie auch gezogen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden in diesem Zusammenhang den Instrumentenkasten der BA entrümpeln. Das werden Sie sehen. Das, was im Moment alles darin ist - über 80 Instrumente -, ist selbst den Mitarbeitern der BA nicht bekannt.

(Dirk Niebel (FDP): Sehr gut! Das fordern wir seit sieben Jahren!)

Damit werden wir Schluss machen. Das werden wir zurückführen.

(Beifall des Abg. Dirk Niebel (FDP))

   Wir werden selbstverständlich auch entschlossen die Maßnahmen anpacken, die notwendig sind, um die Beschäftigung Älterer zu fördern. Das haben wir uns vorgenommen, weil es notwendig ist. Das geschieht nicht in erster Linie im Hinblick auf Maßnahmen, die erst sehr viel später greifen; wir müssen vielmehr jetzt anfangen, die Beschäftigung Älterer zu erhöhen. Wir sind auf einem nach wie vor unbefriedigenden Niveau. Zur Wahrheit gehört aber auch: In der Tendenz ist die Beschäftigung Älterer leicht gestiegen. Diese Tendenz wird sich aufgrund der Maßnahmen, die wie ergreifen, fortsetzen.

   Der vorliegende Bericht der 20 Institute zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir bleiben im Plan und wir werden diesen Weg mit der wissenschaftlichen Unterstützung entschlossen fortsetzen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun die Kollegin Katja Kipping, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Katja Kipping (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - ich finde, dieser Gesetzestitel gehört in das Wörterbuch für Euphemismus, in das Wörterbuch des Schönredens, und zwar ganz weit nach vorne; denn was, bitte schön, haben die Auswirkungen dieses Gesetzes mit modernen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt gemein?

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Da hat sie leider Recht!)

   Mit dem nun vorliegenden Bericht der Bundesregierung ist es amtlich: Die Hartz I-III-Gesetze haben die Situation von Millionen Erwerbslosen nicht nur nicht verbessert; im Gegenteil: Durch manche Maßnahme ist die Situation sogar noch verschärft worden. So haben - um nur ein Beispiel von vielen zu nennen - die Personal-Service-Agenturen die Eingliederungschancen der Teilnehmenden im Endeffekt verschlechtert. Ausgerechnet diejenigen, die am dringendsten Beratung brauchten, die so genannten Betreuungskunden, bekommen so gut wie gar keine Unterstützung. Aus so einer Bankrotterklärung müssen doch Konsequenzen gezogen werden, und das ziemlich schnell.

(Beifall bei der LINKEN)

   Einst hieß es, man werde mit den Vorschlägen von Peter Hartz die Zahl der Arbeitslosen halbieren. Davon redet heute kaum noch jemand. Das ist auch verständlich. Wer gibt schon gerne zu, dass er auf einen Hallodri hereingefallen ist, der inzwischen wegen des Verdachts auf Veruntreuung in das Fadenkreuz der Ermittler geraten ist.

(Beifall bei der LINKEN)

   Um die von Gerhard Schröder im Zuge der Agenda 2010 gemachten Versprechen ist es auch sehr ruhig geworden. Die sind wohl zu Recht in dem Ordner für Märchenstunden archiviert. Nun ist Peter Hartz weg vom Fenster, Gerhard Schröder verdient sein Geld außer Landes und Millionen Erwerbslosen geht es dreckiger als je zuvor.

(Beifall bei der LINKEN)

   Nun gut, die Zahl der Minijobs stieg. Wer dies jedoch als Erfolg verkaufen will, der muss wahrlich über große ideologische Scheuklappen verfügen. Schließlich geht der Anstieg der Minijobs immer Hand in Hand mit dem Abbau von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen.

(Zuruf von der LINKEN: Sehr richtig!)

   Darüber hinaus sollte es uns schon zu denken geben, dass gerade die Mini- und Midijobs überproportional stark von Frauen nachgefragt werden. Leisten wir hier nicht einer weiteren Verfestigung von überholten Geschlechterrollen Vorschub - der Mann als Haupternährer, die Frau als Zuverdienerin? Wir leben im 21. Jahrhundert. Solch mittelalterliche Formen der Arbeitsteilung gehören endlich überwunden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das allein schon deswegen, weil man als Zuverdienerin im Minijob eben nicht genügend Rentenpunkte für ein eigenständiges Auskommen im Alter ansammeln kann. Minijobs führen zu Minirenten. Mit dieser Vorprogrammierung von Altersarmut sollte Schluss sein.

(Beifall bei der LINKEN)

   Zur Bundesagentur für Arbeit heißt es im Bericht, Effektivität und Transparenz hätten sich erhöht. Dies ist nun nicht unbedingt Ausdruck für die jetzige Qualität, sondern eher ein Beleg dafür, dass es vorher noch verheerender war.

(Beifall des Abg. Dirk Niebel (FDP))

Das, was ich neulich von Erwerbslosengruppen über die jetzige Beratungsqualität zu hören bekam, war alles andere als erfreulich. Immer wieder bekommen Erwerbslose Sätze zu hören wie: Beraten werden Sie hier nicht; dazu sind wir nicht da. Oder: Also, wie dieser Bescheid zustande kommt, das kann ich Ihnen nun auch nicht erklären.

   So mancher Erwerbslose dringt schon seit Monaten auf einen Eingliederungsvertrag, und das vergeblich. Die Tatsache, dass ihm bei jedem Beratungsgespräch ein anderer Vermittler gegenübersitzt, hat die Qualität der Beratung bestimmt nicht gehoben. Ich finde, das muss sich ändern.

(Beifall bei der LINKEN)

   Dass in der Praxis solche Defizite auftauchen, liegt wahrlich nicht an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Agenturen. Sie haben in den letzten Jahren viel bewältigen müssen. Ich glaube, die Ursache dieser Probleme liegt vielmehr in einer katastrophalen personellen Unterausstattung der Agenturen. Es gibt dort einfach viel zu viel Arbeit für viel zu wenige Mitarbeiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Bericht selber bestätigt es: Die Relation von Kunden und Vermittlern konnte kaum verbessert werden.

   Meine Damen und Herren von CDU/CSU und SPD, wenn Sie die Arbeitsagenturen auch nur ansatzweise in die Nähe eines modernen Dienstleisters bringen wollen, dann sollten Sie zuallererst die personelle Ausstattung verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Doch was passiert stattdessen? Personelle Ressourcen werden gebunden an so genannte Sozialdetektive. In einem diffamierenden Bericht, bekannt als Clement-Bericht, wird auch noch stolz darüber berichtet, wie man in den Schlafzimmern von allein erziehenden Erwerbslosen nach Männern in Unterhosen fahndet und wie man die Größe der Kuhle im Bett untersucht. Ich persönlich habe gehofft, dass die Zeiten, wo man Schlafzimmer ausspioniert, vorbei sind.

   Aber davon einmal ganz abgesehen, stellt sich mir hier schon die Frage: Gibt es gegenwärtig nichts Wichtigeres zu tun, als in Schlafzimmern herumzuspionieren? Angesichts der Überbelastung bei der Beratung von Erwerbslosen sollten wir jetzt alle personellen Kräfte auf die Vermittlung konzentrieren und das Detektivspielen einfach sein lassen. Das ist auch besser für den Schutz der Privatsphäre.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das müssen ausgerechnet Sie sagen! Eure Vorgänger waren die Spezialisten!)

- Ja, das müssen wir sagen. Wir haben nämlich aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, während Sie dabei sind, elementare Eingriffe in die Privatsphäre vorzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Ein bisschen mehr Valium, liebe Frau!)

   Im Übrigen ist die finanzielle Inhaftnahme von Familienmitgliedern von vorgestern und sie sollte endlich durch die schrittweise Einführung des Individualanspruches ersetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

   Hinzu kommt, dass diese Herumschnüffelei auch aus Haushaltssicht total ineffizient ist. Lassen Sie mich das einmal an zwei Zahlen verdeutlichen. Für den gesamten ALG-II-Bereich sind im letzten Jahr insgesamt 35 Milliarden Euro ausgegeben worden. Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft schätzt, dass uns allein durch Steuerbetrug 70 Milliarden Euro verloren gehen. Im Klartext heißt das: Wenn wir nur jeden zweiten Euro Steuerbetrug verhindert hätten, dann hätten wir den kompletten ALG-II-Bereich finanzieren können. Auf diesem Gebiet müssen wir ansetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Bilanz von Hartz I bis III ist eine Bilanz des Scheiterns. Der Grund für dieses Scheitern liegt weniger in handwerklichen Fehlern; schuld an diesem Scheitern ist die hinter allen Hartz-Gesetzen stehende Ideologie. Ihre Ideologie folgt der Vorstellung, die Ursache des Problems liege bei dem Einzelnen. Angesichts von mindestens 6 Millionen fehlenden Stellen ist dieser Ansatz geradezu absurd. Mit Ihrem Ansatz bewirken Sie vielleicht, dass sich der Einzelne in der langen Schlange der Erwerbslosen etwas besser vordrängeln kann; aber an der Länge der Schlange ändern Sie nichts. Sie bewirken vielleicht, dass der einzelne Erwerbslose etwas schneller rennt; aber an der Tatsache, dass man auf der Suche nach Arbeit im Kreis rennt, ändern Sie nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wo ist eigentlich der Minister?

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

- Sie lachen. Ich finde es nicht selbstverständlich, dass der zuständige Minister bei der Beratung eines so zentralen Berichts nicht anwesend ist. -

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Das stimmt allerdings! Er wird auf Heuschreckenjagd sein!)

Der Minister präsentierte den Bericht in der Öffentlichkeit mit der Aussage, es gebe Licht und Schatten.

(Klaus Brandner (SPD): Herr Staatssekretär Andres, werfen Sie Schatten?)

Nachdem ich mittlerweile viele kritische Aspekte angesprochen habe, möchte ich nicht verschweigen, dass es tatsächlich einen positiven Aspekt gibt. Auch wir sehen etwas Licht, auch wenn es sich um einen etwas dünnen Lichtstrahl handelt.

   Wir finden es toll, dass es den Anspruch gibt, die Wirksamkeit der Hartz-Gesetze zu evaluieren und sie bei Misserfolg abzuschaffen. Nehmen Sie diesen selbst gestellten Anspruch ernst! Verabschieden Sie sich von dem gescheiterten Ansatz Ihrer bisherigen Arbeitsmarktreform! Setzen Sie endlich auf eine Arbeitsmarktpolitik, die gesellschaftlich sinnvolle Arbeit auch ordentlich bezahlt! Das Motto sollte sein: Sozialarbeiterstellen statt 1-Euro-Jobs. Nehmen Sie endlich die wirklichen Ursachen der Massenarbeitslosigkeit in Angriff!

   Besten Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Frau Kipping, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen dazu und verbinde das mit den besten Wünschen.

(Beifall)

   Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Thea Dückert, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Koalition hat uns viel versprochen, zum Beispiel dass sie ihre Mehrheit für strukturelle Reformen nutzen wird, um Vertrauen bei den Menschen herzustellen. Herr Andres sagt aber heute Morgen hier: Wir tun gut daran, auf den Endbericht 2006 zu warten.

(Dirk Niebel (FDP): So habt ihr das schon gemacht, als ihr noch mitregiert habt!)

   Lieber Kollege Andres, das ist genau falsch. Der Zwischenbericht, der hier vorgelegt worden ist, gibt uns schon viel an die Hand,

(Dirk Niebel (FDP): Da hat sie Recht!)

um vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Mir scheint, Sie wollen uns in Deutschland mit der schwarz-roten Koalition in einen Wartesaal führen. Wenn man die Tickermeldungen heute liest, erkennt man, dass andere das jedenfalls so sehen. Im „Economist“ - die Ausgabe kommt heute heraus - gibt es eine neue Analyse, einen Deutschlandreport, der wie folgt überschrieben ist: „Waiting for a Wunder“; also: Deutschland wartet auf ein Wunder. Was heißt das? Darin wird etwas treffend beschrieben. Darin wird beschrieben, dass sich die schwarz-rote Koalition in einer ideologischen Lähmungsfalle befindet und auf die Diagnosen, die auf dem Tisch liegen, nicht mit Handlungen reagiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt Ihre Aufforderung, zunächst auf den Endbericht zu warten, aber das zeigt auch Ihre „Handlungsfähigkeit“ bei allen großen Strukturreformen, die anstehen.

   Die Diagnose in diesem Artikel lautet: Deutschland ist für hoch qualifizierte Arbeitskräfte völlig unattraktiv und hat Integrationsprobleme - darauf kommt ich gleich noch zurück -; wenn Deutschland diese Probleme nicht bald in den Griff bekommt, dann droht in diesem Land das, was die meisten fürchten: amerikanische Verhältnisse. - Auch dieser Bericht ist eine Aufforderung, schnell zu handeln. Sie, Herr Andres, haben hier gerade das Gegenteil angekündigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dafür, dass das so ist, gibt es viele Beispiele. Die Evaluation durch die 20 wissenschaftlichen Institute, die einen sehr detaillierten Zwischenbericht vorgelegt haben, bietet eine große Chance, schon an vielen Stellen Reaktion zu zeigen. Herr Müntefering hat ja auch gesagt - das wurde bereits angesprochen -: Der Bericht zeigt Licht und Schatten auf. -Unsere große Sorge, Herr Andres, ist, dass Sie genau da das Licht ausstellen wollen, wo es wirklich etwas Positives beleuchtet. Unsere große Sorge ist, dass Sie nur das machen, was Sie sich schon vorher ausgedacht und was Sie auch in Ihrem Koalitionsvertrag niedergelegt haben, ohne dass Sie sich mit dem auseinander setzen, was in dem Bericht zutage gefördert wird.

   Ich nenne ein Beispiel - Herr Brauksiepe hat es eben schon angeführt -: In der Evaluation wird dargestellt, dass die Ich-AGen und das Überbrückungsgeld den anderen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen überlegen sind.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Nein!)

Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass diese Instrumente zusammengeführt werden bzw. auslaufen; für die Ich-AG soll das 2006 der Fall sein. Sie sagen nicht, was dann kommen wird. Ich frage Sie im Ernst, meine Damen und Herren: Will diese Regierung eines der wenigen wirksamen Instrumente, nämlich ein Instrument, das seit 2004 etwa 1 Million Menschen den Mut und die Kraft gegeben hat, aus der Arbeitslosigkeit selber wieder in eine Tätigkeit zu kommen, abschaffen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dirk Niebel (FDP): Die Zahl ist ein bisschen zu hoch gegriffen!)

Ihre gesamte Argumentation ist von vorn bis hinten brüchig. Sie behaupten, dass das Überbrückungsgeld und die Förderung der Ich-AGen ungefähr das Gleiche sind. Die Evaluation belegt etwas ganz anderes, nämlich: Es werden andere Zielgruppen erreicht. Mit der Ich-AG werden überproportional Frauen, Menschen in Ostdeutschland und Langzeitarbeitslose erreicht. Wenn wir hier lange Reden über die Probleme am Arbeitsmarkt halten, dann reden wir genau über diese Gruppen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber gerade dieses Instrument wollen Sie zurückführen. Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie Ihre schwarz-roten Scheuklappen ab; dann können Sie auf diesen Bericht reagieren!

   Ein weiteres Thema, das in diesem Bericht behandelt wird: Auf der einen Seite führen Sie, vor allem Herr Müntefering, eine große Debatte über die Hinausschiebung des Renteneintrittsalters, was ich verdienstvoll finde, wenn man darüber zusammen mit der Forderung diskutiert, dass - was Not tut - ältere Menschen eine Chance am Arbeitsmarkt bekommen müssen. Aber was zeigen uns die Ergebnisse in diesem Bericht? Die vielen Instrumente unterschiedlichster Art, die es gibt, um älteren Langzeitarbeitslosen wieder in den Arbeitsmarkt zu helfen, werden von der Bundesagentur für Arbeit faktisch boykottiert. Die Entgeltsicherung hat keinen strategischen Stellenwert und die Vermittler kennen die Instrumente zum großen Teil nicht; deshalb werden sie nicht in Anspruch genommen.

   Ihre Schlussfolgerung, Herr Andres, ist - das ist übrigens im letzten Herbst schon von Herrn Brandner verkündet worden -, dass man die Instrumente ein bisschen übersichtlicher gestalten sollte. Ich kann Ihnen an dieser Stelle nur sagen: Es kann doch nicht wahr sein, dass Instrumente, die älteren Langzeitarbeitslosen als Hilfestellung dienen sollen, reduziert und zum Teil abgeschafft werden sollen, weil die Vermittler sie nicht kennen. Ich denke, der Arbeitsminister hat hier die „Oberhoheit“ über die Bundesagentur für Arbeit. Hier muss dafür gesorgt werden, dass das, was an Hilfestellungen für die älteren Langzeitarbeitslosen möglich ist, auch umgesetzt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Geringqualifizierten sind eines unserer zentralen Probleme am Arbeitsmarkt. Auch das wird in diesem Bericht beschrieben. Dabei wird deutlich gemacht, dass die Kundinnen und Kunden mit den schlechtesten Integrationschancen - das ist das, was auch der „Economist“ beschreibt - und dem höchsten Betreuungsbedarf von der Bundesagentur für Arbeit nur wenig unterstützt werden, weil bei dieser Gruppe kein Erfolg erwartet wird. Das steht dort schwarz auf weiß. Ich finde, das ist ein ziemliches Armutszeugnis. Es zeigt, dass wir uns mit der Steuerungslogik der Bundesagentur noch einmal auseinander setzen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Jedenfalls kann es nicht sein, dass auf Basis dieser Steuerungslogik ein Weiteres passiert: Nicht nur, dass die Betreuungsbedürftigsten schnell ins SGB II abgeschoben werden, sondern bei der Weiterbildung wird auch so etwas wie eine Bestauslese betrieben. Auch das wird in dem Bericht bescheinigt. Deshalb müssen wir hier noch einmal neu nachdenken; denn Weiterbildung und Qualifizierung müssen ja gerade für schlecht Ausgebildete und Geringqualifizierte zugänglich sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Gerade in der Auseinandersetzung mit den Arbeitsmarktproblemen zeigen sich ganz viele Beispiele für eine schwarz-rote Selbstblockade. Ich will ein weiteres Beispiel nennen, nämlich die Geringqualifizierten, denen die Hilfsinstrumente der Bundesagentur für Arbeit nicht zur Verfügung stehen. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wissen, dass wir hier die stärksten Probleme am Arbeitsmarkt haben. Was machen Sie? Sie richten, auch weil Sie miteinander nicht klarkommen, eine Arbeitsgruppe ein. Prost Mahlzeit!

(Dirk Niebel (FDP): Das haben Sie aber auch schon mal gemacht, glaube ich!)

- Nur, Herr Niebel, sind wir auch zu einem Ergebnis gekommen. Das ist genau mein Problem.

(Dirk Niebel (FDP): Das ist das Problem des ganzen Landes: die falschen Ergebnisse!)

   Die Evaluation zeigt, dass einige Instrumente, zum Beispiel die Midijobs mit dem Ansatz geringer Lohnnebenkosten bei kleinen Einkommen, die Beschäftigung erweitern. Das muss man doch einmal zur Kenntnis nehmen. Der Bericht zeigt weiter, dass die Minijobs zur Senkung der Schwarzarbeit führen, aber keine Brücken in den Arbeitsmarkt bauen.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Genau darum geht es!)

Sie von der Bundesregierung sollten an dieser Stelle keine Arbeitsgruppe einrichten, um lange über Kombilöhne zu diskutieren, sondern diese Ergebnisse des Berichts zur Kenntnis nehmen. Wir haben einen Vorschlag gemacht. Für Sie ist es ganz einfach: Sie brauchen sich diesem Vorschlag nur anzuschließen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dieser Vorschlag umfasst das so genannte Progressivmodell, in dem genau die erforderlichen Maßnahmen enthalten sind: Minijobs, Midijobs und andere unübersichtliche Instrumente werden aufgelöst; Bezieher kleiner Einkommen zahlen geringe Beiträge und Bezieher großer Einkommen zahlen hohe Beiträge in die Sozialversicherung. Das hat den Vorteil, dass die Senkung der Lohnnebenkosten gezielt da wirkt, wo die meisten Jobs geschaffen werden. Das hat den Vorteil, dass die Senkung der Lohnnebenkosten zu den höchsten Beschäftigungseffekten gerade in den Bereichen führt, in denen Beschäftigung auch zukünftig möglich sein muss.

   All dies kommt in Ihrer Politik nicht vor: Fehlanzeige und Sitzen im Wartesaal. Es ist nichts anderes als ein „Waiting for a Wunder“.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Say it in German! - Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

- Die Überschrift dieses Berichtes macht doch deutlich, dass auf ein Wunder gewartet wird. Was darin beschrieben wird, ist zum Teil eine Persiflage auf die Zustände am deutschen Arbeitsmarkt. Wir sitzen hier und warten auf ein deutsches Wunder. Aber es wird ein solches Wunder nicht geben, wenn die Bundesregierung nicht in der Lage ist, auf das, was an Fakten auf dem Tisch liegt, zu reagieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Ihr seid Opposition!)

   Fakt ist, dass wir in Deutschland Antworten brauchen gerade auf die Herausforderungen im Bereich der Geringqualifizierten. Wir brauchen in Deutschland beispielsweise ein durchdachtes Konzept zur Senkung der Lohnnebenkosten, das da ansetzt, wo es auch wirken kann. Dieses Konzept muss finanzierbar sein. Seine Finanzierung darf nicht durch eine Mehrwertsteuererhöhung erkauft werden, die im Nachgang dazu führen wird - das ist vom DGB und anderen schon dargelegt worden -, dass die Konjunktur, die hoffentlich ein wenig anzieht, schon im Jahre 2007 zum Nachteil der Beschäftigten abgewürgt wird.

   Wir sollten uns von dieser Politik der schwarz-roten Koalition möglichst schnell verabschieden. Wir sollten nicht im Wartesaal sitzen und auf ein Wunder hoffen, sondern das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Es gibt viel zu tun. Der Bericht hat es dargelegt.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun die Kollegen Katja Mast, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Katja Mast (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie gehört haben, ist es eine Zwischenbilanz der Hartz-Gesetze I bis III. Die Evaluation hat den Charakter einer ersten Bestandsaufnahme. Trotzdem sind einige Tendenzen bemerkenswert und verdienen unsere Aufmerksamkeit. Das gilt insbesondere für die Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit.

   Sowohl das Überbrückungsgeld als auch die Ich-AG gehören zu den erfolgreichsten Instrumenten, um Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Sogar das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, das nicht als Zuspitzer politischer Botschaften bekannt ist, stellte fest, dass „beide Programme erfolgreich eine Rückkehr in die Arbeitslosigkeit vermeiden“. Anderthalb Jahre nach Beginn der Förderung sind so rund 70 Prozent der Empfänger von Überbrückungsgeld und 80 Prozent der Menschen, die eine Ich-AG gegründet haben, noch immer selbstständig. Das sind deutliche Anzeichen für eine - ich betone - nachhaltige Wirkung.

(Beifall bei der SPD)

   Gerade Frauen nutzen sowohl die Ich-AG als auch das Überbrückungsgeld überdurchschnittlich oft. Circa ein Drittel der neuen Selbstständigen ist weiblich; 2004 betrug im Bund der Anteil der Frauen an den Neuzugängen bei den Ich-AGs 43 Prozent. In meiner Heimat, in der Region Pforzheim/Enzkreis, war es sogar 1 Prozentpunkt mehr, was mich besonders freut. In der Selbstständigkeit sehen also viele Menschen eine Chance, ihren Berufs- und Lebensweg flexibel, eigenverantwortlich und erfolgreich zu gestalten.

