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04/2002
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Aktuelles

Kleine Ermunterung, sich auf Abwege zu begeben

Der Geschichtsausstellung "Wege, Irrwege, Umwege" im Deutschen Dom kann man sich ganz unterschiedlich nähern. Sie bietet Raum für eigene Inszenierungen.

Der Deutschen Dom am Berliner Gendarmenmarkt

Seit dem 16. April gibt es im Deutschen Dom am Berliner Gendarmenmarkt eine neue Ausstellung zu sehen. Ihr Thema: die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Die Ausstellung schließt an die frühere Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte" an, die nach über 30 Jahren beendet wurde.

Jede Ausstellung, auch die im Deutschen Dom, macht sich ein Werk zu eigen. In diesem Fall ist das Werk durch den vorerst abstrakten Begriff "Parlamentarismus" beschrieben.

Es sei dringend geboten gewesen, Parlamentsgeschichte in einer eigenen Ausstellung darzustellen, schreibt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Vorwort zum Ausstellungskatalog. Kann man Parlamentsgeschichte darstellen? Gibt es Bilder, die berühren, Texte, die interessieren, Formen und Formate, mit denen das vielleicht schon Bekannte spannend und neu zusammengefügt wird? Ja, lautet die Antwort. Und dass die Antwort positiv ausfällt, ist das Verdienst derer, die dieses Anliegen des Bundestages umgesetzt haben: Inhaltlich steht dafür der Historiker Lothar Gall, gestalterisch der Ausstellungsarchitekt und Bühnenbildner Hans Dieter Schaal.

Die Geschichtsausstellung im Deutschen Dom

Durch die Historie des Parlamentarismus kann man sich im Dom von unten nach oben oder umgekehrt arbeiten. Man steigt die Treppen hinauf, zählt die Stufen, weil das in Türmen jeglicher Art ein innerer Zwang zu sein scheint, und begibt sich nach rechts oder links auf den nächsten Rundgang. Die einfachste Möglichkeit ist noch jene, den auf dem Fußboden aufgebrachten Pfeilen zu folgen. Das dient der Orientierung und schenkt einem eine wohl durchdachte Chronologie des Sehens und Lesens dazu: Vor- und Frühparlamentarismus und die Revolution von 1848, das kaiserliche Deutschland, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, das geteilte Deutschland, das vereinte Deutschland.

Die Geschichtsausstellung im Deutschen Dom

Man kann aber auch erwägen, sich auf Abwege zu begeben, den Rundgängen zu folgen und dabei seine ganz eigene Frage im Kopf haben, auf die Suche nach Bildern und Entdeckung von Wörtern zu gehen, selbstbestimmten Regeln zu folgen, die Gruppe zu verlassen, um sie erst am Ausgang wieder zu treffen und zu sagen: "Ist euch aufgefallen, dass die Männer auf den Bildern so selten lachen?"

Für den Rundgang sind zum Beispiel diese Varianten denkbar:

Variante 1: Die Frauen
Das wird über lange Zeiträume ein mühseliges Unterfangen. Wer die Frauen sucht, findet sie zunächst nur als Allegorie. Die Freiheit ist ein Weib, und Germania ist es auch. Die Bünde, die Studentenvereinigungen, die Kongresse, die Landwehr, die Fürsten, die Kämpfer, die Clubs, die Revolutionäre, die Deputationen - die Geschichte des Parlamentarismus präsentiert sich zu Beginn und für lange Zeit als Geschichte von Männern. 574 von ihnen zogen am 31. März 1848 in die Frankfurter Paulskirche ein. Bärte und Zylinder und Uniformen prägen die Bilder. Es ist ein weiter Weg, auch durch die Ausstellung, bis die Frauen nicht mehr Freiheit oder Germania heißen. Aber er lohnt sich.

