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15. Wahlperiode
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   23. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 10. März 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74 a, 75, 84, 85, 87 c, 91 a, 91 b, 93, 98, 104 a, 104 b, 105, 107, 109, 125 a, 125 b, 125 c, 143 c)

- Drucksache 16/813 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Föderalismusreform-Begleitgesetzes

- Drucksache 16/814 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute beginnen wir mit der parlamentarischen Beratung des größten deutschen Reformvorhabens in den letzten Jahren.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh, oh!)

- Ich gehe davon aus, dass sich die Grünen noch daran erinnern, dass sie an den Beratungen zu diesem Reformwerk mit beteiligt waren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): An den richtigen Stellen!)

   Wir beginnen mit den Beratungen dieses Reformwerks gleichzeitig in Bundestag und Bundesrat. Denn Bund und Länder haben dieses Reformwerk gemeinsam erarbeitet und auf den Weg gebracht. In der Vergangenheit gab es viele Anläufe zu dieser notwendigen Reform. Sie sind bisher alle gescheitert.

   Heute aber legen wir ein Ergebnis vor, ein Ergebnis, das die föderale Ordnung unseres Landes zukunftsfähig macht. Unser Land braucht diese Reform. Wir werden den globalen Wettbewerb nicht bestehen, wenn wir uns weiterhin langwierige und komplizierte Gesetzgebungsverfahren leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Hin und Her zwischen Bundestag und Bundesrat hat uns in der Vergangenheit oft genug blockiert. Es hat uns langsamer und schwerfälliger gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Mit der Föderalismusreform befreien wir uns von dieser Selbstblockade. Wir gewinnen an gesetzgeberischer Handlungsfähigkeit; wir gewinnen an Gestaltungskraft. Dies brauchen wir in dieser Zeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Nur mit dieser Reform können wir das Veränderungstempo der Globalisierung mitgehen. Nur mit dieser Reform werden wir von Getriebenen zu Antreibern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Bei vielen Entscheidungen, die zwischen Bundestag und Bundesrat mühsam ausgehandelt wurden - ich weiß, wovon ich rede; denn ich war drei Jahre Mitglied des Vermittlungsausschusses -, war nachher oft nicht mehr klar, wer wofür die Verantwortung trägt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir selbst im Deutschen Bundestag haben uns oft darüber gewundert, wie ein Gesetz ausgesehen hat, das wir im Bundestag verabschiedet haben, nachdem es aus dem Vermittlungsausschuss erneut in den Bundestag gekommen ist. Das wird so nicht mehr stattfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Föderalismusreform schafft wieder mehr Klarheit. Sie weist Kompetenzen eindeutig zu und macht deutlich, wo die Länder und wo der Bund Verantwortung tragen. Deshalb stärkt eine Reform des föderalen Systems, wie sie heute vorgelegt wird, unsere Demokratie.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich nehmen damit die Gesetzgebungskompetenzen der Länder zu. Aber ganz entgegen manchen Befürchtungen, die geäußert werden, schwächen wir damit nicht den Bund; wir stärken ihn vielmehr. Viele Entscheidungen können wir nun hier im Deutschen Bundestag endgültig ohne Zustimmung der Länder treffen. Das, was in der Öffentlichkeit und in manchen Kommentaren in den Medien immer wieder als Kuhhandel bezeichnet wird, wird zukünftig nicht mehr stattfinden. Durch die Föderalismusreform entflechten wir unser politisches System und davon profitieren beide: Bund und Länder.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir als Union haben uns schon immer für das Prinzip der Subsidiarität stark gemacht. Das ist keine abstrakte Theorie, sondern ein Grundsatz, der besagt, dass Entscheidungen auf der Ebene gefällt werden sollen, auf der die Sachverhalte am besten beurteilt werden können. Das, was Länder oder Kommunen besser regeln können, soll auch von den Ländern und Kommunen geregelt werden. In der Praxis sind wir diesem Grundsatz nicht mehr ausreichend gerecht geworden. Mit der Föderalismusreform stärken wir den Gedanken der Subsidiarität.

   Entscheidend ist, sich vom rein theoretischen Ansatz zu verabschieden. Mit der Föderalismusreform und der Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips bringen wir die Politik wieder näher an die Menschen heran. Entscheidungen werden zukünftig dort gefällt, wo die Menschen mitreden können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Von der Föderalismusreform, die wir heute einleiten, geht eine Botschaft an Europa, an Brüssel aus. Auch dort muss das Prinzip der Subsidiarität wieder stärker beachtet werden. In Brüssel soll nur das geregelt werden, was wir in den Nationalstaaten nicht selber regeln können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Mit der Föderalismusreform fördern wir den Wettbewerb zwischen den Ländern und das ist gut so. Nur für die Zaghaften und Mutlosen ist Wettbewerb etwas Negatives. Nur diejenigen, die sich nichts zutrauen, versuchen, den Wettbewerb zu verhindern. Wir trauen uns aber etwas zu, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wettbewerb zwischen den Ländern heißt: Künftig setzt der Beste den Maßstab. Nur so kommt unser Land voran. Wir dürfen unser Heil nicht im Mittelmaß suchen. Unser Land braucht Exzellenz. Wettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren für Exzellenz. Eine Stärkung des Wettbewerbs zwischen den Ländern wird mehr zum Bürokratieabbau und zur Vereinfachung von Verwaltungsverfahren beitragen als jede theoretische Ankündigung zu diesem Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Beifall bei der FDP)

   PISA ist kein Schock, sondern ein Weckruf, es den erfolgreichen Ländern gleich zu tun, und zwar im Wettbewerb der Länder innerhalb Deutschlands, aber auch in Europa. Im Korsett des einheitlichen Mittelmaßes hätte sich kein Land erfolgreich profilieren können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Für die Freiheit, in bestimmten Fragen eigene Wege zu gehen und eigene Lösungen zu entwickeln, sind die Länder bereit, auf Einfluss im Bund zu verzichten. Die Reform macht daher etwas wahr, was viele nicht mehr für möglich gehalten haben. „Deutschland lässt sich doch reformieren“, titelte die „Neue Zürcher Zeitung“ vor einigen Tagen zur Föderalismusreform. Manchmal müssen wir uns vom Ausland daran erinnern lassen, dass wir nur mit Zuversicht, nicht aber mit Bedenken weiterkommen. Für uns sollte zu Beginn der Debatte im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen das Wort von Tucholsky nicht gelten, der einmal gesagt hat: Wenn der Deutsche nichts mehr hat, Bedenken hat er immer noch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Meinen Sie Herrn Platzeck?)

- Ich glaube, Herr Kollege Westerwelle, dass diesen Hinweis jeder verstanden hat, der ihn verstehen soll.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Tatsächlich sind wir mit der Reformgesetzgebung einer großen Herausforderung gerecht geworden. Denn es ging nicht darum, eine Position des Bundes zu formulieren; es ging vielmehr darum, gemeinsam mit den Ländern eine von beiden Seiten getragene Lösung zu finden. Auch die Länder waren sich nicht von vornherein in jeder Frage einig.

   Natürlich handelt es sich bei dem, was wir heute vorlegen, um einen Kompromiss. Was ich immer wieder höre und lese, nämlich dass der Bund einseitig seine Vorstellungen hätte durchsetzen können, zeugt nicht von Realismus. Wenn wir zwischen Bundestag und Bundesrat eine gemeinsame Lösung erarbeiten wollen, sollen und in diesem Fall auch müssen, dann wird sich nicht einer auf Kosten des anderen zu 100 Prozent durchsetzen können. Das hat mit Realität nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Bei jeder einzelnen Frage haben wir deshalb das Für und Wider abgewogen. Wir sind zu Ergebnissen gekommen, die sich sehen lassen können und von Bund und Ländern gemeinsam getragen werden.

   Lassen Sie mich ein paar Hinweise zu dem geben, was die Föderalismusreform ausmacht. Wir reduzieren die Vetorechte der Länder. Gleichzeitig stärken wir ihre Gesetzgebungskompetenz. Den Kommunen dürfen in Bundesgesetzen künftig keine Aufgaben mehr übertragen werden. Damit stärken wir das Prinzip der Konnexität; ganz einfach gesagt: Wer bestellt, bezahlt in Zukunft auch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Organisations- und die Personalhoheit der Länder werden gestärkt. Ich halte es für einen ganz zentralen Punkt, dass der Bund eine neue Gesetzgebungskompetenz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus erhält.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ein Blick in das Gesetz erleichtert die Rechtsfindung und auch die Tatsachenerkenntnis. Deswegen möchte ich hier sagen: Wer in die Gesetze hineinschaut, wird erkennen, dass das, was wir uns vorgenommen haben, möglich wird. Durch die Föderalismusreform wird nämlich ein Umweltgesetzbuch des Bundes möglich. Das werden wir schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ha, ha!)

- Frau Künast,

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guten Morgen!)

die Wortkaskade „Ha, ha!“ habe ich wohl vernommen. Aber soweit ich mich erinnern kann, ist dieses Umweltgesetzbuch in Ihrer Regierungszeit nicht in Kraft getreten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und wer hat es im Bundesrat abgelehnt?)

- Frau Künast, Sie sollten einmal zuhören, manchmal kann man etwas lernen.

   Ein besonderer Stellenwert kommt dem Bereich der Bildung zu.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!)

Im Bereich Bildung und Hochschulen können die Länder ihre schon bestehenden Kompetenzen - manchmal bekommt man den Eindruck, als ob die Verantwortung für die Bildungspolitik bisher ausschließlich beim Bund gelegen hätte und jetzt auf einmal auf die Länder übertragen werden soll; wir waren noch nie für die Grundschulen in Deutschland zuständig - abrunden.

   Dass wir hier zu klaren Entscheidungen kommen, ist zwingend notwendig. In keinem Land in Europa gibt es so viel staatliche Einflussnahme auf das Bildungssystem wie in Deutschland. Daran krankt unser System.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ha, ha!)

Wir können uns einen lähmenden Streit zwischen Bund und Ländern in diesen Fragen nicht länger leisten. Sie wissen aus Ihrer Regierungszeit: Immer wieder mussten wir Streit vor dem Bundesverfassungsgericht klären. Das wollen wir in Zukunft nicht mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Jetzt geht es um mehr Wettbewerb und weniger Zentralismus. Die Föderalismusreform muss Wettbewerb möglich machen und dazu führen, dass unsere Universitäten mehr Freiheit erhalten. Bei diesem Wettbewerb geht es nicht nur um einen Vergleich der Länder untereinander; es geht um den Wettbewerb zwischen den einzelnen Universitäten. Bildung und Wissenschaft - das wissen wir - kennen keine Grenzen. Der Wettbewerb, den ich mir vorstelle, besteht zwischen München und Harvard, zwischen Heidelberg und Cambridge, zwischen Aachen und der ETH in Zürich. In diesem Wettbewerb werden unsere Universitäten aber nur bestehen können, wenn wir ihnen die Freiheit dazu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Der Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern in den vergangenen Jahren hat uns nicht weitergeholfen. Deshalb führt die Föderalismusreform zu einer notwendigen Entflechtung. Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wird beendet. Der Bund lässt die Länder aber nicht allein. Das hat die Bundesbildungsministerin Frau Schavan klar und deutlich gesagt. Die gemeinsame Förderung von Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten wird in der Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderung fortgeführt.

   Wenn wir etwas dringend brauchen, um Arbeitsplätze schaffen und die Zukunft unseres Landes sichern zu können, dann ist es Forschungsförderung in großem Umfang. Daran wird der Bund beteiligt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Deswegen ist diese Föderalismusreform auch eine Konzentration auf Aufgaben. Eine solche Konzentration auf Aufgaben tut in dieser Zeit mehr Not, als mancher glaubt. Das wurde in den Diskussionen über die Frage, ob wir die Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderung von Bund und Ländern weiterhin betreiben, auch nie bestritten.

   In den vergangenen Tagen ist hier, unter den Kolleginnen und Kollegen, in den Fraktionen, in der Öffentlichkeit und in den Medien viel darüber gesprochen worden, ob das Paket Föderalismusreform noch aufgeschnürt und verändert werden kann. Das Verfahren, in das wir heute mit der ersten Lesung eintreten, ist ein Gesetzgebungsverfahren wie jedes andere auch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

- Ich bin einigermaßen überrascht, dass das solche Begeisterung auslöst.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich sind Änderungen an dem vorliegenden Entwurf denkbar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Selbstverständlich werden wir eine ordentliche Expertenanhörung zu diesem großen Reformwerk durchführen.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hatten wir gestern schon!)

- Augenblick, Sie sollten immer erst zuhören. - Das wird keine Schaufensterveranstaltung sein.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das Problem ist, hier ist jeder Experte!)

- Herr Gerhardt, davon können Sie von der FDP wahrhaftig ein Lied singen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ihre Fraktion hat vor lauter Experten manchmal Probleme zusammenzufinden. Das wollen wir aber jetzt nicht weiter diskutieren.

   Klar muss sein: Entscheidungen des Bundestages allein reichen nicht aus. Jede Regelung muss von Bundestag und Bundesrat gemeinsam getragen werden, und zwar mit verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer das vergisst, der hat übersehen, dass wir es hierbei mit einem besonderen Verfahren zu tun haben. Zu glauben, es reiche aus, zu sagen, man habe einen Wunsch und dieser könne umgesetzt werden, das hat mit der Realität dieses Verfahrens zwischen Bundestag und Bundesrat überhaupt nichts zu tun. Darin liegt unsere besondere Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ein bisschen mehr Beifall, Genossen! - Gegenruf des Abg. Olaf Scholz (SPD): Kommt noch!)

   Herr Kollege Westerwelle, ich stelle das, was ich vorhin gesagt habe, ganz bewusst noch in einen anderen Zusammenhang. Wer um die vielen gescheiterten Anläufe zu einer Föderalismusreform weiß - das sage ich auch dem einen oder anderen Kollegen in den Koalitionsfraktionen -, wird das vorliegende Ergebnis umso höher einschätzen und sich darüber bewusst sein, welche Verantwortung in dieser Frage im Gesetzgebungsverfahren auf uns zukommt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Föderalismusreform ist kein Stückwerk. Sie ist ein Meilenstein in der Gesetzgebung. Sie stärkt unsere bundesstaatliche Ordnung und macht sie zukunftsfähig. Sie ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.

   Unser Land braucht die Föderalismusreform. Deshalb bitte ich Sie: Helfen Sie alle mit, dass es diesmal gelingt!

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Burgbacher, FDP-Fraktion.

Ernst Burgbacher (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kauder, Sie haben gerade gesagt: Wir müssen das Veränderungstempo der Globalisierung mitgehen. Das ist richtig. Dann haben Sie vom größten deutschen Reformvorhaben geredet. Auch das ist richtig. Ein Vorhaben war das. Was aber jetzt auf dem Tisch liegt und was dabei herausgekommen ist, ist eigentlich eine mutlose Reform, die weit hinter den Erwartungen der Fachleute und der staunenden Öffentlichkeit zurückbleibt.

(Beifall bei der FDP - Dr. Peter Struck (SPD): Ach! Nein, nein!)

   Wir als FDP haben schon zu Beginn des Verfahrens immer kritisiert, dass bei der Konstruktion der Föderalismuskommission Fehler gemacht wurden. Damals haben wir gesagt: Eine solche Reform aus den eigenen Reihen schultern zu wollen, wird schwierig. Das hat sich bestätigt. Wir haben uns damals für den Konvent ausgesprochen. Denn es ist nun einmal schwierig, die Frösche damit zu beauftragen, den Sumpf trocken zu legen. Ich glaube, das Ergebnis, das jetzt auf dem Tisch liegt, bestätigt diese Einschätzung.

(Beifall bei der FDP - Volker Kauder (CDU/CSU): Aber auch Frösche haben ein Lebensrecht!)

   Auch wir haben über ein Jahr lang konstruktiv an den Beratungen der Föderalismuskommission teilgenommen und versucht, etwas zu bewegen.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Ja, genau! Sie waren auch dabei! Das wollte ich gerade sagen!)

Dort, verehrter Herr Kollege Röttgen, haben wir allerdings auch miterlebt, zu welcher Erbsenzählerei es in den Projektgruppen manchmal kam: Die Beteiligten saßen teilweise mit einem Taschenrechner da und haben gerechnet: „Was kostet es mich und was bringt es mir?“, ohne dabei auch zu fragen: „Was müssen wir eigentlich tun, um den großen Wurf zu erreichen?“ Diesen großen Wurf vermissen wir auch in den Gesetzentwürfen, die heute auf dem Tisch liegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich denke, heute kann und muss man feststellen: Es war ein Fehler, wichtige Bereiche auszugrenzen und zu tabuisieren. Hier denke ich zum Beispiel an die Reform der Finanzbeziehungen und an das Thema Länderneugliederung. Es war falsch, diese Bereiche völlig außen vor zu lassen. Wie Sie sich sicherlich erinnern, haben wir in den Beratungen der Kommission den Vorschlag eingebracht, wenigstens den Art. 29 des Grundgesetzes so zu ändern, dass eine Länderneugliederung, wenn sie denn von unten gewollt ist, erleichtert wird. Aber selbst das haben Sie unter Berufung darauf, das gehöre nicht zum Arbeitsauftrag der Kommission, abgelehnt. Das war ein Fehler. Wir hätten diese Themen offensiver angehen müssen. Dann würde heute auch ein anderes Ergebnis vorliegen.

(Beifall bei der FDP - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hätten Sie doch machen können! Also bitte!)

- Verehrte Frau Künast, das haben wir in der Kommission zweimal beantragt; aber es wurde von ihrer Mehrheit unter Berufung auf ihren Einsetzungsauftrag abgelehnt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja, genau! So war das!)

So sind nun einmal die Tatsachen.

   Da ich gerade von der Kommission spreche, gestatten Sie mir bitte, mich bei denjenigen zu bedanken, die uns wesentlich unterstützt haben: bei den hervorragenden Experten, die die Arbeit der Kommission mit viel Einsatz begleitet und auch gehofft haben, dass als Ergebnis der Beratungen etwas mehr herauskommt. Diesen Experten möchte ich von dieser Stelle aus für ihre Arbeit ganz herzlich danken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Die FDP hat sich von dieser „Mutter aller Reformen“, wie sie der bayerische Ministerpräsident Stoiber genannt hat, wesentlich mehr erwartet - mich wundert übrigens, dass er heute nicht hier ist -

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Er ist doch heute im Bundesrat! Das müssten Sie aber wissen! Vielleicht denken Sie mal ein bisschen nach!)

- Entschuldigung, Herr Ramsauer; das war kein Angriff -, nämlich eine deutliche Stärkung der Parlamente sowie eine deutlichere Entflechtung der Zuständigkeiten mit einer sinnvollen Neuordnung der Kompetenzen und vor allem einer stärkeren Einbeziehung des Subsidiaritätsprinzips. Das ist nur ansatzweise, aber viel zu wenig gelungen. Das Grundproblem besteht unserer Meinung nach darin, dass das Ziel, in Deutschland wieder mehr Wettbewerbsföderalismus zu schaffen, wirklich nur ansatzweise erreicht wurde.

Dieser Wettbewerb wurde von manchen in einer Weise dargestellt, die mich nur wundern kann. Ich erinnere mich, dass Frau Kollegin Sager immer vom „entfesselten Wettbewerb“ geredet und ihn sehr negativ dargestellt hat. Welche Auffassung von Wettbewerb wurde bei Ihnen eigentlich da deutlich? Gerade durch Wettbewerb ist die Bundesrepublik Deutschland wieder hochgekommen. Durch Wettbewerb sind wir wieder zu Wohlstand gekommen. Unser heutiges Problem ist nicht, dass wir zu viel Wettbewerb hätten, unser Problem ist: Wir haben zu wenig Wettbewerb. Das müssen wir korrigieren.

(Beifall bei der FDP)

   Viele haben ein völlig falsches Verständnis von Wettbewerb. Die heute ärmeren Länder zum Beispiel meinen, sie würden unter Wettbewerb prinzipiell leiden. Das ist doch nicht der Fall. Wir wollen einen Wettbewerb, um die besten Möglichkeiten zu finden. Wir wollen Wettbewerb, weil Föderalismus für uns nicht Gleichmacherei, sondern Vielfalt bedeutet, und aus dieser Vielfalt heraus können wir die besten Ergebnisse für unser Land erzielen. Das muss die Richtung sein.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Burgbacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sager?

Ernst Burgbacher (FDP):

Sehr gerne.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Burgbacher, Sie hatten mich nach meinem Verständnis von Wettbewerb gefragt. Ich frage Sie: Stimmen Sie mit mir darin überein, dass Wettbewerb in Deutschland in erster Linie zwischen Unternehmen stattfinden sollte und nicht darin bestehen sollte, für diese Unternehmen möglichst viele unterschiedliche Gesetze zu machen? Stimmen Sie mit mir darin überein, dass in Deutschland ein Wettbewerb zwischen den Bildungseinrichtungen stattfinden muss und nicht darin bestehen sollte, dass die Länder für die Bildungseinrichtungen möglichst viele unterschiedliche Gesetze machen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ernst Burgbacher (FDP):

Verehrte Kollegin Sager, schon Ihre Fragestellung zeigt den Denkfehler, den Sie machen. Ich will Ihnen an nur einem einzigen Beispiel zeigen, wozu Wettbewerb in der Bildung führen kann: Das Land Baden-Württemberg hat vor vielen Jahren die Berufsakademien eingeführt, das Erfolgsmodell schlechthin bei uns im Land. Das konnte Baden-Württemberg, weil hier Wettbewerb besteht. Wäre der Bund zuständig gewesen, hätten wir noch heute keine Berufsakademien und wären für viele Leute um einiges ärmer. Das ist eine Tatsache.Deshalb will ich Wettbewerb.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn so etwas schon geht, warum müssen Sie dann etwas ändern?)

   Meine Damen und Herren, wir haben bei dieser Reform zu viele kleine Schritte gemacht. Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt - ich zitiere -:

Überraschen wir uns deshalb damit, dass wir die großen Fragen nicht immer aufgegliedert nach Einzelfragen und -interessen angehen, sondern einmal im Zusammenhang.

Die Erfüllung dieser Überraschung ist wünschenswert und ich kann nur hoffen, dass dieses Hohe Haus die Kraft findet, aus den vorliegenden Gesetzentwürfen jetzt auch dieses große Ganze zu machen und sich nicht in Einzelfragen zu verheddern. Wir als FDP werden daran sehr konstruktiv mitwirken; da können Sie sicher sein.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr gut!)

   Es gibt aber Punkte, die man wirklich anders hätte angehen und lösen können. Herr Kollege Kauder, Sie haben über Bildung und über Kompetenzverteilung geredet. Warum haben wir immer nur gefragt, wie wir Kompetenzen zwischen Bund und Ländern verteilen? Warum haben wir die Fragestellung nicht erweitert? Wir haben als FDP den Antrag eingebracht, in der Föderalismuskommission zu beschließen, die Autonomie der Hochschulen ins Grundgesetz zu schreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Damit hätten wir einen deutlichen Schritt nach vorn getan. Denn wenn wir die Hochschulautonomie ins Grundgesetz geschrieben hätten, hätten wir uns einen Teil der Diskussion über die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sparen können. Ich habe nicht verstanden, warum die großen Fraktionen nicht den Mut hatten, dem zuzustimmen; wir hätten es uns damit in einigen Punkten wesentlich erleichtert.

(Beifall bei der FDP)

   Wir als FDP-Fraktion haben nach wie vor Bedenken, was die Beziehungen zwischen Bund und Kommunen anbetrifft. Nach der aktuellen Formulierung darf der Bund keine Aufgaben an die Kommunen übertragen. Die große Mehrheit hat sich aber geweigert, das Konnexitätsprinzip - wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch - aufzunehmen. Ich sage wie der Deutsche Städtetag und die kommunalen Spitzenorganisationen: Es gibt große Zweifel an der Praktikabilität der vorgesehenen Regelung. Es kann durchaus Fälle geben, in denen es vernünftig ist, dass der Bund Aufgaben an die Kommunen überträgt. Dann muss er aber auch das Geld dafür bereitstellen. Deswegen werden wir noch einmal beantragen, das Konnexitätsprinzip im Grundgesetz festzuschreiben. Das wäre der sauberste Weg und würde den Kommunen Verlässlichkeit bringen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Bodo Ramelow (DIE LINKE))

   Ich will auch nicht verschweigen, dass es in unserer Fraktion Bedenken bezüglich der Themen Umwelt, öffentliches Dienstrecht und Strafvollzug gibt. Wir hatten das in der Kommission teilweise ja auch ausführlicher diskutiert.

   Meine Damen und Herren, die Akzeptanz der Föderalismusreform wird sehr stark davon abhängen, ob wir diese Bedenken ausräumen können. Wir können sie nur ausräumen, wenn es ein wirklich sauberes Gesetzgebungsverfahren gibt. Deshalb verstehe ich nicht, dass in dieser Woche zum Beispiel Anhörungen im Umweltausschuss abgelehnt wurden, die bereits beschlossen waren. Das ist kein richtiges Vorgehen, dadurch werden Minderheitenrechte ausgehebelt. Ich kann Sie nur dringend auffordern, jetzt nicht mit der Arroganz der Mehrheit der großen Koalition vorzugehen, sondern die Rechte der Minderheit in diesem Haus sehr sorgsam zu achten. Die Opposition beteiligt sich an dem Verfahren, aber Sie müssen der Opposition auch die Rechte dazu lassen.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Volker Kauder (CDU/CSU): Bei diesen Themen ändert sich nichts! Es bleibt alles!)

   Es ist eine kleine Reform, aber wir haben immer sehr deutlich gemacht, dass wir das konstruktiv angehen. Wir begreifen unsere Oppositionsrolle nicht so, dass wir jetzt plötzlich alles ablehnen, weil wir in der Opposition sind, sondern wir begreifen unsere Rolle so, dass wir konstruktiv handeln.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Plötzlich stimmen Sie allem zu! Sie sind nicht plötzlich in der Opposition! - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind schon lange in der Opposition!)

- Genau darauf habe ich gewartet.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, wir hören nämlich zu!)

Es ist schon faszinierend - wir saßen mit den Grünen ja immer am Tisch -, wie Sie das Ganze begleitet und jetzt vergessen haben, dass Sie einmal in der Regierung waren.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ja, sehr gut!)

Jetzt höre ich nur noch Stimmen, die besagen, dass Sie alles ablehnen. Sie haben es doch mitgetragen. Stehen Sie doch endlich auch einmal dazu.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, nein, Quatsch! Nicht lügen!)

