Deutscher Bundestag | Drucksache 13/6891 |
13. Wahlperiode | 3. Februar 1997 |
Bericht
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
(22. Ausschuß)
gemäß § 93 a Abs. 4 der Geschäftsordnung
zu den Schlußfolgerungen der XV. COSAC (Konferenz der
Sonderorgane für EU-Angelegenheiten) am 16. Oktober 1996 in
Dublin
- CONF/3973/96 -
und zum Beratungsdokument der Regierungskonferenz zur Revision des
Maastrichter Vertrages - Aufzeichnung des irischen Vorsitzes vom
19. November 1996
- CONF/3985/96 -
- Drucksache 13/6357Nr. 3.1 und 3.2 -
A. Problem
Der Europäische Rat von Turin hat am 29. März 1996 die
Regierungskonferenz zur Reform des Vertrages von Maastricht
beauftragt, zur Verbesserung der Institutionen der
Europäischen Union u. a. auch die Frage zu prüfen, "in
welcher Form und inwieweit die nationalen Parlamente, auch
gemeinsam, besser zur Erfüllung der Aufgaben der Union
beitragen können."
Grundlage der Beratungen der Regierungskonferenz hierzu bilden
neben verschiedenen Vorschlägen und Stellungnahmen einzelner
Parlamente der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor
allem die Schlußfolgerungen der XV. Konferenz der
Sonderorgane für EU-Angelegenheiten der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union (COSAC) in Dublin am 16. Oktober 1996 sowie
eine als Konferenzdokument verteilte Aufzeichnung des irischen
Ratsvorsitzes vom 19. November 1996.
Der Deutsche Bundestag hat bisher keinen eigenen Vorschlag zur
zukünftigen Rolle der nationalen Parlamente eingebracht und
lediglich durch Delegationen der COSAC Stellung bezogen.
B. Lösung
Abgabe eines Votums, mit dem zu den Schlußfolgerungen der
COSAC befürwortend Stellung genommen wird, die
Aufrechterhaltung des Status der COSAC als einer flexiblen Form
offenen Informations- und Meinungsaustausches zwischen den
Mitgliedern der nationalen Parlamente unterstützt wird und
zugleich die ablehnende Haltung des Deutschen Bundestages zu
weitergehenden Vorschlägen im Hinblick auf eine
Institutionalisierung der COSAC für die Verhandlungen der
Regierungskonferenz zur Revision des Maastrichter Vertrages
förmlich gegenüber der Regierung kundgetan wird.
Einstimmigkeit im Ausschuß
C. Alternativen
Keine.
D. Kosten
Keine.
Bericht der Abgeordneten Dr. Gero Pfennig, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Christian Sterzing und Prof. Dr. Helmut Haussmann
1. Zum Verfahren
Der Bericht wird gemäß Artikel 45 GG in Verbindung mit
§ 93 a Abs. 3 Satz 2 GO-BT abgegeben. Danach kann der
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen
Union gegenüber der Bundesregierung eine Stellungnahme
abgeben, sofern nicht einer der beteiligten Fachausschüsse
widerspricht. Die beteiligten Ausschüsse haben das Verfahren
gewählt, um dem Deutschen Bundestag in einem
eilbedürftigen Fall - die Rolle der nationalen Parlamente ist
Thema des am 13./14. Dezember 1996 in Dublin tagenden
Europäischen Rates - die Möglichkeit einer effektiven
Einflußnahme des Parlaments auf die Verhandlungsführung
der Regierung zu gewährleisten.
Auf dieser Grundlage hat der Ausschuß für die
Angelegenheiten der Europäischen Union gegenüber der
Bundesregierung folgendes Votum abgegeben:
1. Die Beteiligung der nationalen Parlamente in europäischen Angelegenheiten ist in erster Linie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung. Am Beispiel der weitgehenden Beteiligung von Deutschem Bundestag und Bundesrat gemäß Art. 23 und 45 GG, dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union sowie dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union, läßt sich belegen, daß die nationalen Parlamente nach einer entsprechenden Ausgestaltung des jeweiligen innerstaatlichen Rechts in der Lage sind, das Handeln ihrer jeweiligen Regierung im Rat wirksam zu kontrollieren.
2. Der Ausschuß ist gegen jede weitere Komplizierung und Renationalisierung der Entscheidungsprozesse in der EU. Er spricht sich - auch im Hinblick auf die besondere Stellung des Europäischen Parlaments - inbesondere gegen die Schaffung eines neuen institutionalisierten Beratungsgremiums aus Vertretern der nationalen Parlamente aus.
3. Er lehnt die Umgestaltung der COSAC zu einem Organ, das die nationalen Parlamente formal vertritt und für bestimmte Bereiche als Beschlußorgan gleichsam auf die Gemeinschaftsebene gehoben wird, ab. Die COSAC sollte als ein flexibles Forum des offenen Informations- und Meinungsaustausches zwischen den Mitgliedern der nationalen Parlamente erhalten bleiben. Mit dieser Zielsetzung sind die unter den Ziffern 5 bis 7 des Abschnitts II des Protokollentwurfs der Irischen Ratspräsidentschaft über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union (CONF 3985/96 vom 19. November 1996) vorgestellten Vorschläge zur künftigen Rolle der COSAC nicht vereinbar. Eine Überarbeitung des Abschnitts II des vorgenannten Protokollentwurfs, die die auf der XV. Tagung der COSAC am 16. Oktober 1996 in Dublin angenommenen Schlußfolgerungen (CONF 3973/96) beachtet, ist anzustreben.
4. Der Deutsche Bundestag befürwortet eine Verbesserung der Bedingungen, unter denen die nationalen Parlamente zur nationalen Beschlußfassung hinsichtlich des EU-Rechts beitragen können. Er begrüßt daher die unter Abschnitt I des vorgenannten "Protokollentwurfs" vorgeschlagenen Regelungen.
