Bildwortmarke des Deutschen Bundestages . - Schriftzug und Bundestagsadler
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > DOKUMENTE > Plenarprotokolle > Vorläufige Plenarprotokolle >
15. Wahlperiode
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

   25. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 16. März 2006

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Sitzung ist eröffnet.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich, wünsche Ihnen einen guten Tag und uns gute Beratungen.

   Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen einige Änderungen in der Besetzung des Verwaltungsrats der Filmförderungsanstalt vorgenommen werden.

   Die Fraktion der CDU/CSU teilt mit, dass der Kollege Bernd Neumann sein Amt niedergelegt hat.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Wie kommt das denn?)

- Immerhin ist er aus Anlass dieser bedeutenden Veränderung persönlich erschienen, was ich mit Respekt registriere. - Als Nachfolger wird sein bisheriger Stellvertreter, der Kollege Wolfgang Börnsen, vorgeschlagen. Neues stellvertretendes Mitglied soll der Kollege Johann-Henrich Krummacher werden.

   Aufseiten der Fraktion der SPD ist vorgesehen, dass die frühere Abgeordnete Gisela Hilbrecht dem Verwaltungsrat zukünftig als stellvertretendes Mitglied angehört und an Stelle ihrer die Kollegin Monika Griefahn neues ordentliches Mitglied wird.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Ordentliche Entscheidung!)

   Sind Sie mit diesen Veränderungen einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die genannten Damen und Herren gewählt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Kein Zurückweichen vor Rechtsextremismus - Bundespolitische Konsequenzen vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse in Sachsen-Anhalt und Brandenburg

(siehe 24. Sitzung)

ZP 2 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes und des Telekommunikationsgesetzes

- Drucksache 16/521 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Luftaufsicht und die Luftfahrtdateien

- Drucksache 16/958 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Tourismus

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Jugendstrafvollzug verfassungsfest gestalten

- Drucksache 16/851 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Zwischenbilanz für Integrationskurse des Jahres 2005 vorlegen

- Drucksache 16/940 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Mit der strategischen Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika Ernst machen und deutsches Engagement ausbauen

- Drucksache 16/941 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Innovationspakt 2020 für Forschung und Lehre in Deutschland - Kooperationen zwischen Bund und Ländern weiter ermöglichen

- Drucksache 16/954 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Ein einheitliches Umweltrecht schaffen - Kompetenzwirrwarr vermeiden

- Drucksache 16/927 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Rechtsausschuss (f)
Federführung strittig

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN: Tarifliche Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Innere Sicherheit durch Regelungen zum Arbeitskampfrecht gewährleisten

- Drucksache 16/953 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Otto Bernhardt, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Nina Hauer, Ingrid Arndt-Brauer, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Besser regulieren, dynamisch konsolidieren - Leitlinien für die künftige EU-Finanzmarktintegration

- Drucksache 16/933 -

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Den Südsudan beim Wiederaufbau unterstützen und vor AIDS bewahren

- Drucksache 16/586 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Kampeter, Norbert Barthle, Jochen Borchert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Carsten Schneider (Erfurt), Ernst Bahr (Neuruppin), Bernhard Brinkmann (Hildesheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Unverzügliche Umsetzung des Programms „Impulse für Wachstum und Beschäftigung“ sowie des Marktanreizprogramms durch die Bundesregierung

- Drucksache 16/931 -

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Biogaseinspeisungsstrategie entwickeln und Biogaseinspeisungsgesetz vorlegen

- Drucksache 16/582 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Federführung strittig

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Peter Hettlich und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes - Fernlinienbusverkehre ermöglichen

- Drucksache 16/842 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus

   Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 12 - hier handelt es sich um einen Antrag zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt -, den Tagesordnungspunkt 19 c - Gesetzentwurf des Bundesrates zur Verringerung steuerlicher Missbräuche und Umgehungen - sowie den Tagesordnungspunkt 22 - Antidiskriminierung - abzusetzen.

   Die Tagesordnungspunkte 9 - Pressefreiheit - und 13 - zwei Anträge zu Kuba - sollen getauscht werden.

   Schließlich soll der von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachte Entwurf eines Föderalismusreform-Begleitgesetzes auf Drucksache 16/814 nachträglich gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Die vorgesehene Mitberatung des Haushaltsausschusses entfällt folgerichtig.

   Darf ich auch zu diesen vorgeschlagenen Veränderungen Ihr Einvernehmen feststellen? - Dieses Einvernehmen besteht offenkundig. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung

- Drucksache 16/429 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

- Drucksache 16/971 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so vereinbart.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Klaus Brandner für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Klaus Brandner (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verabschieden heute das Gesetz zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung. Passender als zu dieser Jahreszeit könnten wir, meine ich, die Debatte über ein solches Gesetz nicht führen; denn wir haben seit Monaten Temperaturen unter dem Gefrierpunkt,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Daran ist die Regierung schuld!)

was für die Beschäftigten der Bauwirtschaft traditionell heißt: arbeitslos und unsichere Zukunft bezüglich möglicher Wiedereinstellung, wenn das Wetter wieder Bautätigkeit ermöglicht.

285 000 Menschen aus der Baubranche sind in diesem Winter arbeitslos, ein beträchtlicher Teil davon, weil der Betrieb im Winter keine Straßen bauen kann bzw. Beton oder Mörtel wegen des Frostes nicht verarbeitet werden können. Die Beschäftigten, die saisonbedingt jeden Winter aufs Neue entlassen werden, leben ständig in Unsicherheit, ob sie im Frühjahr wieder eingestellt werden. Sie und ihre Familien machen sich Sorgen, wie es weitergeht.

   Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Mit jedem weiteren Jahr steigt das Risiko der Arbeitnehmer, die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld zu verlieren. Aus unserer Sicht ist dies ein unhaltbarer Zustand. Beschäftigte in der Baubranche, aber auch in anderen stark saisonabhängigen Branchen dürfen nicht schlechter gestellt werden, nur weil für sie die Schlechtwetterperiode keine Arbeit zulässt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Für diese Beschäftigten schaffen wir die Möglichkeit des Saisonkurzarbeitergeldes. Wir verstetigen die Beschäftigung, wir erhöhen die Planungssicherheit der Beschäftigten sowie der Unternehmen und wir halten die Qualifikation der Mitarbeiter aufrecht, die durch Arbeitslosigkeit sonst verloren gehen würde. Dies ist ein Gewinn an persönlicher Sicherheit. Daran liegt uns allen.

   Wir werden mit diesem Gesetz die bisherige, oftmals sehr komplizierte Winterbauförderung weiterentwickeln und in ein System des Kurzarbeitergeldes integrieren. Nach dem neuen Gesetz können die Beschäftigten in der Baubranche zwischen dem 1. Dezember und dem 31. März im Betrieb beschäftigt bleiben. Sie bekommen dann Kurzarbeitergeld in Höhe von 60 Prozent bzw. von 67 Prozent, wenn sie ein Kind haben. Das ist zwar weniger Geld, dafür aber mehr Arbeitsplatzsicherheit.

   Wir unterstützen mit diesem Gesetz die Tarifvertragsparteien in ihren Anstrengungen, Kontinuität in der Beschäftigung zu halten und kontinuierliche Löhne zu zahlen. Planbare Einkommen sind uns wichtig. Deswegen haben wir uns für dieses Gesetz engagiert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   In den Koalitionsverhandlungen ist uns bewusst geworden, dass wir neue Regelungen in diesem Bereich treffen müssen. Wir haben deshalb in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass dieses Gesetz auf den Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien in der Bauwirtschaft aufgebaut werden soll. Ich bin froh, dass dieser Wille nach wie vor vorhanden ist und im Gesetz klar erkennbar ist. Die Tarifvertragsparteien haben mit ihrer Vereinbarung ein Beispiel für innovative und verantwortungsbewusste Tarif- und Betriebspolitik gegeben.

   Wir haben bewusst darauf verzichtet, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen über den Umlagebeitrag hinaus zusätzliche Leistungen einbringen müssen. Damit meine ich ganz konkret, dass wir auf eine zusätzliche Einbringung von Stunden aus dem Arbeitszeitkonto oder von zusätzlichen Urlaubstagen verzichtet haben. Die Vorausleistung von 30 Stunden für die Arbeitnehmer und 70 Stunden für die Arbeitgeber hatte im alten System die Funktion, die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberseite an der Mitfinanzierung des Systems der Winterbauförderung zu beteiligen. Diese Beteiligung erfolgt im neuen System dadurch, dass die Finanzierung der Umlage anteilig erfolgt.

   Wir haben uns aus gutem Grund für den Systemwechsel im Umlagesystem entschieden. Ich sage ganz klar: Wer mehr Vorausleistungen von den Arbeitnehmern verlangt, will damit nur eines, nämlich auch beim Saisonkurzarbeitergeld die Verteilungsfrage neu stellen. Das ist völlig fehl am Platz. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU))

   Was steckt hinter dem Umlagesystem? Ein zusätzlicher Anreiz auf der Basis der Vereinbarung der Tarifvertragsparteien im Bau wird geschaffen, indem eine Umlage eingeführt wird, aus der ergänzende Leistungen finanziert werden.

   Die umlagefinanzierten ergänzenden Leistungen umfassen erstens die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge an die Arbeitgeber. Diese werden von den Kosten der Weiterbeschäftigung bei Arbeitsausfällen in den Wintermonaten deutlich entlastet. Sie haben genau diese Kosten in der Vergangenheit genutzt, um Arbeitnehmer zu entlassen und der Sozialversicherung diese Kosten aufzudrücken.

   Daneben umfassen diese Leistungen zweitens das Zuschusswintergeld für die Arbeitnehmer für jede aus Arbeitszeitguthaben eingesetzte Arbeitsstunde zur Vermeidung von Arbeitsausfällen. Wer eine Stunde aus seinem Arbeitszeitkonto im Winter einsetzt, erhält dafür 2,50 Euro extra.

Darüber hinaus umfasst die Umlage drittens das Mehraufwandswintergeld als Ausgleich für witterungsbedingte Mehraufwendungen bei den Beschäftigten zwischen Mitte Dezember und Ende Februar. Das heißt, wer in dieser Zeit tatsächlich arbeitet, bekommt 1 Euro als zusätzliche Unterstützung zu seinem Verdienst hinzugerechnet.

   Um es auf den Punkt zu bringen: Wir fördern mit der Umlage das Einbringen von Stunden aus dem Arbeitszeitkonto, fördern die Arbeit trotz schlechten Wetters und erhöhen damit die Flexibilität in der Branche. Ich finde, dies ist ein wirklich gelungener Beitrag zu einer modernen Arbeitszeitpolitik. Dafür haben die Tarifvertragsparteien Lob und Anerkennung verdient.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

   Hiervon unangetastet bleibt die Arbeitszeitflexibilisierung mit dem Ziel eines kontinuierlichen Monatslohns. Das Arbeitszeitkonto hat sich bewährt.

   Mit dem Gesetz machen wir deutlich, dass wir am Koalitionsvertrag festhalten. Wir haben dort nicht nur vereinbart, das Saisonkurzarbeitergeld einzuführen; wir haben dort auch ausdrücklich die Sicherung der Tarifautonomie und der Mitbestimmung begrüßt. Beides bleibt unangetastet. Versuche, durch die Hintertür hieran zu rütteln, haben wir verhindert. Wir geben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein klares Signal: Die Kultur des Misstrauens muss beendet werden. Wir haben keinen massenhaften Missbrauch in diesem Land. Wir wollen eine Kultur des Vertrauens. Das ist die Basis für sinnvolle Veränderungen, zu denen wir stehen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Mit dem Gesetz wird die Bundesagentur für Arbeit entlastet. Wenn die Arbeitnehmer in den Betrieben bleiben, haben die Agenturen weniger Aufwand durch weniger Arbeitslosmeldungen, durch weniger Vermittlungsbemühungen und - um es deutlich zu sagen - durch weniger Arbeit bei den Leistungsanträgen. Positiv wird sich auswirken, dass die Bundesagentur von den Remanenzkosten, das heißt von den Sozialkosten, entlastet wird. Wir rechnen also mit gutem Grund auch deshalb mit einem positiven Finanzeffekt bei der Bundesagentur für Arbeit. Wir erwarten einen positiven Effekt insbesondere für den Fall, dass es gelingt, diejenigen 70 000 Menschen, die in der Regel im Winter zusätzlich arbeitslos werden, mit diesem Gesetz zu erreichen. Dies sollte uns Mut machen, dass andere Branchen von diesem Gesetz lernen und möglichst bald eine Übertragbarkeit anstreben.

   Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war vorgesehen, weiteren Branchen die Möglichkeit für das Saisonkurzarbeitergeld zu eröffnen. Hieran haben wir grundsätzlich festgehalten, allerdings mit etwas höheren Hürden. Aus meiner Sicht sind wir gut beraten, auch anderen Branchen, die ähnlich hohe Schwankungen in der Beschäftigung haben, diese Option zu eröffnen.

   Beispiele für Schwankungen gibt es im Ausbaugewerbe, bei den Malern und Lackierern sowie in der Landwirtschaft. Im Bereich des Lackierer- und Malerhandwerks waren - um harte Zahlen zu nennen - im September 2005 7 500 Menschen und im Dezember 23 000 arbeitslos. Im Bereich der Land- und Forstwirtschaft waren im September 2005 5 300 Menschen arbeitslos. Im Dezember waren es 19 240. Das zeigt, dass es dort große Schwankungen und Unsicherheiten für die Beschäftigten nur wegen des schlechten Wetters gibt. Der Weg, über kurze Kündigungsfristen Kündigungen durchzuführen, ist falsch. Wir unterstützen vielmehr den Weg eines Saisonkurzarbeitergeldes und damit eine ganzjährige Beschäftigung.

   Wir haben vereinbart, nach zwei Jahren eine konstruktive Evaluation durchzuführen. Ich hätte mir gern etwas mehr Mut unsererseits gewünscht. Dennoch will ich die Tarifvertragsparteien in anderen Branchen mit hohen saisonalen Schwankungen aufrufen, nach spezifischen Lösungen in ihrem Bereich zu suchen, auf deren Grundlage das Gesetz nach der Evaluation auch für sie gelten kann. Wir wollen, dass auch diese Branchen - wenn sie es wollen - ein Instrument an die Hand bekommen, um Schwankungen in der Schlechtwetterzeit auszugleichen. Dies muss ein Instrument sein, mit dem Flexibilität und Sicherheit sinnvoll miteinander verbunden werden.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Jörg Rohde für die FDP-Fraktion.

Jörg Rohde (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Fraktion der FDP darf ich zunächst die von Union und SPD eingebrachten Änderungsanträge zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung ausdrücklich begrüßen. Die Beratungen hinter den verschlossenen Türen der Koalition haben zwei Wochen länger gedauert, als ursprünglich gedacht. Aus unserer Sicht hat sich das Warten aber gelohnt.

   Das neue Saisonkurzarbeitergeld wird die bisherige Winterbauförderung ablösen, wobei die neue Leistung in dem nun geänderten Gesetz wieder auf die Baubranche beschränkt wird. Für die FDP-Fraktion begrüße ich es ausdrücklich, dass die schwarz-rote Koalition in diesem wesentlichen Punkt auf eine von uns erhobene Forderung eingegangen ist.

(Beifall bei der FDP - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sonst hätten wir nicht zugestimmt!)

Weitere Branchen werden nun nicht gegen deren erklärten Willen in die Neuregelung einbezogen.

(Andreas Steppuhn (SPD): Das war auch nicht vorgesehen!)

   Dass zusätzlich eine mögliche Einbeziehung weiterer Branchen ab dem 1. November 2008 nur durch eine Gesetzesänderung möglich ist und nicht mehr, wie ursprünglich geplant, durch eine Rechtsverordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales, ist ebenfalls eine deutliche Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin mir übrigens sicher, dass bei dieser Änderung nicht nur die FDP, sondern auch etliche Branchenvertreter hier in Berlin deutlich aufgeatmet haben.

   Das neue Gesetz tritt exakt die Nachfolge des Vorläufergesetzes an, das die Winterbauförderung regelte und das Schlechtwettergeld ersetzt hat. Herr Dreibus - er ist heute nicht da; er hat mich darauf angesprochen -, ich habe tatsächlich in den alten Sitzungsprotokollen von damals geblättert: Das Schlechtwettergeld hatte gegenüber einem Jahresarbeitsentgelt den Nachteil, dass es mit Nettolohnverlusten verbunden war. Das war nur einer der Gründe, warum damals eine Neuregelung notwendig war.

(Andreas Steppuhn (SPD): Wir haben es abgeschafft!)

   Die 1994 von Schwarz-Gelb initiierte Gesetzesänderung wurde damals, so wie das bei der heutigen Gesetzesänderung auch der Fall war, mit den Tarifpartnern in der Baubranche abgesprochen und berücksichtigte die besondere saisonale Abhängigkeit der Baubranche.

   Auch 1997 hat die von Union und FDP getragene Bundesregierung die Weiterentwicklung des Gesetzes zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung im Baugewerbe vorangetrieben. Die FDP also hat bereits viele Jahre die Gesetzgebung zu der Problematik der Saisonarbeitslosigkeit in der Baubranche in den Wintermonaten konstruktiv begleitet; das tun wir auch heute.

(Beifall bei der FDP - Dirk Niebel (FDP), an die CDU/CSU gerichtet: Da könnten Sie auch mal klatschen!)

   Da die Regelungen aber seit Jahrzehnten ausschließlich auf die Bauindustrie ausgerichtet sind, ist es auch absolut richtig, nach der heutigen Neuregelung des Gesetzes zuerst zwei Jahre aktuelle Erfahrungen mit den neuen Regelungen zu sammeln,

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Schauen wir mal!)

bevor eventuell andere Branchen ebenfalls einbezogen werden.