   Meine Damen und Herren, uns liegt jetzt ein Gesetzentwurf vor. Wenn dieser Gesetzentwurf Realität wird, wird er im Lande einiges Positive bewirken. Wir werden den Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze reduzieren. Über die Zahlen kann man streiten, aber die Reduktion wird erfolgen. Das bedeutet eine Stärkung der Parlamente - sowohl eine Stärkung des Deutschen Bundestages als auch eine Stärkung der Landtage - auf Kosten der Ministerpräsidenten. Das begrüßen wir ausdrücklich.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Kollege Burgbacher, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Sager?

Ernst Burgbacher (FDP):

Aber selbstverständlich.

(Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Hat der eine Geduld! - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ein großmütiger Mensch!)

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Burgbacher kann es ja nicht lassen, uns immer persönlich anzusprechen.

   Herr Burgbacher, können Sie sich wenigstens noch daran erinnern,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Nein!)

dass wir, als wir in der Regierung waren, keinesfalls zu allem Ja gesagt haben, dass wir nämlich gesagt haben: Die Regelungen im Bildungs- und Umweltbereich gehen so nicht. - Wir stehen immer noch dazu. Daran hat sich nichts geändert.

(Beifall der Abg. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ernst Burgbacher (FDP):

Frau Kollegin Sager, ich weiß sehr wohl, wo Sie Bedenken angemeldet hatten und wo auch wir das getan hatten.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha!)

Dass ich jetzt von den Grünen aber nur noch ein Nein höre - andere Kommentare sind nicht mehr vernehmbar -, zeigt, dass Sie sich nicht mehr zu Ihrer Verantwortung bekennen. Sie haben regiert und daran sollten Sie sich noch ein kleines Stück erinnern. Das wäre hilfreich für alle.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Herr Kollege Kauder, meine Damen und Herren von der großen Koalition, lassen Sie mich noch einmal klarstellen: Wir werden das Verfahren konstruktiv begleiten. Wir haben immer gesagt, wir würden Dinge mitmachen, aber unter zwei Bedingungen:

   Erstens. Es muss klar sein, dass es vor Abschluss des Gesetzgebungsprozesses eine feste Vereinbarung darüber geben muss, dass die Reform der Finanzverfassung noch in diesem Jahr angegangen wird. Darin muss stehen, in welcher Form, mit welchem Zeitplan und mit welchen Eckpunkten dies geschieht. Dabei darf es keine Tabus geben. - Das ist die eine Bedingung der FDP. Das wissen Sie auch und das müssen wir zu Papier bringen.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Die Länder erhalten tatsächlich erheblich größere Kompetenzen. Deshalb wollen wir von den Ländern auch wissen, wie sie es bewerkstelligen wollen, dass die Qualität der Bildung erhöht wird. Wir wollen daneben auch wissen, wie sie es bewerkstelligen wollen, dass Bildungsabschlüsse vergleichbar sind und überall anerkannt werden. Die Kultusministerkonferenz hat das nicht geleistet. Sie müssen uns vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens sagen, wie das geschehen soll; denn Mobilität ist in dieser Republik notwendig. Mobilität darf dadurch nicht eingeschränkt, sondern muss befördert werden.

(Beifall bei der FDP)

   Ich höre viel Erstaunliches aus dem Lager der großen Koalition. Der Kollege Tauss

(Jörg Tauss (SPD): Ja?)

zieht durchs Land und erklärt, das Ganze könne man so nicht machen. Er ist Generalsekretär der baden-württembergischen SPD. Sein Kollege Drexler hingegen, der Fraktionschef der baden-württembergischen SPD, verkündet überall im Land, dass diese Regelungen ganz toll seien und die SPD mitmachen werde. Herr Tauss, Sie müssen den Leuten schon erklären, was jetzt stimmt.

(Widerspruch bei der SPD)

   Wir machen das nicht mit. Wir haben eine klare Linie. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition, jetzt ist der Ball in Ihrem Feld. Sie müssen uns schon sagen: Wollen Sie auf diesem Weg weitergehen oder stimmen die Meldungen, dass dieser Beschluss in der SPD-Fraktion überhaupt nicht mehrheitsfähig ist? Wir sagen noch einmal ganz klar: Unter den genannten Bedingungen haben Sie unsere konstruktive Unterstützung. Wir haben unsere Bedingungen klar gemacht. Wir wollen die Reform. Wir wären gerne einen größeren Schritt gegangen. Aber wenn der kleinere Schritt der Einstieg in eine gute Reform ist, dann soll er an der FDP nicht scheitern.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Wolfgang Thierse (SPD):

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 100 oder nicht 100?)

Dr. Peter Struck (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das parlamentarische Verfahren zur Föderalismusreform beginnt heute. Es ist nicht am Ende; das will ich deutlich sagen. Das heißt auch, das Ergebnis ist offen.

(Beifall bei der SPD)

   Zu dem Verfahren gehören - Kollege Kauder hat das ausgeführt - ausführliche Anhörungen, Diskussionen und, wenn es sich als notwendig erweist, Änderungen am Gesetzestext.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Erst wenn der Bundestag und der Bundesrat diese Reform jeweils mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen haben, ist sie in Kraft getreten, aber erst dann.

(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter (SPD))

Ich halte auch nichts von Äußerungen, dass die Reform dann, wenn man dieses oder jenes ändern würde, nicht mehr in Kraft treten könne. Auch halte ich nichts von Äußerungen aus meiner Fraktion, die ihre Zustimmung von Bedingungen abhängig machen. Das betrifft auch hier im Saal Anwesende.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vielmehr müssen wir ausführlich beraten. Wofür ist denn sonst das parlamentarische Verfahren da?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will vorweg nicht nur einer Pflicht, sondern auch einem Wunsch nachkommen. Wir müssen uns bei denjenigen bedanken, die die Föderalismusreformkommission über eine lange Zeit wirklich erfolgreich geführt haben. Das sind Franz Müntefering und Edmund Stoiber. Beiden gebührt unser Dank für die Vorarbeit für das, was wir heute beraten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Dass wir unser Grundgesetz ändern müssen, steht außer Frage; Volker Kauder hat das überzeugend dargelegt. Auch zu Herrn Kollegen Burgbacher von der FDP-Fraktion muss ich sagen: Sie haben überhaupt keine Zweifel daran geäußert, dass Änderungsbedarf besteht.

   Jetzt reden wir über die Frage, wie das gehen soll. Wir reden auch über die Frage, inwieweit wir das zusammen mit den Ländern machen können. Ich will zunächst einmal darauf hinweisen, dass es ein Fehler wäre, zu glauben, dass der Bund im Gegensatz zu den Ländern eine einheitliche Position vertritt. Natürlich gibt es innerhalb unserer Fraktion und zwischen den Fraktionen im Parlament unterschiedliche Auffassungen. Das haben wir im Vermittlungsausschuss oft genug erlebt. Dass wir Regelungen finden müssen, um die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze zu reduzieren, steht außer Frage.

(Beifall des Abg. Christian Carstensen (SPD))

   Die Frage ist natürlich: Wie groß ist tatsächlich der Umfang der Gesetze, die dann nicht mehr zustimmungspflichtig wären? Wir haben die Bundestagsverwaltung darum gebeten, uns anhand der letzten Gesetzgebungsvorhaben darzulegen, wie das Verhältnis aussehen würde, wenn die Föderalismusreform schon in Kraft gewesen wäre. Wir werden sehen, dass diese Reform schon etwas bringen wird; daran habe ich gar keinen Zweifel.

   Wenn man hier im Bundestag über die Länder redet, hat man bei den Debatten den Eindruck, als gehe es nur um die „bösen“ Ministerpräsidenten, betrachtet von der jeweils anderen politischen Seite. Aber wenn wir über die Länder reden, Herr Burgbacher, dann reden wir auch über Landtage. Wir reden dann auch über neue Zuständigkeiten für die Landtage, nicht nur für die Ministerpräsidenten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich traue den Landtagen einiges zu. Wenn man ihnen eine Zuständigkeit gibt, heißt das für mich nicht automatisch, dass sie dann etwas Verrücktes beschließen. Das ist ganz sicher nicht der Fall. Sie werden vielmehr genauso sorgfältig abwägen, um zum Wohle des Landes zu entscheiden, wie wir das im Bundestag tun.

   Trotzdem müssen wir über einige Punkte ausführlich sprechen. Ich beginne mit der Bildungspolitik. In dem neuen Art. 104 b Grundgesetz wird vorgeschlagen, dass der Bund in den Bereichen keine Finanzhilfe mehr leisten darf, in denen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt. Nicht nur in meiner Fraktion gibt es dagegen ernst zu nehmende Bedenken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Diese Regelung würde nämlich konkret bedeuten, dass der Bund generell in der Bildungspolitik keine Akzente mehr setzen darf. Ist das wirklich gewollt? Wird das von allen Ländern gleichermaßen beurteilt? Oder hat man sich in dieser Frage von den Bedenken lediglich eines Landes leiten lassen? Ich kann mir schwer vorstellen, dass Länder erklären, sie wollten kein Geld vom Bund haben. Das war in den vergangenen 15 Jahren immer anders.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Richtig!)

   Gerade in diesem Bereich hat das Ganztagsschulprogramm gezeigt, dass der Bund mit seinen Finanzzuweisungen richtige und zukunftsweisende Weichen stellen und vor allem auch Diskussionen auslösen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb bin ich sehr dafür, dass im Laufe der Beratungen im Bundestag und Bundesrat die Frage ernsthaft geprüft wird, ob das Kooperationsverbot in der vorgesehenen Fassung sinnvoll ist oder nicht. Ich neige eher zu Letzterem, um das deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin den Ländern auch dankbar, dass Bundestag und Bundesrat, wie heute Morgen mitgeteilt wurde, ein gemeinsames Anhörungsverfahren durchführen werden. Ich glaube, damit wird den Bedenken der Opposition einigermaßen Rechnung getragen.

   Wir müssen auch über das Umweltrecht reden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein weiterer Punkt, der ausführlich diskutiert werden muss. Wird mit der beabsichtigten Regelung tatsächlich eine klare Rechtssicherheit gewährleistet oder trägt die vorgesehene Lösung nicht vielmehr zur Zersplitterung des Umweltrechts, zur möglichen Absenkung der Umweltstandards und zu einem für die Unternehmen nicht mehr tragbaren bürokratischen Aufwand bei? Auch diese Fragen müssen geprüft werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Auch das Heimrecht ist ein sehr diskussionswürdiger Punkt. Wir haben das Heimrecht erst vor wenigen Jahren novelliert. Die Kompetenz dafür soll auf die Länder übergehen. Das kann - es muss aber nicht - in den Bundesländern zu unterschiedlichen Qualitätsstandards bei der Pflege führen. Es gab bereits eine Bundesratsinitiative, in den Ländern unterschiedliche Regelungen für die Personalausstattung festzulegen, um künftig Personal einzusparen. Die Pflege von Menschen ist aber ein höchst sensibler Punkt, der nicht nur unter finanziellen Aspekten betrachtet werden darf,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

nach dem Motto „In reichen Ländern steht mehr Geld für pflegebedürftige Menschen zur Verfügung, in armen Ländern weniger“.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Diskussionswürdig ist des Weiteren - das hat der Kollege van Essen bereits gestern in der Geschäftsordnungsdebatte nicht ganz zu Unrecht angesprochen - das Thema Strafvollzug. Nach meiner Kenntnis war nie beabsichtigt, den Strafvollzug in die alleinige Kompetenz der Länder zu übertragen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was? Das habt ihr doch unterschrieben!)

Wenn Sie heute jemanden fragen, wem das eingefallen ist, dann will es keiner gewesen sein.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß aber, wer es war! - Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Sie wissen doch alles, Frau Künast! - Gegenruf der Abg. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Das steht im Stoiber/Müntefering-Papier!)

- Nein, es ging um die Frage, wie es dazu gekommen ist, die Zuständigkeit übertragen zu wollen.

(Bodo Ramelow (DIE LINKE): Sie leiden unter Gedächtnisverlust!)

   Eigentlich passt das auch nicht zu der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarung, erstmals ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz und ein Jugendstrafvollzugsgesetz zu schaffen. Bei der Übertragung der Kompetenz auf die Länder ist zu befürchten, dass diese Bereiche nicht in allen Ländern geregelt werden. Ich frage Sie: Ist ein Wettbewerb um die härtesten und strengsten Knäste in Deutschland sinnvoll? Wollen wir das wirklich?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das sind Punkte, die wir in den Ausschüssen diskutieren müssen. Ich kann sehr gut verstehen, dass unsere Abgeordneten, ich persönlich auch, darauf fundierte Antworten haben wollen. Nur weil etwas eingebracht worden ist, muss es nicht so beschlossen werden. Dieser alte Grundsatz gilt nach wie vor.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will in diesem Zusammenhang einen weiteren Aspekt nennen. In allen Verfassungen der Bundesländer sind Kultur und Sport als Staatszielbestimmungen definiert. Auch die europäische Verfassung, die wir schon ratifiziert haben, die die Europäische Union in besonderer Weise zur Förderung und zum Schutz von Kultur und Sport verpflichtet, sieht ähnliche Regelungen vor. Wir sollten zumindest ergebnisoffen prüfen, ob eine solche Bestimmung, die Staatszielbestimmung „Förderung der Kultur und des Sports“, nicht auch in das Grundgesetz Eingang finden sollte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dirk Niebel (FDP))

   Ich komme zum Schluss. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, auch für mich und meine Fraktion nicht, dass die Föderalismusreform beschlossen werden muss. Ich wollte mit meinem Beitrag nur deutlich machen, dass in der Tat für mich das, was eingebracht worden ist, noch nicht das letzte Wort ist. Das kann auch nicht sein. Jeder Abgeordnete würde seine Rechte sozusagen an der Garderobe abgeben, wenn er sagte: Ich muss das alles abnicken. - Das machen wir ja auch nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es gibt eine Reihe von Punkten, die wir diskutieren müssen. Das Parlament wird sich dazu die nötige Zeit nehmen; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Wir werden alle Sachverständigen, die von den Oppositionsfraktionen und den Koalitionsfraktionen vorgeschlagen werden, bitten, uns Auskunft zu geben. Am Ende werden wir eine Föderalismusreform beschließen, die unser Land zukunftsfähiger macht, die die Entscheidungen hier im Parlament transparenter macht, die von den Bürgern akzeptiert werden wird und die auch von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages getragen wird.

   Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Bodo Ramelow, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Bodo Ramelow (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Man möchte Herrn Fraktionsvorsitzenden Struck direkt Recht geben und sagen: Wenn dem so wäre, dass wir das alles diskutieren würden, und wenn der Prozess so offen wäre, wie Sie ihn eben als notwendig beschrieben haben, dann würden auch wir uns eingeladen fühlen, auf diesem Weg mit Ihnen gemeinsam zu gehen, um dann am Schluss mehr zu erhalten als das, was im Moment von Herrn Stoiber als die „Mutter aller Reformen“ bezeichnet wird.

(Beifall bei der LINKEN)

   Herr Struck, ich hatte aber eher den Eindruck, dass Sie Ihre Fraktion, die ja ein Teil der großen Koalition ist, befrieden wollten und dass Sie nicht für die notwendige Offenheit sorgen, die wir brauchen, wenn wir tatsächlich eine Reform bekommen wollen, die diesen Namen verdient. Zurzeit erleben wir nur, dass die Reform in einer Art und Weise auf den Weg gebracht wird, bei der ganze Bereiche ausgegrenzt werden. Ich darf daran erinnern: Ich gehörte als Fraktionsvorsitzender aus dem Thüringer Landtag dem Lübecker Konvent an. Die Tinte unter dem Papier, das die Basis für die Föderalismusdebatte abgeben sollte - sie ist ja dringend notwendig und ich sage ausdrücklich: Niemand bezweifelt, dass sie geführt und erfolgreich zu Ende gebracht werden muss -, war noch nicht trocken, da wurden alle Fraktionsvorsitzenden und alle Fraktionen der PDS aus den Landtagen einfach aus dem Prozess ausgegrenzt. Man hat uns gar nicht mehr eingeladen; man hat uns nicht einmal mehr mit einem Vertreter in der Kommission mitarbeiten lassen. Das war der erste Punkt.

   Zweiter Punkt. Herr Struck hat das, was auf den Weg gebracht worden ist, als offenen Prozess dargestellt. Aber gleichzeitig sorgt die SPD im Bundesrat dafür, dass der Prozess nicht mehr offen ist. Herr Beck lässt heute als Wahlkämpfer verlautbaren, die ostdeutschen Bundesländer hätten wohl ein gestörtes Verhältnis zum Zentralstaat oder litten an einer zentralstaatlichen Nostalgie. Deswegen bringt er wohl die gleichen Gesetzentwürfe, die hier als Diskussionsgrundlage eingebracht werden, gleichzeitig in den Bundesrat ein, sodass das Vermittlungsverfahren wesentlich komplizierter wird. Ich habe den Eindruck, dass es angebrachter ist, die Föderalismusreform, die Herr Stoiber als die „Mutter aller Reformen“ bezeichnet, mit dem Wortpaar „Edelstahl und Diebstahl“ zu qualifizieren. Beides hat nichts miteinander zu tun. Von einer Mutter aller Reformen kann ich jedenfalls nicht sonderlich viel erkennen. Ich sehe nur, dass wir eine Rolle rückwärts in die feudale Kleinstaaterei machen, in der Herrn Koch und anderen gedient wird.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich appelliere an alle Vertreterinnen und Vertreter der neuen Bundesländer, über Folgendes einmal parteiübergreifend und kritisch nachzudenken: Sowohl die A-Länder als auch die B-Länder, die im Bundesrat federführend am Verfahren beteiligt sind, sind ausschließlich Westländer. Das heißt, der gesamte Osten Deutschlands wird in dem Verfahren, über das wir hier zurzeit diskutieren, völlig abgemeldet. In einem Punkt gebe ich der FDP ausdrücklich nicht Recht. Wettbewerbsföderalismus ist nicht unser Ziel.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen zwar eine Neuordnung des Föderalismus. Aber Wettbewerbsföderalismus auf dem Rücken der strukturschwächeren Regionen bedeutet, ganze Regionen in Deutschland komplett abzuhängen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Steuerdeckungsquote der Bundesländer hinweisen. Ihre Bandbreite reicht realiter von 37 bis 73 Prozent. Das heißt, die starken Bundesländer können sich die geplante Föderalismusreform erlauben. Aber die schwachen Bundesländer werden abgehängt. Letztendlich werden wir erleben, dass der Wettbewerbsföderalismus zum Abbau von Standards führt. Das kann aber nicht unser Ziel sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Ich möchte der FDP allerdings ausdrücklich Recht geben, dass alle Fragen betreffend die Finanzbeziehungen in die Reform einbezogen werden müssen. Sie außen vor zu lassen ist schon einmal ein zentraler Fehler. Herr Struck, ich begrüße Ihre Ausführungen über die Kultur. Aber ich wünsche mir, dass wir, wenn wir schon das Grundgesetz mit Zweidrittelmehrheit ändern, Subsidiarität und Konnexität als Prinzipien festschreiben und so die Kommunalparlamente und die Landesparlamente ermutigen. Denn dann wäre endlich klargestellt: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch. Das bedeutete auch mehr Freiraum für die Kommunen. Diese Prinzipien müssen also im Grundgesetz verankert werden. Dabei dürfen aber die Finanzbeziehungen nicht vergessen werden.

   Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen der FDP und der Linken.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Viele! Ganz viele!)

- Herr Westerwelle, das stimmt. Damit haben Sie Recht. Deswegen bin ich nicht auf Ihrer Seite.

   Wir unterscheiden uns eindeutig, wenn es um die Steuereinnahmenseite geht. Wir sagen: Damit sich Bund, Länder und Kommunen finanzieren und entschulden können, brauchen wir ein klares Bekenntnis zur Wiedereinführung der Vermögensteuer, der Börsenumsatzsteuer und anderer Steuerarten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir lehnen Wettbewerbsföderalismus in der Bundesrepublik Deutschland ganz klar ab. Wir wollen vielmehr einen kooperativen Föderalismus, der die Aufgaben neu verteilt.

   In der gestrigen Sitzung des Vermittlungsausschusses ist ein verehrter Kollege nach vielen Jahren und 60 Sitzungen verabschiedet worden. Der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses hat sich bei ihm für die geleistete Arbeit bedankt. Der Kollege hat darauf geantwortet, man habe im Vermittlungsausschuss hervorragend zusammengearbeitet und oft die Probleme lösen müssen, die die Parteivorderen ihnen eingebrockt hätten. Ich glaube, so nehmen das auch die Menschen in diesem Land wahr. Über die Relation zwischen Bundestag und Bundesrat wird nicht im Vermittlungsausschuss entschieden, sondern in erster Linie in den strategischen Abteilungen der Parteizentralen. So hat man seit Jahren und Jahrzehnten Bundestag und Bundesrat in parteipolitische Frontstellung zueinander gebracht.

   Nun sitzen die Strategen gemeinsam in der großen Koalition und wollen eine große Föderalismusreform auf den Weg bringen. Wir können nur feststellen: Diese Art der Herangehensweise ist mutlos, kraftlos und sogar ziellos.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich will es Ihnen an einem Beispiel deutlich machen, dem Thema Umwelt. Jetzt soll das Umweltgesetzbuch eingeführt werden. Es soll aber gleich wieder von den Ländern außer Kraft gesetzt werden können bzw. die Standards sollen gesenkt werden können. Was ist denn das für ein Unsinn?

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Das ist schlicht und ergreifend falsch!)

Ich denke auch an den Hochwasserschutz. Erinnern Sie sich doch einmal an das Elbe- bzw. Oderhochwasser! Erinnern Sie sich an die Hamburger Sturmflut! Wollen wir wirklich zulassen, dass es 16 verschiedene Standards bei solchen Katastrophen gibt? Glauben Sie, die Flutwelle wäre in einem Fluss unterschiedlich, nur weil er verschiedene Bundesländer durchfließt? Was soll denn an der Grenze zwischen zwei Bundesländern geschehen, die der Fluss durchquert? Soll es da unterschiedliche Standards und unterschiedliche Deiche geben? Das, was Sie in Sachen Umwelt beabsichtigen, ist ein Schritt in die Kleinstaaterei.

   Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine zweite Anmerkung. Sie verlagern alle Kompetenzen auf die Länder, nur die Atompolitik soll Sache des Bundes bleiben. Alles, was uns umgibt, ist aus Atomen zusammengesetzt, selbst die Luft, die wir atmen. Bleibt also über diesen Umweg alles in der Hoheit des Bundes? Oder wie soll ich diesen Unsinn verstehen, den Sie auf den Weg bringen wollen?

(Beifall bei der LINKEN)

   Kommen wir zum Thema Justiz. Ich bin erstaunt, dass Sie, Herr Struck, sagen, die Kompetenzverlagerung habe niemand vor. Ich frage mich dann allerdings, warum alle Fachleute, die sich bisher mit dem Teil der Föderalismusreform, der die Justiz betrifft, beschäftigt haben, kategorisch ablehnen, dass diese Kompetenzen künftig unter die Länderhoheit fallen sollen. Es muss, was den Justizvollzug betrifft, nationale Standards geben. Es ist ein Skandal, diesen Bereich den Ländern zu überlassen. Ich habe eben auf die Steuerdeckungsquote hingewiesen. Arme Länder können dann darüber nachdenken, ob sie die Knäste privatisieren und es den privaten Betreibern überlassen, die Standards zu setzen. Das halten wir für katastrophal und für den falschen Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich glaube, dass der Kollege Beck beim Thema Bildung vor lauter Wahlkampf in Rheinland-Pfalz die wesentlichen Dinge aus den Augen verloren hat. Er bezichtigt die ostdeutschen Länder, sie hätten ein merkwürdiges Verhältnis zum Zentralstaat. Das mag sich so darstellen, wenn man aus dem Blickwinkel der südlichen Weinstraße oder von Trier aus Mainz betrachtet. Tatsächlich aber ist die Erfahrung der neuen Bundesländer, dass man mit längerem gemeinsamen Lernen und nationalen Bildungsstandards mehr erreicht als durch Kleinstaaterei, die Sie gerade auf den Weg bringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen wäre es auch hilfreich, in Sachen nationale Bildungsstandards nicht nur nach Finnland, sondern auch einmal in die ehemalige DDR zu schauen. Man könnte dann ein wenig davon finden, was in Finnland erfolgreich umgesetzt worden ist.

(Zuruf des Abg. Klaus Uwe Benneter (SPD))

- Sie können einfach nach Finnland schauen, wenn Ihnen das leichter fällt. Es fällt Ihnen ideologisch schwer, die Struktur der DDR-Schule an bestimmten Stellen - ich rede nicht von Margot Honecker und der Ideologie, sondern von den Bildungsstandards - einfach anzuerkennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Industrie- und Handelskammer Südthüringen - sie ist nicht verdächtig, uns nahe zu stehen - hat festgestellt, dass polytechnischer Unterricht in den Schulen heute fehlt. Interessant ist doch, dass ausgerechnet Wirtschaftsvertreter diesen Teil der Föderalismusreform für falsch halten. Deswegen ermuntere ich Sie: Schauen Sie sich doch einfach einmal das Bildungssystem genauer an!

(Beifall bei der LINKEN)

Das gleiche gilt auch für die Hochschulen. Wenn man Exzellenzstandorte haben will, dann müssen die Hochschulen auch mit den entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet sein. Darüber hinaus sagen wir kategorisch Nein zu Studiengebühren.

(Beifall bei der LINKEN)

   Eine weitere Bemerkung zum Beamtenrecht. Ich finde es hocherstaunlich, dass der verehrte Ministerpräsident Dieter Althaus am letzten Wochenende die 42-Stunden-Woche gefordert hat, und das trotz des Streiks im öffentlichen Dienst. Er sagte, die 42-Stunden-Woche sei die Lösung für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Er fordert sie für West- und Ostdeutschland. Es war die CDU in Thüringen, die die 42-Stunden-Woche für Beamte durchgepeitscht hat, und jetzt empfiehlt sie, dass den Angestellten im öffentlichen Dienst dasselbe zugemutet wird. Das tut sie auch noch, obwohl zurzeit gestreikt wird. Diese Form der Solidarität verbitten wir uns. Wenn Sie Mut hätten - deshalb habe ich vorhin von Mutlosigkeit geredet -, dann würden Sie ein einheitliches Dienstrecht für Deutschland schaffen. Keine Trennung mehr zwischen Arbeitern, Angestellten und Beamten. Das wäre ein mutiger Schritt nach vorne, ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was aber machen Sie? 16 Beamtenrechte auf Länderebene plus ein Bundesbeamtenrecht heißt 17 verschiedene Rechtssituationen. Die kommen zu dem atomisierten Arbeitsrecht hinzu, das wir in Deutschland ohnehin haben. Das ist rückwärtsgewandt. Deswegen wäre es gut, in Analogie zur Überleitung des Bundes-Angestelltentarifvertrages in den TVöD das Dienstrecht in Deutschland insgesamt zu öffnen und damit einen Schritt nach vorne zu kommen.

