Pressemitteilung
Datum: 26.09.2001
Pressemeldung des Deutschen Bundestages -
26.09.2001
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse würdigt Dr. h.c. Richard Stücklen
Bei einer Zusammenkunft mit ehemaligen Präsidenten und
Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages in der
Parlamentarischen Gesellschaft hat Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse heute seinem Vorgänger Dr. h.c. Richard
Stücklen zum 85. Geburtstag gratuliert. Der
Bundestagspräsident führte u.a. aus:
"Nach den Massenmord-Attentaten vom 11. September spüren wir alle, wie dünn das Eis, wie schmal der Grat ist, von dem unsere Zivilisation, von dem die Sicherheit einer offenen Gesellschaft getragen wird. Mit dieser noch frischen Erfahrung, in dem Bewusstsein, dass noch längst nicht alle Opfer des Verbrechens geborgen sind, lässt es sich nicht leicht feiern. Man zögert vor jeder solchen Gelegenheit.
Heute geht es aber um eine Persönlichkeit, die sich zeitlebens für diese offene Gesellschaft eingesetzt und bemüht hat. Es wäre geradezu ein schwerer Fehler, die Würdigung dieser Leistung zu unterlassen!
Es ist auch ein Fehler, sich den Alltag, unsere Rituale, unsere Lebensfreude rauben zu lassen. Sonst würde aus Wachsamkeit, Besonnenheit, Sorgfalt sehr schnell Verbissenheit bis hinunter auf die Stufe des Hasses und des Fundamentalismus, die wir doch abwehren wollen.
Richard Stücklen ist wieder genesen, und das gehörte jedenfalls zu den erfreulichen Nachrichten der letzten Zeit. Und wenn jemand - auf Grund seiner Persönlichkeit und seiner Leistung - eine Geburtstagsfeier in diesem Rahmen und mit diesen Gästen verdient, dann Sie, verehrter Herr Stücklen.
Die Versuchung ist groß, jetzt einfach aus Ihren druckfrischen Erinnerungen vorzutragen. Der will ich widerstehen - bis auf diese Bemerkung: Ihre heutige Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung Ihres Wirkens und Ihrer Persönlichkeit durch andere, stimmen überein.
"Mit Humor und Augenmaß" - das wäre sicher vielen eingefallen, wenn sie ein Motto über Richard Stücklen hätten erfinden müssen.
Die Handwerksordnung und die Postleitzahl, Herr Bundesminister a. D., gehören zu Ihren immer wieder genannten Verdiensten, aber ich glaube, was wirklich bleibt und geblieben ist, ist der Mensch, der Parlamentarier, der Parlamentspräsident Stücklen, der mit Humor spannungsgeladenen Streit und gespannte Nerven von Kontrahenten entspannen und mit Augenmaß Konflikte lösen konnte.
1949 kamen Sie erstmals in den Bundestag - auf Strümpfen, wie man erfahren kann - und hier sind Sie 41 Jahre lang geblieben. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe war natürlich auch ein Kämpfer und ein hartnäckiger Vertreter seines Landes und seiner Partei, der CSU. Autorität wuchs ihm aber zu, weil es ihm spürbar immer um die Stärkung und Sicherung der parlamentarischen Demokratie insgesamt ging. Eines Ihrer wichtigsten politischen Lebensziele war, wie Sie schreiben, zu verhindern, dass aus Bonn noch einmal Weimar werden könnte.
Dieses Engagement für die parlamentarische Demokratie konnten Sie gerade als Vizepräsident und Präsident des Deutschen Bundestages zwischen 1976 und 1990 gründlich ausleben. Und so waren Sie ein sehr populärer Repräsentant des gesamten Bundestages: ein Mann mit Tatkraft und Durchsetzungsvermögen, aber eben auch mit Humor und Lebensfreude. In Ihrer Antrittsrede am 4. November 1980 haben Sie betont, dass Politik eine ernste Angelegenheit ist. Aber Sie haben auch gesagt:
"Nirgends steht geschrieben, dass die politische Auseinandersetzung mit tierischem Ernst geführt werden muss. Mehr Menschlichkeit und auch ein Schuss Humor ist für uns alle dringend vonnöten." Eine wahrhaft programmatische Feststellung. Es hat bis heute niemand gewagt, daran zu rütteln.
