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15. Wahlperiode
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   37. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 01. Juni 2006

   Beginn: 7.30 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

   37. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 1. Juni 2006

   Beginn: 7.30 Uhr

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Vor Eintritt in die Tagesordnung einige amtliche Mitteilungen:

   Der Kollege Ruprecht Polenz feierte am 26. Mai und der Kollege Eike Hovermann am 27. Mai seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich den beiden Kollegen nachträglich sehr herzlich.

(Beifall)

   Die Kollegin Mechthild Dyckmans hat ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt die Fraktion der FDP die Kollegin Angelika Brunkhorst vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der Kollege Christian Lange sein Amt als Mitglied im Gremium gemäß § 23 c Abs. 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes aufgibt. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Ute Berg vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Die Kollegin Ute Berg ist somit ebenfalls gewählt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Alternativen zum Heim schaffen - Ambulante Angebote für Menschen mit Behinderungen weiterentwickeln und ausbauen

- Drucksache 16/1644 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

ZP 2 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6. November 2003 über den Schutz von Tieren beim internationalen Transport (revidiert)

- Drucksache 16/1346 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)

- Drucksache 16/1664 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Bärbel Höhn

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Lage am Ausbildungsmarkt - Ausbildungspakt als Chance für Unternehmen, junge Menschen und den Arbeitsmarkt

ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Überwachung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst

- Drucksachen 16/85, 16/1656 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Clemens Binninger
Klaus Uwe Benneter
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland

   Die Tagesordnungspunkte 9 und 11 sollen in der Folge getauscht werden. Außerdem soll statt des Tagesordnungspunkts 8 c - Beratung eines Zwischenberichts - die mittlerweile fertig gestellte Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu der Vorlage aufgerufen werden. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Fragestunde

- Drucksachen 16/1604, 16/1645 -

   Zunächst einmal behandeln wir die dringlichen Fragen. Sie betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.

   Wir kommen zur dringlichen Frage 1 des Kollegen Dirk Niebel:

   Wie stellt sich die Bundesregierung zu Absprachen zwischen dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Franz Müntefering, und dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, zur Entlastung des Bundeshaushalts den Aussteuerungsbetrag von 10 000 auf 12 000 Euro anzuheben („Financial Times Deutschland“ vom 30. Mai 2006)?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege Niebel, nach § 46 Abs. 4 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch entspricht der Aussteuerungsbetrag dem Zwölffachen der durchschnittlichen monatlichen Aufwendungen für Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Beiträgen zur Sozialversicherung im vorangegangenen Kalendervierteljahr. Bei der Abrechnung zum 15. Mai 2006 betrug dieser Betrag rund 10 000 Euro je Abrechnungsfall. Eine Absprache, diese Regelung zu ändern, gibt es nicht.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nachfrage, Kollege Niebel? - Bitte.

Dirk Niebel (FDP):

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, der Kollege Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion hat gestern in einer dpa-Meldung verlauten lassen - ich zitiere -:

Die schlechten Risiken wandern nach einem Jahr in den Hartz-IV-Bereich. Das heißt: Während die Arbeitslosigkeit im Beitragsbereich (SGB III) gegenüber dem Vorjahr erheblich abnimmt, ist im steuerfinanzierten Hartz-IV-Bereich (SGB II) ein Zuwachs zu verzeichnen.

Können Sie vor diesem Hintergrund ausschließen, dass im Verlauf dieses Jahres der Aussteuerungsbetrag in irgendeiner Weise noch verändert wird?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Niebel, es ist so, dass mit der Absenkung des Aussteuerungsbetrags der Istentwicklung nach den ersten beiden Abrechnungen zum 15. Februar und 15. Mai dieses Jahres Rechnung getragen worden ist. Ich will mich hier überhaupt nicht irgendwelchen Spekulationen anschließen. Die faktische Entwicklung bleibt abzuwarten. Ich stelle hier fest, dass wir den Betrag der Istentwicklung angeglichen haben.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Dirk Niebel (FDP):

Herr Kollege Staatssekretär, Ihrer Antwort entnehme ich: Sie können nicht ausschließen, dass im Laufe des Jahres der Aussteuerungsbetrag verändert wird. - Vor dem Hintergrund dessen, dass die Bundesagentur bei der Betreuung der Arbeitslosen den Schwerpunkt ihrer Integrationstätigkeit offenkundig auf den Arbeitslosengeld-I-Bereich legt, um - vermeintlich - ihren eigenen Haushalt gegenüber dem des Bundes zu schonen, würde ich gerne wissen, wie Sie die Haushaltsrisiken bei weiterem Fortfahren der Bundesagentur in diesem Sinne einschätzen.

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Ich glaube, dass wir Haushaltsrisiken in der Form nicht einzuschätzen brauchen, weil sich die Entwicklung in der Bundesagentur relativ gut darstellt. Bei der Entwicklung der Ausgaben für Leistungen nach dem SGB II müssen wir uns ganz einfach vor Augen führen, dass sich das, was manchmal mit solchen Fragestellungen impliziert wird, nämlich dass es sich bei der Entwicklung dort um eine Explosion handelt, nicht durch Fakten belegen lässt.

   Es gibt keine explosionsartige Zunahme der Kosten. Ich will Ihnen das anhand der Zahlen für die ersten vier Monate dieses Jahres zu erläutern versuchen. Wir haben Ausgaben gehabt im Januar von 2,46 Milliarden Euro, im Februar von 2,25 Milliarden Euro, im März von 2,26 Milliarden Euro und im April von 2,22 Milliarden Euro. Ich glaube, dass im Haushaltsausschuss gestern die richtigen Entscheidungen getroffen worden sind, sodass ich die Risiken, die Sie beschreiben, nicht sehe.

   Wir sollten uns ein Stück weit mit den positiveren Arbeitsmarktdaten auseinander setzen, die wir seit Mai haben. Es ist gut, wenn wir im Vergleich zum Vorjahr 255 000 Arbeitslose weniger haben. Es ist gut, wenn wir sehen, dass die Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit relativ stark zunehmen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die auch positive Auswirkungen haben wird, insbesondere aufgrund der verstärkten Bemühungen, die in den Arbeitsgemeinschaften, in den Leistungszentren und bei den Optionskommunen jetzt anlaufen, sodass Menschen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, auch Arbeit finden werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Eine weitere Frage, und zwar der Kollegin Kornelia Möller.

Kornelia Möller (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Herr Thönnes, in welcher Höhe rechnet die Bundesregierung mit Einsparungen von Transferleistungen durch den vermehrten Einsatz von Sofortmaßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft und in welchem zusätzlichen Umfang plant die Regierung den Einsatz von Sofortmaßnahmen?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Möller, es ist unsere Aufgabe, mit den Steuermitteln effektiv umzugehen. Dementsprechend ist vorgesehen - das soll jetzt im SGB-II-Fortentwicklungsgesetz so geregelt werden -, dass dort, wo dies begründet und nachvollziehbar ist, Menschen, die länger arbeitslos sind und einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen, Sofortmaßnahmen angeboten werden sollen. Wir gehen davon aus, dass mit dem SGB-II-Änderungsgesetz insgesamt gut 3,8 Milliarden Euro eingespart werden können. Das wird im Jahr der vollen Wirksamkeit der Fall sein. Sie wissen, dass es aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeiten seitens der Administration, das umzusetzen, unterschiedliche Inkraftsetzungsdaten geben wird. Ich gehe davon aus, dass das in diesem Bereich mit dazu beitragen wird, die Solidarität zu stärken, indem Direktangebote unterbreitet werden; werden diese Angebote nicht angenommen, gibt es wohl auch keinen ernsthaften Bedarf.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Danke. - Eine weitere Frage hat die Kollegin Katja Kipping.

Katja Kipping (DIE LINKE):

Herr Thönnes, Sie haben sich gerade selber skeptisch zu dem Begriff der Kostenexplosion geäußert. In der Unterrichtung der Bundesregierung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales gibt es die Berechnung, wie viel Geld nach dem alten Recht insgesamt für Sozialhilfeempfänger und Langzeiterwerbslose hätte ausgegeben werden müssen. Da es in den Medien weiterhin gezielt gestreute Nachrichten über angebliche Kostenexplosionen gibt, frage ich Sie: Was ist nach Meinung der Bundesregierung der Hauptgrund für diese angeblich steigenden Ausgaben?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Kipping, wir sollten realistisch mit den Zahlen umgehen und angesichts bestimmter Daten nicht panisch reagieren. Man kann davon ausgehen, dass, wenn man die alte Sachlage fortgeschrieben hätte, nach der auf der einen Seite Sozialhilfe und die Kosten der Unterkunft gezahlt werden und auf der anderen Seite die Arbeitslosenhilfe als getrenntes System existiert, Aufwendungen in einer Größenordnung von 35,5 Milliarden Euro entstanden wären. Nach der Zusammenführung, also nach neuem Recht, betrugen die Istausgaben im Jahr 2005 37,3 Milliarden Euro. Das ist keine Kostenexplosion und auch kein sozialer Kahlschlag, wie das an mancher Stelle von der anderen Seite behauptet wird.

   Kenner der Szene wissen, dass es im alten Sozialhilferecht eine Dunkelziffer gab, dass einer von drei Menschen, die berechtigt gewesen wären, Sozialhilfe zu beziehen, diesen Anspruch nicht geltend gemacht hat. Unter dem neuen Recht machen nun auch diese Sozialhilfeberechtigten Gebrauch von ihrem Anspruch.

   Vor diesem Hintergrund sage ich deutlich: Wir wollten mit der Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe eine Verbesserung für die Menschen erreichen, die gerade in der Sozialhilfe zu einem großen Teil von den Angeboten der Arbeitsförderung, den Leistungen zur Integration ausgeschlossen waren. Das haben wir mit der Reform erreicht. Von daher ergibt sich an dieser Stelle ein Anstieg der Zahl der Menschen, die von ihrem Rechtsanspruch Gebrauch machen und die Förderungsmöglichkeiten der Arbeitsverwaltung nutzen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Eine weitere Frage hat der Kollege Klaus Brandner.

Klaus Brandner (SPD):

Herr Staatssekretär, die Praxis bei der Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs soll jetzt durch das SGB-II-Änderungsgesetz aufgegriffen werden. Können Sie uns erklären,

(Dirk Niebel (FDP): Aber das hat doch mit der Ursprungsfrage gar nichts zu tun!)

inwiefern durch dieses Gesetz Kosteneinsparungen erreicht und Leistungsmissbräuche verhindert werden können?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Kollege Brandner, aus der Praxis gab es - diese Erfahrung machen alle, wenn sie die Arbeitsgemeinschaften oder Leistungszentren besuchen - die Forderung nach der Erweiterung der Abfragemöglichkeiten. Diese haben wir aufgegriffen. Die Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende können künftig Daten des Kraftfahrt-Bundesamtes und der Meldebehörden abfragen und auch das Vorhandensein von Autos oder die Wohnsituation der Leistungsbezieher überprüfen. Außerdem gibt es einen automatisierten Datenabgleich. Bereits der erste Abgleich, den die Bundesagentur für Arbeit im Oktober 2005 durchgeführt hat, hat Leistungsüberzahlungen aufgedeckt. Es gibt eine vorläufige Schätzung der BA; sie beläuft sich auf 35 Milliarden Euro.

   Ich weise darauf hin, dass nun auch im EU-Ausland vorhandenes Vermögen überprüft werden kann. Es gibt eine Konkretisierung der Verantwortlichkeit bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Bereich der Grundsicherung. Wir haben die Zusammenarbeit mit dem Zoll gestärkt, weil wir insbesondere Leistungsmissbrauch und Schwarzarbeit bekämpfen wollen. In der Praxis hat sich auch gezeigt, dass die Entscheidungen von den vor Ort Tätigen nicht allein im Büro getroffen werden können. Deswegen haben wir vorgesehen, dass jetzt ein Außendienst zur Vermeidung von Leistungsmissbrauch eingerichtet wird. Das alles wird in die Maßnahmen Eingang finden, mit denen 3,8 Milliarden Euro eingespart werden.

   Wenn durch das Aufdecken von Leistungsmissbrauch weitere Finanzmittel eingespart werden können, dann kann das nur im Sinne der Steuerzahler und auch im Sinne der Betroffenen sein, weil dann schlichtweg mehr Mittel zur Integration zur Verfügung stehen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich mache darauf aufmerksam, dass es noch eine ganze Reihe von Wortmeldungen gibt. Ich bitte deswegen um kurze Beantwortung.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Wenn das dann als unzureichend bezeichnet wird, ist das nicht in Ordnung!)

   Die nächste Frage stellt der Kollege Jörg Rohde.

Jörg Rohde (FDP):

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass Sie nicht denken, dass weitere Kosten im Bereich des SGB II auf den Bundeshaushalt zukommen. Vor dem Hintergrund, dass durch das neue Gesetz der Kreis der bisherigen Leistungsempfänger, die die Kosten für die Unterkunft von den Kommunen erstatten bekommen, beispielsweise um BAföG-Empfänger erweitert wird, frage ich: Ist es Strategie der Bundesregierung, die Kosten im Bundeshaushalt konstant zu halten, indem sie auf die Kommunen abgewälzt werden?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Kollege Rohde, in diesem Gesetz gibt es eine klare Aufteilung: Der Bund übernimmt die Transferleistungen, was zu einer erheblichen Entlastung der Kommunen beigetragen hat. Die Kommunen tragen die Kosten für die Unterkunft. Die Beteiligung des Bundes beträgt 29,1 Prozent. Im Herbst des letzten Jahres sind wir in diesem Punkt noch einmal Kompromisse eingegangen, die zu einer Belastung des Bundes weit über diesen Betrag in Höhe von 2,5 Milliarden Euro führen. Im Ergebnis der gesamten gesetzlichen Neuregelungen kann ich keine zusätzliche Belastung der Kommunen erkennen. Ich denke, es liegt genau die Aufgabenteilung vor, die im Gesetz festgelegt worden ist.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Das ist naiv!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nächste Frage hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Staatssekretär, sind Angaben in einem Artikel des „Focus“ von Anfang der Woche zutreffend, dass - bei gleicher Rechtslage - die Ausgaben für Hartz IV in den ersten vier Monaten dieses Jahres um etwa 4 Milliarden Euro höher liegen als die Ausgaben im gleichen Zeitraum des Vorjahres? Können Sie bestätigen, dass selbst bei einem sofortigen Greifen des SGB-II-Fortentwicklungsgesetzes, das wir heute verabschieden wollen, am Jahresende immer noch Mehrausgaben in Höhe von rund 3 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu erwarten sind?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Ich konzentriere mich auf die Entwicklung, die durch die Zahlen, die ich Ihnen gerade genannt habe, gekennzeichnet ist. Wir gehen von einem Mehrbetrag in Höhe von circa 2,25 Milliarden Euro in den ersten vier Monaten aus. Wenn man diesen Betrag auf das Jahr hochrechnet sowie die Tatsachen berücksichtigt, dass wir mit einer Reduzierung der Arbeitslosenzahl rechnen können und dass gestern vom Haushaltsausschuss eine Sperre in Höhe von 1,1 Milliarden Euro beim Eingliederungstitel beschlossen wurde, dann kann man sagen, dass Ihre geäußerten Befürchtungen nicht eintreten werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die nächste Frage hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):

Herr Staatssekretär, die Fragen der FDP beziehen sich auf die finanziellen Konsequenzen der gesetzlichen Maßnahmen im Bereich des SGB II. Es ist unstrittig, dass wir darauf achten müssen, dass die Haushaltsansätze eingehalten werden. In diesem Zusammenhang wird viel über Missbrauchsbekämpfung gesprochen. Können Sie im Zusammenhang mit den geplanten finanziellen Verbesserungen dieses Haus einmal darüber informieren, was gerade für die Förderung der Menschen im Bereich des SGB II getan wird,

(Dirk Niebel (FDP): Das hat mit der Ausgangsfrage nichts zu tun!)

um die finanziellen Rahmenbedingungen einzuhalten, worauf es der FDP ebenfalls ankommt.

(Dirk Niebel (FDP): Das ist ja ein Missbrauch der Fragestunde, was der Kollege da macht! - Gegenruf des Abg. Dr. Uwe Küster (SPD): Herr Niebel, wenn Sie von Missbrauch sprechen, dann werde ich doch sehr stutzig! - Gegenruf des Abg. Dirk Niebel (FDP): Machen Sie doch erst einmal eine namentliche Abstimmung, damit Ihre Leute kommen! - Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der LINKEN - Jörg van Essen (FDP): Immer peinlich!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, Ihre Aufmerksamkeit dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Frage zu schenken.

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Kollege Brauksiepe, ich habe vorhin ausgeführt, dass es Bestreben des Gesetzgebers war, die beiden konkurrierenden Transfersysteme, nämlich Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, zusammenzuführen, um denjenigen Menschen eine Perspektive zu geben, die als Sozialhilfeempfänger bislang von den Förderleistungen ausgeschlossen waren. Bei dieser Personengruppe war es auch nicht möglich, aus einer Hand weitere ergänzende Leistungen wie Suchtberatung oder Schuldnerberatung anzubieten und mit Integrationsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass die Hemmnisse für eine Rückkehr auf den Arbeitsmarkt beseitigt werden. Ich glaube, dass bestehende Diskriminierungen jetzt aufgehoben worden sind.

   Wir haben einen stark verbesserten Betreuungsschlüssel insbesondere im Bereich der jungen Menschen eingeführt. Im Kern ist das gesetzliche Ziel erreicht worden, dass ein Betreuer für 75 Jugendliche zuständig ist. Er kann sich also viel besser um deren Integration kümmern. Noch vor einigen Jahren bestand die Situation, dass 250 bis 300 Menschen auf einen Betreuer kamen.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Das funktioniert doch nicht!)

   Ich will hinzufügen, dass man dem Bericht der Bundesagentur für Arbeit das positive Ergebnis entnehmen konnte, dass im letzten Jahr 1,6 Millionen erwerbsfähige Hilfebedürftige an Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung teilgenommen haben.

(Zuruf von der LINKEN: Das ist Quatsch!)

In den ersten neun Monaten des letzten Jahres war bei den entsprechenden Anträgen ein Anstieg von 16 Prozent zu verzeichnen. 7,6 Millionen Anträge sind eingereicht worden. Das zeigt schlichtweg, wie der Sozialstaat an dieser Stelle greift.

   Es ist sehr gut, dass es uns gelungen ist, 350 000 erwerbsfähigen hilfebedürftigen Jugendlichen eine Maßnahme der aktiven Arbeitsmarktförderung anzubieten und zur Verfügung zu stellen. Das hat mit dazu beigetragen, dass im letzten Jahr im Vergleich zum Jahr 2004 156 900 Jugendliche mehr ihre Arbeitslosigkeit beenden konnten. Das zeigt, dass dort schrittweise ein positiver Effekt der Reformen eintritt.

   Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Die Arbeitsgemeinschaften und die Leistungszentren haben ihre organisatorischen Findungsprozesse jetzt weitgehend abgeschlossen und es werden Qualifizierungsmaßnahmen für die Mitarbeiter durchgeführt. Es gibt ein starkes Engagement. Die Reform gewinnt daher zunehmend an Wirkung.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die nächste Frage stellt die Kollegin Inge Höger-Neuling.

Inge Höger-Neuling (DIE LINKE):

Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, es bestehe kein Grund, panisch zu reagieren. Sie haben gesagt, es gebe keine Kostenexplosion und es würden nur die Rechtsansprüche, die den Menschen zustehen, wahrgenommen. Es gebe also keinen massenhaften Missbrauch. Warum reagieren Sie dann panisch und bringen zwei Tage vor der abschließenden Beratung des Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetzes Änderungsanträge ein,

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Die Bundesregierung bringt gar keine Änderungsanträge ein, Frau Kollegin!)

in denen massenhafter Missbrauch unterstellt wird, und drohen den Empfängern von Arbeitslosengeld II massiv mit Leistungskürzungen, um Kosten einzusparen - angeblich gibt es ja keine Kostenexplosion - und den angeblichen Missbrauch zu bekämpfen?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Frau Kollegin, ich will auf Folgendes hinweisen: Die Anträge wurden von den Regierungsfraktionen eingebracht.

(Zurufe von der LINKEN - Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Es ist richtig, dass mal ein bisschen Nachhilfe gegeben wird!)

   Ich will Ihnen auch sagen, dass es völlig in Ordnung ist, bei Missbrauch Sanktionen vorzunehmen. Man muss sich darüber im Klaren sein, worüber wir hier eigentlich sprechen. Es geht auf der einen Seite um die Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Der übergroße Teil dieser Menschen will Arbeit haben. Die Arbeitsgemeinschaften kümmern sich darum und sind sehr engagiert dabei. Auf der anderen Seite tragen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit ihren Steuergeldern dazu bei, dass Solidarität gewährleistet werden kann. Wenn jemand in Not geraten ist, wenn jemand keine Arbeit hat, erhält er eine Transferzahlung und es werden ihm Eingliederungsmaßnahmen angeboten. Das heißt, es besteht ein sozusagen solidarischer Rechtsanspruch darauf, dass sich alle daran beteiligen, sich zu integrieren, sich zu engagieren. Missbrauch bei denjenigen, die dies nicht tun, muss bekämpft werden.

   Dies gilt ja nicht für den Fall, dass jemand erstmalig eine Arbeitsstelle ablehnt. Es sind jetzt Sanktionsmechanismen in Bezug darauf vorgesehen, dass innerhalb eines Jahres dreimal Pflichtverletzungen begangen werden.

(Widerspruch bei der LINKEN)

An dieser Stelle muss man auch sagen: Man kann daraus, dass jemand dies tut, schließen, dass er die soziale Leistung vielleicht gar nicht braucht.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Wer eine solche benötigt, wird sich integrieren und beteiligen.

   Man muss auch einmal darüber reden, wie die Leistungen ausgestattet sind: Es gibt den Regelsatz. Es gibt die Erstattung der Kosten für die Unterkunft. Es gibt ein Schonvermögen, das besser geregelt ist als in der Sozialhilfe. Es gibt Hinzuverdienstzuschläge. Es gibt die Möglichkeit, etwas hinzuzuverdienen. - An der Stelle wird deutlich, dass diejenigen, die die Solidaritätsleistungen erbringen, einen Anspruch darauf haben, dass ihre Steuermittel vernünftig für die Integration verwendet werden. Solidarität darf an dieser Stelle keine Einbahnstraße sein.

(Beifall bei der SPD - Kornelia Möller (DIE LINKE): Das ist sie aber mit Ihrem Änderungsantrag geworden!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die nächste Frage geht an den Kollegen Jürgen Koppelin.

Jürgen Koppelin (FDP):

Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wann Sie denn Ihr Haus zu diesem Gesamtkomplex so im Griff haben werden, wie Sie jetzt in der Lage sind, die Antworten auf Zusatzfragen von Koalitionsabgeordneten vom Zettel abzulesen?

(Heiterkeit bei der LINKEN - Jörg van Essen (FDP): Textbaustein!)

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Da wir auch an anderer Stelle - Sie wissen das als Haushälter - Antworten auf ähnliche Fragen zu geben haben, wie es sich zum Beispiel mit Sanktionen verhält, wie es sich mit Daten verhält, welche Maßnahmen ergriffen worden sind usw., hat man eine Sammlung entsprechender Daten, auf die man zurückgreifen kann. Diese hat man in einer solchen Fragestunde mit, Kollege Koppelin. Das dürfte Ihnen doch bekannt sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Uwe Küster (SPD): Setzen! Fünf!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die nächste Frage geht an den Kollegen Rolf Stöckel.

Rolf Stöckel (SPD):

Herr Thönnes, uns allen ist bekannt, dass das SGB II ein Gesetz ist, das in wesentlichen Grundzügen von einer Kommission vorgeschlagen worden ist, die aus Wissenschaftlern, Experten, Gewerkschaftsvertreterinnen und -vertretern sowie Arbeitgebervertreterinnen und -vertretern bestanden hat. Außerdem ist das Gesetz im Vermittlungsausschuss unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesländer beschlossen worden.

   Wir haben international die Erfahrung gemacht, dass es bei ähnlichen Systemveränderungen drei bis fünf Jahre gedauert hat, bis sie in der Praxis optimal umgesetzt worden sind. Es gibt überall in dieser Republik Kritik an diesem Gesetz. Einige fordern, es müsse ganz weg, andere fordern eine Generalrevision. Ist der Bundesregierung irgendein ganzheitlicher Ansatz als Alternative zu der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bekannt, der die Zielsetzung auch im Interesse der Betroffenen eventuell besser umsetzen könnte?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Stöckel, es handelt sich hier um eine der größten Sozialreformen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland;

(Jürgen Koppelin (FDP): Nächster Zettel! Textbaustein!)

das war ein sehr langwieriger Prozess. Was jetzt vorliegt, ist das Ergebnis eines parlamentarischen demokratischen Prozesses. Es sieht etwas anders aus als das, was die damalige Bundesregierung wollte.

   Durch das Zusammenführen von zwei Systemen zu einem wurde die Situation vieler arbeitsloser Menschen, insbesondere der Sozialhilfeempfänger, verbessert, und zwar durch die Einbeziehung in die Fördermaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, in die Rentenversicherung, in die Krankenversicherung und in die Pflegeversicherung. An dieser Stelle mussten für die Umsetzung notwendige Organisationsstrukturen aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Arbeitsverwaltung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Sozialverwaltungen der Kommunen neu geschaffen werden. Das Ganze arbeitsfähig zu machen, ist eine weitere große Herausforderung.

   Es hat sich gezeigt, dass die Leistungsauszahlung zum 1. Januar 2005 relativ ungebrochen erfolgt ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es etwas länger gedauert hat, bis die Eingliederungsmaßnahmen gegriffen haben, dass es aber zunehmend gut vorangeht. In diesem Umfang, bezogen auf heute über 5 Millionen betroffene Menschen, findet man so etwas in Europa kaum. Ich glaube, dass das System vor diesem Hintergrund relativ gut funktioniert.

   Es gibt Kritiken, so wie jetzt vom Bundesrechnungshof; das ist auch in Ordnung. Es gibt Punkte, die man aufgreifen muss. Wir werden weiterhin im Verfahren versuchen müssen, effizient zu arbeiten und den Prozess zu optimieren. Deswegen sind die Kontakte zu den Akteuren vor Ort ganz wichtig.

   Ich glaube, es gibt keine Alternative. Diesen Weg im Kern weiter zu gehen, wird auch von einer großen parlamentarischen Mehrheit getragen. Wir werden das machen, mit Augenmaß, mit der Beachtung der Ausgaben, aber auch mit dem festen Ziel, zu helfen, zu stützen und Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die nächste Frage geht an den Kollegen Frank Spieth.

Frank Spieth (DIE LINKE):

Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin in der Antwort auf eine Frage von notwendigen Sanktionen bei Missbrauch. Sind Sie der Auffassung, dass mit den Kürzungen der Unterhaltsleistungen und insbesondere den jetzt vorgesehenen Kürzungen der Leistungen für die Kosten der Unterkunft bei nicht mit dem Berater verabredeter Abwesenheit vom Wohnort Sanktionen verbunden sein sollten, die nach unserer Auffassung verfassungswidrig sind, weil sie eindeutig gegen Art. 1 des Grundgesetzes und Art. 20 des Grundgesetzes verstoßen? Halten Sie nicht eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung vor einer Entscheidung hier im Deutschen Bundestag für dringend erforderlich?

Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Ich denke, dass die Regelung erstens verfassungsgemäß und zweitens angemessen ist. Ich glaube schon, dass man Folgendes deutlich unterstreichen muss: Wenn jemand von seinen Rechtsansprüchen Gebrauch macht, die Solidarität derjenigen, die die steuerlichen Leistungen erbringen, in Anspruch nimmt, Transferleistungen erhält und sagt, dass er einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz will, dann kann man erwarten, dass er sich für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung hält und vor Ort erreichbar ist und sich nicht ohne Absprache entfernt. Die Regelungen sind klar. Jeder weiß, welche Folgen die Abwesenheit haben kann. Ich halte die Regelung für vertretbar.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die Folgen sind Obdachlosigkeit!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Jetzt hat sich der Kollege Jürgen Koppelin zur Geschäftsordnung gemeldet.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! - Manfred Grund (CDU/CSU): Uns hätte auch was gefehlt! - Klaus Brandner (SPD): Uns hätte was gefehlt, genau!)

Jürgen Koppelin (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir können auf die Antworten zu den nächsten drei dringlichen Fragen verzichten, da der Herr Staatssekretär nicht in der Lage ist, konkret die Fragen zu beantworten, die von der Opposition kommen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)

Er kann nur dann etwas konkreter werden, wenn Zusatzfragen aus den Reihen der Koalition kommen, weil ihm zu diesen Fragen schon die schriftlichen Antworten vorliegen. Das reicht uns aber nicht. Deswegen beantragt die Fraktion der Freien Demokratischen Partei heute eine Aktuelle Stunde. Wir schlagen vor, Herr Präsident, diese Aktuelle Stunde etwa um 12.35 Uhr aufzurufen.

(Beifall bei der FDP - Manfred Grund (CDU/CSU): Rein spontan: 12.35 Uhr! - Klaus Brandner (SPD): Ganz spontan! - Iris Gleicke (SPD): Da sind wir aber überrascht! - Dr. Uwe Küster (SPD): Koppelin, der Sponti!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die FDP-Fraktion hat beantragt, eine Aktuelle Stunde zu dem Thema der dringlichen Frage 1 durchzuführen. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Interfraktionell ist vereinbart - es ist keine Überraschung, weil offenkundig alle darüber vorher informiert waren -,

(Heiterkeit)

dass die Aktuelle Stunde nach den Ohne-Debatte-Punkten aufgerufen werden soll. Ist das einvernehmlich? - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

(Klaus Brandner (SPD): So aktuell ist das!)

Herr Kollege Koppelin und Herr Kollege Niebel, dann können die weiteren dringlichen Fragen schriftlich beantwortet werden.

   Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.

Die Frage 1 hat die Kollegin Ekin Deligöz gestellt:

Welche Kosten hat die Durchführung des Ersten Deutschen Familientages am 15. Mai 2006 in Berlin verursacht und wer kommt für diese auf?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Veranstalter des Ersten Deutschen Familientages war das Servicebüro „Lokale Bündnisse für Familie“, das den Ausbau und die Vernetzung der lokalen Bündnisse in Deutschland gemeinsam mit vielen gesellschaftlichen Partnern vorantreibt und begleitet. Der Erste Deutsche Familientag wandte sich sowohl an ein breites Fachpublikum aus den Einzelbündnissen als auch an eine breitere Öffentlichkeit, um die Initiative bekannt zu machen.

   Für den Zeitraum 2003 bis Ende 2006 hat das Servicebüro aus Bundesmitteln etwa 6 Millionen Euro für diese Arbeit zur Verfügung. Daraus werden die Initiierung, die Beratung und der Aufbau der aktuell 308 lokalen Bündnisse, die über 35 Millionen Menschen erreichen, organisiert und finanziert. An über 250 weiteren Standorten werden Gründungen von lokalen Bündnissen vorbereitet. Diese Summe schließt Mittel für Öffentlichkeitsarbeit und die Organisation von lokalen und regionalen Veranstaltungen sowie bundesweite Großveranstaltungen wie den Familientag ein. In den vergangenen Jahren hat das Servicebüro jeweils eine bundesweite Veranstaltung als Netzwerkkonferenz organisiert. In diesem Jahr ist dies in erweiterter Form als Familientag geschehen. Die öffentlichkeitswirksame Zentralveranstaltung auf der Museumsinsel - Schirmherr war der Bundespräsident, ein Grußwort kam von der Bundeskanzlerin - war für das Bündnis eine hervorragende Gelegenheit, seine Leistung zu präsentieren und weitere Mitglieder zu werben. Am Familientag beteiligten sich viele wichtige Partner aus der Wirtschaft mit eigenen Beiträgen auf eigene Kosten, unter anderem die Unternehmen Unilever, JAKO-O, Adidas und Douglas Holding. Das Bundesministerium steuerte keine weiteren Mittel bei.

   Der Familientag sollte und wollte dazu beitragen, dass aktuelle Entwicklungen in der Familienpolitik, neue Themen und innovative Ideen eine Plattform finden und alle an der Familienpolitik Interessierten erreichen, Bürgerinnen und Bürger eingeschlossen. Deswegen richtete sich der Familientag neben dem Fachpublikum - insgesamt waren 1 700 Fachleute aus ganz Deutschland angemeldet - auch an Familien mit Kindern und enthielt das Rahmenprogramm neben dem Fachprogramm und den Informationsangeboten für Familien auch unterhaltende Elemente, wie etwa den Rekordversuch „Das größte Familienfoto der Welt“.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nachfrage, Frau Kollegin Deligöz.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass dieses Servicebüro im Auftrag des Familienministeriums arbeitet, weil diese Bündnisse eine Initiative des Familienministeriums sind, und dass eine Veranstaltung, die im Auftrag des Familienministeriums stattfindet, auch eine Veranstaltung des Familienministeriums ist?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Ich stimme Ihnen erstens zu, dass das Servicebüro im Auftrag des Familienministeriums handelt und dass das insofern natürlich auch eine Veranstaltung des Familienministeriums ist.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Weitere Nachfrage. Bitte, Frau Deligöz.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Können Sie beziffern, was dieser Tag gekostet hat?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Zu den Kosten habe ich eben Ausführungen gemacht. Ich habe deutlich gemacht, was das Servicebüro für die Leistungen, die ich eben beschrieben habe, aus dem Bundeshaushalt insgesamt erhält. Ich habe aber auch darauf hingewiesen, dass dies durch Mittel der Bündnispartner - sie sind auch entsprechend aufgetreten - ergänzt wird.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Deligöz auf:

Was hat die Bundesregierung auf dem von ihr veranstalteten Ersten Deutschen Familientag gegen die dortige Verbreitung einer von der Frauen-Union der CDU Deutschland ausgelegten Publikation unternommen, in der der Eindruck erweckt wird, das Elterngeld sei bereits ein gesetzliches Regelwerk, ohne dass bislang ein Gesetzentwurf öffentlich vorliegt oder gar im Deutschen Bundestag debattiert worden ist?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Auf dem Ersten Deutschen Familientag haben sich 232 lokale Bündnisse für Familie sowie zahlreiche Bündnisfreunde präsentiert. Die Bundesregierung hat sich nicht darum gekümmert, welche Publikationen im Einzelnen ausgelegt wurden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nachfrage.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Staatssekretär, wir haben vorhin festgestellt, dass dieser Veranstaltungstag im Auftrag des Familienministeriums stattfand und damit eine Veranstaltung des Familienministeriums war. Können Sie mir erklären, wie es dazu kommt, dass die Frauen-Union als einzige Parteiorganisation auf diesem Parteitag Flugblätter verteilen durfte, während es allen anderen Fraktionen und Parteien nicht erlaubt war, sich selbst darzustellen, auf Podien aufzutreten oder in irgendeiner anderen Form Veröffentlichungen zu präsentieren? Das wurde lediglich der Frauen-Union erlaubt. Übrigens durften auch andere Verbände kein Informationsmaterial verteilen.