Ich glaube, dass Sie den Beamtenbund auf Ihre Seite ziehen können, wenn sich herausstellt, dass es nicht um formale oder um angebliche Privilegien geht. Es geht vielmehr um die Trennung und Atomisierung von Menschen im öffentlichen Dienst. Es wäre gut, ein einheitliches Dienstrecht zu haben.

   Die Menschen im Lande haben eh das Gefühl, dass Bundestag und Bundesrat immer nur versuchen, sich gegenseitig auszubremsen. Wir sind sehr gespannt darauf, zu sehen, wie lange die große Koalition das Verhältnis zu den Bundesländern austarieren kann. Ob der Vermittlungsausschuss in dieser Legislatur Arbeit bekommt, wissen wir nicht.

   Eines darf ich Ihnen sagen: Eine Föderalismusreform, die diesen Namen verdienen möchte, muss die Menschen mitnehmen, muss sie überhaupt erreichen. Wenn wir das Grundgesetz ändern - wir wollen es; Sie haben beschlossen, entsprechende Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen -, dann lassen Sie uns folgende Punkte im Grundgesetz verankern:

   Erstens: Kulturförderung, Konnexitätsprinzip und das Prinzip „mehr direkte Demokratie“. Das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat wäre damit ein Stück weit gestärkt. Wir fordern deswegen, mehr direkte Demokratie im Grundgesetz zu verankern.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre ein Element der Neuordnung der Strukturen in Deutschland.

   Zweitens: das Subsidiaritätsprinzip.

   Drittens: nationale Standards für Bildung. Gemeint sind sämtliche Bildungsstandards, also auch nationale Standards für Hochschulen.

   Viertens: nationale Umweltstandards. Ziel sollte ein Umweltgesetzbuch sein, das diesen Namen verdient hat und nicht anschließend infrage gestellt wird.

   Fünftens: ein einheitliches Dienstrecht für ganz Deutschland. Ich empfehle Ihnen einen Blick auf das Arbeitsgesetzbuch der DDR. Sie müssen es nicht übernehmen.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Die Stasi auch?)

- Sie können weiter aus ideologischen Gründen aufschreien. Aber es würde sich lohnen, hinzuschauen. - Vergleichen Sie das Arbeitsgesetzbuch der DDR einmal mit dem deutschen Arbeitsrecht! Wer entbürokratisieren will, der sollte 30 Formen von Arbeitsrecht beseitigen und durch ein einheitliches Dienstrecht ersetzen.

(Beifall bei der LINKEN - Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Soll die Führung durch die PDS auch ins Grundgesetz?)

- Wenn Sie möchten: Bitte, gerne. Im Gegensatz zu Ihnen übernehmen wir die Verantwortung, auch wenn Sie das immer leugnen.

   Sechstens: Hände weg von Justiz und Strafvollzug!

   Siebtens: eine bundeseinheitliche Verwaltungsreform, die diesen Namen verdient hat. Das heißt, es muss zu einer Aufgabentrennung und zu einer Aufgabenzuordnung kommen. Einfließen sollten dabei die Ergebnisse der Diskussion der Bundesländer. Ob die Aufstellung der Bundesländer noch zeitgemäß ist, auch darüber muss diskutiert werden, allerdings von unten. Deswegen wäre es gut, den Weg dafür über eine entsprechende Änderung im Grundgesetz zu ebnen.

   Achtens: die Stärkung der Staatsfinanzen. Das heißt nicht nur, dass die Finanzbeziehungen neu geordnet werden müssen, sondern auch, dass die Einnahmenseite zu stärken ist.

   Wenn Sie diese acht Punkte mit auf den Weg bringen, dann können wir gemeinsam eine Föderalismusreform verabschieden. Nach meiner Überzeugung brächte diese Reform den Menschen mehr Gewinn als Verlust. Das, was Sie im Moment machen, ist wieder Gezänk in den parteipolitischen Hinterzimmern.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Von Gezänk müssen Sie gerade reden!)

Das führt leider nur zur Befriedigung von Herrn Koch und anderen, aber nicht dazu, dass wir Deutschland wirklich zum Wohle der Menschen neu ordnen. Bitte, machen Sie sich in eine andere Richtung auf und verlassen Sie Ihre parteipolitischen Hinterzimmer.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Sie können ja nicht einmal Ihre Gruppe in Berlin zusammenhalten!)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Renate Künast, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir brauchen eine Föderalismusreform. Dabei brauchen wir eines: mehr Transparenz, damit die Bevölkerung und wir alle wirklich verstehen, wer eigentlich für welche Bereiche zuständig ist. Wir brauchen mehr politische Handlungsfähigkeit, damit die immer wieder qualvollen Verhandlungen, die sich über ein oder zwei Jahre hinziehen, und die permanenten Blockaden durch den Bundesrat endlich hinter uns liegen. Das ist unser Maßstab. Das war übrigens auch der Maßstab der Föderalismuskommission. Ich muss leider feststellen: Was uns heute hier vorliegt, wird diesem Maßstab nicht gerecht. Dies ist keine große Reform.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der FDP: Das stimmt!)

Wir wollten entflechten. Das leistet diese Reform nicht. Wir wollten handlungsfähiger werden in Europa. Das leistet diese Reform nicht. Wir wollten Lösungen der großen Zukunftsaufgaben anbieten. Auch das leistet diese Reform nicht. Diese große Koalition hat behauptet: Nach den ersten 100 Tagen dieser Regierung kommt das Meisterstück. Eines ist ganz klar: Wir haben das in den vergangenen Wochen kritisiert. Nach der Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden gibt es überhaupt kein Beweisproblem mehr: Dies ist nicht das Meisterstück der großen Koalition, sondern das ist ein Stümperwerk, in das noch viel Arbeit gesteckt werden muss, wenn es Deutschland dienen soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Kauder, Sie haben hier über Wettbewerbsföderalismus geredet. Ich sage Ihnen einmal ganz klar: Wir wollen an der Stelle keinen Wettbewerbsföderalismus, sondern wir wollen einen Föderalismus, der auch noch die gleichwertigen Lebensverhältnisse in dieser Republik im Blick hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen den Ausgleich der Waage, die Balance hinbekommen, sodass wir Föderalismus mit einem Stück Wettbewerb, aber auch mit Solidarität haben. Die Bundesrepublik macht es nämlich aus, dass nicht an dem einen Ende des Landes arme Kinder oder Migrantenkinder keine Chancen auf gute Bildung haben und darauf, sich zu entwickeln, Teil der Gesellschaft zu sein, sich beruflich zu verwirklichen und in der Gesellschaft ihren Teil zu leisten, während die reichen Kinder am anderen Ende der Republik so richtig durchziehen, sodass nur sie am Ende die Vorstände in den DAX-Unternehmen stellen. Einen solchen Föderalismus wollen wir nicht, Herr Kauder. Wir wollen auch Solidarität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Sie wollen keinen Föderalismus, weil Sie nirgends mehr beteiligt sind!)

- Nein. Von uns gibt es ein klares Bekenntnis zum Föderalismus, Herr Kauder. Aber man muss auch im Detail wissen, was man wie regelt. Ich will, dass die Länder mehr entscheiden können, aber nicht nur die Ministerpräsidentenbank, nicht nur der Bundesrat, sondern wirklich auch die Landtage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben die Debatte um die Frage, wie hier mit dem Parlament und mit seinen Anhörungsrechten umgegangen wird, schon geführt. Was Sie da gestern und vorgestern hingelegt haben, war, finde ich, demokratietechnisch nun nicht gerade ein Meisterwerk.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Volker Kauder (CDU/CSU): Was Sie in Ihrer Regierungszeit mit dem Parlament gemacht haben, spottet jeder Beschreibung!)

   Herr Kauder, Ihnen fehlt noch etwas ganz anderes. Sie haben hier gesagt, jetzt werde es eine wunderbare gemeinsame mehrtägige Anhörung geben.

(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

- Geht es? Können Sie nicht einmal einen Koalitionsausschuss einberufen? Dann könnten Sie alles besprechen. Wir haben bei diesem so genannten Meisterstück gerade gemerkt, dass die Koalition hoch zerstritten ist. Insofern verstehe ich sozusagen Ihre Debatte jetzt über die grünen Bänke hinweg.

   Die einen sagen, es sei ein Meisterstück. Herr Struck sagt, man müsse eigentlich in wesentlichen Bereichen noch ändern. Sie sagen, Sie hätten jetzt eine Anhörungsidee mit Bundestag und Bundesrat zusammen. Aber, Herr Kauder, Herr Struck, Sie haben schon wieder die Landtage vergessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es eine ehrliche Beratung gibt, dann wollen wir, dass auch die Landtage und nicht nur die Ministerpräsidenten und die Mehrheit an dieser Beratung beteiligt werden.

   Ich würde übrigens auch gern wissen, was eigentlich die Position der FDP ist. Herr Burgbacher, mir ist sie mit Ihren Ausführungen nicht klar geworden. Wenn ich mir das Ganze noch einmal vor Augen führe, dann erinnere ich mich daran, dass Herr Westerwelle im Dezember 2004 gesagt hat, das sei deutlich zu wenig und enttäuschend. Mittlerweile hören wir von Herrn Westerwelle, Sie würden dieser Reform sowieso zustimmen, weil man danach über die Finanzfragen redet. Herr Burgbacher erklärt hier aber, es müsse noch viel geregelt werden. Herr Burgbacher, dann widerrufen Sie doch Ihren Parteivorsitzenden, Herrn Westerwelle; der ist an dieser Stelle längst umgefallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Nur weil Sie es nicht verstanden haben, müssen wir hier nichts widerrufen! Sie müssen es verstehen! Sie reden sich das Durcheinander selbst ein!)

- Ich weiß, was Sie wollen, Herr Gerhardt. Wegen des 26. März wollten Sie sich, weil Sie in Rheinland-Pfalz gern mit den einen und in Baden-Württemberg gern mit den anderen wollen, keinen Ärger mit den beiden einhandeln. Deshalb haben Sie sich hier eigentlich schon zum Steigbügelhalter dieser schlechten Reformvorlage gemacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dirk Niebel (FDP): Wir regieren in den Ländern, im Gegensatz zu Ihnen!)

   Ich kann nicht akzeptieren, wenn hier angesagt wird, sogar aus dem Kanzleramt, dass dieses Paket so geschnürt ist und so durchgeht. Ich kann auch nicht akzeptieren, wenn uns Ministerpräsidenten das sagen; denn es geht an dieser Stelle nicht allein darum, ein Paket durchzuwinken. Wir haben vielmehr die Aufgabe, uns zu überlegen: Was sind die Probleme der Republik, der Kinder dieser Republik, der Wirtschaft dieser Republik? Was sind die Probleme von heute, von morgen und von übermorgen? Diese Reform muss eine Lösung für diese Probleme anbieten und das tut sie bisher definitiv nicht; im Gegenteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich gehe einmal zwei oder drei Punkte durch, um zu klären, ob diese Reform uns eigentlich genügt. In der Generaleinschätzung wird behauptet, hier finde eine ausreichende Entflechtung statt.

Es mag sein, dass hier eine kleine Entflechtung vorgenommen wurde, aber für die Behauptung, die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze würde von 60 auf circa 40 Prozent reduziert, also selbst für diesen kleinen Sprung, findet sich bei keinem Wissenschaftler ein Beleg. Wir alle hier wissen, dass es sich hierbei schlicht und einfach um eine Schätzung Pi mal Daumen handelt. Es liegt keinerlei Beleg dafür vor, dass es zu einer solchen Reduzierung kommen wird. Ich glaube sogar, dass das Gegenteil der Fall ist.

   In Ihre Änderungsvorschläge bezüglich des Verfahrensrechtes in Art. 84 und 104 a Grundgesetz bezüglich der geldwerten Sachleistungen haben Sie wieder Regelungen hereingefummelt, die am Ende mindestens in gleichem Umfang dem Bundesrat ein Zustimmungsrecht einräumen, wie es derzeit der Fall ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch Sie wissen genau, dass es Papiere von Sachverständigen gibt, in denen das so gesagt wird. Am Ende bleibt alles beim Alten: Sie wollen zwar entflechten, aber mit den von Ihnen vorgesehenen Änderungen bezüglich geldwerter Sachleistungen haben Sie eigentlich wieder einen Nasenring eingeführt, an dem die Landesfürsten, also die Ministerpräsidenten, den Bundestag durch die Republik ziehen können. Ich bin mir sicher, auch in diesem Punkt wird es uns gehen wie nach der schnell durchgezogenen und nicht durchdachten Reform 1994: Wir werden uns in Karlsruhe wiedertreffen. Unsere Vorstellung war eigentlich, eine Reform auf die Beine zu stellen, bei der das nicht der Fall ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Schauen wir uns einmal an, wie Sie die Probleme beim Thema Bildung lösen. Bildungspolitik ist die Sozialpolitik der Zukunft und damit Politik für den Standort Deutschland. Aber Sie geben jede Möglichkeit für eine gemeinsame strategische Bildungsplanung auf. Ich respektiere die Zuständigkeit der Länder für die Bildung und die Erziehung von Kindern im föderalen System, aber zugleich müssen wir uns bewusst machen, dass es einen knallharten internationalen Wettbewerb gibt. Indien bildet jedes Jahr 300 000 Ingenieure aus. Wir können es uns nicht leisten, hier in Vielstaaterei zu verfallen. Wir müssen wenigstens die Möglichkeit zu einer gemeinsamen strategischen Bildungsplanung von Bund und Ländern offen lassen. Davon würden nämlich unsere Kinder profitieren, weil unsere Wirtschaft Fachleute braucht. Das ist damit in doppeltem Sinne die Zukunftsfrage Deutschlands. Deshalb darf es nicht zu solchen Regelungen kommen, wie sie geplant sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Schauen Sie sich einmal an, Herr Kauder, was passierte, wenn Ihre Vorschläge durchkämen: Ganztagsschulprogramme wären nicht mehr möglich. So etwas wie das Sinusprogramm, mit dem Edelgard Bulmahn dazu beigetragen hat, dass dieses Land bei den mathematischen Fähigkeiten weiter nach vorne kommt, dürften wir nicht mehr machen. Von Mitteln für den Hochschulbau und von Ihrer Förderung von technischen Großgeräten profitierten am Ende nur die großen Länder; ein Land wie Schleswig-Holstein würde leer ausgehen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ach Quatsch!)

So kann doch die Zukunft dieses Landes nicht gestaltet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Frau Künast, Sie bleiben unter Ihren intellektuellen Möglichkeiten!)

- Das war wahrscheinlich, Herr Kauder, Ihr Wort zum Frauentag. Es kam zwar ein bisschen spät, aber passte vom Niveau her.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Überhaupt nicht! Wenn Sie ein Mann wären, hätte ich es genauso gesagt!)

   Herr Kauder, Sie haben gesagt, durch die Föderalismusreform würde der Bund für Bürokratieabbau bei den Ländern sorgen. Ich sage Ihnen, die Bürokratie, unter der im Augenblick die Schulen leiden, liegt nicht in der Verantwortung des Bundes, sondern wurde von den Bundesländern verschuldet, weil sie den Schulen keine Autonomie geben wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

   Schauen wir uns das Thema Umwelt an: Mit dem in Ihrer Vorlage enthaltenen Vorschlag für ein Umweltgesetzbuch bauen Sie nichts anderes auf als ein potemkinsches Dorf: vorne eine elegante Fassade, dahinter aber nicht einmal ein fester Kern, der Abweichungen in den verschiedenen Bereichen verhindert, wie es ein UGB tatsächlich ermöglichen könnte.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Stimmt nicht! Sie müssen erst lesen und dann reden!)

- Ja, Herr Röttgen, nur ein Hauch Naturschutz: Ihre Position kenne ich aus der Kommission.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Damit wären wir wieder beim Thema Frauentag!)

Ihre hier vorgesehene Abweichungsgesetzgebung ist ein Fehler. Sie wird am Ende nicht die Probleme lösen, die bisher im Zusammenhang mit der Erforderlichkeitsklausel auftraten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen ein Umweltgesetzbuch, das im Kern gut für die Umwelt und gut für die mittelständische Wirtschaft in dieser Republik ist. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn ein Mittelständler mit einem Antrag ein Genehmigungsverfahren bewältigen könnte. Er hat nämlich nicht die Möglichkeit, drei Juristen einzustellen, um die Gesetzessammlungen von 16 Bundesländern durchschauen zu lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Struck, ich habe mit einer gewissen Genugtuung wahrgenommen, dass Sie auch auf die Themen Heimrecht und Strafvollzug eingegangen sind. Wir werden mit Ihnen und der SPD-Fraktion da eine intensive Diskussion führen. Ich will Ihnen sagen, warum: Ich meine, dass das Heimrecht nicht nur mit Blick auf die Kinder, sondern gerade mit Blick auf die älteren Menschen - wir alle kennen das Thema des demografischen Wandels - einer der Kernpunkte ist, um die wir uns kümmern müssen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass man in dieser Republik in Würde altern und ein entsprechendes Leben führen kann. Deshalb dürfen wir nicht dazu beitragen, dass ältere Menschen in Heimen nur noch gewaschen und gefüttert werden. Wir dürfen nicht dazu beitragen, dass es im wahrsten Sinne des Wortes einen Personaldumpingschlüssel gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

   Ich freue mich darüber, dass auch die SPD-Fraktion an dieser Stelle einen Blick auf den Strafvollzug wirft. Ich weiß, warum dieses Thema aufgenommen worden ist. Ich sage Ihnen aber: Im Interesse unser aller Sicherheit in der Bevölkerung ist es wichtig, dass im Strafvollzug nicht gespart wird, sondern dass Resozialisierung stattfindet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   In diesem Sinne haben wir noch grundsätzliche Beratungen vor uns, damit dies eine Reform wird, die verdient, dass man über sie sagen kann: Das ist ein Meisterstück, das die Probleme des Landes löst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Künast, Sie haben gegen Ende Ihrer Rede gesagt: Das ist doch nicht die Zukunft unseres Landes. - Ich sage Ihnen dagegen: Mit der Einstellung, die Sie soeben in Ihrer Rede verbreitet haben, sind Sie, Ihre Partei und Ihre Fraktion garantiert nicht die Zukunft unseres Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir sind uns - darüber bin ich froh - im Grunde genommen alle über die Fraktionsgrenzen hinweg darin einig, dass es so wie bisher nicht weitergeht und dass wir - ich bin meinem Kollegen Peter Struck außerordentlich dankbar, dass er dies am Ende seiner Rede noch einmal betont hat -

(Beifall des Abg. Jörg Tauss (SPD))

diese Reform zu einem guten Ende bringen wollen. Deshalb bin ich mir ganz sicher, dass diese Reform des Föderalismus ein Zeichen der Zuversicht für unser Land ist.

   Die Probleme sind uns seit langem bekannt. Deswegen wissen wir alle, dass es so nicht weitergeht. In den letzten Jahren wurde viel darüber geredet und geschrieben: über die schrittweisen Zuständigkeitsverluste der Länder, über die Verflechtung aller Ebenen, über verwischte Verantwortlichkeiten und über die Blockademacht des Bundesrates.

   Neu ist: Die große Koalition redet nicht nur, sondern sie handelt auch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deutschland ist nicht mehr Stillstandort. Wir haben das innerhalb der ersten 100 Tage dieser großen Koalition bewiesen. Wir haben bewiesen, dass wir handlungsfähig sind; es wird entschieden, es geht vorwärts und es gibt Zuversicht in unserem Lande.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Die Aussicht ist noch ein bisschen gemischt!)

   Ich schließe mich dem Dank, den der Kollege Peter Struck gerade ausgesprochen hat, für meine Fraktion und für meine Partei ausdrücklich an: dem Dank an die beiden Pioniere der Föderalismusreform in den letzten Jahren,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Graf Lambsdorff und wer noch?)

nämlich Edmund Stoiber und Franz Müntefering.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ach, die waren es!)

Sie haben an der Spitze der Föderalismuskommission großartige Vorarbeit geleistet. Das verdient Respekt und Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich schließe auch alle anderen in diesen Dank ein: Graf Lambsdorff, wie hier zugerufen wurde, und diejenigen, die viel früher aktiv waren. Gerade deshalb stehen die Liberalen in der Verpflichtung, zielstrebig daran mitzuwirken, dass wir Erfolg haben.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Na klar!)

- Kollege Westerwelle, Sie sprechen nach mir und können dies bestätigen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Jawohl! Wenn das die große Koalition wünscht!)

   Bundestag und Bundesrat beginnen heute parallel mit den parlamentarischen Beratungen dieser umfassenden Reform des Grundgesetzes. Wie meine beiden Kollegen Volker Kauder und Peter Struck sehe auch ich die Beratung der Vorlagen von zwei Leitgedanken geprägt.

   Der erste Leitgedanke. Wir Abgeordneten nehmen unsere parlamentarische Verantwortung wahr. Die Änderung des Grundgesetzes, ihre Begründung und die begleitenden Gesetze werden gründlich geprüft. Um die Vorwürfe der Opposition nochmals aufzunehmen: Sie tun so, als befänden wir uns hier in einem Ratifizierungsverfahren. Davon kann aber überhaupt nicht die Rede sein. In einem Ratifizierungsverfahren kann nichts geändert werden; dafür gibt es Beispiele. Wir befinden uns hier aber in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wenn da und dort Feinschliff erforderlich ist - so hat es der Kollege Volker Kauder mit anderen Worten gesagt -, dann handeln wir entsprechend und machen aus diesem Diamanten sozusagen einen großartigen politischen Brillanten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Zurufe von der FDP: Oh! - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Schleifer seid ihr also!)

   Der zweite Leitgedanke. Die Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat setzen auf Kooperation statt wie bisher auf Konfrontation. Das ist etwas, was unsere Wählerinnen und Wähler nach den vielen Jahren des ständigen Gegeneinanders erwarten. Wir unterstreichen dies mit gemeinsamen Sitzungen: Heute gibt es parallele Sitzungen im Bundesrat und im Bundestag - es findet die erste Lesung statt - und die federführenden Ausschüsse der beiden Häuser tagen gemeinsam.

   Die große Koalition will eine gute Zusammenarbeit mit den Ländern. Das stimmt optimistisch; denn Bund und Länder müssen gemeinsam anpacken, um Deutschland wieder nach vorne zu bringen. Ich bin sicher, das Reformwerk wird überzeugen. In den Debatten werden seine Stärken hervorgehoben und Fehldeutungen korrigiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die schlimmste Fehldeutung ist, dass der jeweils andere der Verlierer sein müsse, wenn Bund bzw. Länder etwas gewännen. Das ist falsch. Ich sehe das anders. Wenn Verflechtungen aufgelöst werden, dann gewinnen doch beide Ebenen neue Gestaltungsfreiheit. Ausufernde Zustimmungserfordernisse im Bundesrat verwischen doch Verantwortung und sie verzögern Entscheidungen. Die Zahl derjenigen Gesetze wird deshalb reduziert, denen der Bundesrat zustimmen muss. Auf dem Feld der bisherigen Rahmengesetzgebung gewinnt der Bund neue Kompetenzen hinzu. In 22 Gegenständen der konkurrierenden Gesetzgebung entfällt die bisherige verfassungsgerichtliche Prüfung, ob eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist. Das schafft Rechtsklarheit.

   Im Gegenzug - darin liegt natürlich auch eine gewisse Ausgewogenheit - wachsen die Kompetenzen der Länder. Vom Presserecht bis zum Ladenschluss kommen neue Kompetenzen hinzu. Schule, Kultur und Rundfunk werden als Sache der Länder bestätigt.

Ich will auch hervorheben: Die Föderalismusreform macht endlich Ernst mit dem Grundsatz - er ist für die Kommunen von großer Bedeutung -: Wer anschafft, der bezahlt. Dieser Grundsatz ist gerade für meine Partei sehr wichtig, da sie in den Kommunen tief verwurzelt ist. Der Bund darf Aufgaben künftig nicht mehr direkt auf die Gemeinden, die Städte oder die Landkreise übertragen. Von den bisher getroffenen Behördenregelungen können die Länder nach Abschluss der Reform abweichen. Das ist ein echter Autonomiegewinn für die Länder. Die Länder - ich betone: die Länder - regeln damit künftig das Verhältnis zu den Kommunen. Damit schützt das so genannte Konnexitätsprinzip in den Landesverfassungen die Kommunen künftig auch im Bereich der Bundesgesetze.

   Deutschland braucht starke Länder. Deutschland braucht starke Kommunen. Vielfalt belebt. Wettbewerb setzt Anreize, nach besseren Lösungen zu suchen. Noch einmal: Beide, das Parlament im Bund und die Parlamente in den Ländern, die Landtage, sind die Gewinner dieser großartigen Reform. Der gesetzgeberische Spielraum der Landesparlamente wächst. Wir Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind künftig freier in der Gestaltung unserer Gesetzesbeschlüsse. Ich stimme Volker Kauder zu, der gesagt hat, dass man die Gesetze manchmal nicht mehr erkannt habe, als sie zerrupft aus dem Vermittlungsausschuss zurückgekommen seien. Vielleicht wurden sie auch manchmal verbessert, wenn wir in den letzten sieben Jahren am anderen Ende gezogen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nennen Sie ein einziges Beispiel!)

Es gewinnt derjenige, auf den es in unserem Land letztlich ankommt und dem wir unsere politische Macht und unser politisches Mandat verdanken: Letztlich gewinnen die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.

   Auf Folgendes kommt es an: Erstens. Entscheidungen können schneller getroffen werden. Zweitens. Politische Verantwortung wird klarer. Drittens. Wichtige Kompetenzen rücken näher an die Bürger heran.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Entflechtung der Ebenen lässt die Wahlentscheidung künftig wieder klarer als eindeutige Entscheidung für die eine oder die andere Richtung in der Politik hervortreten. Es gibt kein Herumstochern mehr in einem Einheitsbrei, sondern klare Richtungen und klare Kompetenzzuweisungen. Klare Verantwortlichkeiten stärken das Vertrauen in unseren demokratischen Staat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit dieser Reform eine ganz großartige Chance in der Hand. Lassen Sie uns diese Chance für unser Land gemeinsam nutzen!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem stellvertretenden Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Andreas Pinkwart, Minister (Nordrhein-Westfalen):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundestag und Bundesrat gehen mit diesem Reformvorhaben einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Es ist ein Stück weit ein erster Schritt, um mit dem bisherigen System organisierter Unverantwortlichkeit in unserem demokratischen Gemeinwesen Schluss zu machen.