(Beifall bei der SPD)

   Unser Ziel in der Koalition ist es, die beiden Existenzgründungsinstrumente der Bundesagentur zusammenzuführen. Ich möchte ganz klar betonen, dass eine entsprechende Empfehlung im Evaluationsbericht zu finden ist. Wir wollen den Erfolg dieser beiden Instrumente verstetigen und ausbauen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU))

Die Existenzgründungsförderung sollte als Pflichtleistung erhalten bleiben, das heißt als Anspruchsleistung für gründungswillige und -fähige Arbeitslose; denn es geht uns darum, dass die Arbeitslosen wissen, woran sie sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Allerdings - auch dies wird im vorliegenden Bericht deutlich; ich würde mir wünschen, dass meine Kolleginnen und Kollegen in ihren Statements ein bisschen mehr beim Text des Berichts bleiben - müssen Mitnahmeeffekte besser verhindert und muss die Qualitätskontrolle der Businesspläne intensiviert werden.

   Bemerkenswert an der Evaluierung der Hartz-Gesetze sind für mich aber nicht nur die Förderinstrumente für Existenzgründungen, sondern auch die Angebote, die sich insbesondere an ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richten. Dies sind die Eingliederungszuschüsse - es existiert also schon heute gewissermaßen ein Kombilohn -, die Entgeltsicherung, der Beitragsbonus und die Möglichkeit, ältere Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz einzustellen.

   Ich fand es in den letzten Tagen wenig hilfreich, dass immer wieder pauschal von guten und schlechten Instrumenten in den Hartz-Gesetzen gesprochen und geschrieben worden ist. Sowohl bei der Entgeltsicherung als auch beim Beitragsbonus und den Eingliederungszuschüssen für Ältere lässt sich feststellen, dass die geringen Fallzahlen auf Unkenntnis sowohl bei den Vermittlern als auch bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern zurückzuführen sind. Hier ist eine Aussage darüber, ob es sich um gute oder schlechte Instrumente handelt, noch nicht möglich und daher nicht sinnvoll. Bis zum Abschlussbericht in circa einem Jahr wird es unter anderem notwendig sein, die weit verbreitete Unkenntnis über die Instrumente ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betreffend zu verringern.

   Leider muss aber auch festgestellt werden, dass sich Unternehmen trotz Anreiz in der Tendenz schwer damit tun, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzustellen. Ich erhoffe mir von der Initiative „50 plus“ wesentliche Impulse und eine stärkere öffentliche Debatte darüber. Es muss unser Ziel sein, dass es nicht nur Einzelbeispiele wie die Firma Sixt oder aus Pforzheim die Kramski Putter GmbH gibt, die die Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer schätzen.

   Deutlich wird das Gutachten bei den Sonderregelungen zu befristeten Einstellungen älterer Arbeitnehmer - ich zitiere wörtlich -:

In einer quantitativen Analyse konnte bis Mai 2003 kein Effekt auf die Zahl der Einstellungen nachgewiesen werden.

Hier sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: In der Altersgruppe der 48- bis 65-Jährigen hatten 3 Prozent einen befristeten Arbeitsvertrag. Dies ist nur wenig höher als bei den angrenzenden jüngeren Altersgruppen. Ein Effekt ist also nicht spürbar. Hier bin ich auf das Abschlussgutachten und auf die Debatte darüber gespannt, ob eine Verringerung des Kündigungsschutzes tatsächlich zu mehr Beschäftigung in Deutschland führt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Unser Leitbild des aktivierenden Sozialstaates, der seine Bürgerinnen und Bürger fordert und fördert, kommt gerade in den evaluierten Hartz-Gesetzen zum Ausdruck. Die Beispielinstrumente für Existenzgründungen und die Förderung älterer Arbeitnehmer machen deutlich, dass wir es mit dem Fördern ernst nehmen. Der mit dieser Evaluierung angestoßene Prozess ist aus meiner Sicht dazu geeignet, die Hartz-Instrumente an den Bedürfnissen der Menschen und den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes weiterzuentwickeln, sich von nicht effizienten Instrumenten zu lösen und erfolgreiche auszubauen.

   Ich freue mich auf diesen Prozess gemeinsam mit Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Frau Kollegin, das war auch für Sie die erste Rede in diesem Haus. Herzlichen Glückwunsch dazu, verbunden mit den besten Wünschen!

(Beifall)

   Nun hat das Wort der Kollege Stefan Müller, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zunächst einmal feststellen, dass ich es für sehr positiv erachte, dass wir diese Evaluation vornehmen. Die Union hat dies seinerzeit in ihrem Entschließungsantrag im November 2002 gefordert. Alle Fraktionen - ich glaube, auch die FDP; ich bin mir da nicht so sicher -

(Dirk Niebel (FDP): Das hat ja auch keiner kritisiert!)

waren sich darin einig, dass es diese Evaluation geben soll. Wir waren der Meinung, dass es sinnvoll ist, die Gesetze über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zu überprüfen und daraufhin zu sehen, inwieweit das eine oder andere Modell oder das eine oder andere Instrument zeitnah entsprechend modifiziert werden sollte. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls zu verändern. Hierfür stellt der Bericht, auch wenn es nur ein Zwischenbericht ist, eine gute Basis dar.

   Wir wollen bis zum Jahr 2007 die aktive Arbeitsmarktpolitik durch die Zusammenführung und Vereinfachung von Instrumenten neu ausrichten. Es geht uns insbesondere darum, die Beitrags- und Steuermittel effizienter und effektiver einzusetzen.

   Wenn wir uns den Zwischenbericht einmal genauer ansehen, dann stellen wir schon fest - es muss erlaubt sein, das an dieser Stelle einmal vorzutragen -, dass die Erwartungen, die die Hartz-Kommission seinerzeit geweckt hat, nicht erfüllt werden konnten. Es war Herr Hartz selbst, der diese Erwartungen geweckt hat; es war Herr Hartz, der von der Halbierung der Arbeitslosenzahl gesprochen hat. Es lohnt sich an der einen oder anderen Stelle durchaus, sich die Pressemeldungen von damals noch einmal zu vergegenwärtigen. Ich muss das hier nicht im Einzelnen vortragen.

(Dirk Niebel (FDP): Och doch! Es ist schon schön!)

Herr Hartz hat beispielsweise erklärt, mit dem Konzept der Kommission, beginnend heute, 11 Uhr - das war am 16. August 2002 -, werde die Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Jahren um 2 Millionen gesenkt werden. Das ist aus meiner Sicht mit ein Grund dafür, dass wir in Zukunft sehr viel genauer hinsehen müssen, inwieweit es überhaupt sinnvoll ist, solche Kommissionen einzurichten.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Zudem ja auch Hartz IV gescheitert ist!)

Ich glaube schon, dass die Erwartungen, die von solchen Kommissionen geweckt werden, vor allem wenn sie von entsprechenden Zitaten flankiert werden, letztendlich ein Stück weit dazu beitragen, dass wir eine verhältnismäßig schlechte Stimmung in diesem Lande haben. Wir sollten also mit solchen Zielvorgaben sehr vorsichtig sein.

   Die Zahlen selbst sind uns allen bekannt. Wir hatten damals 4 Millionen Arbeitslose; heute sind es 5 Millionen. Das zeigt im Übrigen, dass die Skepsis der Union damals durchaus angebracht war. Ich sage das überhaupt nicht mit Schadenfreude. Mir wäre es lieber, wir hätten nicht Recht behalten und hätten heute 2 Millionen Arbeitslose weniger in diesem Land. Wenn wir 2 Millionen Arbeitslose weniger hätten, dann hätten wir an vielen anderen Stellen nicht die Probleme, mit denen wir es heute zu tun haben, und würden wirtschaftlich insgesamt sehr viel besser dastehen. Insofern sollten wir diesen Bericht zum Anlass nehmen, zu überprüfen, inwieweit bei den Instrumenten gegengesteuert werden muss. Zu verschiedenen Punkten ist schon einiges gesagt worden.

   Lassen Sie mich eines festhalten: Natürlich zeigt der Bericht der Forschungsinstitute sowohl Schattenseiten als auch helle Seiten auf. Positiv ist auf jeden Fall der begonnene und in Teilen schon durchgeführte Umbau der Bundesagentur für Arbeit zu bewerten. Auf dem Weg von einer traditionellen Arbeitsverwaltung hin zu einem modernen Dienstleister ist die BA in den letzten Jahren schon ein ganzes Stück weit vorwärts gekommen.

(Dirk Niebel (FDP): Unter Blinden ist der Einäugige König!)

Der Bericht bestätigt im Übrigen, Herr Kollege Niebel, dass die BA in dieser Beziehung ein ganzes Stück weiter gekommen ist und dass der Umbau in die richtige Richtung geht. Wir sind ja durchaus der gleichen Auffassung, wenn wir sagen, dass es noch nicht zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht worden ist.

   Die Ergebnisse des Berichts sind nicht gänzlich zufriedenstellend; das ist doch keine Frage. Das Herzstück der Organisationsreform ist die Einrichtung von Kundenzentren. Im Bericht heißt es, dass es hier offenbar noch Probleme bei der Umsetzung gibt. Auch die angestrebte Verbesserung der Kundenzufriedenheit durch eine bessere Relation der Zahl der Kunden zu der Zahl der Vermittler ist noch nicht erreicht. Da ist sicherlich noch einiges zu verbessern; auch das ist keine Frage. Nur müssen wir uns ehrlicherweise vergegenwärtigen, dass der Berichtszeitraum Anfang 2005 endet. Einiges, was danach erreicht worden ist, kann in dem Bericht also noch gar nicht enthalten sein. Die Institute attestieren aber, dass die BA auf ihrem Reformkurs ein ganzes Stück weiter gekommen ist, dass sie sich weiterentwickelt hat und dass sich auch die Kundenwahrnehmung geändert hat. Wenn es aber um die Bewertung der Arbeit und der Reformen der BA geht, müssen wir auf den Abschlussbericht warten.

   Ich möchte trotzdem feststellen, dass die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit hervorragend war. Wir sollten das, was dort geleistet worden ist, nicht schmälern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Man muss sich schließlich vor Augen halten, dass die gesamte Umorganisation der BA parallel zum Betrieb, zur Kundenbetreuung lief. Insofern können wir durchaus von gewissen Erfolgen sprechen.

   Das wird im Übrigen auch deutlich, wenn man sich einmal den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit ansieht. Durch die neuen Steuerungsmodule konnten innerhalb von knapp zwei Jahren insgesamt 7 Milliarden Euro eingespart werden, und das ohne negative Effekte auf die Eingliederungsquote. Die BA geht davon aus, dass in diesem Jahr ein Überschuss erwirtschaftet werden kann. Es ist doch zwingend, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung im kommenden Jahr zu senken, wenn dort Überschüsse erwirtschaftet werden. Genau das haben wir uns vorgenommen.

   Wir tun gut daran, die Bundesagentur für Arbeit auf ihrem Weg zu einem modernen Dienstleister zu begleiten. Nur mit einer modernen und dienstleistungsorientierten Arbeitsverwaltung werden sich tatsächlich Vermittlungserfolge am Arbeitsmarkt einstellen. Es ist wichtig, klar zu machen, dass Arbeitslose in den Agenturen nicht als Bittsteller behandelt werden. Sie sind Kunden, denen geholfen werden muss. Es geht um die Unterstützung der Menschen, die arbeiten wollen, und nicht schlicht um Fürsorge.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Liebe Kollegin Dückert, ich möchte noch ein paar Worte zum Antrag der Grünen verlieren. Ihr Antrag liest sich ein Stück weit wie ein Lobgesang auf das Instrument der Ich-AG. Dabei berufen Sie sich auf den Bericht. Ganz so einfach ist es meines Erachtens aber nicht; der Kollege Brauksiepe hat dazu schon das eine oder andere gesagt. Ich möchte aus dem Bericht vortragen: Viele der Gründer haben sich offenbar weniger aus echter Überzeugung, sondern vor allem wegen fehlender Alternativen auf dem Arbeitsmarkt für die Selbstständigkeit entschieden.

   An anderer Stelle heißt es: Nur wenige der Geförderten haben eine detaillierte Gründungsberatung von der Bundesagentur erhalten und hatten „kein wirklich durchdachtes und durchgerechnetes Konzept für ihre Gründung“.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber gegen was spricht das denn? Gegen die Beratung, aber doch nicht gegen das Instrument! - Gegenruf des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Gegen das Instrument, das Sie eingeführt haben!)

Es geht weiter: Bei der Förderung liegen zugleich auch Hinweise auf Mitnahme vor. „Systemimmanente Fehlanreize der Förderung können also nicht ausgeschlossen werden.“

   Im Bericht wird geschlussfolgert, dass eine systematische Verzahnung mit anderen Förderinstrumenten ebenso wie die Zusammenführung der beiden Instrumente Ich-AG und Überbrückungsgeld sinnvoll ist. Als Beleg für das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, dient der Bericht also nicht.

   Sie kommen in Ihrem Antrag weiter zu der Erkenntnis, dass durch die Minijobs die Schwarzarbeit zwar ein wenig zurückgedrängt werden konnte, sich aber gleichwohl keine richtigen Erfolge eingestellt haben. Richtig ist, dass auch wir uns hätten vorstellen können, dass sie eine Brücke in reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bilden. Aber, meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich finde, dass allein die Tatsache, dass durch Minijobs die Schwarzarbeit zurückgedrängt worden ist, als großer Erfolg gewertet werden kann; denn dem Staat gehen jedes Jahr 17 Milliarden Euro durch die Schattenwirtschaft verloren. Wenn wir es mit einem solchen Instrument schaffen, die Schattenwirtschaft zurückzudrängen, dann kann man mit Fug und Recht von einem Erfolg sprechen.

   Wir werden sicherlich weiterhin intensiv um gute Lösungen ringen, damit wir das, was wir uns alle vorgenommen haben und was im Interesse des ganzen Hauses ist, auch umsetzen können. Wir alle wollen die Arbeitslosigkeit in dieser Legislaturperiode signifikant senken. Die Opposition ist natürlich herzlich eingeladen, uns auf diesem Weg konstruktiv zu begleiten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Werner Dreibus, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Werner Dreibus (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Andres, trotz aller persönlichen Wertschätzung und alter Verbundenheit hätte ich erwartet, dass zu diesem ehemals als Herzstück der Agenda 2010 bezeichneten Komplex der Arbeitsmarktreformen heute Morgen der verantwortliche Minister und damalige SPD-Vorsitzende selbst vor diesem Hohen Haus Verantwortung für das übernimmt, was in diesem Bericht niedergelegt ist.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wir haben die Ankündigung des Ministers im Ausschuss für Arbeit und Soziales, die Arbeitsmarktpolitik auf den Prüfstand zu stellen und dann das abzuschaffen, was ineffizient ist, und das beizubehalten und auszubauen, was sich als erfolgreich erwiesen hat, mit großer Aufmerksamkeit gehört. Wenn man diesen Zwischenbericht als das ansähe, was er wirklich ist, nämlich als ein Dokument, das das Scheitern dieser Arbeitsmarktreformen belegt, dann wäre es notwendig und richtig, den Minister heute dazu aufzufordern, seinen Worten Taten folgen zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir erwarten von Ihnen als großer Koalition, dass aus den Erkenntnissen in diesem Bericht zügig Konsequenzen gezogen werden. Die grundsätzliche Konsequenz muss sein, die Förderung der Arbeitslosen zu stärken statt die Arbeitslosen mit allerlei nutzlosen Forderungen weiter zu schikanieren.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich will mich ausdrücklich bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an diesem Bericht mitgewirkt haben, bedanken, weil sie ein für meine Begriffe wirklich wichtiges, wenn auch nur ein vorläufiges Dokument zustande gebracht haben, das wie ein Offenbarungseid des so genannten Herzstückes der Agenda 2010, wie ich es bereits in meinen Einleitungsworten genannt habe, ist.

   Wir erwarten, dass die Koalition zur Kenntnis nimmt, dass die ausgewiesene Zunahme geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse keine Erfolgsgeschichte ist. Im Bericht wird zu Recht die Zunahme so genannter reformierter Beschäftigungsverhältnisse, der Mini- und Midijobs, gelobt. Verschwiegen wird aber, dass diese Zunahme mit dem Verlust regulärer, versicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse erkauft wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich will auf Folgendes hinweisen: Die neuesten Zahlen der Bundesknappschaft für das zweite Halbjahr 2005 belegen, dass auch die Anzahl der Mini- und Midijobs, also der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, drastisch zurückgeht, laut diesen Zahlen um knapp 700 000. Diese Zahl ist beim besten Willen kein Beleg dafür, dass man die Entwicklung in diesem Bereich als Erfolg verkünden könnte, wie Herr Andres in seiner Einleitungsrede versucht hat, es uns glaubhaft zu machen. Herr Andres, ich unterstelle Ihnen einmal, dass Sie im Moment mit sehr viel Arbeit eingedeckt sind, was dazu geführt hat, dass Sie diesen Bericht nicht allzu aufmerksam lesen konnten. Jedenfalls hatte Ihre Art der Zusammenfassung aus meiner Sicht relativ wenig mit dem Inhalt des Berichtes zu tun.

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Das ist wohl wahr!)

   Der Bericht der Bundesregierung sagt aber noch etwas viel Bedeutenderes aus. Er sagt aus, dass Arbeitsmarktpolitik nur dafür gut ist, den Ausgleich zwischen Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot zu verbessern. Sie ist nicht dafür geschaffen, die Nachfrage nach Arbeit zu erhöhen. Insofern ist weiterhin Herzstück unserer Position, dass wir ein solides Beschäftigungsprogramm brauchen, ein solides Zukunftsinvestitionsprogramm mit deutlich anderen Größenordnungen, als sie bisher vorgelegt wurden. Für einen nachhaltigen Beschäftigungsaufbau brauchen wir ordentlich Wasser auf die Mühlen, und zwar deutlich mehr als 6 Milliarden Euro jährlich, wie es in Ihrer Planung vorgesehen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

   Das ist aus unserer Sicht die Quintessenz dieses Berichtes. Sie haben jetzt schwarz auf weiß, dass ein grundlegender Wechsel Ihrer Politik hin zu mehr Beschäftigung und zur Förderung von Arbeitslosen und keine weiteren Schikanen geboten sind.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist dies der erste Auftritt in Zeiten der großen Koalition, und zwar zu einem, wie ich glaube, nicht ganz einfachen Thema, weil wir dazu bisher sehr unterschiedliche Auffassungen hatten. Meiner Meinung nach kann man an dieser Debatte den Übergang von Rot-Grün zur großen Koalition erkennen. Denn nun müssen wir gemeinsam überlegen, was wir an der bisherigen Arbeitsmarktpolitik, die wir sehr kritisch beurteilen, ändern können, um sie in eine gute Zukunft zu führen.

   Da ich im Jahr 2002, als vieles von dem entstanden ist, was im vorliegenden Bericht behandelt wird, dabei war, will ich an die Situation erinnern: Im Job-AQTIV-Gesetz wurden von Rot-Grün die Grundsätze vom Fördern und Fordern in den Vordergrund gerückt. Es kam zur Vermittlungskrise bei der Bundesagentur. Daraufhin war bei Rot-Grün eine hektische Aktivität zu erkennen. Durch ein relativ schnelles Verfahren wurde die Einführung von Vermittlungsgutscheinen ermöglicht. Aus heutiger Sicht kann man sagen: Dass das nicht funktioniert hat, war eine logische Konsequenz dieser Hektik. Wir haben damals den Umbau der Arbeitsverwaltung eingeleitet - hier sind wir auf einem guten Weg - und den Beschluss gefasst, eine Kommission einzusetzen, die die Ergebnisse ihrer Beratungen am 16. August 2002 präsentierte.

   Um den Koalitionsfrieden nicht zu gefährden, werde ich nicht an all die Versprechen erinnern, die Peter Hartz damals, am 16. August 2002, gegeben hat. Sein Hauptversprechen lautete:

Ziel des Masterplans ist es, die Zahl der Arbeitslosen in drei Jahren um 2 Millionen zu reduzieren.

Ich glaube, ich störe den Koalitionsfrieden nicht, wenn ich feststelle: Ein so großer Masterplan ist das offensichtlich nicht gewesen. Die Hauptbotschaft, die sich aus dieser Feststellung für die große Koalition ergibt, lautet: Wir müssen den gescheiterten Masterplan von Hartz in eine erfolgreiche Politik kleiner Schritte am Arbeitsmarkt umwandeln.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist ja wieder die gleiche Leier! - Dirk Niebel (FDP): Das sind doch höchstens erfolgreiche Trippelschritte!)

Das ist das Interesse, das wir als große Koalition verfolgen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wenn man mit kleinen Schritten im Kreis läuft, kommt man aber auch nicht voran!)

Es ist wichtig, dass wir in kleinen Schritten vorgehen, statt, wie es bisher der Fall war, in Hektik zu verfallen.

(Dirk Niebel (FDP): Auch das noch!)

- Hier unterscheiden wir uns vielleicht von Ihnen, Herr Niebel. Sie wissen ja immer ganz genau, wie die Welt funktioniert.

   Ich finde, wir sollten uns ruhig Zeit nehmen und mit der nötigen Sorgfalt und Ehrlichkeit vorgehen. Wir brauchen Zeit,

(Dirk Niebel (FDP): Da ist sie wieder, die ruhige Hand!)

dürfen aber nicht - da haben Sie Recht - in eine Politik der ruhigen Hand verfallen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt!)

   Ich möchte nun auch den Abgeordneten der SPD die Möglichkeit geben, Beifall zu klatschen, und das aufgreifen, was Karl-Josef Laumann zwei Jahre nach der Arbeit der Hartz-Kommission im Französischen Dom gesagt hat - dem können wahrscheinlich auch Sie von der FDP an vielen Stellen zustimmen -: Zu einer seriösen Bewertung der vier Hartz-Gesetze gehört natürlich auch, zu sagen, dass sich dadurch in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren - jetzt sind es bereits drei Jahre - etwas bewegt hat.

(Dirk Niebel (FDP): Wie bitte? Wir haben immer noch 5 Millionen Arbeitslose!)

Wir haben erste strukturelle Reformen, zum Beispiel die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und Veränderungen bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, vorgenommen

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Oh ja!)

und für die Stärkung des Unternehmergedankens gesorgt.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Oh!)

- Ja, natürlich. Das ist ein Ergebnis der Einführung der Ich-AG, das ich positiv finde; ansonsten ist dieses Instrument sicherlich sehr kritisch zu sehen. -

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Na ja! Ob das nachhaltige Gründungen sind, müssen wir erst einmal abwarten!)

Wir haben mit dem Umbau der Bundesanstalt begonnen und insbesondere bei den Mini- und Midijobs durchaus Erfolge erzielt.

   Nun führen wir eine Diskussion über die Bewertung all dieser Maßnahmen und müssen zu tragfähigen Ergebnissen kommen. Wir befinden uns mitten in diesem Prozess. Wir haben bereits erste Schritte auf den Weg gebracht und die Befristung einiger Maßnahmen verlängert; manches ist schon am 1. Januar 2006 Gesetz geworden. Befristungen waren vor allem bei der Förderung der Weiterbildung älterer Arbeitnehmer, der Beauftragung von Trägern mit Eingliederungsmaßnahmen - das wird im vorliegenden Bericht übrigens positiv bewertet - und der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer zu beachten. Durch diese Maßnahmen unterstützen wir vor allen Dingen diejenigen, die am ersten Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben. Das bedeutet nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Vielmehr wollen wir Luft gewinnen, um eine ehrliche Diskussion führen zu können.

   Zurzeit befinden wir uns in einem zweiten Gesetzgebungsverfahren, das nächste Woche zum Abschluss gebracht werden wird. Dabei geht es um das Arbeitslosengeld II; das hat nicht direkt mit dem vorliegenden Bericht zu tun, aber schon mit dieser Problematik. Wir werden das Ostniveau an das Westniveau anpassen und weitere Korrekturen vornehmen, was den Erstbezug von Wohnungen bei unter 25-Jährigen angeht und was die Frage betrifft, inwieweit 25-Jährige zu den Bedarfsgemeinschaften gehören.