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Es ist offensichtlich richtig, dass die Frauen-Union einen Flyer ausgelegt hat. Die Frauenunion gehört genauso wie die Bundeswehr, Wirtschaftsunternehmen, der DGB, der Deutsche Städte- und Gemeindebund oder die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik zu den Bündnisfreunden. Insgesamt waren 30 Bündnisfreunde, die sich als solche haben erfassen lassen, auf der Veranstaltung vertreten.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zweite Nachfrage.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Staatssekretär, es war den anderen Parteien und Fraktionen nicht erlaubt, dort ihre Flugblätter auszulegen, obwohl auch sie, da es sich um ein Programm der Regierung handelt, hinter dem alle Fraktionen stehen, zu den Bündnispartnern zählen. Wie begründen Sie, dass lediglich die Frauen-Union als Parteiuntergliederung dort Werbung machen durfte, die Untergliederungen der FDP, der Grünen, der SPD und der Linken aber nicht?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Ich habe eben versucht, zu erläutern, dass es Bündnisfreunde gibt, die sich als solche haben registrieren lassen. Diese Bündnisfreunde waren alle berechtigt, Materialien auszulegen. Das haben nicht alle in gleicher Weise genutzt. Einige haben zum Beispiel Ansteckplaketten verteilt, mit denen sie aufgetreten sind. Insofern ist das unterschiedlich gehandhabt worden. Spielraum gab es für alle, die Mitglied im Bündnis sind oder dort mitarbeiten.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Weitere Nachfrage der Kollegin Laurischk.

Sibylle Laurischk (FDP):

Herr Staatssekretär, inwieweit waren Frauenorganisationen, die den politischen Parteien nahe stehen oder Unterorganisationen von ihnen sind, zu dieser Veranstaltung eingeladen?

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Ich habe eben gesagt, dass es eine Sache des Bündnisses für Familie ist, dass es also an der Konstruktion liegt, in der es dieses Bündnis gibt und auch die Bündnisfreunde, die sich erfassen lassen. Ich habe gesagt, dass 30 Bündnisfreunde anwesend waren. Darüber hinaus war allgemein die Öffentlichkeit eingeladen. Ich habe Ihnen eben die Zahl 1 700 genannt. Sie wissen, dass das Ganze am Berliner Dom stattgefunden hat. Es war also öffentlichkeitswirksam. Offener geht es eigentlich nicht.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Laurischk, eine weitere Frage kann ich Ihnen nicht gewähren.

   Vielen Dank, Herr Staatssekretär.

Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

   Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung.

   Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Gudrun Kopp:

Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Wissenschaftsrates, der in seiner „Wissenschaftspolitischen Stellungnahme zum Bundesamt für Strahlenschutz (BfS)“ vom 19. Mai 2006 zu dem Ergebnis kommt, dass in der Vergangenheit bei der Berufung der Amtsleitung wohl nicht hinreichend auf die wissenschaftliche Kompetenz der Kandidaten geachtet wurde?

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Sehr geehrte Frau Kollegin, vor dem Hintergrund der gesetzlich fixierten Aufgabenstellung des Amtes und vor dem Hintergrund des Lebenslaufs des Präsidenten und seiner Arbeitsleistung können wir nur mit Nein antworten.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nachfrage, Frau Kopp?

Gudrun Kopp (FDP):

Herr Staatssekretär, es geht hier nicht um den Lebenslauf des Präsidenten, sondern es geht um seine wissenschaftliche Qualifikation. Der Wissenschaftsrat hat kritisiert, dass gerade die Führung des Bundesamtes für Strahlenschutz keine naturwissenschaftliche Vorbildung hat. Das ist aber eine Voraussetzung zur Führung dieses Amtes. Würden Sie dazu bitte einmal Stellung nehmen?

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Ich habe auf Ihre Frage geantwortet und aus meiner Sicht gehört zum Lebenslauf natürlich auch die wissenschaftliche bzw. berufliche Leistung einer Person. Insofern bleibe ich bei dieser Antwort. Aber ich will gern noch ein paar Sätze hinzufügen. Der Präsident des BfS war Staatssekretär und er hat eine wissenschaftliche Ausbildung. Im Übrigen muss ich darauf hinweisen, dass dieses Amt zu mehr als 80 Prozent verwaltungsmäßige Tätigkeiten übernimmt. Vielleicht sollten wir Ihnen eine genauere Beschreibung seiner Tätigkeit zukommen lassen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Weitere Nachfrage, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (FDP):

Der Wissenschaftsrat bemängelt unter anderem, dass das BfS so gut wie keinerlei wissenschaftliche Publikationen und kaum Forschungsprojekte gemacht hat. Das müsste man von einem solchen Bundesamt erwarten können. Im Übrigen wird kritisiert, dass das Bundesamt sich im internationalen Vergleich nicht auf dem Stand der neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse befindet. Würden Sie bitte auch dazu etwas sagen?

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Auch hier teilen wir die Kritik nicht. Es ist manchmal sehr interessant: Die Kriterien, die der Wissenschaftsrat an andere anlegt, sollte er auch an sich selbst anlegen lassen. Da könnte ich Ihnen eine Menge Beispiele nennen. Aber das ist jetzt nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist vielmehr - das schreibt der Wissenschaftsrat selbst -:

Eigene wissenschaftliche Forschung selbst steht nicht im Vordergrund der Arbeit des BfS, sondern sie hat eine dienende Funktion zur sachgerechten Erledigung der vom Gesetzgeber übertragenen Verwaltungsaufgaben.

   In diesem Sinn erfüllt das BfS seine Aufgabenstellungen. Ich möchte darauf hinweisen, dass das BfS klare Aufgaben hat, die es erfüllt, nämlich in den drei Bereichen kerntechnische Sicherheit, Strahlenschutz und Endlagerforschung. In allen drei Bereichen gibt es keine derartige Kritik.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Dann kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Kopp:

Auf welche Weise stellt die Bundesregierung sicher, dass der gesetzlich formulierte Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz, auch eigene Forschungen auf dem Gebiet des Strahlenschutzes und in der Kerntechnik durchzuführen, erfüllt wird?

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Zur Frage 4 - sie hängt mit der vorherigen zusammen - sagen wir: Gemäß des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz betreibt das BfS zur Erfüllung seiner Aufgaben wissenschaftliche Forschung. Man muss natürlich die Rahmenbedingungen sehen, die sich aus dem Haushalt und auch aus der Personalsituation ergeben. In den angesprochenen Bereichen kommt das BfS den ihm übertragenen Aufgaben nach.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nachfrage? - Bitte.

Gudrun Kopp (FDP):

Herr Staatssekretär, es gibt insgesamt 582 Planstellen im BfS. Würden Sie bitte ausführen, wie viele dieser Planstellen nicht nur pro forma mit wissenschaftlichen Mitarbeitern ausgewiesen sind, sondern tatsächlich mit Wissenschaftlern der Bereiche kerntechnologische Sicherheit und Kerntechnologie besetzt sind?

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Ich sage Ihnen, dass der Ausdruck „pro forma“ nicht akzeptabel ist. Wir haben bei den Stellenausschreibungen immer den Kriterien entsprochen, die wir in Bezug auf die Funktionsfähigkeit dieses Hauses haben. Im Übrigen muss man sehen, dass dieses Haus mit anderen Einrichtungen, die in diesem Bereich tätig sind, eng verzahnt ist.

   Ich wiederhole: Von uns als zuständigem Ministerium wird keine Kritik an der wissenschaftlichen Leistung des BfS geäußert. Die konkreten Zahlen werde ich Ihnen gerne nachliefern. Allerdings gehe ich davon aus, dass das Amt seine Aufgaben erfüllt. Was die Aufgabenerfüllung angeht, gibt es von uns keine Kritik.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Gudrun Kopp (FDP):

Das habe ich in dem Bericht des Wissenschaftsrates anders gelesen.

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Man muss seine Einschätzung ja nicht teilen. - Entschuldigung.

Gudrun Kopp (FDP):

Gut. Ich teile das, was Sie gesagt haben, auch nicht. - Herr Staatssekretär, ich glaube, wir sind uns einig, dass die kerntechnologische Sicherheit und insbesondere Wissenschaft und Forschung in Bezug auf neueste Sicherheitsstandards ein Kernpunkt und wichtig für unser Land sind. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie noch einmal, und zwar sehr eindringlich, ob Sie tatsächlich nicht der Meinung sind, dass es nötig ist, wie es der Wissenschaftsrat ausdrücklich fordert, diese Ressortforschung zu verbessern. Bitte antworten Sie darauf, ob es Planungen zur Verbesserung gibt, oder ob Sie der Meinung sind, dass alles prima ist.

Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Wie Sie wissen, überprüfen wir die Aufsicht und die kerntechnische Forschung in der Bundesrepublik insgesamt und bewerten anschließend die Ergebnisse. Es gibt mehrere Institutionen, die an dieser Beratung beteiligt sind. Sollten wir die Notwendigkeit sehen, die Forschung in bestimmten Bereichen auszuweiten und die erforderlichen finanziellen Mittel dafür bereitzustellen, dann hoffen wir, dass auch die FDP hilft.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Danke schön, Herr Staatssekretär. - Aber die Mehrheit im Haushaltsausschuss hat natürlich die Regierung.

   Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 5 der Kollegin Cornelia Hirsch soll schriftlich beantwortet werden.

   Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 6 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird ebenfalls schriftlich beantwortet.

   Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.

   Die Frage 7 des Kollegen Peter Hettlich soll schriftlich beantwortet werden.

   Wir kommen dann zur Frage 8 der Kollegin Ulla Lötzer:

Welche konkreten Verhandlungsziele und Änderungsvorschläge hat die Bundesregierung auf der Sitzung des Wettbewerbsrates am 29. und 30. Mai 2006 in den Verhandlungen zum geänderten Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt verfolgt bzw. vorgelegt?

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung würde ich gerne die Fragen 8 und 9 wegen der engen thematischen Verschränkung gemeinsam beantworten.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ja, gut. Dann rufe ich auch die Frage 9 der Kollegin Ulla Lötzer auf:

Wie hat die Bundesregierung dabei im Einzelnen die Forderungen des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung (Bundesratsdrucksache 325/06) berücksichtigt, die sich auf Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie, die Daseinsvorsorge, das Subsidiaritätsprinzip, die Entscheidungsfreiheit der nationalen Gesetzgeber und weitere konkrete Änderungswünsche beziehen?

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Kollegin, die Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag in der Vergangenheit intensiv über ihre Position informiert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang insbesondere an das Ihnen übersandte Eckpunktepapier vom 6. März 2006, an die Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke vom 23. März 2006 und an die Berichterstattung in den einzelnen Fachausschüssen. Hinweisen möchte ich auch auf das jüngste Schreiben meiner Kollegin Frau Staatssekretärin Caspers-Merk an den Gesundheitsausschuss, in dem wir am 19. Mai 2006 unsere Verhandlungsposition speziell zum Bereich Dienstleistungen dargelegt haben. Diese von uns dargelegten Positionen haben wir auch im Rat mit Erfolg vertreten.

   Vor diesem Hintergrund besteht volle Klarheit über unsere Verhandlungsziele. Die geplante Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist ein zentrales Projekt im Rahmen der Lissabonstrategie der Europäischen Union, die von der Bundesregierung mitgetragen wird.

   Das beabsichtigte Ziel des Richtlinienvorschlags, die weitere Stärkung des Binnenmarktes für Dienstleistungen, um positive Wachstums- und Beschäftigungsanreize zu erreichen, wurde und wird von der Bundesregierung unterstützt. Zugleich hat sich die Bundesregierung entschieden dafür eingesetzt, dass auch die berechtigten sozial- und gesellschaftspolitischen Anliegen berücksichtigt und eine ausgewogene Balance zwischen den Zielen erreicht werden. Die Bundesregierung hat auf dieser Grundlage eine differenzierte Verhandlungsposition entwickelt und den Deutschen Bundestag fortlaufend über die einzelnen Punkte informiert. Diese Punkte haben wir auch auf dem Wettbewerbsrat in Brüssel eingefordert.

   Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, kurz über die Ergebnisse des Wettbewerbsrats vom letzten Montag zu berichten: Wir haben mit der politischen Einigung viel erreicht, und dies trotz schwieriger Ausgangslage. Das gemeinsame Bemühen um eine bessere Richtlinie hat sich für Deutschland gelohnt. Nach schwierigen Beratungen haben wir nun eine Lösung sowohl im Interesse der deutschen Anbieter als auch der Kunden erreicht. Das im Rat erzielte Verhandlungsergebnis trägt wichtigen deutschen Interessen Rechnung. Es basiert auf dem ökonomisch und sozial ausgewogenen Kompromiss des Europäischen Parlaments, auf dem schon die Europäische Kommission ihren geänderten Richtlinienvorschlag aufgebaut hat. Wir haben nun eine fein austarierte Balance zwischen Marktöffnung und Sozial- und Umweltschutz erreicht.

   Um einige Eckpunkte konkret zu benennen: Wir haben durchgesetzt, dass Gesundheits- und soziale Dienstleistungen nicht unter die Richtlinie fallen, und zwar einschließlich des Pflegebereichs. Auch das Arbeitsrecht und die Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit bleiben endgültig aus der Richtlinie ausgenommen. Ebenso wurden Notare aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Die Umsetzungsfrist wird auf drei Jahre verlängert - auch das war eine Forderung des Parlaments und des Bundesrates - und die Entscheidungsfreiräume des nationalen Gesetzgebers konnten nochmals erweitert werden.

   Das sind wichtige Erfolge, gerade für uns in Deutschland. Die Forderungen des Bundesrates konnten damit in den wesentlichen Punkten durchgesetzt werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nachfrage? - Bitte schön.

Ulla Lötzer (DIE LINKE):

Herr Hintze, erst einmal vielen Dank für die Information. Meine Fragen beziehen sich konkret auf die Einigung im Wettbewerbsrat über weitere Änderungen an der Richtlinie, die jetzt noch zur formellen Beschlussfassung sowie dem EP zur zweiten Lesung vorgelegt werden.

   Ist meine Information richtig, dass Sie zwar erreicht haben, dass der Pflegebereich ausgenommen wird, dass es aber bei der Einschränkung der sozialen Dienstleistungen auf die Frage der Bedürftigkeit - was beispielsweise der Bundesrat als sachlich nicht gerechtfertigt abgelehnt hat - bleibt? Verschiedene Mitgliedsländer sollen im Wettbewerbsrat darauf gedrängt haben, dass sie für die Zustimmung zum Verzicht auf das Herkunftslandprinzip weitere Einschränkungen gegenüber dem Entwurf der Europäischen Kommission erhalten. Dafür ist ein neuer Erwägungsgrund, 39 c, beschlossen worden, nach dem die Beschäftigungsbedingungen nur dann als einzuhalten gelten, wenn sie aus Gründen des Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigt, nicht diskriminierend, notwendig und verhältnismäßig sind. Was bedeutet diese Einschränkung aus Ihrer Sicht? Wie wird das entschieden? Welche Konsequenz hat das für den Schutz vor Lohn- und Sozialdumping?

   Ferner wurden auch in Bezug auf die Daseinsvorsorge, ein wichtiger Punkt in der Auseinandersetzung um die Dienstleistungsrichtlinie, Einschränkungen vom Rat beschlossen wurden. Es ist nämlich nicht so, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse insgesamt ausgenommen werden sollen, sondern nur die nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Was heißt das? Einen solchen Rechtsbegriff gibt es bisher überhaupt nicht. Welche Konsequenzen hat das für die Daseinsvorsorge?

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das war jetzt ein Bündel von Fragen. Ich bitte Sie, sie so weit wie möglich zu beantworten.

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Herr Präsident, ich versuche, sie präzise zu beantworten, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass es noch eine Große Anfrage der Fraktion Die Linke gibt, die wir im Juli beantworten werden, weil die entsprechenden Rechtstexte, der gemeinsame Standpunkt, erst in einer Sitzung des Rates im Juni förmlich verabschiedet werden; darauf haben Sie hingewiesen, Frau Kollegin.

   Ich will trotzdem einen kleinen Durchgang durch Ihre Fragen machen: Erstens. Die Bedürftigkeitsthematik ist im Sinne des Wunsches des Bundesrates geregelt worden.

   Zweitens, zum Komplex des Herkunftslandprinzips. Sie wissen, dass die ursprünglich vorgeschlagene Form des Herkunftslandprinzips herausgenommen worden ist. Sie haben gefragt, was dafür eingefügt worden ist. An die Stelle des Herkunftslandprinzips tritt jetzt ein Behinderungsverbot mit Berichtspflichten. Der Grundgedanke der Richtlinie ist ja ein Behinderungsverbot; das heißt, dass die Dienstleistungserbringung im gemeinsamen Markt nicht durch unsachgemäße Regeln und Vorschriften behindert werden soll. Deswegen ist jetzt ein Berichtsverfahren eingeführt worden, nach dem die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Einschränkungen und Regelungen, die für ausländische Dienstleistungserbringer gelten, der Kommission mitzuteilen, damit man einem möglichen Missbrauch frühzeitig auf die Spur kommen kann. Das Herkunftslandprinzip wird also von einem Bestimmungslandprinzip abgelöst, das aber mit einem sehr ausgeprägten Behinderungsverbot versehen wurde. Ich finde, das ist eine Lösung, mit der alle Beteiligten gut leben können. Es gab ja im Rat eine große Auseinandersetzung zwischen den neuen Mitgliedstaaten und den alten Mitgliedstaaten. Insbesondere die neuen Mitgliedstaaten haben auf eine wesentlich weiter gehende Liberalisierung gedrängt. Wir haben zum Schutz unseres Arbeitsrechtes, unserer Sozialstandards und zum Schutz vor Umwelt- oder Lohndumping die Regelungen durchgesetzt, die ich eben dargestellt habe.

   Beim Thema Daseinsvorsorge besteht vielleicht ein Missverständnis. Die Thematik der Daseinsvorsorge als solche - auch in weiteren Fragen wird es darum gehen - wird von der Richtlinie nicht tangiert. Es geht vielmehr um die Frage, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit oder um eine nicht wirtschaftliche Tätigkeit handelt. Diese ist aus dem Geltungsbereich der Richtlinie herausgenommen worden.

   Die Fragen, die Sie gestellt haben, beziehen sich auf wirtschaftliche Tätigkeiten. Man muss das im Einzelnen betrachten. Zur Daseinsvorsorge im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zum Beispiel zählen die Versorgung mit Strom, die Müllentsorgung und Ähnliches. Wenn in den einzelnen Mitgliedstaaten oder nach anderen einschlägigen Vorschriften eine Marktöffnung vorgesehen ist, dann müssen alle Anbieter die Chance haben, sich an diesem Markt zu beteiligen. Der Kern ist nicht, ob eine Leistung eine Leistung der Daseinsvorsorge ist, sondern, ob eine Leistung gegen Entgelt erbracht wird, also ob es eine wirtschaftliche oder eine nicht wirtschaftliche Leistung ist.

   Herr Präsident, ich schlage vor, über die Einzelheiten in den Fachausschüssen zu diskutieren, wenn der Rechtstext vorliegt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Sind Sie damit einverstanden, Frau Kollegin Lötzer?

Ulla Lötzer (DIE LINKE):

Ich habe eine konkrete Nachfrage, da Sie in einem Punkt nicht auf meine Frage geantwortet haben.

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Ich bitte um Entschuldigung, aber Sie haben eine Fülle von Fragen gestellt.

Ulla Lötzer (DIE LINKE):

Dann stelle ich diese Frage gerne noch einmal. Bei der Ergänzung, die der Wettbewerbsrat im Bereich der Daseinsvorsorge angebracht hat, geht es nicht um die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge von wirtschaftlichem Interesse, sondern um die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge von allgemeinem Interesse. Hier schlägt der Rat nach meiner Information eine weitere Einschränkung vor, welche die nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betreffen soll. Darauf bezog sich meine Frage. Welche Konsequenzen hat das? Es geht um die Daseinsvorsorge von allgemeinem Interesse. Diesen Rechtsbegriff gibt es überhaupt nicht. Welche Dienstleistungen sind damit gemeint und werden gegenüber dem bisherigen Entwurf zusätzlich in den Geltungsbereich der Richtlinie einbezogen?

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Kollegin, ich werde dieser Frage gerne nachgehen und sie Ihnen schriftlich beantworten.

Ulla Lötzer (DIE LINKE):

Gut.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Vielen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 10 der Kollegin Inge Höger-Neuling:

Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber der Forderung des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung (Bundesratsdrucksache 325/06) zur EU-Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt, Leistungen der Pflege und Rehabilitation explizit vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, insbesondere auch in den Verhandlungen des Wettbewerbsrates?

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, würde ich die Fragen 10 und 11 gerne im Zusammenhang beantworten, weil sie inhaltlich eng zusammenhängen und beide das Thema zum Gegenstand haben, über das wir gerade gesprochen haben.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Dann rufe ich auch Frage 11 der Kollegin Inge Höger-Neuling auf:

Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber der Forderung des Bundesrates aus seiner aktuellen Entschließung (Bundesratsdrucksache 325/06) zur EU-Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt, soziale Dienstleistungen vollumfänglich und demnach auch ohne Einschränkung auf das Kriterium der Bedürftigkeit aus dem Geltungsbereich der Richtlinie auszunehmen, insbesondere auch in den Verhandlungen des Wettbewerbsrates?

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Ich beantworte die Fragen 10 und 11 wie folgt: Die Bundesregierung hat, wie ich eben zu den Fragen 8 und 9 ausgeführt habe, in den Verhandlungen erfolgreich die gleiche Position wie der Bundesrat vertreten. Wir haben uns dezidiert für die notwendigen Textänderungen sowohl bei Art. 2 als auch in den Erwägungsgründen stark gemacht. Gegen erheblichen Widerstand von anderen Mitgliedstaaten konnte die Bundesregierung damit durchsetzen, dass Gesundheits- und soziale Dienstleistungen nicht unter die Richtlinie fallen, und zwar einschließlich des Pflegebereichs.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ihre Nachfrage, bitte.

Inge Höger-Neuling (DIE LINKE):

Meine Nachfrage - sie steht im Zusammenhang mit dem, was schon die Kollegin Lötzer gefragt hat -: Gehören zum Pflegebereich auch Beratungsangebote für Menschen, zum Beispiel zu Themen wie Pflege und Kinderbetreuung, und die Unterstützung bedürftiger Familien und Personen? Wie ist die Definition abgefasst? Können Sie dazu schon Genaueres sagen? Die Informationen, die wir bisher dazu bekommen haben, gehen nämlich sehr durcheinander.

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Die von Ihnen gestellten Fragen kann ich jeweils mit Ja beantworten. Ich schlage aber vor, die weiteren Einzelheiten im Fachausschuss zu besprechen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Nun hat die Kollegin Schwall-Düren eine Nachfrage.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass das Herkunftslandprinzip durch das Bestimmungslandprinzip ersetzt wurde, verbunden mit der Auflage, regelmäßig Berichte darüber abzugeben, welche Beschränkungen ausländischen Dienstleistern auferlegt werden sollen. Es gab das Ansinnen, dass diese Berichtspflichten oder Rechtfertigungspflichten sehr intensiv genutzt werden sollen. Meiner Kenntnis nach hat sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass diese intensive Rechtfertigungspflicht reduziert wird. Konnten Sie in diesem Bereich einen Erfolg erzielen?

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Kollegin, ich beantworte diese Frage gerne.

   Zu den Erfolgen der deutschen Verhandlungsführung im Rat gehört, dass wir die Berichtspflichten auf das notwendige Maß zurückführen konnten, dass es eine allgemeine Übermittlungspflicht, aber kein formales Notifizierungsverfahren gibt und dass wir bezogen auf die Auflagen für kleine und mittlere Unternehmen insbesondere den Grundsatz der Erforderlichkeit mit einführen konnten, sodass hier ein echter Beitrag zur Entbürokratisierung geleistet wurde.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Die Zeit für die Fragestunde ist abgelaufen. Damit müssen wir die Fragestunde für heute beenden. Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet.

   Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunkten 2 a bis 2 c:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Steueränderungsgesetzes 2007

- Drucksache 16/1545 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Steueränderungsgesetz 2007 zurückziehen

- Drucksache 16/1501 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Keine weiteren Steuererhöhungen

- Drucksache 16/1654 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

   Der Antrag auf Herbeirufung des Bundesministers der Finanzen aus der letzten Plenarsitzung, in der dieser Tagesordnungspunkt behandelt wurde, sollte sich durch die Anwesenheit des Ministers erledigt haben. - Ich sehe ihn aber nicht.

(Jan Mücke (FDP): Er ist nicht da! - Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Er wird schon kommen!)

Können wir davon ausgehen, dass der Herr Minister bald hier ist? - Er erscheint soeben. Damit hat sich dies erledigt.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Vorsitzende des Finanzausschusses, Eduard Oswald, für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eduard Oswald (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute zum zweiten Mal Gelegenheit, in erster Lesung zum Steueränderungsgesetz 2007 zu sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Im Interesse einer sachgerechten Behandlung erspare ich mir, auf die Vorgänge einzugehen, die dazu geführt haben, dass diese erste Lesung noch einmal angesetzt werden musste.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist gut so!)

   Mit dem Entwurf zum Steueränderungsgesetz 2007 wird die Haushaltssanierung konsequent fortgesetzt. Mit ihm werden insbesondere Maßnahmen aus der Koalitionsvereinbarung verwirklicht. Darüber hinaus enthält er Regelungen zur Rechtsbereinigung sowie zur Anpassung an die neue Rechtsprechung. Außerdem werden mit ihm spezifische europarechtliche Vorgaben erfüllt. Gerade auch mit Blick auf die nachfolgenden Generationen wollen wir die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vorantreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer bei einem Schuldenberg von 1,5 Billionen Euro „Weiter so wie bisher“ sagt, handelt nicht verantwortungsbewusst.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bernd Scheelen (SPD))

   Wir müssen verhindern, dass den künftigen Generationen zusätzlich zu den demografischen Problemen in den sozialen Sicherungssystemen weitere Zinslasten aufgebürdet werden. Deshalb müssen wir gegensteuern. Dieses Gegensteuern führt für viele Betroffene zu Einschnitten, ist ohne Alternative und sind wir unseren künftigen Generationen schuldig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Aufgaben, vor denen wir heute stehen, sind gewaltig. Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, demografischer Wandel und Veränderungsdruck der Globalisierung verlangen große Anstrengungen, um den heutigen und den künftigen Generationen ein Leben in Wohlstand zu sichern. Zukunftsweisende und Wachstumskräfte fördernde Investitionen sind aufgrund der Haushaltslage aller staatlichen Ebenen aber nur dann nachhaltig, wenn diese mit sinnvollen strukturellen Reformen und mit notwendigen und unausweichlichen Maßnahmen zur Sanierung der öffentlichen Haushalte einhergehen.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Sparen!)

Investieren, sanieren, reformieren - dieser Dreischritt an Maßnahmen ist aus unserer Sicht ohne Alternative.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Diesen Weg werden wir konsequent beschreiten. Wir sind davon überzeugt, dass diese seriöse Steuer- und Finanzpolitik von der Bevölkerung anerkannt wird; denn sie schafft letzten Endes Vertrauen in die Zukunft. Wir alle können sehr wohl nachvollziehen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger, wenn sie ganz persönlich von den Sparmaßnahmen betroffen sind, nicht gerade in Hurrarufe ausbrechen. Aber ich bin mir sicher, dass diese Maßnahmen als ein notwendiger Beitrag zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen akzeptiert werden. Wenn der Staat heute 100 Euro ausgibt, aber nur 80 Euro nachhaltig an Einnahmen hat, so muss dies im Interesse zukünftiger Generationen verändert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn man sich etwas nicht mehr leisten kann, dann kann man es nicht mehr machen; das ist ganz einfach.

(Otto Fricke (FDP): Dann gibt man weniger aus!)

   Der heute vorliegende Gesetzentwurf reiht sich in eine Reihe bereits beschlossener Gesetze oder Maßnahmen ein, die den politischen Weg der großen Koalition verdeutlichen, auf dem wir konsequent steuerliche Ausnahmetatbestände und Subventionen abgebaut haben: das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen, das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm, das Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage, das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen.

   Wenn wir uns diese Gesetze einmal genauer anschauen, so können wir feststellen, dass es sich hierbei um ausgewogene Maßnahmen handelt. Nehmen wir zum Beispiel das Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen. Der Ausschluss allein dieser Steuersparmodelle bringt bei voller Jahreswirkung Mehreinnahmen in Höhe von über 2 Milliarden Euro. Das ist eine Maßnahme, von der nun wahrlich nicht die kleinen Leute betroffen sind. Auf der anderen Seite haben wir die konsequente Stärkung von Wachstum und Beschäftigung im Blick.

   Bei dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung darf ich nur auf die verbesserte steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten und Handwerkerleistungen hinweisen. Damit werden Familien und private Haushalte erheblich entlastet und neue Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen. Allein das Volumen für die verbesserte steuerliche Berücksichtigung von Handwerkerleistungen beträgt bei voller Jahreswirkung über 1 Milliarde Euro.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer vor Ort mit den Handwerkern spricht, hört, dass die Bürgerinnen und Bürger erheblich mehr legale Handwerkerleistungen nachfragen.

(Jan Mücke (FDP): Wo denn?)

   Ich nenne den Entwurf des Investitionszulagengesetzes 2007, der heute auf unserer Tagesordnung steht und mit dem wir das Aufbauprogramm für die neuen Länder konsequent fortsetzen. Das Fördervolumen von rund 600 Millionen Euro kann sich sehen lassen. Bei einem Fördersatz von 20 Prozent sieht man, wie viel an Investitionen wir damit in den neuen Ländern mobilisieren.

   Als einen weiteren wichtigen Punkt nenne ich die Verbesserung der Unternehmensnachfolge durch eine Änderung des Erbschaftsteuerrechts zum 1. Januar 2007. Hier werden wir erhebliche Verbesserungen insbesondere für unsere mittelständische Wirtschaft erreichen. Eine verbesserte Unternehmensnachfolge ist mehr als nur eine steuerliche Erleichterung. Sie ist vielmehr ein Beitrag zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Darum geht es uns allen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Nur Unternehmen, die auch über die erforderliche finanzielle Ausstattung verfügen, können am Markt erfolgreich operieren, Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.

   Wir werden zum 1. Januar 2008 eine Reform der Unternehmensbesteuerung auf den Weg bringen. Dies haben wir in der Koalition vereinbart. Noch vor der Sommerpause werden hierzu Eckpunkte vorgelegt werden, damit die in der Wirtschaft handelnden Personen klare Vorgaben für ihre wichtigen unternehmerischen Entscheidungen haben.

   Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass der heute vorliegende Entwurf des Steueränderungsgesetzes 2007 nicht isoliert betrachtet werden kann. Dieser Gesetzentwurf ist einer von vielen wichtigen Bausteinen in unserer steuerrechtlichen Gesamtkonzeption. Selbstverständlich werden wir in den weiteren parlamentarischen Beratungen alle Argumente sorgfältig abwägen und in die Überlegungen einbeziehen. Heute werden wir allein zu diesem Gesetzentwurf eine vierstündige öffentliche Anhörung durchführen. Danach werden wir intensiv beraten.

   Wenn wir uns den Entwurf des Steueränderungsgesetzes genau anschauen, dann stellen wir fest, dass darin enthaltene Maßnahmen, auch wenn sie im Einzelfall durchaus zu Belastungen führen können, insgesamt doch angemessen ausgestaltet sind.

   Ich möchte nur zwei Punkte herausgreifen, die zurzeit zur Diskussion stehen. So ist es vorgesehen, Fernpendlern, die besondere Mühen auf sich nehmen, die Entfernungspauschale ab dem 21. Kilometer in der bisherigen Höhe von 30 Cent zu gewähren. Damit können wir besondere Härten für Fernpendler deutlich abmildern.

   Bei der Absenkung der Altersgrenze bei der Gewährung des Kindergeldes von 27 auf 25 Jahre sieht der Gesetzentwurf eine moderate Übergangsregelung vor. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben also Zeit, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Übrigens wird der Grundwehrdienst ebenso wie der Zivildienst nicht angerechnet, damit den Betroffenen kein Nachteil entsteht.

   Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu der Einführung eines Zuschlags auf die Einkommenssteuer für Spitzenverdiener. Wie Sie wissen, bedeutet eine Koalition, dass immer wieder Kompromisse geschlossen werden müssen. Koalition heißt Geben und Nehmen. Das war bei allen Koalitionen so, wer auch immer sie gebildet hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese Maßnahme, die von vielen zu Unrecht und irreführend als „Reichensteuer“ bezeichnet wird, ist im Zusammenhang mit den anderen steuerlichen Maßnahmen zu sehen. Ich bin davon überzeugt, dass wir im Rahmen der Unternehmensteuerreform einen Weg finden, der zu einer angemessenen Besteuerung der Leistungsträger in unserer Gesellschaft führt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Unser Ziel ist es, die Regelgrenze des Art. 115 Grundgesetz einzuhalten und die 3-Prozent-Defizitgrenze des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts zu unterschreiten. Dies zu erreichen, ist ein lobenswertes Ziel, für das es im Interesse der Stabilität unseres Landes zu kämpfen gilt.

   Ich bin davon überzeugt, dass die Bürger die Politik zur Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen honorieren werden, auch wenn zurzeit auf der einen Seite die hohen Schulden kritisiert werden und auf der anderen Seite jede Sparmaßnahme gebrandmarkt wird. Unsere Maßnahmen sind im Interesse der Gesamtverantwortung für unser Land erforderlich. Es gibt keine verantwortbare Alternative zu unserem Gesamtkonzept.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Volker Wissing (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, heißt es so schön. Für diese große Koalition gilt: Wenn zwei sich vertragen, zahlt der Dritte. Das sind in diesem Fall die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.