5. Die bestehenden Kontakte zwischen den nationalen Parlamenten untereinander und mit dem Europäischen Parlament sollten im Rahmen der jeweiligen nationalen Regelungen (in Deutschland z.B. gemäß § 93 Abs. 5 und 6 sowie 93 a Abs. 6 GO-BT) intensiviert werden.
6. Der Deutsche Bundestag ist bereit, neue Gesichtspunkte, die sich im Lichte der Beratungen von Dublin ergeben, zu prüfen.
2. Beratungsverfahren - Plenum und
mitberatende Ausschüsse
Die Vorlagen (Anlagen 1 und 2) wurden gemäß § 93
GO-BT mit BT-Drucksache 13/6357 Nr.3.1 und 3.2 vom 29. November
1996 dem Ausschuß für die Angelegenheiten der
Europäischen Union zur federführenden Beratung und dem
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung zur Mitberatung überwiesen.
3. Zum Gegenstand der
Vorlagen
Die einzelstaatlichen Parlamente wirken bei der Annahme
verschiedener Vorschriften des Primär- und Sekundärrechts
der Europäischen Union unmittelbar mit, so einerseits bei der
Änderung der Verträge, auf denen die Union beruht
(Artikel N EUV) sowie beim Beitritt neuer Mitglieder zur Union
(Artikel O EUV) im Wege der Ratifikation und andererseits bei der
Annahme bestimmter Beschlüsse des abgeleiteten Rechts, wie
z.B. dem System der Eigenmittel und der Begründung neuer
Rechte im Rahmen der Unionsbürgerschaft. Sie spielen ferner
eine bedeutende Rolle bei der Wahl der Form und des Verfahrens
für die Umsetzung der Zielvorgaben der EG-Richtlinien in
innerstaatliches Recht.
Die Modalitäten der Kontrollfunktionen und Beteiligungsrechte
der einzelstaatlichen Parlamente sind dabei in erster Linie eine
Frage der innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gestaltung der
einzelnen Mitgliedstaaten, wobei die nationalen Parlamente ihre
Kontrollaufgaben mit unterschiedlicher Intensität
ausüben.
Zur Erleichterung der Wahrnehmung der Rechte der nationalen
Parlamente in EU-Angelegenheiten wurden im Hinblick auf die
Regierungskonferenz zur Revision des Vertrages von Maastricht
praktische Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene, etwa durch
Einführung verbindlicher Fristen nach der Vorlage eines
Vorschlages für einen Rechtsakt durch die Kommission,
vorgeschlagen.
Darüber hinaus sind verschiedentlich Forderungen zu einer
Erweiterung der unmittelbaren Mitwirkung der nationalen Parlamente
erhoben worden, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit,
sich kollektiv auf EU-Ebene zu bestimmten Fragen zu
äußern. Hierbei wurden verschiedene Modelle und
Anknüpfungspunkte, u.a. auch eine Veränderung der
Struktur und Arbeitsweise der COSAC mit eigenem Sekretariat und
häufigerer Sitzungsfrequenz, vorgeschlagen.
Die XV. COSAC am 16. Oktober 1996 hat einvernehmlich
Schlußfolgerungen (Anlage 1) angenommen, in denen die Rolle
der COSAC für den Informationsaustausch zwischen den
nationalen Parlamenten und ihre Unterstützungsfunktion
gegenüber den einzelnen nationalen Parlamenten betont wird.
Darin wird weiterhin eine Aufwertung der Erklärung 13 durch
Aufnahme in den Vertrag gefordert und eine Mindestfrist von 4
Wochen für die Überprüfung gesetzgebungsrelevanter
Vorschläge durch die nationalen Parlamente angestrebt.
Darüber hinaus sind in den Schlußfolgerungen
verschiedene Verbesserungen der Arbeitsweise der COSAC enthalten.
Ein besonderer Arbeitsschwerpunkt der COSAC soll bei Fragen der
Subsidiarität und der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz
und Inneres (3. Säule des EU-Vertrages) liegen, wobei hierzu
erfolgende Schlußfolgerungen für die Delegierten oder
die Delegationen nicht bindend sein sollen.
Die irische Präsidentschaft (CONF 3985/96 vom 19. November - Anlage 2) schlägt in einem Protokollentwurf über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union, Abschnitt II Ziffer 5-7, über die Schlußfolgerungen der XV. COSAC hinaus vor, daß die Konferenz weitergehende Beiträge für die anderen Organe der EU liefern solle. Die COSAC solle danach von den Regierungen der Mitgliedstaaten oder einem einzelstaatlichen Parlament ersucht werden können, Vorschläge zu prüfen und Stellungnahmen abzugeben. Zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips solle die COSAC gemäß Ziffer 7 des Protokollentwurfs Stellung nehmen können, wenn sie es für zweckmäßig halte.
4. Beratungen in gemeinsamer Sitzung des
federführenden und des mitberatenden Ausschusses
Der federführende Ausschuß für die Angelegenheiten
der Europäischen Union in seiner 47. Sitzung und der
mitberatende Ausschuß für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung in seiner 51. Sitzung
haben in einer gemeinsamen Sitzung am 11. Dezember 1996 einstimmig
auf der Grundlage eines überfraktionellen Antrages von
CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und der
Gruppe der PDS die Annahme der oben unter 1. wiedergegebenen
Stellungnahme beschlossen.
Bonn, 15. Januar 1997
Dr. Gero
Pfennig Berichterstatter |
Heidemarie
Wieczorek-Zeul Berichterstatterin |
Christian Sterzing Berichterstatter |
Prof. Dr. Helmut Haussmann Berichterstatter |