(Dirk Niebel (FDP): Aber nicht zwangsweise!)

Hier im Bundestag müssen wir nun gemeinsam darauf achten, dass mit der neuen Förderung keine zusätzlichen Belastungen auf die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung zukommen. Ich bin nicht so optimistisch wie Sie, Herr Brandner, der Sie ja gesagt haben, dass sogar ein Überschuss herauskommt. Wir sehen das eher skeptisch.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wenn es plus/minus null ausgeht, dann ist das schon okay!)

Aber richtig ist, dass bei Inanspruchnahme von Saisonkurzarbeitergeld anstelle von Arbeitslosengeld die Beitragszahler entlastet werden, weil sie keine Sozialversicherungsbeiträge zu finanzieren haben. Allerdings könnte es, je nach Umfang der Inanspruchnahme von Saisonkurzarbeitergeld anstelle von Arbeitslosengeld, auch zu Mehrbelastungen kommen.

   Ein wichtiger Baustein bei der Senkung der Belastung für die Bundesagentur für Arbeit ist die erhöhte Flexibilisierung der Arbeitszeit mit Zeitguthaben von bis zu 150 Stunden statt, wie bisher, 10 Prozent der vereinbarten Jahresarbeitszeit. Ich bedauere natürlich, dass sich Union und SPD nicht meinem Vorschlag anschließen konnten und größere Zeitkorridore geschaffen haben. Ich hätte den Arbeitnehmern gerne mehr Freiraum eingeräumt. Auch über die negativen Arbeitszeitkonten können wir vielleicht bei der nächsten Novellierung in zwei Jahren gemeinsam diskutieren. Ich denke, hier ist noch Potenzial, mit dem wir Geld für die Bundesagentur für Arbeit herausholen können.

(Beifall bei der FDP - Klaus Brandner (SPD): Das ist ja eine richtige Regelungswut oder was?)

   Wir hätten uns ebenfalls eine klarere Formulierung in Bezug auf die Einbringung der Guthaben gewünscht. Diese Arbeitszeitguthaben werden jetzt in § 175 Abs. 5 SGB III geregelt. Da wir aber wissen, dass die Einbringung von 30 Stunden aus dem Arbeitszeitguthaben derzeit tarifvertraglich in der Baubranche geregelt ist, lassen wir diese Formulierung ausnahmsweise durchgehen.

(Lachen bei der SPD - Dr. Uwe Küster (SPD): Überheblich!)

Dies ist aber gleichzeitig ein großer Vertrauensvorschuss, der den Tarifpartnern gewährt wird: Sollten die Tarifpartner in der nächsten Tarifverhandlung beschließen, dass diese Arbeitszeitguthaben nicht eingebracht werden müssen, stünde die Bundesagentur für Arbeit finanziell im Regen. Das gilt es zu vermeiden.

(Beifall bei der FDP)

Wir hoffen, dass sich die Tarifpartner an dieser Stelle ihrer Verantwortung bewusst sind.

(Frank Spieth (DIE LINKE): Was denn nun?)

   Aus unserer Sicht sollten die Anreize zum Ansparen von größeren Arbeitszeitguthaben ausgebaut werden; das wäre eine Aufgabe für die Tarifpartner.

(Beifall bei der FDP)

   Leider ist der Union in einem Punkt eine Nachbesserung nicht gelungen: Am 27. Januar 2006 berichtete das „Handelsblatt“, dass auch der Kollege Meyer von der Union forderte, bei Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld nach dem Bezug von Saisonkurzarbeitergeld eine Anrechnung vorzusehen. Hier befindet sich nun aus unserer Sicht die Achillesferse des vorliegenden Gesetzentwurfes.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Allerdings!)

Die Einführung eines Saisonkurzarbeitergeldes darf nicht dazu führen, dass beitragsfinanzierte Leistungen dann zeitlich kumuliert in Anspruch genommen werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Im Extremfall könnte ein Arbeitnehmer in der Baubranche nun je nach Auslegung des Gesetzes im Spätsommer und Herbst vier Monate arbeiten und danach vier Monate Saisonkurzarbeitergeld beziehen und hätte dann möglicherweise Anspruch auf Arbeitslosengeld I statt auf Arbeitslosengeld II. Hier muss die Bundesagentur für Arbeit ihr besonderes Augenmerk darauf richten, ob bei dieser Neuregelung nicht doch aus Versehen eine Hintertür entstanden ist und Mitnahmeeffekte auftreten.

(Beifall bei der FDP)

Auch wir als FDP werden die Praxis kritisch begleiten und gegebenenfalls vorzeitige Korrekturen des Gesetzes fordern.

   Wir hoffen, dass sich die Einsparungen durch die Nutzung der flexiblen Arbeitszeitkonten und die vermiedene Bürokratie in den Arbeitsagenturen auf der einen Seite sowie eine mögliche verstärkte Inanspruchnahme des Gesetzes zum Saisonkurzarbeitergeld und mögliche Mitnahmeeffekte auf der anderen Seite insgesamt gegeneinander aufwiegen und das Gesetz somit kostenneutral für die Bundesagentur für Arbeit ausfällt.

   Deswegen begrüßen wir auch die im nachgebesserten Gesetzentwurf verankerte Evaluation, sodass der Bundestag über die Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt und die finanziellen Auswirkungen für die Arbeitslosenversicherung und den Bundeshaushalt genau informiert wird. Besonders für Gesetzentwürfe einer schwarz-roten Koalition gilt natürlich: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

(Beifall bei der FDP)

Wir sehen also den Ergebnissen der Wirkungsforschung zu diesem Gesetz mit Spannung entgegen.

   Nach Abwägung aller eingearbeiteter Änderungen durch Union und SPD gegenüber den noch offenen Wünschen unserer Fraktion haben wir uns aber dazu durchgerungen, die Einführung des neuen Saisonkurzarbeitergeldes zu unterstützen und dem Gesetzentwurf trotz eines leichten Bauchgrimmens bezüglich der Kostenneutralität des Gesetzes zuzustimmen.

   Als Nächstes sollte sich die Koalition aber - und hier besonders Sie, Herr Minister Müntefering -

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Allerdings!)

den noch drängenderen Fragen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zuwenden: der Flexibilisierung des Tarifrechts, der Reform des Kündigungsschutzrechtes und der Schaffung von Anreizen für die Rückkehr der geringfügig bzw. schwarz Beschäftigten in den ersten Arbeitsmarkt. Das sind nur einige Beispiele, Herr Minister. Frisch ans Werk! Wir werden Ihre Arbeit konstruktiv begleiten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Ralf Brauksiepe für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Mit dem Gesetz zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung wollen wir einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Winterarbeitslosigkeit nicht nur, aber gerade auch in der Baubranche leisten. Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf schaffen wir ein neues Instrument, führen wir das Saisonkurzarbeitergeld ein und ersetzen damit die bisherige Winterbauförderung.

   Es geht uns darum, mit diesem Gesetz die ganzjährige Beschäftigung dadurch zu fördern, dass die von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer beschäftigt bleiben und die Beitragsleistung Saisonkurzarbeitergeld beziehen, und damit zu vermeiden, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in witterungsabhängigen Branchen in die Arbeitslosigkeit entlassen werden und von der Bundesagentur für Arbeit aufgrund der gesetzlichen Regelungen, die es dafür schon gibt, aufwendig betreut werden müssen, obwohl sich in vielen Fällen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass die Beschäftigung nach dem Winter fortgesetzt werden soll.

   Wir wollen das tun, um damit einen wesentlichen Beitrag zur Lösung eines Problems zu leisten, das uns seit vielen Jahren beschäftigt. Man darf auch keine Illusionen schüren: Auch in Zukunft wird die Winterarbeitslosigkeit höher sein als die Arbeitslosigkeit im Sommer. Ich denke aber, wir haben die begründete Hoffnung, dass wir mit diesem Gesetz einen wesentlichen Beitrag leisten, um Arbeitslosigkeit im Winter zu vermeiden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Deswegen ist dies eine gute Nachricht für all die Menschen, die ihre Arbeit unter schwierigen Bedingungen tun müssen. Nicht nur dieser Winter - darauf hat der Kollege Brandner zu Recht hingewiesen - war ein Beispiel dafür. Es geht darum, etwas für die Menschen zu tun, die unter schwierigen Umständen hart arbeiten, und auch etwas für die Arbeitgeber zu tun, die unter ordentlichen, abgesicherten und gesetzlich vorgesehenen Bedingungen zu ihren Leuten stehen und die mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch durch schwierige Zeiten gehen und sie im Winter nicht auf die Allgemeinheit abschieben wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

All denen, die sich gesetzes- und tariftreu verhalten, wollen wir hier ein Angebot machen.

   Ich will deutlich sagen, dass es für ein solch schwieriges Problem, wie es sich uns hier stellt, sicherlich keine einfachen Lösungen gibt.

   Wie schwierig die Gefechtslage manchmal ist, erkennt man auch an manchen Beiträgen: Wenn der Kollege Rohde hier schon Lenin zitiert, dann sieht man daran, dass das Problem, mit dem wir uns hier beschäftigen, kein Problem wie jedes andere ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN - Jörg Rohde (FDP): Gute Zitate sind immer brauchbar!)

Wir sind dankbar dafür, dass Sie, Kollege Rohde - unter Hinweis auf wen auch immer und unter Hoffnung auf was auch immer -, für die Liberalen die Unterstützung dieses Gesetzentwurfs signalisiert haben.

   Natürlich hat es - das will ich deutlich sagen - Gespräche darüber gegeben, wie wir mit diesem Problem verfahren sollen. Wir machen Anhörungen nicht einfach nur, weil uns irgendwelche Vorschriften dazu zwingen, sondern weil wir auf das, was dort gesagt wird, hören wollen, weil wir das nacharbeiten und daraus Konsequenzen ziehen. Sie dürfen dem Minister nicht vorwerfen, man hätte ihn dazu bringen müssen, Zwangsbeglückungen zu verhindern. Wir haben alle - schon in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs - gesagt: Wir wollen keine Zwangsbeglückung anderer Branchen. Wir haben in der Tat eine vernünftige Regelung gefunden, um das zu verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Jörg Rohde (FDP): Wir begrüßen, was die Baubranche macht!)

   Bezüglich der Ausweitung auf andere Branchen - das sage ich genauso klar - meinen wir, was wir sagen. Wir wollen in der Bauwirtschaft jetzt ein neues Instrument ausprobieren. Die Wirkung werden wir sehr genau analysieren. Wenn sich dieses neue Instrument in der Bauwirtschaft bewährt, dann liegt es im Interesse der großen Koalition, dass dieses Instrument auch auf andere Branchen angewandt wird, weil wir die effektive Bekämpfung der Winterarbeitslosigkeit überall dort wollen, wo sie ein Problem darstellt. Das ist unser Ziel, das wir auch realisieren werden. Wir werden dieses Problem angehen. Wir werden keine Schnellschüsse machen, sondern ein ordentliches und evaluiertes Instrument anwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Jörg Rohde (FDP): Aber nur für die, die es wollen!)

   Es geht nicht darum, irgendetwas auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Wir müssen vielmehr von der gegenwärtigen Situation ausgehen. Wie sieht diese Situation aus? Dieses Gesetz wird seine Wirkung nur dann entfalten, wenn die Tarifparteien Regelungen treffen, die zu diesem Gesetz passen. Es geht nicht darum, dass irgendwer der Erfüllungsgehilfe des anderen ist. Weder ist der Gesetzgeber der Erfüllungsgehilfe der Tarifvertragsparteien noch umgekehrt. Die Regelungen beider müssen sinnvoll ineinander greifen, damit dieses Instrument wirken kann.

   Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir nur in der Bauwirtschaft Rahmenbedingungen, zu denen dieses Gesetz passen kann. Das ist nicht - das ist völlig klar - von heute auf morgen in anderen Branchen zu schaffen. Andere Branchen werden zwei Winter lang die Gelegenheit haben, sehr sorgfältig zu analysieren, wie dieses Instrument in der Bauwirtschaft funktioniert. Danach können sie die Entscheidung treffen, ob sie es auch in ihrem Bereich wünschen. Wir hoffen, dass dieses Instrument insgesamt zu einer Vermeidung von Winterarbeitslosigkeit führt. Das gilt selbstverständlich immer dann, wenn die Branchen das wollen. Wir wollen keine Verabredung zulasten Dritter. Wir wollen auch nicht, dass politisch entschieden wird, welche Branchen etwas Neues machen sollen.

   Wir sind der festen Überzeugung, dass die Tarifvertragsparteien - sie sind am nächsten dran - ein entscheidendes Wort dabei mitzureden haben, was in ihrem Bereich passieren soll. Aufgabe des Gesetzgebers ist es gleichwohl, die Gemeinschaft der Beitragszahler vor Verträgen und Vereinbarungen zulasten Dritter zu schützen. Genau das tun wir mit diesem Instrument.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Herr Kollege Rohde, Sie haben das Problem angesprochen, dass mit Leistungen der Bundesagentur für Arbeit andere Leistungen begründet werden können.

(Jörg Rohde (FDP): Das habt ihr auch so gesehen!)

Man muss in diesem Zusammenhang sagen, woher dies eigentlich kommt. Wir machen jetzt zwar etwas Neues für die Bauwirtschaft. Es ist aber nicht so, als hätte es dort bisher keine Regelung zur Winterförderung gegeben. Das, was Sie hier kritisieren, gilt immer für das Zusammenspiel von Lohnersatzleistungen bzw. verschiedener arbeitsmarktpolitischer Instrumente. Zurzeit wird die Winterbauförderung nicht auf das Arbeitslosengeld angerechnet.

   Ich bitte darum, sich daran zu erinnern, was bezüglich der umlagefinanzierten Leistungen vereinbart wurde. Das Mehraufwandswintergeld wird gezahlt, wenn jemand kurzarbeitet, nicht bei Kurzarbeit gleich null, sondern wenn jemand grundsätzlich Kurzarbeit macht, in dieser Zeit aber stundenweise arbeitet. Wollen Sie denn jemandem, der zehn oder 20 Stunden gearbeitet und dafür auch den entsprechenden Zuschlag erhalten hat, am Ende sagen: „Wir behandeln dich so, als hättest du in dem betreffenden Monat nicht gearbeitet, und ziehen dir das Geld vom Arbeitslosengeld ab, das gezahlt wird, wenn keine Arbeit geleistet wird“?

Das geht doch nicht. Welchen bürokratischen Aufwand wollen Sie hier eigentlich betreiben? Fragen Sie doch einmal im Arbeitgeberlager nach, ob die einen solchen bürokratischen Aufwand wollen. Man muss doch einen vernünftigen Mittelweg gehen und zusätzliche Bürokratie, wo sie vermeidbar ist, wirklich vermeiden. Das tun wir mit diesem Gesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir schauen uns die Evaluation an!)

   Natürlich wird die Frage, ob man in größerem Maße als früher von einer Beitragsleistung in eine andere übergeht, im Rahmen der Evaluation, die wir vornehmen werden, eine Rolle spielen. Das ist vollkommen klar. Wenn sich da Probleme ergeben, wird der Gesetzgeber handeln.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Sehr schön!)

   Es hat eine Reihe von Gesprächen gegeben, die zu den Änderungsanträgen geführt haben, die gestern im federführenden Ausschuss eine Mehrheit gefunden haben. Ich will mich in diesem Zusammenhang bei all denen, die daran mitgewirkt haben, herzlich bedanken. Ich will mich auch noch einmal ausdrücklich an den Kollegen Klaus Brandner wenden, der gesagt hat, es seien alle Versuche abgewehrt worden, an der Mitbestimmung zu rütteln. Ich möchte vor Legendenbildung warnen, lieber Kollege Brandner; denn ich war bei ein paar Gesprächen zu diesem Thema dabei, um nicht zu sagen: bei allen. Dass in diesen Gesprächen die sozialdemokratische Seite Versuche, an der Mitbestimmung zu rütteln, hätte zurückweisen müssen, daran kann ich mich mit Verlaub nicht erinnern.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist ja der Anfang von Zerrüttung, was wir hier erleben!)

   Die Tarifvertragsparteien haben in der Zwischenzeit eine Klarstellung vorgenommen, und zwar dahin gehend, dass der Arbeitgeber in der Schlechtwetterzeit über die Fortsetzung, Einstellung oder Wiederaufnahme der Arbeit nach Beratung mit dem Betriebsrat letztlich nach seinem pflichtgemäßen Ermessen alleine entscheidet. Das ist die Vereinbarung, die die Tarifvertragsparteien getroffen haben. Wir sorgen mit diesem Gesetz dafür, dass diese Vereinbarung, wie auch all die anderen Vereinbarungen, die die Tarifvertragsparteien beschlossen haben, gelten.

   Ich will es deutlich sagen: Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit in schwieriger Zeit und unter neuen Bedingungen ist nichts, was man Christdemokraten und Christlich-Sozialen mühsam abringen muss. Soziale Gerechtigkeit und gerechte Teilhabe sind unser Herzensanliegen; das muss man uns nicht abringen. Dafür stehen wir als große Volkspartei.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Gut, dass das einmal gesagt wird!)

Deswegen werden wir diesen Regelungen zur Durchsetzung verhelfen, und zwar in dem Wissen, dass es Risiken gibt und dass niemand vorhersagen kann, wie sich der Wegfall der Stunden, die vorher zu leisten waren, auswirken wird. Wir begrenzen jedoch die möglichen Risiken und werden die Kostenentwicklung im Auge haben.