(Beifall bei der FDP)

   Was diese Regierungskoalition im Innersten zusammenhält, ist eine Steuererhöhung nach der anderen. Die CDU/CSU kann die Mehrwertsteuererhöhung durchsetzen, aber nur dann, wenn die SPD noch einen Prozentpunkt drauflegen darf. Die CDU/CSU darf die Unternehmensteuer ein bisschen reformieren, aber nur, wenn der SPD eine Reichensteuer zugestanden wird. Die Basis dieser Koalition ist kein Geben und Nehmen; es gibt nur ein einseitiges Nehmen aus den Taschen der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der FDP)

   Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es ist schon schlimm, dass Sie den Menschen so hemmungslos in die Taschen greifen, aber dass dieses Abkassieren völlig ohne Konzept erfolgt, macht das Ganze noch schlimmer.

(Beifall bei der FDP)

So bleibt für Trüffel und Gänsestopfleber der reduzierte Mehrwertsteuersatz erhalten; für Babywindeln und Kinderartikel wird er demnächst um 3 Prozentpunkte erhöht.

(Gustav Herzog (SPD): Das hat Sie noch nie interessiert!)

Das folgt keinem Konzept; das ist vielmehr Steuerirrsinn.

   Ihre Steuererhöhungspolitik belastet vor allem die kleinen und mittleren Einkommen. Ich will deshalb nicht nur über die Akteure auf der Regierungsbank reden, sondern auch über die Opfer dieser Steuererhöhungspolitik. Allein mit der Absenkung des Sparerfreibetrages, den Sie auf 1 500 bzw. 750 Euro nahezu halbieren, treffen Sie 2,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger. 15 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind von der Änderung der Pendlerpauschale betroffen und wen Sie mit Ihrer Mehrwertsteuererhöhung zur Kasse bitten, interessiert Sie nicht einmal.

   Ich habe Sie, Herr Minister Steinbrück, neulich gefragt, wie Sie die Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung für BAföG-Empfänger, Familien mit Kindern, Rentnerinnen und Rentner und ALG-II-Empfänger einschätzen. Über Ihre Antwort habe ich nicht schlecht gestaunt. Ich zitiere: „Entsprechende Berechnungen hat die Bundesregierung nicht durchgeführt.“ Nichts zu wissen ist vielleicht eine gute Voraussetzung für Sie, um ein gutes Gewissen zu haben. So kann man zwar auch Politik machen, aber das sollte zumindest einer sozialdemokratischen Fraktion unwürdig sein.

(Beifall bei der FDP)

Sie beschließen eine Steuererhöhung nach der anderen und interessieren sich nicht einmal dafür, wie sich das auf die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft auswirkt. Das ist ungeheuerlich.

(Beifall bei der FDP - Joachim Poß (SPD): Das ist reine Heuchelei! Sie heucheln schon seit fünf Minuten! Sie Heuchler!)

   Herr Poß, die Einführung einer Reichensteuer kann weiß Gott nicht die sozialpolitische Blöße der SPD in der Finanzpolitik bedecken. Politik sollte eigentlich zum Ziel haben, dass es den Menschen besser geht. Aber Ihr Anspruch beschränkt sich inzwischen darauf, dass es allen in unserem Land gleichermaßen schlecht geht. Ich frage Sie: Was ist das denn für eine Politik?

(Beifall bei der FDP)

Soziale Gerechtigkeit schafft man doch nicht, indem man vielen viel nimmt, sondern indem man vielen möglichst viel belässt. Das war im Übrigen auch einmal eine Erkenntnis der Union, zumindest bis zu den Koalitionsverhandlungen. Aber während dieser Verhandlungen ist Ihnen offenbar der finanzpolitische Sachverstand verloren gegangen.

(Beifall bei der FDP)

In der Opposition Steuervereinfachungen und Steuersenkungen fordern und in der Regierung eine Steuererhöhung nach der anderen machen, das ist eine 180-Grad-Wendung der Union in der Finanzpolitik.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich kann verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass vielen von Ihnen diese Politik peinlich ist.

   Peinlich war ebenfalls das jähe Ende der Debatte am vorletzten Freitag. Da soll über den Entwurf Ihres Steuererhöhungsgesetzes in den Abendstunden beraten werden und am Ende scheitert es dann daran, dass nicht mehr genügend Abgeordnete im Saal sind. So geht es wirklich nicht! Sie können nicht erst die Bürgerinnen und Bürger massiv belasten und sich dann nicht der Debatte stellen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Manfred Grund (CDU/CSU): Ihr wart doch auch nicht da!)

Das ist typisch für die Abgeordneten der großen Koalition. In Berlin werden die Steuern erhöht und im Wahlkreis will es dann niemand gewesen sein. Die Menschen in unserem Land haben mehr Respekt verdient. Damit meine ich auch mehr Respekt vor ihrem Eigentum. Es geht doch letztlich darum, dass Sie mit Ihrer Steuererhöhungspolitik den Bürgerinnen und Bürgern Geld wegnehmen. Herr Oswald, Sie reden davon, dass gespart werden soll. Aber der Staat spart nicht. Das ist doch der Fehler, den Sie machen. Sie verlangen, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr an den Staat zahlen, und zwar mehr von dem Geld, das sich die Menschen zuvor ehrlich und hart erarbeitet haben. Wir sollten vor den Leistungen der Bürgerinnen und Bürger mehr Respekt haben, als Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zeigen.

(Beifall bei der FDP)

Egal ob Sparerfreibetrag oder Pendlerpauschale, der Staat hat den Menschen damit letztlich kein Geschenk gemacht, sondern ihnen nur mehr von dem belassen, was ihnen ohnehin zusteht, nämlich der Lohn für ihre Arbeit. Das sollten wir nicht vergessen.

   Meine Damen und Herren von Schwarz-Rot, der wesentliche Unterschied zwischen Ihnen und der FDP ist, dass Sie glauben, dass das Geld der Bürgerinnen und Bürger in die Hände des Staates gehört. Aber wir sagen Ihnen: Lassen Sie es den Bürgerinnen und Bürgern! Nur so entstehen Leistung, Wachstum und Arbeitsplätze. Das muss doch das Ziel einer wirklich sozialen Politik sein.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Frechen von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Gabriele Frechen (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Wissing, es gibt noch andere Unterschiede zwischen uns. SPD und Grüne haben die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik durchgeführt. Dazu war die FDP, solange sie in der Regierung war, nicht in der Lage.

(Beifall bei der SPD)

Sie versprechen immer nur, die Steuern zu senken. Aber in Wirklichkeit hatten Sie in der Zeit Ihrer Regierungsbeteiligung die höchste Steuer- und Abgabenquote in der Geschichte der Bundesrepublik zu verantworten.

(Beifall bei der SPD - Dr. Volker Wissing (FDP): Die Menschen wissen, wie es wirklich ist!)

   „Konjunktur treibt Steuereinnahmen hoch - Experten erwarten 14 Prozent Zuwachs bei der Körperschaftsteuer - Kommunen freuen sich über sprudelnde Gewerbesteuer“, so lautet die Überschrift der „Financial Times Deutschland“ vom 12. Mai dieses Jahres. Dass ich darauf erst jetzt zurückkomme, liegt weniger daran, dass ich meine Zeitungen so spät lese, als daran, dass die erste Lesung, die schon in der letzten Sitzungswoche hätte stattfinden sollen, dem Kollegen Beck und seinem Geschäftsordnungsantrag zum Opfer gefallen ist.

Trotzdem hat diese Überschrift nichts an ihrer Gültigkeit verloren.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Große, nicht vorhandene Koalition!)

   Herr Kollege Wissing hat eben gesagt, wir hätten uns der Diskussion nicht stellen wollen. Weder Herr Oswald noch ich haben unsere Reden zu Protokoll gegeben; wir hätten uns hierhin gestellt. Tun Sie also nicht so, als ob wir uns dem nicht gestellt hätten!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was für Sie gilt, gilt auch für uns.

   Die Überschrift zeigt, dass die Unternehmensteuerreform und auch die steuerpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre Früchte tragen. Das Körperschaftsteueraufkommen wird trotz Absenkung des Steuersatzes von 40 Prozent auf 25 Prozent fast wieder so hoch sein wie 1998. Das Gewerbesteueraufkommen wird mit 34,2 Milliarden Euro nochmals eine große Steigerung erfahren. Das ist auch gut so; denn die Kommunen brauchen dieses Geld dringend, um aufgeschobene Investitionen jetzt endlich zu tätigen, damit die Handwerkerschaft, die mittelständische Wirtschaft zu stärken und so den Arbeitsmarkt sowie die Sozialversicherungssysteme zu entlasten. Die Konjunktur gewinnt dadurch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Das alles sind positive Entwicklungen, die wir als solche würdigen dürfen, ja sogar würdigen müssen. Aber rechtfertigen sie schon den Schluss, dass weitere Sparmaßnahmen, dass weitere Schritte zum Abbau steuerlicher Vergünstigungen überflüssig sind? Unser Finanzminister Peer Steinbrück hat diese Debatte bereits vorausgesehen. Er hat gesagt: Selbst wenn die Konjunktur so wie jetzt läuft, wird das nicht reichen, um das strukturelle Defizit im Staatshaushalt zu decken. Um es einfacher zu sagen: Auch nach diesen positiven Berechnungen klafft eine deutliche Lücke zwischen den Einnahmen und den Ausgaben des Staates.

   Wir wollen doch alle - die FDP vielleicht nicht - einen aktiven und einen handlungsfähigen Staat,

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Das wollen wir alle! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Aber wir wollen nicht den fetten Staat!)

der Infrastruktur zur Verfügung stellt, der Sicherheit bietet, der in Familien, in Forschung und Bildung investiert und der solidarische Hilfe da leistet, wo sie benötigt wird. Deshalb müssen wir weiterhin die undankbare Aufgabe angehen, Ausnahmetatbestände abzuschaffen, Vergünstigungen zu streichen und uns auch von lieb gewonnenen Dingen zu verabschieden. Leider kann man den Haushalt ohne spürbare Einschnitte nicht konsolidieren. Aber wir müssen sehen, dass es zu keiner sozialen Schieflage in der Steuergesetzgebung kommt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Abschaffung von Steuerstundungsmodellen oder von Steuerumgehungsmodellen wurde von den allermeisten Menschen mit Kopfnicken, also mit Zustimmung, belohnt. Diese Menschen waren davon in der Regel nicht betroffen. Das ist bei diesem Steueränderungsgesetz anders. Die meisten Menschen werden davon betroffen sein, aber je nach Leistungsfähigkeit mehr oder weniger.

   Der Gesetzentwurf sieht zum Beispiel vor, die Altersgrenze beim Kindergeldbezug auf 25 Jahre abzusenken. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung Folgendes sagen: Meine Tochter war mit ihrem Studium mit 27 Jahren fertig, obwohl sie erst mit sieben eingeschult wurde, obwohl sie ein zusätzliches Schuljahr in Amerika verbracht hat und obwohl sie uns ein Examens-, das heißt zusätzliches Semester abgeschwatzt hat. Ich bin überzeugt: Man kann auch schneller fertig werden. Wie viele andere junge Menschen sieht sie diese 27 Jahre als Grenze, bis zu der das Studium abgeschlossen sein muss.

   Ob die Übergangsfristen ausreichend sind, welche sonstigen rechtlichen Verknüpfungen wie Beihilferegelungen betroffen sind, das wird die Anhörung zeigen. Ich bin sicher, wir werden Antworten auf unsere gezielt gestellten Fragen bekommen und wir werden zu einem guten Ergebnis kommen.

   Des Weiteren sieht der Gesetzentwurf vor, die Entfernungspauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unter 20 Kilometer zu streichen. Darüber wird es eine heftige Diskussion geben; die Briefe, die uns erreichen, zeigen es.

   Der vorgegebene Finanzrahmen muss eingehalten werden; da gibt es keinen Zweifel. Aber wir müssen prüfen, ob wir dieses Ziel nicht auch auf anderem Wege erreichen können. Ich kann für die SPD-Bundestagsfraktion sagen, dass wir uns durchaus auch andere Lösungen vorstellen können.

   Der Sparerfreibetrag ist eine der lieb gewonnenen Ausnahmen vom Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Gibt es Gründe, gerade diese Ausnahme jetzt nicht abzuschaffen? Natürlich gibt es die! Zum einen handelt es sich um eine Vereinfachung; zum anderen hat jeder Betroffene immer Gründe dafür, dass just die Ausnahme, die ihn selbst betrifft, nicht abgeschafft werden darf.

Aber reicht das aus? Ich glaube nicht. Aber um kleinere Sparguthaben - wir reden da bei Verheirateten von 50 000 Euro - von der Veränderung auszunehmen, werden wir einen - reduzierten - Sparerfreibetrag von 750 Euro bzw. 1 500 Euro für Verheiratete festlegen.

   Die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer werden nur noch dann anerkannt und abgesetzt werden können, wenn dieses Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit darstellt. Eine weitere Ausnahmeregelung wird gestrichen.

   Schließlich werden wir den Spitzensteuersatz für Einkommen über 250 000 bzw. 500 000 Euro von 42 auf 45 Prozent erhöhen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Frechen, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?

Gabriele Frechen (SPD):

Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (FDP):

Frau Kollegin, Sie sprachen eben davon, dass sich die Bundesregierung vorgenommen habe, Ausnahmen abzuschaffen, um einen Ausgleich zu erreichen. Erklären Sie mir bitte, weshalb die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Steueränderungsgesetz die Frage, weshalb sie Flüssiggas nur bis 2009, Erdgas aber bis 2020 steuerbegünstigt behandelt,

(Florian Pronold (SPD): Das ist ein anderes Gesetz! - Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anderes Gesetz!)

nach wie vor unbeantwortet lässt.

Gabriele Frechen (SPD):

Frau Kopp, vielen Dank, für die Frage. - Zum einen spreche ich für die Koalitionsfraktionen, deren Gesetzentwurf wir heute diskutieren; es geht nicht um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung.

(Jan Mücke (FDP): Ist da ein Unterschied?)

Zum anderen sprechen wir über ein Thema, das in dieser Woche im Finanzausschuss behandelt wurde. Der Finanzausschuss tagt nicht öffentlich - Sie werden das verstehen -; bitte fragen Sie Ihre Kollegen danach. Die waren dabei. Die kennen die Überlegungen, die die Koalitionsfraktionen zu diesem Thema angestellt haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Lachen bei der FDP - Florian Pronold (SPD): Anderes Gesetz!)

- Im richtigen Gesetz sollte man schon sein. Aber das kann mal passieren, Frau Kopp; das ist auch nicht weiter schlimm.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Nur sollte man im richtigen Film sein! - Gegenruf des Abg. Joachim Poß (SPD): Sie waren noch nicht im Film, Herr Westerwelle!)

   Ich sprach über die Erhöhung des Steuersatzes für höhere Einkommen um 3 Prozentpunkte. Wir haben im Gesetzentwurf - anders als im Koalitionsvertrag vereinbart - alle unternehmerischen Einkommen ausgenommen, um das Gesetz verfassungsfest zu machen. Im Rahmen der Unternehmensteuerreform werden wir sehen, wie der Koalitionsvertrag insofern endgültig umgesetzt wird.

   Wer diese Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Symbolik oder eine Neidsteuer hält, den kann ich nicht verstehen. Wir sprechen im Veranlagungsjahr - jetzt nicht wieder mit dem Kassenjahr verwechseln! - 2007 über eine Summe von 250 Millionen Euro, kassenwirksam wegen Vorauszahlung und Veranlagung in den Jahren 2007 und 2008. Darüber hinaus rechnen wir mit Mehreinnahmen von über 1 Milliarde Euro. Wer das für Symbolik hält, der sollte mal über sein Verhältnis zu Geld nachdenken.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

   Wer das für eine Neidsteuer hält, dem sage ich, dass das weit mehr bedeutet. Es ist eine Frage der sozialen Balance und Ausgewogenheit, Besserverdienende stärker zur Finanzierung des Staates heranzuziehen.

(Zustimmung der Abg. Iris Gleicke (SPD))

   Leider bleibt mir nicht mehr die Zeit, noch ein bisschen auf den Antrag der FDP einzugehen, aber den Kollegen von den Grünen will ich noch etwas sagen. Sie, meine Damen und Herren, fordern in Ihrem Antrag zu unserem Entwurf die Bundesregierung zu verschiedenen Dingen auf und übersehen dabei völlig - bei dem Theaterdonner, den Sie am Freitag veranstaltet haben, ist das auch kein Wunder -, dass Sie Ihren Antrag eigentlich zum Koalitionsentwurf hätten schreiben müssen. Den behandeln wir heute nämlich. Solche Kleinigkeiten fallen bei Ihnen nicht sonderlich ins Gewicht. Ich weiß, der Unterschied zwischen Parlament und Regierung ist Ihnen offensichtlich nicht so wichtig.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Übernehmen Sie sich nicht, Frau Kollegin!)

   Ich muss zum Schluss kommen. - Ein Zitat für alle, die es gern einfach hätten, von Poul Anderson:

Mir ist bis heute kein auch noch so kompliziertes Problem begegnet, das nicht, richtig betrachtet, noch komplizierter wurde.

   In diesem Sinne freue ich mich auf interessante Beratungen im Ausschuss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wo steht die deutsche Sozialdemokratie?

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gute Frage!)

Die größte Steuersenkung aller Zeiten - jawohl. Diese wird aber finanziert durch die größten Sozialkürzungen aller Zeiten. Das ist die Realität.

(Beifall bei der LINKEN)

Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne, Senkung des Spitzensteuersatzes um 11 Prozent - von 53 auf 42 Prozent -, Senkung der Körperschaftsteuer, das sind die Realitäten, von denen wir hier reden.

   Wenn man den heutigen Tag in seiner Gesamtheit betrachtet, zeigt sich eine Offenbarung der Regierungspolitik Ihrer großen Koalition: Am Vormittag sprechen wir, zum Glück in öffentlich wahrnehmbarer Debatte, über Steuererhöhungen, die in erster Linie zulasten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gehen. Am Nachmittag setzt sich das mit einer Verschärfung der Hartz-IV-Gesetzgebung fort - so weit, dass Sie bereit sind, die Menschenwürde auszuhebeln. Wer nicht hört, wird bestraft; ihm werden alle Leistungen gekürzt. Das betrifft nicht nur Essen und Trinken, sondern Sie sind bereit, die Unterhaltskosten vollständig zu streichen. Die Leute können dann unter der Brücke schlafen. Das ist die Realität Ihrer Politik.

(Beifall bei der LINKEN - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und wie sieht es bei der PDS in Berlin aus? Sozialkürzungen pur!)

   Ihre Vorschläge, die wir heute in erster Lesung beraten, zeigen, dass die Steuerpolotik zur Manövriermasse des Finanzministers verkommt. Die realen Lebensverhältnisse zählen nicht; Steuergrundsätze werden willkürlich ausgehebelt.

   Eine Maßnahme, die Sie vorschlagen, ist die Veränderung bei der steuerlichen Absetzbarkeit des Arbeitszimmers. Nur noch dann, wenn die berufliche Tätigkeit vollständig im häuslichen Arbeitszimmer absolviert wird und dieses damit den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit bildet, kann man das Arbeitszimmer steuerlich geltend machen. Was ist aber nun mit den Lehrerinnen und Lehrern,

(Florian Pronold (SPD): Unterrichten Lehrer zu Hause?)

mit den vielen Menschen, die im Servicebereich, im Außendienst tätig sind? Was ist mit den Versicherungsbetreibern? Wir haben keine Ganztagsschulen mit Arbeitszimmern für Lehrerinnen und Lehrer; deshalb sind auch die Lehrer auf den häuslichen Arbeitsplatz angewiesen. Sie verschärfen nun deren Situation. 300 Millionen Euro soll Ihnen diese Belastung der tätigen Menschen bringen.

   Die Entfernungspauschale: 2,5 Milliarden Euro wollen Sie durch die neue Regelung mehr einnehmen. Herr Oswald hat gesagt, das sei moderat und man solle die Finanzpolitik doch bitte in ihrer Gesamtheit sehen.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): So ist es!)

Wohl wahr. Abgesehen davon, dass die von Ihnen vorgeschlagene Regelung grundgesetzwidrig sein dürfte - denn Sie übersehen dabei, dass der Weg von der Wohnung zur Betriebsstätte notwendigerweise bewältigt werden und deshalb auch steuerlich absetzbar sein muss -, sollten wir das in der Tat einmal in der Gesamtheit betrachten: Noch vor einigen Wochen ließ sich die Familienministerin für die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben groß feiern. Gut; aber wie ist nun die Lage der erwerbstätigen Eltern, die Kinderbetreuungskosten steuerlich absetzen können, denen aber die Entfernungspauschale gekürzt wird? Die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten schlägt im Endeffekt nicht bis in ihr Portemonnaie durch, sondern sie müssen mehr Steuern zahlen als noch im vergangenen Jahr.

   Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen: Eine Familie mit einem Jahreseinkommen von 48 000 Euro brutto, bei der der eine Ehepartner einen Arbeitsweg von 20 Kilometern hat, den er also nicht steuerlich absetzen kann, und der andere einen Arbeitsweg von 30 Kilometern, und mit durchschnittlichen Kinderbetreuungskosten, die sie steuerlich geltend machen können, hat nun eine jährliche steuerliche Mehrbelastung von 565 Euro. Da sprechen Sie von einer tollen Familienpolitik? Das ist familienfeindlich! Dieser Tatsache müssten Sie sich hier stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Bei einer weiteren Regelung können Sie sich nicht dem Vorwurf entziehen, dass sie nur eine Placebomaßnahme ist. Sie schlagen die so genannte Reichensteuer vor. Was ist denn das? Wie viele Steuerpflichtige mit einem Einkommen von über 250 000 Euro haben wir denn? Hier kommt es nur zu einer klitzekleinen Erhöhung, weil Sie die Gewinneinkünfte sogar noch herausnehmen. Sie geben selber zu, dass Sie im ersten Jahr Einkünfte von unter 1 Milliarde Euro erzielen werden, Frau Frechen.

(Gabriele Frechen (SPD): Unter einer Milliarde ist ja gar nichts! Kennen Sie den Herrn, der von Peanuts spricht, wenn er über Millionen redet?)

Wie es dann weiter aussieht mit Ihrer Regelung und der Verlagerung von Einkünften, bleibt abzuwarten.

   Wir lehnen Ihre unsoziale Politik ab. Ringen Sie sich zu einer ordentlichen Sozialpolitik durch, die von einer ordentlichen Steuerpolitik flankiert wird! Wenn Sie sich schon durch Maßnahmen hervortun wollen - bitte schön: Erhöhen Sie den Spitzensteuersatz! Dies kann moderat, Schritt für Schritt um 2 Prozentpunkte jedes Jahr, geschehen, bis wir wieder bei einem Satz von 50 Prozent angekommen sind. Erst dann können wir davon reden, dass diejenigen in unserer Gesellschaft, die ein hohes Einkommen haben, ihren Beitrag leisten.

   Ihr Gesetz ist in dieser Form abzulehnen. Ich befürchte auch, dass durch unsere Beratungen im Ausschuss, die Sie im Schweinsgalopp durchführen wollen - bereits heute Mittag gibt es parallel zum Plenum eine Anhörung; deswegen können wir der weiteren Debatte nicht folgen -, leider keine große Änderungen mehr bewirkt werden. Wir müssen den Druck also außerparlamentarisch erhöhen. Was Sie machen, ist einfach unsozial.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae vom Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition!

(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Das waren vergangene Zeiten!)

- Ich meine natürlich Koalition. Auf die Opposition komme ich aber noch zu sprechen.

   Wir können dieses Gesetz heute - das ist gut so - zu einer Zeit behandeln, zu der die Öffentlichkeit diese Debatte verfolgen kann. Denn sie findet nicht abends quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Opposition insgesamt hat gefordert, dass dieses Gesetz in einer verbundenen Debatte mit dem Haushaltsbegleitgesetz und zusammen mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutiert wird.

(Florian Pronold (SPD): Ihr Grünen wart doch hier, als wir es beraten haben!)

Damit soll deutlich werden, um welche Belastungen es in der Summe geht. Heute diskutieren wir vor vollem Haus. Es geht doch! Stellen Sie die Tagesordnung vernünftig auf, dann können wir auch anständig debattieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

   Der günstige Debattenzeitpunkt ändert leider nichts am Inhalt des Gesetzes. Dieses Gesetz ist ein weiteres Beispiel dafür, welches Steuerchaos Sie verursachen. Es ist keine seriöse Finanzpolitik, die sie noch im Koalitionsvertrag angekündigt haben. Dieses Gesetz ist ohne Plan und Logik. Maßnahmen werden willkürlich aneinander gereiht. Ich kann nur sagen: Steuerchaos pur.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele (FDP))

   Alle reden von der Stärkung der privaten Altersvorsorge. In den Reden kommt es gut an. Aber mit der Halbierung des Sparerfreibetrages wenden Sie sich frontal gegen die Stärkung der privaten Altersvorsorge. Dadurch belasten Sie vor allem die Kleinsparer.

   Für die Einführung des Sparerfreibetrages gab es drei Gründe. Erstens sollte, wie gesagt, die private Altersvorsorge gestärkt werden. Zweitens sollte Bürokratie abgebaut werden. 80 Prozent der Kleinsparer mussten für ihre Spareinlage keine zusätzliche Steuererklärung abgeben. Ich bin sehr gespannt, ob Sie uns einmal darlegen können, welche zusätzlichen Kosten auf die Finanzverwaltung zukommen, wenn die von der Halbierung des Sparerfreibetrages betroffenen Menschen zukünftig eine Steuererklärung für ihre Zinseinkünfte abgeben müssen. Drittens handelt es sich beim Sparerfreibetrag um einen klassischen Inflationsausgleich; das wissen Sie. Wenn Sie den Sparerfreibetrag halbieren, dann belasten Sie die Kleinsparer und negieren all die Ziele, die vernünftig sind. Hören Sie mit dieser falschen Politik auf!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Trotz der vor uns liegenden Zukunftsaufgaben legen Sie einen zweiten Teil vor, mit dem Sie eine ökologisch gesehen vollkommen falsche Politik machen. Die Regelung, die Sie zur Entfernungspauschale vorlegen - einmal abgesehen davon, dass es sich um einen fragwürdigen Trick handelt, sie aus den Werbungskosten herauszunehmen -, zeugt nicht von einer ökologisch ausgerichteten Politik. Sie fördern die Stadtflucht, die Zersiedelung und den Flächenverbrauch; aber anstatt eine klare ökologische Komponente in der Steuerpolitik - die Betonung liegt auf „steuern“ - einzuführen, machen Sie das Gegenteil. Gehen Sie stattdessen an die ökologischen Steuersünden heran: Bauen Sie ökologisch schädliche Subventionen ab! Bringen Sie endlich die Kerosinbesteuerung auf den Weg! Bauen Sie die Ökosteuerbefreiung im produzierenden Gewerbe ab! Das wäre wesentlich vernünftiger als das, was Sie jetzt machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Am besten aber ist die Reichensteuer. Im Finanzausschuss hieß es von der Union, dass diese Steuer - neues Label - eigentlich „Leistungsfähigkeitssteuer“ heißen sollte. Ich finde es ziemlich fragwürdig, wie Sie Leistungsfähigkeit definieren. Aber ein Aufkommen von 127 Millionen Euro angesichts des Aufkommens von 23 Milliarden Euro durch die Mehrwertsteuererhöhung ist ein Witz. Da bringt die Sektsteuer mehr ein.

   Wie Sie an den Steuergesetzen herumdoktern! Mit der Änderung des § 32 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes führen Sie die Reichensteuer ein. Mit der Einfügung des § 32 c führen Sie wieder eine Ausnahme ein und nennen das Ganze „Einführung eines tariflichen Entlastungsbetrages“. Mit der Reichensteuer erreichen Sie tatsächlich nur eine Hand voll: Arbeitnehmer mit einem Einkommen über 250 000 Euro pro Jahr bzw. Verheiratete bei gemeinsamer Veranlagung mit einem Einkommen von über 500 000 Euro pro Jahr. Ich sage es Ihnen klar: Diese Reichensteuer können Sie sich glatt sparen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wo bleibt überhaupt die Steuervereinfachung? Was Sie uns in den letzten Monaten vorgelegt haben: Die Absetzbarkeit der Aufwendungen für die Kinderbetreuung ist erwähnt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von Ihnen tatsächlich noch erklären kann, wie die Absetzbarkeit der Kosten für die Kinderbetreuung en détail funktioniert. Sie haben die Absetzbarkeit der Steuerberaterkosten eingeschränkt, aber nicht die der Kosten, die der Steuerberater für das Ausfüllen der Anlage Kinder verlangt, deren Bestimmungen, wie gesagt, keiner mehr durchschaut. Bei der Entfernungspauschale behandeln Sie die Menschen unterschiedlich. Beim Sparerfreibetrag führen Sie mehr Bürokratie ein und bewirken eine geringere private Altersvorsorge.

   Das beste Gesetz werden wir in den nächsten Sitzungswochen behandeln: Dabei geht es um die Besteuerung von Biodiesel. Es ist noch völlig unklar, was Sie da machen wollen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Chaos!)

Es gibt keine Verlässlichkeit und keine Planbarkeit. Sie kündigen gestern im Finanzausschuss an, dass Sie in einem Änderungsantrag zu diesem Gesetzentwurf darstellen werden, dass man 2007 noch einmal prüfen will, ob man dieses Gesetz 2008 auch braucht.

   Sie sind in eine Schieflage geraten. Das ist der falsche Weg. Ziehen Sie den heute vorliegenden Gesetzentwurf zurück! Folgen Sie unserem Antrag! Legen Sie einen neuen Gesetzentwurf vor, in dem Sie die soziale Balance halten und eine ökologische Politik machen!

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Olav Gutting von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Olav Gutting (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Das Steueränderungsgesetz 2007 steht für die konsequente Fortsetzung der bereits begonnenen Haushaltskonsolidierung. Bei allem Geplänkel über die einzelnen Maßnahmen dieses Gesetzes: Das zentrale Ziel, nämlich die Stabilisierung des Haushaltes, sollten wir alle nicht aus dem Auge verlieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Circa 1,5 Billionen Euro beträgt der aktuelle Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland. Auf jeden einzelnen Bürger entfallen damit circa 17 000 Euro - Tendenz steigend. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir zumindest in diesem Hause endlich parteiübergreifend die Einsicht durchsetzen könnten, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg (CDU/CSU))

   Unser Staat ist das Opfer einer seit Jahrzehnten praktizierten verfehlten Ausgabenpolitik. Wir müssen schon Schulden machen, um die Zinsen für die Schulden zahlen zu können. Finanzielle Spielräume gibt es nicht mehr. Stellen wir uns vor, das Zinsniveau würde nur etwas steigen. 2 Prozentpunkte mehr würden eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand in Höhe von 30 Milliarden Euro bedeuten - und das Ganze vor dem Hintergrund einer immer weiter schrumpfenden Bevölkerung. Wo sind denn die Generationen, die zukünftig all diese Lasten tragen sollen? Fakt ist: Die steigende Verschuldung ruht auf immer schmaler werdenden Schultern.

   Wer politisch verantwortungsvoll handelt, muss den Menschen klar sagen: Es geht nicht nur mit Sparen. Zwar müssen wir bei den Ausgaben sparen, aber gleichzeitig müssen wir eine Verbesserung auf der Einnahmeseite herbeiführen.

   Das Steueränderungsgesetz 2007 beinhaltet Elemente von beidem. Ja, es gibt zum Teil schmerzhafte Einschnitte. Das ist aber beim Subventionsabbau fast immer so. Dass aber gerade diejenigen, die immer für Subventionsabbau und Verwaltungsvereinfachung eintreten, nun so vehement gegen dieses Gesetz polemisieren, ist nicht nur verwunderlich, sondern auch peinlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die neue Regelung bezüglich der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer stellt ebenso wie die Abschaffung der Bergmannsprämie Subventionsabbau und Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens in einem dar. Die Umstellung auf das Werktorprinzip bei der Pendlerpauschale ist richtig. Der Weg zur Arbeit ist Privatsache und muss nicht von der Allgemeinheit mitfinanziert werden. Ich will an dieser Stelle gerne zugeben, dass meiner Meinung nach konsequenterweise dann auch die Ausnahmeregelung für Fernpendler hätte fallen sollen. Hier zeigt sich, dass das Bestreben nach mehr Gerechtigkeit letztendlich eine zusätzliche Verkomplizierung des Steuerrechts zur Folge hat. Der grundsätzliche Schritt hin zum Werktorprinzip bleibt aber auch mit dieser Ausnahme richtig. Mit dieser überfälligen Klarstellung, dass die Berufssphäre erst am Werkstor beginnt, eröffnen wir uns im Übrigen für die Zukunft weiteren politischen Handlungsspielraum.

   Ich will zum Abschluss noch ein paar Sätze zum Thema Absenkung des Sparerfreibetrages sagen: Erstens. Auch beim Sparerfreibetrag handelt es sich um eine Subvention. Zweitens. Auch nach der Absenkung auf 750 bzw. 1 500 Euro für Verheiratete bleiben bei den heutigen Zinssätzen immer noch Zinserträge aus einer Summe von über 50 000 Euro steuerfrei. Wer mehr hat, muss sich mit den Mehreinkünften eben auch an der Finanzierung unseres Staates beteiligen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Unabhängig hiervon brauchen wir endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Besteuerung von Kapitalanlagen, also von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen gemeinsam. Mit einem vernünftigen Steuersatz gäbe es dann auch gute Chancen für eine Rückkehr so mancher Fluchtgelder. Auch die problematische Kontoabfrage würde sich erübrigen. In diesem Zusammenhang kann man sich also nur die baldige Einführung einer Abgeltungssteuer mit einem attraktiven Steuersatz wünschen. Lassen Sie uns das gemeinsam angehen!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion das Wort.

Florian Pronold (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde die Grünen wirklich spannend.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das finden wir auch!)

Es ist geradezu unglaublich: Es war für Freitagnachmittag eine öffentliche Debatte über diesen Punkt angesetzt. Vier Grüne sind hier im Saal und die beantragen dann, die Beschlussfähigkeit festzustellen. Welch ein Hohn!

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und, haben wir gewonnen?)

Seien Sie heute pünktlich hier und nehmen Sie Ihre Arbeit entsprechend wahr! Dann müssen wir diesen Unsinn heute nicht noch einmal wiederholen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Pronold, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?

Florian Pronold (SPD):

Ja. Der war auch nicht da, oder?

Carl-Ludwig Thiele (FDP):

Sehr geehrter Herr Kollege Pronold, Sie sprachen davon, dass die Debatte über das Steueränderungsgesetz für den frühen Freitagnachmittag angesetzt gewesen sei. Sie war für 19.45 Uhr angesetzt!