   Lassen Sie mich uns alle auffordern, die heutige Debatte über den Zwischenbericht als Einstieg in eine offene und ehrliche, in eine gründliche und gewissenhafte Analyse zu nehmen. Lassen Sie uns möglichst gemeinschaftlich Konsequenzen ziehen, was die Einzelmaßnahmen angeht. Ein Weniger an Maßnahmen ist für die Betroffenen möglicherweise ein Mehr. Wir müssen die Maßnahmen stärker bündeln; das hat auch der Arbeitsminister erkannt.

   Die PSA, die Personal-Service-Agentur, ist durch das, was wir beschlossen haben, bereits seit dem 1. Januar 2006 praktisch abgeschafft; denn es besteht nicht mehr der Zwang für jedes Arbeitsamt, jeden Arbeitsamtsbezirk, eine Personal-Service-Agentur einzurichten. Dies ist, wie man nachlesen kann, nicht erfolgreich gewesen. Die Vermittlung dieser Arbeitslosen muss die gewerbliche Zeitarbeit übernehmen, eine Branche, die immer Hilfestellung geleistet hat.

   Ich nenne ein weiteres Stichwort, die Minijobs, bei denen es eine rasante Entwicklung gegeben hat. Sie sind sicherlich keine Hilfe, um aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Es zeigt sich aber, dass es einen entsprechenden Bedarf gibt. Was kann man daraus lernen? Offensichtlich wird Arbeit insbesondere dann interessant, wenn sie nicht zu stark mit Steuern und Abgaben belastet ist. Das heißt, wir müssen den Blick auf die Midijobs richten und dringend zu einer Entlastung kommen. Deswegen haben wir miteinander beschlossen, zum 1. Januar des nächsten Jahres den Arbeitslosenversicherungsbeitrag um 2 Prozentpunkte zu senken.

   Zum Abschluss möchte ich etwas sagen, was in dieser Diskussion bisher niemand gesagt hat, was aus meiner Sicht aber sehr wichtig ist: Wir müssen immer im Blick behalten, dass die Politik, auch die Arbeitsmarktpolitik, keine Arbeitsplätze schaffen kann.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist richtig!)

Wir können nur Hilfestellung leisten, damit die Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt kommen. Was wir dringend brauchen, ist eine parallele Politik, die die Wirtschaft voranbringt und die Unternehmen in die Lage versetzt, Arbeitsplätze zu schaffen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Fehlanzeige!)

Dazu werden wir als Koalition unseren Beitrag leisten. Wir sind auf einem guten Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das war nach der niebelschen Rede die beste! Wohlgemerkt: nach der niebelschen Rede!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Das Wort hat nun der Kollege Klaus Brandner, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Klaus Brandner (SPD):

Verehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Evaluation der arbeitsmarktpolitischen Gesetzgebung bietet die Gelegenheit zum Rückblick auf Zielsetzung und Zielerreichung.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Da wird man auch an seine Versprechen erinnert!)

Ich habe heute gehört, dass das eine oder andere Instrument nicht so gewirkt hat. Das ist schnell gesagt, Herr Kolb.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das kann man nicht oft genug sagen!)

Aber ich glaube, gerade in der Arbeitsmarktpolitik brauchen wir weniger Schlaumeier und mehr Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Ganz neue Töne!)

Mit der Kritik an einzelnen Instrumenten ist es nicht getan. Die Arbeitsmarktreformen sind nämlich mehr als die Einführung einzelner Instrumente.

   Wir haben heute Morgen Standardreden gehört, angefangen mit der von Herrn Niebel,

(Dirk Niebel (FDP): Nein, nein! Ich habe da sehr viel variiert!)

die wir zum 23. Mal, vielleicht auch schon öfter, gehört haben. Natürlich kann man eine solche Rede auswendig lernen; auch das ist natürlich eine Leistung, Herr Niebel. Das will ich gar nicht bestreiten.

(Dirk Niebel (FDP): Ich kann gar nicht auswendig lernen! Dafür bin ich völlig ungeeignet!)

Aber ich finde es beschämend, wie Sie über die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesprochen haben - das kann man so nicht hinnehmen -

(Beifall bei der SPD - Dirk Niebel (FDP): Wer mobbt sie denn weg? Sie wird doch vom DGB weggemobbt, nicht von mir!)

und dass Sie den Personalrat, der von der Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit gewählt worden ist, um ihre Interessen wahrzunehmen, als Blockierer und Verhinderer hingestellt haben.

(Beifall bei der SPD - Dirk Niebel (FDP): Das steht im Bericht Ihrer alten Bundesregierung!)

Ausgerechnet ihn haben Sie als Übeltäter dafür ausgemacht, dass die Reformen nicht wirken.

(Dirk Niebel (FDP): Herr Andres hat es gesagt!)

Das spiegelt Ihr demokratisches Verständnis wider: Weg mit den Arbeitnehmerrechten, zurück zum Herrschaftsrecht! Das ist Ihr Stil; das muss hier ganz offen gesagt werden.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Da haben Sie aber auch in eine Schublade gegriffen! - Dirk Niebel (FDP): Immer die alte Leier!)

   Die heutige Debatte ist sehr spannend. Kollegin Dückert hat davon gesprochen, dass man nicht auf den Abschlussbericht warten darf.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ja!)

Nun haben wir gemeinsam sehr engagiert und, wie ich glaube, auch sehr erfolgreich die Gesetzgebung auf den Weg gebracht. Dabei hat sie gemerkt, dass wir gar keine Lame Ducks sind, sondern diesen Evaluationsbericht auf den Weg gebracht haben.

   Herr Müller, mir war ganz neu, dass die CDU damals schon mit im Boot war. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir von Rot-Grün den Antrag gestellt haben. Wir hatten den Mut, sicherzustellen, dass diese umfangreiche Reform wissenschaftlich begleitet wird, die Ergebnisse öffentlich präsentiert werden und dann auch die Konsequenzen gezogen werden.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Insofern will ich hier ganz klar sagen: Im Kern setzen wir die Arbeitsmarktpolitik, die Rot-Grün mit der Agenda 2010 begonnen hat, mit Schwarz-Rot fort.

   Dabei haben wir einen großen strategischen Vorteil, nämlich dass die Blockadepolitik, die die wirksame Umsetzung beschäftigungspolitischer Facetten verhinderte, jetzt endlich beendet ist.

(Dirk Niebel (FDP), zur CDU/CSU gewandt: Das geht an euch! Ist das im Koalitionsausschuss vereinbart?)

Wir haben die Chance, zum Beispiel die Gebäudesanierungsprogramme, die Programme für die Handwerker, die beschäftigungspolitischen Initiativen zur Verbesserung der Infrastruktur, aber auch die Maßnahmen zur Ganztagsbetreuung umzusetzen. Zur Umsetzung dieser strukturellen politischen Maßnahmen hatten wir in der Vergangenheit wegen der Blockade im Bundesrat wenig Gelegenheit.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Placebos! Da wird nicht viel kommen!)

Das ist ein strategischer Vorteil für die Menschen in diesem Lande. Sie haben das gemerkt. Deshalb stehen sie zur großen Koalition.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Doch eher zur Union als zur SPD, wenn ich die Umfragen richtig interpretiere!)

   Am Ende werden wir natürlich auch über einzelne Maßnahmen streiten. Aber ich setze darauf, dass die Kraft der Argumente siegt. Die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Kompromiss sind die Voraussetzungen für ein gedeihliches Zusammenwirken. Das habe ich bisher erlebt. Ich baue darauf, dass wir genau diesen Weg auch mit dem Kollegen Brauksiepe und anderen, die in der arbeitsmarktpolitischen Debatte Verantwortung übernehmen, fortsetzen werden.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sie sprechen zu viel von „fortsetzen“!)

   Herr Meckelburg hat sehr offen darüber gesprochen, dass er aus Gründen des Koalitionsfriedens an das eine oder andere in der Vergangenheit nicht unbedingt erinnern mag. Aber darüber können wir sprechen, sogar offensiv.

(Dirk Niebel (FDP): Der Juniorpartner bietet Gespräche an!)

Die Präsentation von Herrn Hartz hat große Erwartungen bezüglich der Arbeitsmarktpolitik in diesem Land geweckt, die so nicht erfüllt werden konnten und die sich die SPD-Bundestagsfraktion auch in der Vergangenheit nicht zu Eigen gemacht hat. Aber dass wir einen Aufbruch, eine Veränderung brauchen, hat doch nie in Zweifel gestanden.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ihr habt ihn nur nicht hingekriegt!)

   Wenn wir über die Vergangenheit reden - Herr Kolb, da wäre ich nicht so vollmundig -, dann werden wir natürlich auch über die AB-Maßnahmen reden müssen, von denen Sie - Sie sind ja lange genug dabei gewesen - Hunderttausende organisiert haben, um die Arbeitsmarktstatistik zu schönen. Wir haben am Ende gemeinsam daraus gelernt. Wir haben auch aus den Erfahrungen mit dem Vorruhestand gelernt, den nicht die SPD eingeführt hat, sondern den Sie mit Ihrem alten Koalitionspartner gemacht haben.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dann ist ja alles in Ordnung! Das ist ja Klasse!)

Wir haben daraus gelernt, dass nicht wirksame arbeitsmarktpolitische Instrumente nicht fortgeführt werden können. Dazu hat Rot-Grün die Kraft gehabt. Das müssen Sie sich ins Stammbuch schreiben lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Nein, nein!)

- Natürlich ist es so.

   Deshalb will ich hier ganz deutlich sagen: Die Stigmatisierung muss beendet werden. Wir haben sie beendet. Das ist gut für die Menschen in diesem Land. Wir werden jetzt darangehen, die weitreichendsten Reformen am Arbeitsmarkt, die wir mit dem Ziel einer schnelleren, passgenauen Vermittlung und der Schaffung neuer Beschäftigungspotenziale, aber auch der Neustrukturierung der Bundesagentur für Arbeit und der Förderinstrumente angegangen sind, systematisch fortzusetzen.

   Wir, die Sozialdemokraten, sind stolz, dass wir die Kraft gehabt haben, dieses große Reformpaket voranzubringen. Alle wissenschaftlichen Institute im wirtschaftspolitischen Bereich - national und international - bestätigen, dass wir mit diesen Reformprojekten richtig liegen. Sie haben erkannt, dass wir Arbeitslosigkeit nicht weiter verwalten wollen, sondern mehr Chancen für arbeitslose Menschen brauchen. Daran müssen wir zielgerichtet arbeiten.

   Wir lassen uns den Erfolg nicht durch Kritik der Opposition am Tempo der Umsetzung nehmen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Aber 5 Millionen sind 5 Millionen! - Dirk Niebel (FDP): Ich sehe den Erfolg nicht wirklich! Welche Perspektive geben Sie den Menschen?)

Wir haben bisher weder von der rechten noch von der linken Seite Schritte erleben können, die dazu beigetragen hätten, dass es mehr Beschäftigung in diesem Land gibt.

Die Hartz-Gesetze haben die Strukturen der Vermittlung verändert. Sie haben neue Förderinstrumente entstehen lassen und ein völlig neues Denken in die Arbeitsmarktpolitik gebracht. Arbeitslose sind Kunden, um die man sich kümmert, die man betreut, und nicht Nummern, die man einfach nur versorgt. Das ist eine ganz wesentliche inhaltliche Änderung. Hier sind wir auf einem guten Weg. Ich finde, eine Missachtung der Leistung der Beschäftigten der Bundesagentur, die diese Prozesse und Maßnahmen so offensiv vorangetrieben haben, ist nicht hinzunehmen. Man kann ihnen nicht genügend dafür danken, dass sie es geschafft haben, wesentliche Veränderungen auf den Weg zu bringen. Innerhalb eines Umbauprozesses werden die Bearbeitungsprozesse bezüglich der Langzeitarbeitslosigkeit im SGB II und der Arbeitslosigkeit im SGB III durch Strukturreformen angegangen. Dabei sind wir ja erst am Anfang dieses Weges. Dafür brauchen wir die Motivation dieser Menschen und wir können ihnen an dieser Stelle ganz herzlich dafür danken, was sie auf diesem Gebiet bisher schon geleistet haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Dirk Niebel (FDP))

   Der Grundsatz Fördern und Fordern ist das Leitmotiv unserer modernen Arbeitsmarktpolitik geworden: Fordern durch klare Regeln der Zumutbarkeit und Fördern durch einen Strauß von angepassten Instrumenten für einzelne Zielgruppen. Die schnelle und passgenaue Vermittlung steht dabei im Vordergrund. Ich will es ganz deutlich sagen: Bei uns steht das Fördern vornan. Dem Fordern geht das Fördern voraus. Ich will ganz deutlich sagen, dass wir dabei auf einem guten Weg sind.

   Wir wissen, dass noch nicht überall die erforderliche Anzahl an Menschen vorhanden ist, die diesen Prozess gestalten müssen. Wir wissen auch, dass die erforderliche Qualifikation bei einzelnen Vermittlerinnen und Vermittlern noch nicht gegeben ist. Wir sehen aber doch die systematischen Maßnahmen sowohl bezüglich der Anzahl derjenigen, die sich dieser Arbeit widmen, als auch bezüglich des Qualitätsaufbaus bei denjenigen, die die Menschen sachkundig beraten. Das müssen wir unterstützen und positiv herausstellen. Es geht nicht um „Wünsch dir was“, es geht darum, das Machbare zügig voranzubringen. Das heißt überhaupt nicht, dass wir die Hand in den Schoß legen, sondern das ist ein Zeichen der Akzeptanz, dass Reformen Zeit und Kontinuität brauchen. Dem stellen wir uns.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Ich habe deutlich gemacht, dass die Reformen am Arbeitsmarkt in den Prozess der Agenda 2010 zur Modernisierung unseres Landes eingebunden sind. Sie sind mit Strukturreformen verbunden, bei denen Innovation und soziale Balance Kernelemente des Reformprozesses sind. Um es ganz deutlich zu sagen: Arbeitsmarktreformen, die nicht in beschäftigungspolitische Reformen eingebunden sind, können ihre Wirkungen nicht entfalten.

   Genau das ist die Erkenntnis, die beide großen Koalitionspartner im Kern gewonnen haben. Wir wissen, dass man die Strukturkrisen am Arbeitsmarkt nicht dadurch beseitigt, dass man nur neue Instrumente organisiert, sondern dadurch, dass man den gesamten Rahmen organisiert. Diesem Ziel sind wir gemeinsam verpflichtet. Ich denke, das ist auch die gemeinsame Leitbasis, von der aus wir unsere Politik für die Zukunft gestalten werden.

   Insofern darf ich Ihnen sagen: Die Arbeitsmarktreformen sind in gesamtwirtschaftliche Reformen eingebettet. Durch sie allein können wir keine arbeitsmarktpolitischen Erfolge erzielen. Dies wird nur gelingen, wenn wir auch in der Wirtschafts-, Finanz- und Innovationspolitik Erfolge erreichen. Deshalb kann ich nur dazu aufrufen, dass wir den gesamten Reformprozess in diesen Bereichen nutzen. Die Chancen dazu haben sich in der großen Koalition verbessert.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das war jetzt aber viel heiße Luft! - Dirk Niebel (FDP): Das war gar nichts Neues! Die Rede hatten wir schon!)

   Ich darf sie alle um konstruktive Mitarbeit bitten; denn nur dann helfen wir den arbeitslosen Menschen in diesem Lande.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist das Pfeifen im Walde!)

Wir helfen ihnen nicht dadurch, dass wir das Schlechtreden der Vergangenheit fortsetzen. Dadurch ist noch kein Arbeitsplatz entstanden. All diejenigen, die jetzt versuchen, irgendwo ein Härchen in der Suppe zu finden, sollten sich merken: Das hilft dem Land und den Menschen nicht weiter.

(Dirk Niebel (FDP): Das ist Ihr Evaluierungsbericht!)

Ich fordere Sie zur Zusammenarbeit auf.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile dem Kollegen Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Durch das Gutachten werden ja nicht nur kleine Härchen zutage gefördert,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Da liegt ein ganzes Toupet in der Suppe!)

sondern an der einen oder anderen Stelle wird ein kleines Büschelchen daraus. Ich glaube aber, dass man hier die Schadenfreude beiseite packen und wirklich nach vorne schauen sollte.

Das, was man im arbeitsmarktpolitischen Bereich tut, sollte man auch mit Blick darauf betrachten, wie das am Beispiel der Ich-AGs auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen gerade im Osten Deutschlands wirkt. Dort sind die Wurzeln für sie nicht so tief wie in den alten Ländern. Kollegin Mast, Sie haben davon gesprochen, dass 80 Prozent der Existenzgründer noch immer selbstständig sind. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war der Starttermin für diese Art von Existenzgründungen der 1. Januar 2003. Das heißt, wir können erst jetzt prüfen, wie die Lage im Jahr 2006, vielleicht sogar im Jahr 2007 aussieht, insbesondere vor dem Hintergrund der Absenkung des Zuschusses um insgesamt 14 400 Euro, übrigens ohne monetäres Risiko.

   Schauen Sie sich einmal vor Ort um. Sie werden feststellen, dass die Situation im Osten ein Stück weit anders ist als im Westen, weil das Angebot an Arbeit und Aufträgen viel geringer als im Westen ist. Bei Ausschreibungen gehen viele folgendermaßen vor: So mancher Malermeister - ich sage Ihnen, dieser gehört auch dazu - fordert seine fünf Gesellen auf, Ich-AGs zu gründen. Diese müssen dann als Unternehmen einschließlich Subunternehmen sehen, wie sie an die Aufträge herankommen. Wir müssen uns fragen: Warum ist es im Jahre 2004 bei den Ich-AGs zu einem Einbruch gekommen? Der Grund ist, dass Coaching und ein Businessplan eingeführt worden sind. Jetzt einfach den Pflock einzuschlagen und die Zuschüsse zu den Ich-AGs weiterhin verpflichtend zu machen, kann nicht der richtige Ansatz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier muss man weiter schauen, und zwar nicht nur mit Blick auf die Arbeitsmarktstatistik. Diese mag zwar gut aussehen, aber die Frage ist: Wie wirkt sich das auf den wirtschaftlichen Bereich aus?

   Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, was wir Ihnen voraushaben, ist,

(Dirk Niebel (FDP): Dass Sie regieren!)

dass wir uns dieses Gutachten gründlich durchlesen und uns überlegen, wie man die bestehenden Instrumente neu ausrichten kann, besonders mit Blick auf den Mittelstand und die Wirtschaft, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Deswegen sollte man an dieser Stelle eine offene, ehrliche und ideologiefreie Debatte ohne Scheuklappen führen. Das sollte am heutigen Tage der Ansatz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP - Dirk Niebel (FDP): Genauso haben wir das gemacht!)

   Wir brauchen schon Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus. Deswegen müssen wir uns fragen: Warum ist das Überbrückungsgeld seit 20 Jahren relativ erfolgreich?

(Dirk Niebel (FDP): Weil wir es eingeführt haben! Sie gemeinsam mit uns!)

- Sehr geehrter Herr Kollege Niebel, ich habe in Erinnerung, dass 1986 der Bundesarbeitsminister Norbert Blüm hieß.

(Dirk Niebel (FDP): Mit wem hat er regiert?)

Weiterhin habe ich in Erinnerung - ich konnte das nur im Fernsehen erleben -, dass der Bundeskanzler Helmut Kohl hieß. Man sollte also so fair sein, festzustellen, dass dies von Union und FDP eingeführt worden ist.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Herzlich gerne.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Niebel hat immer viele Fragen und wenig Antworten!)

Dirk Niebel (FDP):

Vielen Dank, Herr Kollege. - Stimmen Sie mir demnach zu, dass 1986 Union und FDP gemeinsam regiert haben und dass von daher mein Zwischenruf „Weil wir es gemeinsam eingeführt haben!“ richtig ist?

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Ich antworte Ihnen folgendermaßen: Das Überbrückungsgeld ist ein gutes Instrument und wirkt bei Höherqualifizierten ganz offenkundig besser, die auf diese Weise mit einem relativ hohen Einkommen aus der Arbeitslosigkeit herauskommen. Die Ich-AG wirkt bei Geringqualifizierten gut, die mit einem nicht so hohen Überbrückungsgeld aus der Arbeitslosigkeit heraus eine Existenz gründen wollen.

(Beifall der Abg. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD))

   Wir müssen uns überlegen, wie wir mit diesen beiden Instrumenten verbunden - möglicherweise mit einer Darlehensförderung - einen gewissen Zeitraum überbrücken können. Existenzgründer, die das Überbrückungsgeld in Anspruch genommen haben, haben nach ein oder zwei Jahren finanzielle Probleme. Wir müssen eine längerfristige Förderung dieser Unternehmen mit einem monetären Risiko für den Existenzgründer einführen.

(Dirk Niebel (FDP): Haben wir denn jetzt 1986 regiert oder nicht?)

Da sind wir, Herr Kollege Niebel, gemeinsam auf dem richtigen Weg. Machen wir aus zwei interessanten Instrumenten ein richtig gutes Instrument. Dann kommen wir weiter voran.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ein Satz zu den Mini- und Midijobs. Diese Jobs sind nie als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt gedacht gewesen. Aber Menschen, die fünf oder zehn Jahre lang überhaupt keine Beschäftigung hatten und dann die Möglichkeit erhalten, einen Mini- und Midijob zu bekommen und damit in einem sozialen Umfeld beschäftigt zu sein, erwächst daraus die Chance, eine unbefristete Beschäftigung zu erhalten. Deswegen ist dieses Instrument gut und richtig.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Dann darf man doch die Beiträge nicht erhöhen!)

   Besonders interessant - ich glaube, das kann wohl nicht anders sein - sind die Vorschläge, die die Kollegin Kipping von der Linkspartei heute vorgetragen hat, wie wir in der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland vorankommen.

Frau Kollegin, ich habe noch nie erlebt, dass mehr Verwaltung - sprich: mehr Bürokratie; es war doch Ihr Vorschlag, mehr Personal in der Bundesagentur einzustellen - dazu geführt hat, dass irgendein Problem in Deutschland gelöst worden ist. Notwendig sind vielmehr Effizienzkontrolle bzw. Controlling und auch politische Kontrolle, statt einen Ansatz zugunsten von mehr Verwaltung in der Bundesagentur für Arbeit zu verfolgen.

   Es ist im Gegenteil noch viel mehr Druck auf dem Kessel notwendig, damit die Bundesagentur einschließlich der Argen noch viel effizienter arbeitet. Ich meine, dass nur dieser Weg nach vorne führt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Kipping?

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Ja, bitte.

Katja Kipping (DIE LINKE):

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich mich nicht für mehr Verwaltung, sondern für eine bessere personelle Ausstattung im Bereich der Vermittlung ausgesprochen habe?

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das läuft auf das Gleiche hinaus!)

Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die zugrunde liegende Analyse, dass sich die Relation zwischen Vermittler und Kunden nicht verbessert hat, auf den Bericht Ihrer Bundesregierung zurückgeht, den Ihre Bundesregierung im Kabinett verabschiedet hat?

(Beifall bei der LINKEN)

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Frau Kollegin, wenn Sie mehr Personal für eine Behörde fordern, dann bedeutet das auch mehr Verwaltung.

(Widerspruch bei der LINKEN)

- Ich glaube, dass jeder, der das Innenleben von Behörden ein bisschen kennt, weiß, worauf das letztendlich hinausläuft.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es!)

   Vielleicht haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass in der Bundesagentur und in den Argen bereits jetzt mehr Personal vorhanden ist als vor den Hartz-Reformen. Das heißt, es gibt im gesamten Bereich der Arbeitsverwaltung deutlich mehr Personal als zuvor. Die Argen, die allerdings auch für die Betreuung und Vermittlung der ALG-II-Empfänger mit zuständig sind, haben nämlich deutlich mehr Personal eingestellt. Mehr Personal kann aber nicht die Lösung der arbeitsmarktpolitischen Probleme in Deutschland sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Gerne.