(Beifall bei der FDP)

   Das gilt auch mit Blick auf die gemeinsame Herausforderung, die deutsche Wissenschafts- und Hochschullandschaft wieder an die internationale Spitze heranzuführen. Wir müssen die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in unserem Land befähigen, sich im immer härteren internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe, die größten Etats und um exzellente Ergebnisse besser zu behaupten. Sie brauchen dafür im Kern zwei Dinge: erstens, die Freiheit, sich im Wettbewerb strategisch zu entwickeln und zu positionieren, und, zweitens, eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung.

(Beifall bei der FDP)

   Mehr Freiheit und Verantwortung sollen die Länder im Bereich von Wissenschaft und Forschung bekommen. Das ist ein viel diskutierter und wesentlicher Bestandteil des heutigen Reformvorhabens. Die Länder nehmen diese neue Herausforderung an. Sie sind nach unserer festen Überzeugung gut beraten, die neuen Handlungsspielräume in Form von echter Freiheit und Autonomie an ihre Hochschulen weiterzugeben.

(Beifall bei der FDP)

Wir jedenfalls tun das.

   Frau Künast, Sie haben eben die Autonomie der Schulen eingefordert. Ich würde mich freuen, wenn Ihre Partei zum Beispiel in meinem Bundesland auch die Autonomie der Hochschulen so nachdrücklich unterstützen würde, wie Sie dies eben hier im Bundestag im Hinblick auf die Schulen gefordert haben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Niemand muss Angst vor Kleinstaaterei haben. Ein gesunder Wettbewerbsföderalismus darf nicht mit kleinkarierter Kleinstaaterei gleichgesetzt werden. Es ist ein Irrglaube, dass Probleme umso besser gelöst werden, je zentralistischer die Zuständigkeiten angesiedelt sind.

(Beifall bei der FDP)

   Das gilt mit Blick auf die letzte Legislaturperiode auch für die Wissenschaftspolitik. Einheitslösungen wie etwa ein bundesweites Verbot von Studiengebühren- es ist beim Versuch geblieben; das ist nur ein Beispiel- haben Deutschland in Europa nicht wettbewerbsfähiger gemacht.

(Beifall bei der FDP- Zuruf des Abg. Jörg Tauss (SPD))

   Freiheit ist aber nur eine Seite der Medaille. Hinreichende Finanzierung, Herr Tauss, ist die andere. Auch wegen unzureichender und durch die Vorgängerregierung abgesenkter Bundesmittel besteht im Hochschulbereich ein enormer Sanierungsstau.

(Jörg Tauss (SPD): Sieh an!- Ulla Burchardt (SPD): Wo waren Sie denn?)

Hinzu kommen steigende Studierendenzahlen, die wir nicht als Belastung, sondern als Chance für unser Land begreifen sollten.

   Eine besondere Bedeutung kommt deshalb dem Hochschulbau zu. Dafür ist dreierlei notwendig: Erstens. Wir setzen uns für eine Garantie für eine dauerhafte Zweckbindung der Bundesmittel in den jeweiligen Ländern ein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD- Jörg Tauss (SPD): Oh!)

   Zweitens. Wir- darum bitte ich das ganze Haus sehr herzlich- müssen im laufenden Gesetzgebungsverfahren darüber diskutieren, ob die bis 2013 vom Bund zur Finanzierung vorgesehenen Baumittel mit Blick auf die steigenden Studierendenzahlen tatsächlich sachgerecht sind.

   Drittens. Wir sollten noch einmal darüber nachdenken, ob die jetzt vorgesehene Verteilung der Mittel an die Länder sachgerecht ist;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

denn es kann nicht sein, dass die Länder, in denen 50 Prozent der Studierenden in Deutschland eingeschrieben sind, in Zukunft nur 30 Prozent der Bundesmittel erhalten sollen. Diese Regelung sollte man, wenn man den Hochschulen wirklich helfen will, noch einmal überdenken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD- Ulla Burchardt (SPD): Sagen Sie das mal Ihrem Ministerpräsidenten!)

   Auf einem anderen Feld, bei der Forschungsförderung und der Finanzierung von Forschungsbauten und Großgeräten von überregionaler Bedeutung, steht der Bund weiter in der Pflicht. Frau Ministerin Schavan hat angekündigt, dass sie die gemeinsamen Aufgaben in einem kollegialen Verhältnis zu den Ländern angehen will. Sie hat den Ländern vorgeschlagen, einen Hochschulpakt 2020 zu schließen, der klären soll, wie Bund und Länder auch künftig gemeinsam Verantwortung tragen können. Die Gespräche dazu haben begonnen. Wir begrüßen dieses Vorgehen. Es ist ein richtiges Signal, wenn wir den Hochschulen einerseits mehr Freiheit geben, sie aber andererseits nicht im Stich lassen, wenn es darum geht, Qualitätssicherung im Studium und bei der Forschung sicherzustellen.

(Beifall bei der FDP)

   Lassen Sie mich einen letzten Gedanken formulieren. Eingangs habe ich von einem ersten Schritt in die richtige Richtung gesprochen. Die andere Seite der Medaille der Neuordnung der Aufgaben ist, wenn man die Grundsystematik richtig versteht, die Neuordnung der Finanzbeziehungen. Deswegen begrüßt das Land Nordrhein-Westfalen ausdrücklich, dass vorgesehen ist, dem ersten Schritt einen zweiten folgen zu lassen. Wir begrüßen es außerordentlich, dass dies jetzt verbindlich und konkret angegangen wird. Nur so kann die Bundesrepublik Deutschland auch an dieser Stelle aus der organisierten Unverantwortlichkeit herausfinden.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Fritz Rudolf Körper, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Fritz Rudolf Körper (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will meinen Ausführungen ein Zitat von Johannes Rau voranstellen. Johannes Rau sagte einmal:

Die Demokratie lebt davon, dass für die Bürger klar ist, wem sie auf Zeit welche Verantwortung übertragen haben und wer ihnen nach der Frist Rechenschaft schuldet.

   Ich denke, dass wir diese Mahnung ganz besonders ernst nehmen sollten, wenn wir über das Thema Föderalismusreform sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Bei diesem Reformvorhaben können wir auf Vorarbeiten der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zurückgreifen. Diese hatte eine schöne Abkürzung, nämlich KoMbO. Tatsächlich glaube ich, dass es bei diesen Fragen eher wie in einer Bigband zugeht. Denn bei so vielen Beteiligten ist es in der Tat nicht überraschend, dass es hier und da zu Misstönen und Missstimmungen kommt. Diese müssen ausgeräumt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Deswegen ist die Kritik an unserem jetzt geplanten Anhörungsverfahren unter der Federführung des Rechtsausschusses völlig unangebracht. Diese Anhörung wird so strukturiert und organisiert, dass alle Expertenmeinungen und alle Fachpolitiken einbezogen werden, und steht unter dem Motto: Es ist allemal besser, miteinander zu reden als übereinander; denn nur das bringt gute Ergebnisse.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich appelliere an Sie, diese Beratungen nicht in Konfrontation, sondern im Geiste der Kooperation zwischen der Bundesebene auf der einen Seite und der Länderebene auf der anderen Seite anzugehen. Wenn wir nicht verinnerlichen, dass wir Kooperation brauchen, werden wir scheitern. Das wollen wir nicht und das können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Was bedeutet eigentlich Föderalismusreform? Ich habe festgestellt, dass das von den Menschen im Land häufig nicht richtig nachvollzogen werden kann. Bei der Föderalismusreform geht es darum, dass wir Klarheit und mehr Transparenz im Verhältnis zwischen Bund und Ländern schaffen, und um eine stärkere Kompetenztrennung und -abgrenzung. Dass der eine oder andere Streitpunkt darüber entsteht, hängt mit der unterschiedlichen Interessenvertretung zusammen.

   Im Moment ist die Situation so, dass 16 Materien auf die Länder übertragen werden. Das betrifft beispielsweise den umstrittenen Hochschulbereich, das Versammlungsrecht, das aus meiner Sicht überhaupt nicht umstritten ist, und das öffentliche Dienstrecht. Auf der anderen Seite werden dem Bund Bereiche übertragen - ob man sich als Bundespolitiker darüber besonders freuen kann, mag dahingestellt sein -, wie zum Beispiel das Waffenrecht und das Atomrecht. Und es kommt - was ganz erstaunlich ist - zu einer Kompetenzerweiterung des Bundeskriminalamtes im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Ich bin sehr froh, dass die Länderebene dem zugestimmt hat. Denn das ist eine Maßnahme, die der Herausforderung, gegen den internationalen Terrorismus effektiv und effizient vorzugehen, gerecht wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das glauben Sie doch selber nicht!)

   Ich komme zur Zustimmung des Bundesrates zu Bundesgesetzen. Es ist ein wichtiges Ziel - und ich hoffe, dass wir uns darin einig sind -, die Zustimmungsquote erheblich zu reduzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir die Zustimmungsquote des Bundesrates um mehr als die Hälfte reduzieren könnten, wäre das hervorragend.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Dass auch die klare Zuordnung der Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern klar geregelt werden muss, versteht sich von selbst.

(Beifall des Abg. Dirk Manzewski (SPD))

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen: Wenn es um Lösungen so genannter großer Probleme in unserem Land geht, dann muss man bedenken, dass sich die Erwartungen der Menschen in unserem Land zuerst an die Bundespolitik richten. Das ist die Gefühlslage. Das ist die Erwartungshaltung. Mehr Arbeitsplätze, sichere Renten oder eine moderne Familienpolitik erhofft man sich zuerst aus Berlin und nicht aus der jeweiligen Landeshauptstadt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das kann man zwar bestreiten, aber ich glaube, die Erwartungshaltung ist so richtig beschrieben. Das ist mit Sicherheit eine Folge der Globalisierung in vielen Lebensbereichen. Diese Erwartungshaltung entspricht aber auch unserem Grundgesetz, das dem Bund eine maßgebliche Gesetzgebungskompetenz zuweist.

   Allerdings steckt der Bund in einem ähnlichen Dilemma wie der Riese Gulliver: Gefesselt sind seine Kräfte wirkungslos. Die Fessel ist hier und heute das Vetorecht des Bundesrates. Die Reform der bundesstaatlichen Ordnung muss ein klares Ziel verfolgen, nämlich die Zahl der Bundesgesetze, denen der Bundesrat zustimmen muss, deutlich zu reduzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Ein wichtiger und richtiger Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel ist die Änderung des Art. 84 des Grundgesetzes. Bislang muss sich der Bund entscheiden: Macht er den Ländern Vorgaben für den Vollzug seiner Gesetze, entsteht Zustimmungspflicht. Nur dann, wenn er sich jeder Verfahrensregelung enthält - wir haben in der vergangenen Zeit gesehen, wie man das macht -, kann er ohne den Bundesrat handeln. Dieses Alles-oder-nichts-Prinzip wollen und müssen wir ändern. Abweichungsrecht statt Zustimmungspflicht lautet im Grunde genommen die neue Formel, die hier erfunden worden ist. Künftig soll der Bund den Vollzug seiner Gesetze auch ohne die Zustimmung des Bundesrates regeln können. Allerdings dürfen die Länder von diesen Vorgaben abweichen.

   Dazu sage ich mit Blick auf die Praxis: Ich bin zuversichtlich, dass auf Bundesebene so gute Gesetze gemacht werden, dass die Länder nur in seltenen Fällen von der Möglichkeit der Abweichungsregelungen Gebrauch machen werden. Davon bin ich überzeugt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Klaus Uwe Benneter (SPD): Das muss unser Anspruch sein!)

Allerdings muss der Bund auch den Mut haben, auf die Qualität seiner Regelungen zu vertrauen. Die Möglichkeit, eine Länderabweichung mit Zustimmung des Bundesrates auszuschließen, ist als Ausnahmefall konzipiert. Sie sollte, wenn ich das richtig verstanden habe, nicht zur Regel werden.

   Wir müssen an einer anderen Stelle aber sehr aufpassen, damit wir unser Anliegen nicht zunichte machen, beispielsweise bei Art. 104 a des Grundgesetzes. Künftig soll der Bundesrat ein Vetorecht bei allen Gesetzen haben, die die Länder zu Geld- oder geldwerten Sachleistungen verpflichten. Das ist eine bedeutsame Ausweitung der gegenwärtigen Regelung, die mir ganz persönlich fast zu weitgehend erscheint.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Länder sollen mitreden, wenn ihnen erhebliche Kosten zu entstehen drohen. Einverstanden. Braucht der Bundesrat aber wirklich ein Vetorecht, wenn 99,9 Prozent einer Geldleistung vom Bund übernommen werden?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sollten Obacht geben, dass wir hier keine neuen Seile auslegen, mit denen der Bund gefesselt werden kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU))

   Ich habe den Eindruck gewonnen, dass bei manch einem noch Unklarheit darüber besteht, welche Konsequenzen praktischer Art sich aus der Föderalismusreform ergeben. Auf Länderseite gibt es zu manchen Punkten ganz unterschiedliche Reaktionen und Kommentierungen. Was die einen freudig herbeisehnen, wird von anderen mit gewisser Sorge betrachtet. Ich nehme auf die Richter- und Beamtenbesoldung Bezug. Das Grundgesetz kennt keinen asymmetrischen Föderalismus, bei dem einige Länder mehr Befugnisse haben als andere. Das Grundgesetz kennt nur ein Entweder-Oder, Bund oder Länder. Deshalb müssen sich alle Länder im Klaren darüber sein, ob sie mehr Verantwortung wollen und ob sie die neuen Lasten auch wirklich schultern können.

   Das Ergebnis unserer Arbeit darf nicht zu einem Scheinföderalismus führen

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

- klatscht doch später -,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

der dazu führt, dass Gesetze in Düsseldorf oder München, also in den großen Bundesländern, gemacht werden und die kleinen Länder ihren Inhalt nur noch abschreiben.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Einige Länder hoffen zwar, von individuellen Regelungen anderer Länder profitieren zu können. Aber angesichts eines gesetzgeberischen Wettbewerbs, bei dem ungleiche Startbedingungen herrschen, werden mit Sicherheit nicht alle eine faire Chance haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben die Pflicht und die Verpflichtung, für eine sorgfältige und intensive Beratung im Deutschen Bundestag zu sorgen.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann nicken wir das jetzt also ab, oder was?)

Das Föderalismuspaket ist nicht geeignet, mit verbundenen Augen und im Schweinsgalopp abgesandt zu werden. Deswegen werden wir es intensiv beraten und letztlich auch eine Reform hinbekommen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Kollegin Inge Höger-Neuling, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Inge Höger-Neuling (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Föderalismusreform könnte zum Unwort des Jahres werden,

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Na ja!)

nicht weil die Menschen im Lande diesen Begriff nicht verstehen,

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Sie haben ihn wahrscheinlich nicht verstanden!)

sondern weil das, was als Jahrhundertreform und als Befreiung von der Selbstblockade angekündigt wird, in Wahrheit ein Bürokratiemonster ist.

   Sie verhindert eine einheitliche Bildungspolitik, eine einheitliche Vorschulförderung und eine einheitliche Hochschulpolitik. Es fehlt auch eine einheitliche Antwort auf die PISA-Studie. Sie macht effektiven Naturschutz und vernünftigen Hochwasserschutz unmöglich. Wir brauchen endlich ein einheitliches Umweltrecht statt eines neuen Kompetenzwirrwarrs. Man sollte doch glauben, dass es ihr Ziel war, für Entbürokratisierung und für Verbesserungen für die Menschen zu sorgen. Herausgekommen sind allerdings massive Verschlechterungen für viele.

   Die Länder und Gemeinden haben sinkende Steuereinnahmen zu verzeichnen. Nun suchen nach Einsparmöglichkeiten und sehen diese erfahrungsgemäß nicht bei Wirtschaftssubventionen oder beim Straßenbau, sondern eher in den Haushalten für Soziales und für Jugend.

   Die Länder und Gemeinden geben dem Druck von Firmen nach, die mit Arbeitsplatzverlagerungen drohen. Die Zuständigkeit des Bundes stellte bisher häufig eine Grenze dar. In Zukunft wird es einen Wettbewerb zwischen den Ländern - den sie ja alle befürworten - um das schnellste Sozialdumping geben. Das ist der Inhalt dieser Reform.

   Das wird zum Beispiel die Menschen, die in Heimen leben, betreffen, also Menschen mit Behinderungen, Alte und chronisch Kranke. Das Heimrecht soll nun Ländersache werden. Einzelne Bundesländer haben bereits angekündigt, ihre Pflegestandards zu senken und den Pflegeschlüssel nach unten zu schrauben. Dabei waren es gerade die Missstände in den Heimen, die 1974 dazu geführt haben, dass das Heimrecht auf die Bundesebene übertragen wurde.

   Die in diesem Bereich tätigen Vereine laufen dagegen Sturm: Die Caritas, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/CSU, die Arbeiterwohlfahrt, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, die Verbraucherzentralen, werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, und wichtige private Träger von Pflegeheimen - das sage ich an die Liberalen gerichtet -, alle protestieren energisch gegen die Verlagerung der Zuständigkeit für das Heimrecht auf die Länder.

(Beifall bei der LINKEN)

   Worum geht es diesen Verbänden? Wenn Eltern behinderter Kinder umziehen müssen, können sie sich in Zukunft nicht mehr darauf verlassen, dass ihr Kind in einem anderen Bundesland ähnliche Bedingungen vorfindet. Angehörige pflegebedürftiger alter Menschen werden sich nicht mehr darauf verlassen können, dass an der Ostseeküste bei der Heimpflege ähnliche Qualitätsstandards gelten wie in der Rhön.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist wirklich ein Skandal!)

   Die Menschen, die beruflich Pflege organisieren, müssen demnächst nicht nur vier Ausführungsverordnungen zum Heimgesetz kennen, sondern 4 mal 16, also 64. Die geplante Grundgesetzänderung würde also einen enormen Zuwachs an Bürokratie - ja, einen Zuwachs - bedeuten. Alle gegenteiligen Behauptungen sind schlicht unwahr.

(Beifall bei der LINKEN)

   Betroffen sind auch Kinder und Jugendliche, die in sozial benachteiligten Familien aufwachsen, in Familien, die Hilfen von Jugendämtern in Anspruch nehmen müssen. Denn die geplante Grundgesetzänderung trifft auch die Jugendämter. Bisher fungieren die örtlichen und die Landesjugendämter als Berater von Familien, als Ansprechpartner für Frauen mit Unterhaltsproblemen, für missbrauchte Mädchen, für belastete Jugendliche. Demnächst werden diese Ansprechpartner kaum noch ansprechbar sein. Denn wer glaubt im Ernst, dass die armen Kommunen bzw. die Landesfinanzminister weiterhin Jugendämter vorhalten werden, die fachlich fundiert über Hilfebedarf entscheiden können? Auch dies wird der Sparwut und somit dem Sozialdumping zum Opfer fallen.

   Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden nicht nur unmittelbar von der jetzt vorgesehenen vollständigen Verlagerung der Zuständigkeit für das Dienstrecht auf die Länder betroffen sein, sondern auch mittelbar. Künftig wird es einen Kostenwettbewerb zwischen den Ländern geben. Im sozialen und im Gesundheitssektor lassen sich Kosten in der Regel aber nur durch Personalabbau sparen. Das betrifft unter anderem die Hochschulkliniken, die nun von den Ländern anerkannt, gefördert, gesteuert werden sollen. Dadurch werden sie noch stärker in den Wettbewerb mit anderen Krankenhäusern geraten. Sie werden in einen Kostenwettbewerb gedrängt, der auf dem Rücken der zurzeit streikenden Pflegekräfte ausgetragen wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Der Wettbewerb, der entsteht, wenn die Zulassung von Arzneimitteln Ländersache wird, wird auch die Beschäftigten in der Pharmaindustrie treffen. Die Globalplayer werden die Länder künftig noch intensiver mit dem Arbeitsplatzargument gegeneinander ausspielen nach dem Motto: Erlaubt mir die Einleitung von Chemikalien in den Rhein oder wir verlagern den Betrieb.

   Mit der vorgesehenen Grundgesetzänderung soll die Bundeszuständigkeit für den sozialen Wohnungsbau und das Wohngeld quasi abgeschafft werden. Das wird die Leute treffen, die auf Wohngeld oder Sozialwohnungen angewiesen sind.

   Sie wollen Entscheidungen zu den Menschen bringen? Die Föderalismusreform bringt den Menschen mehr Bürokratie, ein Wirrwarr von Verordnungen und einen Abbau von Sozialstandards. Statt der Lösung dringender Probleme wie Erwerbslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit wird auf dem Rücken der Betroffenen ein Kuhhandel abgeschlossen. Als Mitglied der Fraktion Die Linke kann ich diese Grundgesetzänderungen nur ablehnen; sie sind unsozial.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin Höger, dies war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzliche Gratulation und alles Gute für Ihre Arbeit.

(Beifall)

   Ich erteile nun das Wort Kollegin Krista Sager, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für ein sehr gutes Signal, dass Herr Struck hier deutlich gemacht hat, dass über diese Reform noch nicht das letzte Wort gesprochen ist und dass es Veränderungen geben wird. Das will ich ausdrücklich sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich hoffe, dass er das heute nicht bloß gesagt hat, um Kritiker in den eigenen Reihen kurzfristig zu beschwichtigen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wie sich andere diese Reform vorstellen, hat der Kollege Dr. Röttgen ja gestern aufgezeigt nach dem Motto: Wir können jetzt nicht auf Einzelanliegen und Einzelinteressen schauen, wir müssen den Blick doch auf das große Ganze richten. Wir können aber nicht einerseits in Sonntagsreden immer wieder erklären, dass Bildung und Wissenschaft zentral für die Zukunft dieses Landes sind,

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht zentralistisch!)

und andererseits dann, wenn es um die Reform des Föderalismus geht, so tun, als seien das Eigeninteressen von Einzelpersonen. Das passt einfach nicht zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Dass von Bildungs- und Wissenschaftsorganisationen massive Kritik kommt, müssen wir ernst nehmen. Wir können uns falsche Weichenstellungen bei Bildung und Wissenschaft nicht leisten. Das wäre mit dem „großen Ganzen“ vollkommen unvereinbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist ja richtig, dass es schwer ist, eine Mehrheit für eine Verfassungsänderung zusammenzubekommen. Aber gerade wenn das schwer ist, können wir uns eine falsche Weichenstellung für Bildung und Wissenschaft erst recht nicht erlauben; sie würde uns über Jahrzehnte begleiten, wir würden sie nicht wieder los.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Mit einem Kooperationsverbot für den Bund im Bereich Schulen und Hochschulen würden wir international einen absoluten Sonderweg einschlagen. Es gibt kein föderatives System, in dem das so geregelt ist. Nirgends ist es der Zentralebene verboten, für Schulen und Hochschulen Geld auszugeben. Das gibt es nicht einmal in den USA und wir sollen so etwas einführen. Das ist an Blödsinn kaum noch zu übertreffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Cornelia Hirsch (DIE LINKE))

Erzählen Sie den Menschen draußen im Lande doch einmal, dass dem Bund durch die Verfassung verboten werden soll, in Zukunft etwas für die Ganztagsschulen in Deutschland zu tun. Das begreift wirklich kein Mensch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Cornelia Hirsch (DIE LINKE))

   Es muss einen doch wirklich misstrauisch stimmen, dass die Ministerpräsidenten der großen Länder während der Arbeit der Föderalismuskommission so tun - auch in den letzten Tagen -, als könnten sie vor Kraft kaum noch laufen und in Zukunft alles alleine machen, während der erste Fachminister, der hier auftritt - er kommt nicht aus einem kleinen, schwachen Land -,

(Jörg Tauss (SPD): Dem größten!)

schon einmal den herannahenden Katzenjammer aufscheinen lässt. Das haben wir hier erlebt und das muss uns doch misstrauisch machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Cornelia Hirsch (DIE LINKE))

   Wer den Bund bei der Bildung und der Wissenschaft vor die Tür stellt, der tut das doch nicht nur auf Kosten der schwachen Länder. Er tut das zwar ganz massiv auf Kosten der schwachen Länder, aber er tut das vor allen Dingen auch auf Kosten der jungen Menschen in diesem Lande, einem Lande, in dem der Zusammenhang zwischen Bildung und sozialer Herkunft schon heute unerträglich ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das würde dadurch noch schlimmer gemacht, was wir nicht akzeptieren können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Cornelia Hirsch (DIE LINKE))

   Herr Burgbacher, Sie können es mir abnehmen - das haben Sie auch erlebt -: Es geht nicht darum, den Ländern die Schulkompetenz streitig zu machen. Das hat doch niemand getan. Wir müssen aber doch auch sehen, dass es in anderen Ländern mehr Freiheit der Bildungseinrichtungen, mehr Wettbewerb um Qualität und mehr Autonomie bei einem gemeinsamen Rahmen gibt. Diese sind dabei besser gefahren als wir; denn sie haben bei der PISA-Studie die besseren Ergebnisse erzielt. Das müsste uns doch ein bisschen zum Nachdenken bringen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Von vielen Zielen, die Sie in Ihrem Koalitionsvertrag selbst formuliert haben - Sie wollen etwas für junge Leute ohne Schulabschluss tun und die Studierendenquote erhöhen -, hat sich die Bildungsministerin im Grunde doch schon längst verabschiedet. Dort wird sie im Bund keine Rolle mehr spielen. Sie ist nur noch eine Ministerin der warmen Worte für diese jungen Leute. Nach dieser Reform wird sie dort nichts mehr tun können. Deswegen darf diese Reform so nicht kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Cornelia Hirsch (DIE LINKE))

   Wir als Grüne wollen eine Föderalismusreform. Wir haben aber an den richtigen Stellen Nein gesagt, nämlich bei Bildung, Umwelt und Strafvollzug. Dass der Gesetzentwurf jetzt unverändert vorgelegt wird, zeigt doch, wie schlecht es für dieses Land ist, wenn der Einfluss der Grünen zurückgeht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Das beklagt aber niemand außer den Grünen!)

   Ich hoffe, dass gerade auch die Kollegen in der SPD das, worüber wir uns im Dezember 2004 einig waren, weiterhin ernst nehmen. Liebe Kollegen, ich sage Ihnen eines: Den Stellenwert Ihrer Partei und den Stellenwert von Gerechtigkeit und Wohlstandssicherung für alle Menschen in diesem Lande wird man am Ende auch daran messen, ob Sie sich durch die Koalitionskarte niederbügeln lassen oder ob Sie hier noch Veränderungen vornehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Fritz Rudolf Körper (SPD): Sie kennen uns doch! Wir lassen uns nicht niederbügeln!)

Vizepräsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am häufigsten diskutieren wir Abgeordnete, wir Politiker hier im Bundestag darüber, auf welche Veränderungen und Reformen sich die Bürger einstellen müssen. Wir sagen den Bürgern: Ihr müsst euch ändern und reformbereit sein.

   Diese Föderalismusreform ist eine Reform des Staates. Sie wird damit der Erwartung der Bürger gerecht - alle sagen das: Bürger, Fraktionen und Parteien -, dass sich nicht nur die Bürger ändern müssen, sondern dass sich auch der Staat verändern muss. Er muss besser werden. Das ist der Anspruch, der mit dieser Reform verbunden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Der Staat muss auf einem Gebiet besser werden, das das Entscheidende, das Zentrum eines demokratischen Gemeinwesens ist, nämlich in der Gesetzgebung. Bevor wir wieder auf die Einzelheiten kommen: Was ist der Ausgangspunkt? Was ist denn jahrelang zu Recht beklagt worden? Was ist die Misere? Ich finde es nicht übertrieben, von einer Misere zu sprechen. Die Misere, die wir erleben und erleiden, ist der Verlust an Entscheidungsfähigkeit des Staates. Das ist das Problem.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Olaf Scholz (SPD))

   Auf dieses Problem richtet sich auch der Vorwurf der Menschen. Wir reden relativ viel über Politikverdrossenheit und ich glaube, dass es dieses Phänomen gibt. Ich bin auch davon überzeugt, dass dieses Phänomen, diese Unzufriedenheit, einen zentralen Vorwurf an die Politik beinhaltet: Ihr tut nicht das, was das Wichtigste ist, das, wozu ihr da seid, nämlich Probleme zu lösen. Dafür seid ihr gewählt und das tut ihr zu wenig. - Dieser Vorwurf stimmt. Darum müssen wir etwas ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich meine das natürlich nicht in quantitativer Hinsicht. Es werden im Bund permanent Entscheidungen getroffen und Gesetze produziert. Aber es geht um den Verlust von Problemlösungsfähigkeit. Mit diesem Vorwurf sind wir alle, die wir hier im Parlament Verantwortung tragen, konfrontiert. Für diese Unzulänglichkeit, für diese Misere - ich will das Kind beim Namen nennen - gibt es viele Gründe. Aber es gibt einen ganz wichtigen Grund, und zwar die Frage, wie wir das Verhältnis zwischen Bund und Ländern organisiert haben. Es geht darum, dass wir das Zusammenwirken von Bund und Ländern, die Verantwortung beider Ebenen, in ein System der Vermischung von Verantwortung über fast alle staatlichen Aktivitäten verwandelt haben: Vermischung bei der Gesetzgebung, Vermischung bei der Finanzierung und Vermischung bei der Verwaltung des Staates.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

   Wir haben erlebt, dass Vermischung von Verantwortung im Ergebnis nur eines bewirkt und bedeutet, nämlich Auflösung von Verantwortung. Darum ist die Föderalismusreform eine Reform, die dort ansetzt, wo es um die Wiederherstellung der Verantwortung im Staate geht. Bevor wir auf Einzelheiten zu sprechen kommen, bevor wir über Gaststättenrecht und viele andere wichtige Themen und Einzelfacetten dieser Reform debattieren - was notwendig ist -, darf aber das Kernanliegen dieser Reform nicht untergehen. Ich will es deshalb noch einmal sagen: Der Kern dieses Reformanliegens ist die Wiederherstellung staatlicher Entscheidungsfähigkeit, die Wiederherstellung der Erkennbarkeit politischer Verantwortung. Das ist das zentrale staatspolitische Anliegen dieser Reform. Das ist der Maßstab.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Es gibt zwei Lebenselemente einer parlamentarischen Demokratie. Das eine ist Vertrauen, das andere ist Verantwortung. Wir brauchen wieder Klarheit in der Verantwortung, Klarheit in der Möglichkeit, zu entscheiden, die dann mit der Möglichkeit der Bürger korrespondiert, sich ihr eigenes Urteil darüber zu bilden, wie die Politik entschieden hat, und dieses Urteil bei Wahlen auszudrücken. Das ist der Anspruch. Für diesen Anspruch gibt es ein Leitmotiv. In der Umsetzung des Prinzips Verantwortung heißt dieses Leitmotiv: Verhinderungsmacht im Staat abbauen, Gestaltungsmacht aufbauen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Fritz Rudolf Körper (SPD))

Politik darf nicht mehr verhindern wollen, sondern muss den Anspruch haben, zu gestalten. Worin drückt sich dies konkret und in den Schwerpunkten aus? Ich möchte einige der Punkte benennen.

   Zunächst will ich unterstreichen, was das große Ziel ist, nämlich die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze in der Bundesgesetzgebung zu vermindern. Inzwischen ist es so, dass über 60 Prozent der Gesetze, die hier im Bundestag verabschiedet werden, nicht mehr ohne die Zustimmung auch des Bundesrates in Kraft treten können. Wir und auch die Bürger können nicht wollen, dass die Mehrheit, die auf Zeit legitimiert wurde, am Ende nicht entscheiden kann. Das höhlt das Wahlrecht aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Wir werden mit dieser Reform die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze - das ist das Ergebnis einer Bewertung dieser Reform, bezogen auf die Gesetzgebung der letzten Legislaturperiode; das ist recherchiert worden - um ein Drittel reduzieren.

Ein Drittel weniger Zustimmungsgesetze, das ist ein enormer Zugewinn für die legitime Durchsetzungskraft der gewählten Mehrheit. Was dies bedeutet, können wir als Bundestag nicht hoch genug einschätzen. Wir werden damit in Deutschland die Art, Politik zu machen, verändern. Die Politik hat dann wieder die Chance, Strukturentscheidungen zu treffen. Diese sind oft noch nicht getroffen worden. Stattdessen werden permanent Reparaturentscheidungen getroffen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ja, richtig!)

   Es ist ein Unding, dass der Vermittlungsausschuss die Reparaturkammer der deutschen Politik ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das darf nicht so weitergehen, weil es letztlich alle entmündigt. Es ist ein intransparentes Gremium, durch das alle Mitglieder des Bundestages entmündigt werden, weil sie dessen Ergebnisse letztlich nur noch ablehnen oder ihnen zustimmen können; sie können kein Komma mehr ändern. Wir alle als Abgeordnete werden entmündigt.

   Auch die Bürgerinnen und Bürger werden entmündigt, weil sie bei diesem geheim tagenden Gesetzgebungsorgan - in einem demokratischen Staat wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit Politik gemacht; das muss man sich einmal vorstellen - nicht mehr erkennen können, wer für die Politik verantwortlich ist. Wenn die Bürger die Verantwortlichkeiten nicht mehr erkennen können, dann entmündigen wir sie. Insofern bedeutet unser Vorhaben einen riesigen Fortschritt.

   Fortschritte gibt es auch an anderer Stelle, etwa bei der konkurrierenden Gesetzgebung. Nur noch in elf von 33 Fällen ist der Erforderlichkeitsnachweis für die Bundesgesetzgebung notwendig. Wir schaffen mit der Rahmengesetzgebung eine ganze Gesetzgebungskategorie ab. Das ist gut und richtig,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Richtig!)

weil die Rahmengesetzgebung sozusagen als Gesetzgebungstypus auf die Vermischung von Bundes- und Landespolitik angelegt ist. Wir teilen die damit verbundenen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern auf; einiges geht an den Bund, anderes an die Länder.

   Nebenbei bemerkt - die Reform ist noch nicht beschlossen; darum sollte man vorsichtig sein -: Der Bund ist der eindeutige Gewinner. Denn nach der Grundgesetzänderung 1994 und der anschließenden Rechtsprechung hat der Bund nur noch sehr geringe Gesetzgebungskompetenzen in der Rahmengesetzgebung. Wir haben auf diesem Gebiet kaum noch Kompetenzen, können also kaum etwas verlieren, gewinnen jetzt aber Kompetenzen hinzu.

   Wir verlieren übrigens nicht die Möglichkeit der Hochschulförderung, Frau Kollegin Sager.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie wollen Sie noch Sonderprogramme machen?)

- Bitte beschäftigen Sie sich mit den Sachverhalten! Das ist definitiv falsch. Der Bund wird weiter Hochschulförderprogramme durchführen. Das ist auch nötig.

   Wir werden in der Umweltpolitik etwas realisieren, was seit vielen Jahren gefordert wird. Es wird ein einheitliches Umweltgesetzbuch geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Erstmalig wird die Möglichkeit bestehen, einheitliche Standards in diesem Bereich zu schaffen.

   Es ist eine Legende, dass die Länder von allem abweichen können. Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Der Bund behält ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen in diesem Bereich. Die Länder können insoweit keine abweichenden Regelungen treffen. Der Bund behält konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten. Auch da ist den Ländern kein Abweichen möglich. Nur in dem marginalen kleinen Bereich, in dem die Rahmengesetzgebung bisher beim Bund lag - die Gesetzgebungskompetenz war eingeschränkt; er konnte lediglich die Grundsätze bestimmen -, erhält er jetzt die volle Kompetenz. Die Länder können abweichende Regelungen treffen, aber nur in den Bereichen, die ihnen vorgegeben werden.

   Der Bund ist deshalb der Gewinner der Reform. Wir können wieder Politik für das ganze Land machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich will einen letzten Gesichtspunkt ansprechen. Die Reform ist ein Kompromiss - darin liegt das Wesen der Verfassungsgesetzgebung -, der im Konsens entstanden ist. Dabei gibt es fast nur Gewinner. Der Bundestag ist ein Gewinner - ich habe bereits versucht, das zu erläutern -, weil er seine durch Wahlen erhaltene Legitimation umsetzen kann. Die Landtage werden Gewinner sein, weil sie eigene Gestaltungskompetenzen erhalten. Die Ministerpräsidenten sind keine Gewinner der Reform. Der Bundesrat gibt Kompetenzen an den Bundestag und die Landtage ab. Es ist doch ein demokratischer Gewinn, wenn Zuständigkeiten von der Exekutive zur Legislative verlagert werden. Ein solches Vorhaben kann man doch nur befürworten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP))

Auch die Bürger sind die Gewinner, weil der Staat entscheiden kann und sie die entsprechende Politik besser beurteilen können.

   Alle, die das Thema unter dem Gesichtspunkt der staatspolitischen Verantwortung angehen, werden sich an den Beratungen im Gesetzungsgebungsverfahren beteiligen; aber letztlich können sie sich der praktischen Alternative nicht entziehen, die dem schlechten Status quo vorzuziehen ist.

   Die Grünen haben dem Vorhaben schon einmal zugestimmt. Erinnern Sie sich an die Verantwortung, die Sie damals wahrgenommen haben!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt nicht!)

Dass die Grünen in diesem Land nichts mehr zu sagen haben, liegt daran, dass die Bürger das in Wahlen so entschieden haben. Je schwächer Ihre taktischen Argumente werden, meine Damen und Herren von den Grünen, desto weniger werden Sie in Zukunft in Deutschland zu sagen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP - Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Drittel weniger Zustimmungsgesetze, das ist ein enormer Zugewinn für die legitime Durchsetzungskraft der gewählten Mehrheit. Was dies bedeutet, können wir als Bundestag nicht hoch genug einschätzen. Wir werden damit in Deutschland die Art, Politik zu machen, verändern. Die Politik hat dann wieder die Chance, Strukturentscheidungen zu treffen. Diese sind oft noch nicht getroffen worden. Stattdessen werden permanent Reparaturentscheidungen getroffen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ja, richtig!)

   Es ist ein Unding, dass der Vermittlungsausschuss die Reparaturkammer der deutschen Politik ist.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das darf nicht so weitergehen, weil es letztlich alle entmündigt. Es ist ein intransparentes Gremium, durch das alle Mitglieder des Bundestages entmündigt werden, weil sie dessen Ergebnisse letztlich nur noch ablehnen oder ihnen zustimmen können; sie können kein Komma mehr ändern. Wir alle als Abgeordnete werden entmündigt.

   Auch die Bürgerinnen und Bürger werden entmündigt, weil sie bei diesem geheim tagenden Gesetzgebungsorgan - in einem demokratischen Staat wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit Politik gemacht; das muss man sich einmal vorstellen - nicht mehr erkennen können, wer für die Politik verantwortlich ist. Wenn die Bürger die Verantwortlichkeiten nicht mehr erkennen können, dann entmündigen wir sie. Insofern bedeutet unser Vorhaben einen riesigen Fortschritt.

   Fortschritte gibt es auch an anderer Stelle, etwa bei der konkurrierenden Gesetzgebung. Nur noch in elf von 33 Fällen ist der Erforderlichkeitsnachweis für die Bundesgesetzgebung notwendig. Wir schaffen mit der Rahmengesetzgebung eine ganze Gesetzgebungskategorie ab. Das ist gut und richtig,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Richtig!)

weil die Rahmengesetzgebung sozusagen als Gesetzgebungstypus auf die Vermischung von Bundes- und Landespolitik angelegt ist. Wir teilen die damit verbundenen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern auf; einiges geht an den Bund, anderes an die Länder.

   Nebenbei bemerkt - die Reform ist noch nicht beschlossen; darum sollte man vorsichtig sein -: Der Bund ist der eindeutige Gewinner. Denn nach der Grundgesetzänderung 1994 und der anschließenden Rechtsprechung hat der Bund nur noch sehr geringe Gesetzgebungskompetenzen in der Rahmengesetzgebung. Wir haben auf diesem Gebiet kaum noch Kompetenzen, können also kaum etwas verlieren, gewinnen jetzt aber Kompetenzen hinzu.

   Wir verlieren übrigens nicht die Möglichkeit der Hochschulförderung, Frau Kollegin Sager.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie wollen Sie noch Sonderprogramme machen?)

- Bitte beschäftigen Sie sich mit den Sachverhalten! Das ist definitiv falsch. Der Bund wird weiter Hochschulförderprogramme durchführen. Das ist auch nötig.

   Wir werden in der Umweltpolitik etwas realisieren, was seit vielen Jahren gefordert wird. Es wird ein einheitliches Umweltgesetzbuch geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Erstmalig wird die Möglichkeit bestehen, einheitliche Standards in diesem Bereich zu schaffen.

   Es ist eine Legende, dass die Länder von allem abweichen können. Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Der Bund behält ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen in diesem Bereich. Die Länder können insoweit keine abweichenden Regelungen treffen. Der Bund behält konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten. Auch da ist den Ländern kein Abweichen möglich. Nur in dem marginalen kleinen Bereich, in dem die Rahmengesetzgebung bisher beim Bund lag - die Gesetzgebungskompetenz war eingeschränkt; er konnte lediglich die Grundsätze bestimmen -, erhält er jetzt die volle Kompetenz. Die Länder können abweichende Regelungen treffen, aber nur in den Bereichen, die ihnen vorgegeben werden.

   Der Bund ist deshalb der Gewinner der Reform. Wir können wieder Politik für das ganze Land machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich will einen letzten Gesichtspunkt ansprechen. Die Reform ist ein Kompromiss - darin liegt das Wesen der Verfassungsgesetzgebung -, der im Konsens entstanden ist. Dabei gibt es fast nur Gewinner. Der Bundestag ist ein Gewinner - ich habe bereits versucht, das zu erläutern -, weil er seine durch Wahlen erhaltene Legitimation umsetzen kann. Die Landtage werden Gewinner sein, weil sie eigene Gestaltungskompetenzen erhalten. Die Ministerpräsidenten sind keine Gewinner der Reform. Der Bundesrat gibt Kompetenzen an den Bundestag und die Landtage ab. Es ist doch ein demokratischer Gewinn, wenn Zuständigkeiten von der Exekutive zur Legislative verlagert werden. Ein solches Vorhaben kann man doch nur befürworten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP))

Auch die Bürger sind die Gewinner, weil der Staat entscheiden kann und sie die entsprechende Politik besser beurteilen können.

   Alle, die das Thema unter dem Gesichtspunkt der staatspolitischen Verantwortung angehen, werden sich an den Beratungen im Gesetzungsgebungsverfahren beteiligen; aber letztlich können sie sich der praktischen Alternative nicht entziehen, die dem schlechten Status quo vorzuziehen ist.

   Die Grünen haben dem Vorhaben schon einmal zugestimmt. Erinnern Sie sich an die Verantwortung, die Sie damals wahrgenommen haben!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt nicht!)

Dass die Grünen in diesem Land nichts mehr zu sagen haben, liegt daran, dass die Bürger das in Wahlen so entschieden haben. Je schwächer Ihre taktischen Argumente werden, meine Damen und Herren von den Grünen, desto weniger werden Sie in Zukunft in Deutschland zu sagen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP - Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal eines klarstellen und dabei an das anknüpfen, was Kollege Röttgen gesagt hat: Es ist kein Anliegen einer Partei; es ist auch kein Anliegen einer großen Koalition oder einer rot-schwarzen Regierung, vielmehr muss es das Anliegen der gesamten deutschen Politik sein, dass die Effizienz unseres Staatswesens wieder besser wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Es handelt sich hier nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung, sondern die Auseinandersetzung geht quer durch alle Fraktionen und dreht sich um die Frage: Wie kann unser Staatswesen schneller werden? Wie kann es entflochten werden? Wie wird es weniger bürokratisch? Wie kann die Qualität unserer Entscheidungen besser werden? Wie kann der Staat besser werden? Das - und kein parteipolitisches Hin und Her - muss der Maßstab bei diesen Beratungen sein. Denn diejenigen, die im Bundestag gegeneinander aufgestellt sind, auf der einen Seite die Regierungsbank und auf der anderen Seite wir als Teil der Opposition, treffen sich ja spätestens im Bundesrat wieder. Sie wissen, dass Sie eine Föderalismusreform nicht durchsetzen können, ohne dass die von der FDP mit regierten Bundesländer zustimmen, weil ansonsten keine verfassungsändernde Mehrheit möglich ist.

   Deswegen will ich vorab ausdrücklich würdigen: Es hat zu allen Zeiten, vor allen Dingen in der Zeit der Regierungsbildung, immer wieder Abstimmungsgespräche gegeben und die Bundesregierung hat sich immer wieder bemüht, jedenfalls die FDP als liberale Oppositionspartei in die Gespräche und die Beratungen mit einzubeziehen.

(Beifall des Abg. Olaf Scholz (SPD))

   Nachdem ich das gesagt habe, will ich aber auch das Folgende anführen: Es ist natürlich notwendig, dass wir, nachdem wir hier miteinander demokratisch gut und fair umgegangen sind, das auch in Zukunft tun. Das, was Sie gestern veranstaltet haben, nämlich die normalen parlamentarischen Beratungen faktisch zu beenden, steht in großem Widerspruch zu dem, was heute Vormittag hier von Herrn Kauder und von Herrn Struck gesagt worden ist. Das muss man an dieser Stelle ganz klar betonen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Fritz Rudolf Körper (SPD): Das ist falsch!)

   Das Problem dabei ist: Für die Sache, um die es geht, leisten Sie einen Bärendienst, wenn Sie eine gute, demokratisch faire Beratung in diesem Haus unterdrücken. Sie wollen eine Massenanhörung durchführen und die Fachausschüsse ausschalten.

(Fritz Rudolf Körper (SPD): Nein!)

Damit bewirken Sie in Wahrheit nur eines:

(Fritz Rudolf Körper (SPD): Falsch!)

Sie wiegeln diejenigen, die eigentlich gutwillig sind, auf, dagegen zu sein. Wir sind konstruktiv; wir wollen mitwirken. Wir kennen unsere Verantwortung: Es geht um Deutschland als Ganzes, aber es geht auch darum, dass auch Abgeordnete der Opposition ihre Anliegen vortragen können und nicht nur dann, wenn aus Ihren eigenen Reihen entsprechende Anregungen kommen.

(Beifall bei der FDP)

   Nun sagt Herr Kollege Stoiber, das sei die „Mutter aller Reformen“; Frau Bundeskanzlerin Merkel sagt, so etwas könne nur eine große Koalition zustande bringen. Warten wir einmal ab, was daraus wird! Wir haben die Reden heute ja gehört. Herr Kollege Struck hat beispielsweise wörtlich gesagt: Das Ergebnis ist offen. - Das ist ja bemerkenswert. Wenn das Ergebnis so offen ist, dann verstehe ich nicht, warum Sie uns die ganze Zeit mit der Bemerkung unter Druck setzen wollen, das Paket sei geschnürt, daran dürfe jetzt auch nicht mehr gerüttelt werden.

(Jörg Tauss (SPD): Das haben Sie doch gesagt!)

Entweder ist das Paket geschnürt, Herr Kollege Kauder, oder, Herr Kollege Struck, das Ergebnis ist offen.

(Zuruf Volker Kauder (CDU/CSU): Reingucken können wir ja mal!)

Wir werden schon miteinander darüber reden müssen.

   Jetzt will ich zur Sache selbst kommen. Es ist auch notwendig, dass man dazu einige Bemerkungen macht. Gewinner einer Föderalismusreform ist doch nicht der Bundestag, ist doch nicht die Bundesregierung, ist doch nicht eine Landesregierung und ist auch nicht ein Landtag; Gewinner einer Föderalismusreform sind die Bürgerinnen und Bürger.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): So ist es!)

Das ist der einzige Maßstab, den wir in dieser Debatte anlegen sollten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht nicht darum, ob wir oder andere mehr Rechte haben werden; es geht darum, ob die Deutschen etwas von dieser Reform haben.

   Der Zustand unserer Verfassung heute ergibt sich teilweise aus dem, was von der großen Koalition Mitte der 60er-Jahre fehlerhaft gemacht wurde; das wollen wir dabei kurz festhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es ist richtig, dass die heutige große Koalition das wieder in Ordnung bringt, was die andere große Koalition damals „versaubeutelt“ hat. Das kann man hier auch offen ansprechen.

(Beifall bei der FDP - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Das ist ein Existenzgrund der jetzigen großen Koalition!)

- Da ist wohl was dran. Sie stimmen dem ja zu; Sie wissen das als Jurist ja auch.

   Das Entscheidende ist aber: Derzeit haben wir eine völlig verquere Verantwortungslage der Politik. Nur wenn die Bürger sehen können, dass ihnen diese oder jene Maßnahme von einer Landesregierung oder von der Bundesregierung eingebrockt worden ist, können sie die Regierenden wirklich zur Verantwortung ziehen. Deswegen liegt die Trennung der verschiedenen Ebenen zuallererst im Interesse der Bürger.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

   Das zählt für die Freien Demokraten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Da meine Redezeit in Kürze zu Ende ist, möchte ich noch Folgendes sagen: Wir legen Wert darauf, dass das eingehalten wird, was in dem Gespräch, das in Ihrem Haus stattgefunden hat, Frau Bundeskanzlerin, zwischen Ihnen und Herrn Müntefering vereinbart worden ist. Darauf hat auch Herr Professor Pinkwart als stellvertretender Ministerpräsident hingewiesen. Das, worüber heute hier diskutiert wird, ist ein kleiner Schritt. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, soweit es um die Entflechtung der Staatsverantwortungen geht. Es muss aber wie vereinbart auch der zweite Schritt gemacht werden. Sie haben zugesagt, dass auch die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geordnet werden. Wir verlangen, dass Sie Ihr Wort halten. Nur dann können Sie erwarten, dass auch wir, die Opposition, konstruktiv mitwirken. Das muss an dieser Stelle klar gesagt werden.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter (SPD))

   Die Qualität hängt - auch in der Bildungspolitik - weniger davon ab, welche staatliche Ebene zuständig ist.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr richtig!)

Sie hängt vielmehr in erster Linie davon ab, welche Politik tatsächlich gemacht wird. Deswegen richtet sich unser Maßstab nicht nach der Frage, welche politische Ebene zuständig ist, sondern danach, dass die Bildungseinrichtungen wieder mehr Autonomie haben. Die Zuständigkeit des Bundes garantiert noch lange nicht, dass die Qualität zunimmt, ebenso wenig die KMK, die sich bislang nicht als Qualitätsgarant erwiesen hat. Entscheidend ist, dass wir Wettbewerb bekommen. Wer den Wettbewerb fürchtet, der fürchtet in Wahrheit die Qualität. Das ist in meinen Augen falsch.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Klaus Uwe Benneter (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Westerwelle hat Recht: Es kommt in erster Linie darauf an, welche Politik gemacht wird, nicht darauf, wer in welchen Verästelungen dafür zuständig ist. Aber wir müssen feststellen, dass es dem Bürger heute nicht mehr ohne weiteres möglich ist, zu erkennen, wer Verantwortung für welchen Bereich und für welche Ergebnisse trägt. Der Kollege Röttgen hat gerade sehr eingehend dargestellt, wie in Geheimdiplomatie und eigentlich entgegen allen Grundsätzen einer parlamentarischen Demokratie Ergebnisse im Vermittlungsausschuss erzielt werden, die von uns allen hinzunehmen sind, ob wir wollen oder nicht. Das ist die gegenwärtige Situation. Insofern sind wir uns alle darüber einig: Deutschland braucht neue Verfassungsbestimmungen. In allen Diskussionen, die - seit Ende 2003 konzentriert - über das Thema Föderalismusreform in Deutschland geführt wurden, habe ich niemanden gehört, der dies infrage stellt. Jeder betont zwar, dass das Grundgesetz die beste Verfassung ist, die wir jemals in der deutschen Geschichte hatten. Jeder sagt aber auch, dass nach bald 60 Jahren eine Reform des Zusammenspiels zwischen Bund und Ländern dringend notwendig geworden ist.

   Nun haben die Koalitionsfraktionen einen detaillierten Gesetzentwurf eingebracht, den auch die Ministerpräsidenten im Bundesrat auf den weiteren parlamentarischen Weg gebracht haben. Aber nach Ansicht vieler Kritiker bringt dieser Gesetzentwurf weder das, was Deutschland bräuchte, noch das, was die Deutschen wollten. Diesen Kritikern kann ich nur entgegenhalten: Wir haben bei diesem Reformwerk kein leeres Blatt vor uns. Wir stehen nicht auf der grünen Wiese, auf der wir von neuem anfangen könnten.

   Wir haben eng beschriebene Seiten, was die bundesstaatliche Ordnung angeht, und können diese nicht, selbst wenn wir das wollten, mit einem Federstrich wegwischen. Wenn die PDS postuliert, man könne dies einfach wegwischen und neu anfangen, dann habe ich dafür noch halbwegs Verständnis; aber wenn Sie, Frau Sager, und die Grünen sich auf diesen Standpunkt stellen, dann fehlt mir dafür das Verständnis.