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Halten Sie das für einen frühen Nachmittag? Noch dazu war es ein Freitag.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): 18 Uhr!)

Halten Sie es angesichts der Bedeutung dieses Gesetzes, angesichts der Belastungen für die Steuerzahler, die mit diesem Gesetz verbunden sind, überhaupt für adäquat, diesen Punkt so weit hinten auf der Tagesordnung zu verstecken? Wäre es nicht richtig gewesen, diesen Punkt ganz früh am Freitagmorgen in angemessener Präsenz des Deutschen Bundestages zu debattieren? Das ist die Frage, die sich hier stellt.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Florian Pronold (SPD):

Herr Kollege Thiele, erstens wissen Sie - ich glaube, Sie waren da -, dass wir in derselben Woche eine Aktuelle Stunde zu genau dieser Thematik gehabt haben. All die Dinge, die wir heute diskutieren, kamen dort - zum Teil wortgleich - zur Sprache.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer hat die beantragt?)

   Zweitens wissen Sie sicher, dass wir derzeit eine der größten Grundgesetzreformen in der Geschichte der Bundesrepublik diskutieren und wir deswegen den gesamten Sitzungsablauf in diesen Wochen umstellen.

(Beifall des Abg. Joachim Poß (SPD))

Deswegen war es notwendig, wichtige Debatten auch zu etwas ungünstigeren Zeiten zu führen. Wer sich dafür interessiert, kann da sein. Das ist niemandem verboten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Jetzt aber zu den Inhalten. Bei dem vorliegenden Gesetz handelt es sich um ein Steuergesetz, das Subvention abbaut. In der politischen Debatte sprechen immer alle davon, dass wir Steuersubventionen abbauen müssen. Wenn es dann aber an die konkrete Subvention geht, ist es plötzlich keine Subvention mehr. Nie! Dann gibt es nichts Lebensnotwendigeres mehr als diesen Tatbestand und jeder, der daran geht, ist dann ein Steuererhöher. Diejenigen, die am meisten dieses Spiel spielen, sind Sie von der FDP:

(Beifall bei der SPD)

Sie betreiben durchgängig Klientelpolitik. Die Steuersubventionen, die Ihrer Klientel zugute kommen, greifen Sie nie an. Wenn wir aber Steuersubventionen abbauen wollen, dann sprechen Sie von Steuererhöhung.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Pronold, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Florian Pronold (SPD):

Gerne, das verlängert meine Redezeit. Das freut mich.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Das sei Ihnen gegönnt, Herr Kollege. - Da Sie sich mit meiner Fraktion auseinander setzen, möchte ich gerne eine Frage stellen. Am 7. September des Jahres 2005 sagte der Vizekanzler Franz Müntefering im Deutschen Bundestag wörtlich:

Wer darüber stöhnt, dass die Benzinpreise so hoch sind, aber gleichzeitig die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Kürzung der Pendlerpauschale ankündigt, der hat die Interessenlage der Menschen nicht im Blick. Das ist unehrlich und geht an der Realität dieses Landes und an dem, was für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu tun ist, vorbei.

Wollen Sie uns vorwerfen, dass wir das, was Herr Müntefering damals gesagt hat, immer noch richtig finden?

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Florian Pronold (SPD):

Herr Westerwelle, ich würde Ihnen dann keinen Vorwurf machen, wenn Sie alles, was der Kollege Müntefering sagt, immer richtig finden und hier entsprechend abstimmen würden. Das ist der erste Punkt.

   Der zweite Punkt ist: Wir als Sozialdemokraten sind in dem Wahlkampf genau mit diesen Aussagen angetreten. Das ist nicht zu bestreiten. Darüber hinaus ging es um die Steuerfreiheit der Nacht- und Schichtarbeit, was je nach Branche eine Summe von vier bis 17 Prozent des Nettolohns der Betroffenen bedeutet, darüber hinaus ging es um viele andere Fragen, zum Beispiel um Fragen des Arbeitsrechts. Wir haben dann einen Koalitionsvertrag abgeschlossen. Mit diesem Koalitionsvertrag haben wir die Blockade beseitigen müssen, an der auch Sie sich zusammen mit anderen, die damals in der Opposition waren, im Bundesrat beteiligt haben.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wird immer schlimmer, je länger Sie reden!)

Ich rede davon, dass die Steuersubventionen, die wir seit Jahren abbauen wollten, blockiert worden sind. Das gilt zum Beispiel für die Eigenheimzulage. Wenn wir die Subventionen früher hätten abbauen können, dann brauchten wir über bestimmte Fragen des Haushalts gar nicht mehr zu reden.

(Beifall bei der SPD)

   Sie sind ein Pharisäer und sind schon immer einer gewesen. Sie reden davon, Steuersubventionen abzubauen, aber wenn es darauf ankommt, bezeichnen Sie den Abbau als Steuererhöhung und weigern sich, diese mit zu tragen. In einem weiteren Schritt prangern Sie die hohe Staatsverschuldung an und verlangen Maßnahmen, diese zu reduzieren. Erst tragen Sie selber zu dieser Staatsverschuldung bei, wenn es aber darauf ankommt, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um sie abzubauen, schlagen Sie auf andere ein. Das ist doch billig.

   Ich gehe gerne auf die Pendlerpauschale und auch auf das ein, was der Kollege Gutting gesagt hat. Wir haben dazu eine Anhörung. Die Frage, ob die vorgesehene Regelung verfassungsfest ist, ist eine spannende Frage. Wir wollen mit dem Steueränderungsgesetz 2007, über das wir hier reden, ein angemessenes Einsparvolumen erbringen. Dabei werden wir die Frage, ob es ein gerechteres Modell Pendlerpauschale gibt und ob wir alternativ vielleicht lieber Steuersubventionen, die Sie so heftig verteidigen, abbauen sollten, nach dieser Anhörung noch einmal aufgreifen. Das wird noch eine spannende Angelegenheit in diesem Haus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ein bisschen überrascht bin ich auch darüber, was Sie, Frau Höll, unter Kleinsparern verstehen. Wenn eine Familie ihr Geld mit 3 Prozent Zinsen anlegt - dann hat die Familie sehr vorsichtig angelegt -, dann muss sie 45 000 Euro auf der hohen Kante oder Aktien im Wert von 90 000 Euro haben, bevor sie Steuern zahlen muss. Ich habe in der Sparkasse von Deggendorf gearbeitet. Dort gelten Leute, die 45 000 Euro auf der hohen Kante haben, in der Regel nicht als Kleinsparer.

   Ein zweiter Punkt betrifft die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten eines Arbeitszimmers. In unserem Steuerrecht gibt es den Versuch - der an manchen Stellen durchbrochen wird -, die Kosten der privaten Lebensführung von den beruflichen Aufwendungen zu trennen. Das ist bei gemischt genutzten Dingen sehr schwierig. Machen Sie sich einmal die Mühe, die Rechtsprechung zur steuerlichen Absetzbarkeit der Kosten für ein Arbeitszimmer anzuschauen. Sie werden dann sehen, dass immer wieder teure Teppiche, Gemälde und die Größe des Arbeitszimmers eine Rolle spielen. Da wird viel Verwaltungsaufwand getrieben. Auch Lehrerinnen und Lehrer werden weiterhin die Kosten für all das, was sie beruflich brauchen, von der Steuer absetzen können. Aber in Bezug auf das Arbeitszimmer ist es doch gerechtfertigt, eine Regelung zu treffen, nach der nur diejenigen die Kosten steuerlich absetzen können, deren Arbeitsmittelpunkt das Arbeitszimmer ist. Anders bekommen Sie es doch nie sauber hin.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ansonsten brechen Sie einen riesigen Streit vom Zaun und stehen vor den Gerichten.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben noch nie einen Lehrer arbeiten sehen, was?)

   Wir haben übrigens - das ist noch einmal in Erinnerung zu rufen - die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen. Bei den unteren und mittleren Einkommen haben wir in den letzten Jahren über Steuersenkungen einen größeren Reallohnzuwachs erzielt als durch Tarifabschlüsse.

   Beim Abbau von Steuersubventionen sind wir leider nicht so weit gekommen, weil blockiert wurde. In der neuen Konstellation machen wir uns jetzt gemeinsam an diese Aufgabe. Manch einer hätte schon früher vom Saulus zum Paulus werden können; aber besser spät als nie. Das ist keine einfache Geschichte, weil wir viele Menschen treffen. Deswegen werden wir in der Debatte, die auf die Anhörung folgt, an den kritischen Punkten Pendlerpauschale und Kinderbetreuungskosten für eine gerechte und ausgewogene Lösung sorgen. Man muss diesen Entwurf aber im Gesamtkontext dessen, was wir hier machen, betrachten: konsolidieren und gleichzeitig in Richtung Zukunft investieren!

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/1545, 16/1501 und 16/1654 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation EUFOR RD CONGO zur zeitlich befristeten Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen während des Wahlprozesses in der Demokratischen Republik Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2006

- Drucksache 16/1507 -

aa) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

- Drucksache 16/1649 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Schmidbauer
Brunhilde Irber
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)

bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 16/1698 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Michael Leutert
Alexander Bonde

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Dr. Norman Paech, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN zu dem Antrag der Bundesregierung

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation EUFOR RD CONGO zur zeitlich befristeten Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen während des Wahlprozesses in der Demokratischen Republik Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2006

- Drucksachen 16/1507, 16/1522, 16/1650 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Schmidbauer
Brunhilde Irber
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)

   Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen mehrere Entschließungsanträge vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort unserem Kollegen Walter Kolbow von der SPD-Fraktion.

Walter Kolbow (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Woche stehen im Deutschen Bundestag die Mandatierungen von drei Bundeswehreinsätzen an: die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo, AMIS im Sudan und die Entsendung von Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in den Kongo.

   Ich denke, es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass das vereinfachte Verfahren gemäß Parlamentsbeteiligungsgesetz bei AMIS, dem sich diesmal auch die Fraktion Die Linke angeschlossen hat, und die knappe Redezeit von 30 Minuten beim Kosovomandat nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass es sich hierbei, wie beim Kongomandat, um ernsthafte Entscheidungen handelt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Trotzdem wiegt die Beschlussfassung zur Kongomission besonders schwer, handelt es sich doch um den ersten Einsatz von Bodentruppen der Bundeswehr in Afrika seit Somalia.

   Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hatte es stets eine besondere Bedeutung, dass der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend und mit großer Mehrheit, wenn möglich, den Einsätzen zugestimmt hat. Es wäre gut, wenn dies auch heute der Fall ist. Meine Fraktion wird ihren Beitrag dazu leisten, zumal zur Erarbeitung unserer Position im Spannungsfeld zwischen politischer Vorbereitung und verbindlicher Entscheidung hinreichend Zeit und schlussendlich die notwendigen Informationen und militärischen Expertisen zur Verfügung standen. Deshalb ist EUFOR in der Demokratischen Republik Kongo ein militärisches Mittel zum Erreichen des politischen Ziels der Stabilität dieses Landes.

   Der Krieg im Kongo hat für die Menschen unsägliches Leid und Tod gebracht. Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen weisen wir noch einmal auf die erschütternden Fakten dieses Krieges hin. Mit der heutigen Entscheidung des Bundestages wird ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem sich demokratisch und friedlich entwickelnden Kongo versucht und, ich denke, auch gegangen.

   Es ist in den vergangenen Wochen immer wieder auf die strategische Bedeutung des Kontinents Afrika und des Kongo hingewiesen worden. Ich will dies heute noch einmal hervorheben: Der Kongo ist das Schlüsselland für die Stabilisierung nicht nur der Region der Großen Seen. Präsident Mbeki sagt: „Der afrikanische Kontinent wird sich nur stabilisieren lassen, wenn es gelingt, den Kongo zu stabilisieren.“ So wird die Möglichkeit zu einer friedvollen Entwicklung in der Demokratischen Republik Kongo nicht nur positive Auswirkungen für die Menschen dort, sondern auch darüber hinaus haben können. Die Interessenlagen der Afrikaner und der internationalen Gemeinschaft stehen dabei im Einklang.

   Aus unserer Sicht bedeutet dies: Deutschland hat ein sicherheitspolitisches Interesse an einer erfolgreichen Stabilisierung des Kongo nach dem Grundsatz der europäischen Sicherheitsstrategie. Wir müssen vor Ort die Probleme angehen, bevor die Probleme zu uns kommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Die Vereinten Nationen sind seit 1999 mit ihrer größten Friedensmission im Kongo engagiert. Die MONUC hat generell die Aufgabe der Unterstützung und Koordinierung des politischen Übergangsprozesses. Im vergangenen Jahr hat MONUC dem Verfassungsreferendum im Kongo zum Erfolg verholfen. Die kongolesische Bevölkerung hat mit einer Zustimmung von 84 Prozent eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass ihr an einer friedlichen und demokratischen Entwicklung liegt. Im Übrigen wird von denen, die dort waren, zu Recht immer wieder darauf hingewiesen - Kollegin Mogg, Kollege Kramer, Kollege Wellmann, Kollege Schmidbauer und natürlich auch Kollege Nachtwei und Kollege Ströbele haben das in ihren eindrucksvollen Berichten getan -, dass die Kongolesen wählen wollen. Dies beweist auch der Andrang auf die Wählerlisten, die ja aufgrund der Unwägbarkeit im Kongo nicht leicht zu erreichen sind.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse)

   Im Vorfeld der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurde die Europäische Union von den Vereinten Nationen gebeten, einen als notwendig erachteten militärischen Beitrag zur Unterstützung von MONUC bei der Absicherung des Wahlprozesses zur Verfügung zu stellen. Diese Anfrage der Vereinten Nationen konnte nicht überraschen, da die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland den Befriedungsprozess im Kongo seit Jahren finanziell, materiell und personell - auch in die Zivilgesellschaft hinein - unterstützen. Darüber hinaus hat die Europäische Union mit einem Afrikastrategiedokument vom Dezember 2005 ihre ausdrückliche Bereitschaft bekundet, Demokratisierungsprozesse in Afrika zu unterstützen. Es ist also falsch, zu behaupten, Deutschland sei in die militärische Unterstützung von MONUC hineingeschlittert oder Europa wolle mit diesem Einsatz endlich die bisher nicht dargelegte Handlungsfähigkeit beweisen. Die Europäische Union hat bewiesen und beweist, dass sie im Rahmen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik handlungsfähig ist. Ihre Missionen in Mazedonien, in Bosnien-Herzegowina - sie dauert noch an - und 2003 mit Artemis im Ostkongo unterstreichen das.

   Die Unterstützung von MONUC durch die Europäische Union und durch unsere Beteiligung steht in der Logik des langjährigen europäischen Engagements in dieser Region. Der Herr Außenminister hat dies in der Begründung des Antrages der Bundesregierung in der ersten Lesung überzeugend dargelegt. Mit dem Ablauf des militärischen Einsatzes wird sich unser politisches Engagement im Kongo nicht erschöpfen. In Vorbereitung unserer Entscheidung im Parlament hat die Bundesregierung wiederholt bekräftigt, dass es ihr um ein nachhaltiges politisches Engagement geht, das über die infrage stehende Mission hinausgeht. Dies betrifft in besonderem Maße die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem Kongo. Wir unterstützen diesen Ansatz ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Nicht nur auf der Ebene der Bundespolitik hat Deutschland im Rahmen der europäischen Aktivitäten ein spezifisches Interesse am Kongo. Es gibt in der Europäischen Union und in Deutschland auch vielfältige zivilgesellschaftliche Kooperationen auf regionaler und lokaler Ebene, die dem Kongo helfen. So unterstützt zum Beispiel die Universität Würzburg seit 2003 die kongolesische Hochschule in Kinshasa. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Da mag man von Kleinteiligkeit reden. Aber auch das ist ein Teil des Mosaiks, das für die Förderung des dortigen Friedensprozesses von Bedeutung ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Frauennetzwerke, Opfernetzwerke, Demobilisierung von Kämpfern und Kindersoldaten sowie deren Zusammenführung mit ihren Familien unterstreichen diese positive Entwicklung, wie Frau Entwicklungshilfeministerin Heide Wieczorek-Zeul das in der ersten Lesung ebenfalls sehr intensiv und überzeugend dargelegt hat.

   Ich sage, dass es auch darauf ankommt, den schmutzigen Rohstoffkrieg zu beenden. Das ist eine der Hauptaufgaben der künftigen demokratisch gewählten kongolesischen Regierung. Es gibt nichts Wichtigeres als die Förderung von Demokratie und Staatlichkeit, um diesem heute stattfindenden Rohstoffkrieg ein Ende zu bereiten. Dafür müssen wir uns gemeinsam engagieren; denn das Einkommen aus diesen Rohstoffen muss endlich den Menschen selbst zugute kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir haben die notwendige militärische Expertise eingeholt. Wo sonst sollten wir diese Expertise, die wir als Grundlage unserer politischen Entscheidung brauchen, einholen, als bei unseren Soldatinnen und Soldaten und bei denen, die im Hauptquartier in Potsdam im Auftrag der Europäischen Union die militärische Arbeit machen müssen, die sie gut machen? Dort haben wir uns überzeugt. General Viereck hat uns gesagt: Jawohl, ich kann diesen Einsatz mit den militärischen Mitteln, die mir von 18 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, auch von Deutschland, zur Verfügung gestellt werden, bewältigen. Ich kann diesen Einsatz in militärischer Hinsicht durchführen, um ihm politisch zum Erfolg zu verhelfen. - Unsere Soldatinnen und Soldaten sind erfahren, sie sind ausgebildet und sie können politische Aufträge einschätzen. Der Verteidigungsminister hat diese Auffassung dargelegt und umgesetzt. Damit hat auch er seinen Beitrag geleistet.

(Beifall bei der SPD)

   Die Entscheidung über den Einsatz von bewaffneten Streitkräften gerade in diesem Zusammenhang und im Rahmen dieser Mission fällt niemandem von uns leicht. Ich habe Respekt vor Auffassungen, die sich nicht der meinen anschließen können und eine andere Abwägungsentscheidung getroffen haben. Bei jeder Mission ringen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen um das Ja oder Nein zum Antrag der Bundesregierung, Soldaten ins Ausland zu schicken. Deswegen gibt es das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Deswegen führen wir diese verantwortungsvolle und von der Zeit und den Inhalten her respektable Debatte. Deswegen hat meine Fraktion mit überzeugender Mehrheit die Entscheidung getroffen, für den Antrag zu stimmen und der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen. Zur Förderung der Stabilität des Kongo wollen wir die Unterstützung geben, die für den Erfolg gebraucht wird.

   Ich danke Ihnen für das Zuhören.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag kann zu einem Antrag der Bundesregierung auf Entsendung von Bundeswehrsoldaten nur Ja oder Nein sagen. Wir können den Antrag in seiner Substanz nicht ändern, wir können das Einsatzkonzept nicht ändern und wir können auch keine Änderungsanträge einbringen. Deswegen macht es keinen Sinn, hier über Alternativen zu diskutieren. Das haben wir in den Ausschüssen teilweise getan und wir sind gerne bereit, das wieder zu tun; denn wir haben Alternativen.

   Hier müssen wir Ja oder Nein sagen. Das heißt, die Bundesregierung muss uns davon überzeugen, dass dieser Einsatz Sinn macht, dass er gut begründet, konzeptionell gut unterlegt und verantwortbar ist. Die Bundesregierung hat uns hiervon nicht überzeugen können. Deshalb werden wir Freien Demokraten diesen Antrag der Bundesregierung ablehnen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Frau Bundeskanzlerin, ich fürchte, Sie sind gerade dabei, Ihren ersten großen außenpolitischen Fehler zu machen. Wir Freien Demokraten haben in den letzten Monaten Ihre neuen außenpolitischen Weichenstellungen immer wieder begrüßt und ausdrücklich unterstützt. Aber hier machen Sie einen Fehler. Ich vermute, gut gemeint - ich unterstelle das durchaus, sowohl europapolitisch als auch deutsch-französisch und was Afrika angeht -; aber am Ende ist es eben doch ein Fehler.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht haben wir uns schon zu sehr daran gewöhnt, in kritischen Situationen, wenn es darum geht, Friedenseinsätze weltweit zu unterstützen, auch zum Instrument des Einsatzes der Bundeswehr zu greifen. Bisweilen scheint mir aber aus dem Blick zu geraten, dass der Einsatz der Streitkräfte, insbesondere der deutschen Streitkräfte, immer nur das letzte, das allerletzte Mittel sein kann.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Oskar Lafontaine (DIE LINKE)

   Ich anerkenne selbstverständlich, dass die Vereinten Nationen, dass die Afrikanische Union, dass die Europäische Union im Kongo sehr viel getan haben, dass sehr viel auf den Weg gebracht worden ist, dass sehr viel Engagement gezeigt und sehr viel Geld aufgebracht worden ist. Aber nach meiner Auffassung sind die Strukturen noch nicht da, um jetzt mit Wahlen sozusagen das Sahnehäubchen draufzusetzen und zu glauben, damit sei die Sache erledigt.

   Es ist eine absurde, geradezu tieftraurige Situation, dass eines der reichsten Länder Afrikas sich durch so unvorstellbare Not auszeichnet. Aber es sind ja gerade diese enormen Ressourcen, die Bodenschätze, die dieses Land schon so lange zum Spielball von Kolonialherren, von Interessenvertretern aus aller Welt und von korrupten Machteliten im eigenen Land machen. An dieser Stelle stellt sich die Frage nach den Interessen der beteiligten Parteien, auch derjenigen, die jetzt hilfreich intervenieren wollen. Ich bezweifle, dass sich diese Interessen zur Deckung bringen lassen, erst recht mit den deutschen Interessen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Am Anfang jedes internationalen Engagements stehen die Hilfe für die Menschen in Not und der Aufbau stabiler und verlässlicher staatlicher Strukturen, vor allem zuverlässiger Sicherheits- und Justizstrukturen. Das ist auch im Kongo der große Schwachpunkt. Der Aufbau staatlicher Strukturen, die den Menschen ein Mindestmaß an Sicherheit und Aussicht auf Gerechtigkeit gewährleisten könnten, steckt erst in den Kinderschuhen. Die Menschen sehnen sich in erster Linie übrigens nicht nach Wahlen, sie sehnen sich in erster Linie nach Sicherheit, nach einer aussichtsreichen Zukunft für sich selber und ihre Kinder.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Es mag mit den Regeln der so genannten Political Correctness kollidieren, dies zu sagen, aber das Abhalten von Wahlen - hoffentlich in einigermaßen fairer und freier Form - allein kann die Stabilisierung nicht bringen, wenn die auf diese Weise formal Legitimierten sich nicht auf zuverlässige staatliche Strukturen abstützen können und andererseits auf genau diese verpflichtet sind. Mit anderen Worten: Die Freien Demokraten bezweifeln die Nachhaltigkeit der Wirkung dieses Einsatzes.

(Beifall bei der FDP - Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD): Darum geht es!)

Ich zweifle, dass selbst bei erfolgreichem Abschluss dieser Mission, nach gesunder Heimkehr hoffentlich aller unserer Soldaten, das Ergebnis ihrer Anstrengungen Bestand haben wird. Ich bezweifle, dass wir wirklich vorbereitet sind, falls die Konfliktparteien, die ihre schlagkräftigsten Einheiten ja keineswegs demobilisiert und in den Friedensprozess eingebracht haben, einfach den Abzug der europäischen Soldaten abwarten, um ihre Ziele doch noch zu erreichen, sind Wahlen für sie doch, wie die SWP es formuliert, lediglich die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Kehren wir dann sofort in den Kongo zurück? Lassen wir uns dann in einen blutigen Bürgerkrieg hineinziehen? Werden unsere Soldaten zu Geiseln kongolesischer Warlords?

   Ich bezweifle übrigens auch, dass wir der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einen guten Dienst erweisen, wenn wir einen Einsatz zum großen europäischen Projekt hochstilisieren, an dem sich so beschämend wenige Teilnehmer mit einem nennenswerten Beitrag engagieren wollen.

(Beifall bei der FDP)

Als ob sie nicht wüssten, warum sie sich so zurückhalten! Ich zweifle erst recht an dem Argument, mit dem Einsatz im Kongo würden wir den Migrationsdruck, von Afrika nach Europa zu gelangen, abschwächen. Die tatsächlichen Zahlen sprechen, was den Kongo angeht, eine ganz andere Sprache.

   Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Bundesregierung ist stümperhaft vorbereitet und von vorn bis hinten in sich nicht schlüssig. Deshalb lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir tun das nach sorgfältiger Abwägung. Das ist übrigens die gute Tradition in allen Ländern, die mehr Erfahrungen mit Auslandseinsätzen haben als wir.

   Über die Sinnhaftigkeit und Verantwortbarkeit von Auslandseinsätzen von Streitkräften muss man streiten. Es wäre völlig unnatürlich, wenn wir es nicht tun würden angesichts der Tatsache, dass Sie für diesen Antrag weder in der Bundeswehr noch in der Bevölkerung noch in diesem Hause, wenn wir ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Mehrheit haben. Hier wird die Koalitionsräson in den Vordergrund gerückt. Hier will niemand die Bundesregierung im Regen stehen lassen.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das ist doch Unsinn!)

In diesem Hause wäre die Mehrheit nicht gegeben, wenn die vielen Kolleginnen und Kollegen, die mir seit Monaten sagen, wir sollten diesen Einsatz um Himmels willen verhindern, heute mit Nein stimmen würden.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

   Meine Damen und Herren, meine letzte Bemerkung. Wenn nach kritischer Debatte die Entsendeentscheidung getroffen ist - diese respektieren wir dann selbstverständlich -, können sich die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr darauf verlassen, dass wir Freien Demokraten alles dafür tun werden, damit ihnen die Möglichkeiten, die Ressourcen und die Unterstützung gegeben werden, ihren Auftrag erfolgreich zu erfüllen und gesund und heil nach Hause zurückzukehren.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP - Rainer Arnold (SPD): Sie verlassen sich darauf, dass wir entscheiden!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Wir teilen die Einschätzung der Bundesregierung, dass dieser Einsatz notwendig und erforderlich ist. Wir vertrauen der Zusicherung der Bundesregierung, insbesondere nach der Beratung in den Ausschüssen, dass die notwendigen Kräfte für die Durchführung des Auftrages zur Verfügung stehen.

   Ich will die Gelegenheit gleich nutzen und auf die Kritik der FDP eingehen. Kritik ist immer erlaubt; das ist, wie ich finde, selbstverständlich. Aber ich teile Ihre Kritik nicht. Ihre Kritik wäre glaubwürdiger, wenn Sie nicht vorher mit völlig abwegigen Ausführungen zum Parlamentsbeteiligungsgesetz den Eindruck erweckt hätten, die - erfolgreichen - Versuche der Bundesregierung, eine größere europäische Beteiligung zu erreichen, seien mit dem Grundgesetz und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht vereinbar. Wenn man Ihr Verhalten zum allgemeinen Maßstab machen würde, dann wäre die Folge, dass eine Abstimmung innerhalb der Europäischen Union nicht möglich wäre und wir alleine in den Kongo müssten. Die Kritik, die Sie hinsichtlich des Ansatzes, multilateral vorzugehen, vorgebracht haben, ist geradezu abwegig gewesen. Jetzt zu erklären, es fehle am nötigen Einsatz und an den nötigen Mitteln, ist wenig glaubwürdig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Es ist auch falsch, hier den Eindruck zu erwecken, als sei der Einsatz die einzige Maßnahme, die durchgeführt wird. Wir unterstützen seit langem MONUC. Es gibt EUSEC und EUPOL.

   Sie haben den Zeitpunkt der Wahl kritisiert. Ich will darauf hinweisen, dass der Zeitpunkt von den Kongolesen in ihrem Friedensvertrag selber gewählt worden ist. Wenn wir den Vorwurf eines neokolonialen Ansatzes vermeiden wollen, dann müssen wir den Wunsch nach Demokratie im Kongo und den Fahrplan, der hierzu entstanden ist, in Übereinstimmung mit der internationalen Gemeinschaft unterstützen und dürfen uns nicht naseweis davon distanzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist der Weg, den die Kongolesen selber gewählt haben, den wir unterstützen wollen.

   Wir wollen eine erfolgreiche Mission und wünschen unseren Soldatinnen und Soldaten eine sichere und unversehrte Rückkehr. Ich glaube, im Namen des ganzen Hauses sprechen zu können, wenn ich sage, dass die Soldatinnen und Soldaten, die diesen Auftrag übernehmen, unseren Respekt und unsere Unterstützung verdienen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist auch falsch, wenn von den Kritikern dieses Einsatzes immer wieder der Eindruck erweckt wird, es gehe bei dem vorgesehenen EUFOR-Einsatz alleine darum, den gesamten Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozess im Kongo zu unterstützen. Das ist falsch. Der Stabilisierungs- und Demokratisierungsprozess im Kongo ist eine UN-Mission, die bekannte MONUC. Im Rahmen dieser Mission sind seit dem Friedensvertrag von 2002 17 000 Soldaten im Land. Wir sind von den Vereinten Nationen gebeten worden, für einen bestimmten Zeitraum spezielle Kräfte für spezielle Aufgaben zur Verfügung zu stellen und den Wahlprozess abzusichern. Es bleibt aber bei MONUC. Wer also behauptet, man wolle den gesamten Kongo in vier Monaten mit 2 000 Soldaten stabilisieren, der sagt bewusst die Unwahrheit und führt die Öffentlichkeit in die Irre.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Mission beginnt auch nicht beim Nullpunkt, sondern es hat in dem Land bereits die erfolgreiche Operation Artemis gegeben. EUSEC und EUPOL habe ich auch schon angesprochen.

   Der Stabilisierungsprozess ist unerwartet erfolgreich. Der Kongo ist nicht nur in geografischer Hinsicht eines der zentralen afrikanischen Länder, deren Stabilisierung erforderlich ist, wenn wir wollen, dass es auf dem gesamten afrikanischen Kontinent zu Frieden und Stabilität kommt. Wir müssen doch auch einmal an die Alternative denken. Wenn der Stabilisierungsprozess nicht gelingt, dann wird das nicht nur für Afrika Folgen haben, die wirklich unabsehbar sind.

   Denken wir einmal an die Berichte über die Wahl in Südafrika im Jahre 1994. Eine alte Frau wurde gefragt, warum sie stundenlang in der Hitze ansteht, um wählen zu können. Sie hat gesagt: Ich habe mein ganzes Leben lang auf diese Möglichkeit gewartet, dann kann ich jetzt auch noch diesen Tag in der Hitze ertragen. - Dass die Kongolesen wählen wollen und Demokratie wollen, wurde durch die beeindruckende Beteiligung am Verfassungsreferendum doch unter Beweis gestellt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Bei mancher Kritik an dem Einsatz klingt die Vorstellung durch - Herr Kollege Hoyer, ich nehme Sie hier ausdrücklich aus -, dass man glaubt, die Kongolesen seien prinzipiell nicht in der Lage, einen demokratischen Staat aufzubauen. Diese Geisteshaltung ist nicht nur zynisch, sondern auch rassistisch.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn wir in diesem Hause über Entwicklungshilfe debattiert haben, dann haben wir immer wieder zwei Punkte angesprochen und kritisiert, nämlich zum einen, dass nicht ausreichend präventiv gehandelt wird, und zum anderen, dass es hinterher an Nachhaltigkeit gefehlt hat. Den ersten Fehler vermeiden wir mit der EUFOR-Mission; denn auf Wunsch der Kongolesen und der internationalen Staatengemeinschaft gehen wir präventiv in den Kongo. Aufgabe dieser Mission ist, gerade das zu verhindern, was andere hinterher wieder tränenreich beklagen wollen.

   Es ist natürlich unsere Verpflichtung, den Kongo auch danach nicht zu vergessen und auch den zweiten Fehler zu vermeiden. Wir müssen hier also über die weitere Stabilisierung im Rahmen der Entwicklungshilfe usw. sprechen. Das ist doch selbstverständlich. Wenn sich die FDP und die PDS daran beteiligen wollen, dann sind sie herzlich dazu eingeladen.

   Es ist aber auch falsch, zu behaupten, dass es automatisch zur Destabilisierung des Kongo kommen werde, wenn die EUFOR-Mission abgezogen sei. Dann wird MONUC wieder die Aufgaben übernehmen können. MONUC hat bisher eine erfolgreiche Arbeit geleistet und ich bin mir sicher und habe das begründete Vertrauen, dass diese Aufgabe auch hinterher weiter durchgeführt werden kann. Es ist aber wirklich keine glaubhafte Position, mit dem Hinweis auf kommende Risiken schon jetzt die Unterstützung zu verweigern.

   Wir haben Interessen in Afrika. Wir haben das Interesse, dass es zu einer guten Regierungsform, zur Stabilisierung und zur Einhaltung der Menschenrechte kommt. Wir haben aber auch das Interesse, dass es in einem Land wie dem Kongo zu einem Abbau von Rohstoffen kommt, die der eigenen Bevölkerung zugute kommen, dass es nicht zu einem Raubbau kommt, dass der Reichtum des Kongo nicht zu einem Fluch für die Bevölkerung wird, dass die Korruption nicht befördert wird und dass die Menschen dort von den Reichtümern ihres Landes profitieren können.

   Wir haben aber auch ein Interesse daran - es gehört auch zur Ehrlichkeit, das zu sagen -, dass die Rohstoffe nach einem fairen Verfahren so abgebaut werden, dass sie auch von Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden können. Gerade wir, die wir in einem rohstoffarmen Land leben, das Exportweltmeister ist, haben an diesen beiden Elementen ein enormes Interesse. Deswegen ist es wichtig, den Kongo und andere rohstoffreiche Staaten in ein faires internationales System einzubinden, in dem die Rohstoffe, die in ihren Ländern abgebaut werden, auch ihrer eigenen Bevölkerung zugute kommen können.

   Ich will ein letztes Wort zur Abstimmung des Mandats auf europäischer Ebene sagen. Da hat es Schwierigkeiten gegeben; das haben wir alle öffentlich verfolgen können. Es ist in unserem Interesse und auch im Interesse der Soldaten, dass der Auftritt von EUFOR und möglichen weiteren Missionen in der Weltöffentlichkeit überzeugend stattfindet. Deswegen müssen wir im Rahmen der ESVP über die Frage nachdenken, wie wir Kapazitäten und Fähigkeiten für solche maßgeschneiderten Missionen zur Verfügung stellen. Neben der Diskussion um die Frage der Battle-Groups brauchen wir auch eine Diskussion über die reguläre und periodische Zurverfügungstellung von Fähigkeiten, damit ein solch komplizierter und in der Öffentlichkeit nicht immer überzeugender Abstimmungsprozess auf europäischer Ebene vermieden werden kann.