   Es geht hier um ein vernünftiges Miteinander von gesetzlichen und tariflichen Regelungen. Wir alle gemeinsam müssen ein großes Interesse daran haben, dass die Anreize, die wir zur Aufrechterhaltung und zur Weiterentwicklung der Flexibilisierung in der Bauwirtschaft setzen, genutzt werden. Deshalb kann ich nur dahin gehend appellieren und alle bitten, mit dafür zu sorgen, dass die Arbeitszeitguthaben, die es in den allermeisten Betrieben gibt, breit zur Anwendung kommen. Denn dieses Gesetz basiert darauf, dass im Sommer über Arbeitszeitguthaben Überstunden angehäuft werden, die ohne Belastung der Allgemeinheit der Beitragszahler im Winter abgebaut werden können. Das ist im Interesse der Allgemeinheit, aber auch im Interesse der Arbeitgeber, da sie dadurch das Auszahlen von Überstunden mit entsprechenden Zuschlägen im Sommer vermeiden. Der Gesetzgeber hat alles in seiner Macht Stehende getan, um zu einer vernünftigen Regelung zu kommen.

   Ich appelliere an alle Beteiligten in der Bauwirtschaft, auch an die, bei denen die entsprechende Regelung noch fehlt, ihren Teil dazu beizutragen, dass es nicht zu Missbrauch kommt. Der Gesetzgeber hat seinen Teil getan. Jetzt sind die Tarif- und Betriebsparteien in der Bauwirtschaft gefordert, das umzusetzen, damit wir zu einer guten gemeinsamen Regelung kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Jörg Rohde (FDP): Sie hätten es auch ins Gesetz schreiben können!)

   Ich freue mich, dass sich bei der Verabschiedung dieses Gesetzes eine breite Zustimmung abzeichnet. Ich will deutlich sagen: Dies ist der gemeinsame Wille der Fraktionen der großen Koalition und auch der Wille der Fraktionsführungen.

   In diesem Zusammenhang will ich eines klarstellen - denn gelegentlich höre ich Bemerkungen, die Kanzlerin solle sich mehr um die Innenpolitik kümmern -:

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Erzählen Sie jetzt aber nicht, wann Sie von ihr angerufen worden sind, Herr Brauksiepe!)

Ich gehe davon aus, dass niemand böswillig behauptet, sie habe dies in der Vergangenheit nicht getan. Dennoch kann ich jedem, den es betrifft, nur sagen: Wenn es um Arbeitszeitguthaben, Winterausfallgeld-Vorausleistungen, Ersatzleistungen und vieles andere geht, können viele hier in diesem Hause von der Kanzlerin noch eine Menge lernen;

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn sie kennt sich damit aus und hat sich auch maßgeblich darum gekümmert, dass diese Regelung zustande gekommen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Uwe Küster (SPD) - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wieso klatscht denn da jetzt auch jemand bei der SPD?)

   Der Arbeitsminister sieht mich gerade an. Natürlich gilt das auch für ihn. Es wäre ja auch seltsam, wenn es nicht so wäre.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Botschaft, die von diesem Gesetzentwurf ausgeht, lautet: Dieses Land hat eine gute Bundeskanzlerin. Der Vizekanzler ist fast genauso gut;

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Vor allem müssen beide auch im Winter arbeiten!)

das ist ebenfalls eine wichtige Nachricht. Diese Botschaft kommt in den Regelungen, auf die wir uns verständigt haben, zum Ausdruck.

   Nach intensiven Beratungen ist ein guter Gesetzentwurf zustande gekommen. Ich freue mich über die Zustimmung im federführenden Ausschuss und hoffe, dass wir sie auch im Parlament finden werden. Ich wünsche all denjenigen, die von dem Inhalt dieses Gesetzes betroffen sind, dass es die Wirkungen entfaltet, die wir uns gemeinsam von ihm versprechen. Ich wünsche also vor allem all denjenigen, die in der Bauwirtschaft beschäftigt sind, für die nächsten Jahre viel Arbeit.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Dirk Niebel (FDP): Mensch, Ralf, du hast ja zum Schluss noch richtig Humor entwickelt!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile nun das Wort der Abgeordneten Kornelia Möller, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Kornelia Möller (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder kommen im Winter zu den Millionen Menschen ohne Arbeit noch Hunderttausende hinzu und alle Jahre wieder bietet die Politik keine befriedigende Lösung dieses Problems an. Das soll sich nun ändern.

   Ja, das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist längst überfällig und es ist nötig. Erinnern wir uns: Im Jahre 1995 wurde das Schlechtwettergeld von der Regierung Kohl ersatzlos gestrichen. Eine gut funktionierende Regelung fiel den Sparanstrengungen des damaligen Finanzministers Theo Waigel zum Opfer. Waigel befand, das Schlechtwettergeld sei zu teuer und belaste die Bundesanstalt für Arbeit über Gebühr.

(Jörg Rohde (FDP): Vor allem die Beitragszahler!)

Das Ergebnis dieses kurzsichtigen sozialen Einschnitts war und ist ein erheblicher Anstieg der saisonalen Arbeitslosigkeit in den Bauberufen und ähnlich witterungsabhängigen Branchen - alle Jahre wieder. Ausbaden müssen dies die Bauarbeiter in Hamburg und Leipzig, in München und Schwerin.

   Aber unter dem Strich wurden nicht nur sie, sondern wurde auch die Bundesanstalt für Arbeit zusätzlich belastet. In diesem langen, harten Winter wirkt sich das besonders negativ aus und es erschwert die Lage der ohnehin bereits gebeutelten Beschäftigten der Bau- und Baunebengewerke sowie der Unternehmen dieses Zweiges zusätzlich. Das Fehlen einer Schlechtwettergeldregelung hat die Zahl der Arbeitslosen mit in die Höhe getrieben. Viele Menschen stehen auf der Straße; sie erwarten zu Recht auch von der Politik eine Regelung.

   Wir als Linksfraktion begrüßen, dass ein gelungenes, wenn sicherlich auch nicht ganz einfaches Gemeinschaftswerk zwischen der öffentlichen Hand, den zuständigen Gewerkschaften sowie den beteiligten Unternehmerverbänden zustande gekommen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist ein zufrieden stellendes Ergebnis, vor allem für die Hauptbetroffenen: die Beschäftigten des Baugewerbes und ähnlicher witterungsabhängiger Branchen. Das ist doch schon mal was, im Gegensatz zu anderen Projekten, mit denen hoch geschraubte Versprechen abgegeben wurden, die dann aber entweder im Sande verliefen oder die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in Armut führten und ihnen ihre Bürgerrechte aberkannten. So viel zum Stichwort Reformen.

   Ich danke denen, die diesen Gesetzentwurf vorbereitet haben. Dabei handelt es sich insbesondere um die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, den Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.

(Jörg Rohde (FDP): Hat denn die Koalition damit gar nichts zu tun?)

Sie schufen im Juli vergangenen Jahres mit ihrer tariflichen Vereinbarung zur Weiterentwicklung der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauindustrie die praktischen Voraussetzungen dafür, dass dieses Gesetz, wenn es dann beschlossen ist, erstmals im Winter 2006/2007 wirksam werden kann.

   Ganz wesentlich ist, dass mit dieser Regelung ein Weg beschritten wird, der sichert, dass sich beide Tarifpartner aktiv an der Beschäftigungssicherung in ihrer Branche beteiligen.

   Vom Gesetzgeber erwarten wir, nun unverzüglich zu prüfen, welche weiteren Branchen in den Geltungsbereich des vorliegenden Gesetzes einbezogen werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sind bei 5 Millionen Arbeitslosen kleine Schritte, aber immerhin weisen sie diesmal in die richtige Richtung.

   Die Anregungen des DGB, der eine Ausweitung auf weitere Branchen vorschlägt, zum Beispiel auf das Hotel- und Gaststättengewerbe in den Saisongebieten, die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten, den Erwerbsgartenbau sowie den Kabel- und Freileitungsbau, unterstützen wir ausdrücklich. Umso mehr bedauern wir, dass die Regierungskoalition kurzfristig mit einem Änderungsantrag die Hürden für die dringend notwendige Einbeziehung weiterer Branchen sehr hoch gelegt hat. Erst im Winter 2008/2009 soll es möglich sein - und dann ausschließlich auf Basis eines neuen Gesetzes und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, im Rahmen einer Rechtsverordnung des BMA -, weitere Branchen einzubeziehen.

   Gestern erreichte mich eine Resolution - es ist nicht die einzige, aber ich führe sie exemplarisch an - von Betriebsräten und Beschäftigten der Ziegelindustrie, die um ihre Arbeitsplätze fürchten, sollte das Gesetz sie ausschließen. Sie schreiben ganz konkret: Das Gesetz zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung könnte die Rettung für viele Familien sein, die sonst in das ALG II gingen. Auch wie weisen darauf hin, dass die Bundesagentur für Arbeit durch die Begrenzung auf wenige Branchen weit stärker finanziell belastet würde. Um auf Ihren Ausdruck zurückzukommen, Herr Brauksiepe: Eine Zwangsbeglückung würden sie gerne annehmen.

(Beifall bei der LINKEN - Jörg Rohde (FDP): Dazu gehören immer zwei Partner!)

   Ich muss mich schon fragen: Reden Sie denn nicht mit den Menschen vor Ort, kriegen Sie so etwas nicht mit, sprechen sie nicht mit den Leuten? Oder haben Sie keine Ahnung, haben Sie niemanden, der sich mit der Materie auskennt? Denn es ist doch so, dass man zunächst einmal nachdenken und nachfragen muss, ehe man ein Gesetz verabschiedet.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Beschäftigten der Ziegelindustrie sind nicht die Einzigen, die vergessen werden. Es trifft auch Beschäftigte, die zwar saisonalen, aber keinen Witterungseinflüssen ausgesetzt sind, zum Beispiel Künstler, vor allem Schauspieler und künstlerische Produktionskräfte, die zwischen ihren Engagements immer wieder arbeitslos sind. Auch hier müssen dringend Lösungen gefunden werden.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich möchte daran erinnern, dass 2003 im Zuge von Hartz III die so genannte Anwartschaftszeitverordnung nach § 123 SGB III von Rot-Grün ersatzlos gestrichen wurde. Alle Betroffenen, die nicht mehr als acht Beschäftigungsmonate pro Jahr erreichen, sind seitdem nicht mehr in der Lage, ihre Phase von witterungsbedingter und/oder saisonaler Arbeitslosigkeit mit dem Arbeitslosengeld I zu überbrücken, weil sie den dafür nötigen Anspruch nicht mehr aufbauen können. Um einmal eine Zahl zu nennen: Nach Berechnungen der IG BAU sind von dieser Regelung allein im Bauhauptgewerbe 400 000 Beschäftigte betroffen.

   Trotz der hohen Zahl der betroffenen Menschen sah es eine Weile so aus, als würden die Beschäftigten der Bauindustrie noch länger auf eine zufrieden stellende Schlechtwetterregelung warten müssen. Denn während der ersten Ausschussberatung zog Schwarz-Rot plötzlich die eingereichte Vorlage zurück. Anlass waren vermutlich Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Regierungslagers

(Zuruf von der LINKEN: Das war die Wirtschaftslobby!)

- genau -, hervorgerufen durch den Widerstand der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Im Kern ging es dabei um den Vorwurf, die Beschäftigten der Bauindustrie könnten mit dem Saisonkurzarbeitergeld zu gut wegkommen. Ich empfehle den Verantwortlichen der BDA, sich nicht von einer neoliberalen Ideologie oder von Sozialneid leiten zu lassen, sondern sich stattdessen der Realität zu öffnen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Es ist also vor allem den weit fortgeschrittenen Tarifverhandlungen der Verbände der Baubranche und der IG BAU zu verdanken und damit dem gewerkschaftlichen Druck zu verdanken - das zu betonen, ist in dieser Zeit besonders wichtig -, dass der vorliegende Gesetzentwurf den Weg in die heutige Sitzung des Bundestages geschafft hat.

   Wir werden dem Gesetz zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung zustimmen und wir werden uns dafür engagieren, dass auch die Beschäftigten ähnlicher, durch saisonale Schwankungen gefährdeter Bereiche von diesen Regelungen profitieren können.

   Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Wir werden unseren Kampf gegen Hartz IV im Interesse aller Menschen, die von Erwerbslosigkeit bedroht oder betroffen sind, weiter führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ceterum censeo: Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Hartz IV muss weg.

   Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen von der großen Koalition bereits im Januar bescheinigt, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf, der ein Saison-Kurzarbeitergeld vorsieht, ein richtiges Ziel verfolgen. Wir unterstützen dieses Vorhaben ausdrücklich; denn Sie greifen damit unserer Meinung nach ein Problem auf, das immer mehr Beschäftigte betrifft. Denn unsichere Arbeitsverhältnisse und diskontinuierliche Erwerbsverläufe nehmen einen immer größeren Raum in unserer Gesellschaft ein.

   Damit komme ich auch schon zum eigentlichen Problem. Von solchen unsicheren Arbeitsverhältnissen sind sehr viele Menschen in sehr vielen verschiedenen Branchen betroffen; sie sind kein Alleinstellungsmerkmal der Baubranche.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie aber legen hier leider einen Gesetzentwurf vor, den man als Auftragsarbeit für die Bauwirtschaft, als eine Lex Baubranche bezeichnen kann. Die darin enthaltenen Regelungen sind explizit auf die Bauwirtschaft ausgerichtet. Es besteht nicht die Möglichkeit, die Regelungen auf andere Branchen zu übertragen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Regelungen dieses Gesetzentwurfs beschränken sich auf witterungsbedingten Arbeitsausfall in der Zeit von Dezember bis März und sind nur für Arbeitgeber mit entsprechendem Tarifvertrag attraktiv. Das trifft auf andere Bereiche, wie im Übrigen auch im Gesetzentwurf zu lesen ist - auch Sie, Herr Brandner, haben das gerade gesagt -, leider nicht zu. Beides stellt zielgerichtet auf die Baubranche ab. Das hat die Anhörung sehr deutlich gemacht. Mit ihrem Änderungsantrag hat die große Koalition das quasi eingestanden.

   Aber, Herr Brandner, Herr Brauksiepe, es gibt immer mehr Bereiche, in denen solche Probleme, die schon ganz richtig und ausführlich beschrieben wurden, auftreten. In immer mehr Arbeitsfeldern wird projektbezogen gearbeitet, zum Beispiel in der Film- und Medienindustrie, bei den Kulturschaffenden und immer mehr auch in der Wissenschaft.

   Das Problem ist auch nicht auf die Winterarbeitslosigkeit beschränkt; in diesem Punkt ist Ihre Annahme ebenfalls falsch. Was ist zum Beispiel mit der Wintergastronomie? Was ist mit bestimmten Zweigen der Landwirtschaft? Denken Sie nur an die Jobs an den Skiliften oder in der Alm- und Gondelwirtschaft! Hier ist der Arbeitsanfall im Winter groß; die Angestellten bräuchten im Sommer ein Kurzarbeitergeld. All die Probleme, die hier beschrieben worden sind, treffen auch die Beschäftigten in diesen Bereichen. Aber denen reichen Sie nicht die helfende Hand; denen zeigen Sie die kalte Schulter. Für Sie ist der Wetterfrosch nur von Dezember bis März ein Risikopatient auf dem Arbeitsmarkt. Das wird der Wirklichkeit aber leider nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich finde diese Regelung deshalb so überraschend, weil Sie in Ihrem Gesetzentwurf und in Ihrer Rede die umfassend positiven Wirkungen beschrieben haben. Sie haben gesagt, dass durch das Kurzarbeitergeld circa 25 Prozent der saisonbedingten Entlassungen vermieden werden könnten.

Außerdem haben Sie gesagt, dass damit Einsparungen bei der Bundesagentur für Arbeit, aber auch beim Bund verbunden sein könnten. Ich frage Sie: Warum wollen Sie diese positiven Effekte so stark begrenzen? Das sind doch Argumente dafür, diese Maßnahme auch auf andere Branchen auszuweiten.

   Ganz offensichtlich trauen Sie Ihren eigenen Aussagen nicht wirklich über den Weg. Wie sonst wäre dieser zweijährige Feldversuch, den Sie nur für die Baubranche vorsehen - das betone ich noch einmal ausdrücklich -, zu verstehen? Vor 2008 dürfen sich andere Branchen nicht bewegen; sie werden sonst erschossen.

(Jörg Rohde (FDP): Man muss den Fehler ja nicht gleich fünfmal machen!)

Das ist ein falscher Weg.

   Ich will Ihnen noch etwas sagen: Ich halte Wirkungsforschung ausdrücklich für richtig. Ich finde schon, dass man Instrumente, die man einführt, nach einer gewissen Phase daraufhin überprüfen muss, ob sie tatsächlich die Wirkung haben, die man sich erhofft hat. Wenn Sie die Wirkungsforschung aber so eng begrenzen, nämlich auf die Bauwirtschaft, dann werden Sie natürlich keinerlei Erkenntnisse darüber gewinnen, wie diese Regelung in anderen Branchen wirken wird. Es gibt dann nämlich keine Möglichkeit, zu sagen: Okay, wenn wir das und das tun, dann hat das in der Gastronomiebranche diese und jene Wirkung. Sie werden nach zwei Jahren sagen können, wie sich das in der Bauwirtschaft auswirkt. Damit bleibt die Begrenzung aber weiterhin bestehen; denn Erkenntnisse darüber, wie sich eine Übertragung bewerkstelligen lässt, werden Sie auf diese Weise nicht gewinnen.

   Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Auf den Baustellen der Republik werden die Baggerfahrer und die Betonmischer eine Ehrenrunde für die große Koalition drehen. Für alle anderen Branchen aber ist dieser Gesetzentwurf - und das trotz des Einsatzes der Kanzlerin - ein Meisterstück der Unentschlossenheit und Halbherzigkeit.

(Dirk Niebel (FDP): Warum lehnen Sie dann nicht ab und enthalten sich lieber?)

Dafür können Sie nicht allen Ernstes eine Unterstützung von uns Grünen erwarten. Mehr als eine Enthaltung ist leider nicht drin.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dirk Niebel (FDP): Das ist nicht unentschlossen? - Jörg Rohde (FDP): Mehr Mut, Frau Kollegin!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für die Bundesregierung erhält nun der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres das Wort.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung werden wir die Winterarbeitslosigkeit im Baugewerbe effektiv und nachhaltig bekämpfen. Dies haben sich CDU/CSU und SPD bereits im Koalitionsvertrag als wichtiges Projekt vorgenommen. Nun setzen wir diesen Teil der Koalitionsvereinbarung um. Damit ist klar, dass die Koalition ihre Hausaufgaben erfüllt. Punkt für Punkt werden die Dinge erledigt, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendig sind.

   Wenn man sich ausschließlich am Kalender orientieren würde, dann dürften wir uns alle miteinander freuen; denn in vier Tagen ist Frühlingsanfang. Ich gehe davon aus, dass Sie sich alle so wie ich auf wärmere Temperaturen freuen und dem hoffnungsvoll entgegensehen. Die meteorologische Realität sieht leider anders aus: Der kalte Winter hat Deutschland nach wie vor fest im Griff, was mit einem erheblichen Einfluss auf den Arbeitsmarkt verbunden ist.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Schuld daran ist nur die SPD!)

Durch die aktuelle Witterung wird uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass das heute zu beratende Gesetz zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung notwendig und sinnvoll ist. Die Bundesregierung will damit die Winterarbeitslosigkeit effektiv und nachhaltig bekämpfen.

   Wie ist die Situation bisher? Allein für den Baubereich kann man feststellen, dass es Jahr für Jahr im Winter etwa 140 000 bis 150 000 Menschen gibt, die im November entlassen werden und denen man sagt: Melde dich arbeitslos. Im April, wenn die Saison losgeht, stelle ich dich wieder ein. - Die Folge ist, dass die Arbeitslosenversicherung alle Kosten für diese Arbeitslosen zu tragen hat - die Sozialversicherungsbeiträge, das Arbeitslosengeld und alles, was damit zusammenhängt -, sie der Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt in Wahrheit aber überhaupt nicht zur Verfügung stehen, weil sie sich darauf verlassen, dass ihr ehemaliger Arbeitgeber sie wieder einstellt. Sie schlagen dieses Angebot nur aus, wenn sie eine bessere Beschäftigung finden.

   Diesen Zustand wollen wir ändern. Ziel ist, dass die Betriebe ihre Beschäftigten nicht entlassen. Dafür wollen wir ein neues Instrument anbieten. Damit wollen wir vor allem zwei Dinge erreichen: Wir wollen, dass die Beschäftigungsverhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft stabilisiert werden, und wir wollen die tariflichen Ansätze zur Arbeitszeitflexibilisierung und die ganzjährige Beschäftigung durch gesetzliche Maßnahmen besser als bisher flankieren.

   Wir sind überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind; denn von der ganzjährig sicheren Beschäftigung profitieren alle. Der Bauarbeiter profitiert davon, weil ihm nicht gekündigt wird und er seine Arbeit behält. Der Betrieb profitiert davon, weil er seine Beschäftigten nicht entlassen muss und so auch auf kurzfristige Aufträge reagieren kann. Auch die Bundesagentur für Arbeit, also die Arbeitslosenversicherung, profitiert davon, weil damit die Kosten sinken.

(Jörg Rohde (FDP): Letzteres bleibt nur zu hoffen! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist ein Perpetuum mobile!)

   Ich will ausdrücklich sagen, dass die Wirtschaft im Sektor Bau - dazu gehören für mich die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften genauso wie die Arbeitgeber - vorbildliche Arbeit geleistet hat. Sie hat nämlich entsprechende Tarifverträge abgeschlossen, die einen Mechanismus ermöglichen, auf den ich noch eingehen möchte.

   Zur Kurzarbeit muss man Folgendes wissen - das sage ich für diejenigen, die diese Diskussion verfolgen -: Das Instrument der Kurzarbeit gibt es auch bisher schon. Ein Unternehmen kann aus konjunkturellen Gründen für seine Beschäftigten Kurzarbeit anmelden, um deren Entlassung zu vermeiden. Ein anderer Grund können strukturelle Umsteuerungen sein, wenn also ein Betrieb umgebaut oder ein Standort geschlossen wird. Auch dann kann Kurzarbeit gemacht werden.

   Wir erweitern nun dieses Instrument, indem wir die Kurzarbeit auch bei saisonalen Schwankungen ermöglichen; das ist etwas Neues. Kurzarbeit bedeutet, dass der Arbeitgeber für die Beschäftigten, für die er Kurzarbeit beantragt und die Kurzarbeit machen, die Sozialversicherungsbeiträge in vollem Umfang zahlen muss. Das hat natürlich zur Folge, dass sich viele Betriebe überlegen, ob sie überhaupt Kurzarbeit anmelden. Das hätte nämlich zur Folge, dass die Arbeitnehmer nicht arbeiten, der Arbeitgeber aber die Sozialversicherungsbeiträge Monat für Monat abführen muss.

   Die Bauwirtschaft hat es nun durch tarifvertragliche Vereinbarungen ermöglicht, dass dem Arbeitgeber, der für seine Beschäftigten Kurzarbeit anmeldet, die dafür anfallenden Sozialversicherungsbeiträge durch ein Umlagesystem erstattet werden. Das ist ein Instrument der Solidarität; denn alle Unternehmer, auch diejenigen, bei denen es keine Kurzarbeit gibt, müssen in dieses System einzahlen, damit denjenigen, die Kurzarbeit anbieten, die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge erstattet werden können. Nur so ist Kurzarbeit für Arbeitgeber attraktiv.

   Für die Arbeitnehmer gibt es Arbeitszeitkonten. Ich will hier noch einmal ausdrücklich sagen: Diese Arbeitszeitkonten gibt es in der Bauwirtschaft schon länger. Bisher war es so, dass der Arbeitnehmer, bevor er das Wetterausfallgeld in Anspruch nehmen konnte, 30 Stunden durch sein Kontingent abgelten musste. Von der 31. bis zur 100. Stunde musste der Arbeitgeber zahlen und ab der 101. Stunde sprang dann die Bundesagentur für Arbeit ein. Dies wird jetzt durch das Umlagesystem in der Bauwirtschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt. Die Arbeitnehmer erhalten für jede Stunde, die sie im Winter bei schlechtem Wetter leisten, für die also Kurzarbeit nicht in Anspruch genommen wird, auf den Stundenlohn einen Zuschlag von 2,50 Euro.

   Die Bundesregierung und die Tarifvertragsparteien sind sich darüber einig, dass die gefundene Lösung für die Arbeitnehmer attraktiv ist und nicht dazu führen wird, dass Kurzarbeit leichtsinnig angemeldet wird, sondern dass die vorhandenen Arbeitszeitkonten der Arbeitnehmer im Winter eingesetzt werden, weil das auch für die betroffenen Arbeitnehmer eine attraktive Alternative ist.

   Die Bundesregierung wünscht sich - das hat sie auch im Gesetzentwurf, der im Kabinett beschlossen wurde, festgelegt -, dass diese Möglichkeit auch auf andere Branchen übertragen wird.

Herr Dr. Brauksiepe hat das in seiner Rede ausdrücklich auch für die Union erklärt. Ich bin Herrn Dr. Brauksiepe, Klaus Brandner und den Koalitionsfraktionen außerordentlich dankbar.

   Wenn sich das Instrument als wirkungsvoll erweist - es wird über zwei Winterabschnitte hinweg in seiner Wirkung erprobt und evaluiert -, dann wollen wir die Möglichkeit schaffen, dass es auch von anderen Branchen genutzt werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Deswegen stelle ich an meine Vorrednerin Frau Pothmer gewandt ausdrücklich fest: Es stimmt nicht, dass andere erschossen werden, sobald sie sich bewegen. Was ist das übrigens für eine militärische Ausdrucksweise für eine Grüne? Ich muss schon sehr bitten.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Die Grünen sind so militant!)

Das stimmt nicht. Ich fordere vielmehr die anderen Branchen auf: Machen Sie Ihre Hausaufgaben und treten Sie in Verhandlungen ein! Die Maler und Lackierer haben das getan. Für andere gilt das genauso. Denn es sind tarifliche Regelungen notwendig, damit man das Instrument nutzen kann. Darauf müssen sie vorbereitet sein.

   Ich bin durchaus hoffnungsvoll. Wir probieren das Instrument in zwei Winterperioden - nämlich im Winter 2006/2007 und 2007/2008 - aus. Dann wird im Jahr 2008 für die Periode 2008/2009, also interessanterweise vor der Bundestagswahl, vom Gesetzgeber - es liegt in den Händen des Gesetzgebers, also der Mehrheit dieser Regierungskoalition - zu prüfen sein, ob es für andere Branchen geöffnet werden soll.

   Wenn wir Erfolg haben, dann werden wir das Instrument für andere Branchen öffnen und dann müssen diese Branchen ihre Vorarbeit geleistet haben. Deswegen fordere ich alle, die Interesse haben, auf: Kommt in die Puschen und schafft entsprechende Umlagesysteme und Arbeitszeitkonten! Dann kann man dieses System wunderbar nutzen und es wird allen nutzen, die von saisonalen Beschäftigungsschwankungen betroffen sind.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Ich komme zu einem letzten Gedanken. Es ist wahr: Wir haben etwas Zeit verloren. Wir hätten das Vorhaben früher umsetzen müssen. Dazu waren Verhandlungen notwendig. Ich habe die Hoffnung und bitte darum, dass der Gesetzentwurf im Bundesrat zügig beraten und umgesetzt wird.

   Mein zweiter Wunsch ist, dass wir das Gesetz möglichst unbürokratisch umsetzen. Der Bundesregierung ist es ernst mit dem Thema Bürokratieabbau.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Na ja!)

Das soll auch beim neuen Saisonkurzarbeitergeld gelten. Deswegen sollten wir, statt weitere bürokratische Hürden aufzubauen, für ein unbürokratisches Verfahren sorgen.

(Beifall der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU))

   Ich komme nun zu meinem Anfangsgedanken zurück. Noch ist es Winter, auch am Arbeitsmarkt. Aber - auch die Medien berichten darüber - der Frühling ist bereits zu spüren. Er ist auch am Arbeitsmarkt zu spüren. Ich fordere Sie ausdrücklich auf: Helfen Sie mit, dass der Gesetzentwurf - es gibt schließlich eine breite Zustimmung dazu - mit den Tarifvertragsparteien zügig in die Praxis umgesetzt werden kann! Mein ausdrücklicher Dank gilt Frau Falk, Herrn Dr. Brauksiepe, Klaus Brandner und den Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion, -

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Und wir? Kriegen wir keinen Dank? Undankbar ist das!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Staatssekretär, Sie können nicht alle namentlich aufführen.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:

- dass sie mitgeholfen haben, dass wir diesen Gesetzentwurf heute beschließen können.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Peter Rauen ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

Peter Rauen (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs haben alle im Hause deutlich gemacht, dass es uns ein großes Anliegen ist, ganzjährige Beschäftigung in witterungsabhängigen Branchen zu schaffen. Unser Arbeitsminister, Herr Müntefering, hat gesagt, dass das keine Zwangsveranstaltung für die eine oder andere Branche sein soll, sondern ein Angebot für die Tarifparteien auf beiden Seiten. Ich glaube, wir haben nach einer intensiven Beratung, wie sie im Parlament selten stattfindet, erreicht, dass mit dem Gesetzentwurf diese Vorgabe unseres Arbeitsministers auch erfüllt wird.

   Der Vorwurf, dass die Regelung nur für die Baubranche gilt, geht meiner Meinung nach ins Leere, weil das Gesetz zurzeit nur für diese Branche angewandt werden kann; denn die anderen Tarifparteien haben noch keine Regelungen getroffen, die die Anwendung dieses Gesetzes ermöglichen.

   Wenn jetzt zum Beispiel die Land- und Forstwirtschaft, die Baustoffindustrie, das Maler- und Lackiererhandwerk und das Steinmetz- und Bildhauerhandwerk Überlegungen anstellen, wie sie mit dem Gesetz in ihren Branchen ganzjährige Beschäftigung ermöglichen können, dann kann durch die Evaluierung - also nach zwei Winterperioden - festgestellt werden, ob das Gesetz die gewünschte Wirkung erbracht hat, um es gegebenenfalls auf andere Branchen ausdehnen zu können.

   Frau Pothmer, Sie haben gesagt, das Gesetz sollte auch für Branchen gelten, in denen im Winter Hauptsaison ist und im Sommer saisonbedingt Kurzarbeit erforderlich ist. Das lässt der Gesetzentwurf - mit ganz kleinen Änderungen - zu. Aber es ist wichtig, dass alle erkennen, dass dieses Gesetz seinen Zweck erfüllt.

   Ich will deutlich machen, wie sich die nun geplanten Regelungen betreffend die Förderung ganzjähriger Beschäftigung von den bislang im Baugewerbe geltenden unterscheiden - Ähnliches gibt es, angefangen mit dem Schlechtwettergeld, seit Anfang der 80er-Jahre, wie es Herr Andres soeben geschildert hat -, damit das Gesetz erfolgreich wird und damit sich die Bauarbeiter im Winter nicht mehr arbeitslos melden müssen. Zurzeit ist es so, dass jedes Jahr von Dezember bis März circa 280 000 Bauarbeiter arbeitslos werden, davon etwa 140 000 witterungs- und auftragsbedingt. Nach den bislang geltenden Regelungen müssen die Arbeitnehmer selber 30 Stunden auf ein Arbeitszeitkonto einbringen, bevor sie Winterausfallgeld bekommen. Die Unternehmen haben in die Sozialkasse des Baugewerbes eingezahlt, um die Kosten des Winterausfallgeldes und die Sozialversicherungsbeiträge von der 31. Stunde bis zur 100. Stunde erstattet zu bekommen. Ab der 101. Stunde hat eine Regelung gegriffen, wie wir sie nun in etwa vorhaben, nämlich dass der Unternehmer seinen Mitarbeitern die Ausfallstunden in Höhe des Arbeitslosengeldes bezahlt. Allerdings muss er bislang die Sozialversicherungsbeiträge ab der 101. Stunde aus eigener Tasche zahlen. Das hat dazu geführt, dass sich viele Unternehmer bereits im August bzw. September sorgenvoll gefragt haben, wie sie finanziell über den Winter kommen sollen.

   Für diese Unternehmer ändert sich generell etwas erheblich; denn es gilt demnächst, dass die Arbeitnehmer von Dezember bis März ab der ersten Ausfallstunde Saisonkurzarbeitergeld bekommen, und zwar nicht nur bei schlechtem Wetter, sondern auch bei einer verminderten Auftragslage, die in der Regel mit der schlechten Witterung im Winter einhergeht. Den Unternehmern werden alle Kosten im Zusammenhang mit den Sozialversicherungsbeiträgen durch die Sozialkasse des Baugewerbes erstattet. Sie haben also kein individuelles Risiko mehr zu tragen, wenn sie die Bauarbeiter im Winter weiterbeschäftigen.

   Diese Botschaft ist wichtig: Die Unternehmer können zusammen mit ihren Belegschaften dem Winter sorgenfrei entgegensehen; denn wenn es schlechtes Wetter gibt bzw. die Arbeit ausgeht, dann können die Unternehmer ohne individuelles Risiko auf das Saisonkurzarbeitergeld zurückgreifen. Ich bin sicher, dass das im Gegensatz zu allen bisherigen Regelungen zur Winterbauförderung Wirkung haben wird und dass die Zahl der durch Witterung und Arbeitsausfall bedingten Entlassungen erheblich zurückgehen wird.

   Es dürfen aber keine Fehlanreize entstehen, weil sonst das Gesetz ins Leere geht; das ist ein ganz wichtiger Punkt. In der Anhörung ist darauf hingewiesen worden, dass etwa 70 Prozent der Baufirmen Arbeitszeitkonten führen und dass davon wiederum die große Mehrheit in den letzten Jahren gar kein Winterausfallgeld benötigt hat. Man hat bis zu 150 Stunden vorgearbeitet und ist damit - einschließlich Urlaub - über den Winter gekommen. Das heißt, diese Firmen müssen auch in Zukunft so handeln, weil mit dieser Flexibilisierung ein hohes Maß an Produktivität erreicht worden ist. Das ist ein entscheidender Punkt.

   Nach dem Gesetz zahlen Arbeitnehmer 0,8 Prozent und Arbeitgeber 1,2 Prozent in die Kasse ein. Wer einzahlt, der will irgendwann auch etwas herausbekommen. Die Firmen, die bereits ganzjährige Beschäftigung auf freiwilliger Basis erreicht haben - das sind die meisten -, dürfen wir nicht bestrafen. Es ist daher äußerst wichtig, dass den Bauarbeitern für jede ausgefallene Arbeitsstunde, zu deren Ausgleich sie ihre Arbeitszeitkonten, für die sie im Sommer vorgearbeitet haben, einsetzen, um Winterarbeitslosigkeit zu vermeiden, 2,50 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei gezahlt werden. Das bedeutet, dass ein Bauarbeiter, der 150 Stunden vorgearbeitet hat und sich diese Überstunden im Sommer nicht auszahlen lässt, im Winter mit 375 Euro netto zusätzlich belohnt wird. Dieser Bauarbeiter bekommt des Weiteren ein Mehraufwandswintergeld in Höhe von 1 Euro pro geleistete Arbeitsstunde in der Zeit vom 15. Dezember bis zum letzten Kalendertag des Monats Februar. Dadurch kann er noch einmal - bis maximal 450 Stunden, die man eigentlich nicht erreichen kann - zusätzlich circa 100 bis 250 Euro netto bekommen. Das ist für jemanden, der ein Bruttoeinkommen von 30 000 Euro im Jahr hat und netto 21 000 Euro ausgezahlt bekommt, eine ganze Menge Geld.