   Hans Eichel, als ehemaliger hessischer Ministerpräsident und ehemaliger Bundesminister ein ganz profunder Kenner der Materie, um die es hier geht, hat als angeblichen Geburtsfehler dieser Reform ausgemacht, dass am Anfang nicht die Frage stand, was Deutschland und die Menschen im 21. Jahrhundert brauchen, sondern die Frage: Was gibst du mir, wenn ich dir etwas abgebe? - Das war, wenn man so will, die Frage am Anfang. Ich teile die Einschätzung von Hans Eichel, aber ich muss diese Erkenntnis als blutleer und blass bezeichnen; denn wer Deutschlands Verfassung heute handhabbarer und damit zukunftsfähiger machen will, der muss von dem ausgehen, was sich mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenspiel von Bund und Ländern entwickelt hat. Es reicht nicht, immer nur Erwartungen zu benennen und Befürchtungen zu äußern. Das wird uns nicht zu Lösungen bringen. Wer gestalten will, darf sich keine Scheuklappen anlegen und darf sich nicht nur an dem Wünschbaren orientieren. Wer gestalten will, muss alle mitwirkenden und einwirkenden Kräfte einbeziehen, auch wenn sie sich heute hier nicht sehen lassen. Wer gestalten will, der muss auch berücksichtigen, was denn wäre, wenn alles beim Alten bliebe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Das ist eine gute Frage!)

   Was würde denn passieren, wenn man nichts ändern würde? Sie haben von falschen Weichenstellungen gesprochen. Am Beispiel des Hochschulrahmenrechts hat das Bundesverfassungsgericht klar entschieden, dass der Bundestag überhaupt nur noch dann ein Gesetz beschließen darf, wenn durch unterschiedliches Recht in den Ländern eine Gefahrenlage entsteht und sich die Lebensverhältnisse zwischen den Ländern in einer unerträglichen Weise auseinander entwickeln. Das ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu. Die Beweislast, ob es zu einer unerträglichen Auseinanderentwicklung kommt und Gefahrenlagen geschaffen werden, trägt der Bundestag. Das betrifft den gesamten Katalog der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 74 des Grundgesetzes und alles, was zur Rahmengesetzgebung in Art. 75 steht. Das betrifft den Kündigungsschutz genauso wie den Naturschutz. Das ist der gesamte Katalog. - Herr Ramelow, Sie unterhalten sich gerade.

(Bodo Ramelow (DIE LINKE): Ich höre Ihnen aufmerksam zu!)

Sie befürchten die Atomisierung des Arbeitsrechts. Die müssen Sie dann befürchten, wenn Sie alles so weiter laufen lassen wie bisher. Das, was ich gerade gesagt habe, betrifft nämlich auch das ganze Arbeitsrecht in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Bodo Ramelow (DIE LINKE): Da haben Sie keine Ahnung vom Arbeitsrecht!)

   Nicht nur alle neuen Gesetze, auch alle Gesetze dieser Materien, die der Deutsche Bundestag seit 1994, nämlich dem Zeitpunkt der Verfassungsänderung zu Art. 72 Abs. 2, verabschiedet hat, könnten die Länder nach geltender Lage vor dem Bundesverfassungsgericht kippen. Das betrifft auch andere einheitliche Voraussetzungen, zum Beispiel den Schutz von wild lebenden Tieren und Pflanzen in Naturschutzgebieten. Das alles kann angefochten werden. Das ist bisher nicht erfolgt. Bisher wissen wir nur, dass die Länder erfolgreich gegen das Hochschulrahmengesetz des Bundes vorgegangen sind. Das betraf die Studiengebühren und die Juniorprofessuren. Das ist aber auch bei der Abfallbeseitigung, bei der Luftreinhaltung, beim Lärmschutz, beim Naturschutz und bei den Bundeswassergesetzen möglich. Dann würde von einem bundesweit geltenden Umweltschutz überhaupt nichts mehr übrig bleiben. Auch das müssen Sie den Menschen draußen einmal erklären. Das ist die heutige Rechts- und Verfassungslage!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Richtig ist, dass in Art. 31 des Grundgesetzes steht:

Bundesrecht bricht Landesrecht.

Aber dort, wo es kein Bundesrecht gibt - auch das muss sich jeder bewusst machen -, kann kein Landesrecht von Bundesrecht gebrochen werden. Das war ein Grund dafür, warum wir uns hier etwas Neues einfallen lassen mussten. Ein Ergebnis ist, dass der Bundestag bis zum Jahre 2009 endlich das lang ersehnte komplette Umweltgesetzbuch einschließlich einer integrierten Vorhabensgenehmigung für alle Umweltmedien bundesweit vorgeben kann. Dieser große Erfolg wurde gerade im Umweltbereich erzielt. Ich bitte darum, das einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen. Wenn ein Landesparlament davon abweichen will, dann kann es das zwar grundsätzlich tun, muss es aber landespolitisch verantworten und umsetzen.

   Die EU-Umweltrichtlinien verhindern im Übrigen Ökodumping. Hinzu kommt, dass in den wichtigsten Bereichen des wirtschaftsrelevanten Umweltrechts - dort ist die Gefahr eines Ökodumpings besonders groß - nicht abgewichen werden darf. Auch das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Wer jetzt gegen die Abweichungsmöglichkeiten der Länder wettert, der muss wissen: Wenn alles beim Alten bliebe, könnte der Bundestag in der Zukunft fast im gesamten Umweltbereich gar nichts mehr regeln.

   Was Herrn Westerwelle und seinen Hinweis auf die Finanzverfassung angeht: Das ist der FDP zugesagt. Die Kanzlerin hat vorhin heftig genickt. Die nächste Stufe, die Beratung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern, wird zügig in Angriff genommen. Das geschieht aber nicht, um in der Bundesrepublik Deutschland einen Wettbewerbsföderalismus durchzusetzen, sondern um gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu gewährleisten. Wir möchten diesem Ziel, auch was die Finanzbeziehungen angeht, näher kommen.

(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Werden Sie sich erst mal einig!)

Im weiteren Verfahren werden wir für mehr Klärung sorgen.

   Wir werden auch klären, was der neue, im Hinblick auf kostenbelastende Gesetze eingeführte Zustimmungstatbestand bringt. Nach dem Urteil von Verfassungsexperten ist das zumindest unklar, sodass man noch einmal ganz genau prüfen muss, ob die angestrebte Reduzierung der Anzahl der zustimmungspflichtigen Gesetze tatsächlich gelingt.

   Der Kollege Röttgen hat natürlich vollkommen Recht: Eines der wichtigsten Ziele dieser Reform ist es, für klar getrennte Zuständigkeiten und für klar getrennte Aufgabenbereiche zu sorgen, sodass wir hier im Bundestag wirklich bundespolitische Entscheidungen treffen können. Wenn die Reduzierung der Zustimmungstatbestände nicht gelänge, dann verlöre diese Reform mit Sicherheit einen wesentlichen Teil ihrer ursprünglichen Zielstellung. Herr Röttgen, in der Tat: Der Staat muss besser werden.

   Wir müssen sicher auch über das Kooperationsverbot von Bund und Ländern im Bereich der ausschließlichen Landesgesetzgebung nachdenken. Das ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Wie ist der Strafvollzug auf die Liste gekommen? Das liegt zum einen daran, dass der Bund keine Gefängnisse hat und auch in der Zukunft keine braucht. Das hoffe ich jedenfalls. Jetzt geht es aber darum, dass wir beim Strafvollzug keine völlig neuen Orientierungen - weg von der Resozialisierung - in der Bundesrepublik Deutschland zulassen. Wir sind das unseren früheren Justizministern Gustav Heinemann, Hans-Jochen Vogel und wie sie alle heißen, aber auch der Menschenwürde in Deutschland schuldig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Strafvollzug hat etwas mit Menschenwürde zu tun. Dies darf also kein Auftakt für einen weiteren Versuch sein, beim Strafvollzug nicht mehr die Resozialisierung in den Mittelpunkt zu stellen, sondern den Rachegedanken.

   Für uns gilt: Hier gibt es kein Niederbügeln. Frau Künast, wir schlucken nicht einfach, was uns vorgesetzt wird, sondern wir schmecken gut ab und achten dabei auch darauf, dass wir uns nicht die Zunge verbrennen. Aber wir nehmen unsere Gestaltungsverantwortung wahr und wir nehmen diese Verantwortung auch als eine Gestaltungschance ernst.

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fügt sich ganz gut, dass ich im Anschluss an die Kollegen Röttgen und Benneter rede. Herr Röttgen hat die These vertreten, die klare Zuweisung von Verantwortung sei der zentrale staatspolitische Anspruch dieser Reform. Sowohl Herr Röttgen als auch Herr Benneter haben die geplante Föderalismusreform also mehr oder weniger als einen Segen für die Umweltpolitik bezeichnet. Ich will dieser These im Folgenden nachgehen und prüfen, ob sie zutreffend ist.

   Im Bereich des Umweltschutzes klagen wir seit langem darüber - das ist ganz gewiss wahr -, dass das Recht völlig zersplittert ist. Dieser Flickenteppich ist nicht mehr zeitgemäß, nicht mehr sachgerecht, nicht mehr europarechtstauglich und vor allem nicht mehr überschaubar. Heute besteht im Rahmen des Grundgesetzes folgende Rechtslage: Auf der einen Seite gibt es den Kompetenztyp der konkurrierenden Gesetzgebung mit Erforderlichkeitsklausel bei Abfall, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung. Zum anderen gibt es die Kategorie des Rechts Wasser, Naturschutz, Landschaftspflege, Jagd und Raumordnung in der Rahmengesetzgebung des Bundes, die von den Ländern ausgefüllt werden kann. Bisher gibt es also zwei Kompetenztypen. Was wir schon bisher als Kompetenzwirrwarr angesehen haben, ist so problematisch, dass sich die gesamte umwelt- und rechtswissenschaftliche Fachwelt darüber einig ist: Wir brauchen eine Reform dieses Systems. Darüber besteht ganz klar Einvernehmen.

   Woran soll sich die Neugestaltung ausrichten? Sie soll sich an den Herausforderungen einer modernen Umweltpolitik orientieren, sie soll eine Kompetenzentflechtung entlang der Sachaufgaben vornehmen, sie soll europarechtstauglich sein und sie soll die Grundlagen für ein Umweltgesetzbuch schaffen.

   Wenn man sich vor diesem Hintergrund das anschaut, was die große Koalition vorgelegt hat, dann kann man wirklich sagen - ich werde das gleich auch begründen -: Es wird nicht besser, sondern es wird schlechter. Es wird nicht einfacher, sondern es wird komplizierter. Was Sie vorlegen, ist kein Beitrag zur Konfliktvermeidung, sondern bewirkt zusätzliche Konflikte, die letzten Endes - das prognostizieren wir - sogar vor dem Verfassungsgericht landen werden.

   Die Vorschläge gehen in die Irre. Das will ich an drei Beispielen ganz besonders deutlich machen:

   Erstens. Die vorgesehene Kompetenzordnung ist absolut unsystematisch. Statt zwei werden wir in Zukunft - Herr Benneter, das wissen Sie - fünf Kompetenzzuordnungstypen haben: die ausschließliche Bundeskompetenz, die konkurrierende Gesetzgebung mit Erforderlichkeitsklausel, ohne Erforderlichkeitsklausel, mit Abweichungsbefugnissen für die Länder und die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder. Das sind statt zwei fünf Kategorien.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Das stimmt so nicht!)

Da kann einem schon schwindelig werden. Deswegen möchte ich Herrn Röttgen gern fragen: Ist das wirklich ein Beitrag zur Erreichung einer klaren Zuweisung von Kompetenzen? Ich würde sagen: Das ist eher ein Beschäftigungsprogramm für Juristen und gewiss kein Beitrag zum Abbau von Bürokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Klaus Uwe Benneter (SPD): Was Sie sagen, ist diskriminierend!)

- Nein, keineswegs. Ich kann ja verstehen, dass Herr Röttgen und Sie für den Berufsstand der Juristen werben; das ist durchaus legitim.

   Ich kann noch eine andere Stimme anführen. Der Geschäftsführer Dierk Müller von der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland sagt auf der Grundlage Ihrer Pläne:

Jeder macht, was er will - und der Investor weiß nicht, was er tun soll.

Das bringt die Sache ziemlich gut auf den Punkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der zweite Aspekt. Mit den exzessiven Abweichungsmöglichkeiten, die Sie für die Länder im Naturschutz, im Gewässerschutz und in der Raumordnung schaffen, leiten Sie - das können Sie definitiv nicht wegreden - einen Wettbewerb um niedrigste Umweltstandards ein. Das wäre fatal und muss deshalb dringend unterbleiben. Vor allem passt es überhaupt nicht zusammen, wenn die Umweltverwaltungen in den Ländern, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen abgebaut werden, für diese aber jetzt zusätzliche Kompetenzen reklamiert werden. Die Abweichungsmöglichkeiten der Länder sind also ein fataler Irrweg.

   Vor allem ist Ihre Begründung wirklich hanebüchen. Sie sagen, es gebe regionale Unterschiede und deswegen dürfe abgewichen werden. Es ist doch klar, dass Naturschutz im Alpenraum etwas anderes bedeutet als Naturschutz in der Norddeutschen Tiefebene oder dass Hochwasservorsorge am Rhein etwas anderes ist als Hochwasservorsorge an der Oder. Man braucht trotzdem einheitliche Regeln, Prinzipien und Verfahren. Es gibt doch auch kein unterschiedliches Landwirtschaftsrecht, nur weil in der Uckermark und in der Magdeburger Börde unterschiedliche Standortbedingungen vorhanden sind. Es muss Einheitlichkeit hergestellt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Loske, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benneter?

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gerne.

Klaus Uwe Benneter (SPD):

Herr Kollege Loske, haben Sie denn mitbekommen, dass im Naturschutzbereich die Grundsätze des Naturschutzes sozusagen abweichungsfrei sind? Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat der Bund eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Grundsätze des Naturschutzes. Die gilt es zu formulieren.

Sie sollten jetzt Ihr ganzes Gehirnschmalz einbringen, damit wir hier zu guten Ergebnissen kommen. Finden Sie nicht auch, dass das der richtige Weg wäre?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Theoretisch ist das richtig, aber praktisch besteht das Problem,

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Für die Praxis sind wir zuständig!)

dass Sie durch Ihre Vorhaben das Umweltgesetzbuch, das kommen wird und das Sie loben und preisen, im Prinzip zu einer leeren Hülle machen, indem Sie den Ländern sehr weit gehende Abweichungsmöglichkeiten zugestehen. Das wissen Sie auch ganz genau.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dass der Sachverständigenrat für Umweltfragen und alle anderen Umweltexperten diese Möglichkeiten in Bausch und Bogen verurteilt haben, hat natürlich damit zu tun, dass die abweichungsresistenten Kerne nur einen geringen Umfang einnehmen. Diese Antwort möchte ich Ihnen gerne auf Ihre Frage geben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Klaus Uwe Benneter (SPD): Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen?)

- Ich würde jetzt gerne fortfahren.

   Dritter Punkt. Ihre Vorschläge bezüglich der Abweichungsmöglichkeiten und Erforderlichkeiten machen das Umweltgesetzbuch zur Farce. Dadurch würde es zu der Situation kommen, dass es zwar ein Umweltgesetzbuch gibt, man aber, wenn man nachsehen will, was es mit dem Umweltrecht auf sich hat, nicht sicher sein kann, ob dieses Recht an dem Ort, wo man lebt oder investieren will, auch tatsächlich gilt, weil die Länder davon abgewichen sein könnten.

   Ein Umweltrecht aus einem Guss sieht vollkommen anders aus. Mit einer solchen Regelung im Umweltbereich machen wir uns in Europa lächerlich und handlungsunfähig. Das muss ich ganz klar sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen einen einheitlichen Kompetenztitel „Umwelt“ mit einer klaren konkurrierenden Gesetzgebung, ohne Abweichungsmöglichkeiten und Erforderlichkeitsklauseln. Den Interessen der Länder können wir entgegenkommen - das hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen, wie Sie, Herr Benneter, sehr genau wissen, deutlich beschrieben - durch normierte Öffnungsklauseln.

   Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Ich weiß, dass das, was ich hier für meine Fraktion vortrage, auch von sehr vielen Kolleginnen und Kollegen in den Koalitionsfraktionen so gesehen wird. Im Umweltausschuss herrschte ein schon fast sensationelles Maß an Einvernehmen. Deshalb fordern wir die Union und die SPD auf, unsere Bedenken ernst zu nehmen.

   Abschließend möchte ich noch ein Zitat bringen. Sie können nun wirklich nicht behaupten, die Fachleute stünden auf Ihrer Seite. Eine solche Aussage grenzt an Realitätsverweigerung. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen schreibt zusammenfassend,

... dass der SRU in zahlreichen Gesprächen mit Fachleuten des Umweltschutzes nirgends auf Zustimmung zu dem Koalitionsvorschlag gestoßen ist.

Diese Einhelligkeit der Kritik sei außergewöhnlich und für die Politik sicher bedenkenswert.

   Ich hoffe, der SRU hat Recht; denn das, was Sie hier vorlegen, ist in Sachen Umweltschutz eine Verschlechterung und ganz gewiss keine Verbesserung.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Michael Grosse-Brömer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Loske, wenn man Ihnen zuhört, bekommt man den Eindruck, in Deutschland existierten zu wenige Gesetze im Umweltbereich. Wenn Sie den Gesetzentwurf gerade in diesem Punkt richtig lesen, können Sie feststellen, dass erstmalig die Chance der Kodifizierung, der Zusammenfassung und damit aus meiner Sicht auch der Stärkung des Rechtes im Umweltbereich gegeben wird. Ich hätte eigentlich gedacht, dass Sie das Gegenteil dessen vorgetragen hätten, was ich jetzt von Ihnen gehört habe.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren, wir debattieren über unser fundamentalstes Recht. Das Grundgesetz, das wir teilweise ändern wollen, ist die Basis unserer Rechtsordnung und bestimmt die Leitlinien unseres Gemeinwesens. Deshalb schützt es sich im Übrigen in Art. 79 auch selbst vor zu leichtfertigen Veränderungen. Es wird zu Recht eine breite Zustimmung in Bundestag und Bundesrat verlangt, um das Verfassungsrecht neuen Entwicklungen und Veränderungen anzupassen.

   Die große Koalition will mit dem heute vorliegenden, gut vorbereiteten Gesetzentwurf diese Herausforderung annehmen. Die Föderalismuskommission hat mehr als ein Jahr in zwei Arbeits- und sieben Projektgruppen unter Einbeziehung des Sachverstandes von Bundesregierung, Landesregierungen, Landtagen, kommunalen Spitzenverbänden und Wissenschaft intensiv gearbeitet. Das Ergebnis war ein detaillierter Kompromissvorschlag, der jetzt nach Überarbeitung und nach Billigung durch fast alle Ministerpräsidenten diesem Hohen Hause zur Beratung vorgelegt wurde.

   Im Kern geht es um die Frage, ob wir die Dynamik in unserem Land verbessern, ob wir die Gesetzgebung effektiver und für den Bürger durchschaubarer gestalten und dadurch Politik- und Staatsverdrossenheit abbauen sowie Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit steigern können. Ich finde, diese Ziele sind es wert, dass man sich ernsthaft Gedanken darüber macht, ob man diesen Gesetzentwurf für parlamentarische Machtspiele benutzt oder bei der Debatte darüber vorrangig das gesamtstaatliche Interesse ins Auge fasst.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt erst recht deshalb, weil weite Teile der Opposition an diesem Gesetzentwurf mittelbar als Mitglieder der Föderalismuskommission mitgearbeitet und mitgestaltet haben. Die FDP erinnert sich wohl an diese Tatsache; aber bei den Grünen habe ich das Gefühl, dass ein partieller Gedächtnisverlust eingetreten ist, weil man jetzt nicht mehr Regierung, sondern Opposition ist.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Damit werden Sie der Bedeutung dieses Gesetzentwurfes nicht gerecht, meine Damen und Herren von der grünen Fraktion. Diesen Schuh darf sich übrigens auch die linke Fraktion anziehen.

   Sie vergessen in diesem Zusammenhang, dass wir alle als Parlamentarier ebenfalls ein fundamentales Interesse an dieser Reform der bundesstaatlichen Ordnung haben. Es geht nämlich im konkreten Fall auch um unsere ureigenen Interessen. Durch dieses Gesetz wird die Anzahl der zustimmungspflichtigen Gesetze verringert. Dadurch nimmt zwangsläufig die Zahl der Sitzungen des Vermittlungsausschusses ab. Damit wird es weniger parlamentarische Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem kleinen Vermittlungskreis geben. Folglich steigt die Bedeutung der Abgeordneten, weil sie nicht nachträglich einen Kompromiss des Vermittlungsausschusses absegnen müssen, sondern im Parlament direkter und intensiver an bedeutenden Gesetzesvorhaben beteiligt werden; denn unwichtige Entscheidungen hat der Vermittlungsausschuss meiner Erinnerung nach nicht besonders häufig auf der Agenda gehabt. Diese grundlegenden, strukturell positiven Wirkungen der Föderalismusreform sollten wir bei allen weitergehenden Beratungswünschen als Parlamentarier nicht vergessen.

   Was die weiteren Beratungen betrifft, so bin ich der Meinung, dass der Rechtsausschuss völlig zu Recht federführend mit diesem Thema betraut wurde. Es ist originäre Aufgabe des Rechtsausschusses, sich dem Verfassungsrecht zuzuwenden. Darum geht es nun einmal bei dem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich bin davon überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, dass wir in einem sehr geordneten und strukturierten Verfahren die parlamentarischen Rechte aller Mitglieder dieses Hauses bei den Beratungen berücksichtigen werden. Jedenfalls war das nach meiner Kenntnis in der Vergangenheit so. Es wird auch in Zukunft so bleiben, wenn der Rechtsausschuss tätig wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben es heute schon häufiger gehört: Unser Staatsaufbau muss dringend verändert werden. Das sagt jeder Experte, der sich mit dieser Frage in Deutschland beschäftigt hat. Wir sollten uns deshalb die notwendige Gelassenheit bewahren und nicht schon bei Verfahrensfragen von „Murks“ reden, wie dies der Kollege Beck gestern in der Geschäftsordnungsdebatte getan hat. Man kann nicht jahrelang von der blockierten Republik reden und dann bei intensiv vorbereiteten Verbesserungsvorschlägen reflexartig mit der gesamten Fraktion in Abwehrstellung gehen. Ich glaube nicht, dass das ein konstruktiver Weg ist, diesen Gesetzentwurf zu behandeln.

   Meine Damen und Herren, wir wollen mit dem vorliegenden Entwurf die alte Tante Föderalismus wieder mit frischem Schwung versehen. Der dominierende Trend der letzten Jahrzehnte nach In-Kraft-Treten des Grundgesetzes war eine Vermischung und Verwischung der politischen Verantwortung bei gleichzeitiger Blockade der Gesetzgebung. Wir wollen zurück zu den Stärken des Föderalismus: zur klaren Teilung der Staatlichkeit mit dem damit verbundenen Schutz vor Machtmissbrauch; zur Stärkung von demokratischer Teilhabe; zu der Grundidee im Übrigen, dass Wettbewerb in und mit den Ländern dem Gesamtstaat fördernd zugute kommt. Die Subsidiarität ist hier schon angesprochen worden; die Kommunen werden hier besonders bedacht in Art. 84 neu.

   Ein aus meiner Sicht weiterer, sehr bedeutsamer Punkt ist die Aufhebung von Effizienzschwächen beim staatlichen Handeln. In der Zeit der Globalisierung und der extensiven europäischen Rechtsetzung ist es unsere Pflicht, Defizite in unserer eigenen staatlichen Ordnung als Erstes zu beheben, bevor wir mit dem Finger auf andere zeigen.

   Vor dem beschriebenen Hintergrund wird auch der Faktor Zeit immer bedeutsamer. Wollen wir in der Welt, insbesondere in Europa, wirkungsvoller auftreten, so müssen wir da schneller und besser werden, wo wir erkennbar zu behäbig geworden sind und der Verfassungsmotor ins Stottern gekommen ist.

   Meine Damen und Herren, wir werden diesen Entwurf intensiv beraten. Dazu werden wir auch Gelegenheit haben. In Deutschland ist es üblich, dass bei Veränderungen 10 Prozent Unzufriedene lauter klagen, als 90 Prozent Zufriedene sich freuen. Ich würde mich freuen, wenn das in diesem konkreten Fall anders wäre. Ganz schlimm wäre aber ein vorgeschobener Änderungsbedarf in Bezug auf diese Reform mit dem Ziel, der großen Koalition keinen Erfolg zu gönnen. Wer das vorhat, muss wissen, dass er nationale Interessen zugunsten kurzfristiger Parteiinteressen aufs Spiel setzt.

   Uns bringt, denke ich - so viel zum Abschluss -, bei der vor uns liegenden Aufgabe nur eine Gesamtabwägung weiter. Lassen Sie uns hinterfragen, ob Deutschland durch diese Reform insgesamt schneller, dynamischer, demokratischer und bürgernäher wird. XXXXX

Wenn wir hier zu einem positiven Ergebnis kommen, dann müssen wir bereit sein, angesichts der Größe und Bedeutung dieses Vorhabens die bisher gezeigte Kompromissbereitschaft aller Beteiligten auch im Bundestag zu honorieren.

   In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehenden Beratungen und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer, SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Bochum) (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wichtiges Ziel der Föderalismusreform, die Entflechtung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern, geht einher mit der zunehmenden Verflechtung innerhalb der Europäischen Union. Deshalb ist die Verbesserung der Europafähigkeit Deutschlands ein bedeutendes Element, welches in dieser Debatte bisher leider sehr vernachlässigt wurde.

(Fritz Rudolf Körper (SPD): Deshalb haben wir dich engagiert!)

Wenn wir über den vor uns liegenden Weg der großen Koalition zur Grundgesetzreform reden, so müssen wir zugleich an den zurückgelegten Weg in Europa erinnern.

   1986 hat der Bundesrat im Ratifikationsprozess zur Einheitlichen Europäischen Akte sein Zustimmungsrecht genutzt, um die innerstaatlichen Mitwirkungsmöglichkeiten deutlich auszuweiten. Mit der Entscheidung über die gemeinsame Währung 1992 erhielten die Beteiligungsrechte der Länder erstmals Verfassungsrang. Im neu gefassten Art. 23 des Grundgesetzes wurde bei der Willensbildung des Bundes der Bundesrat in außergewöhnlicher Weise mit einbezogen, und zwar durch die maßgebliche Berücksichtigung seiner Auffassung, sofern Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, und bei der ausschließlichen Gesetzgebung durch einen der Plätze am Ratstisch in Brüssel.