Katja Kipping (DIE LINKE):

Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sich hiermit von dem ursprünglichen Ziel, die Relation zwischen Vermittler und Kunden zu verbessern, verabschiedet haben?

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Nein, ich bin fest davon überzeugt, dass die Relation zwischen Vermittlern und Kunden - sprich: ALG-II-Empfängern im Bereich der Bundesagentur - deutlich günstiger wird, wenn dort effizienter gearbeitet wird und mehr Controlling erfolgt.

(Katja Kipping (DIE LINKE): Das geht mathematisch nicht! Damit setzen Sie Adam Riese außer Kraft!)

- Aber natürlich geht das, Frau Kollegin. Wenn wir die Bundesagentur von der stetig zunehmenden Verwaltungsarbeit entlasten, wird mehr Zeit für die Vermittlung zur Verfügung stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Weg gegangen werden kann.

   Wir werden sicherlich auch noch eine Debatte über die Evaluierung von Hartz IV führen müssen, um zu klären, inwieweit die Argen oder die 69 optierenden Kommunen im Bereich von Hartz IV effektiver sind.

   Lassen Sie mich zum Schluss einen letzten Teilbereich ansprechen: die Weiterbildung. Herr Staatssekretär, hier wird ein Zeugnis ausgestellt, demzufolge gerade längerfristige Maßnahmen durchaus zum Erfolg führen können. Nach meiner festen Überzeugung muss gerade in den neuen Ländern gemeinsam mit den IHKs dafür gesorgt werden, sektoral ausgerichtete Weiterbildungsmaßnahmen voranzubringen, die die Motivation erhöhen, wieder in reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu kommen.

   Erlauben Sie mir eine abschließende Bemerkung: Arbeitsmarktpolitik kann Beschäftigung fördern. Die entscheidende Komponente wird sein, dass wir mit vielfältigen Maßnahmen dafür sorgen, dass die Wirtschaftspolitik in Deutschland mehr Beschäftigung schafft. Ich bin fest davon überzeugt, dass weder Hektik noch Aktionismus gefragt sind. Notwendig ist vielmehr ein gewisses Maß Ruhe; wir sollten uns die nötige Zeit lassen.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Herr Kollege Rehberg, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Ich gratuliere Ihnen dazu sehr herzlich, verbunden mit den besten Wünschen.

(Beifall)

   Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/505 und 16/547 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:

4. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Unternehmen statt Unterlassen - Vorfahrt für den Mittelstand

- Drucksache 16/562 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Zeil, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

ERP-Vermögen ungeschmälert für Mittelstandsförderung erhalten

- Drucksache 16/382 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Ilse Aigner, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Christian Lange (Backnang), Ludwig Stiegler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Neue Impulse für den Mittelstand

- Drucksache 16/557 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Josef Fell, Matthias Berninger, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

ERP-Sondervermögen in seiner Vermögenssubstanz erhalten

- Drucksache 16/548 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Rainer Brüderle (FDP):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schwarz-Rot hofft auf den Aufschwung. Wirtschaftsminister Glos hofft auf den Erfolg von Jürgen Klinsmann, damit die Wachstumszahlen besser werden. Vielleicht ist das auch Kernstück der Glosonomics, der neuen wirtschaftspolitischen Wunderwaffe aus dem Bayerischen Wald. Wir alle hoffen auf besseres Wetter. Mit dem Prinzip Hoffnung kann man ein Nonnenkloster führen und leiten, nicht aber die Wirtschaftsnation Deutschland.

(Beifall bei der FDP)

Ich finde, es ist bezeichnend, dass kein einziger Minister an der heutigen Mittelstandsdebatte teilnimmt. Auch der Wirtschaftsminister ist nicht anwesend, genauso wenig wie sein Vertreter. Das zeigt, mit welchem Interesse sich diese Regierung dem Mittelstand widmet. Ich halte das für keinen guten Stil im Parlament.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung das Motto „Mehr Freiheit wagen“ ausgegeben. Richtig, mehr Freiheit für den deutschen Mittelstand, damit er mit seiner Tüchtigkeit und seinem Engagement für mehr Erfolg sorgen kann und wir vorankommen! „Unternehmen statt unterlassen“ rufen wir den Unternehmern zu. Das muss aber auch für die Politik gelten. Schwarz-Rot sind aber die Unterlassungssünder der Nation. Sie unterlassen es nämlich, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu verbessern.

(Beifall bei der FDP)

   Die Bundeskanzlerin flüchtet in die Außenpolitik. Angie goes outside. UNO statt deutscher Mittelstand! Unsere politische Eisprinzessin für die Olympiade in Turin absolviert draußen ihre Kür, vergisst aber, zu Hause ihre Pflichten zu erfüllen. Die angekündigten kleinen Schritte sind nichts anderes als Flickschusterei: Rente mit 67 - aber nicht für Dachdecker und Krankenschwestern! - und eine Dienstleistungsrichtlinie ohne Herkunftslandsprinzip; Monopoly als Leitbild der Wettbewerbspolitik - das ist die Realität; denn das Briefmonopol besteht weiter - und monopolartige Strukturen auf dem Gasmarkt, ein Erbe noch der alten Regierung. Nichts ändert sich. Die Telekom bekommt ein Sondergesetz. So wird ein wettbewerbsfreier Raum erhalten. Das ist keine Strategie zugunsten des Mittelstands.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   An die Adresse unserer christdemokratischen Freunde in der Regierung sage ich: Sie haben offensichtlich nichts aus dem rot-grünen Konkurs gelernt. Hände weg vom Kartellrecht und vom Bundeskartellamt! Die Ersten faseln schon davon, wir müssten das Wettbewerbsrecht reduzieren, um Großfusionen zuzulassen. Dieser industriepolitische Ansatz ist Steinzeitwirtschaftspolitik. Den Wettbewerb stärken und den kleinen und mittleren Unternehmen eine Chance geben, das ist der Erfolgskurs für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Diesen Weg müssen wir gehen.

(Beifall bei der FDP)

   Geben Sie dem Mittelstand doch mehr Freiheiten! Es gibt allein 160 Schwellenwerte, die Mittelständler beachten müssen. Ein Beispiel ist die Einrichtung getrennter Toiletten für Männer und Frauen in Betrieben mit mehr als fünf Mitarbeitern. Ich darf Ihnen verraten: Wir haben zu Hause keine getrennten Toiletten. Trotzdem sind meine Frau und ich noch immer gesund. Aber dem Mittelstand wird die Beachtung von 160 Schwellenwerten verordnet. Das soll dann ein Beitrag zum Abbau von Bürokratie sein.

   Beim Kündigungsschutz sollte man kleinen Betrieben die Chance geben, mehr Beschäftigte einzustellen, und ihnen die Angst nehmen, sich von neu eingestellten Mitarbeitern nicht mehr trennen zu können, wenn einmal die Aufträge wegbleiben. Das haben die Wirtschaftspolitiker der Union mit bebender Stimme ständig gefordert. Aber tatsächlich gibt es keine Veränderungen, sondern nur Kosmetik. In diesem Jahr müssen dreizehnmal Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden. Die Folge für die Wirtschaft ist ein 20-Milliarden-Euro-Liquiditätsentzug. Aber die Mittelständler der Union schweigen dazu. Wahrscheinlich schämen sie sich dafür, dass der deutsche Mittelstand so einseitig und hart belastet wird.

(Beifall bei der FDP)

   Angesichts dessen hilft es nichts, ein Minikonjunkturprogramm mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro über vier Jahre und einem Sammelsurium an Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Konjunkturprogramme haben noch nie funktioniert. Sie werden auch jetzt nichts bringen. Ihr Programm ist nichts anderes als ein Placebo, als weiße Salbe.

Man soll nicht merken, wie Sie ab 2007 durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer gewaltig abkassieren wollen. Man hofft, dass man mit der Mehrwertsteuerkeule, also der Erhöhung um 3 Prozentpunkte im Jahr 2007, so viel Nachfrage in diesem Jahr erzeugt, dass man die harten Eingriffe im nächsten Jahr ohne Einbruch in der Wirtschaft überstehen kann. Genau das ist aber eine Politik gegen den deutschen Mittelstand.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist es!)

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte ist ein Schwarzarbeiterförderprogramm. Das führt genau in die falsche Richtung. Das führt zu noch mehr Schattenwirtschaft in Deutschland, aber nicht zu mehr Arbeitsplätzen. Die Konzeption Ihrer Politik ist falsch. Deshalb haben wir den Mittelstand zum Thema gemacht. Der Antrag, den die schwarz-roten Kartellbrüder zusammengeschrieben haben, zeigt doch, wie notwendig diese Debatte ist. Sie haben den Mittelstand vergessen. Im Zuge der Sozialdemokratisierung der Unionsparteien haben Sie den deutschen Mittelstand aus den Augen verloren.

(Beifall bei der FDP)

   Selbst der Wirtschaftsminister räumt ein, dass die Unternehmensteuerbelastung in Deutschland zu hoch ist. Er sagte von diesem Podium aus, dass wir mit über 37 Prozent deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen. Nur, Sie machen nichts. Ihr Konzept ist: Umbuchen, Erleichterungen streichen, aber keine Nettoentlastung.

   Arbeitsplätze entstehen ganz einfach: Sie müssen den Menschen Vertrauen und Geld geben. Sie müssen die steuerliche Belastung zurückführen, damit die Menschen in ein Geschäft, zu einem Handwerksbetrieb, zu einem Mittelständler, in eine Bäckerei oder Konditorei gehen und etwas kaufen. Wenn die Menschen, Herr Hinsken, am Tegernsee mehr Kuchen essen, dann können die Konditoreien jemanden einstellen. So entstehen Arbeitsplätze. Aber Sie machen es nicht.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Gehen Sie doch an den Tegernsee! Was machen Sie eigentlich hier?)

Sie machen eine andere Politik. Sie sind auf die Großkonzerne orientiert, wie es die SPD war. Wir werden in Deutschland von zwei sozialdemokratischen Parteien regiert, die dem Mittelstand keine Chance geben. Deshalb kriegen wir die grundlegende Wende in Deutschland nicht hin. Das ist die traurige Bilanz dieses Kartells von Schwarz und Rot.

(Beifall bei der FDP - Widerspruch bei der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich erteile dem Kollegen Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brüderle, ich habe zunächst gedacht, Ihr Antrag sollte als Unterstützung für unsere Bemühungen um den Mittelstand gedacht sein. Ich glaubte, Sie wollten uns zur Seite springen.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Seitensprung!)

Aber was Sie dann anschließend gemacht haben und was Sie auch im Antrag gemacht haben, ist zu wenig, insbesondere dann, wenn man das mit dem vergleicht, was in der Koalitionsvereinbarung steht. Wenn es einen Schwerpunkt in dieser Legislaturperiode in der Wirtschaftspolitik gibt, dann ist es eine Politik zur Stärkung des Mittelstandes in Deutschland, weil da die Arbeitsplätze entstehen. Darin sind wir uns einig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Wir sind uns auch darin einig - das wäre allerdings bei einer Koalition mit Ihnen nicht anders gewesen -, dass wir nicht alles rückgängig machen können, was in der letzten Legislaturperiode oder vorher beschlossen worden ist. Das betrifft etwa die Sozialversicherungsbeiträge. Da hätten Sie sich genauso schwer getan. Wir werden bei nächster Gelegenheit darüber sprechen und haben es auch schon gestern im Ausschuss getan. Das sollten wir in aller Ruhe abhandeln. Wir sollten das so einfach wie möglich regeln.

(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)

   Damit kommen wir zum Stichwort Bürokratie, das schon angesprochen worden ist.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Aber gerne doch.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Kollege Meyer, wenn es ein Schwerpunkt der neuen Bundesregierung ist, den Mittelstand zu fördern, können Sie sich als Parlamentarier dann erklären, wieso kein einziger Bundesminister während der Kernzeit der Sitzung des Deutschen Bundestages an dieser Debatte teilnimmt?

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Das kann ich Ihnen sagen, Herr Kollege Westerwelle. Das liegt daran, dass der Antrag, der hier vorliegt und der Grundlage dieser Plenardebatte ist, leider Gottes so schwach und fehlerhaft ist,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Lachen bei der FDP)

dass ich der Regierung nicht raten kann, sich mit diesem Thema in der Form zu beschäftigen, wie es die FDP versucht. Das muss ich in allem Ernst sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Christian Lange (Backnang) (SPD): Da hat er Recht!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Darf der Kollege Westerwelle noch eine Zusatzfrage stellen?

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Wenn das nicht auf meine Zeit angerechnet wird, dann gerne.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nein.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Sie wissen doch als langjähriger Parlamentarier, dass das nicht auf Ihre Zeit angerechnet wird. Deswegen freuen Sie sich auch.

   Herr Kollege Meyer, sind Sie denn der Überzeugung, dass Ihre weltbewegenden Ausführungen es nicht wert wären, auch von Bundesministern verfolgt zu werden?

(Heiterkeit bei der FDP)

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Ich bin fest davon überzeugt, dass Minister Glos Herrn Schauerte deshalb hergeschickt hat, damit er schnellstmöglich erfährt, was ich hier vortrage.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Westerwelle, im Übrigen gehen wir fest davon aus, dass die Protokolle dieser Sitzung in den Ministerien am nächsten Tag unverzüglich nachgelesen werden.

(Heiterkeit - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Noch in der Nacht mit einer Kerze!)

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Ich will noch einmal in aller Klarheit sagen: Die Koalitionsvereinbarung hat die Förderung des Mittelstands zum Schwerpunkt. Die Vorwürfe, die dem Wahlkampf geschuldet sind, können wir getrost beiseite lassen; denn in diesem Punkt, Herr Brüderle, gebe ich Ihnen völlig Recht: Mittelstand, also kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland, ist etwas völlig anderes als große Aktiengesellschaften. Der Unterschied zwischen großen Aktiengesellschaften und Mittelstand ist vielleicht größer als der zwischen Wirtschaft und Politik. Das muss man begreifen.

   Schauen Sie sich einmal an, was im Koalitionsvertrag zur Steuerpolitik steht: rasche Änderung der Abschreibungsbedingungen, damit es später zu mehr Investitionen kommt. Stichwort „Umsatzsteuer“: Verlängerung der derzeitigen Regelung der Istbesteuerung im Osten, Verdoppelung der Umsatzgrenzen im Westen, was ausschließlich den kleinen und mittleren Betrieben zugute kommt. Ich verweise auch auf das, was wir mit der Erbschaftsteuer vorhaben: Erleichterung des Übergangs, damit keine Arbeitsplätze abgebaut werden. Auch die Investitionszulage ist ein unbürokratisches Instrument, damit der Mittelstand im Osten gefördert wird.

   Sie behaupten in Ihrem Antrag, die Koalitionsvereinbarung bedeute eine Bestandsgarantie für die Gewerbesteuer. Das ist schlicht falsch. Ich bitte Sie, diese Vereinbarung doch wenigstens einmal zu lesen. Da heißt es, dass wir eine „wirtschaftskraftbezogene kommunale Unternehmensbesteuerung mit Hebesatzrecht“ wollen. Natürlich wollen wir sicherstellen, dass die Kommunen, was ihre Ausstattung und Ähnliches angeht, möglichst genauso gut dastehen wie heute. Dass das auch in der Koalitionsvereinbarung steht, ist richtig.

   Noch keine Koalitionsvereinbarung hat das Thema „Unternehmens- bzw. Mittelstandsfinanzierung“ in dieser Intensität behandelt: angefangen bei Basel II über Förderprogramme der KfW-Mittelstandsbank bis hin zu Beteiligungskapital und Risikokapitalfinanzierung. Sie behandelt also alles, was hier angesprochen wird.

   In diesen Zusammenhang gehört unser Bemühen um das ERP-Vermögen. Wir setzen damit im Grunde einen Prozess fort, der auf die CDU/CSU-FDP-Regierung zurückgeht. Die Wirtschaftspolitiker müssen dauerhaft darauf achten, dass dieses Vermögen für die Förderung des Mittelstandes in Deutschland zur Verfügung steht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Meyer, darf der Kollege Brüderle noch eine Zwischenfrage stellen?

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Bitte schön.

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Kollege Meyer, Ihr Zitat hat die Richtigkeit unserer Aussage belegt. Bei der Gewerbesteuer kommt lediglich hinzu, dass sie durch die Anrechnungstechnik einen viel zu großen bürokratischen Aufwand mit sich bringt. Der richtige Weg wäre - deshalb war unsere Vorhaltung durchaus richtig -, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Kein anderes europäisches Land hat diese Form der Besteuerung. Anders als bei der Mehrwertsteuer, wo ein Grenzausgleich erfolgt, diskriminiert sie einseitig deutsche Produktionsleistungen. Die einzig logische Konsequenz wäre deshalb, sie abzuschaffen. Das haben Sie eben nicht vereinbart. Deshalb war die Aussage der FDP-Fraktion richtig, dass ein grundlegend falsches System - der deutsche Weg ist singulär - abgeschafft werden muss.

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Ich sehe es nicht so wie Sie. Hier steht, dass sie ersetzt werden soll, natürlich unter der Bedingung einer gleichartigen Finanzierung. Das ist ein riesiges Vorhaben dieser Koalition. Darüber brauchen wir uns keine Illusionen zu machen.

   Der Kollege Milbradt - er ist einer der Sachkundigsten in diesem Bereich - hat mir erzählt, dass die Abschaffung der Gewerbesteuer 1929 zum ersten Mal verkündet worden ist. Seitdem beschäftigt man sich immer wieder damit, diese - aus meiner Sicht störende - Zusatzbelastung für die Unternehmen abzuschaffen. Wir haben uns vorgenommen, einen Weg zu finden, diese Steuer zu ersetzen. Dazu wird es allerdings nur kommen, wenn es uns gemeinsam - daran werden Sie sich hoffentlich beteiligen - gelingt, eine seriöse und verlässliche Möglichkeit zu finden, die Finanzierung der Kommunen sicherzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden morgen über Ausbildung sprechen. Wir wollen den Pakt für Ausbildung fortsetzen. Wir wissen, dass die Vielzahl der Lehrstellen im mittelständischen Bereich ist. Wir wollen in der Forschungs- und Entwicklungspolitik die Unternehmen stärker an die entsprechenden Möglichkeiten heranführen. „Zusammenarbeit mit den Universitäten und Fachhochschulen“, „Förderprogrammzugang“, „Forschungskooperationen“ sind die Stichworte, die in dem Zusammenhang auftauchen. Dass der Forschungsetat aufgestockt worden ist, hat auch etwas mit dem Mittelstand zu tun.

   Was Sie zur Bürokratie gesagt haben, die Sie in das Zentrum Ihrer Ausführungen gestellt haben, sehen wir ganz genauso. Was denken Sie eigentlich, Herr Brüderle, weshalb in dieser Regierung erstmalig die Bundeskanzlerin selbst die Zuständigkeit für dieses schwere Thema übernommen hat? Daran haben sich schon viele die Zähne ausgebissen. Sie können mir glauben, dass die Bundeskanzlerin weiß, welche Verantwortung sie damit übernommen hat. Das ist die größte Aufgabe. Wir können durch Bürokratieabbau ohne Kosten für Staat und Bevölkerung erreichen, dass die Unternehmen wesentliche Kosten einsparen. Deshalb ist das ein Weg, den wir unbedingt gehen wollen.

   Ganz wunderbar finde ich übrigens - Herr Schauerte, wenn Sie das dem Minister ausrichten würden! -,

(Lachen bei der FDP - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist ja brav! Ein braver Abgeordneter!)

dass schon der Titel „Mittelstandsentlastungsgesetz“ Klartext ist und man nicht wieder in eine Ausdrucksweise verfällt, die niemand versteht.

   Dass wir das Standardkostenmodell einführen - das haben wir uns vorgenommen -, ist ein großer Schritt nach vorn. Gleiches gilt für den unabhängigen Normenkontrollrat. Auch manches von dem, was Sie früher mit uns beschlossen haben, muss auf den Prüfstand. Es gilt, festzustellen, wie sich das, was an Statistiken zu führen ist usw., kostenmäßig in den Unternehmen auswirkt.

   Nun zu einem ganz wichtigen Punkt, der bisher noch gar nicht angesprochen worden ist. Ich setze große Hoffnung darauf, dass die Passage im Koalitionsvertrag, in der es heißt, dass strukturschwache Länder für eine bestimmte Zeit die Möglichkeit erhalten sollen, von Bundesgesetzen abzuweichen, umgesetzt wird und auf diese Weise ein Teil der Bürokratie geknackt wird. Ich will ganz offen sagen: Niemals hätte es in Westdeutschland das Wirtschaftswunder gegeben, wenn wir schon damals eine solche Bürokratie wie heute gehabt hätten. Dem Osten muten wir zu, unter den Bedingungen der heutigen Bürokratie den Anschluss zu finden. Wir wollen das knacken. Dieses große Vorhaben sollten Sie unterstützen, statt es zu kritisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Zu den Entbürokratisierungsbestrebungen gehört ein zweiter Punkt. Sie behaupten in Ihrem Antrag schlicht und einfach, dass wir den Kündigungsschutz unverändert lassen. Lesen Sie doch wenigstens einmal den Koalitionsvertrag!

(Rainer Brüderle (FDP): Kosmetik!)

Wir haben doch gerade gesagt: Wir wollen Neueinstellungen leichter möglich machen. Wir wollen, dass die Unternehmen leichter einstellen können und dass Menschen in Deutschland so einen Arbeitsplatz finden, wenn auch möglicherweise manchmal nur für eine begrenzte Zeit. Mit 55 Jahren für zwei Jahre einen Arbeitsplatz zu finden, ist besser, als nie mehr einen zu finden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP), zur SPD gewandt: Ein bisschen mehr klatschen, Genossen! - Gegenruf des Abg. Rainer Brüderle (FDP): Das steht im Koalitionsvertrag!)

- Herr Westerwelle, an der Reaktion gerade konnten Sie den Unterschied zu früher ganz genau sehen. Dass überhaupt geklatscht worden ist, ist der Unterschied zu früher; das hätte es früher nicht gegeben.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP - Rainer Brüderle (FDP): Die Umerziehung ist noch nicht abgeschlossen!)

   Zur Umwelt- und Energiepolitik. Das Ausrichten auf eine kostengünstige Energieversorgung ist als neues Ziel zu nennen. Da muss der Blick stärker auf den Mittelstand gerichtet werden. Wir müssen schauen, dass wir energieintensive Betriebe in Deutschland halten können und dass wir den Mittelstand mit den entsprechenden Arbeitsplätzen nicht weiter mit hohen Energiekosten belasten. Das geht bis hin zur Außenwirtschaftspolitik.

   Wenn Sie dieses umfängliche Programm betrachten - Herr Brüderle, ich will Ihnen gern eine schöne gebundene Ausgabe des Koalitionsvertrags zur Verfügung stellen -,

(Ute Kumpf (SPD): In Leder! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Mit Widmung von Laurenz Meyer!)

dann können Sie erkennen, welcher Schwerpunkt hier gerade für diese Legislaturperiode gesetzt worden ist.

   Ich betrachte jetzt im Nachhinein Ihren Antrag versöhnlich als Unterstützung für dieses große Vorhaben für die nächsten Jahre und hoffe, dass Sie daran ganz konkret mitarbeiten werden. Dann werden wir sicherlich zu guten Ergebnissen kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Der arme Meyer! Ein braver Soldat!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Sabine Zimmermann (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zuerst zu Herrn Brüderle: Herr Brüderle, wenn Sie den Mittelstand an der Anzahl der Toiletten festmachen wollen, dann ist das etwas sehr kurz gegriffen.

(Rainer Brüderle (FDP): Sie haben nicht zugehört, wie so oft!)

Ich denke, dass der Mittelstand doch etwas mehr ist.

   Die in dem Antrag der FDP „Vorfahrt für den Mittelstand“ enthaltenen Forderungen sind aus unserer Sicht wenig geeignet, vor allem die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, was ja eine zentrale politische Aufgabe ist, und die Lage des Mittelstandes zu verbessern. Man könnte diesen Antrag überschreiben mit „Alter Wein in neuen Schläuchen“. So würde ich das formulieren.