   Gleichwohl haben wir jetzt eine verantwortungsvolle und gute Mission zustande gebracht. Die Schwierigkeiten, die es auf europäischer Ebene gegeben hat, dürfen nicht die Substanz des Einsatzes und die Ziele infrage stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer das durcheinander bringt, zeigt, dass er zu einem wirklichen politischen Urteil kaum in der Lage ist.

   Wir stimmen zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zu Beginn einen Irrtum des Kollegen Kolbow berichtigen. Wir haben zugestimmt, über die Verlängerung des Darfurmandates AMIS nicht hier im Plenum zu diskutieren.

(Walter Kolbow (SPD): Das meinte ich doch!)

Wir haben nicht dem Mandat selbst zugestimmt und das gegenüber dem Präsidenten des Bundestages zum Ausdruck gebracht.

(Beifall bei der LINKEN)

Um es etwas salopp zu sagen, Kollege Kolbow: Wir sind nicht Mitglied im Klub und wir wollen auch nicht Mitglied in dem Klub derer werden, die Soldaten in Auslandseinsätze schicken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn allerdings solche Irrtümer entstehen, dann werden wir künftig darauf bestehen müssen, die Verlängerung aller Mandate grundsätzlich hier im Plenum zu debattieren. Das ist sowieso besser, um die Mandate auf ihre Substanz immer wieder zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Insofern sind wir lernfähig. Ich danke Ihnen, dass Sie zu dieser Lernfähigkeit meiner Fraktion und bei mir selber beigetragen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

   Jetzt zum Kongo selbst. Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung zur Entsendung deutscher Soldaten in den Kongo ab. Wir halten diese Mission selbst für politisch falsch, in sich widersprüchlich und für nicht geeignet, den Kongo zu stabilisieren. Damit befinden wir uns im Widerspruch zur Mehrheit im Bundestag; das verwundert nicht. Wir befinden uns aber in Übereinstimmung mit weiten Teilen der Friedensbewegung, entwicklungspolitischen und kirchlichen Gruppen, also sozusagen der besseren Gesellschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Entwicklungspolitische Gruppen? Das stimmt nicht! - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Wann waren Sie das letzte Mal in der Kirche?)

Ihnen kann ich nur raten - mein Kollege Herr Hoyer formuliert das immer sehr schön diplomatisch -: Verwechseln Sie Mehrheiten hier im Saal nicht mit Mehrheiten im Leben. Sie haben für diesen Einsatz keine Zustimmung in der Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

   Der Kongo ist ein reiches Land, reich an Naturressourcen wie Kupfer, Coltan, Kobalt, Gold, Diamanten, um nur einige zu nennen. Aber dieser Reichtum ist eine der Ursachen für das Elend der Menschen. Dieser Reichtum ist nie den Menschen selbst im Kongo zugute gekommen, sondern war Gegenstand von Ausplünderungen durch internationale Konzerne und korrupte Warlords à la Mobutu.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Kongo war und ist Gegenstand geostrategischer Auseinandersetzungen. Elend durch Reichtum - das ist die Tragödie des Kongo.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Wer über den Kongo wirklich diskutieren will - Bundesaußenminister Steinmeier hat in seiner Einbringungsrede zum Antrag der Bundesregierung auf die letzten fünf Jahre der Geschichte der Zusammenarbeit aufmerksam gemacht -, der muss aus meiner Sicht weiter zurückschauen. Herr Außenminister, ich habe noch die Bilder des ersten frei gewählten Präsidenten Kongos, Patrice Lumumba, vor Augen: geschunden, geschlagen und ermordet.

(Beifall bei der LINKEN)

   Auch habe ich die Bilder der deutschen Söldner im Kongo vor Augen, etwa des berüchtigten Kongo-Müllers. Wenn wir über den Kongo diskutieren, dann müssen wir auch über die Folgen einer solchen Kolonialpolitik reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer über die Verbrechen des Kolonialismus schweigt, der kann zu der künftigen Entwicklung des Kongos nichts Konstruktives beitragen.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Wer schweigt denn dazu?)

   In den Debatten, die wir bereits zu diesem Thema geführt haben, haben Sie, Herr Außenminister gesagt, dass die Konsequenz darin bestehe, Soldaten in den Kongo zu schicken. Wir hingegen sagen: Der Kongo braucht keine Soldaten. Er braucht mehr Hilfe für den zivilen Aufbau, den Aufbau der Verwaltung, der Kommunen, der Polizei und einer eigenständigen Wirtschaft. Er braucht Hilfe zur Selbsthilfe. Wir von der Fraktion Die Linke würden die 60 Millionen Euro, die auf Kosten der Steuerzahler für den Militäreinsatz aufgebracht werden sollen, mit Freude für den zivilen Aufbau im Kongo einsetzen. Das Geld wäre für diesen Zweck besser genutzt. Aber an dieser Stelle fehlen die Mittel.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Wahlen im Kongo sind die Leistung der Bürgerinnen und Bürger des Landes selbst; ich bin froh darüber. Das sollten wir unterstreichen, statt so zu tun, als ob es unsere Leistung wäre. Der Außenminister hat im Auswärtigen Ausschuss argumentiert, dass die Zeit des Bürgerkriegs zu Ende gehe und dass die Verfassungsabstimmung friedlich verlaufen sei. Das ist eine Tatsache. Unbewiesen ist aber, dass die Wahl im Kongo die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung mit sich bringt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben Ihnen schon einige Male entsprechende Argumente vorgehalten.

   Die Bundesregierung hat einen Antrag vorgelegt. Es wäre in diesem Zusammenhang ihre Pflicht gewesen, ihn glaubhaft zu begründen. Das konnten Sie aber nicht. Hinzu kommt, dass Sie jede Woche eine neue Begründung vorgelegt haben.

   Weil meine Redezeit knapp wird, will ich mich auf einige Stichworte beschränken. 17 000 Soldaten sind im Rahmen der Friedensmission MONUC im Kongo im Einsatz. Wenn Sie über militärische Einsätze diskutieren, dann frage ich mich, warum Sie einen eigenen EU-Einsatz für nötig halten, statt über eine verstärkte Beteiligung an MONUC zu verhandeln.

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Sie wissen es doch! - Rainer Arnold (SPD): Weil es der Sicherheitsrat abgelehnt hat!)

- Das ist nicht mein Problem. Es wäre aber möglich gewesen. Hinter vorgehaltener Hand sagen Sie deutlich, dass europäische Truppen eine höhere Abschreckungswirkung als Pakistaner oder andere hätten.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Was ist das eigentlich für eine Abwertung der Pakistaner? - Walter Kolbow (SPD): Das ist überheblich!)

Mit einer solchen Argumentation kann man vor den Vereinten Nationen nicht bestehen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Der Verteidigungsminister beschwört einen Einwanderungs- und Flüchtlingsdruck. Ich finde dieses Argument schlimm, weil man damit Ängste in der deutschen Bevölkerung weckt, die man nicht wecken sollte. Es wurde argumentiert, dass die strategischen Rohstoffe des Kongo nicht in falsche Hände fallen dürfen. In welchen Händen sind die strategischen Rohstoffe denn richtig aufgehoben? Sie gehören in die Hände der Bevölkerung des Kongo.

(Beifall bei der LINKEN)

   Vielleicht können Sie noch eine weitere Frage beantworten - damit komme ich zum Schluss -: Sie diskutieren seit Monaten über den Militäreinsatz und erstellen entsprechende Pläne. Warum ist erst vor drei Wochen in der Europäischen Union über den Einsatz ziviler Wahlbeobachter gesprochen worden? Sie haben dann ganze 200 Wahlbeobachter gewinnen können. Mit einem Militäreinsatz sind sie schnell bei der Hand; mit zivilen Beobachtern und ziviler Hilfe sind sie zögerlicher. Das ist die Konsequenz einer falschen Politik. Die Ergebnisse dieser Politik kann man im Irak und in Afghanistan studieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Machen Sie die Augen auf, um zu sehen, wohin Militärpolitik immer führt und führen muss!

   Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Kuhn für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die große Mehrheit meiner Fraktion wird der Beteiligung am EUFOR-Mandat zustimmen, und zwar nicht wegen der Art und Weise, auf die Sie das Mandat vorbereitet haben, Herr Verteidigungsminister,

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Trotz!)

sondern eher trotz der Art und Weise.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will Ihnen das deutlich sagen, weil Sie mit Ihren Festlegungen, Ihrem Hin und Her und Ihrem systematischen Eiertanz zu einem Zeitpunkt, als Verhandlungen notwendig gewesen wären, die Verunsicherung eher vergrößert als abgebaut haben. Ich rate Ihnen für die Zukunft zu einem offeneren und klareren Umgang mit diesem Parlament. Das gilt übrigens auch für das Weißbuch. Die Zustimmung des Parlaments zu solchen schwierigen Einsätzen hängt auch von dem Stil und der Transparenz Ihres Agierens ab.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Es gibt viele Fragezeichen und Einwände, die auch für diejenigen in meiner Fraktion, die der Mission nicht zustimmen werden, wichtig sind. Dazu gehört zum Beispiel die Festlegung auf vier Monate zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht bekannt ist, ob in diesen vier Monaten der zweite Wahlgang überhaupt stattfinden kann. Solche Fragen sind nicht ganz geklärt. Aber ich will begründen, warum die Mehrheit meiner Fraktion nach Abwägung der Risiken, die ein solcher Einsatz mit sich bringt, sagt: Es ist richtig, deutsche Soldaten in den Kongo zu schicken.

   Herr Westerwelle und Herr Hoyer, Ihr Argument, die Regierung habe Sie von der Notwendigkeit des Einsatzes nicht überzeugt, kann ich nicht verstehen; denn dieses Argument entbindet Sie doch nicht von der Pflicht, selber darüber nachzudenken, ob der Einsatz notwendig ist oder nicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

Eine Partei wie die FDP - in der Tradition von Hans-Dietrich Genscher und mit dem außenpolitischen Wissen, das bei ihr zumindest einmal vorhanden war - muss sich doch die Frage stellen, was sachlich für einen Kongoeinsatz spricht.

   Ich nenne drei Punkte. Der erste Punkt ist: Der Einsatz ist deswegen wichtig, weil die Stabilisierung des Kongos durch demokratische Wahlen für die Entwicklung sowohl im Land selber als auch im restlichen Afrika elementar ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Angesichts der Tatsache, dass 3,8 Millionen Menschen im Bürgerkrieg umgekommen sind und dass heute noch täglich über 1 000 Menschen an den Folgen des Krieges sterben, können Sie doch nicht sagen, dass Herr Jung Sie nicht überzeugt habe. Vielmehr müssen Sie sich aus Gründen einer vernünftigen Afrikapolitik die Frage stellen, ob die Wahlen im Kongo nun durchgeführt werden sollen, und die Verantwortung übernehmen, die hier notwendig ist.

   Der zweite Punkt ist: Ob im Herzen Afrikas ein großer Failing State ohne jegliches staatliche Gewaltmonopol bestehen bleibt, ist eine elementare Frage für die Teilhabe der kongolesischen Bevölkerung an Entwicklung und ihre Möglichkeiten, aus der Armut herauszukommen und Lebenschancen zu bekommen. Das ist außerdem für die Sicherheit nicht nur in Afrika, sondern auf der ganzen Erde entscheidend; denn Failing States sind immer Quellen von Terror und Terrorismus sowohl in den betreffenden Ländern als auch auf internationaler Ebene. Die bevorstehenden Wahlen im Kongo bieten nun die Chance, einen Failing State schrittweise in eine wachsende Demokratie zu verwandeln; das ist elementar. Daher können Sie nicht im Schulterschluss mit der PDS einfach sagen, die Regierung habe es Ihnen nicht richtig erklärt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

   Herr Hoyer, Sie haben behauptet, die Bevölkerung im Kongo wolle gar keine Wahlen, sondern Sicherheit. Das ist wirklich unter Ihrem Niveau. Sie tun so, als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen Demokratie und Sicherheit. So darf man heutzutage nicht mehr argumentieren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

   Der dritte Punkt ist: Ein weiterer Grund, warum wir mehrheitlich dem Einsatz zustimmen, ist, dass wir nicht das Scheitern der Vereinten Nationen etwa in Ruanda beklagen können, dann aber der Bitte der Vereinten Nationen an die EU um Unterstützung nicht nachkommen - übrigens, Herr Gehrcke, Sie sollten einmal nach New York fahren und sich erklären lassen, wie die Mandatierung der Vereinten Nationen abläuft -

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

und sagen: Das machen wir jetzt nicht. Aber beim nächsten Mal, wenn es scheitert, sind wir wieder wortreich dabei und machen darauf aufmerksam, wie schlimm das alles ist und was nicht funktioniert hat.

   Für jemanden wie mich, der den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert hat, erfordert die Frage, ob man dem Einsatz zustimmen sollte, ob man dorthin Soldaten schicken sollte, schwierige Abwägungen im Detail. Für viele in meiner Fraktion gilt Ähnliches. Aber man muss sich in einer solchen Situation auch die Frage stellen - das sage ich an die Adresse der FDP -, welche Folgen die Unterlassung eines solchen Einsatzes, also das Nichthandeln, praktisch haben wird.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

Herr Kollege Westerwelle und Herr Kollege Hoyer, ich sehe zwar die Risiken. Aber nach reiflicher Abwägung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die elementaren Risiken einer Ablehnung des Hilfeersuchens des Kongos größer sind. Deswegen stimmen wir nach einem Abwägungsprozess mehrheitlich zu.

   An die Adresse der FDP sage ich: Ich wünsche mir, dass die Koalition, die sich heute zusammen mit der PDS gebildet hat, keinen langen Bestand hat; denn sie dient der Sache nicht und setzt Sie dem Verdacht aus, dass Sie diese Position aus taktischen Gründen einnehmen und nicht aufgrund der Befassung mit dem Inhalt.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD - Dirk Niebel (FDP): Bisher regiert nur die SPD mit den Linken in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern! - Zuruf von der SPD: Wirklich, Herr Niebel!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Hoyer, Sie wissen, dass ich Sie und besonders Ihre Argumentationsfähigkeit sehr schätze. Mit dem, was Sie hier gesagt haben, verfehlen Sie meiner Meinung nach allerdings die Substanz dessen, was „freidemokratisch“ eigentlich heißt. Sie schätzen gering, dass Freiheit und Demokratie etwas sein können, was mithilft, dass Institutionen aufgebaut, stabilisiert und gefestigt werden, obwohl das eine der Grundbedingungen dafür ist, dass der Kongo überhaupt eine sichere Perspektive haben kann.

   Sie stellen sich hier also hin, präsentieren sich - Entschuldigung, wenn ich das sage - unterhalb Ihrer eigenen Fähigkeiten und bar Ihrer Erkenntnisse und sagen: Die Geschehnisse im Kongo stellen sich aus unserer europäischen Perspektive anders dar - hinzu kommt womöglich das, was der Kollege Gehrcke angesprochen hat - und unser Nein ist dadurch begründet, dass wir für eine bessere Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland stehen.

(Jörg van Essen (FDP): Wie schwach müssen Ihre Argumente sein, dass Sie so eine Rede halten?)

Das mag zwar in Ihrem eigenen Denken so sein; aber Sie sollten auch daran denken, dass es im Kongo Menschen gibt, die selbst für eine bessere Gesellschaft kämpfen wollen und die deswegen wählen wollen. Können Sie auch darüber nachdenken? Nein!

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht in erster Linie nicht um unsere eigene europäische - enge - Perspektive, sondern darum, dass eine Bitte, die aus dem Kongo an uns herangetragen wird, eine Bitte, die die Vereinten Nationen bekräftigen, eine Bitte, die die Europäische Union an uns richtet, eine konstruktive und vernünftige Reaktion nach sich zieht. Daher bitten wir darum, dass dieses Mandat vom Deutschen Bundestag unterstützt und beschlossen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt im Übrigen eine ganze Reihe von guten Gründen. Ich frage die FDP, die - jedenfalls nach ihrem Selbstverständnis - eine der europäischsten Parteien ist,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): In der Tat!)

was sie von dem hält, was die Europäische Union im Dezember 2005 selbst beschlossen hat.

(Dr. Werner Hoyer (FDP): Nicht viel!)

Gleich zu Beginn des Beschlusses mit der Überschrift „Die EU und Afrika: Zu einer strategischen Partnerschaft“ heißt es:

Europa und Afrika sind miteinander verbunden durch Geschichte, Geographie und beide teilen wir das Bild von einer friedvollen, demokratischen und aussichtsreichen Zukunft für alle unsere Völker.

Jetzt kommt es darauf an, zu dem, was wir alle für programmatisch richtig halten, zu dem, was wir gemeinsam in der Europäischen Union beschlossen haben, also bei diesem ersten wirklichen Lackmustest, Ja zu sagen und mitzuhelfen, den Menschen im Kongo eine neue Perspektive zu geben.

   Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mitglieder des Deutschen Bundestages dazu tatsächlich Nein sagen. Wenn die Europäische Union das umsetzen will, was sie beschlossen hat, dann kann das nur bedeuten, dass wir diesem Mandat zustimmen werden; denn wir wollen die Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Afrika mit Leben erfüllen. Leben heißt für die Menschen im Kongo, dass sie jetzt die Chance haben, ihre eigene Zukunft durch demokratische Entscheidungen in die Hand zu nehmen. Deswegen bitten die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und auch ich alle Mitglieder dieses Hauses, diesem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Wir sollten uns einen Moment vor Augen führen, was im Kongo wirklich vor sich geht.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Sie sind der Einzige, der das weiß!)

Herr Kollege Gehrcke, Sie haben in diesem Punkt natürlich Recht:

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich habe nicht immer, aber manchmal Recht!)

Das ist eine Geschichte des Elends, eine Geschichte der Angst, eine Geschichte des Leids, eine Geschichte des Mordens, eine Geschichte der Ausplünderung dieses ungeheuer reichen Landes. Genau aus diesem Grund wollen wir jetzt mithelfen, dass das Plündern gestoppt wird

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und dass die demokratischen Institutionen des Kongo ihre Sache in die eigene Hand nehmen.

   Sollte es eines Beweises bedürfen, dass die Menschen im Kongo und vor allem diejenigen, die politische Verantwortung tragen, dazu auch die Kraft aufbringen können, dann schauen Sie sich einmal die beiden Berichte an, die in der Assemblée Nationale von der Lutundula-Kommission erstellt worden sind. Die Kommission hat nämlich genau ermittelt, welche Kontrakte in den letzten Jahren zwischen ausländischen großen Konzernen und verbrecherischen Banden innerhalb des Kongo selbst geschlossen worden sind.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Eben!)

Das ist aufgedeckt. Das ist aufgeklärt. Fragen Sie doch einmal den Vorsitzenden dieser Kommission, Herrn Lutundula, der den Mut gehabt hat, solche Berichte schonungslos zu veröffentlichen - sein Leben ist in Gefahr, weil jene Banden, jene Verbrecher kein Interesse daran haben, dass diese kriminellen Machenschaften öffentlich werden -, was er von dem hält, was Sie hier sagen! Fragen Sie ihn! Er wird Ihnen sagen: Wir möchten, dass das neue Parlament gewählt wird, und wir möchten, dass die Europäische Union dabei hilft und dass ihr uns mit deutschen Soldaten dabei helft, das Maß an Sicherheit im eigenen Land zu produzieren, das wir nicht produzieren können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Deswegen wollen wir die Wahlen sichern. Deswegen gehen die Soldaten dahin. Wir wollen dem Prozess Boden geben, Festigkeit geben, damit die Menschen im Kongo, die 28 Millionen, die jetzt wählen gehen wollen, die sich in die Wählerlisten eingeschrieben haben, auch wählen können.

   Ich möchte darum bitten, dass wir alle erkennen, was da vor sich geht. Es ist ein erster Schritt, ein erster Schritt in eine neue Zukunft. Dieser erste Schritt muss begleitet werden, weil, jedenfalls im Moment, die Sicherheit im Lande dort noch nicht durch die eigenen Institutionen hergestellt werden kann. Das können sie noch nicht. Sie wollen es aber. Sie brauchen unsere Unterstützung, damit dieser Prozess in Gang kommt, damit der Prozess stabil wird und gefestigt werden kann.

   Wenn das Mandat zu Ende sein wird, hoffentlich positiv - davon gehen wir alle aus -, wenn die vier Monate vorüber sein werden, wird die Arbeit nicht beendet sein. Dann beginnt ein Prozess, in dem endlich das Realität werden kann, was Sie, Herr Außenminister, schon in Ihrer letzten Rede unterstrichen haben - auch Mbeki hat das schon gesagt -: Die Stabilität Afrikas kann nur durch die Stabilität des Kongo hergestellt werden. - Das ist ein langwieriger Prozess, ein Prozess, der auf Jahre angelegt sein wird. Deshalb wird es darauf ankommen, dass wir die zivilgesellschaftlichen Prozesse unterstützen, begleiten und fördern und dass die Europäische Union nach den Wahlgängen, nach der Wahl des Präsidenten, nach der Wahl des Parlaments, alles tut, damit dieser Prozess im Kongo vervollständigt werden kann. Aber damit er vervollständigt werden kann, damit die Gewaltökonomie von einer Friedensökonomie abgelöst werden kann, braucht der Deutsche Bundestag jetzt den Mut, dem Mandat zuzustimmen. Ich bitte Sie darum, das zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben hier gerade gesagt: Freiheit und Demokratie, die Sicherung freier Wahlen und die Stabilisierung des Kongo müssen Ziele sein, die alle unterstützen. - Das ist richtig. Auch die FDP unterstützt diese Ziele. Aber Sie müssen sich fragen lassen, Herr Weisskirchen, ob das vorliegende Konzept dazu taugt, diese Ziele zu erreichen. Die Welt wird nicht durch Gutmenschen wie Sie verbessert; die Welt wird durch durchdachte Konzepte verbessert.

(Beifall bei der FDP - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Ich möchte Ihnen vorlesen, was der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der bekanntermaßen nicht der FDP angehört, heute Morgen gesagt hat - ich zitiere -:

Ich behaupte, die Bundeswehr ist nicht vorbereitet auf Afrika.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, Sie sollten sich langsam einmal überlegen, ob Sie an diesem Einsatz tatsächlich festhalten wollen. Es ist doch kein Wunder, dass in dieser Debatte kein einziger Vertreter der Regierung spricht, und auch die Aussage des Wehrbeauftragten macht deutlich: Sie stehen selbst nicht mehr hinter dem, was Sie in diesem Mandat beantragt haben.

(Beifall bei der FDP - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Das Parlament entscheidet doch heute darüber!)

   Herr Weisskirchen, Sie haben hier sehr hohe moralische Ansprüche formuliert. Herr Kuhn hat deutlich gesagt, es gebe ein UN-Mandat und dem müsse man folgen. Ich will Ihnen beiden einmal ganz klar sagen: Ein UN-Mandat allein ist keine ausschlaggebende Begründung. Es ist ein Gesichtspunkt; aber man muss selber bewerten und entscheiden, ob man an einem Einsatz teilnehmen will. Keiner von Ihnen hätte einem Einsatz beispielsweise im Irak zugestimmt, auch wenn es ein UN-Mandat gegeben hätte. Vor diesem Hintergrund halte ich Ihre Argumentation für nicht legitim.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kennen Sie eigentlich den Unterschied zwischen einem Angriffskrieg und einem Friedenseinsatz?)

   Ich möchte Sie fragen, meine Damen und Herren: Wird denn eigentlich das Ziel erreicht? Das Ziel heißt - ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage -:

Die Aufgabe von EUFOR RD CONGO ist es, potenzielle Störer abzuschrecken ...

Erreichen Sie das mit diesem Konzept wirklich? Ursprünglich war von 1 500 Soldaten in Kinshasa die Rede, die nötig sind, um eine Stabilisierung zu erreichen; jetzt ist von 500 Soldaten die Rede. Aber Klarheit über die Zahl der Soldaten, die in Kinshasa vor Ort sein werden, haben wir bis heute nicht. Sie sagen, Sie wollten das nicht mitteilen; das sei eine Aufgabe des Operationsplans. Ich verstehe, dass Sie keine militärischen Details preisgeben wollen; das ist auch richtig. Aber man wird doch wohl noch fragen können, wie viele Soldaten direkt vor Ort sein sollen, um die Abschreckungskomponente zu realisieren!

   Ich mache darauf aufmerksam, dass der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, Oberst Bernhard Gertz, mehrfach öffentlich darauf hingewiesen hat, dass mit der Anzahl der Soldaten, die jetzt für Kinshasa vorgesehen sind, eine Stabilisierung nicht zu erreichen ist.

(Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Was versteht der denn davon?)

Es geht ja nicht um eine Präsenz von 8 bis 16 Uhr zu den üblichen Arbeitszeiten, sondern es geht um eine Präsenz rund um die Uhr. Wenn Sie die Soldaten abziehen, die Sie für das Hauptquartier und die eigene Sicherheit brauchen, dann bleiben 50 Soldaten für eine Stadt mit 7,8 Millionen Einwohnern. Angesichts dessen sagt Oberst Gertz zu Recht, dass das nicht für eine Abschreckungspräsenz reicht. Sie erreichen mit dem, was Sie vorlegen, die Ziele nicht.

(Beifall bei der FDP)

   Wir teilen das Ziel der Stabilisierung des Kongo. Aber ich lese Ihnen einmal vor, was der Evangelische Entwicklungsdienst sagt - ich zitiere -:

Es ist nicht zu erwarten, dass eine kurzfristige Militärpräsenz der Europäer zu einer langfristigen Befriedung des Landes führt.
(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sagt doch keiner! - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Sie wissen es doch besser!)

Das ist richtig. Die Stabilisierung nach der Wahl erfordert nämlich ein Gesamtkonzept. Zu einem Gesamtkonzept gehört, dass Sie Antworten auf die Fragen nach einer weiteren Entwaffnung der Milizen, einer verstärkten Ausbildung der Polizei vor Ort und dem Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen geben. Ein solches Gesamtkonzept hat weder die Europäische Union noch die Bundesregierung bisher vorgelegt.

   Auch Misereor hat entsprechende Forderungen. Wir befinden uns in guter Gesellschaft. Wir erwarten von Ihnen Antworten, wie die Stabilisierung des Landes nach den Wahlen erfolgen soll. Es geht nicht nur um den Zeitraum der Wahlen, sondern es geht darüber hinaus um ein Gesamtkonzept, und dieses fehlt.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

   Auch der frühere Planungschef des BMVg, Vizeadmiral Ulrich Weisser, hat öffentlich mehrfach Kritik geübt. Er hat gesagt:

Ich habe Bedenken, ob ein relativ kleines Truppenkontingent mehr ist als ein Signal an die Bevölkerung des Kongo, dass Europa an Frieden und Stabilität in ihrem Land interessiert ist.

Aber für ein Signal sind der Aufwand zu groß und das Risiko, das mit dem Einsatz für die Soldaten verbunden ist, zu hoch.

Deswegen kann man diese Position nicht akzeptieren.

(Beifall bei der FDP)

   Ich möchte Ihnen ein letztes Argument nennen. Die Vorbereitung dieses Einsatzes ist stümperhaft. Wir haben immer wieder eine ganze Reihe unterschiedlicher Positionen erlebt. Erst war von 500 Soldaten und jetzt ist von 780 Soldaten die Rede. Hinsichtlich der Finanzierung war erst von einer Summe in Höhe von 20 Millionen Euro die Rede und jetzt in Höhe von 56 Millionen Euro. Herr Steinmeier sagte, wir hätten keine wirtschaftlichen Interessen. Herr Jung hingegen sagte, wir hätten welche. Es geht also hin und her. Selbst in den Ausschüssen herrschte diesbezüglich bis zum Schluss ein einziges Durcheinander.

   Der Herr Bundesverteidigungsminister hat in der vorhergehenden Sitzung gesagt, die Soldatinnen und Soldaten hätten die Unterstützung des ganzen Hauses verdient. Ja, Herr Minister Jung, die Soldatinnen und Soldaten haben die Unterstützung des Deutschen Bundestages verdient. Aber sie haben auch eine bessere Vorbereitung dieses Einsatzes durch die Bundesregierung verdient.

(Beifall bei der FDP)

   Der Einsatz ist politisch miserabel vorbereitet. Ob mit ihm die selbst gesetzten Ziele erreicht werden, ist zweifelhaft. Ein politisches Gesamtkonzept fehlt. Vor diesem Hintergrund sehen wir uns nicht in der Lage, diesem Antrag zuzustimmen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE))

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Bernd Siebert, CDU/CSU-Fraktion.

Bernd Siebert (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag entscheidet heute über die Beteiligung der Bundeswehr an einer militärischen Operation im Kongo unter der Führung der Europäischen Union. Frau Homburger hat vorhin kritisiert, dass heute kein Minister redet. Frau Homburger, heute ist der Tag des Parlaments.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als die Regierung den Antrag eingebracht hat, haben drei Minister gesprochen. Es ist daher richtig, dass heute die Parlamentarier reden und über diesen Antrag entscheiden.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind froh, dass wir Herrn Jung nicht hören müssen!)

Ich glaube, dass wir eine vernünftige und richtige Entscheidung treffen werden.

   Ich verhehle nicht, dass viele von uns - so auch ich - am Anfang der öffentlichen Debatte - das hat die Diskussion in den letzten Monaten gezeigt - Skepsis gegenüber einem Einsatz im Kongo gehabt haben. Mir ist niemand bekannt, der heute mit Euphorie und mit besonderer Begeisterung seine Zustimmung erteilen wird.

(Walter Kolbow (SPD): So ist es!)

Es sind sachliche Argumente vorgetragen worden, über die wir lange diskutiert haben. Diese Argumente haben die weit überwiegende Mehrheit unserer Kolleginnen und Kollegen veranlasst, heute Ja zu sagen. Das finde ich gut.

   Ich möchte an dieser Stelle der gesamten Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzlerin und dem Außenminister, danken. Aber ganz besonders danke ich dem Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung. Seiner Beharrlichkeit in der Sache ist es zu verdanken, dass aus einer anfänglichen Idee mit vielen ungeordneten Details allmählich ein tragfähiges Konzept wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Verteidigungsminister hat frühzeitig unsere Bedenken in fünf Kriterien formuliert, deren Erfüllung uns heute zu einer positiven Bewertung kommen lässt.

   Was von Teilen der Opposition als chaotisch bezeichnet wurde - so heute von Frau Homburger -, war zum einen bedingt durch die mehrfache Verschiebung der Wahltermine. Man muss deutlich machen, dass die Sache anders lag, als sie hier vorgetragen worden ist. Zum anderen war zu verhindern, dass die Hauptlast der Verantwortung allein auf unsere Schultern geladen wurde. Das ist der Bundesregierung überzeugend gelungen.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Wo denn?)

   Deshalb war es uns erstens wichtig, dass unsere europäischen Partner eine sichtbare und breit angelegte Solidarität gegenüber dem Kongo zeigen. Nach anfänglichem Zögern haben inzwischen 18 Staaten ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Operation erklärt. Damit gewinnt die Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik spürbar an Profil und Glaubwürdigkeit.

   Zweitens war ein klares Mandat der Vereinten Nationen eine entscheidende Voraussetzung für unseren Einsatz. Dieses Mandat liegt seit dem 25. April vor.

   Darüber hinaus war aus Sicht der Bundeswehr eine klare Aufgabenzuordnung nach Zeit und Raum anzustreben. Es ist der Bundesregierung drittens in zähen Verhandlungen gelungen, dass als Einsatzraum für unsere Soldatinnen und Soldaten der Raum Kinshasa bestätigt wurde.

   Die zeitliche Fixierung auf vier Monate, gerechnet vom Zeitpunkt der ersten Wahlen, war das vierte Kriterium, an dem wir von Beginn an festgehalten haben. Auch diese Forderung wurde von der Europäischen Union erfüllt.

   Fünftens haben der kongolesische Präsident und sein Vizepräsident am 19. März dem Einsatz der Europäischen Union zugestimmt. Ohne dieses Einverständnis und ohne die Bitte der örtlichen Regierung, dort hinzukommen, hätten wir einen solchen Einsatz nicht durchführen können.

   Die Bundeswehr wird sich aufgrund der klaren Aufgabenzuordnung auf die mögliche Evakuierung der Wahlbeobachter und derjenigen europäischen Staatsbürger konzentrieren, die im Kongo leben und möglicherweise in Risikosituationen geraten. Evakuierungen außerhalb Kinshasas werden im Bedarfsfall von unseren französischen Freunden vorgenommen.

   Für einen Einsatz spricht, dass die Verantwortung der Europäer für die Entwicklung in Afrika sichtbar wird. Die Zukunft unseres Nachbarkontinentes kann Europa nicht gleichgültig sein. Verantwortung zu übernehmen, bedeutet aber auch, einen angemessenen Beitrag zu leisten. Dies tun wir mit dem Beschluss heute. Zudem wird die Europäische Union die Kräfte der VN-Mission MONUC entlasten, sodass sich diese weiter auf ihren Hauptauftrag konzentrieren kann, nämlich Stabilität im Osten und Süden des Landes zu schaffen.

   Schließlich erhält durch unseren Einsatz die Demokratie im Kongo erstmals nach langer Zeit eine reale Chance. Unser Einsatz hat Signalwirkung für den Kongo, aber auch für das restliche Afrika. Das ist das entscheidende Zeichen für die Menschen vor Ort, verbunden mit einer klaren Perspektive.

   Die Reputation der Bundeswehr im Kongo ist nicht zuletzt mit der Operation Artemis im Jahre 2003 gewachsen. Unsere Soldaten werden im Kongo allgemein als Friedensstifter mit Stabilitätswirkung anerkannt. Zudem ergänzt der Einsatz unserer Soldaten die bisher so erfolgreiche deutsche Hilfe im Kongo und in Zentralafrika.

   Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Soldatinnen und Soldaten aufgrund ihrer fundierten Ausbildung auch diesem Einsatz gewachsen sein werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Trotzdem bleibt ein Restrisiko, wie es bei jedem Einsatz besteht. Ich wünsche deshalb unseren Soldatinnen und Soldaten im Namen meiner Fraktion Fortune für ihren schwierigen Einsatz. Ich rufe den Soldatinnen und Soldaten zu: Passen Sie auf sich auf, damit Sie alle gesund nach Hause zurückkehren können!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich verkenne bei all dem nicht die Schwierigkeiten und auch nicht das für unsere Soldatinnen und Soldaten bestehende Risiko. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, die Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass sie größtmögliche Sicherheit erfahren. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familien schuldig. Ich denke, dass mit der Vorbereitung dieses Einsatzes auch diese Pflicht erfüllt wurde.