   Die Informationsbüros der Länder wuchsen in zwei Jahrzehnten so gewaltig, dass sie heute zum Teil größer sind als die Botschaften einzelner Mitgliedstaaten. In neun Fällen erhielten diese Einrichtungen gar den Namen „Ländervertretung bei der Europäischen Union“. Hinzu kommt noch ein Büro des Bundesrates.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Hört! Hört!)

   Während sich in der EU in diesen 20 Jahren die Mitgliederzahl von zwölf auf 25 etwa verdoppelte, ist die Zahl der deutschen Repräsentanten um das Sechsfache gestiegen. Allein 400 Landesbeamte und -beamtinnen sind mittlerweile in den 300 EU-Verhandlungsgremien beteiligt. Weiterhin wurde vor über zehn Jahren unter maßgeblicher Beteiligung des Bundesrates der Ausschuss der Regionen gegründet, worin heute von insgesamt 24 unserer Vertreterinnen und Vertreter 21 aus den Ländern kommen. So viel zum bereits bestehenden Einfluss auf föderaler Ebene.

   Jetzt ist es an der Zeit, neben den politischen und repräsentativen Fragen auch die notwendigen Haushaltsfragen zu beantworten. Der Anspruch der Länder, auch im Rahmen der EU die Politik mitgestalten zu können, muss durch finanzielle Verantwortung ergänzt werden.

(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter (SPD))

Diese Mitverantwortung kommt am deutlichsten durch die Mithaftung zum Ausdruck, wie sie jetzt - man müsste sagen: endlich - im Grundgesetz verankert wird.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU))

   Konkret bedeutet dies: Bei legislativem, exekutivem oder judikativem Fehlverhalten gegenüber der EU wird klargestellt, dass die Verursacher die Lasten zu tragen haben. Das heißt, bei übergreifenden Finanzkorrekturen, wie es so schön in Juristendeutsch heißt, beteiligt sich die Ländergesamtheit mit 35 Prozent. 50 Prozent wird von denjenigen getragen, die die Kosten verursacht haben. Der Bund - auch das sei erwähnt - leistet einen solidarischen Beitrag von 15 Prozent. Das ist Inhalt des neu gefassten Art. 104 a.

   Im neuen Art. 109 Abs. 5 des Grundgesetzes wird zur Einhaltung des nationalen Solidarpaktes erstmals eine Beteiligung der Länder eingeführt, falls die EU zu Sanktionen greifen sollte. Das entsprechende Sprichwort kennen wir alle: Haushaltsdisziplin. Der 35-prozentige Anteil der Länder entspricht zwar nicht dem durchschnittlichen Anteil der Länder, inklusive Gemeinden, am gesamtstaatlichen Defizit der letzten Jahre. Aber immerhin wurde die Mitverantwortung der Partner im zweigliedrigen Staatsaufbau grundsätzlich wie grundgesetzlich festgeschrieben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU))

   Das heißt: Es gibt einen Paradigmenwechsel in der deutschen Europapolitik. Dieser Wechsel ist richtig und wichtig. Es ist gut, dass wir jetzt diesen Weg gehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich sehe Franz Müntefering hier sitzen. Er weiß sehr genau: Die Fachleute in der von ihm und Herrn Stoiber geleiteten Kommission waren sich darin einig, dass die Ausgestaltung der Länderbeteiligung in unserem Grundgesetz eher einer Geschäftsordnung denn einer Verfassung entspricht. Die Frage, ob die deutschen Länder in der EU Motor oder Bremser bei der Durchsetzung von Interessen sind, war deutlich aufgeworfen worden.

   Jawohl, die Länder bleiben in der Verantwortung. Künftig wird einer ihrer Vertreter sprechen, falls es um schulische Bildung, Kultur oder Rundfunkfragen geht. Aus der bisherigen Sollregelung wird also, wenn es nach unseren Vorstellungen geht, eine Mussregelung, die jedoch - das gehört dazu - auf diese drei Bereiche beschränkt wurde. Das ist auch dringend notwendig. Denn es kann nicht sein, dass die Länder nach der Föderalismusreform in noch mehr Ratsformationen das Vertretungsrecht beanspruchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung bedeutet ein Weiteres: Wir, der Deutsche Bundestag, werden in diesem Jahr mit der Bundesregierung eine Vereinbarung treffen, um die Beteiligung von uns Abgeordneten in Angelegenheiten der Europäischen Union zu verbessern. Deshalb kann ich jenseits aller taktischen Überlegungen erklären: Im Bereich des tatsächlichen politischen Einflusses muss der Bundestag mit dem Bundesrat auf gleiche Augenhöhe auf der europäischen Ebene kommen. Da wollen wir hin.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bundesratsbank, es gibt allerdings einen Unterschied: Wir wollen nicht das 17. Land in Brüssel werden.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ja, richtig!)

Wir errichten nur ein Verbindungsbüro, um ungefiltert und vollständig aktuelle Informationen, die auf die Bedürfnisse unseres Parlamentes ausgerichtet sind, zu erhalten.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wir geben auch keine Empfänge!)

Der Ort der Mitwirkung des Bundestages ist und bleibt Berlin. Das ist der Geist und der Buchstabe des Art. 23 des Grundgesetzes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

   Ich sage es hier ganz offen: Ob vor, während oder nach der Föderalismusreform, alle Landesregierungen sollten sich zukünftig überlegen, ob sie tatsächlich den Anspruch haben sollten, zuweilen wie Regierungen von EU-Mitgliedern zu agieren. Der immer wieder gebrauchte Hinweis, viele Länder in Deutschland seien größer als eine Reihe von Staaten in der EU, ist zahlenmäßig sicherlich korrekt, politisch jedoch Unsinn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Weder mein geliebtes Nordrhein-Westfalen noch das schöne Bayern oder das herrliche Land Rheinland-Pfalz sind quasi eigenständige EU-Mitglieder.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wären sie aber gern!)

Sie sind und bleiben Teil der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist völlig falsch, zu glauben, dass man die Zahl der deutschen Akteure in Brüssel nur erhöhen muss, um mehr gemeinsamen Einfluss auszuüben. Bei zahlreichen Beobachtern der EU-Institutionen entsteht der Eindruck: je vielstimmiger unser Chor in Brüssel, desto unklarer der Text, der gesungen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Hier schließt sich der Kreis: Die Entflechtung von Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern bei gleichzeitiger Verflechtung der Politik in der Europäischen Union wird nur dann die Europafähigkeit Deutschlands verbessern, wenn auch unsere Länder die neuen Herausforderungen in einem größer gewordenen Europa solidarisch wahr- und aufnehmen. Die deutsche Position im Rat muss klar sein. Das heißt, wir müssen Ja oder auch Nein sagen können und dürfen nicht auf das Mittel der Enthaltung ausweichen. Enthaltung bedeutet immer den Verzicht auf die Möglichkeit, in Verhandlungen etwas zu erreichen.

(Beifall bei der SPD)

   Bei der von uns allen gewünschten Demokratisierung und Parlamentarisierung Europas, die in der Regel zu Mehrheitsentscheidungen im Rat führen, ist die Änderung des Grundgesetzes, die wir gemeinsam anstreben, die eine Seite. Die andere Seite ist: Wir brauchen vor dem Hintergrund der Globalisierung ein neues Verständnis von und ein neues Verhältnis zu europäischer Politik. Wir Deutsche wollen auch künftig in Europa nicht Getriebene sein, sondern Gestalter bleiben.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als wir im Jahr 2003 die Föderalismuskommission konstituierten, gab es nur wenige, die an ein umfassendes Reformwerk glaubten. Ich denke, es gab einige günstige Konstellationen. Eine davon haben Sie, lieber Kollege Benneter, genannt: die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Erforderlichkeitsklausel. Diese Rechtsprechung hat viele Bundespolitiker aufgeweckt; denn sie hat deutlich gemacht, dass sich die Bundesgesetzgebung Stück für Stück zugunsten der Länder verändern wird, wenn nicht gegengesteuert wird. Von daher gab es in dieser Frage Handlungsbedarf.

   Die zweite günstige Konstellation bestand darin, dass zwei Menschen, nämlich Franz Müntefering und Edmund Stoiber, mit Herzblut daran gearbeitet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Da war schon ein Hauch von großer Koalition in der letzten Wahlperiode zu spüren.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Es war nur die CSU! Das ist nicht die große Koalition!)

- Lieber Herr Benneter, es war sozusagen die erste Schwalbe des großkoalitionären Frühlings, den wir jetzt erleben.

   Darüber hinaus waren Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der FDP an der sachlichen Diskussion in der Kommission beteiligt. Ich erinnere mich an viele gute und konstruktive Gespräche, beispielsweise mit Rainder Steenblock von den Grünen und mit Ernst Burgbacher und Rainer Funke, der jetzt nicht mehr dem Bundestag angehört und den ich von hier aus grüßen möchte, von der FDP.

   Mit dieser Reform stärken wir den Föderalismus. Mich hat die Diskussion in der Öffentlichkeit und hier im Parlament über die Föderalismusreform erstaunt; denn dort, wo ich erwartet hatte, positive Begriffe wie Subsidiarität, Vielfalt und passgenaue Möglichkeiten der Gestaltung zu hören, las und hörte ich nur Wörter wie Zersplitterung, Kleinstaaterei und Afrikanisierung.

(Volker Kröning (SPD): Das ist eine Beleidigung!)

   Was macht uns eigentlich so sicher, dass Einheitsbrei, dass Zentralismus besser sein soll als Föderalismus?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn die Lobbyisten und Verbände so reagieren, dann habe ich Verständnis dafür; denn für Lobbyisten und Verbände ist es immer gut, zentralistische Entscheidungsinstanzen zu haben, weil man bei ihnen besser lobbyistisch tätig werden kann. Dass sich das aber zu einem allgemein um sich greifenden Glauben entwickelt hat, ist verwunderlich.

   Ein Kommentar in der „FAZ“ lautete am 6. März 2006:

Wo sind die Freunde des Föderalismus geblieben?

Ich bin der Überzeugung, dass wir mit dieser Reform Freunde für den Föderalismus gewinnen werden, weil wir mit dieser Reform beweisen werden, dass Ineffizienz und Intransparenz, die wir jetzt beklagen, keine Eigenschaften des Föderalismus sind, sondern Eigenschaften einer unnötigen Verflechtung, die wir jetzt auflösen. Von daher wird der Föderalismus auch im Bewusstsein der Bevölkerung gestärkt.

   Es ist richtig, wenn das Gaststättenrecht in die Zuständigkeit der Länder fällt. Es ist aber auch richtig, dass wir den Bund da stärken, wo bundesstaatlicher Zusammenhalt notwendig ist, beispielsweise bei der Terrorismusabwehr. Genau das ist Bestandteil der Reform.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb am 7. März 2006:

Eine wirkliche Föderalismusreform muss den Ländern mehr nehmen als geben.

Ich bestreite das ausdrücklich. Die Antwort auf unsere Probleme ist nicht zentralistische Vereinheitlichung. Die Reaktion der deutschen Bevölkerung auf den Zentralismus in Europa, nämlich eine spürbar werdende Abneigung der Bevölkerung ihm gegenüber, beweist doch, dass die These, der Zentralismus sei der richtige Weg, falsch ist. Dezentralisierung und Subsidiarität an den Stellen, wo sie möglich sind, sind der richtige Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ich halte auch die Kritik an der Abweichungsgesetzgebung für falsch. Manchmal ist dabei von Pingpong usw. die Rede. Gesetzgebung ist keine Rechthaberei, sondern das Bemühen von Parlamenten, ob auf Bundes- oder Länderebene, sachgerechte Lösungen für die Menschen zu finden. Das sollten wir im Auge behalten. Deswegen halte ich auch jedes Misstrauen gegenüber den Ländern für völlig verfehlt und für den falschen Ansatz.

   Ich kann allen Umweltpolitikern nur dringend empfehlen, sich das, was Kollege Benneter zur Erforderlichkeitsrechtsprechung ausgeführt hat, genau anzusehen. Wenn Sie die Urteile, die existieren, auf die Umweltgesetzgebung fortschreiben, dann werden Sie erleben, dass der Bund bei der jetzigen Konstellation viel mehr Kompetenzen im Umweltbereich verlieren wird, als uns recht sein kann. Deswegen rate ich uns dringend, diese Reform umzusetzen und nicht scheitern zu lassen.

   Der Föderalismus entspricht der kulturellen Vielfalt unseres Landes. Natürlich wird die Reform weitergehen. Wenn die große Koalition zusagt - ich sage das auch in Richtung FDP -, dass es weitere Schritte geben wird, wird das auch geschehen; wir werden das einhalten.

   Wichtig ist, dass wir mit dieser Reform den Beweis erbringen, dass dieses Land und seine politischen Akteure in der Lage sind, entschlossen und geschlossen den Bundesstaat zu modernisieren. Es ist der Anfang eines guten Weges. Ich bin der Überzeugung, dass sich in den nächsten Wochen und Monaten in allen Fraktionen jeder seiner Verantwortung für die Zukunft dieses Landes bewusst sein wird.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Friedrich, im Namen aller Kolleginnen und Kollegen zu Ihrem heutigen Geburtstag.

(Beifall)

   Das Wort hat der Kollege Volker Kröning, SPD-Fraktion.

Volker Kröning (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer drei Jahre an der Föderalismusreform mitgearbeitet hat und nun schon drei Stunden dieser Debatte zuhört, wer die Texte und Begründungen gelesen hat, was wir sicher alle bei diesem verantwortungsvollen Werk tun sollten, und wer weiß, was von uns erwartet wird, der darf nach diesen Stunden mit Optimismus in die nächsten drei Monate schauen. Wer abwechselnd am Kartentisch und im Maschinenraum gearbeitet hat, der weiß auch, welche Verantwortung wir alle gemeinsam für den vor uns liegenden Prozess haben - ein parlamentarisches Verfahren, das zusammen mit dem Bundesrat, anders als ein Vermittlungsverfahren, nämlich vor der ganzen Öffentlichkeit zu bewältigen ist -, und der setzt auf die Verantwortung der heutigen Dioskuren Volker Kauder und Peter Struck.

   Ich stehe nach wie vor zu dem Paket, das heute vorgelegt wird, auch wenn ich mir einzelner schmerzhafter Kompromisse bewusst bin und nach wie vor in der einen oder anderen Frage meine Meinung nicht unterdrücke.

   Ich erlaube mir auch nicht, die Aussagen des Fraktionsvorsitzenden der SPD zu interpretieren. Denn er hat nicht nur formal, sondern auch inhaltlich deutlich gemacht, welche Informations- und Überzeugungsarbeit noch vor uns liegt. Es zeigt zugleich, wie wir nach meinem Dafürhalten die Anhörung aufzäumen sollten, nämlich von den Juckepunkten aus.

   Ich möchte an alle, gerade auch an die Oppositionsfraktionen, appellieren, ihre Alternativen deutlich zu machen. Ich messe heutiges Tun nicht an vergangenem Tun. Darüber kann man geteilter Meinung sein. Ich bitte Sie alle, Ihre Alternativen so deutlich zu machen, wie es heute schon bei FDP und PDS erkennbar war. Es müssen klare Alternativen sein. Ich hoffe, unser früherer Koalitionspartner findet dazu zurück.

   Zum Charakter einer Anhörung muss gesagt werden, dass es sich nicht um die Lesung der Gesetzestexte und -begründungen handelt; das bleibt dem federführenden Ausschuss und den mitberatenden Ausschüssen vorbehalten. Eine Anhörung ist auch keine Auswertung. Die Auswertung muss nach der Anhörung stattfinden, und zwar von allen Beteiligten, nämlich Bund und Ländern, den Koalitionsfraktionen und sicher auch dem stillen Beteiligten an diesem Projekt, der sein Mitspracherecht heute wieder deutlich angemahnt hat.

   Zur Erleichterung der parlamentarischen Arbeit habe ich einige Bitten. Der Begleittext und die Einzelbegründungen zur Bildungspolitik sollten sorgfältig ausgewertet werden. Der Streitstoff wird sich nach meinem Dafürhalten fast auf Null reduzieren, weil wir schon in der Vergangenheit intensiv darum bemüht waren, Verfassungs- und Fachpolitik aneinander anzudocken.

Am Ende wird zu entscheiden sein, ob der Kompromiss vertretbar ist oder nicht. Ich lebe nach der Devise „Das Bessere ist der Feind des Guten“. Vielleicht fällt uns an der Stelle noch etwas Besseres ein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Bei der Verfassungsreform werden die kleinen und großen Parteien lernen, dass Bildungspolitik - zu der alle ihre Argumente voller Leidenschaft vortragen - auf allen Ebenen - nicht nur im Deutschen Bundestag, auch wenn er die erste Gewalt der oberen Ebene ist - stattfindet. Uns ist aufgegeben, eine Bildungspolitik zu konzipieren und auszuführen, die auf allen Ebenen funktioniert, von Europa bis zu den Kommunen. Ich glaube, auf diesem Gebiet haben nicht zuletzt die großen Parteien eine Aufgabe vor sich.

   Dieses Thema lässt sich - das sage ich an die Adresse der FDP - nicht nach dem einfachen Schema „Wettbewerbsföderalismus - ja oder nein?“ abhandeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Zukunftsfähigkeit unserer Staatspraxis und des rechtlichen Rahmens wird sich darin erweisen, ob wir zu einer horizontalen und vertikalen Koordinierung der Bildungspolitik in der Lage sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zur Umweltpolitik. Die heutige Bundeskanzlerin und ihr Vorgänger im Amt des Umweltministers haben den Versuch unternommen, ein bundeseinheitliches Umweltgesetzbuch auf den Weg zu bringen. Der Vorgänger des heutigen Umweltministers musste lernen, dass das an der geltenden Kompetenzordnung scheitert. Herr Kollege Dr. Friedrich hat zu Recht hinzugefügt, dass ein solches Vorhaben angesichts der Tendenz in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung mehr denn je vom Scheitern bedroht ist. Angesichts dieser Umstände sollte sich die Bundesregierung bemühen, Klarheit in die nicht nur von Sachverständigen, sondern auch von Umwelt- und Wirtschaftsverbänden geführte Debatte zu bringen, und bald Eckpunkte - ich sage sogar: eine Blaupause - eines zeitgemäßen Umweltgesetzbuches vorlegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Vorschläge der Sachverständigen sind bereits zehn Jahre alt. Die Europäisierung dieses Rechtsgebietes ist stark fortgeschritten. Also brauchen wir, wenn wir Fach- und Verfassungspolitik verantwortungsbewusst koordinieren wollen, eine Messgröße, die materielles Recht und Verfahrensrecht umfasst.

   Ich freue mich, dass das Bundeskabinett mit seiner Entscheidung vom Montag auch an dieser Stelle, auf dem Gebiet der besonders schwierigen Herausforderung der Umwelt- und Wirtschaftspolitik, Flagge gezeigt hat. Nun erwarten wir nicht nur Loyalität gegenüber unserem Tun, sondern auch Mittun, um den Beweis dafür führen zu können, dass die neue Kompetenzordnung besser ist als die alte.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Zu Strafvollzug und Heimrecht. Wenn man, wie vorgeschlagen, auf diesen beiden Gebieten die Regelungskompetenz vom Bund auf die Länder überträgt, sorgt Art. 125 a Grundgesetz in der neuen wie in der alten Fassung dafür - es ist gar nicht schlecht, die allgemeinen Geschäftsbedingungen zu lesen; im Grundgesetz ist das der Teil mit den Übergangs- und Schlussbestimmungen -, dass das geltende Bundesrecht weiterhin gilt. Kein Land stolpert in ein schwarzes Loch. Jedes Land bleibt frei in der Entscheidung, das Bundesrecht weiterhin gelten zu lassen oder - die Möglichkeit besteht schon jetzt - abzuweichen, das heißt, durch Landesrecht zu ersetzen.

   Ich rechne damit, dass gar nicht so viele Länder Alleingänge unternehmen werden - Stichwort: mehr Vielfalt in der Einheit -, sondern dass es regionale Abstimmungen geben wird. Das kann dem praktischen Föderalismus weiterhelfen. Im Übrigen wird das für die Ländergliederung in der derzeitigen Form in den nächsten zehn bis 15 Jahren eine Bestandsprobe sein. Nur wenn die Länder untereinander wieder stärker Wettbewerb und Koordination miteinander vereinbaren, wird der Föderalismus in seiner heutigen regionalen, territorialen Gestalt überleben.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie wollten das nicht, um die Qualität zu steigern! Das gibt einen Wettbewerb nach unten!)

   Zu Kultur und Sport - das passt fast zu Ihrem Stichwort: Man mag dieses Thema in der Bundesverfassung verankern wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich muss aber darauf hinweisen, dass es zwischen Bundesverfassung und Landesverfassungen einen Unterschied gibt. Dieser Unterschied kommt im Grundgesetz, das zugleich eine gesamtstaatliche Verfassung ist, zum Ausdruck. XXXXX

In Art. 30 des Grundgesetzes heißt es, dass nur die Bereiche in die Kompetenz des Bundes fallen, die im Grundgesetz ausdrücklich geregelt sind. Das heißt im Umkehrschluss: Für Kultur und Sport sind die Länder zuständig. Wenn das Landesverfassungsrecht dies ausdrücklich vorsieht, ist das das eine. Ob der Bundesgesetzgeber das für das Bundesverfassungsrecht aber auch tut, ist etwas ganz anderes.

   Ehrlich gesagt, hätte ich es auch nicht gern, wenn der Grundsatz des Art. 20 des Grundgesetzes verunklart oder relativiert würde. Dort heißt es, dass die Bundesrepublik Deutschland „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist. Dabei sollte es auch in vollem Umfang bleiben - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Beifall bei der SPD)

   Zum Schluss komme ich auf Stufe zwei der Bundesstaatsreform zu sprechen. Das, was die Kollegen Benneter und Friedrich dazu gesagt haben, trifft zu. Auch ich bin der Auffassung - damit bin ich zwar in meinem Laden in der Minderheit; ich sage es aber trotzdem -, dass der Bundesstaat, was unsere obersten Politikziele betrifft, so lange asymmetrisch und sogar unproduktiv ist, wie die Länder an dem Doppelmangel leiden, dass sie weder hinreichende Ausgabenautonomie - das soll jetzt geändert werden - noch hinreichende Einnahmenautonomie besitzen.

   Als es darum ging, das zu ändern, haben sie sich merkwürdigerweise geweigert. Darüber führen sie untereinander auch noch gar keinen Dialog. Umso mehr freue ich mich, dass schon im letzten Sommer mit dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz in Aachen die Bereitschaft des Bundesrates und der Länder zum Ausdruck gekommen ist, sich einem Angebot des Bundes zu öffnen und darüber zu diskutieren.

   Auch die Koalitionsvereinbarung ist in diesem Punkt besonders interessant. In ihr wird nämlich etwas angesprochen, was wir im Rahmen der zuletzt durchgeführten Runden zur Neuordnung des Finanzausgleichs nicht erlebt haben; denn diese Runden waren von der Rechtsprechung induziert und normativ-juristisch ausgerichtet. In der Koalitionsvereinbarung heißt es ganz klar, dass wir dazu beitragen wollen, dass auch der Bundesstaat der Zielsetzung, für Wachstum und Beschäftigung zu sorgen, gerechter wird, als es gegenwärtig der Fall ist. Dieses Ziel der Koalitionsvereinbarung wollen wir nach Abschluss der ersten Stufe der Bundesstaatsreform in Angriff nehmen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Friedbert Pflüger, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):

Frau Kollegin, das ist eine nationale Aufgabe. Wir alle müssen daran mitarbeiten, das Verständnis dafür zu wecken und zu stärken. Allerdings kommt es dafür sehr auf die Töne und die Politik in Berlin selbst an. Die Berliner können eben nicht bloß die Hand aufhalten, wie es der Senat tut und wie es zum Beispiel Herr Wowereit getan hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN))

- Sie haben mich herausgefordert mit dieser Kurzintervention. Dann müssen Sie auch erdulden, wenn ich meine Meinung dazu sage. -

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Gut, dass wir heute noch ein bisschen Wahlkampf bekommen! Ich hätte es ja vermisst!)

Herr Wowereit hat gesagt: Im Jahr 2015 werden alle unsere Finanzprobleme beseitigt sein; denn der Bund muss ja bezahlen laut dem Bundesverfassungsgerichtsurteil. XXXXX

Ich unterstütze ausdrücklich, dass das Bundesverfassungsgericht angerufen worden ist, um ein Normenkontrollverfahren durchzuführen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ich möchte noch etwas zu Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg sagen!)

   Ich glaube, dass vom Bund mehr für Berlin getan werden muss. Frau Kollegin, ich glaube aber auch, dass es dringend notwendig ist, dass Berlin auch seine Beiträge leistet. Solange Rot-Rot die Stadt regiert, wird die Bereitschaft anderer, Berlin zu helfen, relativ gering ausfallen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Die Regierung ist aus dem Häuschen! - Zurufe von den LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Antje Tillmann (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der einen Gruppe von Rednern geht das Föderalismusgesetz zu weit, der anderen Gruppe, der Opposition, geht es nicht weit genug, was bei mir klar den Eindruck erweckt, dass wir mit dieser Reform genau richtig liegen, nämlich exakt in der Mitte dessen, was hinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bund und den Ländern machbar war.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Bei dem Punkt, die Kommunen vor kostenträchtigen Gesetzen zu schützen, indem wir dem Bund durch Art. 84 GG versagen, dass er Aufgaben an die Kommunen übergeben kann, liegen wir absolut richtig. Lieber Kollege Burgbacher, er konnte das auch bisher nicht ohne die Zustimmung der Länder. Bisher war es aber so, dass die Länder dem Bund finanzielle Erstattungen abgehandelt und diese nicht in jedem Fall an die Kommunen weitergeleitet haben. So wird es künftig nicht mehr gehen. Über die Landesverfassung wird das Konnexitätsprinzip für die Kommunen eingeführt. Diesen entscheidenden Schritt können wir mit dieser Föderalismuskommission erreichen, wenn wir dem zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Kröning (SPD))

   Wir liegen mit unseren Regelungen bezüglich des nationalen Stabilitätspakts absolut richtig, indem wir die Verantwortung für die Verschuldung des Gesamtstaatshaushaltes auf den Bund und die Länder verteilen. Erstmalig können wir die Verantwortung der Länder, die sich bereit erklärt haben, bei Nichteinhaltung des Defizitkriteriums einen Teil der Haftungssumme zu bezahlen, mit in die Verfassung aufnehmen. Das ist ein guter Schritt hin zur Haushaltskonsolidierung. Liebe Kollegen der Linken, das nützt gerade den neuen Ländern, die sich Mühe geben, ihre eigenen Landeshaushalte in Ordnung zu bringen, weil sie die Solidarität der anderen ansonsten überstrapazieren und die Kosten, die andere verursachen, mittragen müssten.