   Ich gehe davon aus, dass die Unternehmer, die jetzt flexibilisiert haben, auch in Zukunft bereit sind, zu flexibilisieren, weil es diesen Anreiz gibt, und dass diejenigen, die in die Kasse einbezahlen, ohne dass sie Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen, sich so wie bisher verhalten werden. Anders verhält es sich mit denen, die das nicht über Arbeitszeitkonten organisieren konnten. So lässt zum Beispiel die Region, in der eine Firma beheimatet ist, das nicht immer zu. Ich weiß, wovon ich rede. Mein Betrieb ist in der Eifel. Ob ich früher eine Baustelle in Bitburg oder an der Mosel hatte, machte beim Schlechtwettergeld einen Unterschied von zehn bis 20 Tagen aus. Es gibt also regionale Unterschiede.

   Ich glaube, dass dieses Gesetz im Endergebnis wirklich seinen Zweck erfüllen wird. Wir haben wesentliche Veränderungen vorgenommen. Wir sollten stolz darauf sein, dass wir das gemeinsam geschafft haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich halte es für äußerst wichtig, dass wir in den Gesetzentwurf geschrieben haben, dass derjenige, der ein Arbeitszeitkonto einbringt, um über den Winter zu kommen, erst dann Kurzarbeitergeld bekommt, wenn die Stunden in der Schlechtwetterzeit eingebracht sind. Die Firmen, die keine Vereinbarungen getroffen haben, sind davon nicht berührt. Es liegt aber in der Natur des Unternehmers, dass er produktiv arbeiten will. Wenn er es geschafft hat, zu flexibilisieren, dann wird er das auch beibehalten. Wichtig ist, dass seine Mitarbeiter aufgrund des neuen Gesetzes nicht die Dummen sind und über die 2,50 Euro hinaus 1 Euro zusätzlich pro geleistete Stunde im Winter bekommen. Das ist aus meiner Sicht für den Erfolg des Gesetzes die entscheidende Regelung.

   Ich sage ebenso wie Ralf Brauksiepe: Wenn das, was wir erhoffen, eintritt und wir in zwei Jahren feststellen, dass dieses neue Gesetz kostenneutral ist und es die Lohnzusatzkosten nicht erhöht, dann werden wir als Parlament überhaupt kein Problem damit haben, diese Regelung auf andere Branchen zu übertragen. Lassen Sie uns diese zwei Jahre Erfahrung sammeln! Wir tun alle gut daran; denn nicht immer verhalten sich die Menschen so, wie wir als Politiker das gerne hätten.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): So ist das Leben!)

Umgekehrt ist es übrigens genauso. Auch wir verhalten uns nicht immer so, wie die Menschen es gerne hätten. Das liegt in der Natur der Sache. Nach zwei Jahren haben wir die Erfahrung. Dann, Frau Pothmer, geht der Vorwurf, das sei nur eine Sache für das Baugewerbe, ins Leere. Dort geht es um rund 700 000 Mitarbeiter in Deutschland. Aber in allen saisonabhängigen Branchen sind 2,5 Millionen Menschen beschäftigt. Wenn wir da eine ganzjährige Beschäftigung ermöglichen, dann ist das sinnvoll für alle. Ich finde, der Gesetzentwurf ist gut. Wir sollten ihn mutig vertreten und die Botschaft senden: Leute, ihr könnt mit eurer Belegschaft über den Winter kommen. - Dann werden wir auch weniger Entlassungen im Winter haben.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Bevor der Kollege Kolb das Wort erhält, erteile ich dem Kollegen Küster das Wort zur Geschäftsordnung.

Dr. Uwe Küster (SPD):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir sind in einer Kernzeitdebatte und die Präsenz in dieser Kernzeitdebatte - diesen Vorwurf richte ich besonders an die eigene Fraktion - ist nicht überzeugend. Wir haben uns vor mehreren Jahren darauf verständigt, dass in der Kernzeit wichtige Debatten für die Politik in Deutschland zu führen sind.

(Zuruf von der FDP: Wer ist denn bei Ihnen Geschäftsführer?)

In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass die Präzenz im Plenum bei den Debatten am Donnerstagvormittag alles andere als den Kernzeitdebatten angemessen waren. Um zukünftig mehr Präsenz zu erreichen, beantrage ich namens meiner Fraktion, dass wir die Abstimmung zu dem jetzt debattierten Gesetzentwurf in der dritten Lesung namentlich durchführen. Ich bitte meine Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen dafür um Verständnis. Das bringt durchaus einige Unbequemlichkeiten mit sich, was nicht zu vermeiden ist. Sie haben aber, so glaube ich, durchaus Verständnis dafür, weil wir hier in der Vergangenheit in der Kernzeit vor fast leerem Saal debattiert haben. Das erklärt diesen Antrag.

   Vielen Dank für Ihr Verständnis.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist ja peinlich! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Zuckerbrot entfällt, jetzt gibt es nur noch die Peitsche!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu fällt manchem manches ein. Das kann bei anderer Gelegenheit noch einmal ausgetragen werden. Ich will jetzt nur darauf aufmerksam machen, dass eine namentliche Abstimmung nach § 52 unserer Geschäftsordnung stattfinden muss, wenn eine Fraktion dies beantragt. Ich sage das, damit sich alle darauf einstellen können.

   Herr Kollege Küster, im Übrigen gehe ich davon aus, dass Sie die Schriftführer frühzeitiger als das Präsidium unterrichtet haben, damit sichergestellt ist, dass die namentliche Abstimmung mit einer hinreichend ordentlichen Besetzung der entsprechenden Abstimmungsurnen durchgeführt werden kann.

(Beifall des Abg. Dr. Michael Meister (CDU/CSU))

   Nun hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen - auch ich bin schon einige Zeit Abgeordneter in diesem Parlament -: Herr Küster, ich habe wiederholt erlebt, dass Mitglieder der Bundesregierung herbeizitiert werden; aber dass die Parlamentsabgeordneten herbeizitiert werden, ist wirklich ein Novum

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und zeigt, wie die Verhältnisse in Ihren Reihen anscheinend zu bewerten sind.

   Zu dieser Debatte lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt zusammenfassend sagen, dass es so aussieht, als wenn eine breite Mehrheit diesen Gesetzentwurf in der veränderten - ich füge hinzu: in der verbesserten - Form verabschieden wird. Bei aller Begeisterung über sich selbst, die die große Koalition hier an den Tag gelegt hat: Ich finde, ein Grund zur Selbstzufriedenheit besteht nun wahrlich nicht. Denn das, was wir heute verabschieden, ist nur ein recht kleiner Schritt für die Betroffenen. Herr Kollege Brandner, es werden bei weitem nicht alle in den Genuss dieser neuen Regelung kommen. Wenn am Ende 40 000 bis 50 000 Menschen von dieser neuen Regelung profitieren und wenn ihnen Arbeitslosigkeit erspart bleibt, dann wäre das sicherlich als Erfolg anzusehen.

   Vor diesem Hintergrund finde ich es schon bemerkenswert, Herr Brauksiepe, dass der Kollege Rauen sagte, es seien die intensivsten Verhandlungen gewesen, an die er sich erinnern kann. Wenn Sie sich bei einer vergleichsweise kleinen Maßnahme schon so anstrengen müssen, dann darf man allerdings gespannt sein, wie es bei den wirklich wichtigen Vorhaben dieser Legislaturperiode - beim Tarifvertragsgesetz, beim Kündigungsschutz und bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme - aussehen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Klaus Brandner (SPD): Sie kennen doch die Koalitionsvereinbarung, Herr Kolb!)

   Wir haben gesagt, es solle niemand gegen seinen Willen in diese Regelung einbezogen werden. Diese Forderung hat einen Hintergrund: Wir alle haben Schreiben aus dem Bereich der Trockenbauer, der Baustoffindustrie, des Hotel- und Gaststättengewerbes und des Einzelhandels bekommen. Wir möchten also, dass nur diejenigen, die das wirklich wollen, einbezogen werden. Das ist keine Schikane, sondern hat einen ganz konkreten Hintergrund. Die Messlatte für den Erfolg dieser Neuregelung ist, dass sie mindestens kostenneutral ist.

   Entscheidend für das Erreichen der Kostenneutralität ist die Mitwirkung der Tarifparteien; denn Sie haben darauf verzichtet, in diesem Gesetz festzulegen, dass Arbeitszeitguthaben aufgebaut werden müssen. Ab dem zweiten Winter nach In-Kraft-Treten dieser Regelung wird es sehr spannend sein, zu sehen, ob es tatsächlich noch Arbeitszeitguthaben gibt. Wir befürchten, dass im ersten Winter vorhandene Arbeitszeitguthaben eingebracht werden und dass die Bundesagentur im zweiten Winter sehr viel stärker belastet wird. Das wäre aus unserer Sicht in der Tat problematisch. Wir fordern also die Mitwirkung der Tarifparteien. Das bedeutet im Ergebnis, dass dieses Gesetz nur für diejenigen Branchen gelten sollte, die ihm zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

   Man sollte die Missbrauchsgefahren auch bei der Verkettung - beispielsweise Saisonkurzarbeitergeld im Anschluss an eine viermonatige Tätigkeit und Erwerb der Ansprüche auf Arbeitslosengeld I - nicht ausblenden. Wenn ich an Hartz IV denke, dann fällt mir ein, dass wir in der jüngeren Vergangenheit wirklich haben erleben müssen, dass gut gemeinte Regelungen in der Praxis zu sehr viel höheren Ausgaben geführt haben. Das muss hier vermieden werden.

   Da wir die Evaluierungsklausel im Gesetzentwurf unterbringen konnten und da er auf die Baubranche beschränkt ist, können wir ihm zustimmen. Aber wir werden sehr genau beobachten, wie sich diese Regelung in der Praxis auswirkt.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Andreas Steppuhn für die SPD-Fraktion.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Jetzt heißt es filibustern, Herr Kollege!)

Andreas Steppuhn (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Herrn Küster, als er die namentliche Abstimmung beantragt hat, so verstanden, dass er die Bedeutung dieses Gesetzentwurfs, der heute Vormittag in der Kernzeit debattiert wird, zum Ausdruck bringen möchte. So sollten wir diesen Antrag verstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe nichts dagegen, dass Herr Brauksiepe für seine Fraktion hier hervorhebt, dass in der CDU manchmal die besseren Sozialdemokraten wären. Herr Brauksiepe, zur Klarheit gehört aber sicherlich, auch deutlich zu machen, dass es die CDU/CSU-Fraktion am Anfang der Beratung des Gesetzentwurfs gewesen ist, die die Frage der Mitbestimmung von Betriebsräten beim Saisonkurzarbeitergeld sehr wohl thematisiert hat.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)

Von daher kann man schon sagen, dass die Mitbestimmung in dieser Frage in den Ausschüssen eine Rolle gespielt hat.

   Ziel des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung - dieses Zukunftsmodells - ist es, einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung der Winterarbeitslosigkeit und zur Verstetigung der Beschäftigungsverhältnisse im Baugewerbe zu leisten. Der vorliegende Gesetzentwurf ist in einer so genannten Triparität zwischen dem zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes erarbeitet worden und wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Winterarbeitslosigkeit zukünftig vermieden werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes haben sich bei ihrer Tarifpolitik im Ergebnis auf ein umlagefinanziertes System verständigt, in dem sich sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber finanziell engagieren.

   Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir davon ausgehen, dass die Winterarbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft bereits im kommenden Winter spürbar gesenkt werden kann. Dies kann nur in unser aller Interesse sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die zukünftige Förderung wird in das System des Kurzarbeitergeldes integriert. Das bedeutet, das neue Saisonkurzarbeitergeld wird nunmehr auch bei einem saisonbedingten Arbeitsausfall gewährt. Wichtig ist auch, zu betonen, dass durch den Fortbestand der Beschäftigungsverhältnisse die Arbeitsagenturen durch entfallende Arbeitslosmeldungen und damit entfallende Bearbeitung von Leistungsanträgen in erheblichem Maße entlastet werden.

   Die Beratung im federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales, aber auch die Anhörung haben dazu geführt, dass die CDU/CSU-SPD-Koalition gemeinsam die Ihnen vorliegenden Änderungen eingebracht hat. Ein nicht unwesentlicher Punkt ist hierbei die Ausweitung auf andere Branchen, die zunächst ausgeklammert wurde. Vorerst wollen wir aber die Entwicklung nach der Neuregelung im Baugewerbe, verbunden mit einem Evaluierungsprozess, abwarten. Das heißt aber nicht - das ist schon deutlich gemacht worden -, dass wir andere Branchen ausschließen wollen; nach wie vor wird von uns gewünscht, dass auch andere Branchen zukünftig von einem derartigen Saisonkurzarbeitergeld profitieren.

   Ich denke hierbei insbesondere an die Branchen, die in ihrem Bereich das Problem der schlechten Auftragslage oder witterungsbedingter Ausfälle bislang durch eine so genannte eintägige Kündigungsfrist, wie das zum Beispiel im Maler- und Lackiererhandwerk der Fall ist, regeln. Da löst man schon heute die Kostenfrage im Prinzip zulasten der Bundesagentur für Arbeit, indem dieses Risiko auf die BA verlagert wird.

   Daher gilt hier das Motto „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, sondern im Gegenteil: Die Erfahrungen im Baugewerbe werden uns ermöglichen, dieses Modell zukünftig passgenau auf andere Branchen zu übertragen.

   Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gab es auch Vorschläge für Inhalte, die im Tarifvertrag für das Baugewerbe eindeutig geregelt sind - das möchte ich an dieser Stelle betonen -, und zwar mit dem Ziel, Kostenbelastungen zuungunsten der Beschäftigten zu verschieben. Ebenso wurde vorgeschlagen, Vorausleistungen der Arbeitnehmer im Rahmen der Arbeitszeitflexibilisierung, sprich: der Arbeitszeitkonten, gesetzlich zu verankern. Dazu sage ich an dieser Stelle deutlich: Die Vorausleistungen der Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeber sind bereits per Tarifvertrag im Rahmen eines Umlageverfahrens über die Sozialkassen des Baugewerbes geregelt, sodass sich das Gesetz nunmehr darauf beschränkt, zu beschreiben, wofür angesparte Stunden verwandt werden müssen. Alles andere hätte auch einen Eingriff in die Tarifautonomie bedeutet.

Die CDU/CSU-SPD-Koalition setzt mit der Verabschiedung des heute vorliegenden Gesetzentwurfs ein deutliches Signal für eine Verstetigung der Beschäftigungsverhältnisse im Baugewerbe, auf das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft lange gewartet haben. Gerade wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion erwarten, dass Winterarbeitslosigkeit ab sofort vermieden werden kann, wie es das erklärte Ziel dieses Gesetzentwurfs ist. Ich danke allen, die sich für dieses Gesetz engagiert haben; das ist eine gute Sache.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/971, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit der Zustimmung aller übrigen Fraktionen in zweiter Beratung angenommen.

   Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir vielleicht einen Hinweis zu geben, wenn diese Besetzung überall erfolgt ist. - Das scheint jetzt der Fall zu sein. Dann eröffne ich die Abstimmung.

   Ich bitte um Nachsicht, dass wir für die Abstimmung ein bisschen mehr Zeit einräumen müssen. Denn auch diejenigen Abgeordneten, die jetzt im Foyer hektische Laufbewegungen vollführen, sollen noch rechtzeitig die Urnen erreichen.

   Bevor ich die Abstimmung schließe, würde ich mich gerne wegen der für manche nicht absehbaren Abstimmungslage bei den Parlamentarischen Geschäftsführern vergewissern, ob irgendjemand Informationen darüber hat, dass noch Kollegen unterwegs sind. 

(Zurufe: Ja, es sind noch welche unterwegs!)

- Auch ich sehe dahinten noch jemanden laufen.

   Ich frage noch einmal, ob noch Kolleginnen oder Kollegen im Saal sind, die ihre Stimmkarte nicht abgegeben haben, bzw. ob noch jemand von Kollegen weiß, die sich auf dem Wege befinden und denen wir die Chance geben sollten, sich an der Abstimmung zu beteiligen. - Ich erhalte keine entsprechenden Hinweise. Dann schließe ich hiermit die Abstimmung.

   Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung werden wir Ihnen wie immer später bekannt geben.

   Für den nächsten Tagesordnungspunkt kann ich verlässlich zusagen, dass er nicht mit einer namentlichen Abstimmung beginnt. Also mögen bitte all diejenigen, die sich nun wieder in anderen Gremien zusammenfinden müssen, den Saal räumen, damit wir die für die anschließende Debatte notwendige Konzentration haben.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wo ist denn der Finanzminister? Die Regierungsbank ist mächtig besetzt!)

Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte teilnehmen wollen, bitten, sich auf den hinreichend vorhandenen Plätzen niederzulassen!

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): So, jetzt zitieren wir die Regierung!)

   Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 4 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Volker Wissing, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der direkten Steuern

- Drucksache 16/679 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen werden. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Hermann Otto Solms.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP legt Ihnen, dem Deutschen Bundestag, heute ein Konzept für ein völlig neu formuliertes Steuerrecht vor. Es ist das erste Gesamtkonzept zur Reform der direkten Steuern, also der Steuern auf Einkommen und Gewinn, das bereits als Gesetzestext vorliegt und damit direkt in die parlamentarischen Beratungen Eingang finden kann.

   In der gestrigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ konnten Sie in einer Analyse des Instituts Allensbach lesen, dass zwei Drittel der Bürger in Deutschland der Meinung seien, das deutsche Steuerrecht sei ungerecht.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Recht haben sie!)

Das sind wahrscheinlich die zwei Drittel, die Steuern zahlen; das restliche Drittel wird davon nicht berührt sein. Das heißt, nahezu alle Steuerzahler in Deutschland halten das Steuerrecht für ungerecht. Es geht für den Deutschen Bundestag, den Gesetzgeber, darum, durch ein neues einfaches, gerechtes Steuerrecht ohne Ausnahmen das Vertrauen der Bürger in einen fairen Steuerstaat zurückzugewinnen.

(Beifall bei der FDP)

   Das ist das Ansinnen der FDP. Wir sind überzeugt davon, dass man das mit solch einem ehrgeizigen Vorhaben besser leisten kann als Sie mit Ihren vielfältigen Steuererhöhungen: 3 Prozent Mehrwertsteuererhöhung, 3 Prozent Versicherungsteuererhöhung, 3 Prozent Einkommensteuererhöhung. Damit zerstören Sie das Vertrauen der Bürger weiter, dämmen die Nachfrage der Bürger ein und schaden der Konjunktur und der Beschäftigung.

(Beifall bei der FDP)

   Wir sind der Überzeugung, dass das deutsche Steuerrecht, so wie es heute vorliegt, gar nicht mehr reformierbar ist. Man muss einen neuen Ansatz finden und sich dabei an die Vorgaben unserer freiheitlichen Verfassung halten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Nur um Ihnen die Dimension der drastischen Vereinfachung aufzuzeigen, die wir durchführen wollen, möchte ich daran erinnern, dass der heutige einschlägige Gesetzestext in der beckschen Loseblattsammlung etwa 475 Seiten umfasst. Unser Alternativentwurf konzentriert das ganze Steuerrecht auf 33 Seiten. Schon daran wird deutlich, wie dramatisch diese Vereinfachung ist.

(Beifall bei der FDP)

   Wichtig ist aber, dass wir die Grenzen und den Rahmen einhalten, die unsere freiheitliche Verfassung vorgibt und die das deutsche Steuerrecht schon lange hinter sich gelassen hat. Nach meiner Überzeugung ist das deutsche Steuerrecht allein schon deshalb verfassungswidrig, weil das, was im Namen des Souveräns, des deutschen Volkes, erlassen worden ist, für die Angehörigen des deutschen Volkes völlig unverständlich ist.

(Beifall bei der FDP)

Wie können wir von den Bürgern verlangen, ein Steuerrecht, das darüber hinaus auch noch strafsanktioniert ist, einzuhalten, wenn sie gar nicht in der Lage sind, das Steuerrecht insgesamt zu verstehen und richtig anzuwenden? Weder die Steuerberater noch die Steuerverwaltung beherrschen das Steuerrecht. Man weiß nicht mehr, wie man das Steuerrecht anwenden soll. Deswegen brauchen wir hier mehr Klarheit.

Wir müssen uns daher an die Vorschriften des Grundgesetzes erinnern. Art. 20 Abs. 2, Demokratieprinzip: Die Bürger haben einen Anspruch darauf, die Gesetze zu verstehen, um sie vollziehen zu können. Art. 3, Gleichheitsgrundsatz: Gleiches soll gleich behandelt werden, Ungleiches ungleich; das wird heute vielfach durch die zahlreichen Ausnahmen im Steuerrecht verletzt. Art. 14, Eigentumsgarantie, schützt vor übermäßigem Steuerzugriff und vor einer Doppelbelastung durch Steuern. Art. 12, Berufsfreiheit, sichert den Wettbewerb und die Freiheit des Gewerbes vor dem Zugriff des Staates. Art. 6, Schutz der Ehe und Familie, stellt sicher, dass Ehe und Familie im Steuerrecht adäquat und leistungskonform berücksichtigt werden, was ebenfalls heute nicht der Fall ist. Deswegen schlagen wir ein neues Steuerrecht vor, das sich strikt an diesen Rahmen hält.

   Bevor ich etwas zum Einkommensteuerrecht sage, sei Folgendes am Rande bemerkt: Ich halte den Plan der großen Koalition, das Unternehmensteuerrecht zu reformieren, für richtig. Man sollte sich aber nicht nur auf das Unternehmensteuerrecht konzentrieren, sondern die Reform in Verbindung mit dem Einkommensteuerrecht sehen, damit ein harmonisches Ganzes daraus wird.

(Beifall bei der FDP)

   Wir haben das neue Einkommensteuerrecht in einfacher deutscher Sprache formuliert. Schauen Sie in unseren Gesetzentwurf hinein, dann werden Sie feststellen: Auch Sie können es verstehen. Das ist ja der Maßstab für die Bürger unseres Landes.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir wollen einen einfachen, niedrigen Tarif von 15, 25 und 35 Prozent. Das haben wir hier schon öfter diskutiert. Der Stufentarif hat den Vorteil, dass jeder Bürger seine Steuerbelastung ohne einen Computer und ohne Tabellen selbst ausrechnen kann. Wir wollen die Eigeninitiative und Eigenvorsorge wieder möglich machen und deswegen eine Steuerentlastung. Wenn die Menschen wieder mehr Eigenvorsorge leisten sollen, müssen wir ihnen den wirtschaftlichen Freiraum dafür geben. Deswegen müssen sie bei der Einkommensteuer entlastet werden.

(Beifall bei der FDP)

   Die Kinder erhalten den gleichen Grundfreibetrag wie die Erwachsenen und wir räumen einen großzügigen Freibetrag von 12 000 Euro pro Jahr für Kinderbetreuungskosten durch sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im privaten Haushalt ein. Das ist großzügiger als das, was die Koalition jetzt erwägt.

(Beifall bei der FDP)

   Für Kapitalerträge schlagen wir eine Ausnahme vor, nämlich eine Abgeltungsteuer in Höhe von 25 Prozent, die an der Quelle erhoben wird.

(Beifall bei der FDP)

Das ist das einfachste Verfahren. Eine Steuerverkürzung ist nicht mehr möglich, weil der Bürger dazu gar keine Gelegenheit mehr hat. Auf Kontenabfragen und Kontrollmitteilungen auf europäischer Ebene kann vollständig verzichtet werden, weil bei diesem einfachen Verfahren nur der Nettoertrag ausgeschüttet wird. Die Steuer wird vorher an der Quelle abgeführt. Das würde eine dramatische Bürokratieentlastung bedeuten.

   Ergebnis dieser Steuerreform: Die Steuererklärung kann auf einer DIN-A4-Seite abgefasst werden. Wir haben das ausprobiert. Wenn Sie Ihre Einkünfte kennen, können Sie die Steuererklärung in einer halben Stunde ausfüllen. Man kann sie auch über das Internet an das Finanzamt schicken. Das ist ein absolut einfaches Verfahren. Es gibt keine langen Formulare mehr. Das ist das, was der Bürger erwartet.

(Beifall bei der FDP - Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Doppelter Bierdeckel, sozusagen ein Herrengedeck-Bierdeckel!)

   Zweiter Teil: Unternehmensteuerreform. Auch hier geht es darum, die Grundprinzipien einer wettbewerbskonformen Unternehmensbesteuerung zu erreichen. Wir müssen im internationalen Wettbewerb wieder wettbewerbsfähig werden. Dafür müssen wir uns nicht an Irland oder Estland orientieren, aber sollten doch mit Österreich oder den skandinavischen Ländern mithalten können. Das erreichen wir mit einer endgültigen Belastung von 28 oder 29 Prozent.

   Darüber hinaus haben wir bei der Unternehmensteuerreform besonderen Wert auf die Neutralität des Steuerrechts gelegt. Es muss rechtsformneutral, entscheidungsneutral und finanzierungsneutral sein. Das ist wichtig für die Organisation der Unternehmen, damit die wirtschaftlichen Entscheidungen losgelöst vom Steuerrecht getroffen werden können. Das alles muss auf der Basis des gesamteuropäischen Marktes geschehen. Das Steuerrecht muss europakonform sein. Wir dürfen uns nicht laufend vom Europäischen Gerichtshof jagen lassen.

   Zu einer rechtsformneutralen Besteuerung gehört allerdings zwingend die Abschaffung der Gewerbesteuer.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Richtig!)

Deswegen brauchen Sie eine für die Gemeinden verträgliche Ersatzfinanzierung. Wir haben ein Zweisäulenmodell vorgeschlagen: auf der einen Seite eine deutliche Erhöhung des Anteils der Gemeinden an der Umsatzsteuer und auf der anderen Seite einen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer in gleicher Höhe mit eigenem Hebesatzrecht. Es gibt andere Vorschläge wie beispielsweise von der Stiftung Marktwirtschaft. Man kann auch diese Vorschläge miteinander kombinieren. Jedenfalls wird es nicht ohne eine Abschaffung der Gewerbesteuer gehen. Es gibt viele Möglichkeiten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Dies alles muss mit einem europarechtsfähigen Konzernsteuerrecht und einem großzügigen Umwandlungssteuerrecht kombiniert werden, damit das Steuerrecht wieder ein positiver Wettbewerbsfaktor im Kampf um die Arbeitsplätze in Europa wird.

   Eine abschließende Bemerkung: Machen Sie es sich bitte nicht so leicht, dass Sie mit Ihrer Kritik nur beim Steuerausfall ansetzen! Natürlich ist mit unserem Vorschlag ein deutlicher Steuerausfall, das heißt, eine Steuererleichterung für die Bürger verbunden. Wenn Ihnen das nicht passt, können Sie den Tarif ändern. Dadurch können Sie das neutralisieren. Die Systematik des Steuerrechts ist unser Kernanliegen: ein einfaches, in sich stimmiges, geschlossenes System, bei dem die Bürger den Eindruck gewinnen, sie werden gerecht behandelt - ihr Nachbar kann nicht irgendwelche Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen, die sie nicht in Anspruch nehmen können -, und das für die Unternehmen, insbesondere für die mittelständigen Unternehmen, europaweit und global faire Wettbewerbschancen schafft.

   Wenn uns das gelingen würde, würde vom Steuerrecht jedenfalls kein Wettbewerbsnachteil für Deutschland mehr ausgehen.

   Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Es kommt nicht häufig vor, dass die Dauer des Beifalls beinahe die der Redezeit erreicht.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Uwe Küster (SPD))

   Ich möchte das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung auf Drucksache 16/429 bekannt geben: Abgegebene Stimmen 505. Mit Ja haben gestimmt 463, mit Nein hat niemand gestimmt.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Dann war es ja wichtig, dass wir namentlich abgestimmt haben!)

Enthalten haben sich 42 Kolleginnen und Kollegen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.

(Zuruf von der FDP: Rechnung an Herrn Küster!)

   Wir fahren in der Debatte fort. Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Solms, ich stimme Ihnen zu: Das deutsche Steuerrecht ist zu kompliziert. Es ist undurchschaubar. Selbst die Fachleute haben damit ihre Probleme.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sehr richtig!)

Ich stimme auch darin zu, dass das gegenwärtige Steuerrecht nicht weiter verändert werden sollte. Wir brauchen grundlegende Reformen. Auch darin stimmen wir überein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Wir alle - auch Sie - müssen nur akzeptieren, dass alle Regierungen ihren Beitrag geleistet haben, bis es zu diesem komplizierten Steuergesetz gekommen ist. Sie waren in unterschiedlichen Koalitionen mit von der Partie.

(Bernd Scheelen (SPD): Den größten Beitrag hat die FDP geleistet!)

Auch wir haben unseren Beitrag geleistet.

   Ich will noch etwas Positives sagen: Ich finde es gut und bewundernswert, dass eine kleine Fraktion

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Mittelgroße!)

- Herr Kollege Westerwelle, von mir aus: eine mittelgroße -

(Dr. Uwe Küster (SPD): Wenn Sie das brauchen!)

einen ausformulierten Gesetzentwurf vorlegt. Ganz neu ist er nicht. Wir haben schon darüber diskutiert. Ich finde das aber prima.

(Beifall bei der FDP)

   Auch im nächsten Teil kann ich noch konstruktiv bleiben; denn Ihr Gesetzentwurf enthält manche Punkte, die unsere Zustimmung finden. Auch wir halten es für richtig, die Steuersätze zu reduzieren und die Ausnahmen zu beseitigen, um so die Bemessungsgrundlage zu erweitern. Allerdings - das wissen Sie - hat die große Koalition, was die Abschaffung von Ausnahmetatbeständen und den Subventionsabbau angeht, durch vier Gesetze schon ziemliche Brocken bewegt. Durch diese Gesetze - drei haben wir im Dezember verabschiedet, eines werden wir morgen verabschieden - haben wir uns finanziellen Spielraum geschaffen: zum einen um die Staatsfinanzen zu sanieren und zum anderen um Beschäftigung und Wachstum fördern zu können.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber das Steuerrecht haben Sie damit nicht vereinfacht!)

   Was Ihre These zur Gewerbesteuer angeht, so will ich sagen: Ich halte es nicht für gut, von ihrer Abschaffung zu sprechen; das erweckt bei den Kommunen einen falschen Eindruck. Aber es ist richtig, dass die Gewerbesteuer nicht mehr ins System passt, und es ist auch richtig, dass eine grundlegende Unternehmensteuerreform nur möglich ist, wenn wir den Kommunen einen Ersatz für die Gewerbesteuer geben.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Richtig!)

Wir bemühen uns - das ist ganz wichtig; so steht es auch im Koalitionsvertrag -, dies im engen Einvernehmen mit den Kommunen zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Aber, Herr Kollege Solms, es gibt zwei kritische Punkte - mindestens zwei; ich will mich auf zwei konzentrieren -, die jeder für sich ausreichen würde, um den Gesetzentwurf abzulehnen; auch wenn dies noch nicht Thema der ersten Lesung ist. Sie haben in nur zwei Sätzen von Geld gesprochen. Das hätte ich auch, wenn ich einen solchen Gesetzentwurf vorlegen würde. Es gibt keine umfassenden Berechnungen dazu, was Ihr Gesetz kosten würde. Der Hinweis „Dann ändert doch die Steuersätze!“ ist zu kurz gefasst. Ich gehe davon aus, dass Ihr Gesetzentwurf eher Steuerausfälle in der Größenordnung von 30 Milliarden Euro als von 25 Milliarden Euro zur Folge hätte.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im ersten Jahr auf alle Fälle!)

   Wenn wir heute eine positive Tendenz zu Ihrem Gesetzentwurf zeigen würden - ich sage das jetzt etwas polemisch -, dann würde die EU sofort zuschlagen. Denn wenn dieses Gesetz am 1. Januar 2007 in Kraft treten würde, hätten wir keine Chance, die EU-Kriterien zu erfüllen und dem Grundgesetz gerecht zu werden. Schon aus diesen Gründen ist es nicht vertretbar, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.

   Ich sage sehr deutlich: Wir als große Koalition kämpfen um das Vertrauen der Bevölkerung. Wir sind dabei schon ein erhebliches Stück weitergekommen. Dieser Gesetzentwurf und das, was morgen in den Zeitungen stehen wird, werden dazu führen, dass wieder viele Hoffnungen entstehen. Niemand kann diese Hoffnungen erfüllen; denn niemand kann sie bezahlen. Dies ist ein entscheidender Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Herr Kollege Solms, mein zweiter Kritikpunkt betrifft das System als solches. Auch wir wollen, dass in Zukunft - so steht es im Koalitionsvertrag - Unternehmensgewinne einheitlich besteuert werden, egal ob sie bei Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften entstehen. Schon die dazu vorgelegten Modelle der Stiftung Marktwirtschaft und des Sachverständigenrates zeigen, wie schwierig es ist, dieses Problem zu lösen.

   Ich sage vorweg und begründe es gleich in ein paar Sätzen: Ihr Vorschlag ist keine vertretbare Lösung. Sie wollen im Einkommensteuerrecht drei Stufen - 15, 25 und 35 Prozent - schaffen. Das ist prima, aber nicht bezahlbar. Jetzt haben Sie erkannt, dass 35 Prozent für Unternehmergewinne im internationalen Vergleich natürlich zu hoch sind. Wir liegen, wie Sie wissen, heute bei 39 Prozent und müssen uns in Richtung von 30 Prozent bewegen. Deshalb sagen Sie: In den Firmen soll das anders sein. Dort soll die dritte Stufe nicht greifen und 25 Prozent sollen das Maximum sein. 25 Prozent sind im internationalen Wettbewerb sicher hervorragend. Aber wir werden uns 25 Prozent nicht leisten können. Jetzt schauen Sie sich einmal die Praxis an: Ihr Vorschlag würde dazu führen - Sie wissen, wie gut Steuerberater Umgehungswege finden -, dass für den selbstständigen Rechtsanwalt, der 250 000 Euro pro Jahr verdient, ein Steuersatz von 25 Prozent gilt, während sein angestellter Mitarbeiter, der 200 000 Euro verdient, deutlich mehr Steuern zahlt. Dies ist nicht praktizierbar.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt)

   Ich vermute, dass das Verfassungsgericht hier eingreifen würde. Sie können sicher sein, dass eine solche Besteuerung schrecklich oft zu Unternehmensgewinnen führen würde, die mit maximal 25 Prozent besteuert werden, und nur ganz selten Gewinne über die Einkommensteuer höher besteuert würden. Diese von Ihnen vorgeschlagene Lösung ist nicht sachgerecht. Ich befinde mich mit meiner Kritik in der guten Gesellschaft fast aller Fachleute. Wir hatten gerade gestern ein Gespräch mit den Vertretern des Sachverständigenrats und der Stiftung Marktwirtschaft. Beide Seiten haben deutlich gesagt: Dieser Ansatz der FDP ist nicht realistisch und nicht vernünftig. Das sollte man der deutschen Öffentlichkeit in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Nun stimme ich Ihnen wieder einmal zu, Herr Kollege Solms: Sie sagen, im Grundsatz müsse man nicht nur, wie wir das im Koalitionsvertrag geschrieben haben, die Unternehmensbesteuerung grundlegend verändern, sondern im gleichen Atemzug auch die Einkommensteuer.