   Wir, die Linke, sind für eine gezielte Förderung von Mittel- und Kleinbetrieben, damit diese in die Lage versetzt werden, bestehende Arbeitsplätze zu sichern und vor allen Dingen neue zu schaffen. Aber dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn in der Wirtschaftspolitik der Grundsatz beachtet wird: Ohne verstärkte Nachfrage kein Wachstum und ohne stärkeres Wachstum keine neuen Arbeitsplätze.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb muss vor allem die Kaufkraft der Bevölkerung in diesem Land erhöht werden. Das geschieht überhaupt nicht, schon gar nicht mit Hartz IV.

   Niedriglohnstrategien, meine lieben Kollegen von der FDP, und die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen stehen diesem Ziel entgegen, ebenso die von der Bundesregierung geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer, die wir ebenfalls konsequent ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Nachfrage muss vor allem durch verstärkte öffentliche Investitionen erhöht werden; öffentliche Daseinsvorsorge und Dienstleistungen sind zu verbessern. Sehen Sie sich doch einmal den miserablen Zustand mancher öffentlicher Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser an! Deshalb sind wir entschieden gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge.

   Insgesamt sind die meisten Ihrer Forderungen für uns inakzeptabel, so die Heraufsetzung des Kündigungsschutzes von zehn auf 20 Beschäftigte. Nach einer Untersuchung des Nürnberger Instituts haben Veränderungen des gesetzlichen Kündigungsschutzes auf die Beschäftigung keinen messbaren positiven Effekt. Sie würden aber den sozialen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wesentlich verschlechtern.

   Meine Damen und Herren von der FDP, wir glauben eben nicht, dass die Probleme des Mittelstandes dadurch gelöst werden, dass man sie auf den Rücken der dort Beschäftigten abwälzt. Die jüngsten sozialen Unruhen in Frankreich zeigen, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, sich immer weiter in soziale Unsicherheit abschieben zu lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Auch die Forderung nach gesetzlichen Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse ist doch ein alter Hut, den Sie immer wieder herauskramen. Zum einen geht aus der Untersuchung hervor, dass die Zahl der Abschlüsse von betrieblichen Bündnissen für Arbeit Ende 2003 ein Rekordniveau erreicht hat. Zum anderen gibt es in zahlreichen Tarifverträgen Öffnungsklauseln, Härtefallregelungen usw. Wir haben den begründeten Verdacht, dass es Ihnen bei dieser Forderung vor allem um die Durchsetzung von Lohnsenkungen auf der betrieblichen Ebene geht. Dafür stehen wir als Linke nicht zur Verfügung.

(Beifall bei der LINKEN)

   Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich kann Ihnen einen Rat geben; ich denke, Sie nehmen ihn sehr gerne an. Von Februar bis Mai dieses Jahres laufen Betriebsratswahlen in Deutschland. Helfen Sie einfach den Gewerkschaften, in jedem Betrieb einen Betriebsrat zu installieren! Denn gerade im Zuge der Globalisierung brauchen die Betriebsräte mehr Rechte, vor allem vor dem Hintergrund der Verlagerung von Arbeitsplätzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Man wird es Ihnen danken.

   Da hilft es auch nicht, wenn einzelne Forderungen in Ihrem Antrag vernünftig sind, etwa der Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung oder die drastische Einschränkung von 1-Euro-Jobs. Wir teilen auch die Einschätzung, dass bei Schwarz-Rot ebenso wie bei ihrer Vorgängerregierung die Großunternehmen im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Strategie stehen. Hier sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen systematisch schlechter gestellt.

   Ein solcher Antrag wie Ihrer, der glauben machen will, man müsse alles dem Markt überlassen, die Steuern senken und der Sozialstaat und die Arbeitnehmerrechte seien ein Hindernis, wird niemals die Zustimmung der Linken finden.

   Aber auch der Beitrag der Bundesregierung hat leider unsere Meinung bestätigt, dass es in dieser Koalition überhaupt kein Konzept gibt, mit dem die Lage der kleinen und mittelständischen Unternehmen spürbar verbessert werden könnte. Angesichts der Tatsache, dass am kommenden Samstag wenige Straßen von hier Zehntausende Menschen gegen die geplante Dienstleistungsrichtlinie auf die Straße gehen werden, hätte man von der Regierung zumindest eine Stellungnahme zu diesem aktuellen Problem erwartet. Aber still ruht der See.

(Beifall bei der LINKEN)

   Schließlich sind es nicht nur die Gewerkschaften, die gegen die so genannte Bolkestein-Richtlinie Einspruch erhoben haben. Auch zahlreiche Handwerkskammern haben sich gegen diese Richtlinie ausgesprochen. Gerade viele kleine Unternehmen würden hier wieder die Verlierer sein.

   Aber wir begrüßen es natürlich - da wende ich mich an die Kollegen der SPD -, dass die SPD zur Demonstration vor dem Bundeswirtschaftsministerium, einem Ministerium der eigenen Regierung, mit aufruft.

(Rainer Brüderle (FDP): Bemerkenswert!)

Wir werden da sein. Ich freue mich schon jetzt, mit Herrn Platzeck Schulter an Schulter Position zu beziehen. Ich hoffe, der Minister Müntefering wird ebenfalls da sein.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das wird interessant!)

   Diese Dienstleistungsrichtlinie dürfe so nicht verabschiedet werden, so die Handwerkskammer Dresden. Sie meint, diese Richtlinie sei akut eine der größten Bedrohungen für die kleinen Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen und für die dort beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

   Nein, wir brauchen eine grundsätzlich andere Mittelstandspolitik in diesem Land. In kleineren und mittleren Unternehmen arbeiten etwa 70 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Tatsache, dass wir im letzten Jahr fast 38 000 Insolvenzen zu verzeichnen hatten und eine halbe Million Arbeitsplätze verloren gingen, zeigt doch die Dramatik dieser Lage.

   Wegen zahlreicher Steuererleichterungen, von denen in der Vergangenheit vor allem größere Unternehmen profitiert haben, liegen die öffentlichen Haushalte am Boden. Es gibt kaum noch Aufträge für die KMUs, Insolvenzen sind die Folge.

   Ich komme zum Schluss. Wir fordern ein Zukunftsprogramm, das diesen Namen wirklich verdient. Die damit verbundenen Investitionen können auch dem Mittelstand nützen. Dafür werden wir in den nächsten Wochen und Monaten streiten. Gegen einen ruinösen Wettbewerb, der vor allem kleinen Unternehmen schadet, werden wir am Samstag vor dem Bundesministerium demonstrieren. Wer es mit dem Mittelstand in diesem Hause wirklich ehrlich meint, der müsste dort am Sonnabend zu finden sein.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin Zimmermann, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit.

(Beifall)

   Ich erteile nun dem Kollegen Christian Lange das Wort für die SPD-Fraktion.

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Brüderle, der Mittelstand ist in der Tat das Rückgrat unserer Wirtschaft. Aber ich sage Ihnen auch klar und deutlich: Der Mittelstand hat Besseres verdient als Ihr Zehn-Pünktchen-Programm, das Sie uns heute Mittag hier vorlegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Mittelstand hat auch mehr verdient als manche Ihrer Stammtischparolen, Herr Kollege Brüderle. Gestatten Sie mir deshalb, auf den einen oder anderen Punkt Ihres Antrages etwas näher einzugehen.

   Es wundert nicht, dass gleich zu Beginn Ihres Antrages Ihr Lieblingsthema Kündigungsschutz wieder einmal aufgegriffen wird. Der Kollege Meyer hat zu Recht auf das hingewiesen, was sich die Koalition vorgenommen hat. Ich will Ihnen aber auch sagen, worauf die Koalition aufbauen kann. Bereits die alte Bundesregierung hatte den Mittelstand bei der Frage, wie wir den Kündigungsschutz gestalten können, voll im Blick. Bei betriebsbedingten Kündigungen wurde die Sozialauswahl einfacher und rechtssicherer gestaltet.

   Wir haben es außerdem geschafft, für ältere Arbeitnehmer die Eintrittsschwelle in den Arbeitsmarkt abzusenken. Herr Kollege Brüderle, ab dem 52. Lebensjahr kann dauerhaft eine sachgrundlose Befristung erfolgen. Hierdurch wird gerade den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Eintritt in die Unternehmen erleichtert. Das ist ein Beispiel dafür, wie wir kleine und mittlere Unternehmen im Handwerk fördern wollen. Denn Sie wissen genau: Diese Unternehmen haben Angst vor den Kosten, die bei Arbeitsprozessen möglicherweise auf sie zukommen werden. Wir können ihnen heute sagen: Stellen Sie 52-jährige und ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein! Sie brauchen nicht die Befürchtung zu haben, dass Sie vor den Kadi gezogen werden.

   Meine Damen und Herren, ein Zweites: Es wundert mich schon, dass ausgerechnet die FDP in den Chor derer einstimmt, die Kleinunternehmer schlecht reden. Ihrem Antrag kann ich entnehmen, dass Sie ausgerechnet die Ich-AGen, die zu den wenigen erfolgreichen Instrumenten gehören, abschaffen wollen. Darüber wundere ich mich. Bis zum Dezember 2005 haben rund 362 000 ehemals Arbeitslose eine solche Ich-AG gegründet. Nach anderthalb Jahren kann man feststellen - das ist interessant -: 74 Prozent der Gründer einer Ich-AG haben einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit gefunden und sind noch heute am Markt. Jede achte Ich-AG war schon im ersten Jahr nach ihrer Gründung erfolgreich und das Einkommen lag über der zulässigen Fördergrenze von 25 000 Euro. Wer hätte das gedacht? Es ist doch nichts Neues: Jeder fängt einmal klein an. Die Ich-AG ist ein solcher Weg. Wir sollten stolz darauf sein, dass Menschen den Mut zur Selbstständigkeit haben, und sie nicht diskreditieren und ihnen diesen Weg verschließen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Was macht die neue Bundesregierung darüber hinaus? Diesen Mut zu stärken, ist ein ganz wichtiger Ansatz. Als Gesellschaft sind wir auf die Gewährleistung ausreichender Spielräume zur Umsetzung Erfolg versprechender Geschäftsideen ebenso angewiesen wie die Existenzgründer selbst, die sich noch im Wartestand befinden. Denn nur wenn es uns in den kommenden Jahren gelingt, eine höhere wirtschaftliche Dynamik zu entfalten, können wir unser Wohlstandsniveau auch in Zeiten immer schärfer werdenden Wettbewerbs aufrechterhalten.

   Wir haben also keine Wahl. Denn so abgedroschen es klingt: Ohne dass wir in die Köpfe der Menschen investieren und zugleich sicherstellen, dass sie ihre Ideen auch umsetzen können, geht es nicht. Deshalb macht es uns auch besorgt, dass Deutschland im Rahmen des „Global Entrepreneurship Monitor“ nur auf Platz 23 von 35 untersuchten Ländern kommt. Dabei ist es richtig, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Gründungsaktivität in einem Land und dessen wirtschaftlichem Wachstum gibt.

   Genau deshalb setzen wir auf die Stärkung des Gründergeistes und entsprechende Rahmenbedingungen. Ich meine, dies sind zum Ersten die Finanzierung von Gründungsunternehmen, zum Zweiten angemessene steuerliche und abgaberechtliche Rahmenbedingungen und zum Dritten die Schaffung entsprechender Werte und der Mentalität innerhalb der Gesellschaft dahin gehend, dass es sich lohnt, sich selbstständig zu machen. Dies sollte nicht als Ausweg verstanden werden. Vielmehr sollte es ein Grundwert in unserer Gesellschaft sein, Eigeninitiative zu zeigen und den entsprechenden Mut aufzubringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ute Kumpf (SPD): Eigentlich müsste jetzt die FDP klatschen!)

   Deshalb ist es auch kein Wunder, dass wir uns bei den öffentlichen Förderinfrastrukturen in den vergangenen sieben Jahren sehr gut positioniert haben. Die Politik hat ihre Hausaufgaben in diesem Bereich gemacht. Bei der privaten Finanzierung hingegen besteht nach wie vor erheblicher Nachholbedarf, wie jeder von uns aus vielen Gesprächen in seinen Wahlkreisen weiß.

   Ich meine, wir dürfen gerade die Geschäftsbanken nicht aus der Verantwortung entlassen und die Verantwortung allein den Gründern, dem Handwerk und dem Mittelstand, den Volksbanken und den Sparkassen aufhalsen. Hier stehen auch die großen Geschäftsbanken in der Verantwortung. Es ist die Aufgabe der Politik, darauf hinzuweisen und darauf zu drängen.

   Was heißt das konkret? Wir werden für Existenzgründer beispielsweise One-Stop-Anlaufstellen schaffen und die Statistikpflichten gerade am Anfang der Gründungsphase erleichtern, in der sie meist Chefsache sind und wertvolle Kapazitäten binden. Außerdem werden wir dafür sorgen, dass die Buchführungsgrenze von 350 000 auf 500 000 Euro Umsatz erhöht wird.

   Die Sozialversicherungsbeiträge, die Handwerk und Mittelstand immer wieder belasten - das wissen wir -, sind ein großes Thema. Sie fordern, auf die in diesem Jahr vorgesehene 13-malige Einziehung zu verzichten. Wir haben gestern darüber im Ausschuss diskutiert. Sie wissen, dass die Bundesregierung zugesagt hat, dass die Ausgestaltung der Einziehung der Sozialversicherungsbeiträge unbürokratischer gestaltet wird. Dies ist ein richtiger Weg. Denn wir alle sind uns darin einig, dass wir die Lohnnebenkosten senken wollen. Von daher kann der Verzicht auf unser Vorhaben, so wie Sie ihn fordern, nicht der richtige Weg sein. Dies würde nur das Gegenteil bewirken, nämlich die weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten. Das kann nicht unser Ziel sein.

   Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, dass wir angesichts der guten Aussichten, die im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert wurden, die Verbesserung der Finanzierungsbedingungen im Auge haben. Denn nach wie vor haben vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch Unternehmerpersönlichkeiten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, ein zu geringes Eigenkapitalpolster oder Probleme bei der Fremdfinanzierung.

   Deshalb ist es uns ein Anliegen - ich sage das deutlich und klar -, dass wir Parlamentarier beim ERP-Vermögen zusammenhalten. Im ERP-Sondervermögen stehen besonders Finanzierungsmittel für kleine und innovative Unternehmen und technologieorientierte Existenzgründer bereit. Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass die Förderung durch das auf den Marshallplan zurückgehende European Recovery Program vollständig erhalten bleiben soll.

   Im Gegensatz zur FDP sind wir nicht auf bestimmte haushalterische Zuordnungen des ERP-Sondervermögens fixiert; wichtig für uns ist, dass das ERP-Sondervermögen weiterhin der parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Nur so kann es gelingen, die aus dem Vermögen zur Verfügung stehenden Mittel für wirtschaftspolitische Zwecke zu nutzen. Das ist unser Ansatz. Wenn wir in dieser Frage einen gemeinsamen Weg finden, dann, denke ich, sind wir auf der richtigen Seite. Der Sachverstand des Parlaments sollte dabei nicht außen vor bleiben. In diese Richtung wollen wir gehen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Wir wollen mit dem im Koalitionsvertrag verabredeten Programm einen entsprechenden Nachfrageschub in Deutschland auslösen. Dazu gehören die 9,5 Milliarden, die zur Förderung des Mittelstands eingesetzt werden; dazu gehört das Vorhaben, private Haushalte als Arbeitgeber und auch Familien als Arbeitgeber mit rund 3 Milliarden zu fördern. Dazu gehören ferner die schon erwähnten zusätzlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung und schließlich gehört dazu die Erhöhung der Verkehrsinvestitionen um 4,3 Milliarden. All dies führt dazu, dass Handwerk und Mittelstand in Deutschland besser dastehen, als es bislang der Fall gewesen ist. Wir erwarten, dass dieses Programm weitere Investitionen von Ländern, Kommunen und Privaten auslösen wird, sodass das Potenzial ein Vielfaches des Programmvolumens beträgt.

   Lassen Sie mich jetzt die konkreten Maßnahmen benennen, die wir durchführen wollen. Wir glauben, dass ein wesentlicher Teil dieses 25-Milliarden-Paktes, nämlich ungefähr 14 Milliarden, unmittelbar kleinen und mittleren Unternehmen und Handwerksbetrieben zugute kommt. Sie profitieren einmal insbesondere durch die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen; 4,4 Milliarden Euro werden für die vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2007 befristete Anhebung der degressiven AfA bei beweglichen Wirtschaftsgütern eingesetzt. Zum Zweiten profitieren sie durch die Neuregelung der Umsatzsteuer. Die Liquidität insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen wird zusätzlich durch die Anhebung der Umsatzgrenzen bei der Umsatzbesteuerung in den alten Bundesländern von 125 000 auf 250 000 Euro verbessert. Die Maßnahme wird ergänzt durch die Verlängerung der derzeitigen Regelung in den neuen Ländern bis 2009. Insgesamt verzichtet der Bund hierbei auf Steuereinnahmen in Höhe von rund 750 Millionen Euro zugunsten von Handwerk und Mittelstand.

   Aber auch mit den Bereichen Gebäudesanierung und Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur wollen wir entsprechende Beiträge leisten. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist das beste Beispiel dafür. Ich kann Ihnen sagen, dass es dankbar aufgegriffen wird. In meinem Wahlkreis beispielsweise wirbt die Kreishandwerkerschaft mittlerweile mit dem CO2-Gebäudesanierungsprogramm, und zwar sowohl bei den Kolleginnen und Kollegen im Handwerk als auch bei den Kunden, indem sie betont: Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird die energetische Gebäudesanierung intensivieren und damit nachhaltige Impulse für die Baukonjunktur und den Klimaschutz auslösen. Wir wollen mit Hilfe der KfW-Gebäudesanierungsprogramme ein Darlehensvolumen von 17 Milliarden Euro und ein Investitionsvolumen von 28 Milliarden Euro in Deutschland erreichen. In den Jahren 2004 und 2005 konnten durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm 30 000 Arbeitsplätze in Deutschland zumindest gesichert werden.

   Deshalb ist es kein Wunder, dass die Wirtschaftsweisen und die Gutachter zu dem Ergebnis kommen, dass wir im Jahre 2006 mit einer guten Konjunktur rechnen können. Denn dies gehört alles zusammen: die Impulse, die wir auslösen, und die steuerlichen Rahmenbedingungen, die wir setzen. Das alles sind gute Aussichten für Handwerk und Mittelstand. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu und lehnen Sie den der FDP ab!

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift ist ja ganz schön gewählt: „Unternehmen statt Unterlassen - Vorfahrt für den Mittelstand“. Aber meine Erfahrung ist, dass die Überschriften die Unternehmerinnen und Unternehmer herzlich wenig interessieren. Vielmehr kommt es darauf an, was jenseits der schönen Worte für das Herzstück der deutschen Wirtschaft oder das Rückgrat der deutschen Wirtschaft - vielleicht könnten Sie sich einmal darauf verständigen, welcher Körperteil es sein soll -

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Wir neigen zu ganzheitlichen Betrachtungen!)

konkret getan wird.

   Wenn ich mit Unternehmerinnen und Unternehmern gerade auch über Gründungen von Unternehmen spreche, dann sagen sie mir: Das zentrale Problem ist die Finanzierung. Dazu finden sich in dem FDP-Antrag drei dürre Sätze zum ERP-Sondervermögen.

Die Sätze sind richtig - unsere Anträge weisen in die gleiche Richtung, mein Kollege Hans Josef Fell wird das später noch genauer vorstellen -, aber lediglich ein Förderprogramm kann doch nicht alles sein. Ich habe mehr von der FDP beim Thema Finanzierung erwartet.

   Wir haben in den letzten Jahren einiges in Angriff genommen - Stichwort: Verbriefung -, damit auch kleine Unternehmen an den Kapitalmarkt kommen. Natürlich muss hierzu noch Weiteres in der Seed-Phase, der Anfangsphase der Unternehmensgründung, passieren. Wir müssen in einer Situation, in der immaterielle Wirtschaftsgüter eine immer größere Rolle spielen, den Unternehmen etwas bieten. Der zentrale Ansprechpartner bei der Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland sind nach wie vor die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, weil diese in der Fläche, aus der sich die Großbanken gern zurückziehen, immer noch die Basis der Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fände es richtig, wenn in diesem Haus ein klares Bekenntnis zum Drei-Säulen-Modell abgelegt würde. Sagen Sie doch deutlich, wie sich die kleinen Unternehmen in der Fläche sonst finanzieren sollen. Wenn die Sparkassen und Genossenschaftsbanken das in den letzten Jahren nicht geleistet hätten, stünden wir übel da.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Agb. Dr. Hermann Otto Solms (FDP))

   Ich möchte auf den Antrag der großen Koalition eingehen. Auch er hat eine schöne Überschrift: Neue Impulse für den Mittelstand. Dass er einige gute Punkte enthält, will ich gar nicht in Abrede stellen.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Immerhin!)

So beinhaltet er zum Beispiel das CO2-Gebäude-Sanierungsprogramm, ein grüner Impuls, den Sie weiterentwickeln. Dieses Programm muss aber solide finanziert sein. Wenn Sie nicht auf das, was wir als rot-grüne Regierung gemeinsam vorgelegt haben, zurückgreifen könnten, stünden Sie im Moment mit völlig leeren Händen da.

   Material- und Energieeffizienz sind weitere richtige Punkte in Ihrem Programm, die auf grüne Impulse zurückgehen. Aber kommen Sie doch zum Kern dessen, was eine Wirtschaft ausmacht, die sich auf kleine und mittlere Unternehmen stützen muss: den Wettbewerb. Zum Wettbewerb steht im Antrag der großen Koalition nichts. Dabei muss man gar nicht die Freiburger Schule heranziehen, denn entscheidend ist doch, dass die kleinen und mittleren Unternehmen das Herzstück unserer Wirtschaft sind. In diesem Bereich weisen Ihre Entscheidungen in die völlig falsche Richtung. Deswegen haben Sie auch ganz bewusst nichts zu diesem Thema in Ihrem Antrag geschrieben.

   Weitere Stichworte für Ihre Schwäche in diesem Bereich sind Breitband, Medienfusion und Energiemarkt. Es ist interessant, dass sich im Bereich erneuerbarer Energien eine unwahrscheinliche Wettbewerbsdynamik gerade bei den kleinen und mittleren Unternehmen entwickelt hat. Ich denke, Herr Meyer, auch bei den größeren Unternehmen, bei den Oligopolisten im Energiemarkt müsste angekommen sein, dass durch mehr Wettbewerb interessante Sachen entstanden sind. Greifen Sie das auf und legen Sie ein klares Bekenntnis zu mehr Wettbewerb in diesem Bereich ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Lasst ihn doch nicht hängen, Leute!)

   Meine Damen und Herren von der FDP, dazu gehört auch, Zugänge zu neuen Märkten zu eröffnen. Wir hätten uns bezüglich des Handwerks eine deutlichere Unterstützung der FDP gewünscht. Ich nenne das Stichwort „Meisterbrief“, bei ihm haben Sie sich nicht für mehr Wettbewerb ins Zeug gelegt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Rauschender Beifall!)