Variante 2: Die Wörter
Dass eine Ausstellung textlastig ist, kann kein Vorwurf mehr sein. Eine Ausstellung, in der gelesen werden muss, verdient höchsten Respekt. Jenseits der Vermittlung von Fakten, der Möglichkeit, innezuhalten und durch Lesen und Hören zu erfahren, haben die Wörter in der Ausstellung im Deutschen Dom noch einen ganz besonderen Reiz: Sie lassen die Historie politischer Sprache und Polemik lebendig werden. Sie sind martialisch, naiv, überschwänglich, Furcht einflößend, dumm, klug, vernichtend, hoffnungsvoll - sie beschreiben Verwirrungen und Fortschritte, die der Parlamentarismus in seiner Geschichte vollzog. Man kann sie bewundern oder vor ihnen zurückschrecken.

Variante 3: Die Medien
Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, politisches "Fernsehen" gibt es nicht erst seit dem vergangenen Jahrhundert. Das Zeitalter der Medien hat früher begonnen. Es ist spannend, zu verfolgen, wie Staaten, ihre Repräsentanten und Kritiker im Laufe der Zeiten versuchen, sich darzustellen, oder wie solch abstraktes Ding wie Politik dargestellt wurde. Gemalte Bilder wurden durch fotografierte Bilder abgelöst, durch bewegte Bilder vervollständigt. Das ist eine kleine und spannende Nebengeschichte, die die Ausstellung erzählt. Man steht vor üppigen Gemälden, meisterlichen oder stümperhaften Zeichnungen, deren dokumentarischer Wert die Qualität übertrifft. Man sieht die ersten Fotografien, hört die ersten Tondokumente zum Thema, lächelt über alte Filmaufnahmen, befindet sich irgendwann in Interaktion mit einem Computer - Blickkontakt wird durch Tastendruck, Tastendruck durch Touchscreen abgelöst. Man kann für sich entscheiden, ob das Ölgemälde "Kanzler Bülow spricht" aus dem Jahre 1902 spannender ist als die Übertragung der Bundestagsdebatte aus dem Jahre 1989.

Variante 4: Die Menschen
Traurige Studenten mit traurigem Hund im Jahre 1814, von Adolph Menzel 1848 gemalte Urwähler, säbelrasselnde Männer bei der Kaiserproklamation 1871, für das Frauenwahlrecht demonstrierende Männer 1919, hungernde sowjetische Kriegsgefangene 1941, Nachkriegskanzler mit dem künftigen Wirtschaftswunderkanzler 1960, Ostberliner Obstverkäuferin 1965, Demons-tranten am 4. November 1989... Es gibt hunderte Geschichten hinter der Geschichte, Biografien, Schicksale, Höhenflüge, Abstürze. Die Geschichte des Parlamentarismus ist letztlich auch die

Die Geschichtsausstellung im Deutschen Dom

Geschichte von Parlamentariern und Parlamentarierinnen oder eben die Geschichte ihrer Abwesenheit. Man könnte, nur zum Beispiel, am Ende ganz schnell noch einmal durch alle sechs Ebenen der Ausstellung fegen, um sich all jene Bilder herauszusuchen, auf denen jene abgebildet sind, die gewählt wurden, und jene, die gewählt haben und auf denen die Orte gezeigt werden, an denen sie sich trafen und treffen: Rednerpulte, Barrikaden, Runde

Tische, Paraden, Besuchertribünen, Balkone und Plätze, Verhandlungstische, Diskussionsrunden, Demonstrationen, Zwiegespräche, Massenkundgebungen, Plenarsäle. Das ist dann eine ganz eigene und neue Erzählung.

Eine Ausstellung, die all diese Möglichkeiten bietet, ist eine gute Ausstellung. Sie passt in die Stadt Berlin.

Text: Kathrin Gerlof

Fotos: Siegfried Büker

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Öffnungszeiten:

Dienstag: 10 bis 22 Uhr; Mittwoch bis Sonntag und an Feiertagen: 10 bis 18 Uhr, in den

Monaten Juni, Juli und August: 10 bis 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Führungen für Einzelbesucher täglich um 11 und um 13 Uhr. Für Gruppenführungen ist vorherige Anmeldung notwendig. Kontaktadresse: Ausstellungsbüro PI 5, Tel: 030-227 304 31/432/433, Fax: 030-227 304 38

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Ausstellungskatalog:

Begleitend zur Ausstellung ist ein reich illustrierter Katalog erschienen.

10,00 Euro (inkl. CD-Rom 13,00 Euro)

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2002/bp0204/0204096a
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