   Mit der Erfüllung der genannten fünf Kriterien ist der Einsatz, so meine ich, verantwortbar. Ich werbe deshalb auch bei den Freunden der Freien Demokratischen Partei dafür, dem Einsatz zuzustimmen. Ich weiß, dass Sie eine ziemlich intensive innerparteiliche Diskussion darüber geführt haben, ob das, was Sie heute vorgetragen haben, auch wirklich die richtige Politik ist. Wir jedenfalls stimmen mit einem guten Gewissen zu. Ich denke, dass das zum Wohle der Menschen im Kongo sein wird und von Bedeutung für die Zukunft unserer Sicherheitspolitik in Europa ist.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Norman Paech, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Norman Paech (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag hatte schon über viele Auslandseinsätze zu entscheiden. Selten aber gab es so viele unterschiedliche und sich widersprechende Begründungen dafür wie in diesem Fall. Genannt werden die Absicherung der ersten demokratischen Wahlen, die Stabilisierung des Kongo, unsere Verantwortung für Afrika - was auch immer das ist -, Handlungsfähigkeit der EU-Militärpolitik beweisen, Sicherung der Rohstoffversorgung und der Handelswege bis hin zur Verhinderung gigantischer Migrantenströme nach Europa. Da ist für jeden etwas dabei.

   Die Wirkung ist aber nicht: je mehr Begründungen, desto überzeugender. Das Gegenteil ist der Fall, wie jetzt auch die jüngste „Stern“-Umfrage wieder gezeigt hat: Der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung ist gegen diesen Einsatz im Kongo.

(Beifall bei der LINKEN - Rainer Arnold (SPD): Das sagen Populisten!)

   Wir bestreiten nicht die Ernsthaftigkeit all der Gründe, sich in Afrika zu engagieren. Auch ökonomische Interessen sind legitim. Wir sind aber dagegen, dass das Militär dabei eine Rolle spielen soll. Sie, Herr Schockenhoff, haben den Einsatz des Militärs mit den strategischen Rohstoffen des Kongo begründet. Aus der SPD hören wir dagegen, das sei alles Unsinn, es gehe nicht um Rohstoffe, sondern um die Stabilisierung des demokratischen Prozesses im Kongo. Ich frage Sie: Was haben wir denn eigentlich aus den sich rapide verschlechternden Verhältnissen in Afghanistan und im Irak gelernt? Sehen Sie nicht, dass militärische Gewalt immer nur weitere Gewalt erzeugt und eben nicht Demokratie, allenfalls eine seltsame Abart von Demokratie?

(Beifall bei der LINKEN)

   Man kann mit dem Militär natürlich eine Stadt für die Wahltage und die Wochen danach in einen Ausnahmezustand versetzen. Das kann das Militär leisten. Aber was kommt dann? Bei unserer gestrigen Diskussion im Auswärtigen Ausschuss glaubte kaum noch jemand an die Begrenzung dieses Einsatzes auf vier Monate. Steht uns hier vielleicht ein Einsatz von den Ausmaßen wie dem in Afghanistan ins Haus? Das kann niemand voraussagen.

   Der Kongo gehört zweifelsohne zu den rohstoffreichsten Regionen der Welt. Da gibt es auch keinen Einwand, wenn Sie fordern - ich zitiere Sie, Herr Schockenhoff -,

dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach marktwirtschaftlichen Aspekten erfolgt.
(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Und der Bevölkerung zugute kommt!)

Wenn Sie damit aber den Einsatz des Militärs begründen, fragt man doch nach der Rolle des Militärs bei der Herstellung des freien Marktes.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schockenhoff, meinen Sie etwa, dass das Militär auch die Verstaatlichung der Rohstoffe zum Nutzen der kongolesischen Bevölkerung, wie jüngst in Bolivien geschehen, absichern wird?

   Was kommt dann nach dem Kongo? Bundesverteidigungsminister Jung möchte mithilfe der Bundeswehr die Rohstoffversorgung weltweit sichern. Sie möchten - so steht es in Ihrem Weißbuch, was wir bisher leider nur aus der Presse erfahren -, dass sich die Bundeswehr wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands besonders den Regionen zuwenden soll, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden. Da übernehmen Sie das, was schon 1999 in die neue NATO-Strategie geschrieben und später, 2003, in die Europäische Sicherheitsstrategie übernommen worden ist.

   Liegt es da allzu fern, wenn man den Kongoeinsatz jetzt gleichsam als Pilotprojekt für eine neue Afrikastrategie begreift? Kommt nach zahllosen feierlich ausgerufenen und gescheiterten Entwicklungsdekaden in Afrika nun vielleicht eine Militärdekade? So wie der völkerrechtswidrige Krieg gegen Jugoslawien seinerzeit die humanitäre Intervention begründen sollte, ist der Kongoeinsatz nun vielleicht ein Pilotprojekt für eine zukünftige Ressourcenintervention?

   Man kann das auch anders ausdrücken. Hier zitiere ich die Ihnen ja sehr wohl gesonnene „Süddeutsche Zeitung“, da kritisiert Joachim Käppner:

Sie benutzt die Bundeswehr wie eine beliebig einsetzbare Interventionsarmee.

Käppner warnt:

Das Abenteuer am großen Fluss könnte der Beginn eines neuen militärpolitischen Kapitels werden, nämlich dessen der Beliebigkeit und Bedenkenlosigkeit.

Er schließt:

... gleicht der Einsatz im Kongo tatsächlich einer Reise in die Finsternis.

   Das wollen wir der kongolesischen Bevölkerung ersparen. Das wollen wir den Bundeswehrsoldaten ersparen und das wollen wir uns selbst ersparen. Deswegen sind wir gegen diesen Einsatz.

   Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Arnold, SPD-Fraktion.

Rainer Arnold (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist richtig: Europa hat in Bezug auf Afrika eine Strategie. Aus dieser Strategie erwachsen Verantwortung und Ernsthaftigkeit. Deutschland hat im Dezember zugestimmt. Wenn jetzt das wichtige und große Land Kongo uns Deutsche und uns Europäer bittet, dann gilt es nicht zu kneifen. Wer ernsthaft eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität anstrebt, muss dieses Papier mit Leben erfüllen. Darum geht es eben auch.

   Herr Paech, wir müssen aufpassen, dass wir dieses Mandat nicht falsch zeichnen, was die Sicherheit und den Auftrag anbelangt. Wir Verteidigungspolitiker analysieren sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst, welchem Risiko wir die Soldaten aussetzen. Das lassen wir uns von niemandem absprechen. Wir wissen, dass die deutschen Soldaten hervorragend auf ihren Einsatz vorbereitet werden. Wir wissen, dass in Potsdam ein exzellentes Zentrum für europäische Friedensmissionen aufgebaut wird. Wir zollen allen Respekt und sagen den Soldaten Dank, die ihre Beiträge leisten.

   Wir sollten aber auch nicht überzeichnen. Die Soldaten gehen nicht in ein feindlich gesinntes Land, sondern sie finden ein freundliches Umfeld vor, wo die Menschen die Soldaten begrüßen. Alle Parteien, die bei der Wahl antreten, haben sich für die Präsenz der Europäer ausgesprochen. Dies macht deutlich, dass es für die Bevölkerung ein wichtiges psychologisches Zeichen ist, wenn die Europäer ihre Flagge im Kongo hissten. Es ist wichtig, dass Europa diesen weiteren Schritt - das ist nicht der einzige Schritt, sondern nur ein Mosaikstein auf dem Weg zu einem friedlichen Kongo - absichert und hinter dieser demokratischen Wahl steht. Das ist die eine Aufgabe.

(Beifall bei der SPD)

   Die zweite Aufgabe ist eindeutig: Es hat eine abschreckende Wirkung, wenn europäische Soldaten mitten in der Hauptstadt Flagge zeigen. So wissen auch diejenigen, die möglicherweise das Wahlergebnis nicht akzeptieren, weil sie in der Minderheit sind, dass sie keine Chance hätten, wenn sie zu zündeln versuchten. Das ist eine wichtige Botschaft. Diese kommt, so wie das Mandat angelegt ist, dort an.

   Die dritte Aufgabe ist die Vorsorge. Falls es irgendwo schwierig wird, müssen wir natürlich Beistand leisten. Wir dürfen nicht vergessen: Deutschland ist längst im Kongo. Nicht deswegen, weil wir 80 Millionen Euro für die MONUC bezahlen - das tun wir auch -, sondern es sind Zigtausende von Europäern im Kongo. Es werden fast 1 000 Wahlbeobachter dort sein. Es wird zivile Unterstützung und es wird bilaterale Entwicklungshilfe geleistet. Glaubt jemand im Ernst, dass es uns Deutsche nichts anginge, wenn jemand in den nächsten Monaten in Bedrängnis käme? Natürlich würden wir dort im Zweifelsfall militärisch Hilfe leisten müssen. Darum geht es.

   Deshalb überrascht es mich schon ein bisschen, was die Kollegin von der FDP hier gesagt hat. Ich habe den Eindruck, Kollegin Homburger, dass Sie etwas durcheinander bringen. Der Verteidigungsausschuss ist zwar ein geschlossener Ausschuss, er hindert Sie aber nicht daran, die Informationen, die Sie dort erhalten, zur eigenen Willensbildung in Ihrer Fraktion zu verwenden. Mir scheint, dass das überhaupt nicht bei Ihnen geschieht. Sonst hätten Sie nicht solche Dinge behauptet. Sie stützen sich auf einige Vertreter, die auch Lobbyisten sind und die bestimmte Interessen wahrnehmen.

(Walter Kolbow (SPD): Sehr wahr!)

Hören Sie einmal zu, was Wissenschaft und Politik sagen, hören Sie einmal zu, was das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze sagt! Hören Sie vor allen Dingen den Menschen zu - das haben wir getan -, die seit Jahren im Kongo leben! Deren Rat war uns bei der Analyse und bei der Mandatsfindung sehr wichtig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich werde den Verdacht nicht los, dass die FDP mit ihrer doch stolzen Tradition der Außenpolitik jetzt aus eher populistischen Gründen dieses Mandat ablehnt,

(Dr. Werner Hoyer (FDP): Das ist billig!)

dies aber im Wissen tut, dass die beiden Koalitionsfraktionen die richtige Entscheidung treffen werden.

(Jörg van Essen (FDP): Wie schlecht müssen Ihre Argumente sein!)

Das klang bei Herrn Hoyer ein bisschen an.

   Wir werden das Richtige tun, weil wir der Auffassung sind, dass dieses Mandat notwendig und sehr wohl gut zu begründen ist. Es ist humanitär zu begründen. Wir stehen den Menschen im Kongo bei dieser Etappe bei. Sie dürfen nicht in das massenhafte Morden zurückfallen.

   Dieses Mandat ist im deutschen und europäischen Interesse, weil wir ein Interesse an Stabilität nicht nur im Kongo, sondern an der gesamten Region der südlichen Sahara haben müssen. Deshalb dürfen keine Fehlinterpretationen - das sage ich an die Adresse der Kollegen von der Linken - vorgenommen werden: Mit Rohstoffsicherung durch das Militär hat das nun wirklich gar nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wahr ist aber, dass die Wirtschaft und die Bevölkerung nur in einem stabilen Land, wo kriminelle Ausbeuter der Ressourcen zurückgedrängt werden, eine Chance haben, an diesen Rohstoffen zu partizipieren.

(Beifall bei der SPD)

Es ist nun wirklich nicht unanständig, wenn wir Deutschen sagen, dass wir das unter fairen Bedingungen erreichen wollen.

   Das Mandat hat eine dritte, in sich schlüssige Begründung: Wir tun das auch aus politischen Interessen. Wer in Sonntagsreden immer davon spricht, dass wir die internationalen Organisationen und das internationale Recht stärken müssen - das tut die FDP in ganz hohem Maße bezüglich der Vereinten Nationen -, der darf das am nächsten Tag nicht vergessen. Nein, internationales Recht und internationale Organisationen zu stärken, heißt auch, dass Deutschland nicht in eine Sonderrolle gerät, sondern gemeinsam mit Partnern agiert.

   Herr Hoyer, es ist falsch, dass sich alle anderen Europäer zurückhalten. Wir haben 18 Partner im Kongo.

(Jörg van Essen (FDP): Mit was denn? Mit Stabsoffizieren!)

- Natürlich kann Lettland keine Hundertschaften schicken. Das wissen Sie doch auch. Aber die Länder, die etwas leisten können, nämlich Frankreich, Spanien, Polen und natürlich auch die Bundesrepublik, interessanterweise auch die Schweden, leisten auch ihren Beitrag. Darüber bin ich sehr froh.

(Jörg van Essen (FDP): Großbritannien? Belgien? Niederlande? Italien?)

- Wenn Sie Großbritannien ansprechen, lassen Sie mich dazu eines sagen: Wir sollten mit dem britischen Partner fair umgehen. Was die britische Armee für die Staatengemeinschaft - ich rede jetzt gar nicht vom Irak, sondern von Afghanistan - in dieser schwierigen Situation in der ärmsten Region im Süden Afghanistans leistet, verdient unser aller Respekt und keine Kritik.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, dieses Mandat ist auch von daher sehr begründet.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Rainer Arnold (SPD):

Ich komme zum Ende. - Es gibt selbstverständlich keine Garantie - das ist immer so -, dass dieses Mandat gelingt; aber die Chancen sind gut. Eines weiß ich: Würden wir jetzt Nein sagen, würde Europa jetzt wieder einmal, wie in den vergangenen Jahren, in Bezug auf Afrika zur Seite schauen, würden wir in arge Bedrängnis geraten, wenn es im Kongo schief geht.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben betont, wie wichtig die Unterstützung der Demokratischen Republik Kongo gerade in dieser Situation ist. Das ist sehr gut. Das ist aber auch eine Selbstverpflichtung über die Wahlen und die EU-Mission hinaus. Das ist eine sehr wichtige Botschaft des Deutschen Bundestages - ich gehe dabei von 100 Prozent der Mitglieder des Deutschen Bundestages aus - gegenüber der kongolesischen Öffentlichkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Selbstverständlich geht es nicht darum, die Konflikte im Kongo militärisch zu lösen. Es hat einen mehrjährigen Friedensprozess gegeben. Es gibt ihn immer noch. Die Demobilisierung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Immerhin konnten von 20 000 Kindersoldaten 16 000 demobilisiert werden. Das ist ein enormer Erfolg. Aber wie es auf Dauer keine Sicherheit ohne Entwicklung gibt, so gibt es auch keinen Aufbau, keine Entwicklung ohne Sicherheit. Diese beiden Erfordernisse als Alternative gegeneinander zu stellen, ist völliger Unsinn, widerspricht allen Erfahrungen in solchen Ländern und widerspricht völlig den Erfahrungen der Vereinten Nationen. Herr Gehrcke, das sollten Sie sich in der Tat einmal zu Gemüte führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Dieser Kongoeinsatz ist ganz offensichtlich der bei weitem strittigste seit der Entscheidung über den Afghanistaneinsatz 2001. Man muss auch sagen, dass die Bundesregierung, vor allem in Gestalt des Verteidigungsministers, erheblich dazu beigetragen hat. Ginge es heute nur darum, den Zickzackkurs der Bundesregierung zu bewerten, dann könnte man mit Fug und Recht Nein sagen. Aber es geht dabei noch um ein paar andere Sachen. Ich will zu den einzelnen Fragen Stellung nehmen.

   Ist diese Mission zwingend notwendig oder überflüssig? Wer behauptet, sie sei überflüssig, ignoriert damit die eindeutigen Positionen und Forderungen der UNO in New York und der Blauhelmmission MONUC in Kinshasa; aber nicht nur diese, sondern auch die der großen Masse der kongolesischen Zivilgesellschaft. Sie wollen dies vor allem.

   Wenn Sie hier den Evangelischen Entwicklungsdienst zitieren, dann, Frau Kollegin Homburger, zitieren Sie bitte korrekt. Der Vorsitzende, Konrad von Bonin, hat festgestellt: Auch die Partner des EED im Kongo erhoffen sich überwiegend eine Absicherung der Wahlen durch die MONUC und die EU-Sondertruppe und begrüßen die deutsche Beteiligung.

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Hört! Hört!)

Es ist in allen Gesprächen aber auch deutlich geworden, dass für sie die Beteiligung der EUFOR im Kongo nur ein kleiner Teil dessen ist, was sie längerfristig von der Europäischen Union und insbesondere von Deutschland im Rahmen der Politik der EU erwarten. Das ist völlig richtig. Denn beides gehört zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Handelt es sich hier um eine Showveranstaltung, wie zum Beispiel der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes sagt, oder ist es abenteuerlich? Herr Westerwelle, man muss es immer wieder feststellen: Seit Wochen ziehen Sie durchs Land und verzerren mutwillig den Auftrag dieser Mission.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Sie tun so, als sei diese Mission für die gesamte Stabilisierung verantwortlich. Das ist Unsinn. Wir und auch Sie wissen es besser: EUFOR ist nur ein Teil eines ganzen Stabilisierungspakets. Es geht um die Unterstützung von MONUC in einer kritischen Phase, vor allem in der Region Kinshasa.

   Zu den Risiken. Die anfänglichen Festlegungen haben auch bei mir Zweifel geschürt, ob diese Mission glaubwürdig und verantwortbar ist. So, wie sie jetzt gestaltet ist - mit stärkeren Kräften und dem jetzigen Einsatzkonzept -, meine ich, ist sie glaubwürdig verantwortbar und richtig.

(Jörg van Essen (FDP): Beeindruckend: „stärker“!)

Man muss auch feststellen, dass alle Experten in UN-Friedensmissionen, die Sie fragen, sagen: Auch mit einer recht kleinen, aber professionellen Truppe kann man eine ganz erhebliche abschreckende Wirkung hinbekommen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)

Außerdem sollte man bei den Risiken auch bedenken, welchen Risiken wir denn die ungeschützten Wahlbeobachter aussetzen. Von unseren Zivilexperten, die dort arbeiten, wird gar nicht gesprochen.

   Diese EU-Mission ist notwendig, aber keineswegs hinreichend für die friedlichen Wahlen und eine nachhaltige Stabilisierung. Die Bundesregierung und die EU müssen alles für die politische Deeskalation im Vorwahlkampf tun. Nach den Wahlen - das ist mehrfach festgestellt worden; wir können es nur bekräftigen - geht die Arbeit allerdings erst richtig los. Dies wurde in Kinshasa von verschiedenen Organisationen betont, jetzt auch richtigerweise von humanitären und Entwicklungsorganisationen.

   Dann geht es zum Beispiel um dieses Hemd, das ich aus einem Demobilisierungscamp im Kongo mitgebracht habe. Die Demobilisierung, die Reintegration von Milizionären und Kindersoldaten ist ein entscheidender Punkt bei der Stabilisierung des Kongo über die Wahlen hinaus. Hier leistet die kongolesische Zivilgesellschaft fantastische Arbeit.

   Ich meine, dass wir in dieser Situation die kongolesische Zivilgesellschaft, die große Erwartungen an die Europäische Union und auch an die Bundesrepublik richtet, nicht enttäuschen und nicht entmutigen sollten, sondern nach besten Kräften jetzt, im nächsten Jahr und in den Folgejahren unterstützen sollten. Deshalb bitten wir um Ihre Zustimmung, auch wenn wir Gegenstimmen selbstverständlich respektieren.

   Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Hans Raidel, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Raidel (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sich mit dem Kongo beschäftigt, wer die Menschen dort ein bisschen kennt, wer Afrika ein bisschen kennt, weiß ganz genau, wie sehr sich der Kongo jetzt nach Frieden sehnt, wie er diese Wahlen herbeiwünscht. Gerade wir in Europa, gerade wir in Deutschland können einen Beitrag dazu leisten. Auch das wird ganz besonders begrüßt. Wer Afrika insgesamt helfen will, der muss jetzt helfen, dieses Signal geben und im Rahmen dieser Mission im Kongo präsent sein.

   Wir führen eine erstaunliche Debatte. Diejenigen, die verbal ständig die helfende Hand ausstrecken, ziehen sie in dem Moment, in dem die helfende Hand ergriffen werden soll, zurück. Das ist scheinheilig und wird auch der Würde dieses Hauses nicht gerecht.

(Walter Kolbow (SPD): Sehr wahr!)

   Ich bitte Sie sehr herzlich, sich die Fakten anzusehen; sie wurden alle schon aufgezählt. Die UNO hat die EU darum gebeten, ein Kontingent zu stellen. Auch die Afrikanische Union ist dafür. Im Kongo haben sich selbst die politisch Verantwortlichen dazu bereit erklärt, diesen Prozess zu unterstützen, damit die Demokratisierung voranschreiten kann. Dennoch führen wir - in ganz Europa nur wir - diese quälende Debatte über diesen Einsatz. In keinem anderen Land, weder in Frankreich noch sonst wo, wird eine derartige Debatte geführt.

   Wir sollten uns schon von den positiven Vorgängen beeindrucken lassen, die im Kongo mittlerweile geschehen sind. Das ganze Land steht vor einer entscheidenden politischen Weichenstellung. Der Kollege Kolbow hat zu Recht den südafrikanischen Präsidenten zitiert, der festgestellt hat: Der afrikanische Kontinent wird sich nur stabilisieren lassen, wenn der Kongo stabilisiert werden kann. Damit sind auch die Interessenlagen der internationalen Gemeinschaft prägnant beschrieben.

   Diese Wahlen bieten dem Kongo endlich die Chance, das Land in wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Hinsicht wieder aufzubauen und für ein besseres Leben der Bevölkerung zu sorgen. Deswegen braucht der Kongo gerade jetzt viele helfende Hände.

   Wir haben uns die Entscheidung über die Rahmenbedingungen dieses Einsatzes nicht leicht gemacht. Der Kollege Siebert hat darauf hingewiesen, dass der Verteidigungsminister auf europäischer Ebene dafür geworben hat, dass nicht, wie eigentlich vorgesehen war, das Battle-Group-Konzept reinrassig zum Einsatz kommt, sondern dass sich Europa breit aufstellt und viele Länder durch die Bereitstellung von Kontingenten helfen.

   Wir helfen schon jetzt - auch das sollte noch einmal erwähnt werden - mit sehr vielen Programmen. Es ist einfach nicht wahr, dass wir noch ganz am Anfang stehen. Vielmehr handelt es sich hier um einen Prozess, der mit den bevorstehenden Wahlen seinen vorläufigen positiven Abschluss findet, der aber auch zu einem Neubeginn beitragen soll. Wir müssen alles tun, um dafür zu sorgen, dass das bisherige Engagement nicht umsonst gewesen ist.

   Die politischen Rahmenbedingungen für diesen Einsatz sind geschaffen. Das deutsche Kontingent, das wir im Rahmen der EU stellen, ist das Beste vom Besten. Die deutsche Truppe besteht im Wesentlichen aus Fallschirmjägern, die bestens auf ihre Aufgaben vorbereitet, gut ausgebildet und gut ausgerüstet sind. Auch die medizinische Versorgung - darauf haben wir sehr großen Wert gelegt - hat einen hohen Standard und ist gewährleistet.

   Im Verteidigungsausschuss haben wir uns sehr genau und im Detail mit diesen Dingen befasst. Wer sie ordentlich einordnet und auch den militärischen Wert richtig beurteilt, der kann feststellen, dass die gesamte Mission sowohl in strategischer als auch in einsatztaktischer Hinsicht - einschließlich einer guten Notfallplanung - hervorragend und sehr fürsorglich geplant worden ist, um die Gefährdungen, die unzweifelhaft vorhanden sind, zu minimieren. Ich habe im Ausschuss dem Generalinspekteur und dem Verteidigungsminister ausdrücklich für die fürsorgliche Planung gedankt und ich habe festgestellt, dass wir diesem Einsatz bei diesen Maßgaben, bei diesen Einsatzplänen, mit gutem Gewissen zustimmen können.

   Ich möchte das zurückweisen, was Herr Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, gesagt hat. Das Parlament betreibt kein „politisches Showbusiness“ mit militärischen Mitteln. Wir gehen verantwortungsvoll mit unseren Soldaten um,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

sei es in Afghanistan, sei es auf dem Balkan oder jetzt im Kongo. Recht hat er allerdings, wenn er feststellt, dass die europäische Afrikastrategie wieder mehr in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Das geschieht meiner Auffassung nach mit der heutigen Abstimmung über dieses Mandat. Es gibt objektiv kaum einen Grund, gegen diesen Einsatz zu stimmen, es gibt aber viele Gründe für diesen Einsatz. Wer dem Kongo wirklich helfen will, der muss heute mit Ja stimmen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine ablehnende Haltung im Hinblick auf eine Beteiligung deutscher Streitkräfte an einem Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo hatte ich bereits in der letzten Debatte begründet. Ich möchte mich jetzt einmal mit den fünf Bedingungen auseinander setzen, die Minister Jung in der letzten Debatte dargestellt hat. Meines Erachtens werden diese Voraussetzungen, die er für einen robusten Einsatz nannte, in der Öffentlichkeit bewusst falsch dargestellt.

   Erstens. Ein Votum der Vereinten Nationen gibt es. Das erfolgte aber erst, als die Entscheidungen auf Regierungsebene längst getroffen waren; das war bereits Ende 2005.

   Zweite Voraussetzung war die Zustimmung der kongolesischen Regierung. Tatsache ist aber, dass diese so ziemlich als letzte gefragt wurde; Herr Solana musste Herrn Kabila regelrecht drängen. In der Europäischen Union war zu dieser Zeit der Hauptgrund für den Einsatz - die Demonstration eigener militärischer Handlungsfähigkeit - schon längst beschlossene Sache.

   Die dritte Bedingung sollte eine breite europäische Beteiligung sein. Auch da lügt man sich in die Tasche: Von den 1 500 Soldaten der Einsatzkräfte - ich lasse hier einmal die 280 zusätzlichen deutschen Soldaten beiseite - stellen Deutschland und Frankreich jeweils ein Drittel, das letzte Drittel teilen sich 16 andere EU-Nationen; das ist reine Symbolik.

   Die vierte und fünfte Bedingung sollten die räumliche und die zeitliche Begrenzung sein. Selbst Militärangehörige sagen, dass dies, falls es zu Kampfhandlungen kommt, nicht einzuhaltende Bedingungen sind.

   Verteidigungsminister Jung, ich stelle fest, Sie haben mit Ihrem berühmten Vorgänger im Amt nicht nur den Vornamen gemeinsam, sondern auch die Art und Weise, sich die Bedingungen so hinzubiegen, wie es im Interesse der großen global agierenden Konzerne gebraucht wird. Das ist auch der Grund, warum die Bundesregierung um ein Mandat für diesen Einsatz gebeten hat. Wie es in der Rede, die Minister Jung in der letzten Sitzung hielt, heißt - man kann es im Protokoll nachlesen -, hat die Bundesregierung um einen solchen Einsatz gebeten.

   Der Bundesregierung werfe ich vor, dass sie die Unterstützung von demokratischen Wahlen im Kongo von Anfang an unter dem militärischen Aspekt diskutiert hat. Es ist zu erfahren, dass lediglich rund 200 zivile Wahlbeobachter aus der EU eingesetzt werden sollen - und das in einem Land, das fast siebenmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, in dem es ca. 50 000 Wahllokale geben wird, in dem sich fast 28 Millionen Wähler haben registrieren lassen, in dem Bedingungen herrschen, unter denen sogar der An- und Abtransport der Wahlmaterialien die heimische Bevölkerung logistisch vor große Probleme stellte.

   Unter diesem Aspekt ist die Zahl der zivilen Wahlbeobachter schlicht lächerlich. Mehrere zehntausend Wahlbegleiter wären notwendig, wie alle kirchlichen und entwicklungspolitischen Organisationen sagen. Unser Land hätte sich weltweit als helfende Nation einen guten Namen machen können, wenn es Initiativen ergriffen hätte, damit mehr Wahlhelfer und Wahlbeobachter die Wahl im Kongo absichern.

   Stattdessen hat es die Bundesregierung zugelassen, dass im Zusammenhang mit dieser Wahl immer nur in militärischen Kategorien gedacht wird. Mit dem robusten Militäreinsatz im Kongo tritt die Bundesregierung in eine neue Phase der Militarisierung der Außenpolitik ein. Diese Phase wird irgendwann einmal in einem Fiasko enden; davon bin ich überzeugt.

   Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Christoph Strässer, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Christoph Strässer (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei solchen Debatten ist es nicht unüblich, dass man Kronzeugen bemüht. Ob sie einem ansonsten in das politische Konzept passen oder nicht, ist dabei meist zweitrangig. Ich möchte zwei Kronzeugen benennen, die aus meiner Sicht unverdächtig sind, in ein bestimmtes politisches Lager einsortiert zu werden.

   Als Ersten nenne ich Denis M. Tull. Er ist Afrika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und hat in Bezug auf den Bundeswehreinsatz gesagt:

Man hat in die UN-Mission Milliarden investiert und in Aufbauhilfe, die nun langsam Erfolg trägt. Die Wahlen sind jetzt eine kritische Schwelle, über die das Land gehen muss. Wenn man in diesem Moment durch einen relativ kleinen Beitrag zum Erfolg beitragen kann, halte ich das für eine gute Investition.

Diese Aussage ist zutreffend.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die zweite Aussage kommt von Ross Mountain, dem Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, der, wie ich denke, auch unverdächtig ist, irgendeinem Lager zugeordnet zu werden. Er hat am 17. Mai 2006 im ZDF Folgendes gesagt - ich bitte all diejenigen, besonders zuzuhören, die so wie der Kollege eben der Meinung sind, wir würden das alles ausschließlich unter militärischen Aspekten diskutieren -:

Die Europäische Union hat sich schon lange im Kongo engagiert, es ist wichtig, dass sie während der Wahlen Verantwortung zeigt… Ein paar hundert Soldaten können einen großen Unterschied machen. Abschreckung ist wichtig.

Meine Damen und Herren, wir sollten diese Stimmen ernsthaft zur Kenntnis nehmen und sie in der Debatte berücksichtigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Ich möchte auf den Kollegen Hoyer eingehen, der mehr oder weniger unterstellt hat, die Regierungsfraktionen würden dem Votum der Bundesregierung folgen, weil sie dazu gezwungen seien. Nein, lieber Kollege Hoyer, das Gegenteil ist richtig: Wir haben in unserer Fraktion sehr intensiv über dieses Thema diskutiert und haben die Argumente ausgetauscht. Ich habe großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die heute Nein sagen werden. Wir haben aber bei uns Argumente gehört, die tiefer gegangen sind und die zutreffender sind als die, die hier heute von der FDP und der Linkspartei vorgebracht wurden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will drei Punkte ansprechen, von denen ich glaube, dass sie bewusst oder unbewusst desorientierend wirken:

   Erstens. Frau Kollegin Homburger hat die Entscheidung der Vereinten Nationen angesprochen und gesagt, man müsse nicht alles übernehmen, was von den Vereinten Nationen komme. Richtig! Wir haben gesagt - das ist vernünftig und soll in diesem Hohen Hause auch so bleiben -: Ein Militäreinsatz kann unter völkerrechtlichen Aspekten nur dann stattfinden, wenn es eine entsprechende Entscheidung des Weltsicherheitsrates gibt. Dies ist die Kernaussage. Ohne eine solche Entscheidung würden wir die Diskussion in diesem Hohen Hause nicht führen. Das sollten wir bedenken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zweitens. Ich will etwas anführen, was deutlich macht, dass diese Argumente schlecht sind: Auf das Bezug zu nehmen, was im Irak passiert ist, zeigt, dass Sie die Dimensionen dieses Einsatzes und des Irakkrieges völlig durcheinander bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Irakkrieg war ein Angriffskrieg, dem wir mit guten Gründen widerstanden haben. Das mit der Wahlbeobachtung und der Unterstützung von Wahlen zu vergleichen, ist aus meiner Sicht schon zynisch. Das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen. Das kann man nicht als politischen Grund nennen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Drittens. Diese Bemerkung richte ich an Sie, Herr Kollege Gehrcke. Ich finde, es ist desorientierend und unwahr, wenn man sagt, die Bundesrepublik Deutschland hätte sich besser darauf verstanden, zu unterstützen, dass die MONUC-Truppe aufgestockt wird. Aber Sie wissen doch wohl - das muss der Ehrlichkeit, der Fairness und der Transparenz wegen an die Kritiker gesagt werden -: Der Weltsicherheitsrat hat die Aufstockung des MONUC-Mandats zweimal abgelehnt und uns gegenüber auf der Grundlage einer MONUC-Entscheidung die Bitte geäußert, das zu tun, worüber wir heute entscheiden. Das alles sollte man nicht durcheinander schmeißen und dadurch den Eindruck erwecken, es hätte Alternativen gegeben.

(Beifall bei der SPD)

   Ich möchte noch etwas sagen, was mir wirklich sehr am Herzen liegt. Hier ist schon wieder behauptet worden, wir würden diese ganze Veranstaltung ausschließlich unter militärischen Aspekten sehen. Dies ist unzutreffend. Ich darf nur eine Zahl nennen, damit man eine kleine Vorstellung von der Dimension erhält, welche europäische nichtmilitärische und zivile Hilfe und Unterstützung in diesem Land bereits geleistet worden ist. 640 Millionen Euro wurden für Bewässerungsprojekte, für Demobilisierungsprojekte und für viele gute zivile Maßnahmen zur Verfügung gestellt, die richtig sind und die fortgesetzt werden müssen. Dazu dient auch dieser Einsatz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ein letzter Punkt: Natürlich sollten wir die zivile Konfliktbewältigung präferieren. Ich sage aber: Es kann nicht richtig sein, dass wir Menschen in einen Failing State wie den Kongo schicken, die dort in Lebensgefahr geraten. Wir erleben gerade in Osttimor, dass zivile Hilfsorganisationen evakuiert werden müssen, weil die Sicherheitslage in diesem Land so ist, dass man sie nicht dort belassen kann.

   Deshalb ist das, was wir dort tun, eine klare und deutliche Unterstützung für den zivilen Aufbau. Wir brauchen diese Maßnahme. Aus meiner Sicht kann ich diesem Antrag nur aus vollem Herzen und nicht gezwungen zustimmen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Hartwig Fischer das Wort und bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich, dem Kollegen Fischer die Chance zu geben, gehört zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU):

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Ich bemühe mich auch, die Aufmerksamkeit des Hauses zu erhalten, und sage als Erstes, dass ich es für ungeheuerlich halte, dass sich jemand von den Linken, der niemals im Kongo gewesen ist - niemand aus Ihrer Fraktion war dort -, hier hinstellt und von „irgendwelchen Pakistanis“ spricht, die dort im Rahmen der UN ihren Einsatz leisten und im Osten des Kongo mit zur Befriedung beigetragen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wer hier behauptet, es gebe kein Gesamtkonzept, der spricht wider besseres Wissen. Es war nicht allein die Operation ARTEMIS, sondern es war die Völkergemeinschaft, die die verfeindeten Truppen zueinander gebracht und eine Übergangsregierung, zusammengesetzt aus den gegensätzlichen Truppen, geschaffen hat. Durch die Operation ARTEMIS wurde dann dafür gesorgt, dass insbesondere im Osten des Kongo eine Grundbefriedung eingetreten ist. Nach dem Zeitplan hat es dann das Verfassungsreferendum gegeben.