   Aber ich sage: Wir als große Koalition wollen um Vertrauen werben. Dabei sind wir bereits ein Stück vorangekommen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag nur das versprochen, was wir uns für die nächsten vier Jahre auch zutrauen. Wir wollen uns nicht übernehmen.

(Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Dann trauen Sie sich ja gar nichts zu!)

- Herr Kollege, wenn wir uns die Unternehmensbesteuerung und die Einkommensbesteuerung ansehen, dann werden Sie mir Recht geben, wenn ich sage: Der Reformbedarf ist bei der Unternehmensbesteuerung deutlich dringender; das hat mit dem internationalen Wettbewerb zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Nicht umsonst müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass auch unter steuerlichen Gesichtspunkten laufend Arbeitsplätze ins Ausland verlagert und immer mehr Gewinne nicht in Deutschland versteuert werden. Ich erinnere daran, dass dieses Thema schon im Rahmen des Jobgipfels im März vergangenen Jahres isoliert unter dem Aspekt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit angegangen werden sollte. Damals wollte man die Körperschaftsteuer von 25 Prozent auf 19 Prozent senken. Aufgrund der vorgezogenen Neuwahl konnte dieses Vorhaben nicht mehr umgesetzt werden. Umso dringender ist jetzt der Handlungsbedarf in diesem Bereich.

   An den beiden Modellen, die nun vorgelegt worden sind, wird deutlich: Dies ist eine komplizierte Materie. Wir wollen nicht denselben Fehler machen, den wir bereits in den letzten Jahren zum Teil gemeinsam begangen haben, indem wir zunächst einen Schnellschuss vorgelegt und dann ein erstes und später ein zweites Veränderungsgesetz auf den Weg gebracht haben.

   Wir haben, was unser Vorgehen beim Thema Unternehmensbesteuerung betrifft, einen klaren Zeitplan: Noch vor der diesjährigen Sommerpause werden Regierung und Koalition die Eckpunkte miteinander abstimmen. Wir erwarten, dass im vierten Quartal dieses Jahres ein Referentenentwurf vorgelegt wird, mit dem sich dann alle Interessierten ausführlich auseinander setzen können. In knapp einem Jahr - ich vermute: im Februar kommenden Jahres - werden wir hier im Bundestag die erste Lesung des von uns vorgelegten Gesetzentwurfes durchführen. Dann haben wir Zeit, mit den Experten zu sprechen. Dazu werden wir umfangreiche Anhörungsverfahren durchführen. Unser Ziel ist, dieses Gesetz unmittelbar vor der Sommerpause des Parlaments im kommenden Jahr zu verabschieden, damit sich sowohl die Wirtschaft als auch - das möchte ich betonen - die Finanzverwaltungen ein halbes Jahr lang auf dieses neue Gesetz, das am 1. Januar 2008 in Kraft treten wird, vorbereiten können.

   Ich komme noch einmal auf das Stichwort Vertrauen zu sprechen. Wir wollen keine Schnellschüsse, sondern eine solide Gesetzesarbeit.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Ja! So ist es richtig!)

Vielleicht gelingt es uns ja, gemeinsam Gesetze zu machen, die viele Jahre lang Bestand haben. Denn Sie haben völlig Recht: Zwei Drittel der Bevölkerung empfinden unser jetziges Steuerrecht insbesondere deshalb als ungerecht, weil es so schwer zu verstehen ist. Ich denke, die Koalition ist auf dem richtigen Weg. Wir werden zunächst eine neue, solide Unternehmensteuerreform vorlegen und uns zu einem späteren Zeitpunkt auch dem Thema Einkommensteuer widmen. Aber ich sage sehr deutlich: Es ist besser, kleine und mittelfristige Schritte anzukündigen und durchzuführen, als große Schritte anzukündigen, die niemand verwirklichen kann.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll, Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es um den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der direkten Steuern, der von der FDP vorgelegt wurde. Dabei handelt es sich um eines der Modelle, die sich gegenwärtig auf dem Markt befinden. Alle Modelle haben eines gemeinsam: Durch sie werden Großunternehmen und gut verdienende, vermögende Bürger entlastet.

   Herr Solms und Herr Westerwelle, die FDP zeichnet sich dadurch aus - das muss man Ihnen zugute halten -, dass sie relativ offen ist. Sie sagen: Ja, wir wollen auf Einnahmen in Höhe von 17 bis 19 Milliarden Euro verzichten. Nebenbei bemerkt füge ich hinzu: Ihr Gesetzentwurf enthält kein Finanztableau; bei dem von mir genannten Betrag handelt es sich also nur um eine grobe Schätzung, die locker nach oben überboten werden kann.

   Auf Seite 22 Ihres Gesetzentwurfes kann man nachlesen, wie sich der Rahmen für ein neues Steuerrecht aus Ihrer Sicht darstellt:

Fünftens: Eine moderne und wachstumsorientierte Steuerpolitik ist zwingend mit einer soliden und nachhaltig auf Stabilität ausgerichteten Haushaltspolitik zu verbinden. Dabei muss gelten: Die Ausgaben richten sich nach den Einnahmen - nicht umgekehrt.

   Das ist Klartext: Erst wollen Sie auf 17 bis 19 Milliarden Euro verzichten und dann wird es wieder heißen, wir müssen sparen: an den Sozialleistungen, bei der Rente. Das ist locker-flockig die Fortsetzung des neoliberalen Kurses, den wir in den letzten Jahren erleben mussten und befindet sich voll in Übereinstimmung mit dem, was die Regierungskoalition uns anbietet: Wie im Jahreswirtschaftsbericht nachzulesen ist, erwarten Sie für dieses Jahr eine Stagnation der Einkommen und Renten, der Zuwächse von etwa 7,5 Prozent für Selbstständige und Bezieher von Vermögenseinkünften entgegenstehen. Das ist die Realität, in der wir leben. Diese neoliberale Politik werden wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Das ist keine Überraschung!)

- Es ist keine Überraschung, aber es ist gut, dass wir die Möglichkeit haben, es Ihnen von diesem Pult aus zu sagen, und Sie werden es sich weiter anhören müssen.

(Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Wir hören es ja an!)

   Im Gesetzentwurf der FDP heißt es, Sie wollen einen Stufentarif mit Steuersätzen von 15, 25 und 35 Prozent. Das bedeutete eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes, eine Fortsetzung der Politik der letzten Jahre von Rot-Grün. Dieser Spitzensteuersatz soll ferner bereits bei einem Einkommen von 40 000 Euro einsetzen. Schon die Bezieher mittlerer Einkommen müssten also zur Finanzierung des Gemeinwesens anteilig so viel beitragen wie die Millionäre, die sich aus der Finanzierung desselben damit ein Stück weiter zurückziehen könnten. Der vorgesehene Wegfall der Steuerfreiheit der Feiertags- und Nachtzuschläge würde insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem geringen Einkommen treffen. Die Entfernungspauschale soll gestrichen werden, die Werbungskostenpauschale auch. Bezieher niedriger Einkommen würden dadurch massiv schlechter gestellt.

   Ich sagte es schon: Sie sind ganz offen. Es gibt den berühmten Solms-Rechner, an dem jeder nachprüfen kann, was die Vorschläge für ihn konkret heißen. Bei einem Einkommen von 25 000 Euro - Einzelveranlagung, sprich kein Kind, kein Soli-Zuschlag; ausschließlich die Werbungskosten angesetzt - ergäbe sich gegenüber der heutigen Steuerbelastung von knapp 4 000 Euro eine von nur noch 2 500 Euro, somit eine Entlastung von gerundet 1 300 Euro; das wären 5 Prozent. Bei einem Einkommen von 150 000 Euro sieht die Entlastung schon besser aus: 14 400 Euro; das wären ganze 9 Prozent.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), an die FDP gewandt: Sie macht auch noch Werbung für euren Rechner!)

Das sind die Zahlen, das ist die Politik der FDP: Sie wollen fortfahren, niedrige Einkommen prozentual höher zu belasten. Das wird zu einer weiteren Schwächung der Binnennachfrage und des Gemeinwesens führen - eine Politik, die wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich sage hier nochmals: Haben Sie endlich den Mut, etwas gegen die Massenarbeitslosigkeit zu tun, gegen Kinderarmut, gegen die soziale Auslese, die heute von Geburt an geschieht. Das wird auch von außen bestätigt: Alle internationalen Bildungsuntersuchungen zeigen, dass in fast keinem anderen Land in Europa so wie in Deutschland die soziale Herkunft über die Zukunftsaussichten der Kinder entscheidet - und dann wundern Sie sich, dass die Leute keine Kinder bekommen! Ja, warum denn wohl?!

   Stärkung des Gemeinwesens, das heißt für uns insbesondere, dass Gesundheit und Bildung nicht weiter zu einer Ware werden dürfen. Über die Besteuerung kann die Politik dagegenhalten: Wir brauchen eine Reform der Einkommensteuer zur Stärkung der Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen. Menschen mit großen Einkommen und großen Vermögen müssen zur Finanzierung des Gemeinwesens stärker herangezogen werden. Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie sich für eine Streichung der Vermögensteuer aussprechen, fordern wir die Wiedererhebung einer reformierten Vermögensteuer. Dadurch könnten wir 15 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen.

(Beifall bei der LINKEN - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das glauben Sie doch selber nicht!)

- Doch, das glauben wir und es ist nachgerechnet; darüber können wir uns einmal unterhalten.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Reine Theorie! Theorie und Praxis!)

   Auch wir fordern eine Unternehmensteuerreform. Aber für diese muss ebenfalls gelten: Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - und nicht, wie bei Ihnen, dass es letztendlich davon abhängt, wie viele Möglichkeiten jemand hat, ganz legal Steuern zu sparen.

Sie von der FDP wollen die Verlustverrechnung für internationale Konzerne sogar noch ausweiten, indem Sie die Organschaft abschaffen und die Gruppenbesteuerung ausweiten wollen. Das hieße ein Fortschreiten der neoliberalen Politik, wenn Ihr Gesetzentwurf umgesetzt würde.

   Das ist mit uns nicht zu machen. Unser Konzept ist ein anderes. Wir sagen: Sozial gerechte Steuerpolitik ist notwendig. Ein solches Konzept ist auch auf dem Markt. Damit werden Sie sich in Zukunft noch stärker auseinander setzen können und müssen.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Frechen, SPD-Fraktion.

Gabriele Frechen (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der FDP. Diesen kennen wir noch aus dem vergangenen Jahr. Er war schon Gegenstand der Beratungen.

(Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Er ist geändert!)

- Teilweise. Mit dem Teil zur Einkommensteuer haben sich, bis auf wenige Ausnahmen, schon die Sachverständigen beschäftigt.

(Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Die Unternehmensteuer ist dazugekommen!)

Der Gesetzentwurf wurde aber zurückgenommen, weil der Teil zur Unternehmensteuer fehlte. Um ihn ist der Entwurf nun ergänzt worden.

   Ich finde, es verdient Respekt, dass Sie uns einen ausformulierten Gesetzentwurf vorgelegt haben. Der Urheber hat sich viel Mühe gemacht.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, ich sehe den Urheber direkt an. Er sitzt in der ersten Reihe. Das sind doch Sie, Herr Solms. Ein ausformulierter Gesetzentwurf zwingt Sie - auch das ehrt Sie -, Farbe zu bekennen; denn wenn ein Gesetzentwurf ausformuliert vorliegt, kann man sich näher mit den Details befassen.

   Die Auseinandersetzung mit diesem Gesetzentwurf muss unter der Prämisse stehen: Was bringt ein solches Gesetz und was kostet es? Sie sprechen davon, dass dadurch Investitionstätigkeiten angeregt und Arbeitsplätze neu geschaffen werden sollen. Aber ist das wirklich so?

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Ja!)

Wir haben in den letzten sieben Jahren die Steuern so deutlich gesenkt wie nie zuvor.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben historisch niedrige Steuersätze.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Die Ökosteuer haben Sie doch raufgesetzt!)

Ist das durch Investitionen belohnt worden? Ich glaube, hier sind ganz erhebliche Zweifel zulässig. Man kann natürlich sagen, dass die Senkungen nicht ausreichen. Aber wann reichen sie aus? Wenn wir in Europa bei einem Steuersatz von 0 Prozent angekommen sind? Ich bin überzeugt, dass davon weder Europa noch die einzelnen Staaten etwas hätten, sondern nur die Aktionäre.

   Wir dürfen, wenn wir die Steuersätze senken wollen, nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Das heißt, die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage muss möglichst auf europäischer Ebene vorgenommen werden, damit die Steuersätze wirklich vergleichbar sind. 25 Prozent von X sind nicht unbedingt mehr als 10 Prozent von Y. Aber gut, bei Rechnungen mit Unbekannten sollte sich der Staat besser heraushalten.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir streiten in unregelmäßigen Abständen über das Defizitkriterium des Wachstums- und Stabilitätspakts von 3 Prozent. Sie tragen dieses Kriterium oftmals wie eine Monstranz vor sich her. Wie passt da eine Belastung der öffentlichen Haushalte von 20 Milliarden Euro - ich bin noch recht vorsichtig - in die Diskussion? Die Finanzminister der Länder haben übereinstimmend diesen Teil des Gesetzes, der in der Anhörung behandelt wurde, als nicht finanzierbar bezeichnet. Dabei sind wir noch davon ausgegangen, dass der Höchststeuersatz bei 35 Prozent liegt. Diesen wollen Sie für unternehmerische Tätigkeit nun auch noch auf 25 Prozent senken. Das ist doch dann gar nicht mehr finanzierbar.

   Ich bin davon überzeugt, dass wir alle hier der Meinung sind, dass das Steuerrecht vereinfacht werden muss, dass wir also Ausnahmetatbestände streichen, Gesetzeslücken und Steuerschlupflöcher schließen müssen. Ich finde, die große Koalition ist hier auf einem guten Weg;

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Otto Bernhardt (CDU/CSU))

Herr Bernhardt hat das schon gesagt.

   Ich möchte nicht an das erinnern, was wir alles schon hätten tun können, wenn alle mitgespielt hätten; denn Nachkarten bringt nichts. Ich erinnere an die Plenarsitzung vom 15. Dezember letzten Jahres, in der wir - zum Teil mit den Stimmen des ganzen Hauses - die Eigenheimzulage abgeschafft, Steuerschlupflöcher geschlossen und einige nicht unerhebliche Ausnahmeregelungen gestrichen haben. Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sind natürlich herzlich eingeladen, uns bei der Reform der Einkommensteuer und der Unternehmensteuer zu begleiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Menschen sind, auch weil sie von allen Seiten eingetrichtert bekommen, unser Steuerrecht sei sehr kompliziert, davon überzeugt, dass es kompliziert ist.

(Zuruf des Abg. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP))

- Wenn Sie sich zu Wort melden, dann kann ich Sie verstehen und Ihnen antworten. Wenn Sie allerdings keine Antwort wollen, dann sprechen Sie bitte etwas leiser.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Menschen wollen aber auch im Einzelnen gerecht behandelt werden; das halte ich für einen sehr vertretbaren Anspruch. Wir alle wissen: Durch Pauschalierungen werden Lebenssachverhalte Einzelner ausgegrenzt und sie führen zum Verlust von Gerechtigkeit. Deshalb sollten wir uns immer fragen: Wie viel Vereinfachung können wir mit unserem Anspruch an Gerechtigkeit vertreten? Ich sage „sollten“; denn im Gesetzentwurf der FDP kommt das Wort „Steuergerechtigkeit“ nicht gerade oft vor. In den fünf Kriterien, die dort als Rahmen vorgegeben werden, heißt es nur einmal: „Einfachheit hat Vorrang vor Einzelgerechtigkeit in jedem Detail“.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Das merkt man, und zwar nicht nur im Detail.

   Der Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter schreibt dazu in seiner Stellungnahme:

Dem an sich zu unterstreichenden Postulat des vorliegenden Gesetzentwurfs, dem Gebot der Einfachheit Vorrang gegenüber dem Streben nach Einzelfallgerechtigkeit einzuräumen, kann daher in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden.

Wir stimmen darin überein, dass es im Steuerrecht keine Einzelfallgerechtigkeit geben kann, aber der Vereinfachung auf Gedeih und Verderb alles unterzuordnen, bringt die soziale Balance doch ganz erheblich in Schieflage.

(Beifall des Abg. Joachim Poß (SPD))

   Im Gutachten des DIW steht dazu:

Beim Konzept der FDP konzentrieren sich die Entlastungen auf den mittleren und oberen Bereich.

Mündlich wurde in der Anhörung dann ergänzt: Die Einkommensungleichheit nimmt beim FDP-Konzept deutlich zu.