   Wir sind absolut auf dem richtigen Weg, wenn wir die Finanzverwaltungen vereinheitlichen. Allein 15 Milliarden Euro Umsatzsteuer können wir heben, wenn es uns gelingen würde, ein bundeseinheitliches Verfahren bei der Finanzverwaltung einzuführen. Wir werden das mit dem Föderalismusreform-Begleitgesetz und der Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes tun. Ich bin mir sicher, dass diese 15 Milliarden Euro, die uns durch den Umsatzsteuerbetrug verloren gehen, erheblich besser in Bildung oder Forschung eingesetzt werden könnten. Mit diesem Gesetz haben wir die Möglichkeit dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Kröning (SPD))

   Wir übertragen die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau zum Teil in die Kompetenz der Länder. Hinsichtlich der überregionalen Mittel bleibt der Bund zuständig. Diese 700 Millionen Euro übertragen wir an die Landtage. Liebe Kollegen, ich bin etwas erschrocken darüber, wie Sie mit den Kollegen in den Landtagen umgehen. Die Aussage, dass all das, was wir tun, von Weisheit geprägt ist, mag ich ja noch unterstützen,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Na, ich nicht!)

dass Sie die Landtagskollegen aber so behandeln, als seien das alles unverantwortliche Deppen, kann ich nicht mittragen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP))

Ich glaube, dass die Landtagsabgeordneten sehr verantwortungsbewusst mit ihren Bürgerinnen und Bürgern umgehen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Jedenfalls die der FDP!)

- Auch die der FDP.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Nein, „jedenfalls die der FDP“!)

   Aufgrund der Erfahrungen mit dem Solidarpakt II haben wir natürlich dafür gesorgt, dass uns für den Fall, dass diese Mittel nicht ordnungsgemäß eingesetzt werden, diesmal Sanktionen zur Verfügung stehen. Bis 2013 ist die investive Zweckbindung im Bereich des Hochschulbaus sichergestellt und auch nach 2013 besteht die Verpflichtung, diese Mittel für investive Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Wir werden das selbstverständlich kontrollieren.

   An dieser Stelle hätte ich Frau Sager sehr gerne erklärt, warum sie Unrecht hat, wenn sie sagt, dass es nicht mehr möglich ist, dass der Bund die Länder in der Bildung unterstützt. Sie sagt, durch die Streichung der Finanzhilfen sei es nicht mehr möglich, dass sich der Bund an Länderaufgaben beteiligt. - Das stimmt so einfach nicht; denn in unserer Verfassung ist vorgesehen, dass die Aufgaben von Bund und Ländern mit den erforderlichen finanziellen Einnahmen unterlegt werden. Es ist überhaupt kein Problem, das Finanzausgleichsgesetz zu verändern und den Ländern mehr Umsatzsteuerpunkte zukommen zu lassen. XXXXX

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/813 und 16/814 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten

- Drucksache 16/700 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin für Justiz, Brigitte Zypries.

Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach diesen hehren Diskussionen über die Föderalismusreform kommen wir wieder zu konkreten Gesetzgebungsvorhaben zurück. Ich will gleich am Anfang ein Stichwort nennen, das auch im Zusammenhang mit der Föderalismusdiskussion gefallen ist, den Fleischskandal.

   Sie erinnern sich: Kriminelle Unternehmer haben verdorbenes oder unverkäufliches Fleisch umetikettiert, dann verkauft und dadurch hohe Gewinne erzielt. Das ist schlichter Betrug zulasten der Verbraucher, der strafrechtlich zu ahnden ist. Die Gewinne, die die Täter damit erzielt haben, können aber in vielen Fällen nicht rückabgewickelt werden. Wenn das so bleibt, dann heißt das: Verbrechen lohnt sich wirklich. Das darf nicht sein.

   Der Grund dafür, dass das derzeit noch so ist, ist eine Regelung im Strafgesetzbuch, die die Möglichkeit der Gerichte einschränkt, Gewinne aus Straftaten für verfallen zu erklären, also dem Täter das Geld wegzunehmen und das Eigentum daran auf den Staat zu übertragen. Bisher hat der Staat nur dann Zugriff auf Vermögenswerte aus Straftaten, wenn eine geschädigte Privatperson keinen Anspruch geltend macht. Stellt der Geschädigte Ersatzansprüche gegen den Betrüger, so kann ein Verfall des erlangten Geldes zugunsten des Staates nicht angeordnet werden, weil zunächst die Privatperson die Hand auf dem Geld hat. Das ist grundsätzlich richtig so, weil sich der Staat nicht auf Kosten der Opfer bereichern soll.

   Wenn aber derjenige, der betrogen wurde, seine Ansprüche gar nicht geltend macht, dann muss man die sichergestellten Gewinne an den Täter zurückgeben. XXXXX

Das kann erforderlich sein, weil der Schaden zu gering ist oder weil die Geschädigten nicht wissen, dass der Täter gefasst wurde. Es kann aber auch sein, dass die Geschädigten ihre Ansprüche deshalb nicht geltend machen, weil sie selbst vielleicht Schwarzgeld gewinnbringend anlegen wollten und um ihren Gewinn geprellt wurden. In dem Fall verzichtet der Betrogene aus nachvollziehbaren Gründen auf seine Ansprüche.

   Wir wissen aus der Praxis, dass das leider kein Ausnahmefall ist. Im Jahr 2004 haben die Strafverfolgungsbehörden zum Zweck der Rückgewinnung Vermögenswerte in Höhe von rund 145 Millionen Euro sichergestellt. Diese konnten nicht zugunsten des Staates für verfallen erklärt werden, weil noch Ansprüche der Geschädigten bestanden. Wenn diese ihre Ansprüche nicht geltend machen, fällt das Geld an die Täter zurück.

   Diese Regelung wollen wir ändern.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen sicherstellen, dass die Täter solche Vermögenswerte in keinem Fall mehr zurückerhalten können.

(Jörg van Essen (FDP): Richtig!)

Denn es ist völlig widersinnig, dass der Betrüger einen Anspruch auf Rückübertragung des durch Betrug erlangten Geldes hat.

   Um den Geschädigten künftig genug Zeit zu geben, ihre Rückgabeansprüche auch durchzusetzen, wollen wir die hierfür maßgebliche Frist verlängern. Zurzeit müssen die Opfer innerhalb von drei Monaten erklären, dass sie ihre Ansprüche geltend machen wollen; künftig soll diese Frist drei Jahre - gerechnet ab der Verurteilung des Angeklagten - betragen. Auch bei längerer Verfahrensdauer vor den Zivilgerichten erhalten damit die Opfer die Möglichkeit, einen - notfalls vorläufigen - Titel gegen den Verurteilten zu erwirken.

(Beifall bei der SPD)

   Verstreicht diese dreijährige Frist, ohne dass die Geschädigten ihre Ansprüche geltend gemacht haben, so fallen die sichergestellten Vermögenswerte künftig an den Staat und müssen nicht wieder an den Verurteilten herausgegeben werden.

   Ich glaube, wir haben eine gute Regelung gefunden, die sowohl den Interessen der Opfer - weil wir die Frist verlängern - als auch der Gerechtigkeit und damit dem Rechtsbewusstsein insgesamt dient. Die einzigen, die sich nicht freuen werden, sind die verurteilten Straftäter.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Dann haben wir ja die Richtigen getroffen!)

Aber denen wollen wir damit auch keine Freude machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen, FDP-Fraktion.

Jörg van Essen (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition hat zu kritisieren, wenn die Regierung und die Koalition etwas falsch machen. Die Opposition hat aber auch Unterstützung zu leisten, wenn richtige Schritte unternommen werden.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) - Klaus Uwe Benneter (SPD): Das ist ein vernünftiges Verständnis von Opposition!)

Im Falle des vorliegenden Gesetzentwurfs kann aus unserer Sicht klar und eindeutig festgestellt werden, dass die richtigen Schritte vorgesehen sind.

   Für uns als FDP hat der Opferschutz immer im Mittelpunkt unserer Strafrechtspolitik gestanden.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben ein weiteres sehr wichtiges Ziel, nämlich bestehende bürokratische Hürden abzubauen. Wir haben bereits eine Fülle entsprechender Vorschläge im Deutschen Bundestag eingebracht.

   Das Vorhaben, die Hürden im Ablauf des Verfahrens zu reduzieren und damit die Rechtsstellung von Opfern zu verbessern, begrüßen wir außerordentlich. Wer erlebt, welche Auswirkungen eine Straftat auf die Opfer hat, weiß, dass alle Folgen, die eine Straftat nach sich zieht, bei ihnen ohnehin zu Problemen führen. Deshalb sollten wir es ihnen möglichst leicht machen, ihre Ansprüche geltend zu machen.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Außerordentlich gut gefällt uns auch ein weiterer Vorschlag. Es ist allgemein bekannt, dass in den meisten Fällen der erhoffte finanzielle Gewinn der Anlass zu einer Straftat ist. Die Täter wollen richtig abkassieren. Es geht aber nicht an, dass Vermögenswerte aus einer Straftat, die übrig geblieben sind, dem Täter selbst zufallen. Wenn sich kein Opfer gemeldet hat oder kein Opfer ermittelt werden kann, dann sollte besser der Staat die Vermögenswerte erhalten als der Täter selbst. Denn der Staat hat schließlich sehr viele Aufwendungen zu leisten, beispielsweise für die Strafverfolgung und die Finanzierung polizeilicher Aufgaben zur Aufklärung der Straftaten. Die dafür nötigen Mittel werden vom Steuerzahler aufgebracht. Deshalb begrüße ich es, dass das Geld letztlich wieder dem Steuerzahler zugute kommen soll, indem beispielsweise Verbesserungen bei der Strafverfolgung finanziert werden können.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

   Ich bitte Sie allerdings, zwei Anregungen zu berücksichtigen. Wenn das Geld nicht an den Täter zurückfallen soll, dann sollten wir überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, wenigstens einen Teil davon für die Opferschutzorganisationen abzuzweigen. XXXXX

Der Weiße Ring beispielsweise - wer ihn kennt, weiß, wie wichtig die Arbeit ist, Opfer zu unterstützen und zu betreuen und viele andere Dinge zu tun - leidet, wie andere solcher Organisationen auch, immer an Geldnot. Ich fände es gut, wenn wir prüfen könnten, ob der Weiße Ring beispielsweise besser unterstützt werden kann.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) und Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Nach den vielen positiven Bemerkungen zum Schluss noch Folgendes: Wir haben ja in der 13. Legislaturperiode, damals noch unter der Federführung eines FDP-geführten Justizministeriums, den Versuch unternommen, die zum Teil sehr komplizierten Vorschriften in Bezug auf Verfall und Einziehung - ich gestehe, dass selbst ich als Oberstaatsanwalt bei dieser Problematik immer noch mal sicherheitshalber in die Kommentare geschaut habe,

(Dr. Peter Danckert (SPD): Das ist immer gut!)

weil das Ganze ziemlich kompliziert ist - zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Wir sollten bei den anstehenden Beratungen überlegen, ob wir diesen Weg nicht erneut beschreiten sollten. Wir würden der Praxis der Justiz damit ganz wesentlich helfen.

   Noch einmal zusammengefasst: Ich glaube, das sind gute und richtige Ansätze. Wir werden das unterstützen. Wir sollten in den Beratungen versuchen, das eine oder andere zu verbessern.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder, CDU/CSU-Fraktion.

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundeskriminalamt hat im Bundeslagebild über Wirtschaftskriminalität des Jahres 2004 einen Schaden in der Bundesrepublik Deutschland aus Straftaten in Höhe von 10,4 Milliarden Euro festgestellt. In diesen Straftaten sind nicht Vergehen gegen die Abgabenordnung oder Zollvergehen enthalten. Wir können also mit Recht von hohen Schadenssummen sprechen. Wo bleibt das Geld?

   Würde dieses illegale Vermögen beim Täter verbleiben, entstünde in der Bevölkerung schnell der Eindruck, Straftaten lohnten sich. Deswegen ist es wichtig, dieses Vermögen schnell einzufrieren und im Wege der Vermögensabschöpfung dem Staat zuzuführen. Dies ist insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität erwünscht. Wenn das Geld bei den Tätern verbleibt, werden damit neue Straftaten geplant und durchgeführt und werden kriminelle Strukturen aufrechterhalten. Im Vergleich dazu ist der Vermögensverfall zugunsten des Staates die bessere Lösung.

   Aber muss es immer der Staat sein, der Zugriff auf dieses Geld haben soll? Nein. Die Lösung, die der Gesetzgeber gefunden hat, ist opferorientiert und nobel. Dort, wo Ansprüche des Opfers, der Geschädigten entstanden sind, soll das Geld nicht dem Staat zugeführt werden, sondern im Wege der so genannten Rückgewinnungshilfe dem Geschädigten zur Verfügung gestellt werden. Nun haben wir es aber oftmals mit Massendelikten zu tun, bei denen der Schaden des Einzelnen außerordentlich gering ist, die Schadenshöhe insgesamt aber außerordentlich hoch. Der Einzelne macht wegen 5,70 Euro Schadensersatzansprüche nicht geltend. Das führt in der Tat zu einem völlig frappanten Ergebnis. Die Geschädigten erheben keinen Anspruch auf ihr Geld und jeder von uns würde spontan sagen: In diesem Fall soll im Wege des nachgelagerten Verfalls das Geld an den Staat gehen. - Das ist nicht so. Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1984 - nachzulesen in der „NStZ“ 1984, Seite 409 - entschieden, dass es nämlich nicht darauf an komme, ob Geschädigte konkrete Ansprüche geltend machten, es genüge

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Der Kollege Reiche wollte wissen, was „NStZ“ ist!)

- „Neue Zeitschrift für Strafrecht“ -,

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Ich weiß das, aber woher soll er das wissen?)

wenn ein genereller Anspruch Geschädigter bestehe. Das führt zu dem unerwünschten Ergebnis, dass dann die beschlagnahmten und eingefrorenen Millionen- oder Milliardenbeträge an den Täter ausgezahlt werden müssen. Das soll mit diesem Gesetzentwurf zu Recht geändert werden.

   Der Weg, der mit diesem Gesetzentwurf eingeschlagen wird, ist richtig. Er dient dem Opferschutz und merzt verfahrenstechnische Schwierigkeiten aus. Dieses Gesetz stößt insbesondere auch bei der Richterschaft nicht auf Widerspruch; vielmehr wird es in all seinen Regelungen begrüßt. Kritik wird nur in zurückhaltender Weise angemeldet. Allerdings gibt es in einem Punkt berechtigte Kritik aus den Reihen der Strafverteidiger.

Ich habe darüber gesprochen, dass das Vermögen bei Straftätern beschlagnahmt wird. Die vorgelagerte Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren erfolgt aber nicht gegenüber einem Straftäter, sondern gegenüber einem Tatverdächtigen. Ein Tatverdächtiger ist noch nicht verurteilt. Hin und wieder enden Strafverfahren auch mit einem Freispruch. Für denjenigen, gegen den ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, spricht die Unschuldsvermutung. Nun ist es aber so, dass die Vermögensbeschlagnahme manchen mindestens genauso hart trifft wie eine lange Untersuchungshaft. Eine Vermögensbeschlagnahme kann sich für einen Unternehmer existenzvernichtend auswirken.

   Vergleichen wir einmal das Recht der Untersuchungshaft mit dem der Vermögensbeschlagnahme. Gegen die Untersuchungshaft gibt es ein filigran ausgearbeitetes Tableau von Rechtsmitteln durch zwei Instanzen. Dies ist bei der Vermögensbeschlagnahme nicht so. Wird Vermögen beschlagnahmt, steht demjenigen, der davon betroffen ist, das Recht der einfachen Beschwerde nach § 304 StPO - in Klammern für den Kollegen Benneter: Strafprozessordnung - zu,

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Ich weiß das ja!)

während es dort, wo es um die Untersuchungshaft geht, die weitere Beschwerde nach § 310 StPO gibt. Das heißt, das Beschwerderecht ist im Untersuchungshaftrecht deutlich besser ausgebaut als im Bereich der Vermögensbeschlagnahme. Deswegen sollten wir uns Gedanken darüber machen, ob wir nicht im Bereich der Vermögensbeschlagnahme die weitere Beschwerde zulassen wollen.

   Außerordentlich erfreut hat mich die Rede des Kollegen van Essen. Natürlich mache auch ich mich dafür stark, dass beschlagnahmtes Vermögen, das nicht an die Geschädigten zurückgezahlt werden kann, an Opferschutzorganisationen geht. Sie haben sicherlich bemerkt, dass ich leuchtende Augen bekam, als der Weiße Ring als eine solche Institution erwähnt worden ist.

   Wir sollten aber im Rechtsausschuss zur Abrundung der Sache auch andere anstehende Probleme erörtern. Es gibt das Recht der Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG. Dieser Paragraf lässt sich in das System des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung nicht einfügen. Hier gibt es Wertungswidersprüche, die wir lösen sollten. Zudem gibt es eine enorme Unklarheit dadurch, dass der Staat zwar auf fest eingefrorenes Vermögen nicht zurückgreifen darf, wenn Geschädigte da sind, dass er aber nach der Entwurfsfassung des § 111 i Abs. 5 der Strafprozessordnung dann, wenn sich die Geschädigten nicht melden, das Vermögen nachgelagert einziehen kann. Im Strafgesetzbuch, im materiellen Recht, steht also, dass kein Zugriff auf Vermögen möglich ist, wenn Geschädigte da sind. Aber in der Strafprozessordnung steht genau das Gegenteil: Melden sich die Geschädigten nicht, dann dürfen wir das Vermögen im Wege des nachgelagerten Verfalls dem Staat zuordnen. Das sind noch Unebenheiten, über die wir im Rechtsausschuss diskutieren sollten.

   Zusammenfassend kann man aber sagen: Es handelt sich um den von Praktikern erarbeiteten Entwurf eines Gesetzes, das Unebenheiten in der praktischen Anwendung ausmerzt und deswegen begrüßenswert ist.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dagdelen, die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Vorlage, die wir heute behandeln, wird der Versuch unternommen, in der Praxis von Gewinnabschöpfung und Verfall Erleichterungen einzuführen und damit die Rechte der Verletzten zu stärken. Gleichzeitig geht es darum, dem Staat ein Auffangrecht hinsichtlich illegal erlangter Vermögen zu gewähren. Gerade den Opfern von Straftaten Möglichkeiten zu geben, den finanziellen Verlust zu minimieren, findet unsere Zustimmung. Wir sind gern bereit, mit Ihnen im Ausschuss über die Vor- und Nachteile der vorgesehenen Regelungen, bei denen es sich im Wesentlichen um Verfahrensfragen handelt, zu debattieren.

   Ich will jedoch aus Sicht meiner Fraktion auf ein Problem aufmerksam machen, welches von der Bundesregierung selbst im Gesetzentwurf angesprochen wird. Auf Seite 11 des Gesetzentwurfs heißt es:

Gerade in Wirtschaftsstrafsachen mit hohen Schadenssummen oder einer Vielzahl von Geschädigten gestalten sich die Ermittlungen häufig kompliziert und umfangreich.

Die Bundesregierung steht mit dieser Erkenntnis offensichtlich nicht allein. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 2. Dezember 2005 zum Aktenzeichen 5 StR 119/05 auf Seite 20 ausgeführt:

Nach der Erfahrung des Senats kommt es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsstrafverfahren dazu, dass eine dem Unrechtsgehalt schwerwiegender Korruptions- und Steuerhinterziehungsdelikte adäquate Bestrafung allein deshalb nicht erfolgen kann, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen.

Weiter argumentiert der Bundesgerichtshof, dass diesem Fakt nur durch eine spürbare Stärkung der Justiz in diesem Bereich Rechnung getragen werden kann.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es uns nicht gelingt, im gesamten Bereich der Justiz Voraussetzungen zu schaffen, dass die so genannte Weiße-Kragen-Kriminalität wirksam bekämpft wird, wenn wir nicht sicherstellen können, dass Gerichte einigermaßen vernünftig ausgestattet sind, dann werden wir immer wieder über den kleinen, prozessualen Lösungsansatz reden müssen, den Sie hier präsentieren, nämlich über die Verlängerung von Fristen, wie in § 111 b Abs. 3 StPO vorgesehen. Angesichts der Ausstattung der Gerichte und der von der Praxis wahrgenommenen Unzulänglichkeiten der derzeitigen gesetzlichen Regelung werden eine Novellierung und Ergänzung der Vorschriften diese ganzen Probleme leider nicht beseitigen können.

   Wenn den Opfern von Wirtschaftsstraftaten wirklich geholfen werden soll und Wirtschaftsstraftaten angemessen verfolgt werden sollen, dann ist mehr nötig als eine Detailverbesserung im Verfahrensrecht. Damit die Vermögensabschöpfung tatsächlich einmal zu einer scharfen Waffe des Rechtsstaates und ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität werden kann, möchte ich dringend auffordern, neben dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf wirksame Mittel zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität oder Weiße-Kragen-Kriminalität zu ergreifen und nicht zuletzt die Justiz zu stärken.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Wir warten auf Vorschläge!)

- Darauf werden wir im Rechtsausschuss eingehen.

   Abschließend möchte ich zusammenfassen: Einer Reihe von Änderungen in den §§ 111 b ff. StPO, die die Sicherstellung von Vermögen effektivieren und erleichtern sollen, kann uneingeschränkt zugestimmt werden.

(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter (SPD))

Mit dem Ziel verbesserten Opferschutzes ist die Verstärkung der Zurückgewinnungshilfe durch Erweiterung des Zulassungsverfahrens in § 111 g StPO gut vertretbar. Ingesamt bleibt jedoch das Recht der Vermögensabschöpfung - das hat mein Kollege Kauder ganz gut dargelegt - auch nach diesen vereinzelten Änderungen des Prozessrechts kompliziert und anwenderunfreundlich und das bisherige gesetzliche Regelungskonzept im Grundsatz unverändert.

   Ich danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, hat seine Rede zu Protokoll gegeben. Deswegen gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Peter Danckert, SPD-Fraktion.

Dr. Peter Danckert (SPD):

Frau Präsidentin! Ich bedanke mich dafür, dass ich hier als Letzter reden darf.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Du bist nicht der Letzte! Lass dir das nicht einreden!)

Ich hatte beinahe gehofft, dass wir das Thema ein bisschen kontroverser behandeln könnten, aber ich vermute, dass wir einschließlich des Kollegen Jerzy Montag alle einer Meinung sind.

   Wenn man überhaupt eine kritische Anmerkung wagen darf, dann müsste man Sie, Frau Bundesministerin, fragen, warum diese Gesetzesinitiative erst jetzt gekommen ist. Das Problem ist seit geraumer Zeit bekannt. Wir haben das Phänomen über Jahre gehabt, dass beschlagnahmtes Vermögen, das dem Geschädigten nicht übereignet werden konnte, weil er sich nicht gemeldet hat oder weil er Fristen verpasst hat, wieder dem Täter zugefallen ist. Das ist also kein ganz neues Phänomen. Aber nun liegt der Entwurf auf dem Tisch und wir werden sicherlich im Rahmen der Beratungen im Ausschuss das eine oder andere miteinander besprechen können. Es sind durchaus - Herr Kollege van Essen ist leider schon weg - interessante Anregungen gekommen.

   Ich will aus meiner Sicht auf zwei Punkte aufmerksam machen, von denen ich glaube, dass man an ihnen im Rahmen der Ausschussberatungen arbeiten muss.

   Es ist durchaus positiv, dass wir diese Fristverlängerung auf drei Jahre haben. Für den Fall, dass die Rechtskraft erst danach eintritt, verlängert sich diese Frist noch einmal. Das sind aber letztlich Steine statt Brot für den Geschädigten, den wir bei solchen Massendelikten im Auge haben. Es geschieht nämlich häufig, dass solche Urteile erster Instanz in Revision gehen, aufgehoben werden und wiederverhandelt werden.

   Ich schlage einfach einmal vor, dass wir darüber nachdenken, ob nicht die Rechtskraft der Punkt sein müsste, an dem für den Beginn der Frist angesetzt wird. Damit entstünde für den Geschädigten kein Nachteil, sondern nur ein Vorteil; denn das ist eine sichere Marke. Ich könnte mir Folgendes vorstellen: Jemand liest in der Zeitung von einem solchen Fall, von dem entsprechenden Urteil, stellt fest, dass er selbst Betroffener ist, und fragt sich, ob er seine Ansprüche geltend machen soll; außerdem liest er, dass der Angeklagte Revision oder Berufung eingelegt hat. Der Zeitpunkt, an den angeknüpft wird, ist meines Erachtens ungeeignet. Ich glaube, dass die Rechtskraft ein besserer Zeitpunkt ist.

   Hier ist eben auch angesprochen worden, dass es sich häufig um Massenverfahren handelt. Das heißt, es gibt viele Geschädigte. Ich wage noch nicht, mir so richtig vorzustellen, was das für die Feststellung im Urteil bedeutet. Da gibt es sicherlich ein gewisses Problem. Schließlich muss man irgendeinen Anknüpfungspunkt für denjenigen haben, der Ansprüche geltend macht. Vielleicht ist es zweckmäßiger, eine Art Pfleger für die betroffenen Geschädigten einzusetzen, der das außerhalb des eigentlichen Justizbereiches regelt und sich nur mit der Abwicklung dieser vermögensrechtlichen Ansprüche befasst, anstatt Heerscharen von Rechtspflegern zu beschäftigen. Ich bin durchaus der Meinung, dass die Gerichte und die Rechtspfleger anders als dadurch beschäftigt werden müssten. Es besteht Bedarf, darüber nachzudenken, was das geeignete Instrumentarium ist.

   Wir sind hier jedenfalls auf dem richtigen Wege. Uns liegt endlich ein Gesetzentwurf vor. Ich hoffe, dass die Beratungen im Rechtsausschuss sehr schnell zum Abschluss kommen,

(Klaus Uwe Benneter (SPD): So viel Einigkeit! Das muss ruck, zuck gehen!)

damit wir auch im Plenum in der zweiten und dritten Beratung zu einem Ergebnis kommen. Angesichts der Einigkeit, die zwischen uns herrscht, besteht nur noch Raum für einige diskussionswürdige Änderungen oder Ergänzungen. Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, haben wir das erreicht, was wir erreichen wollen, nämlich eine Verbesserung der Rechtslage der Geschädigten. Außerdem haben wir dann endlich sichergestellt, dass die Täter nicht im Nachhinein von ihren Straftaten profitieren.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/700 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Kultur)

- Drucksache 16/387 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Rechtsausschuss (f)
Federführung strittig

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 23. Sitzung - wird am
Montag, den 13. März 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16023
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