   Ich möchte noch einmal auf die Wettbewerbsdefizite in der großen Koalition zurückkommen. Es gibt jetzt die spannende Debatte darüber, ob es nicht doch besser wäre, nationale Champions zu fördern. Die gestrige Diskussion im Wirtschaftsausschuss hat Ihren Standpunkt nicht klar erkennen lassen. Deshalb hätte ich gern heute in der Debatte über die Mittelstandsförderung ein klares Bekenntnis der großen Koalition dazu gehört. Denn es kann nicht darum gehen, den Wettbewerb zu beschränken, vielmehr muss es darum gehen, durch Wettbewerb neue Märkte zu erschließen und auf den Weltmärkten präsent zu sein. Dass das möglich ist, ist im Bereich Umwelttechnik und erneuerbarer Energien deutlich geworden. Ich würde mich daher freuen, wenn Sie bei einer klaren Wettbewerbsorientierung bleiben würden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

   Wir sind für mehr Wettbewerb. Wir wollen das Kartellamt stärken und deshalb die Ministererlaubnis abschaffen. Wir stützen die Europäische Kommission in ihrer Eigenschaft als Wettbewerbsbehörde, damit sie sich klar für mehr Wettbewerb engagieren kann. Klären Sie das noch einmal mit Ihrem Kollegen Söder: Ist es wirklich der richtige Weg, nationale Champions zu fördern? Dazu möchte ich gern noch etwas mehr in den folgenden Redebeiträgen hören.

   Hier wohlfeile Mittelstandsrhetorik zu pflegen und anschließend am Kartellrecht herumzufingern, passt nicht zusammen, wenn wir uns für die kleinen und mittleren Unternehmen in unserem Land engagieren wollen.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Botschaft unseres Antrages lautet: Der Mittelstand kann sich auf die große Koalition verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Rainer Brüderle (FDP): Sie waren schon besser!)

Wir wissen, dass für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands der Mittelstand eine besondere Bedeutung hat. Vor diesem Hintergrund sind wir entschlossen, die Rahmenbedingungen für den Mittelstand weiter zu verbessern. Sie haben völlig Recht, Herr Kollege Brüderle: Vertrauen schafft Arbeitsplätze.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie in Rheinland-Pfalz!)

Deshalb sind wir von der großen Koalition so froh, dass diese Regierung inzwischen ein so breites Vertrauen in der Bevölkerung hat und dass sich die Stimmung in den letzten Wochen und Monaten deutlich verbessert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Als Christdemokrat freue ich mich natürlich besonders, dass unsere Kanzlerin inzwischen so hervorragende Werte bei allen Meinungsumfragen hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP), zur SPD gewandt: Das ist doch auch eure Freude! - Gegenruf des Abg. Dr. Rainer Wend (SPD): Vor allem wenn er sich so darüber freut!)

   Ich habe gesagt, dass die Rahmenbedingungen für den Mittelstand verbessert werden müssen. Ich möchte in aller Kürze zwei Punkte herausstellen:

   Erstens die Steuern. Mit nominell 39 Prozent Steuern bei Kapitalgesellschaften und bis zu 45 Prozent bei Personengesellschaften haben wir inzwischen die höchste Gewinnbesteuerung in Europa; das wissen wir. Aber das liegt nicht daran, dass wir die Steuern erhöht haben. Im Gegenteil, die Steuern sind bei uns sogar laufend gesenkt worden. Aber die anderen Länder haben stärker gesenkt. Wir müssen heute feststellen, dass in den alten EU-Ländern die durchschnittliche Belastung für Gewinne im Bereich von 30 Prozent und in den neuen EU-Ländern im Bereich von 20 Prozent liegt.

(Zuruf von der FDP: Und was folgern Sie daraus?)

   Da es ein entscheidendes Ziel der großen Koalition ist, den Haushalt zu sanieren, können wir natürlich nicht in Richtung 20 Prozent gehen. Aber wir wollen einen deutlichen Schritt von 39 Prozent in Richtung 30 Prozent machen. Dafür haben wir unsere Ziele formuliert. Ein ganz wichtiges Ziel für uns ist - das, was die Stiftung „Marktwirtschaft“ vorgelegt hat, zeigt, wie schwierig es ist, dieses Ziel zu verwirklichen -, dass in Zukunft Unternehmensgewinne unabhängig von der Rechtsform besteuert werden.

   Wir haben in der Tat ein weiteres Ziel: Wir wollen erreichen, dass die Gewerbesteuer durch andere ähnlich hohe Ertragsteuern ersetzt wird. Nur so können wir das unseren Kommunen zumuten. Auch dies ist eine sehr schwierige Operation.

   Letztlich wollen wir für eine begrenzte Zeit die Abschreibungssätze reduzieren, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu verfestigen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Bernhardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Otto Solms?

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Aber gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):

Herr Kollege Bernhardt, wenn Sie eine Unternehmensteuerreform für so dringend erforderlich halten - das tun im Übrigen auch wir -: Warum hat dann die große Koalition die Anstrengungen auf das nächste Jahr verschoben? Die Diskussion hat nicht erst mit der Bildung der großen Koalition begonnen, sondern seit Jahren diskutieren wir - die Fachleute genauso wie die breite Öffentlichkeit - über die Notwendigkeit einer Unternehmensteuerreform, insbesondere um internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Nun beginnt die große Koalition damit, diese zentrale, wichtige Aufgabe für den deutschen Mittelstand erst einmal auf die lange Bank zu schieben.

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Herr Dr. Solms, wir haben uns - ich habe gerade ein paar Ziele genannt - eine große Unternehmensteuerreform vorgenommen. Die Probleme in diesem Zusammenhang sind sehr groß; Sie als Fachmann wissen das. Wir wollen nicht den Fehler machen, den wir in der Vergangenheit häufig gemacht haben, mit zu heißer Nadel so wichtige Gesetze zu machen, um sie dann anschließend wieder ändern zu müssen. Daher brauchen wir den Zeitraum bis Ende 2007. Wir werden sicherstellen, dass das neue Unternehmensteuerrecht am 1. Januar 2008 in Kraft tritt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Bezogen auf den Mittelstand wollen wir, die große Koalition, noch in einem anderen Bereich etwas verändern, und zwar wollen wir den Übergang von mittelständischen Betrieben auf die nächste Generation erleichtern, indem wir für diese Fälle die Steuern senken wollen.

Auch das ist eine schwierige und umfangreiche Aufgabe. Wir müssen sie aber lösen. Denn jeder weiß aus Einzelfällen, dass mancher Betrieb nicht fortgeführt wird, weil die Steuerlast, die im Erbfall auf die Nachfolger zukommt, so hoch ist, dass sie einfach nicht getragen werden kann. Deshalb sagen wir: Diese Steuerlast müssen wir reduzieren, um die Arbeitsplätze im Mittelstand zu erhalten.

   Der zweite Aspekt, den ich ansprechen möchte, wurde schon von einigen meiner Vorredner genannt: die Mittelstandsfinanzierung und Basel II. Brüssel hat seine Aufgaben gemacht. Die entsprechende Richtlinie liegt vor. Jetzt stehen wir vor der schwierigen Aufgabe, diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. An dieser Stelle sage ich: An etwa 100 Punkten haben wir nationalen Spielraum. Die große Koalition wird sicherstellen, dass wir diesen nationalen Spielraum dort, wo es möglich ist, zugunsten der mittelständischen Firmen nutzen. Ich hoffe sogar, dass wir zu einer einheitlichen Lösung kommen werden, der das gesamte Haus zustimmt. Ich erinnere Sie nur daran, dass wir hier im Bundestag in der letzten Legislaturperiode zweimal einstimmige Entschließungen zu Basel II gefasst haben, wodurch wir auf das Ausgangswerk Einfluss in Richtung Mittelstandsfreundlichkeit nehmen konnten. Ich denke, wir werden auch diesmal eine gemeinsame Lösung finden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Natürlich muss ich noch etwas zu einem meiner Lieblingsthemen sagen, zu dem ich von dieser Stelle aus sicher schon ein halbes Dutzend Mal gesprochen habe: zum ERP-Vermögen. Denn wer sich mit dem ERP-Vermögen beschäftigt, der sollte auch einen Satz dazu sagen, wo es herkommt. Das tue ich sehr gerne. Das ERP-Vermögen ist nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Marshallplanhilfe der Amerikaner entstanden. Im Rahmen dieser Hilfe wurden Gelder gezahlt, auf deren Rückführung die Amerikaner verzichteten. Wir konnten diese Gelder bei uns immer wieder neu einsetzen. Inzwischen ist daraus ein Vermögen von deutlich über 12 Milliarden Euro geworden. Ich stelle fest - diese Feststellung teilt das ganze Haus -: Das ERP-Vermögen ist heute das wichtigste Instrument zur Mittelstandsförderung in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn ein Finanzminister, der gezwungen ist, den Haushalt zu sanieren, von einem Betrag in Höhe von 12 Milliarden Euro hört,

(Rainer Brüderle (FDP): Dann wird er süchtig!)

dann muss man aufpassen.

(Heiterkeit - Rainer Brüderle (FDP): Oh ja! Sehr richtig!)

Nach all dem, was ich in den vorliegenden Anträgen gelesen habe - mit diesem Thema setzen sich ja alle Fraktionen auseinander -, kann ich nur sagen: Unser gemeinsames Ziel muss sein, dass sich die Erträge aus dem ERP-Vermögen - denn nur diese können wir einsetzen - nicht verringern. Des Weiteren müssen wir sicherstellen, dass wir als Parlament - in welcher Form auch immer - Einfluss darauf haben, wofür diese Erträge in Zukunft verwendet werden. Nur so kann aus meiner Sicht und aus Sicht der großen Koalition gewährleistet werden, dass das ERP-Vermögen auf Dauer ein wichtiges Instrument der Mittelstandsförderung bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich sage mit aller Deutlichkeit: Hier liegt ein hartes Stück Arbeit vor uns. Allerdings betone ich auch: 12 Milliarden Euro sind eine verlockende Größenordnung.

   Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Folgendes feststellen: Die große Koalition ist entschlossen, die Rahmenbedingungen für den Mittelstand weiter zu verbessern.

(Abg. Rainer Brüderle (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage - Ute Kumpf (SPD), zu Abg. Rainer Brüderle (FDP) gewandt: Oh! Herr Lehrer, ich weiß was!)

In diesem Sinne ist unser Antrag zu verstehen. Viel Arbeit liegt vor uns. Aber ich glaube, es macht Spaß, sich für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Mittelstand aktiv einzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Bernhard, der Kollege Brüderle würde Sie gerne noch etwas fragen. Würden Sie diese Zugabe trotz Ihrer eindrucksvollen Schlusspassage noch gestatten?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Gerne, selbstverständlich.

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Kollege, Sie haben zu Recht betont, dass das Marshallplan- bzw. ERP-Vermögen einen besonderen Charakter hat, auch mit Blick auf unsere amerikanischen Freunde. Diese Auffassung teile ich voll und ganz. Aber Ihre Aussage, dass es uns darum gehen muss, die Erträge aus dem ERP-Vermögen zu erhalten, ist ein bisschen verräterisch. Sind Sie im Zusammenhang mit dieser entscheidenden Hilfe, die Deutschland nach dem Krieg erfahren hat und die nach all dem, was geschehen war, wahrlich nicht selbstverständlich war, rückblickend nicht auch der Auffassung, dass es zum Anstand gehört, dieses Vermögen des deutschen Mittelstands in seiner gesamten Substanz zu erhalten, statt durch Hilfskonstruktionen einen Teil dieses Vermögens zu plündern?

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hans Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Politik, Herr Kollege Brüderle, ist bekanntlich die Kunst des Möglichen. Als große Koalition haben wir natürlich mehrere Ziele gleichzeitig zu erreichen. Ein wichtiges Ziel ist die Mittelstandsförderung. Deshalb sage ich: Die Erträge aus dem ERP-Vermögen dürfen nicht geschmälert werden. Ich sage aber genauso deutlich: Wenn es uns nicht gelingt, den Haushalt zu sanieren, werden wir kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Deutschland bekommen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Also ran an den Speck!)

Alle Länder der Welt, die die Haushaltssanierung nicht in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt haben, mussten feststellen, dass ein Konjunkturaufschwung bei maroden Staatsfinanzen nicht möglich ist. Wir müssen und werden also sicherstellen, dass die Erträge nicht geringer werden, damit die Mittelstandsförderung im bisherigen Umfang betrieben werden kann. Man kann aber nicht sagen: Alles kann so bleiben, wie es ist. Ich vermute, es wird leider nicht so bleiben können - Politik ist eben die Kunst des Möglichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Bernhardt, das Bedürfnis, mit Ihnen in einen Dialog einzutreten, ist auf allen Seiten des Hauses vorhanden und nur noch schwer zu überbieten.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wir würden uns ja gerne mit Ministern unterhalten, aber es kommt keiner!)

- Das vertiefen wir bei anderer Gelegenheit.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ja, ja, das vertiefen wir noch!)

   Ich will jetzt zur Geschäftsordnungslage nur darauf hinweisen, dass ich Zwischenfragen naturgemäß dann nicht zulassen kann, wenn sie nach Ablauf der vereinbarten Redezeit angezeigt werden. Da der Kollege Bernhardt mit seinem Beitrag erfreulicherweise unterhalb der gemeldeten Redezeit geblieben ist, ist es, glaube ich, nur fair, die eine wie die andere Zusatzfrage zuzulassen, sofern er selber das gestattet. -

(Dr. Rainer Wend (SPD): Er wusste, dass die Fragen kamen!)

Das ist so. Bitte schön, Herr Kollege Dehm.

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Wenn Ihr Blick rechtzeitig auch zur Linken geschweift wäre, hätten Sie gesehen, dass ich mich zuvor zu Wort gemeldet habe.

   Meine Frage an Sie, Kollege Bernhardt: Können Sie sich vorstellen, dass ein hessischer Bäckerbetrieb in den letzten zwei Jahrzehnten mehr Körperschaftsteuer bezahlt hat als die Deutsche Bank?

(Ute Kumpf (SPD): Er meint wahrscheinlich Kamps!)

   Wenn das so ist, ist die Frage: Warum haben alle Parteien außer der Linkspartei daran mitgewirkt: auf der Ebene der Bundesregierung, auf der Ebene der Landesregierungen und auch, was die Aufsicht über die Finanzämter, die für Großbetriebsprüfungen zuständig sind, anbetrifft?

(Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): War das jetzt ein Plädoyer für die Abschaffung der Körperschaftsteuer?)

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Ich kann von hier natürlich nicht auf Einzelfälle eingehen. Ich weiß nur so viel: dass im Zusammenhang mit bestimmten Veränderungen der Körperschaftsteuer ein paar Probleme entstanden sind, die beim Staat zu erheblichen Einbußen geführt haben; wir haben hier wiederholt darüber diskutiert. Diese Zeit ist aber vorbei. Wir werden jetzt als große Koalition sicherstellen - wir haben gemeinsam schon viele Schlupflöcher gestopft -, dass ab 1. Januar 2008 alle Firmen in Deutschland unabhängig von ihrer Rechtsform die gleiche Steuer zahlen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Jawohl! Sehr gut!)

Ich habe schon darauf hingewiesen: Diese kann, auch wenn das wünschenswert wäre, nicht bei 20 Prozent liegen, das schaffen wir nicht. Sie muss aber deutlich niedriger liegen als heute. Dafür werden wir uns einsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Paul Friedhoff für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Paul K. Friedhoff (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einer freiwilligen dreijährigen Pause vom Parlamentsbetrieb bin ich sehr stolz darauf, dass ich heute wieder in diesem Hohen Hause reden darf.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU))

Mit dem Antrag „Unternehmen statt Unterlassen - Vorfahrt für den Mittelstand“ wollen wir Liberalen dazu beitragen, dass die Situation des Mittelstands in Deutschland auf die Tagesordnung kommt. In den sieben Jahren von Rot-Grün wurde den Unternehmern das Arbeiten in unserem Land erschwert: durch höhere Steuern, höhere Abgaben, viel mehr Bürokratie. Aber, Herr Meyer, hier hat auch die Koalition von Schwarz-Rot außer Hoffnung zurzeit nicht viel zu bieten; ich komm nachher noch darauf.

(Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Ein paar Wochen abwarten!)

Ich habe meine Parlamentspause genutzt und während dieser Zeit erneut einen mittelständischen Betrieb mit aufgebaut. Dies konnte ich mir nicht etwa deswegen leisten, weil sich die Rahmenbedingungen in der letzten Zeit so verbessert hätten, sondern weil ich dafür die Erlöse aus meinem ersten Betrieb, den ich vor meiner Parlamentszeit in den 80er-Jahren aufgebaut habe, verwendet habe. Ich kann also aus eigener Anschauung vergleichen, was sich in diesen 20 Jahren bei Unternehmensgründungen, aber auch bei der Schaffung von Arbeitsplätzen in diesem Land verändert hat. Ich möchte das an vier Stellen festmachen.

   Erstens. Vor 20 Jahren waren Banken und Sparkassen an Erfolg versprechenden Unternehmensgründungen durchaus interessiert. Die Banker vor Ort hatten Entscheidungsbefugnisse. Unternehmerpersönlichkeit, Produkt und Marktchancen standen im Vordergrund. An deren Stelle ist heute ein fast umfassendes, ganz kompliziertes, computergetriebenes Ratingsystem getreten, das mit immensen Dokumentationspflichten eine Megabürokratie verlangt, die kaum individuelle Spielräume bei den Entscheidungsträgern zulässt.

(Beifall bei der FDP)

Bei den Banken sind die Bürokratiekosten mittlerweile höher als die Margen. Hier erlebte man über Jahre eine rot-grüne Regulierungswut. Die Kreditversorgung des Mittelstandes ist weitestgehend zum Erliegen gekommen. Rot-Grün hat erreicht, dass nur noch derjenige ein Unternehmen gründen kann, der das entsprechende Geld mitbringt.

   Vor 20 Jahren war die Situation anders. Damals konnte ich mit relativ wenig eigenen Mitteln, aber mit überzeugenden Konzepten etwas erreichen. Das geht in diesem Land nicht mehr, und wir wundern uns, dass wir dabei Arbeitsplätze verloren haben.

(Beifall bei der FDP)

Was allerdings wohl geht - ich habe eben gehört, dass das so toll sei -, sind geförderte Ich-AGs. Ich glaube, wir in Deutschland sind ein ganzes Stück zurückgefallen.

   Zweitens. Auch in den 80er-Jahren waren wir schon ein Hochlohnland, ganz ohne Frage. Allerdings waren die Zuschläge für unsere sozialen Sicherungssysteme nicht so hoch wie heute. Wir waren von den übrigen Industrieländern nicht so weit entfernt. Ich spreche nicht von China, nicht von den Ländern, mit denen - dieses Totschlagargument wird oft gebracht - wir uns sowieso nicht messen könnten. Nein, ich vergleiche mit den konkurrierenden Industrieländern. Diese Zuschläge wirken nun einmal wie eine Sondersteuer auf Arbeit. Wir haben sie laufend nach oben getrieben. Hier ist kein Ende abzusehen. Die Abgaben für Rente, Krankheit, Pflege, Arbeitslosigkeit, Berufsgenossenschaft und die sonstigen Zwangsversicherungen sind in den letzten 20 Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen. Dies hat die Löhne in Deutschland erheblich verteuert.

   Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren noch beschleunigt und setzt sich auch unter der schwarz-roten Koalition durchaus fort. Am 1. Januar dieses Jahres wurde die Zwangsversicherung für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf Betriebe mit bis zu 30 Mitarbeitern - statt früher 20 - ausgedehnt. Darüber hinaus gilt sie jetzt nicht mehr nur für gewerbliche Arbeitnehmer, sondern auch für Angestellte. Nicht „Zurück“, sondern „Vorwärts“ heißt die Devise. Herr Meyer, dieses Gesetz ist nicht unter Rot-Grün entstanden, sondern unter Schwarz-Rot.

   In der Rentenkasse fehlt Geld. Ich habe gestern im Wirtschaftsausschuss vernommen, dass man sich die Mittel durch einen vorgezogenen Zahlungstermin für die Sozialversicherungsbeiträge beim Mittelstand abholt. Es kann doch nicht wahr sein, dass das von der schwarz-roten Koalition weitergeführt wird. Lesen Sie einmal in Ihrem Wahlprogramm nach! Lesen Sie nicht so viel im Koalitionsprogramm, sondern im Wahlprogramm, was Sie alles vorhatten!

(Beifall bei der FDP)

   Drittens. In jedem Produktionsunternehmen benötigt man gut ausgebildete Spezialisten, aber auch geringer qualifizierte Mitarbeiter. Die Nettolohnspreizung zwischen beiden Gruppen ist in den 20 Jahren zulasten der hochgradig spezialisierten Mitarbeiter erheblich verringert worden. Dies hat zu einem Verlust an Motivation bei vielen Spezialisten geführt. Erhöhungen der Bruttolöhne wirken sich kaum bei den Nettolöhnen aus. Es lohnt sich immer weniger, bei der Arbeit Höchstleistungen zu vollbringen. Vom Engagement dieser Spitzenkräfte hängen viele niedriger qualifizierte Arbeitskräfte ab. Wir sollten uns einmal überlegen, ob wir dies so weiterführen wollen. In Deutschland kann man die fatalen Folgen der Sockelpolitik der Tarifparteien und der falschen Steuerpolitik bewundern.

   Viertens. In diesen 20 Jahren hat sich die Bürokratie enorm erhöht. Die Kontrollen der Behörden haben sich vervielfacht. Die von der Bundesvereinigung Liberaler Mittelstand bestätigten Bürokratiekosten in Höhe von circa 4 000 Euro jährlich pro Mitarbeiter im Mittelstand haben sich seit den 80er-Jahren mehr als verdoppelt. Diese hohen Bürokratiekosten könnten in den Unternehmen viel besser investiert werden. Die enormen staatlichen Kontrollen könnten abgebaut und dafür die Steuern gesenkt werden.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Unternehmer werden Ihnen Folgendes bestätigen: Nur wenn Unternehmen Aufträge erhalten, können sie auch Arbeitsplätze schaffen. Aufträge bekommt man nur, wenn man international wettbewerbsfähig ist. Dazu gehört nicht nur die gute Qualität der Produkte, dazu gehört natürlich auch deren Preis. Wenn die Arbeitskosten zu hoch sind, dann betrifft dies vor allem die Unternehmen, die ihre Produkte mit vielen Beschäftigten herstellen; denn je teurer die Arbeit ist, desto teurer sind die Produkte.

   Im Mittelstand sind viele Menschen beschäftigt. Deshalb muss man es immer wieder sagen: Wir benötigen eine Abkopplung der Sozialkosten von den Arbeitskosten, wir benötigen ein einfaches, gerechtes und niedrigeres Steuersystem und wir benötigen die Absenkung der Arbeitskosten durch den Abbau der bei uns viel zu hohen Bürokratiekosten, was gleichzeitig dann auch zu mehr Flexibilität führt.

   Dies haben alle Industrieländer, die beim Abbau der Arbeitslosigkeit erfolgreich gewesen sind, so getan. Auch wir werden nicht darum herumkommen, das zu tun. Lasst uns an die Arbeit gehen! Mit dem Koalitionsvertrag werden Sie dieser Lage aber überhaupt nicht gerecht. Hier wird noch ein ganzes Stück nachgearbeitet werden müssen. Herr Meyer, dabei würden wir Ihnen natürlich sehr gerne helfen, damit Sie hier wirklich in die Puschen kommen und keinen Standfußball spielen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Friedhoff, das war nun zweifellos nicht Ihre parlamentarische Jungfernrede, aber ich möchte doch gerne die Gelegenheit nutzen, für diejenigen, die Sie aus früherer langjähriger parlamentarischer Zusammenarbeit kennen, die Freude zum Ausdruck zu bringen, dass Sie wieder dabei sind.

(Beifall)

   Nun hat die Kollegin Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion das Wort.

Andrea Wicklein (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über Mittelstand und Wirtschaftsförderung reden, dann müssen wir auch 15 Jahre nach der deutschen Vereinigung - leider, so sage ich - über Mittelstand Ost und Mittelstand West reden. Es gibt zwar mehr und mehr wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Gemeinsamkeiten, in wichtigen Punkten unterscheiden sich Ost und West aber nach wie vor erheblich.