Und wie es im Leben so ist, wirkt das eigene Verhalten, das persönliche Beispiel viel überzeugender als jeder programmatische Satz. Und man wusste in ganz Deutschland, dass Sie ein harter und gewissenhafter Arbeiter waren. Aber vor allem, dass Sie ein begeisterter Fußballfan und ein leidenschaftlicher Kartenspieler waren - und vermutlich noch sind - der abends in der Parlamentarischen Gesellschaft mit seinen Abgeordnetenkollegen gerne Schafkopf spielte - und am liebsten gewann! Verloren haben Sie nach meinen Informationen absichtlich nur einmal beim Boccia in Cadenabbia. Adenauer sei zu ehrgeizig, hatte Ihnen Ihr mitspielender Fraktionschef zugeraunt.
Sehr einverstanden kann ich mich mit Ihrem Bemühen um und Ihrer Forderung nach verständlicher Sprache der Politik, mit Ihrem Einsatz für die Würde des Parlaments und für die Einheit Deutschlands erklären. Dass Ihre ehemalige Ausbildungsstätte, die sächsische Fachhochschule Mittweida, Sie zum Ehrendoktor ernannte, es nach dem 3. Oktober 1990 überhaupt konnte, hat Sie bewegt - und das kann ich sehr gut nachvollziehen.
Nach der staatlichen Vollendung der Einheit sind Sie im Dezember 1990 aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden - wir waren also knapp drei Monate lang Parlamentarierkollegen - um endlich mehr Zeit Ihrer Frau, Ihrer Familie, insbesondere den geliebten Enkelkindern widmen zu können. Aber - wie Sie sehen - der Deutsche Bundestag vergisst nicht.
Wir wünschen Ihnen, lieber Herr Stücklen, auch weiterhin Kraft und Gesundheit. Vielleicht hätte ich mir viele Worte ersparen können, aber ich wollte mir dieses eine Wort, das alles über den Parlamentarier sagt, für den Schluss aufbewahren. Es sind nicht viele Männer - und noch weniger Frauen - denen die Öffentlichkeit diesen Titel zuge-dacht hat. Alle haben sie unsere Demokratie aufgebaut und über Jahrzehnte hinweg im Deutschen Bundestag lebendig fortentwickelt. Der Ehrentitel, der Ihnen nun wirklich gehört, lautet: parlamentarisches Urgestein. Er ist noch treffender, als der Glückwunsch Willy Brandts nach Ihrer Abschiedsrede am 20. 9. 1990 im Plenum: "Ich bedanke mich für das, was Sie in mehr als vierzig Jahren für unsere parlamentarische Demokratie geleistet haben." Diesen Worten können wir uns nur anschließen."
"Nach den Massenmord-Attentaten vom 11. September spüren wir alle, wie dünn das Eis, wie schmal der Grat ist, von dem unsere Zivilisation, von dem die Sicherheit einer offenen Gesellschaft getragen wird. Mit dieser noch frischen Erfahrung, in dem Bewusstsein, dass noch längst nicht alle Opfer des Verbrechens geborgen sind, lässt es sich nicht leicht feiern. Man zögert vor jeder solchen Gelegenheit.
Heute geht es aber um eine Persönlichkeit, die sich zeitlebens für diese offene Gesellschaft eingesetzt und bemüht hat. Es wäre geradezu ein schwerer Fehler, die Würdigung dieser Leistung zu unterlassen!
Es ist auch ein Fehler, sich den Alltag, unsere Rituale, unsere Lebensfreude rauben zu lassen. Sonst würde aus Wachsamkeit, Besonnenheit, Sorgfalt sehr schnell Verbissenheit bis hinunter auf die Stufe des Hasses und des Fundamentalismus, die wir doch abwehren wollen.
Richard Stücklen ist wieder genesen, und das gehörte jedenfalls zu den erfreulichen Nachrichten der letzten Zeit. Und wenn jemand - auf Grund seiner Persönlichkeit und seiner Leistung - eine Geburtstagsfeier in diesem Rahmen und mit diesen Gästen verdient, dann Sie, verehrter Herr Stücklen.
Die Versuchung ist groß, jetzt einfach aus Ihren druckfrischen Erinnerungen vorzutragen. Der will ich widerstehen - bis auf diese Bemerkung: Ihre heutige Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung Ihres Wirkens und Ihrer Persönlichkeit durch andere, stimmen überein.
"Mit Humor und Augenmaß" - das wäre sicher vielen eingefallen, wenn sie ein Motto über Richard Stücklen hätten erfinden müssen.