   Meine Damen und Herren, was ist denn eigentlich eine nachhaltige zivile Friedenspolitik? Das ist das, was die europäische und die deutsche Entwicklungspolitik in den vergangenen Jahren im Kongo geleistet haben. Es waren Deutsche und Europäer, die beim Aufbau der Justiz mit dazu beigetragen haben, dass es inzwischen auch im Ostkongo funktionierende Gerichte gibt. Durch EUPOL - dazu gehören auch deutsche Polizisten - wurde dazu beigetragen, dass die Polizei langsam aber sicher wieder nach rechtstaatlichen Prinzipien arbeitet. Im Rahmen von EUSEC wurde seit der Operation ARTEMIS dazu beigetragen, dass die Armee demobilisiert und neu aufgestellt wurde. Wir sind aber noch längst nicht am Ende dieses Prozesses. Deutsche Entwicklungshelfer und Organisationen haben dazu beigetragen, dass es inzwischen nicht mehr 30 000, sondern weit unter 15 000 Kindersoldaten gibt. Die anderen sind demobilisiert und zurückgeführt worden, sodass sie wieder eine Chance auf eine Zukunft haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Aus Ihrer Fraktion waren keine Parlamentarier im Kongo und Sie haben nicht mit den vergewaltigten Frauen und mit den Kindern gesprochen, die dort misshandelt worden sind und einen Teil ihrer Identität verloren haben. Nur jemand, der das nicht erlebt hat, kann so sprechen, wie Sie das hier im Parlament getan haben. Das EU-Mandat im Auftrag der UN unter Führung der deutschen Bundeswehr ist ein Friedensmandat, ein Stabilisierungsmandat. Es ist eine militärische Komponente neben der zivilen Sicherung, die wir in den vergangenen Jahren bereits aufgebaut haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch eben deutlich gemacht worden, dass es auch die europäische und deutsche Beteiligung gewesen ist, die dazu geführt hat, dass friedlich und mit großer Mehrheit ein Verfassungsreferendum überhaupt erst einmal vorbereitet werden konnte. Die Europäische Union, aber auch die GTZ und die Konrad-Adenauer-Stiftung haben vor Ort für dieses Verfassungsreferendum nicht nur geworben, sondern es ist bis ins Detail hinein auch informiert worden. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe in den Gesprächen mit allen Nichtregierungsorganisationen, mit Opposition und Regierung zusammen mit meiner Kollegin Schäfer feststellen können, dass die Menschen in vielen Fällen nicht gewusst haben, worüber sie im Detail bei dieser Verfassung abstimmen. Aber die Menschen haben gewusst, dass dies die Grundvoraussetzung für Wahlen ist.

   Wir stehen jetzt am Vorabend von Entscheidungen, die dazu beitragen können, dass ein zentraler Unruheherd in Afrika befriedet wird. Keiner von uns kann eine Garantie geben. Aber wir können versuchen, die Kongolesen bei dieser zum ersten Mal stattfindenden freien und geheimen Wahl einen Anflug von Sicherheit spüren zu lassen.

   Wir sind als neutrale Partner im Kongo angesehen, weil wir keine koloniale Vergangenheit haben. Dies müssen wir in die Waagschale werfen. Deshalb bitte ich alle hier im Hause, heute bei der Abstimmung daran zu denken, dass es die Völkergemeinschaft gewesen ist, die einst dem Genozid in Ruanda tatenlos zugesehen hat. Wir haben jetzt die Gelegenheit, mit einem kurzen militärischen Einsatz einem Volk die Chance zu geben, in freier Verantwortung seine Parlamentarier und seinen Präsidenten zu wählen. Dann kommt auf uns gemeinsam die schwierige Aufgabe zu, diesen Prozess zu begleiten, weil die Hoffnungen der Bürgerinnen und Bürger enorm sind. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, nicht nach Fraktionszwang, sondern nach Ihrem Gewissen zu handeln und mit der blauen Karte abzustimmen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/1649 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation in der Demokratischen Republik Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1507 anzunehmen.

   Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Namen tragen. Es liegen inzwischen von 47 Kolleginnen und Kollegen schriftliche Erklärungen zur Abstimmung vor; die Zahl steigt ständig. Ich will zudem ausdrücklich darauf hinweisen, dass im Anschluss an die namentliche Abstimmung noch fünf weitere Abstimmungen zu diesem Thema stattfinden.

   Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist passiert. Dann eröffne ich die Abstimmung.

   Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit dem Auszählen zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

   Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze wieder einzunehmen, weil wir nun noch eine Reihe von Abstimmungen durchführen müssen.

   Wir setzen die Abstimmungen fort. Zunächst stimmen wir über die Entschließungsanträge ab.

   Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/1658? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der FDP und der Linksfraktion bei Stimmenthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

   Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1659? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung der FDP abgelehnt.

   Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1660? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses bei Zustimmung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.

   Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1661? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD bei Zustimmung der drei anderen Fraktionen abgelehnt.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 b: Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation im Kongo, Drucksachen 16/1507 und 16/1650. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 16/1522 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Dr. Michael Meister, Laurenz Meyer (Hamm), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Olaf Scholz, Ludwig Stiegler, Dr. Rainer Wend, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates

- Drucksache 16/1406 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

- Drucksache 16/1665 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Martin Zeil, Christian Ahrendt und der Fraktion der FDP

Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete Schritte gefragt

- Drucksachen 16/472, 16/1665 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rainer Wend

   Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat in seine Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1665 den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/472 mit dem Titel „Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete Schritte gefragt“ einbezogen. Über diesen Antrag soll nun ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Reihe europäischer Länder ist bereits dem niederländischen Vorbild gefolgt und hat ein System zur Messung der Bürokratiekosten eingerichtet. Dieses System ist in den Niederlanden sehr erfolgreich. Wir wollen es den Niederländern heute gleichtun. Das zeigt: Man sollte sich ruhig in Europa umschauen und das, was gut funktioniert, hemmungslos abkupfern. Unsere Intention ist, in Zukunft ein solches System in ganz Europa einzurichten.

   Die Niederlande haben sich vorgenommen, ihrer Volkswirtschaft rund 4 Milliarden Euro durch eine Senkung der Bürokratiekosten um 25 Prozent zu ersparen. Wenn wir das auf Deutschland übertragen, dann bedeutet das, dass wir eine Entlastung in Höhe von rund 20 Milliarden Euro ins Auge fassen können. Allein das zeigt, dass wir hier in einer richtigen Win-win-Situation sind; denn die Kosten, die hier abgebaut werden, müssen nicht zusätzlich aufgebracht werden. Mehr noch: Auch der Staat spart Kosten ein.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau)

   Worum geht es? Wir wollen die Bürokratiekosten, die bei natürlichen und juristischen Personen aufgrund von Informations-, Berichts- und Statistikpflichten anfallen, messen und in der Folge spürbar reduzieren. Die FDP hat vor - genauso wie im Wirtschaftsausschuss beantragt -, das auf weitere Bereiche des Bürokratieabbaus auszudehnen. Wir sind nicht dafür, weil dies den Nachteil hätte, dass die klare Definition, die wir nun gefunden haben, verwässert, unklarer würde. Dann gerieten wir wieder in politische Diskussionen, die bislang den Bürokratieabbau zu guten Teilen verhindert haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir wollen, dass sich der Nationale Normenkontrollrat sehr streng an seinen Auftrag - er ist weit genug gefasst - hält. Wir wollen nicht, dass die gute Aufgabe des Bürokratieabbaus durch Versuche - auch aus der Wirtschaft - belastet wird, unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ Veränderungen beispielsweise im Arbeitsrecht vorzunehmen. Es besteht kein Zweifel, dass darüber politisch diskutiert werden muss und dass der Änderungsbedarf groß ist. Aber das gehört nicht zur Aufgabe, die wir nun beim Nationalen Normenkontrollrat ansiedeln.

   Die Genialität des niederländischen Modells besteht gerade in seiner Einfachheit und Beschränkung. Auf diese Weise ist man dort wirklich große Schritte vorangekommen. Die niederländischen Kollegen haben uns erzählt, dass die maximale Dauer solcher Berechnungen bei vier Wochen liegt; manchmal gehe es sehr viel schneller. Ich finde deshalb, wir sollten dieses Modell im Kern in Zukunft bei allen vorliegenden Gesetzentwürfen anwenden.

   Der Normenkontrollrat soll im Bundeskanzleramt angesiedelt werden. Wir halten das für eindeutig richtig und wünschen insbesondere der Kollegin Müller viel Erfolg. Sie wird sich um diese Sache intensiv bemühen können. Durch den Druck aus dem Bundeskanzleramt sollen die Ministerien auf Trab gebracht werden. Dass die Bundeskanzlerin hierfür - auch persönlich - die Verantwortung übernimmt, ist eine wichtige Voraussetzung für den Bürokratieabbau in Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Es wurde danach gefragt, was eigentlich geprüft werden soll. Das ist im Gesetzentwurf relativ klar beschrieben: In § 4 steht, dass alle Gesetzentwürfe geprüft werden sollen, natürlich auch Entwürfe für Bundesgesetze. Wenn der Normenkontrollrat es will, kann er selbstverständlich auch Gesetzentwürfe aus der Mitte dieses Hauses prüfen. Er sollte das meiner Meinung nach auch tun.

   Wir möchten, dass zusätzlich eine Nullmessung von Bürokratiekosten vorgenommen wird; nur so können wir Veränderungen erkennen. Durch die Feststellung des Istbestandes wird eine Ausdehnung dieses Vorgehens, zum Beispiel auf die Bundesländer, erleichtert. Ich bin sicher, dass es Nachahmer geben wird - dieser Ansatz wird um sich greifen - und dass die Bundesratsinitiativen auf Dauer einbezogen werden.

   Wir wollen, dass auch die europäischen Richtlinien hier geprüft werden, und zwar schon im Entwurfsstadium. Unsere Bundesregierung soll dagegenhalten können, wenn dadurch zusätzliche Bürokratiekosten drohen. Am besten ist, man verhindert, dass solche Richtlinien überhaupt erst entstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das, was aus Brüssel gekommen ist, ist mit viel zu viel Bürokratie verbunden. Das muss nach unserer Meinung in dieser Form nicht sein. Darüber müssen wir hier diskutieren.

   Ich sage hier ganz deutlich: Es wäre uns lieber gewesen, wenn in diesem Gesetzentwurf geregelt wäre, dass die Gesetzentwürfe der Fraktionen schon im Vorstadium geprüft werden können. Die SPD-Fraktion, insbesondere wohl die Fraktionsführung, wollte das nicht - aus welchen Gründen auch immer. Ich halte das - Entschuldigung, wenn ich das so sage - für einen Ausdruck mangelnden Selbstbewusstseins.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Das wird nicht entschuldigt!)

Die Fraktionsführung sollte sich fragen, ob sie hier nicht eine Chance vergeben hat. Unser Ziel war ja, den Fraktionen die Gelegenheit zu geben, von ihnen ausgearbeitete Gesetzentwürfe schon im Entstehungsstadium prüfen zu lassen, damit sie vor der Einbringung wissen, ob sie noch Änderungen vornehmen müssen. Ich bin sicher: Die Medien und die Öffentlichkeit werden uns nicht durchgehen lassen, dass das Parlament und die Fraktionen eigene Gesetzentwürfe anders behandeln als etwa Gesetzentwürfe der Bundesregierung.

(Birgit Homburger (FDP): Genau!)

Seitens der Medien wird entsprechender Druck ausgeübt werden.

   Mit für manch einen sicherlich tröstlichen Worten will ich schließen. Einige Kollegen haben sich im Vorfeld in den Niederlanden umgesehen. Die niederländischen Kollegen haben ihnen gesagt: Ihr Deutschen macht das immer alles so perfekt. Fangt doch erst einmal an! Dann werdet ihr sehen, dass dieses Modell um sich greift und dass letztlich alle Gesetzentwürfe auf diese Weise geprüft werden. - Ich glaube schon, dass dieses Perfekt-sein-Wollen ein deutsches Problem ist. Wir sollten deshalb anfangen. Wir sollten dieses Gesetz heute verabschieden, damit die Arbeit aufgenommen werden kann, und zwar möglichst schnell und mit dem nötigen Druck. Diesen Druck wird das Parlament dem Normenkontrollrat machen. Ich wünsche dem neuen Gremium viel Erfolg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Martin Zeil für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Martin Zeil (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland ist Weltmeister, zwar noch nicht im Fußball, aber bezogen auf Regelungsdichte und Bürokratielasten. Das in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebene Ziel, die milliardenschweren Bürokratielasten abzubauen und neue zu vermeiden, ist deshalb unbestritten richtig.

   Leider haben Sie, Schwarz-Rot, in dieser Frage schon in kurzer Zeit mehrfach schwer gesündigt, was zeigt, dass selbst die besten Kontroll- und Messmechanismen, Herr Kollege Meyer, versagen, wenn die Regierungspraxis von Regelungswut, Fantasielosigkeit und Reformverweigerung geprägt bleibt.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Auch müssen wir erkennen: Bürokratieabbau ist zwar in aller Munde, aber im Konkreten oftmals äußerst mühsam, weil es auch immer um die Frage geht: Was soll und was darf der Staat?

   Unsere Fraktion hat seit Jahren Wege zum Bürokratieabbau und zur Messung von Bürokratiekosten aufgezeigt. Wir haben auch immer gesagt: Wenn Sie hier neue Wege beschreiten, wenn Sie mutig in die richtige Richtung gehen, unterstützen wir das.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Das machen wir auch!)

Leider lassen der vorliegende Gesetzentwurf und sein Werdegang nur wenig Hoffnung aufkommen. Der Wachhund „Normenkontrollrat“ droht zur ausgestopften Attrappe zu werden, noch bevor er mit der Arbeit beginnt.

(Beifall bei der FDP)

   Ich darf unsere Punkte noch einmal kurz zusammenfassen: Erstens. Die Unabhängigkeit des Rates und seine Bedeutung nehmen deutlich zu, wenn er keine reine Veranstaltung der Exekutive ist. Aus diesem Grund muss der Normenkontrollrat beim Deutschen Bundestag, bei diesem Parlament, angesiedelt werden und auch von ihm besetzt werden.

(Beifall bei der FDP)

Damit könnten wir gleichzeitig dem Bedenken Rechnung tragen, dass ein Gremium der Exekutive auch Gesetzentwürfe aus der Mitte des Parlaments würdigt.

   Zweitens. Der Normenkontrollrat muss die Möglichkeit haben, neben den Gesetzesvorhaben der Bundesregierung auch Gesetzesvorhaben aus der Mitte des Parlaments und des Bundesrates zu bewerten. Wenn Ihr Entwurf so Gesetz wird, Herr Kollege Meyer, dann sind weite Teile der Gesetzgebung von der vorbeugenden Bürokratiekostenprüfung ausgeschlossen und die Umgehung des Normenkontrollrats durch die jeweiligen Regierungsfraktionen ist vorgezeichnet.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dass vor allem die SPD die einhellige Empfehlung der Sachverständigen hierzu in den Wind geschlagen hat, liebe Kollegen, zeigt, dass man entweder Angst vor objektivem Rat hat oder die Sache insgesamt doch nicht so ernst nimmt. Weder das eine noch das andere ist ein gutes Vorzeichen für die Arbeit des Normenkontrollrats.

   Drittens. Der Begriff der Bürokratiekosten darf nicht auf die Kosten infolge von Informationspflichten beschränkt werden. Wir haben deshalb beantragt, dass alle administrativen und Erfüllungskosten Gegenstand der Stellungnahmen des Normenkontrollrats sein sollen. Nur dann, wenn wir als Gesetzgeber ein umfassendes Bild davon haben, welche Kosten unsere Entscheidungen auslösen, können wir spürbare Erfolge beim Abbau und bei der Vermeidung von Bürokratielasten erzielen.

   Die Beschränkung auf die Kosten infolge von Informationspflichten hat eine Schwäche; das zeigen auch die Erfahrungen in anderen Ländern. Dort ist zwar viel gemessen und objektiv auch einiges vereinfacht worden, aber die Betroffenen haben davon zu wenig gespürt, weil nämlich die Investitions- und sonstigen Kosten unberücksichtigt geblieben sind.

   Es ist von den Kollegen der SPD und auch der Linken die Sorge geäußert worden, der Normenkontrollrat könne, wenn seine Aufgabe umfassender sei, zu einem politischen Kampfinstrument gemacht werden.

(Ute Berg (SPD): Das haben wir wohl nie gesagt!)

Ich glaube nicht, dass das von einem richtigen Verständnis zeugt. Wenn schon jetzt Gremien in ihren Möglichkeiten beschnitten werden sollen - aus Angst vor objektiven Erkenntnissen -, dann werden dadurch nur die Vorurteile bestätigt, die es gegenüber der Politik insgesamt gibt.

(Beifall bei der FDP)

Sie entwerten mit dieser Ängstlichkeit das ganze Projekt, indem Sie dem neuen Rat mit Absicht hier nur eine abgegrenzte Spielwiese zuweisen, das Parlament nicht an der Besetzung beteiligen, sondern diese auf Regierungsebene auskungeln, und jedes Risiko, sich für Bürokratiekosten rechtfertigen zu müssen, vermeiden wollen.

   Wenn Sie diesen Gesetzentwurf unverändert lassen, handeln Sie so wie in dieser Koalition bisher immer: zu wenig, zu zaghaft, zu ängstlich. Sie reden immer gern von ersten Schritten - wir haben das auch im Ausschuss gehört -; Sie müssen aber aufpassen, dass Sie vor lauter ersten Schritten nicht dauerhaft auf der Stelle treten.

   Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Im Schneckentempo werden wir die Probleme nicht lösen. Unser Land hat weit mehr Bewegung nötig, wenn wir es mit dem Abbau von Bürokratie wirklich ernst meinen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Vizepräsidentin Petra Pau:

Bevor wir die Aussprache fortsetzen, komme ich zum Tagesordnungspunkt 3 a zurück und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation in der Demokratischen Republik Kongo bekannt: Abgegebene Stimmen 581. Mit Ja haben 440 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 135 gestimmt, es gab sechs Enthaltungen.

   Wir fahren nun in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Wend für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Rainer Wend (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich mich nur an die letzte Legislaturperiode erinnere, haben wir an dieser Stelle schon häufig über das Thema Bürokratieabbau gesprochen. Ich will nicht behaupten, dass wir bei diesem Thema nie Fortschritte erzielt hätten. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: In der Sache sind wir bisher nicht große Schritte vorangekommen.

   Kann das heute anders werden? Wir wissen es nicht. Zwei Dinge sprechen allerdings dafür: Zum einen wählen wir heute einen neuen Ansatz der Bürokratiebekämpfung. Wir nehmen uns nicht einzelne Maßnahmen vor, um Veränderungen herbeizuführen, sondern messen mit dem neuen systematischen Ansatz Bürokratiekosten nach einem Standardkostenmodell, um die Kosten anschließend reduzieren zu können. Das soll von einem unabhängigen Normenkontrollrat überprüft werden.

   Ich glaube, dass dieser Ansatz sinnvoll ist. Er wurde - das ist der zweite Grund, der für einen Erfolg spricht - bereits in den Niederlanden und anderen Ländern erfolgreich angewandt. Er vermeidet etwas, was der Kollege Meyer zu Recht angesprochen hat, nämlich dass über ein Trojanisches Pferd namens Bürokratieabbau in Wirklichkeit materielle Gesetzesänderungen durchgesetzt werden; denn nach unserem Gesetzentwurf sollen über das Standardkostenmodell ausschließlich Informationspflichten überprüft werden.

   Weil wir einen neuen systematischen Ansatz wählen, der international erfolgreich war, glaube ich, dass wir heute beim Thema Bürokratieabbau eine neue Seite im Buch aufschlagen können und Erfolge erzielen werden.

   Die Kollegen, die bisher gesprochen haben, Herr Meyer und Herr Zeil, haben angedeutet - Herr Berninger wird das gleich sicherlich auch für die Grünen tun -, dass sie heute gerne noch einen Schritt weitergekommen wären: Sie wollen auch Gesetzentwürfe aus der Mitte des Hauses einer Prüfung durch den Normenkontrollrat zugänglich machen. Ich möchte Ihnen ein Argument und zwei Befürchtungen nennen, um zu begründen, warum die Sozialdemokratie das heute so nicht mittragen wird.

   Zunächst das - ich gebe es zu - demokratietheoretische, aber, wie ich finde, beachtenswerte Argument: Der Normenkontrollrat wird zwar durch Gesetz eingesetzt; über seine personelle Zusammensetzung entscheidet jedoch die Exekutive. Das würde bei der von einigen angedachten Prüfung der Gesetzentwürfe dazu führen, dass ein von der Exekutive besetztes Gremium die Legislative, wenn auch begrenzt auf Informationspflichten, in ihrer Arbeit im Vorfeld ein Stück weit kontrolliert. Man kann das in Ordnung finden, weil wir wollen, dass nicht nur Gesetzentwürfe der Exekutive, sondern auch der Legislative überprüft werden können. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit des demokratietheoretischen Arguments, dass die Legislative vorsichtig sein muss, wenn sie von einer Institution, die durch die Exekutive bestellt wird, überprüft werden soll. Dieses sachliche Argument bitte ich ernst zu nehmen.

   Zu den zwei Befürchtungen. Die eine Befürchtung ist, dass wir immer mehr zu einer Expertokratie werden, das heißt, dass weniger das Parlament die Entscheidungen trifft, weil diese in Sachverständigengremien verlagert werden und die Sachverständigen es mit ihren geäußerten Auffassungen und Positionen der Legislative nicht immer leicht machen, da sie, auch im Zusammenhang mit Medienarbeit, Druck erzeugen. Ich glaube, dass das für diesen Normenkontrollrat nicht zutreffen muss, weil er keine allgemeine politische Kontrolle vornimmt, sondern sich - ich betone es noch einmal - auf die Überprüfung der mit Informationspflichten einhergehenden Kosten beschränkt.

   Die zweite Befürchtung ist schwerwiegender. Es wird nämlich befürchtet, dass Bürokratieabbau - gleichsam einem Trojanischen Pferd - nur vorgeschoben wird, aber der Inhalt von Gesetzen geprüft werden soll. Diese Befürchtung lässt sich aber aus dem Gesetz nicht ableiten. In § 2 Abs. 1 unseres Gesetzentwurfs heißt es nämlich:

Bürokratiekosten

- diese sollen reduziert werden -

im Sinne dieses Gesetzes sind solche, die natürlichen oder juristischen Personen durch Informationspflichten entstehen. ... Andere ... entstehende Kosten sind nicht umfasst.

Im Gesetzentwurf findet sich also kein Grund für diese Befürchtung.

   Aufgrund der politischen Debatte ist diese Befürchtung aber sehr wohl berechtigt. Ich erinnere an unsere Anhörung, auf der ein Vertreter einer Mittelstandsvereinigung erklärt hat, dass beispielsweise das Antidiskriminierungsgesetz vom Tisch wäre, wenn wir erst einen Normenkontrollrat hätten. Nun kann man über dieses Gesetz bekanntlich diskutieren, aber an geeigneter Stelle. Wenn schon Sachverständige, die nicht wissen, was in diesem Gesetz steht und was dessen Grundlage ist, die politische Debatte nutzen, um ihnen offensichtlich nicht gefallende Gesetzentwürfe über den Umweg Bürokratieabbau zu verhindern, dann muss man die von mir angesprochene Befürchtung verstehen.

   Das sind die Argumente, die die SPD bewegt haben, an dieser Stelle heute noch nicht weiter zu gehen.

   Ich sage aber auch: Dieser Normenkontrollrat hat eine großartige Chance. Er kann uns einerseits beweisen, dass er kein Gremium von Klugscheißern ist, sondern ein Gremium, das hart arbeitet, um uns zu helfen, Bürokratiekosten zu reduzieren. Er kann andererseits und vor allen Dingen im Rahmen seiner praktischen Arbeit zeigen, dass alle Befürchtungen, er könne als politisches Instrument missbraucht werden, unberechtigt sind. Daher verstehe ich das Gesetz, das wir heute verabschieden, als den Beginn eines offenen Prozesses.

   Wir wollen einen unabhängigen Normenkontrollrat, der Bürokratiekostenmessungen macht mit dem Ziel, diese Kosten zu reduzieren. Wir gehen heute einen ersten ganz wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Wir werden auswerten, wie der Normenkontrollrat arbeitet. Ich bin optimistisch, dass er eine ganz hervorragende Arbeit leisten wird. Wir werden zu prüfen haben, wie sich dieser offene Prozess, den wir heute in Gang setzen, entwickelt. Ich bin froh, dass wir heute zu einer solchen Entscheidung kommen. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Sabine Zimmermann (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich den Kollegen Wend korrigieren: Der Normenkontrollrat soll keine Messungen durchführen; das sollen die Ministerien selber machen.

   Im Koalitionsvertrag haben die beiden Regierungsparteien eine Entlastung der Bürger und der Wirtschaft von Bürokratiekosten angekündigt. Dies ist ein gutes Vorhaben, solange mit Bürokratieabbau nicht ein Abbau von sozialen Rechten und ökologischen Standards gemeint ist. Hier beginnt eigentlich das Problem.

   Zunächst einmal muss man feststellen, dass der Bürger bei Ihren Plänen überhaupt nicht mehr vorkommt. Im Gegenteil: Mit der Verschärfung von Hartz IV werden die Arbeitslosen drangsaliert, in Armut gestürzt und die Menschenwürde wird einfach mit Füßen getreten.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Sprechen Sie mal zum Thema!)

Bis zu 45 Minuten braucht ein erfahrener Sachbearbeiter, um komplizierte Anträge zu bearbeiten. Wofür? Dafür, dass 90 Prozent der Anträge abgelehnt werden, um den Menschen ein menschenwürdiges Leben vorzuenthalten. Unter dieser Bürokratie leiden die Arbeitslosen und die Sachbearbeiter der Arbeitsagenturen und der Arbeitsgemeinschaften.

   Die Koalition - das wird deutlich - vertritt eine einseitige Ansicht von Bürokratieabbau. Aber wen wundert das? Der Vorkämpfer der Union für Bürokratieabbau, Herr Norbert Röttgen, wird künftig als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie seinen Dienst antreten. Ich muss sagen: Wir werden doch keine Freunde mehr, Herr Röttgen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ein echter Verlust! - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das ist ein Lob!)

- Hören Sie mir bitte zu! - In dieser Funktion und als Abgeordneter können Sie dafür sorgen, dass Bürokratieabbau im richtigen Interesse betrieben wird, nämlich im Interesse der Wirtschaft und nicht der Menschen in diesem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

   Nun zu Ihrem Gesetzesvorschlag, den Sie heute verabschieden wollen. Sie meinen, wir haben in Deutschland zu viel Bürokratie, die die Wirtschaft fesselt. Ein wenig wundert mich das schon. Gerade die Union und die SPD tragen doch die Verantwortung für den derzeitigen Wulst an Bürokratie; denn sie waren in den letzten zehn Jahren an der Regierung. Nun wollen Sie einen so genannten Normenkontrollrat einrichten. Dessen Aufgabe soll es sein, die Kosten zu bewerten, die den Unternehmen durch staatliche Informationspflichten entstehen. Er soll Vorschläge machen, wie sie reduziert werden können.

   Die Regierung verweist mit ihrem geplanten Vorhaben auf die Erfahrungen in den Niederlanden. Danach ist dort der Bürokratieabbau äußerst erfolgreich. Deshalb will sie dieses Modell in Deutschland umsetzen. Einige Abgeordnete durften deswegen in der letzten Woche - Herr Wend hat es schon erwähnt - in die Niederlande reisen. Ich war dabei und muss sagen: Es läuft dort keineswegs so toll und erfolgreich, wie uns die Bundesregierung glauben machen will. Meine Kollegin Frau Berg von der SPD hat gestern im Ausschuss beklagt, dass die Unternehmen dort den Bürokratieabbau nicht honorieren, sondern mehr fordern. Dazu kommen kritische Stimmen, die beklagen, dass dem Bürokratieabbau der Umweltschutz oder sogar Frauenrechte zum Opfer gefallen sind. Nimmt man dies alles auf, dann muss man, vorsichtig gesagt, zu einer skeptischen Einschätzung des niederländischen Modells kommen.

   Union und SPD haben versucht, die Debatte um die Einrichtung eines Normenkontrollrates und die Frage des Bürokratieabbaus zu entpolitisieren, frei nach dem Motto: Es geht nur darum, einige überflüssige Vorschriften zu streichen. Erst auf Druck der Opposition hat dann eine Anhörung stattgefunden.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Das ist mir aber neu!)

Dort hat unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund die Sorge geäußert, dass hier möglicherweise Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, beispielsweise beim Arbeitsschutz und beim Datenschutz, abgebaut werden können. Einige Wirtschaftsvertreter haben das erschreckend deutlich bestätigt, als sie das Antidiskriminierungsgesetz oder das Betriebsverfassungsgesetz - Herr Wend, Sie waren dabei - als ein Projekt für den Bürokratieabbau benannten.

   Interessant ist, dass dieses Problem auch in der SPD wahrgenommen wird. Herr Wend, Sie räumen ehrlich ein, dass solche Äußerungen das Misstrauen nähren, dass es im Hinblick auf den Normenkontrollrat nicht nur darum geht, Informations- und Dokumentationspflichten zu nennen, sondern auch darum, mit politischer Absicht Gesetze zu verhindern. In den letzten Jahren ergriffen einige Bundesländer verschiedene Initiativen zum Bürokratieabbau. Stets hieß es: Soziale Rechte, Umweltschutzvorschriften und die Bürgerbeteiligung fallen dem Bürokratieabbau nicht zum Opfer. Oftmals stiegen jedoch Umweltverbände und Gewerkschaften aus diesen Vorhaben aus, weil genau das passierte.

   Kollege Wend meint, dass dies mit dem Gesetzentwurf nicht beabsichtigt ist.

(Dr. Rainer Wend (SPD): Steht vor allem nicht drin!)

Er weiß aber, dass diese Begehrlichkeiten existieren. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie denn daraus? Dieses Problem hätte sich im Gesetzentwurf zumindest widerspiegeln müssen. Aber es war davon leider nichts zu lesen.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Zum Glück nichts zu lesen!)

Auch nach einer Antwort auf die Frage, warum Verbraucherverbände, Gewerkschaften und Sozialverbände nicht einbezogen werden sollen, sucht man vergeblich. Die Linke hat grundsätzliche Zweifel an dem geplanten Bürokratieabbau. Wenn davon gesprochen wird, ist meist Deregulierung gemeint.

   Wir sind dafür, die Verwaltung effektiver zu organisieren. Auch die Erfüllung von Informationspflichten kann sicherlich effektiver gestaltet werden. Aber das darf eben nicht bedeuten, gesellschaftlich notwendige Regelungen abzubauen. Wir schlagen deshalb vor, statt eines Normenkontrollrates eine interministerielle Arbeitsgruppe für eine rationelle Verwaltung einzurichten. Diese soll die Informationsgewinnung effektiver machen, aber keinen einseitigen Abbau vorschlagen.

   Zum Schluss muss ich feststellen, dass Sie alle beim Bürokratieabbau das Lied des Neoliberalismus singen.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): So ein Unfug!)

Wir werden unsere Partner am kommenden Samstag in Berlin außerhalb des Parlaments treffen, wenn Arbeitslose, Gewerkschafter und viele andere gegen die asoziale Reformpolitik der großen Koalition auf die Straße gehen werden.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und lade Sie herzlich ein, am Sonnabend dabei zu sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Der Kollege Matthias Berninger hat für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.

Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Zimmermann, so einfach kann man es sich nicht machen.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Sehr wahr!)

Wenn ein Handwerker zu einer Bank geht - wo auch immer in Deutschland - und sich Geld leihen möchte, weil er vielleicht investieren will, möglicherweise sogar Arbeitsplätze sichern oder schaffen will, infolge von Gesetzen und Verordnungen durch seine Bank mit einem Wust von entsprechenden Informationspflichten belastet wird, weil man an einer anderen Stelle gedacht hat, eine vernünftige Finanzaufsicht brauche diese Informationen, und dann möglicherweise den Kredit nicht bekommt, ist den vielen Arbeitslosen in Deutschland überhaupt nicht gedient. Das ist Bürokratie, die Arbeitsplätze abbaut bzw. deren Schaffung verhindert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das hat nichts mit Neoliberalismus, sondern sehr viel mit gesundem Menschenverstand zu tun.

   Dem sozialen, ökologischen Anliegen oder dem Gender Mainstreaming wird man auch nicht dadurch gerecht, dass man jedes Gesetz, weil es eben ein Gesetz für einen bestimmten Bereich ist, pauschal für gut hält. Gerade die Bereiche, die uns wichtig sind, wie Bürgerrechte, Datenschutz, Umweltschutz und soziale Standards, werden nur dann dauerhaft Bestand haben, wenn sie in modernen Gesetzen abgesichert sind. Von daher halte ich es für falsch, dass die Opposition versucht, den Bürokratieabbau in einer pauschalen Art und Weise zu diffamieren, wie Sie das nicht nur heute versuchen. Ich glaube, dass Bürokratieabbau dringend Not tut.

   Ich glaube auch, dass sowohl der Regierung als auch der Opposition in diesem Haus klar ist, dass die Bundesrepublik Deutschland mit den bisherigen Instrumenten nicht die notwendigen Fortschritte gemacht hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Insofern ist es nur richtig, dass wir uns in den Ländern der Europäischen Union umschauen. Es ist auch folgerichtig, dass wir dabei in den Niederlanden angekommen sind. Diese haben zwei Dinge gemacht: Sie haben erstens etwas Neues gemacht und zweitens - auch das ist deutlich geworden - damit durchaus Erfolge gehabt.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Richtig!)