   Ostdeutscher und westdeutscher Mittelstand spüren die konjunkturelle Belebung gemeinsam. Es ist überaus erfreulich, dass das verarbeitende Gewerbe die Geschäftsaussichten auch im laufenden Jahr positiv beurteilt. Vier von fünf Unternehmen erwarten in diesem Jahr ein eher gutes oder ein gutes Geschäft. Der ostdeutsche Mittelstand steuert in diesem Jahr damit ein neues Fünfjahreshoch an. Die „Berliner Zeitung“ weist in ihrem Kommentar allerdings darauf hin, dass Freud und Leid hier sehr eng beieinander liegen. Deshalb will ich auch die gewaltigen wirtschaftlichen Probleme ganz ungeschminkt benennen, die große Teile Ostdeutschlands nach wie vor haben.

   In zahlreichen Regionen führen Arbeitslosenquoten von 20 Prozent und mehr dazu, dass viele junge und gut ausgebildete Menschen ihre Heimat verlassen und in die westdeutschen Bundesländer abwandern. Ein drohender Mangel an Fachkräften und ein erheblicher Rückgang der Zahl der erwerbsfähigen Menschen und der Gesamtbevölkerung sind die Folgen. Nach einer aktuellen Umfrage von TNS Infratest ist die Suche nach qualifiziertem Nachwuchs schon heute die größte Sorge der mittelständischen Unternehmen, und das übrigens nicht nur im Osten. Schätzungen gehen von einem Bevölkerungsrückgang in einigen ostdeutschen Bundesländern von bis zu 17 Prozent bis zum Jahre 2020 aus. Dieser Bevölkerungsrückgang würde in den betroffenen Regionen nicht zuletzt zu weiter sinkenden Steuereinnahmen und zu einer erhöhten Pro-Kopf-Verschuldung führen.

Aber auch die Struktur der mittelständischen Wirtschaft in Ostdeutschland unterscheidet sich von der in den alten Bundesländern immer noch signifikant. Wenn wir uns vor Augen führen, dass sich von den 500 größten deutschen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes nur sieben in den neuen Bundesländern und 144 allein in Nordrhein-Westfalen befinden, dann wissen wir, vor welchen Problemen wir in den neuen Ländern nach wie vor stehen. Auch die Anzahl der Beschäftigten im Forschungsbereich der Unternehmen beträgt, bezogen auf 1 000 Erwerbstätige, in den alten Ländern durchschnittlich 9,1; in Ostdeutschland dagegen sind es nur 3,3. Gerade den kleinen und mittleren Unternehmen in den neuen Ländern fehlen somit eigene Potenziale, um neue Verfahren und neue Produkte zu entwickeln und diese erfolgreich am Markt zu platzieren.

   Aber auch innerhalb der neuen Bundesländer ist die Situation durch große regionale Unterschiede gekennzeichnet. Hier liegen Licht und Schatten nahe beieinander. In einigen Regionen wie in Jena, Dresden, Leipzig oder Halle konnten ganz erhebliche Fortschritte erzielt werden. Dort bilden sich Wachstumszentren heraus, die sich zu selbsttragenden Wirtschaftseinheiten entwickeln. Es entstehen dort regionale Kompetenzfelder mit wettbewerbsfähigen und innovativen Branchenschwerpunkten. Diese Wachstumskerne müssen wir auch in Zukunft mit sehr differenzierten Förderinstrumenten und Fördermaßnahmen unterstützen, damit die von ihnen ausgehende wirtschaftliche Dynamik stabilisiert und weiter angeregt wird.

   Andererseits ist es jedoch unumgänglich, dass wir in struktur- und wachstumsschwachen Regionen neue Perspektiven eröffnen. Jede Region hat Stärken und Entwicklungspotenziale, sei es in der Erzeugung und Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten, in der Energiegewinnung durch Biomasse oder auch im Tourismus. Diese Wertschöpfungspotenziale müssen vor Ort identifiziert werden, und auch für wirtschaftsschwache Regionen müssen Entwicklungskonzepte erarbeitet und mit möglichst professionellen regionalen Managementmethoden umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Grundsätzlich gilt - ich glaube, darin sind wir uns alle einig -, dass die Zeit der Gießkannenförderung ein für alle Mal vorbei ist. Es muss darum gehen, die vorhandenen Mittel in den ostdeutschen Bundesländern gezielt und effizient einzusetzen. Mit konkreten Förderprogrammen wie Inno-Watt, NEMO und Pro Inno hat die alte Bundesregierung den besonderen Bedürfnissen der ostdeutschen Unternehmen bereits Rechnung getragen. Diese Programme gleichen die vorhandenen Defizite im Management, beim Technologietransfer, bei der Markteinführung und bei der Vernetzung aus.

   Dass der hier eingeschlagene Weg richtig ist, zeigen die begleitenden Untersuchungen. So haben sich der Umsatz, die Beschäftigung und die Produktivität der durch Inno-Watt geförderten Unternehmen weit besser entwickelt als der Durchschnitt der gewerblichen Wirtschaft. Mit jedem Euro Zuschuss konnte ein wirtschaftlicher Effekt von 14 Euro bewirkt werden. Von 2000 bis 2004 hat sich der Export bei den geförderten Unternehmen fast verdreifacht.

   Alles in allem zeigt sich: Die gezielte Innovations- und Technologieförderung ist erfolgreich. Deshalb müssen wir diese Programme zur Förderung der kleineren und mittleren Unternehmen fortsetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das zweite Standbein der mittelstandsorientierten Förderpolitik für die neuen Bundesländer ist die Investitionsförderung. Noch immer sind Eigenmittel ein Engpass bei der Finanzierung von Investitionen. Trotz umfangreicher staatlichen Hilfen lagen die Anlageinvestitionen in Ostdeutschland 11 Prozent unter denen in Westdeutschland. Während im Westen Investitionen fast zu zwei Dritteln aus Eigenmitteln finanziert werden können, liegt diese Quote im Osten knapp unter 50 Prozent. Diese Lücke wird derzeit durch Fördermittel geschlossen.

   Unsere wichtigsten Instrumente sind hier die Investitionszulage und die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Beide Instrumente wollen wir als Regierungskoalition fortführen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Die Investitionszulage ist eine wichtige Basisförderung. Wir sollten sie allerdings effizienter gestalten und den Realitäten in den neuen Ländern besser anpassen. Beispielsweise spricht viel dafür, mit dieser Zulage auch touristische Vorhaben zu unterstützen; denn für Regionen wie das Erzgebirge, den Harz, den Spreewald oder die Küste in Mecklenburg-Vorpommern bietet der Fremdenverkehr das wichtigste Wachstumspotenzial. Deshalb sollten wir eine Ausweitung der Förderung in diesem Bereich in Erwägung ziehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Außerdem werden wir die Gemeinschaftsaufgabe auf hohem Niveau fortsetzen. Sie ist und bleibt ein unverzichtbares Instrument für die Investitionsförderung. Die Gemeinschaftsaufgabe hat die nötige Flexibilität, um regionale Potenziale sehr gezielt zu fördern.

   Lassen Sie mich zum Schluss noch einen anderen Punkt herausgreifen. Bekanntlich reicht ein Instrument allein nicht aus, um ein Orchesterstück zu spielen. Ähnlich verhält es sich in der Mittelstandsförderung. Wichtig ist es, die verschiedenen Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, zusammen und vor allem auch koordiniert einzusetzen. Innovations- und Investitionsförderung gehören zusammen.

   Es ist deshalb gut, dass die wichtigsten Förderinstrumente auch von einem Ministerium begleitet und koordiniert werden. Bekanntlich machen mehrere Dirigenten das Musizieren nicht leichter. In diesem Sinne tun wir alles für die weitere Entwicklung des Mittelstandes auch im Osten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Herbert Schui, Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ERP-Sondervermögen muss dort bleiben, wo es zurzeit ist. Dieses Sondervermögen ist ein Mittel allgemeiner Wirtschaftsförderung, und zwar nicht nur für das Kleingewerbe - den Begriff Mittelstand möchte ich eher vermeiden; denn er umfasst vieles -, sondern auch zur Förderung von Innovation. Ich erinnere daran, dass auch das Airbus-Konsortium auf der Grundlage des ERP-Sondervermögens erhebliche Kredite bekommen hat.

   Statt öffentliches Eigentum zu erhalten, zu nutzen und für eine umfassendere Wirtschaftspolitik einzusetzen, wird von den Regierungen seit vielen Wahlperioden eine andere Tradition begründet, nämlich die Senkung von Unternehmen- und Gewinnsteuern im Allgemeinen - dadurch sinken die Einnahmen - und die Kürzung von öffentlichen Dienstleistungen und Sozialleistungen. Dennoch bleibt ein Defizit. Wie soll es angesichts der Maastricht-Kriterien ausgeglichen werden? Also wird öffentliches Eigentum verkauft - und so weiter und so fort.

   Dabei müssen wir uns aber das Problem vor Augen führen, dass in vielen Fällen das öffentliche Eigentum, das aus Gründen eines ungefähren Ausgleichs des öffentlichen Haushalts nun verkauft werden soll, von denen erworben wird, die reicher geworden sind, weil sie weniger Steuern zahlen müssen. Alles in allem ist das eine geniale Politik.

(Zustimmung bei der LINKEN)

   In diese Tradition des Verkaufs öffentlichen Eigentums gehört auch, dass von den insgesamt 12 Milliarden des ERP-Sondervermögens 2 Milliarden zur Finanzierung des Bundeshaushalts eingesetzt werden sollen und im Rahmen der so genannten Neuordnung des ERP-Sondervermögens offensichtlich weitere 10 Milliarden Euro als Eigenkapital der Kreditanstalt für Wiederaufbau zugeführt werden sollen. Diese Neuordnung wird aber nicht das Ende eines Prozesses sein, in dem sich der Staat zum armen Mann macht, sein Vermögen veräußert und damit bedeutende Möglichkeiten aufgibt, eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik zu betreiben.

(Beifall bei der LINKEN)

10 Milliarden Euro sollen also dafür verwendet werden, das Eigenkapital der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu erhöhen. Wie zweckmäßig auch immer, für sich genommen, mehr Eigenkapital ist für ein staatliches Spezialkreditinstitut -und das ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau, so bedenklich ist es, wenn das vermehrte Eigenkapital für die Kreditanstalt für Wiederaufbau nun aus dem ERP-Sondervermögen herausgenommen werden soll, um Telekomanteile oder Bahnaktien rascher zugunsten des Bundeshaushaltes zu liquidieren. Mit dem ERP-Sondervermögen als zusätzlichem Eigenkapital der KfW soll also die Privatisierung von Bundeseigentum finanztechnisch reibungslos gestaltet werden. Die KfW wird damit - das ist nicht ihre Aufgabe - zur Privatisierungsagentur des Bundes.

   Was ist zu erwarten, wenn alles bedeutende Bundesvermögen verkauft ist, wenn also die KfW ihren Dienst getan hat? Es ist wahrscheinlich, dass sie dann ebenfalls verkauft wird und damit auch dasjenige zusätzliche Eigenkapital, das aus dem ERP-Sondervermögen stammt. Man könnte der Regierung und der Koalition nur dann zustimmen, wenn sie eine unabdingbare Bestandsgarantie zugunsten der KfW formulierten, die Aufgaben genau definierten und überdies eine demokratische Kontrolle dieser reformierten Kreditanstalt für Wiederaufbau auf kurzem Weg ermöglichten. Insgesamt reicht das aber nicht aus, um den Mittelstand zu fördern. Eines muss bedacht werden: Wenn es - wie vorhin angekündigt - weitere Steuererleichterungen zugunsten des Mittelstandes gibt, dann ist angesichts der ungleich verteilten Marktmacht auf der Grundlage der Gestaltung der Absatz- und Beschaffungspreise zu erwarten, dass diese Steuererleichterungen in Kürze zu Gewinnen der Großwirtschaft werden.

   Gestatten Sie mir bitte noch einen abschließenden Satz. Wir schließen uns im Zusammenhang mit dem ERP-Vermögen durchaus dem Antrag der FDP an und sind - genauso wie die Kollegen von der FDP-Fraktion - gegen eine Liquidierung dieses öffentlichen Eigentums. Damit könnte sich allerdings eine Entente cordiale aus FDP und der Linken anbahnen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, ich befürchte, dass die Implikationen einer solchen heimlichen Koalition im Rahmen Ihrer überschrittenen Redezeit nicht mehr vollständig darzustellen sein werden.

(Heiterkeit und Beifall - Zuruf von der LINKEN: Sehr schade!)

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):

Meine Damen und Herren von der FDP, damit es so weitergeht, werden Sie in Zukunft sicherlich gemeinsam mit uns die Privatisierung von allem öffentlichen Eigentum nach Kräften zu verhindern versuchen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Hier wird Geschichte gemacht!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Hans Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.

(Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Endlich kriegen wir Unterstützung!)

Hans Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ERP-Sondervermögen ist das wichtigste Instrument der Innovationsförderung, der Mittelstandsförderung und der Umwelttechnologieförderung. Allein im Jahre 2005 wurden mit dem ERP-Wirtschaftsplan 3,8 Milliarden Euro bereitgestellt. Frau Wicklein, in den neuen Bundesländern sind mittlerweile 169 000 Vorhaben in den Bereichen Gründung und Festigung von Unternehmen gefördert worden. Der Aufbau dieser mittelständischen Unternehmen wäre ohne die gezielten Finanzierungshilfen häufig nicht möglich gewesen, wie es im Subventionsbericht der Bundesregierung herausgestellt wird. Wir alle wissen, dass die Mittelstandskreditförderung nie wichtiger war als heute, da sich vor allem die großen Banken leider zunehmend vom Mittelstand entfernt haben.

   Der Deutsche Bundestag war sich der besonderen Bedeutung dieses Finanzierungsinstruments immer bewusst und hat es über viele Jahrzehnte verteidigt. Auch jetzt ist wieder der Mut des ganzen Hauses gefragt, da das Finanzministerium das ERP-Sondervermögen kürzen und an die KfW schlicht verschenken will. Wir freuen uns, dass auch die FDP mit ihrem Antrag die Tradition der Vermögenserhaltung und die parlamentarische Kontrolle verteidigt.

   Ich würde mich auch freuen, wenn die Union und die SPD dieser Tradition folgen würden. Herr Kollege Lange, Herr Kollege Bernhardt, ich habe mich gefreut, dass Sie die Aufrechterhaltung der demokratischen Kontrolle betont haben. Aber Sie müssen auch wissen: Entweder gibt es diese demokratische Kontrolle oder die Eigenkapitalübertragung an die KfW. Beides zusammen ist nicht machbar und dies müssen wir ganz klar wissen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

   Ich befasse mich seit zwei Jahren mit dem Ansinnen des Finanzministeriums. Mir wurde bis heute kein stichhaltiger Grund genannt, der für eine Übertragung an die KfW spricht. Die genannten Effizienzgewinne sind sehr umstritten und wären bei anderen Anlageformen vermutlich sogar höher. Erst gestern hat mir die Parlamentarische Staatssekretärin des BMF Barbara Hendricks in der Fragestunde bestätigt, dass die KfW keine ERP-Mittel benötigt, um die Platzhaltergeschäfte im Rahmen der Privatisierung realisieren zu können.

   Das ERP-Sondervermögen ist vor allem ein Innovationsprogramm. Es ist das wichtigste Instrument, welches der Bundesregierung für ihre Innovationsoffensive zur Verfügung steht; denn es stellt genau dort Kapital zur Verfügung, wo andere das Risiko scheuen. Ohne das ERP-Sondervermögen mit Mut zu Investitionen wäre jede Innovationsoffensive zum Scheitern verurteilt. Ich will das anhand der jüngsten Innovationsbausteine darstellen. Ohne das ERP-Sondervermögen gäbe es keinen Dachfonds für Venture Capital. Ohne diesen Dachfonds würde das Eigenkapital des European Investment Fund nicht in Deutschland investiert werden. Ohne die Beteiligung des ERP-Sondervermögens gäbe es auch keine Chance, das Venture Capital in Deutschland wieder zu beleben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Den Dachfonds wollte übrigens die KfW nicht mitfinanzieren, da ihr das Risiko zu hoch erschien. Das ist das gute Recht der KfW. Umgekehrt ist es aber auch das gute Recht des Bundestages, andere Prioritäten zu verfolgen. Die Verfolgung dieser Prioritäten ist aber nur so lange möglich, wie über das ERP-Sondervermögen vom Bundestag und nicht von der KfW entschieden wird.

(Beifall bei der FDP)

   Dies zeigt auch das Beispiel des ERP-Startfonds, der ebenfalls im Risikokapitalbereich aktiv ist. Er wird zu 90 Prozent über das ERP-Sondervermögen finanziert. Dieses war als einziges Vermögen bereit, so viel Geld überhaupt in die Hand zu nehmen, um Start-ups kozufinanzieren. Die durchführende KfW war nur zu eher symbolischen 10 Prozent zu bewegen. Wäre das ERP-Sondervermögen im KfW-Besitz gewesen, gäbe es folglich auch keinen Startfonds und somit weit geringere Chancen für junge Technologieunternehmen, an Geld zu gelangen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der Deutsche Bundestag hat nicht nur mutig in die Zukunft investiert; er hat dabei auch das Vermögen erhalten - und das über Jahrzehnte hinweg. Mit diesem Vermögen konnten zugleich Dutzende Milliarden in die Zukunft des Landes investiert werden. Da der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung eine große Verantwortung für das ERP-Sondervermögen und damit auch für die Zukunft unseres Landes tragen, müssen sie größten Wert darauf legen, wie das Geld angelegt wird. Hier muss selbstverständlich auch in der Zukunft das Substanzerhaltungsgebot gelten. Ansonsten würden wir Gefahr laufen, in eine Innovationsdefensive zu geraten. Der Vertrag mit den USA bietet hierzu eine wichtige Gewährleistung; denn in diesem Vertrag ist die Substanzerhaltung als oberstes Gebot festgeschrieben. Die Substanzerhaltung spricht übrigens nicht dagegen, dass der Bundesfinanzminister 2 Milliarden Euro im Haushalt verwenden kann. Den 2 Milliarden Euro müssen dann aber logischerweise Beteiligungswerte in gleicher Höhe gegenüber stehen und schon sind zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Verringerung der Neuverschuldung und Substanzerhaltung des Sondervermögens. Diesen Weg gibt es und wir halten ihn für den richtigen und einzigen gehbaren angesichts der internationalen Vertragslage.

   Neben dem Substanzerhaltungsgebot muss die Effizienz im Vordergrund stehen, mit der das Geld angelegt wird. Folgerichtig muss wie bei jeder Geldanlage verglichen werden, was der Markt anbietet. Wer das beste Angebot macht, soll dann auch den Zuschlag erhalten. Dies ist ein selbstverständliches Vorgehen, das wir in unserem Antrag einfordern. Wir wissen, die Haushaltslage ist mehr als schwierig. Umso mehr gilt: Der Bund hat kein Geld zu verschenken, auch nicht an die KfW.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP - Otto Bernhardt (CDU/CSU): Da hat er Recht!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Franz Obermeier, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon amüsant, welche Allianzen sich in dieser Debatte ergeben. Man muss einmal schauen, wie sich die Dinge in den nächsten Tagen und Wochen weiterentwickeln.

   Was die Zielsetzungen angeht, besteht in diesem Hause eigentlich Einigkeit: Mittelstandsförderung hat Priorität. Sie steht nicht zuletzt in unserem Koalitionsvertrag ganz oben. Gleichzeitig wird fast täglich der Abbau von Arbeitsplätzen in unserem Land, insbesondere in der Industrie, gemeldet.

(Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Leider wahr!)

Das bringt mich dazu, zu fragen: Wie fangen wir diese Arbeitsplatzverluste auf? Im vergangenen Jahr sollen 400 000 Arbeitsplätze im sozialversicherungspflichtigen Bereich abgebaut worden sein. Das muss uns äußerst nachdenklich machen.

   Lassen Sie mich versuchen, eine Bilanz zu ziehen. Wir werden im Dienstleistungsbereich weiterhin sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze bekommen. Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Verluste im industriellen Bereich dadurch bei weitem nicht ausgeglichen werden. Insofern haben wir die Aufgabe, alles dafür zu tun, dass im produktiven Bereich Arbeitsplätze entstehen. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn wir die mittelständische Wirtschaft entsprechend fördern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dafür haben wir zu arbeiten.

   Nun möchte ich ein Wort zu Herrn Brüderle sagen, nachdem er sich hier über unsere Arbeit und unsere Absichten so deutlich ausgelassen hat. Herr Brüderle, Sie können die Besteuerung im mittelständischen Bereich gern anprangern. Auch wir haben da einige Defizite festzustellen. Wenn Sie sich aber über die Gewerbesteuer in dieser Form auslassen, dann erwarte ich von Ihnen als erfahrenem Politiker, dass Sie den Kommunen ein Signal geben, wie sie einen adäquaten Ausgleich für die Abschaffung der Gewerbesteuer bekommen.

(Beifall des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) und des Abg. Dr. Rainer Wend (SPD))

Ein solcher Ausgleich ist für meine Begriffe für die Kommunen deswegen wichtig, weil wir den Kommunen in der Zukunft weitere Aufgaben übertragen werden. Wir müssen den Kommunen sagen, wie sie die Dinge zu finanzieren haben. Wir stellen bei den Kommunen einen Investitionsstau von erheblichem Ausmaß fest. Dieses Thema dürfen wir nicht hintanstellen.

   Ich bin froh, dass sich die neue Regierung die Zeit nimmt, um in diesem und im nächsten Jahr ein vernünftiges, umfassendes Steuerrecht zu entwickeln. Wir Politiker im Allgemeinen und die alte und die neue Bundesregierung im Besonderen werden gerade vom gewerblichen Bereich mit einiger Skepsis gesehen: Man ist sich noch nicht so ganz sicher, ob diese Konstruktion das notwendige Vertrauen verdient. Wir dürfen uns deshalb in der Steuerpolitik nichts leisten, was dazu führt, dass nachgebessert werden muss. Wir müssen gute Arbeit leisten. Wir müssen alle zusammenstehen, damit dieses Land ein umfassendes, vernünftiges und gutes Steuerrecht bekommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Dieser Tage gab es eine Veranstaltung des Deutschen Verkehrsforums. Hier im Parlament werden wir demnächst das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz behandeln. Der Investitionsstau im Verkehrsbereich hat eine Größenordnung von 160 Milliarden Euro. Über den Haushalt werden wir die notwendigen Investitionen in einer angemessenen und überschaubaren Frist nicht vornehmen können. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns in absehbarer Zeit mit alternativen Finanzierungsmethoden, insbesondere was den Verkehr angeht, befassen.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Aber keine Maut!)

- Nein, ich rede nicht der Maut das Wort.

(Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Ich rede von Finanzierungsmethoden im Privatkapitalsektor. Dem müssen wir näher treten, weil wir, was den gesamten Verkehrsbereich betrifft, von der Substanz leben. Das ist alles andere als vertretbar.

   Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar Punkte benennen, die neben den Verkehrsinvestitionen - im Bahnbereich finden überwiegend mittelständische Unternehmen Aufträge - tatsächlich mittelstandsfördernd sind. Zum Gebäudesanierungsprogramm: Gerade für das Handwerk ist es äußerst vorteilhaft, wenn wir diese 1,4 Milliarden Euro jetzt sinnvoll einsetzen.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ein ausgesprochen gutes Programm!)

„CO2-Gebäudesanierungsprogramm“ ist vom Begriff her vielleicht ein bisschen einfach. Es geht darum, dass für den Bereich Wärme 1,4 Milliarden Euro jährlich zielgerichtet für den Mittelstand zur Verfügung stehen. Damit geben wir gerade den kleinen und mittelständischen Unternehmern das Signal, dass wir etwas für sie tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die restlichen Minuten noch zu einer Bemerkung über das ERP-Sondervermögen nutzen. Wir sind uns in diesem Hause darüber einig - das ergibt sich, wenn man die Debatte verfolgt -, dass es sich dabei eigentlich um ein Juwel in der bundesdeutschen Geschichte handelt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Rainer Brüderle (FDP): Richtig! - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ein großes Juwel!)