Die Handwerksordnung und die Postleitzahl, Herr Bundesminister a. D., gehören zu Ihren immer wieder genannten Verdiensten, aber ich glaube, was wirklich bleibt und geblieben ist, ist der Mensch, der Parlamentarier, der Parlamentspräsident Stücklen, der mit Humor spannungsgeladenen Streit und gespannte Nerven von Kontrahenten entspannen und mit Augenmaß Konflikte lösen konnte.
1949 kamen Sie erstmals in den Bundestag - auf Strümpfen, wie man erfahren kann - und hier sind Sie 41 Jahre lang geblieben. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe war natürlich auch ein Kämpfer und ein hartnäckiger Vertreter seines Landes und seiner Partei, der CSU. Autorität wuchs ihm aber zu, weil es ihm spürbar immer um die Stärkung und Sicherung der parlamentarischen Demokratie insgesamt ging. Eines Ihrer wichtigsten politischen Lebensziele war, wie Sie schreiben, zu verhindern, dass aus Bonn noch einmal Weimar werden könnte.
Dieses Engagement für die parlamentarische Demokratie konnten Sie gerade als Vizepräsident und Präsident des Deutschen Bundestages zwischen 1976 und 1990 gründlich ausleben. Und so waren Sie ein sehr populärer Repräsentant des gesamten Bundestages: ein Mann mit Tatkraft und Durchsetzungsvermögen, aber eben auch mit Humor und Lebensfreude. In Ihrer Antrittsrede am 4. November 1980 haben Sie betont, dass Politik eine ernste Angelegenheit ist. Aber Sie haben auch gesagt:
"Nirgends steht geschrieben, dass die politische Auseinandersetzung mit tierischem Ernst geführt werden muss. Mehr Menschlichkeit und auch ein Schuss Humor ist für uns alle dringend vonnöten." Eine wahrhaft programmatische Feststellung. Es hat bis heute niemand gewagt, daran zu rütteln.
Und wie es im Leben so ist, wirkt das eigene Verhalten, das persönliche Beispiel viel überzeugender als jeder programmatische Satz. Und man wusste in ganz Deutschland, dass Sie ein harter und gewissenhafter Arbeiter waren. Aber vor allem, dass Sie ein begeisterter Fußballfan und ein leidenschaftlicher Kartenspieler waren - und vermutlich noch sind - der abends in der Parlamentarischen Gesellschaft mit seinen Abgeordnetenkollegen gerne Schafkopf spielte - und am liebsten gewann! Verloren haben Sie nach meinen Informationen absichtlich nur einmal beim Boccia in Cadenabbia. Adenauer sei zu ehrgeizig, hatte Ihnen Ihr mitspielender Fraktionschef zugeraunt.
Sehr einverstanden kann ich mich mit Ihrem Bemühen um und Ihrer Forderung nach verständlicher Sprache der Politik, mit Ihrem Einsatz für die Würde des Parlaments und für die Einheit Deutschlands erklären. Dass Ihre ehemalige Ausbildungsstätte, die sächsische Fachhochschule Mittweida, Sie zum Ehrendoktor ernannte, es nach dem 3. Oktober 1990 überhaupt konnte, hat Sie bewegt - und das kann ich sehr gut nachvollziehen.
Nach der staatlichen Vollendung der Einheit sind Sie im Dezember 1990 aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden - wir waren also knapp drei Monate lang Parlamentarierkollegen - um endlich mehr Zeit Ihrer Frau, Ihrer Familie, insbesondere den geliebten Enkelkindern widmen zu können. Aber - wie Sie sehen - der Deutsche Bundestag vergisst nicht.
Wir wünschen Ihnen, lieber Herr Stücklen, auch weiterhin Kraft und Gesundheit. Vielleicht hätte ich mir viele Worte ersparen können, aber ich wollte mir dieses eine Wort, das alles über den Parlamentarier sagt, für den Schluss aufbewahren. Es sind nicht viele Männer - und noch weniger Frauen - denen die Öffentlichkeit diesen Titel zuge-dacht hat. Alle haben sie unsere Demokratie aufgebaut und über Jahrzehnte hinweg im Deutschen Bundestag lebendig fortentwickelt. Der Ehrentitel, der Ihnen nun wirklich gehört, lautet: parlamentarisches Urgestein. Er ist noch treffender, als der Glückwunsch Willy Brandts nach Ihrer Abschiedsrede am 20. 9. 1990 im Plenum: "Ich bedanke mich für das, was Sie in mehr als vierzig Jahren für unsere parlamentarische Demokratie geleistet haben." Diesen Worten können wir uns nur anschließen."
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Quelle:
http://www.bundestag.de/bic/presse/2001/pz_010926