   Jetzt wird gesagt: Die Unternehmen aber sind vom Stamme Nimm und hätten gern immer noch mehr. Wir machen den Bürokratieabbau aber nicht, damit uns Unternehmer oder Unternehmensinteressenverbände zufrieden loben. Wenn irgendjemand in diesem Hause seine Politik darauf ausrichten würde, dass die Unternehmer am Ende des Tages zufrieden sind und nicht noch mehr fordern, könnte er nach Hause gehen. Wir würden nie glücklich und zufrieden werden.

   In der Sache sind die Kosten für Bürokratie in den Niederlanden reduziert worden, und zwar durch drei Elemente: Erstens. Man versucht, die Kosten für Bürokratie zu ermitteln, vergleichbar zu machen, um im Gesetzgebungsverfahren sagen zu können: Dieses Gesetz führt auf der einen Seite zu folgenden Informationen und verursacht auf der anderen Seite folgende Kosten. - Ich denke, es ist notwendig, den Bürokratieabbau auf diese Ebene zu bringen und - vergleichbar mit der Haushaltspolitik - für eine Kostenreduzierung Sorge zu tragen.

   Zweitens. Ein weiteres Element des niederländischen Vorgehens ist Konsens. Konsens bedeutet, dass das niederländische Parlament das Vorgehen mit großer Mehrheit unterstützt hat. Unsere letzte politische Debatte ging ja auch in diese Richtung. Es gab Redner - ich zitiere sie mit Rücksicht auf die Kollegen nicht; der Kollege Röttgen ist heute schon ausreichend bedacht worden -, die angeboten haben, Änderungsvorschläge der Opposition aufzunehmen. Die Änderungsvorschläge, die im Wesentlichen von der FDP und dem Bündnis 90/Die Grünen stammen, decken sich mit den Vorschlägen, die in der Anhörung unterbreitet wurden, decken sich mit dem, was die Wirtschaftsexperten der Unionsfraktion fordern, und mit dem, was die Wirtschaftsexperten der SPD-Fraktion fordern.

   Dummerweise decken sie sich nicht mit dem, was der Fraktionsvorsitzende Struck darüber denkt, und zwar aus zwei Gründen: Der eine Grund ist die Angst, dass der Normenkontrollrat übermächtig wird. Meine Güte! Die große Koalition hat eine breite Mehrheit und angeblich ein breites Kreuz. Ihre Nerven müssen ja sehr blank liegen, wenn man eine solche Angst vor einem solchen Gremium hat. Wenn ein Wirtschaftssachverständiger, der - wie er das immer macht - das Antidiskriminierungsgesetz, das inzwischen auch die Union für sinnvoll hält, für falsch hält, da seine alten Thesen vertritt, muss man sich nicht ängstlich verstecken.

   Der zweite Grund ist, dass man in der SPD mit dem Bürokratieabbau nicht ganz so ernst macht, wie manche das hier gesagt haben. Das größte Problem des Bürokratieabbaus und der Strategie der Bundesregierung ist, dass die beteiligten Ressorts nicht unbedingt gemeinsam und in dieselbe Richtung arbeiten. Ich habe die Ressortegoismen selber erlebt. Ich habe diesen Krieg um die Gartenzwerge in den Vorgärten selber mitgemacht. Ich glaube, wir müssen da herauskommen. Es bedarf eines Mentalitätswechsels, wenn wir die Bürokratie erfolgreich abbauen wollen. Das funktioniert nur dann, wenn man mit Mut und Entschlossenheit und nicht mit Hasenfüßigkeit herangeht. Herr Struck hat sich für etwas anderes entschieden. Das ist ein schlechtes Omen für die weitere Arbeit des Normenkontrollrats.

   Was hat er abgelehnt? Er hat erstens abgelehnt, dass auch Vorschläge aus dem Parlament in die Arbeit einbezogen werden. Dieses Parlament ist der Gesetzgeber und nicht der Gesetzentgegennehmer. Ich finde, es steht diesem Parlament sehr gut an, dass auch seine Vorschläge einer solchen Prüfung unterzogen werden.

(Martin Zeil (FDP): So ist es!)

Nur dann ergibt es wirklich einen Sinn. Das ist aber nicht gewollt worden. Das ist nicht nur eine demokratietheoretische Frage, sondern auch eine demokratiepraktische Frage. Natürlich hätte man, indem man das Parlament an der Auswahl der Sachverständigen im Normenkontrollrat beteiligt, auch das Problem lösen können, dass jemand anderer sozusagen die Schiedsrichter über uns bestimmt. Das wäre überhaupt kein Problem gewesen, wenn man es gewollt hätte.

   Das Zweite, was abgelehnt wurde, ist die Ausweitung des Tätigkeitsbereichs. Der Kollege Wend hat die Enge des Gartens, in dem der Normenkontrollrat grasen darf, angesprochen. Das ist gemessen an der gesamten Wiese Bürokratie schon viel. Davon kann man als Kuh gut satt werden. Ich habe Expertise, was Kühe angeht. Das Grundproblem aber ist: Wenn der Normenkontrollrat getreu dem chinesischen Sprichwort, dass jede lange Reise mit einem ersten Schritt beginnt, in diesem Bereich erfolgreich ist, dann müsste anschließend dieses Parlament ein Gesetzgebungsverfahren starten, damit der Normenkontrollrat mehr machen kann. Das halte ich für aberwitzig und irrsinnig.

(Beifall des Abg. Martin Zeil (FDP))

Ein selbstbewusstes Parlament hätte gesagt: Der Normenkontrollrat soll damit anfangen und wenn er noch weitere Punkte findet, bei denen Bürokratiekosten zu reduzieren sind, dann soll er auch links und rechts neben dem Zaun grasen dürfen. - Das hat die SPD verhindert. Das bedauern wir als Grüne sehr, weil wir glauben, dass am Ende des Tages hier eine Chance vertan worden sein wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

   Ich will noch einen dritten Punkt nennen. Die Niederländer haben dem Normenkontrollrat ein parlamentarisches Gremium zur Seite gestellt. Wir haben in der Haushaltspolitik den Haushaltsausschuss. Die Kollegen können gerade nicht hier sein, weil sie in einer Bereinigungssitzung darüber brüten, ob all die Vorschläge der verschiedenen Experten finanzierbar sind. Das ist ein schwieriger Job. Haushälter sind nicht sehr beliebt, vor allem dann nicht, wenn sie Geld streichen müssen. Die Erfahrung lehrt aber, dass es eines Gremiums bedarf, das das Gesamtinteresse im Auge hat und nicht die jeweiligen Fachgebiete isoliert betrachtet.

   So verhält es sich auch mit dem Bürokratieabbau. Dieses Parlament braucht - das ist unsere feste Überzeugung - einen eigenen Ausschuss für Bürokratieabbau, damit nicht das passiert, was diese Woche passiert ist. Am Montag hatten wir eine Anhörung zum Thema Bürokratieabbau. Am Dienstag gab es eine Anhörung im Finanzausschuss, an deren Ende was stand? Die Vorschriften für Banken, die Informationspflichten für kleine Unternehmen, die Kredite haben wollen, enthalten und diese belasten, sind von 80 Seiten auf 150 Seiten angewachsen, weil das Bundesfinanzministerium das eine macht und andere Ministerien das andere machen. So verhindern wir nicht nur Bürokratieabbau, sondern machen wir uns auch unglaubwürdig. So belasten wir die Unternehmen und am Ende die Menschen mit Kosten, die vermeidbar wären, wenn die eine Hand wüsste, was die andere macht. Dazu kann dieses Parlament mehr beitragen als mit der heutigen Entscheidung zu einem, wie ich finde, unzureichenden Normenkontrollrat.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): War eigentlich nicht schlecht, die Rede!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Bundesregierung erhält der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte das Wort.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Deutschland muss besser sein, wo es teurer als andere ist, und es muss schneller sein. Nichts kann so effizient, ohne dass Haushaltsmittel erforderlich sind, bei der Verfolgung dieses Programms eingesetzt werden wie wirkungsvoller Bürokratieabbau. Bürokratie ist teuer und verlangsamt und genau diese beiden Elemente wollen wir bekämpfen.

   Wir tun mit der Einrichtung dieses Normenkontrollrats und mit dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz - es wird ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz kommen - das, was wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, konsequenter als jemals zuvor, höherrangiger als jemals zuvor und gründlicher als jemals zuvor. Wir gehen systematisch vor, wie wir es noch nie getan haben. Eigentlich müssen wir uns als Parlament und Regierung fragen, warum wir das eigentlich nicht schon immer gemacht haben. Wir tun etwas, was absolut normal und notwendig ist. Deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen, wenn bei einem solchen normalen Vorgehen gegen eine Geißel, die unsere ganze Gesellschaft lähmt, die überbordende Bürokratie, sofort Bedenken geäußert werden. Eigentlich kann man das doch nur positiv annehmen und sagen: Nun lasst uns vorangehen und es probieren! Man kann doch nicht gleich wieder sagen: Ihr wollt über die Hintertür alle Inhalte verändern. Ich habe, auch im Namen der Bundesregierung, immer wieder erklärt: Wir wissen sehr wohl, dass wir nur dann glaubwürdig und effektiv sind, wenn wir nicht durch die Hintertür, unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus, Inhalte verändern wollen, die in die politische Debatte und nicht in die Bürokratiedebatte gehören. Das ist nicht unser Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Wenn wir uns darüber verständigt haben, brauchen wir auch keine Angst vor einer Expertokratie zu haben; Herr Wend, Sie haben das Argument erwähnt. Es gehört zu den vornehmen Rechten und Pflichten des Gesetzgebers, alles Fachwissen zusammenzutragen, um eine vernünftige Entscheidung treffen zu können. Dazu gehört auch das Fachwissen darüber, wie wir bei neuen und bestehenden Gesetzen unnötige Bürokratie vermeiden. Es ist doch völlig normal, dass man sich diesem Prozess unterwirft.

   Wenn wir das jetzt beschlossen haben, werden wir einen Standard bekommen - das werden wir erleben -, den wir in der Gesetzgebungsarbeit gar nicht mehr wegdenken können. Es ist das gute Recht einer jeden Fraktion, die Regierung zu bitten, ihr mitzuteilen, welcher Bürokratieaufwand mit einer Gesetzesinitiative verbunden ist. Die Regierung müsste antworten. Wenn sie einen Normenkontrollrat hat, wird sie sich bemühen, das Fachwissen des Normenkontrollrats bei der Beantwortung dieser Frage heranzuziehen. Stellen Sie sich doch den Wettbewerb der Fraktionen vor! Eine Fraktion sagt: Ich habe da einen Gesetzentwurf, möchte ihn aber nicht auf den Bürokratieaufwand hin überprüfen lassen. - Diese Fraktion ist durch diese Vorgehensweise doch öffentlich gebrandmarkt, weil die Menschen wollen, dass wir möglichst jeden Weg nutzen, um das, was wir politisch wollen, mit so wenig Bürokratie umzusetzen, wie es eben geht.

   Wir haben keine Angst vor Fachleuten. Es wird Entscheidungen geben, bei denen uns der Normenkontrollrat sagt: Das ist zu viel Bürokratie. Wir werden möglicherweise sagen, dass wir es aus anderen, politischen Gründen dennoch machen. Was erreicht werden muss, ist Transparenz. Wir müssen endlich wissen, wie viel Bürokratieaufwand mit den Gesetzen, die wir beschließen, verbunden ist. Diesen Aspekt haben wir in der Vergangenheit alle miteinander sträflich vernachlässigt. Unter unseren Gesetzentwürfen stand: Kosten: Keine. Bürokratie: Keine. - Keiner hat wirklich hingeschaut.

   Insofern machen wir uns die Gesetzgebungsarbeit bewusst schwerer. Das ist nur vernünftig.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Richtig!)

Ich warne davor, zu sagen: Die fangen gleich wieder mit ein paar Bürokraten an, die das zu steuern und zu verwalten haben. Es bleibt dabei: Gegen Bürokraten helfen am Ende nur Bürokraten, so wie man gegen Soldaten schließlich hin und wieder auch Soldaten einsetzen muss. Es geht nicht anders.

   Wir wollen die Bürokratie schon bei uns bekämpfen. Wir wollen vermeiden, dass sie überhaupt beim Bürger ankommt und dann in einem mühsamen Prozess wieder auf die Politikebene zurückgespült wird. Wir wollen sie im Entstehungsprozess bekämpfen. Das macht Gesetzgebungsarbeit schwerer und an der einen oder anderen Stelle sogar etwas bürokratischer. Ich denke aber, eine Verlangsamung und eine Erhöhung der Gründlichkeit unserer Gesetzgebungsarbeit mit Blick auf die Frage der Bürokratie sind vernünftig und geboten. Das ist besser, als wenn wir die Bürokratie beim Bürger ankommen lassen, weil wir Gesetzesvorhaben nicht entsprechend geprüft haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das ist die Vorgehensweise. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit diesem Gesetz in die Gänge kommen, dass das jetzt schnell passiert, dass es eine große Akzeptanz erfahren wird und wir alle miteinander erleben werden, wie nützlich es für die Gesetzgebungsarbeit ist. Wenn dieser erste Test bestanden ist, sehe ich keinen Grund, warum wir es nicht ausweiten sollten. Immer sofort alles machen zu wollen, ist möglicherweise nicht klug.

   Lasst uns jetzt diese Schneise schlagen, die ersten Schritte des Weges gehen! Ich bin sicher, dass wir ganz schnell sehr erfolgreich an dem Thema arbeiten können. Das wird eine Daueraufgabe bleiben. Es wird immer wieder Unzufriedenheiten geben. Es wird nie den Zustand der Seligkeit geben. Wenn wir aber die Nulllinie bestimmt haben, wenn wir ein geschnürtes Paket auf den Tisch legen und sagen: „Davon wollen wir 20 oder 25 Prozent abbauen!“, dann haben wir uns den Erfolg ins Stammbuch geschrieben und haben uns sozusagen die Rute vor den Hintern gebunden. Dann müssen wir bei dem Thema erfolgreich sein. Das wollen wir. Es lohnt sich. Lieber Michael Fuchs, wir werden sorgfältig darauf achten. Wenn es zu wenig wird, legen wir nach. Wir lassen uns vom Parlament gerne daran erinnern, dass man ein bisschen mutiger vorgehen kann.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die FDP-Fraktion erhält die Kollegin Birgit Homburger das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Birgit Homburger (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürokratie ist die Pest des modernen Staates und sie muss konsequent bekämpft werden. Die Bürokratiekosten in Deutschland haben 46 Milliarden Euro erreicht. Tatsächlich bedeutet das eine ganz massive Belastung der kleinen und mittleren Betriebe, des Mittelstandes, der Betriebe, die insbesondere die Arbeits- und Ausbildungsplätze in diesem Land schaffen. Denn das Institut für Mittelstandsforschung hat errechnet, dass für ein Unternehmen, das diesen Bürokratiewust bewältigen muss, pro Arbeitsplatz in einem Großbetrieb 350 Euro und in einem Kleinbetrieb 4 500 Euro pro Jahr an Belastung anfallen. Das ist eine Ungleichbehandlung der kleinen und mittleren Betriebe, die nicht länger hingenommen werden kann.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb ist der Bürokratieabbau gerade für Handwerk, Mittelstand und freie Berufe zu einer Überlebensfrage geworden. Die FDP hat deshalb schon lange einen Bürokratiekosten-TÜV in diesem Hause gefordert. Das ist allerdings nur ein erster Schritt.

   Heute diskutieren wir über einen Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Normenkontrollrats. Ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass dies wieder nur halbherzig angegangen wird. Herr Kollege Schauerte, die Rede, die Sie hier gehalten haben, lässt wirklich nichts Gutes ahnen. Sie haben über die Besetzung des Normenkontrollrats gesprochen und erklärt, Bürokratie könne man nur mit Bürokraten begegnen. Das ist das Prinzip: Wir trocknen den Sumpf mit den Fröschen aus, die drin sitzen. Das funktioniert doch nicht.

(Beifall bei der FDP)

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass wir bei der Zusammensetzung des Normenkontrollrats darauf achten, dass externer Sachverstand einbezogen wird. Das ist eigentlich so vorgesehen. Ich hoffe, dass es so passiert und die entsprechenden Persönlichkeiten ausgewählt werden.

   Die Bürokratiekosten, die durch den Normenkontrollrat überprüft werden dürfen, sind auf solche beschränkt, die sich aufgrund von Informationspflichten ergeben. Das heißt, so kostenträchtige Beschlüsse wie die Vorverlegung der Fälligkeit der Sozialversicherungsabgaben, die dazu führt, dass die Betriebe jetzt regelmäßig zwei Abrechnungen machen müssen - eine am Ende des Monats und eine am Beginn des nächsten Monats -,

(Gudrun Kopp (FDP): Katastrophal!)

was zu geschätzten Kostenbelastungen in Höhe von 3 bis 5 Milliarden Euro jährlich für Betriebe und Krankenkassen führt, hätten mit diesem Gesetz zum Normenkontrollrat gar nicht erst überprüft werden können. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

(Beifall bei der FDP)

   Sie, Herr Schauerte, sagen: Aber es entsteht ein politischer Druck und wenn ein politischer Druck entsteht, kann man auch etwas anderes überprüfen lassen als das, was das Gesetz vorsieht. Dann frage ich mich: Warum schreiben Sie das, wenn Sie es denn wollen, nicht einfach gleich ins Gesetz? Dann hätten Sie es doch gleich richtig machen können; dann hätte man einen richtigen Schritt in Richtung Bürokratieabbau gemacht.

(Beifall bei der FDP)

   Wir haben, wie das Institut für Mittelstandsforschung sagt, fünf große Kostenblöcke: zu kompliziertes Steuer- bzw. Abgabenrecht, zu kompliziertes Sozialversicherungsrecht, zu kompliziertes Arbeitsrecht, zu kompliziertes Umweltrecht und zu viele Statistiken. Für einen Großteil dieser Kostenblöcke werden Sie mit diesem Gesetz keine Überprüfung erreichen. Deswegen ist die Konzeption, die Sie hier vorlegen, alles andere als richtig.

(Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Das stimmt! Das muss man auch anders machen!)

Damit wird der Normenkontrollrat zu einem zahnlosen Tiger. Das wird den Betrieben nicht helfen.

(Beifall bei der FDP - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Sie haben es nicht verstanden!)

   Ich komme zum Schluss. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass wir mit dem Normenkontrollrat vielleicht einen ersten Schritt in die richtige Richtung machen. Aber Sie von den Koalitionsfraktionen haben keinerlei Grund, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Es bleibt viel zu tun. Der Normenkontrollrat hat nicht das Recht, alles zu prüfen, was er für richtig hält. Er bekommt sogar vorgeschrieben, wie er zu prüfen hat. Das alles bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.

   Deshalb werden wir vonseiten der FDP-Bundestagsfraktion diesem Gesetzentwurf leider nicht zustimmen können. Weil wir aber deutlich machen wollen, dass wir eine solche Einrichtung grundsätzlich befürworten, werden wir uns der Stimme enthalten.

(Beifall bei der FDP - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das ist aber anständig!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die SPD-Fraktion erhält das Wort die Kollegin Ute Berg.

Ute Berg (SPD):

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Präsidentin! Herr Röttgen, Sie haben neulich den Normenkontrollrat als Wachhund bezeichnet, der dann bellen soll, wenn zu hohe Bürokratiekosten drohen. Nun haben wir gerade gehört, dass dieser so genannte Wachhund von einigen, zum Beispiel von Ihnen, Frau Homburger, als zahnloser Tiger bezeichnet wird. Von anderen wird er als gefährlicher Pitbull an die Wand gemalt.

   Ich würde vorschlagen, wir einigen uns auf einen anderen Vergleich, der den Skeptikern vielleicht eher die Möglichkeit gibt, ihre Angst zu überwinden: Einigen wir uns auf einen Vergleich mit der Gans. Sie ist bekanntlich der beste Wächter. Mit heftigen Flügelschlägen und lautem Geschnatter reagiert sie auf Bedrohungen, aber sie greift niemanden an, der sich ihr nähert.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Ein schönes Bild! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Aber sie ist doch virusgefährlich! - Martin Zeil (FDP): In Zeiten der Vogelgrippe ist das aber ein gefährliches Bild, Frau Kollegin!)

   Die Vorbehalte gegenüber dem Normenkontrollrat, die teilweise bestehen, sind, jedenfalls aus meiner Sicht, unbegründet. Das geplante Gremium hat zwar einen, wie ich finde, durchaus abschreckenden Namen, ist aber dem erprobten und bewährten Modell Actal der Niederlande nachempfunden.

   Mit einigen Kolleginnen und Kollegen - das wurde schon erwähnt - waren wir kürzlich in Den Haag, um uns dieses Modell direkt vor Ort anzuschauen. Die Niederlande haben mit ihrem Kontrollrat, dem Actal, der das Standardkostenmodell anwendet, bemerkenswerte Erfolge erzielt, und alle Fraktionen unterstützen Actal einmütig.

   Noch einmal kurz zur Erinnerung: Die Niederlande haben gemessen, dass ihrer Wirtschaft jährlich allein durch Informationspflichten Kosten von mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entstehen. Das entspricht einem Volumen von gut 16 Milliarden Euro jährlich. Bei uns wären das hochgerechnet bis zu 80 Milliarden Euro, so die Schätzung von Experten bei der Anhörung am Montag.

   Die niederländische Regierung hat nun beschlossen, bis zum Jahr 2007 25 Prozent der Belastungen, also etwa 4 Milliarden Euro pro Jahr, abzubauen. Nach ersten Schätzungen wirtschaftswissenschaftlicher Institute sind bereits 20 Prozent erreicht. Das heißt aber mitnichten - auch das wurde hier schon erwähnt -, dass sich die Wirtschaft sehr zufrieden gezeigt hätte. Ganz im Gegenteil - das haben unsere holländischen Kolleginnen und Kollegen im Übrigen übereinstimmend berichtet -, es gab die üblichen Kommentare: nicht schnell genug, nicht umfassend genug usw. Aber das kennen wir ja: Verbesserungen werden kommentarlos abgehakt, Folgeforderungen hingegen lautstark erhoben. Davon sollten wir uns aber nicht demotivieren lassen.

   Der Erfolg der Niederlande hat in der Europäischen Union bereits viele Nachahmer gefunden: Dänemark, Großbritannien, Schweden, Norwegen und Belgien haben schon mit der Messung von Bürokratiekosten auf Basis des Standardkostenmodells begonnen. Die OECD empfiehlt das Modell nachdrücklich.

   Auch bei uns soll es nun angewendet werden. Dabei - das betone ich - werden nur die Kosten gemessen, die Unternehmen durch Informationspflichten entstehen, die bundesgesetzlich vorgeschrieben sind, also zum Beispiel die Kosten, die durch das Erstellen von Berichten, das Ausfüllen von Anträgen oder das Beibringen von Nachweisen und Belegen entstehen.

   Das Messverfahren selbst ist standardisiert, damit man mit angemessenem Aufwand zu eindeutig zurechenbaren Daten kommen kann. Dadurch wird transparent, wie hoch tatsächlich die Kosten sind, die durch in Bundesgesetzen und -regelungen enthaltene Informationspflichten entstehen - eine wichtige Voraussetzung, um wirklich überbordender Bürokratie entgegenwirken zu können.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns alle einig: Es ist gut, überflüssige Bürokratie abzubauen. Noch besser ist es aber, von vornherein zu vermeiden, dass überhaupt erst unnötige Bürokratie entsteht. Auch dazu kann der Normenkontrollrat beitragen.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Sehr richtig!)

   Ich betone, dass wirklich nur überflüssige Bürokratie gemeint ist. Es gibt natürlich auch Informationspflichten, die den Unternehmen in der Praxis zwar Umstände bereiten, die aber notwendig sind und nicht einfach zum Zweck der Arbeitsentlastung und der Kosteneinsparung abgeschafft werden sollten. Auch hier wurden schon die Ängste geäußert, dass zum Beispiel Arbeitsschutzbestimmungen und soziale oder ökologische Regelungen beeinträchtigt werden könnten.

   Diese Furcht ist meines Erachtens unbegründet. Der Normenkontrollrat hat sich nämlich nicht zu inhaltlichen Aspekten und zu politischen Fragen zu äußern, sondern ausschließlich zu überprüfen, welche Belastungen durch Informationspflichten entstehen. Damit zwingt er die Regierung, darüber nachzudenken, ob sie ein Gesetzesziel nicht effizienter erreichen kann als ursprünglich geplant. Das ist ausdrücklich gewollt.

   Noch einmal: Der Normenkontrollrat ist definitiv kein politisches Entscheidungs-, sondern ein unabhängiges Beratungsgremium. Die politische Entscheidung, ob entstehende Kosten notwendig und gerechtfertigt sind, fällt nach wie vor das Parlament; da sollten wir auch selbstbewusst an die Sache herangehen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Absicht ist es, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von Bürokratiekosten zu entlasten, und zwar mit dem Ziel, mehr Raum für Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen. Mit dem Normenkontrollrat, wie er jetzt angelegt ist, haben wir ein Instrument dafür.

   Ich wende mich abschließend noch einmal an die, denen das, was wir jetzt beschließen wollen, nicht weit genug geht. Herr Berninger, dass Sie daraus den Schluss ziehen wollen, jetzt komplett gegen die Einrichtung dieses Gremiums zu stimmen, kann ich absolut nicht nachempfinden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Tja!)

Halten Sie es doch mit den Holländern, die die Diskussion in Deutschland nicht begreifen und die auf dem Standpunkt stehen, dass es wichtig ist, überhaupt anzufangen. Dann kann man peu à peu - durch Erfolg - überzeugen. Weiterentwickeln kann man ein solches System schließlich immer noch. Packen wir es also einfach an!

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Zeil (FDP))

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Unionsfraktion erhält das Wort der Kollege Franz Obermeier.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist vieles Richtige gesagt worden; nur einiges von der linken Seite ist wenig akzeptabel. „Kosten: keine“ steht in den meisten Gesetzentwürfen, über die wir in diesem Hohen Hause beraten, und wenn Kostenermittlungen oder -aussagen im Gesetzgebungsverfahren gemacht werden, dann geht es in aller Regel um verwaltungsinterne Kosten, etwa Kosten der Vollzugsbehörden, aber wenig bis gar nicht um die Kosten derjenigen, die die Gesetze zu vollziehen haben.

   Nun wollen wir heute den Normenkontrollrat installieren. Ich bin überzeugt, dass dieser Normenkontrollrat allen Unkenrufen zum Trotz substanzielle Wirkung haben kann. Ich möchte mit ein paar Worten auf das eingehen, was Herr Zeil gesagt hat. Herr Zeil, dieses Haus sollte eigentlich dankbar sein, dass wir diesen Schritt jetzt gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Martin Zeil (FDP): Ich bin ein durch und durch dankbarer Mensch!)

Denn wenn man irgendwohin geht, ist es entscheidend, in welche Richtung man geht, und wir sind uns doch einig, dass die Richtung eindeutig stimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie uns jetzt bitte nicht darüber streiten, wie wir den Normenkontrollrat besetzen. Frau Homburger, das Beispiel mit den Fröschen passt hier nicht so ganz - es muss so nicht kommen. Herr Zeil, natürlich hätte man sich einige Dinge klarer wünschen können, aber entscheidend ist immer noch, was wir hier im Parlament aus der Arbeit des Normenkontrollrats machen.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Norbert-Kontrollrat!)

Natürlich wissen wir genau, dass die Bürokratie neben den Kosten, die sie in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten verursacht hat, auch eine psychologische Wirkung auf die Betriebe, auf die Unternehmen, auf die Entscheidungsträger hat. Wenn junge Absolventen sich überlegen, ob sie sich mit ihrer Idee selbstständig machen sollen, und sich mit der Bürokratie, die ihnen hier bevorsteht, vertraut machen, schrecken sie in aller Regel zurück und arbeiten lieber weiter dort, wo sie bisher gearbeitet haben; so weit zum Wissenschaftsstandort.

   Herr Berninger, was Sie hier ausgeführt haben, das ist schon toll.

(Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Danke! - Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich erinnere mich an Ihre Zeit als Regierungsmitglied: Was Sie in Ihrem Funktionsbereich im Ministerium an Bürokratiesünden begangen haben, spottet jeder Beschreibung

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Martin Zeil (FDP): Ihr aber auch!)

und lässt Sie persönlich höchst unglaubwürdig erscheinen, wenn Sie Verbesserungsvorschläge zu diesem Normenkontrollrat machen. Wenn ich Sie sehe, hier im Parlament und draußen,

(Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Hier im Parlament und draußen“!)

dann muss ich immer denken: Draufsatteln! Sie stehen als Synonym dafür, dass europäische Richtlinien bei der Umsetzung in deutsche Gesetze mit zusätzlichem Ballast versehen werden - und jetzt kommen ausgerechnet Sie daher und machen uns Vorschläge zur Deregulierung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich noch etwas zur Europapolitik sagen. Selbstverständlich ist es zwingend notwendig, dass wir uns frühzeitig in die Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union einbringen und schon frühzeitig auf die Inhalte der Richtlinien Einfluss nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Der Normenkontrollrat wird seine Aufgabe wahrnehmen. Ich hege nicht die Besorgnis, dass es zu einer Übersteuerung kommen wird. Wichtig ist, dass der Normenkontrollrat bei seiner Prüfung, ob die Gesetze, die von Bundestag und Bundesregierung eingebracht werden, nachteilige Wirkungen haben, konkret nachvollziehbare Aussagen macht, die als richtig anerkannt werden können. Die Qualität seiner Arbeit ist meiner Auffassung nach ganz entscheidend.

   Mit der Entbürokratisierung zielen wir natürlich besonders auf die Entlastung der kleinen und mittelständischen Betriebe. Ich als Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir bei diesem Gesetz und bei allen folgenden Gesetzen besonders die Belange der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Blick haben; denn vor allem diese leiden darunter, dass sie mit zusätzlichen Kosten belastet werden. Sie können nämlich die ihnen übertragenen Aufgaben oft nicht selbst erledigen und müssen sie an Dritte vergeben. Der Normenkontrollrat sollte besonders die Auswirkungen der Gesetze, die die kleinen und mittelständischen Unternehmen betreffen, im Auge haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich wünsche dem Normenkontrollrat eine gute Arbeitsaufnahme und hoffe, dass wir hier im Parlament seine Arbeit positiv begleiten werden.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Als letzter Redner in dieser Debatte erhält das Wort der Kollege Dr. Carl-Christian Dressel für die SPD-Fraktion.

Dr. Carl-Christian Dressel (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, zu Beginn meiner Rede feststellen zu können, dass wir alle im Ziel übereinstimmen: Wir alle wollen, dass Bürokratie in unserem Land reduziert wird.

   Da Verwaltung, wie schon Max Weber feststellte, entweder bürokratisch oder dilettantisch ist, hat die Verwaltung nur dann die Gelegenheit, effizient zu sein, wenn wir als Gesetzgeber bereits unsere Gesetze auf die Verursachung von Bürokratie hin überprüfen lassen. Die Verursachung von Bürokratie muss rechtfertigungsbedürftig werden.

   Dabei gehen wir mit der Einrichtung eines Normenkontrollrates den richtigen Weg. Er prüft, ob das von der Regierung eingebrachte Gesetz bei der Verwirklichung des politisch angestrebten Ziels zu viel Bürokratie hervorruft. Überprüft wird also nicht das politische Ziel, sondern die Auswirkung des Mittels.

   Frau Kollegin Homburger von der FDP, niemand hat bislang deutlicher gemacht als Sie in Ihrer Rede vorhin, dass Ihre Zielrichtung nicht die Überprüfung des Mittels ist, sondern die Überprüfung des politischen Ziels. Sie wollen eine zwar neutrale, aber nichtsdestoweniger politisch arbeitende Behörde, die die politische Tätigkeit von Parlament und Regierung überprüft. Das darf es nicht sein. Für mich ist klar: Was Sie unter Bürokratieabbau verstehen, ist und bleibt der Abbau von Schutzrechten, von Beteiligungsrechten und damit der Abbau des Sozialstaats insgesamt.

(Beifall bei der SPD - Birgit Homburger (FDP): So ein Quatsch! Ich will nur gesunden Menschenverstand! - Martin Zeil (FDP): Nicht wieder die alte Leier!)

- Es tut mir Leid, wenn es Sie stört. So, wie Sie stets denselben Antrag stellen, muss man auf den Antrag immer wieder dieselben Worte entgegnen.

(Martin Zeil (FDP): Der war neu!)

   Kollege Berninger, es wäre wenig hilfreich, wenn wir jetzt an die Stelle von Bürokratie eine Bürokratieabbaubehörde oder eine ganze Bürokratieabbaubürokratie setzten. Das wäre nicht zielführend.

   Ebenso wenig zielführend ist es, jetzt einige Fallen aufzustellen:

   Meine Damen und Herren, in der Diskussion über den Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates haben wir ausreichend über verfassungsrechtliche Probleme gesprochen. Ich sage - ich denke, als Mitglied des Rechtsausschusses muss ich dazu berufen sein -: Dieser Gesetzentwurf ist und bleibt verfassungsgemäß; denn die Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Legislative und die Organisationsgewalt der Bundesregierung werden nicht eingeschränkt und der Normenkontrollrat ist ausreichend demokratisch legitimiert, was sich aus § 3 des Gesetzentwurfs ergibt. Wenn wir allerdings, wie teilweise aus der Opposition gefordert, auch die Gesetzentwürfe aus den Reihen der Fraktionen dieses Hauses obligatorisch durch den Nationalen Normenkontrollrat überprüfen ließen, so wären Sie die Ersten - diese Prognose erlaube ich mir -, die beim Bundesverfassungsgericht wegen einer verfassungswidrigen Einschränkung des Gesetzesinitiativrechts anklopfen würden.

   Das Ziel, das wir verfolgen, sollte uns gemeinsam dazu bringen, diesem Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates zuzustimmen. Dabei geht es nicht um den Abbau von Schutz- und Beteiligungsrechten, sondern um die Einführung einer Behörde, die aufgrund eines anerkannt erfolgreichen Verfahrens Gesetze hinsichtlich ihrer bürokratischen Auswirkungen überprüft und damit eine reale Chance bietet, die Bürokratie in unserem Land zu mindern.

   Meine Damen und Herren des Hohen Hauses, lassen Sie uns diese gemeinsame Chance nutzen und stimmen Sie dem Gesetzentwurf bitte zu.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrats. Dieser Gesetzentwurf findet sich auf der Drucksache 16/1406.

   Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/1665, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Abstimmungsergebnis angenommen.

   Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/472 mit dem Titel „Bürokratieabbau - Jetzt sind konkrete Schritte gefragt“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Ablehnung der Antragsteller angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 37. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, 01. Juni 2006,
veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16037
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