Die Frage ist: Welche Zielsetzung steckt dahinter, wenn die Übertragung an die KfW betrieben wird? Die Eigenkapitalausstattung ist ein Aspekt. Wir haben aber gerade gehört, dass es darum eigentlich gar nicht gehen kann. Wenn die Effizienz der Bewirtschaftung dieses Kapitals der Punkt ist, dann muss uns jemand hier im Parlament erklären, wo denn Defizite liegen. Ist das Kapital in der Vergangenheit nicht effizient angelegt worden? Wo können Effizienzgewinne liegen? Oder geht es etwa um die Forderungsabtretung? Auch das könnte ein interessanter Aspekt sein. Wer sich damit befasst, sollte aber gleichzeitig sagen, dass das für das ERP-Sondervermögen langfristig auf alle Fälle zu einem Verlust führt.

(Rainer Brüderle (FDP): Natürlich!)

Auch diese Variante ist für meine Begriffe also höchst fragwürdig.

(Rainer Brüderle (FDP): Sehr richtig!)

   Insgesamt können wir uns über die Thematik unterhalten. Auch wir - da spreche ich schon für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion - sind für das Substanzerhaltungsgebot. Das darf unter gar keinen Umständen ausgehöhlt werden. Dagegen werden wir uns mit Händen und Füßen wehren. Auch sollte man darüber reden, wie die Finanzierung des deutschen Anteils bei Airbus durch das ERP weitergeht. Immerhin hat man dem Bund dadurch im Prinzip 1,1 Milliarden Euro gespart.

   Als Letztes möchte ich sagen, dass wir unsere Außenbeziehungen zu den Vereinigten Staaten mit Bedacht gestalten sollten.

   Wir sollten uns also sehr wohl über den weiteren Fortgang der Dinge unterhalten - das aber mit Bedacht, mit Vernunft und letztlich mit dem Ziel, das ERP-Sondervermögen für unsere mittelständische Wirtschaft zu erhalten, wenn nicht sogar zu vermehren.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Geschichte der Bundesrepublik hat es selten eine Koalitionsvereinbarung gegeben, in der sich diejenigen, die sich anschicken, zu regieren, dermaßen breit dem Thema Mittelstandspolitik zugewandt haben. Das gilt für alle Facetten des Themas: ordnungspolitische Fragen, Fragen der Förderung und der Finanzierung, steuerrechtliche Kulisse, bürokratische Hürden und vieles andere mehr.

Es ist ein sehr systematischer Ansatz. Wenn es der großen Koalition und der Regierung gelingt, diese Themen innerhalb der nächsten Jahre abzuarbeiten, dann verbessern sich die Möglichkeiten für mittelständische Unternehmen und Existenzgründer drastisch. Das ist unser gemeinsames Ziel.

(Beifall bei der SPD)

   Es wird zwar immer sehr technisch über den Mittelstand geredet; aber in der Wirklichkeit verbirgt sich hinter diesem Begriff eine ungeheure Vielfalt. Es sind sehr unterschiedliche Größenordnungen von Unternehmen, über die wir in diesem Zusammenhang reden. Viele erscheinen dem Außenstehenden und Unvoreingenommenen als große Industrieunternehmen, die aber statistisch gesehen noch zum Mittelstand gehören. Es gibt viele Kleinunternehmen, in denen nur eine, zwei oder drei Personen arbeiten. Es gibt sehr große Unternehmen, die Gesellschaften bürgerlichen Rechts sind, und es gibt kleine Aktiengesellschaften. Es gibt eine ungeheure Branchenvielfalt, vom produzierenden Gewerbe über die Dienstleister bis hin zum industriellen Bereich. Manche mittelständischen Unternehmen arbeiten praktisch ausschließlich in regionalen, örtlichen Kreisläufen, andere sind in hohem Maße exportorientiert und unterliegen denselben weltweiten Standortbedingungen wie große Industrieunternehmen.

   Insofern muss auch die Mittelstandspolitik differenziert angegangen werden. Dabei spielen zwei wichtige Fragen, die heute schon angesprochen worden sind, eine große Rolle: Erstens. Wie finanziert sich der Mittelstand und wie sind die Standortbedingungen im Vergleich zu anderen unter Wettbewerbsgesichtspunkten? Zweitens. Was ist die steuerliche Bemessungsgrundlage? Welche Steuern zahlen Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform?

   Bei der Finanzierung ist die Lage differenziert zu betrachten. Die stärkeren mittelständischen Industrieunternehmen haben inzwischen eine deutlich gestiegene Eigenkapitalquote und eine wesentlich höhere Eigenfinanzierungsquote als noch vor einigen Jahren. Sie sind auf dem Weg, sich von den Banken abzunabeln, sich von ihnen unabhängig zu machen, indem sie andere Möglichkeiten der Finanzierung suchen, aus dem Kreis der Gesellschafter oder in Form von Beteiligungskapital Dritter.

   Die kleinen Unternehmen hingegen haben oft schon große Probleme, ihre Aufträge zu finanzieren, und müssen möglicherweise eine Auftragsbürgschaft hinterlegen, um überhaupt an einen Auftrag zu kommen. Sie haben nach wie vor eine bescheidene Kapitalausstattung. Sie haben nicht die Sicherheiten, die man vorlegen muss, wenn man einen Bankkredit bedienen will, sodass sie häufig nicht einmal in der Lage sind, eine Auftragsbürgschaft, die ja auch Geld kostet, zu hinterlegen.

   Insofern muss die Zuwendung der Politik gegenüber den mittelständischen Unternehmen beide Wirklichkeiten im Auge haben: die der starken, wettbewerbsorientierten, auch international operierenden Mittelständler und die der Kleinen, die im Wesentlichen für den eigenen Binnenmarkt sowie für die Existenz der Eigentümer und die Finanzierung des Unternehmens arbeiten. Ich persönlich bin nicht der Auffassung, dass die Kritik bezüglich des Umgangs der drei Säulen unseres Bankwesens mit den Unternehmen ausschließlich an den großen Geschäftsbanken anzubringen ist. Auch bei Volksbanken und Sparkassen ist es für einen kleinen Bauunternehmer oder einen Unternehmer aus einer Branche, in der die Lage allgemein als kritisch angesehen wird, zum Teil ausgesprochen schwierig geworden - wenn man nicht seine Schwiegermutter als Sicherheit mit dabeilegt -, eine Finanzierung zu bekommen.

   Als Freund des dreigliedrigen Bankwesens sage ich: Gerade der öffentlich-rechtliche Sektor, der ursprünglich entwickelt worden ist, um die regionale Geldversorgung zu organisieren, ist da in einer ganz besonderen Verantwortung. Aber wir müssen es ihm auch möglich machen, dieser Verantwortung nachzukommen.

   Risikomanagement ist zwingend erforderlich, sowohl in Bezug auf die Banken, weil wir keinen Bankencrash wollen, als auch in Bezug auf die Unternehmen. Die Unternehmen müssen sich durch Vermögensvergleich darüber klar werden, wo sie eigentlich stehen. Aber die Hürden dürfen nicht so hoch gesetzt werden, dass nur noch risikolose Darlehen vergeben werden; denn das würde null wirtschaftliche Dynamik bedeuten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Dann würde nur noch dem gegeben, der schon hat; dann würde nicht Risikofreudigkeit belohnt, sondern im Grunde genommen der Status quo erhalten werden.

Darin liegt das Problem bei der Mittelstandsfinanzierung. Wir müssen uns ganz schnell daranmachen, Basel II umzusetzen und die Regeln für die Aufsicht über die kreditvergebenden Bankinstitute im Rahmen der wirtschaftlichen Erfordernisse auszugestalten.

   Ich sehe aber auch die Notwendigkeit, dass das, was besser gestellte Mittelständler schon nutzen können, auch kleineren Unternehmen zugute kommt. Ich meine das Zur-Verfügung-Stellen privaten Kapitals Dritter. Das muss sicher steuerrechtliche Konsequenzen haben, weil natürlich nicht jedes Engagement beispielsweise im Bereich Private Equity immer mit der Erzielung eines Gewinns belohnt werden kann. Es besteht natürlich auch das Risiko, dass ein Engagement einmal sozusagen in die Hose geht. Unter dem Strich gesehen muss auch für die privaten Kapitalgeber das Nettobesteuerungsprinzip gelten, das in anderen Zusammenhängen ebenfalls gilt. Darüber müssen wir im Rahmen der Unternehmensteuerreform dringend nachdenken.

   Wir müssen auch darüber nachdenken - ich sage das ganz bewusst, weil wir in der vergangenen Legislaturperiode darüber schon kritische Diskussionen hatten -, wie wir eigentlich mit der Tatsache umgehen, dass im mittelständischen Bereich ein großer Teil der Finanzierung der Investitionsgüter inzwischen über Leasing erfolgt. Das ist zwar grundsätzlich nicht schlecht, aber man muss sich schon darüber unterhalten, welche Implikationen sich daraus ergeben und wie die Leasingkosten steuerlich behandelt werden sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Zur Unternehmensteuerreform selbst. Herr Bernhardt hat es klar auf den Punkt gebracht. Wir wollen alle Unternehmen - unabhängig von ihrer Rechtsform - gleich besteuern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Damit heben wir die einzelnen Rechtsformen nicht auf. Wir erreichen damit aber eine systematische Trennung zwischen der unternehmerischen Sphäre und der steuerlichen Sphäre der Unternehmenseigentümer. Dies ist richtig; denn diese sollen steuerlich genauso behandelt werden wie jeder Arbeitnehmer. Wir wollen dadurch erreichen, dass die Chancen, Eigenkapital für das Unternehmen anzusammeln, durch die entsprechende steuerliche Behandlung von Unternehmensgewinnen erleichtert wird, solange diese Gewinne nicht ausgeschüttet werden.

   Vorhin habe ich die nach wie vor zu geringe Eigenkapitalausstattung beklagt. Hier bietet die Unternehmensteuerreform die Chance, dass dieses Defizit gerade in Bezug auf die bisherigen Personengesellschaften, die unter Eigenkapitalknappheit leiden, gründlich und in kürzerer Zeit abgebaut wird.

   Wir müssen natürlich erreichen, dass es für Mittelständler, die im starken internationalen Wettbewerb stehen, eine steuerliche Kulisse gibt, die wettbewerbsfähig ist - wohl wissend, dass Steuern nicht der einzige Gesichtspunkt sind, unter dem internationaler Wettbewerb stattfindet. Dazu gehören natürlich auch die Infrastruktur und die Ausbildung der Mitarbeiter. Wir müssen deswegen nicht die niedrigsten Steuersätze erreichen. Mit unseren Steuersätzen müssen wir aber im Mittelfeld liegen, sodass es für die Unternehmen lohnend ist, in Deutschland ihren Standort zu halten oder sogar noch neue Standorte aufzubauen. Das ist das Ziel der Unternehmensteuerreform.

   Es handelt sich um eine hoch komplizierte Materie. Deswegen brauchen wir ein paar Monate Zeit. Diese Zeit überbrücken wir - kreativ wie wir nun einmal sind -

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Na ja!)

mit dem Angebot an die Unternehmen, insbesondere an die mittelständischen Unternehmen, Investitionen in diesem und im nächsten Jahr vorzuziehen, indem wir die Abschreibungsbedingungen deutlich verbessern. Wir machen ein Angebot für den Binnenmarkt, indem wir die energetische Gebäudesanierung fördern. Wir entbürokratisieren den Verwaltungsaufwand gerade für kleinere Unternehmen, indem wir die Kriterien für die Buchführungspflichten herabsetzen.

   Außerdem werden wir die Grenzen für die Istbesteuerung bei der Umsatzsteuervorauszahlung heraufsetzen, die gerade für kleine Unternehmen immer den Charakter eines kostenlosen Darlehens an den Fiskus hat. Ich kenne viele Unternehmen, die zwischendurch Darlehen bedienen mussten, um ihre Umsatzsteuervorauszahlung leisten zu können. Das kann im Falle von kleinen Unternehmen kein hinnehmbarer Zustand sein. Wir senken die Grenze deutlich. Dies ist eine Sofortmaßnahme, die schnell wirkt und gut für die Stimmung ist.

   Wir müssen eine optimistische Stimmung verbreiten und die Botschaft aussenden, dass sich zumindest der größte Teil des Bundestages überzeugend um den Mittelstand kümmert. Dann fassen die Unternehmen auch Vertrauen, nehmen Geld in die Hand, machen sich Gedanken über nächste Schritte und entwickeln die Gesellschaft und die Wirtschaft nach vorne.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Da können auch wir klatschen!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Kollege Schultz, ich möchte zunächst einmal ausdrücklich feststellen, dass Sie in weiten Teilen - das betrifft insbesondere das, was Sie zur Bankenpolitik und zu der Frage gesagt haben, ob Unternehmen überhaupt noch in der Lage sind, für ihre Unternehmensstrategien entsprechendes Risikokapital zu bekommen - unsere Zustimmung haben.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))

   Erst während Sie, Herr Kollege Schultz, gesprochen haben, hat der erste Bundesminister dieser Regierung - es war um 12.29 Uhr - den Weg in den Deutschen Bundestag gefunden. Es war der erste Bundesminister während der gesamten Debatte. Ich halte es für eine Missachtung des Deutschen Bundestages, dass ein Bundesminister meint, bis 12.30 Uhr fernbleiben zu können. Keiner der Minister ist hier gewesen.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

   Ich möchte für die Opposition ausdrücklich sagen - das betrifft auch künftige Fragen -: Frau Bundeskanzlerin, als Sie selbst vor wenigen Monaten noch in der Opposition gewesen sind, hätten Sie es sich nicht bieten lassen, dass kein Bundesminister an einer solchen Debatte teilnimmt. So viel Respekt, wie Sie damals für die Opposition verlangt haben, erwarten auch wir heute für die Opposition.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

   An dieser Stelle muss klar gesagt werden: Kein Bundesminister nimmt an einer solchen Debatte teil. Es handelt sich um eine Kernzeitdebatte. Wir alle haben andere Aufgaben zu erfüllen; wir alle haben viel zu tun. Wenn einzelne Abgeordnete und Minister sich entschuldigen, ist das selbstverständlich in Ordnung. Aber dass kein Bundesminister teilnimmt, wollen wir in keiner Weise durchgehen lassen. Das kann auch nicht im Sinne der Parlamentarier der Regierungsparteien sein.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung Kollegin Krogmann.

Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU):

Sehr geehrter Kollege Westerwelle, die Regierung war während der gesamten Debatte durch den zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär vertreten, der den gesamten Geschäftsbereich Mittelstand im Bundeswirtschaftsministerium vertritt. Die Bundesregierung war außerdem während der gesamten Debatte durch die zuständige Staatsministerin im Bundeskanzleramt vertreten.

(Jürgen Koppelin (FDP): Sehr gnädig!)

Die Bundesregierung war zudem durchgängig von Staatssekretären aus acht Ressorts vertreten.

   Wir freuen uns umso mehr, dass im letzten Drittel der Debatte

(Jürgen Koppelin (FDP): Drittel? - Dr. Guido Westerwelle (FDP): 12.29 Uhr!)

auch der Bundesarbeitsminister anwesend war und jetzt die Bundeskanzlerin da ist. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Präsenz der Bundesregierung während der Debatte sehr gut war.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP), zur CDU/CSU gewandt: Wo ist euer Selbstbewusstsein?)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass man über alle spontane Aufregung hinaus gemeinsam festhalten darf, dass wir uns bei den damaligen Vereinbarungen über die Gestaltung der Kernzeit wechselseitig besondere Präsenzerwartungen auferlegt haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das muss dann auch von allen Seiten mit gleicher Ernsthaftigkeit betrieben werden.

   Nun erteile ich als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort dem Kollegen Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Schade, dass die Debatte, die kurz vor ihrem Abschluss stand, ein solches Ende gefunden hat! Herr Westerwelle, ich kann Ihre Argumente durchaus nachvollziehen. Aber vielleicht wollten Sie mit Ihrer Wortmeldung nur darüber hinwegtäuschen, dass Ihr Antrag, den wir heute debattieren mussten, doch nicht so gut gewesen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Rainer Brüderle (FDP): Oh, Herr Lämmel!)

   Meine Damen und Herren, die Debatte hat klar gezeigt: Die CDU und die CSU sind die Parteien der sozialen Marktwirtschaft. Die soziale Marktwirtschaft ist ohne einen starken, innovativen und wirtschaftlich gesunden Mittelstand überhaupt nicht denkbar. Unser Engagement für den Mittelstand in den letzten Jahren war keine allgemeine politische Phrase. Wir mussten heute feststellen, dass in diesem Saal nur Freunde des Mittelstandes sitzen. Nur frage ich mich, warum in den letzten Jahren so wenig dafür getan wurde, dass der deutsche Mittelstand vorankommt.

   Kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland beschäftigen durchschnittlich 70 Prozent der Beschäftigten. Wenn Sie in Richtung Ostdeutschland schauen, dann stellen Sie fest, dass dort im Mittelstand sogar über 90 Prozent der Beschäftigten tätig sind. Deswegen ist der Mittelstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Lämmel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wend?

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU):

Ja, bitte.

Dr. Rainer Wend (SPD):

Herr Kollege Lämmel, Sie meinten feststellen zu müssen, dass in den letzten Jahren nichts für den Mittelstand getan worden sei. Darf ich Sie dann fragen, wie Sie sich erklären, dass sich die Gewinne der Unternehmen in den Jahren 2000 bis 2004 von 133 Milliarden Euro auf 156 Milliarden Euro erhöht haben und die Zahl der Existenzgründungen in diesem Zeitraum von 3,91 Millionen auf 4,23 Millionen gestiegen ist? Können Sie mir erklären, wie Sie die Behauptung aufrechterhalten wollen, dass für den Mittelstand nichts getan worden sei?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU):

Wir wollen ja eigentlich nach vorn schauen und nicht zurück. Die Antwort wäre aber: Das kann man damit erklären, dass die Unternehmer eben findig sind. Trotz der schlechten Politik haben sie dieses gute Ergebnis erzielt.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von daher kann man der Unternehmerschaft in Deutschland nur hohe Kompetenz zuschreiben.

   Ich möchte auf zwei Aspekte des Antrags der Koalitionsfraktionen eingehen und mich dabei erstens auf das Thema Forschung und Technologie beziehen, das bisher nur am Rande eine Rolle gespielt hat. Wenn man sich die Investitionsquote in Deutschland anschaut, dann erkennt man, dass im Jahre 2004 die Nettoanlageinvestitionen den niedrigsten Stand seit 1970 erreicht haben. Es gibt einen Zusammenhang zwischen einer teilweise festzustellenden Investitionsschwäche des deutschen Mittelstands und der Innovationsquote. Das Anliegen der Koalition - das ist aus dem Koalitionsvertrag, dem Jahreswirtschaftsbericht und dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen zu ersehen - ist es, den Mittelstand von den zusätzlichen Mitteln für die Forschung überproportional profitieren zu lassen. Es ist ein wichtiger Aspekt in diesem Paket, neben steuerlichen Fragen und den Fragen des Bürokratieabbaus: Es soll gerade die Innovationskraft der Wirtschaft gestärkt werden.

   Lassen Sie mich zweitens den Blick nach Ostdeutschland werfen. Letzte Woche flatterte uns eine interessante Untersuchung der Sparkassen-Finanzgruppe unter dem Titel „Diagnose Mittelstand 2006“ auf den Tisch. Dort wurden fast 200 000 Bilanzen kleiner und mittlerer deutscher Unternehmen ausgewertet. Es lässt sich sehr wohl feststellen: In Ostdeutschland ist mehr Licht als Schatten. Wenn wir über die Wirtschaft in Ostdeutschland sprechen, dann müssen wir uns immer vor Augen halten, dass das älteste Unternehmen in Ostdeutschland gerade einmal 16 Jahre alt ist. Es ist eigentlich ein Teenager.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Was? Quatsch!)

- Es konnten erst 1990 Unternehmen gegründet werden, Frau Kollegin.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Was war vorher? - Ute Kumpf (SPD): In letzter Zeit sind besonders viele gegründet worden!)

   Demgegenüber sind Unternehmen in den alten Bundesländern teilweise 50 oder 60 Jahre alt; sie sind also gut situiert. Ich will damit nur sagen, dass man sich, wenn man die Wirtschaft Ostdeutschlands betrachtet, immer wieder vor Augen halten muss, dass es sich dabei um eine junge Wirtschaft handelt und dass die Kapitalausstattung der ostdeutschen Wirtschaft erst 73 Prozent des Kapitalstocks der Unternehmen in Westdeutschland erreicht hat. Die mit den bisher eingesetzten Instrumenten wie Wirtschaftsförderung, Technologieförderung und anderen in Gang gesetzte Entwicklung zeigt, dass das Wort von den „blühenden Landschaften“ eben doch nicht verkehrt war.

   Im überregionalen Vergleich wird deutlich, dass die F-und-E-Potenziale in Ostdeutschland zu sehr im öffentlichen Sektor konzentriert sind und dass die private Wirtschaft über zu geringe eigene Entwicklungskapazitäten verfügt. Hier muss man ansetzen. Das Programm „Inno-Watt“ der letzten Regierung hat hervorragend gewirkt;

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf einmal!)

Frau Wicklein hat ja schon darauf hingewiesen. Wenn mit dem Einsatz geringer Fördermittel der Umsatz und der Export erhöht werden können und die Beschäftigung steigt, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen gehen wir genau diesen Weg weiter.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Christian Lange (Backnang) (SPD): Guter Schluss!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Lämmel, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede hier im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen alles Gute für die weitere Arbeit.

(Beifall)

   Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 16/562 zur Federführung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und zur Mitberatung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/382, 16/557 und 16/548 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Fraktion der Grünen hat darum gebeten, dass ihr Antrag auf der Drucksache 16/548 wie auch die anderen zwei Anträge an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Ich vermute, darüber wird es Einvernehmen geben. Darf ich das förmlich feststellen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 5 a bis 5 c, Wahlen zu Gremien. Ich weise darauf hin, dass wir diese Wahlen mittels Handzeichen durchführen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 a auf:

Beirat für Fragen des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur (Eisenbahninfrastrukturbeirat)

- Drucksache 16/538 -

   Dazu liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen auf der Drucksache 16/538 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Wer stimmt dagegen? - Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Damit sind die Wahlvorschläge einstimmig angenommen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 b auf:

Beirat bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen

- Drucksache 16/539 -

   Hierzu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und Die Linke auf Drucksache 16/539 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 c auf:

Kuratorium der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“

- Drucksache 16/540 -

   Hierzu gibt es Wahlvorschläge der Fraktionen der SPD und Die Linke auf Drucksache 16/540. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Stimmt jemand dagegen? - Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Jürgen Gehb, Dr. Günter Krings, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Joachim Stünker, Dr. Peter Danckert, Klaus Uwe Benneter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Speicherung mit Augenmaß - Effektive Strafverfolgung und Grundrechtswahrung

- Drucksache 16/545 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf der Drucksache 16/545 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 21 a:

- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 22. Oktober 1996 zum Übereinkommen Nr. 147 der Internationalen Arbeitsorganisation über Mindestnormen auf Handelsschiffen

- Drucksache 16/151 -

- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 180 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 22. Oktober 1996 über die Arbeitszeit der Seeleute und die Besatzungsstärke der Schiffe

- Drucksache 16/152 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

- Drucksache 16/475 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Grotthaus

   Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/475, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/151 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. - Ich weiß gar nicht, ob das der erste in dieser Legislaturperiode ist, und dann ist er gleich einstimmig angenommen.

   Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/475, den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/152 ebenfalls anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dieser Empfehlung folgen wollen, sich zu erheben. - Möchte jemand dagegen stimmen? - Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Das ist nicht der Fall. Auch dieser Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 21 b:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Ausnahme von dem Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für Mitglieder der Bundesregierung

- Drucksache 16/524 -

   Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dies ist offenkundig mit breitem Einvernehmen und einstimmig angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 16. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 10. Februar 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16016
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