   Nochmals zur Verdeutlichung: Arbeitnehmer, Rentner und Empfänger von Lohnersatzleistungen hätten nach dem Willen der FDP einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent, während Einkünfte aus unternehmerischer Tätigkeit einem Spitzensteuersatz von nur noch 25 Prozent unterlägen.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Das ist Unsinn!)

- Das steht in Ihrem Gesetzentwurf. Vielleicht sollten Sie ihn einmal lesen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich näher auf das Thema Vereinfachung eingehen. Selbstverständlich ist es eine Vereinfachung, wenn man ganze Vorschriften streicht oder weglässt, wenn man das Gesetz neu fasst. Bei der Streichung der Steuerfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen oder der Übungsleiterpauschale handelt es sich aber nicht um eine Vereinfachung auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit. Diese Ausnahmen brauchen Sie, damit der Spitzensteuersatz abgesenkt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

   Ein weiterer Punkt der angeblichen Vereinfachungen ist die Einführung eines einkommensabhängigen Werbungskostenabzugs. Für die Kolleginnen und Kollegen von der FDP scheint es aus Vereinfachungsgründen gerechtfertigt, dass ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 250 000 Euro per se - also ohne Nachweis - mit 5 000 Euro entlastet werden muss, ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 40 000 Euro aber nur mit 800 Euro. Das Motto „Wer mehr hat, bekommt auch mehr“ führt den Gedanken der Vereinfachung ad absurdum.

(Beifall bei der SPD)

Manchmal frage ich mich wirklich, wo die Kolleginnen und Kollegen, die einen solchen Gesetzentwurf einbringen, leben.

   Die doppelte Haushaltsführung, der Heimarbeitsplatz, die Fahrten zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte - all das sind nach Meinung der FDP Kosten der allgemeinen und privaten Lebensführung. Glauben Sie wirklich, dass die Fahrtkosten eines Chemikers privat veranlasst sind, wenn ein Labor von A nach B verlegt wird? Glauben Sie, dass man jederzeit die Kinder aus der Schule nehmen und in eine andere Schule schicken und das Haus verkaufen könnte und dass die Ehefrau ihren Job aufgeben könnte, wenn ein Unternehmen von Y nach Z zieht und seinen Sitz verlagert?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE))

Das alles halten Sie für machbar und zumutbar für die Arbeitnehmer.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Jetzt wird es sachfremd! Das stimmt doch gar nicht!)

- Herr Westerwelle, viele von uns, die hier sitzen - ich glaube, es sind sogar die meisten -, haben eine doppelte Haushaltsführung. Wenn Sie von der FDP das aufgrund Ihres persönlichen Lebenswunsches als Dinge der persönlichen Lebensführung ansehen, dann ist das eine Sache. Für die meisten von uns ist die doppelte Haushaltsführung aber sicherlich beruflich begründet.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE))

   Zu diesem Bereich ist in Ihrem Gesetzentwurf zu lesen:

Der weit gehende Verzicht auf Steuerbefreiungen und subventionsähnliche Tatbestände ermöglicht hohe Freibeträge und eine radikale allgemeine Tarifsenkung ...
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Es geht um die Abgeordneten!)

- Auch wir sind Teil der Bevölkerung, Herr Dr. Westerwelle, aber vielleicht in Ihren Augen nicht.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Aber nicht so repräsentativ!)

- Das sollten wir aber sein.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms zulassen?

Gabriele Frechen (SPD):

Ja, natürlich.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):

Frau Kollegin, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass die Abgeordneten keinen Anspruch auf die steuerliche Geltendmachung der doppelten Haushaltsführung haben, weil sie eine Kostenpauschale bekommen?

Gabriele Frechen (SPD):

Da ich ein höflicher Mensch bin, nehme ich natürlich alles zur Kenntnis, was Sie sagen, Herr Dr. Solms. Sie haben selbstverständlich Recht: Die doppelte Haushaltsführung wird bei uns Abgeordneten mit der Kostenpauschale extra abgegolten. Wenn wir zum nordrhein-westfälischen Modell übergehen sollten, was mitunter in der Diskussion ist, dann wird für uns die doppelte Haushaltsführung wie für jeden Arbeitnehmer selbstverständlich unter die Werbungskosten fallen. Gestern gab es dazu im WDR in der Sendung „Hart, aber fair“ mit Frau Kollegin Nina Hauer und Herrn Siegfried Kauder eine Diskussion. Ist Ihre Frage damit beantwortet? - Gut.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Man fragt sich schon: Wem dienen die Steuersenkungen? Wer trägt die Belastungen? Professor Dr. Hickel schreibt in seiner Stellungnahme:

Wird dieser auf Arbeitseinkommen konzentrierte Abbau von Steuervorteilen mit der Senkung des Einkommensteuertarifs verglichen, dann ist die sozial ungerechte Verschiebung der Steuerlast nicht mehr zu übersehen.

   Zum Schluss möchte ich noch einmal aus Ihrem Gesetzentwurf zitieren:

Es ist nicht die Aufgabe des Steuerrechts, erst Einkommen übermäßig „wegzusteuern“ und dann den nach Abzug der Verwaltungskosten verbleibenden Betrag wieder an die Gruppen zu verteilen ...

Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das ist Sinn und Ziel des Steuerrechts. Was Sie lapidar als „Verwaltungskosten“ ansehen, sind die vielfältigen Aufgaben des Staates: soziale Sicherung, Bildung und Infrastruktur. All diese Aufgaben werden zu 75 Prozent aus Steuermitteln finanziert, insbesondere die soziale Sicherung. Der Staat hat die Aufgabe, einen Ausgleich an Chancen, Verteilungsgerechtigkeit und Teilhabe zu gewährleisten. Er ist für die Steuergelder verantwortlich. Damit muss er verantwortlich umgehen und nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit besteuern.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Gabriele Frechen (SPD):

Er hat mit dem Einsatz der Steuergelder sowohl dem Gemeinwohl als auch jedem Einzelnen zu dienen. Das hat etwas mit Gerechtigkeit und Solidarität zu tun. Man kann es auch „Sozialstaat“ nennen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Gabriele Frechen (SPD):

Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin Christine Scheel.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Bitte etwas Neues!)

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich fand es interessant, Herr Dr. Solms, dass Sie heute zum ersten Mal im Zusammenhang mit Ihren Steuervorschlägen gesagt haben, es gehe Ihnen nicht unbedingt um die Senkung der Steuersätze, sondern es gehe Ihnen um die Struktur. Das heißt, dass das, was Sie in den letzten Jahren mit Ihrem Dreistufentarif und den Steuersätzen von 15, 25 und 35 Prozent politisch im Land verkündet haben, überhaupt keinen Bestand mehr hätte, wenn man sich die Struktur anschaut und die Finanzierung, die damit verbunden ist, in den Vordergrund stellen würde. Ihr Modell bricht also zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Scheel, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms zu?

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gerne.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):

Frau Scheel, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich in meiner Rede ausgeführt habe, dass wir an unserem Stufenmodell selbstverständlich festhalten und wir eine Steuerentlastung für die Bürger für notwendig erachten, damit sie mehr finanziellen Freiraum für Eigenvorsorge und eigene Initiativen gewinnen können? Aber für diejenigen, die der Meinung sind, man sollte nicht so verfahren und keine Steuerentlastung herbeiführen, sollte die Möglichkeit bestehen, den Tarif anders zu gestalten. Dies ist ein Thema für sich, aber die Strukturreform als solche ist der Kern, weil sich erst aus der Struktur eines einfachen Steuerrechts das Vertrauen der Bürger in einen fairen Steuerstaat zurückgewinnen lässt.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, Herr Dr. Solms, Sie bestätigen meine Auffassung, dass Sie langsam dahin kommen, zugeben zu müssen, dass Ihr Gesetzentwurf nicht finanzierbar ist und dass die öffentlichen Haushalte die Steuerausfälle nicht verkraften. Deswegen gehen Sie jetzt einen Schritt zurück und schlagen vor, sich zuerst auf die Struktur zu konzentrieren und erst dann die Steuersätze in den Blick zu nehmen. Die Konsequenz wäre, dass die von Ihnen vorgeschlagene Senkung der Steuersätze nicht haltbar wäre. Das ist die Wahrheit und das muss man den Bürgerinnen und Bürgern auch sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist unintellektuell!)

   Viele Ziele, die Sie in Ihrem Steuermodell formuliert haben, teilen wir. Wir teilen die Auffassung, dass das Steuerrecht zu kompliziert ist und vereinfacht werden muss. Wir teilen auch die Auffassung, dass in die Steuervorlagen eine verständlichere Sprache Eingang finden muss, damit die Bürger und Bürgerinnen verstehen, was in den Formularen gefordert wird.

(Norbert Schindler (CDU/CSU): Das ist ja alles neu! Donnerwetter!)

Wir teilen auch die Auffassung, dass wir ein international wettbewerbsfähiges Steuerrecht brauchen.

   So weit, so gut. Aber um auf Ihren Einwand zurückzukommen: Bei der Fraktion der FDP passen Anspruch und Wirklichkeit nicht zusammen,

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!)

weil Ihr Steuerrecht bei genauerer Betrachtung in den einzelnen Facetten nicht unbedingt einfacher wird. Es wird vielmehr in verschiedenen Punkten komplizierter und schafft ein Eldorado für Steuergestalter. Wir alle bemühen uns doch, Steuerschlupflöcher zu schließen. Wir alle in diesem Haus bemühen uns doch in den Fraktionen mehr oder weniger intensiv darum, dass die von teuren und guten Beratern eröffneten Steuergestaltungsmöglichkeiten im Sinne der Allgemeinheit der Steuerzahler, die das zu finanzieren hätten, nicht mehr so stark genutzt werden können. Wir wollen die Steuerschlupflöcher schließen, aber Sie schaffen mit der von Ihnen beabsichtigen Struktur neue Schlupflöcher. Das halte ich für ein Riesenproblem; denn wir sind in der Diskussion schon viel weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Vorhin wurde festgestellt, dass Ihr Modell mit einem Einnahmeausfall in Höhe von 17 Milliarden bis 19 Milliarden Euro verbunden wäre. Ich sage klipp und klar: Das geht nicht. Eine machbare Steuerreform - eine Einkommen- und Unternehmensteuerreform - in Deutschland muss ohne Einnahmeausfälle für die öffentlichen Haushalte auskommen. Sie nehmen mit Ihren Vorstellungen - das finde ich an der FDP so absurd - keinerlei Rücksicht auf die finanziellen Handlungsspielräume des Staates. Sie tragen nichts zur Konsolidierung des Haushaltes bei. Sie haben, wenn es um die Stabilisierung des Steueraufkommens ging, immer wieder die Abschaffung der Eigenheimzulage und der Steuersparfonds abgelehnt, weil Sie das als Steuererhöhung interpretiert haben. Davon sind Sie jetzt etwas abgerückt - darüber bin ich froh -, aber es schwebt immer noch im Raum.

   Auf der anderen Seite geben Sie aber das Geld des Staates mit vollen Händen aus. Sie haben einen Antrag zum Unterhaltsrechts im Bundestag eingebracht - er wird heute Nachmittag beraten -, der voller nicht ausgereifter und ausfinanzierter Versprechen ist. 200 Euro Kindergeld - das klingt klasse. Wenn man den Bürgerinnen und Bürgern, die Kinder haben, 200 Euro Kindergeld zusagt, dann wird sicherlich jeder sagen: Super, darüber freue ich mich. Aber das kostet den Staat 9 Milliarden Euro und Sie sagen nicht, woher Sie das Geld nehmen wollen.

   Ich frage mich, wie das alles zusammenpasst: Sie fordern Steuer- und Abgabensenkungen und Mehrausgaben für Bildung, Forschung, Verteidigung und Familien,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, mehr Steuerzahler!)

aber die Maastrichtkriterien sollen eingehalten werden. Im Bundestag steht aber keine Gelddruckmaschine. Das Manna fällt auch nicht vom Himmel.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das Manna schon!)

Dieser Lebensrealität sollten Sie sich endlich stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Bei Ihnen werden in einzelnen Bereichen Konzepte mit einem gewissen Tunnelblick - ohne Rücksicht auf die finanziellen Folgen - erarbeitet.

   Herr Kollege Koppelin, der für die FDP dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags angehört, betreibt immer ein bisschen Konsolidierungsrethorik, mit der er auch seine Forderung nach Einhaltung des Wachstums- und Stabilitätspakts garniert. Das passt aber nicht zusammen. Sie müssen sich langsam entscheiden, ob Sie in der Bundesrepublik Deutschland eine verantwortungsvolle Oppositionspolitik mit gesamtstaatlicher Verantwortung machen wollen oder nicht.

Bislang sieht es aber so aus, dass Sie das nicht machen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Carl-Ludwig Thiele (FDP): Wir machen das konstruktiv!)

   Es bleibt Ihr Geheimnis, wie Sie die Finanz- und Haushaltspolitik gestalten wollen. Insgesamt ist Ihre Politik jedenfalls inkonsistent. Aber ab und zu gibt es bei Ihnen einen Lichtblick. Sie, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, haben die Vorlage zur Familienpolitik, die Sie in der letzten Sitzungswoche eingebracht haben, konsequenterweise zurückgezogen, weil Ihre Haushälter festgestellt haben, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht finanzierbar sind.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wie geht es eigentlich Herrn Loske?)

   Herr Westerwelle, Sie haben einerseits der Regierung vorgeschlagen, auf die geplante Mehrwertsteuererhöhung zu verzichten - dem kann ich nur zustimmen; aus konjunkturellen Gründen haben Sie Recht -, und andererseits den Gewerkschaften nahe gelegt, auf Lohnerhöhungen zu verzichten. Ich kann Ihnen von der FDP-Fraktion nur raten: Schließen Sie sich dem Pakt der Vernunft, wie Sie ihn nennen, an! Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück! Überarbeiten Sie ihn und schauen Sie sich die realen finanziellen Rahmenbedingungen für Bund, Länder und Kommunen an! Dann können wir weiter diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Nicht nur wir sind der Auffassung, dass Ihre Vorschläge nicht finanzierbar sind. Sie regieren in fünf Bundesländern mit.

(Dr. Hermann Otto Solms (FDP): In wie vielen Ländern regieren Sie denn mit?)

Davon stehen nun in drei Ländern, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, Wahlen an. In all diesen Ländern werben Sie für Ihr Modell und sagen: Der Steuervorschlag der FDP ist Superklasse.

(Beifall bei der FDP)

Aber nennen Sie mir einen einzigen Ministerpräsidenten aus den drei Bundesländern, in denen Sie mitregieren, der bereit wäre, Ihren Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen und zu sagen: Hier, Jungs und Mädels,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das sagen unsere Ministerpräsidenten nicht!)

lege ich euch einen Gesetzentwurf vor; den wollen wir. - Keiner der Ministerpräsidenten ist tatsächlich der Meinung, dass Ihr Gesetzentwurf Superklasse ist, weil alle wissen, dass das nicht finanzierbar ist, dass es sich um eine Luftnummer handelt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wer Haushaltsverantwortung trägt, muss das sehen. Wer weiß, wie ein Haushalt funktioniert und welche Wirkungen bestimmte Maßnahmen haben, und sich im Steuerrecht auskennt, der weiß auch, dass Steuerausfälle in den Anfangsjahren noch viel höher sind als in den folgenden Jahren. Bezogen auf Ihren Vorschlag, bedeutet das: Die Tarifänderung wirkt zwar sofort. Aber die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage greift erst später. Wenn man Ihren Vorschlag umsetzte, dann hätte man Steuerausfälle nicht, wie von Ihnen behauptet, in Höhe von 17 bis 19 Milliarden Euro pro Jahr, sondern in Höhe von rund 32 Milliarden Euro im ersten Jahr. Ich möchte sehen, wie dann die Verhandlungen in Brüssel liefen. Sie riskieren, dass Deutschland an die EU Strafgeldzahlungen in Höhe von 10 Milliarden Euro leisten muss. Dieses Risiko gingen Sie ein. 10 Milliarden Euro just for fun! Das geht nicht; das ist unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wer sagt, dass die Gesamtsteuerbelastung in Deutschland viel zu hoch sei, hat Recht, was die Strukturen in einzelnen Bereichen anbelangt. Aber die Steuerquote in Deutschland liegt - das sollten Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen - bei knapp über 20 Prozent. Das ist fast der niedrigste Wert in Europa. Nur die Slowakei liegt mit 18,4 Prozent noch etwas darunter. Wir müssen sicherlich die Struktur vereinfachen.

(Beifall des Abg. Oskar Lafontaine (DIE LINKE))

Aber wir dürfen nicht auf breiter Ebene Steuerentlastungen vornehmen, weil das, wie gesagt, nicht verantwortbar wäre.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Lafontaine klatscht! Das ist schon ein Vorteil! Wenigstens einer!)

   Konzentrieren wir uns daruf, dass Deutschland im internationalen Vergleich konkurrenzfähig bleibt. Die hohe Abgabenbelastung bei den Löhnen muss im Fokus stehen. Lassen Sie uns auf das Wesentliche schauen! Die Grünen haben eine Vorlage für ein steuerfinanziertes Progressivmodell in den Bundestag eingebracht, durch das kleine Einkommen von Sozialabgaben entlastet werden. Das ist für den Arbeitsmarkt, die Bezieher kleiner Einkommen und die Arbeitgeber gut. Gehen Sie diesen Weg mit, anstatt mit irgendwelchen Luftnummern zu agieren!

   Noch zu Ihrem Vorschlag, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Man kann darüber reden, wie man die Kommunalfinanzen für die Zukunft regeln will. Das aber, was ich bei allen, die die Gewerbesteuer abschaffen und durch etwas anderes ersetzen wollen, anprangere, ist, dass die Bürger und die Bürgerinnen nicht die Information bekommen, was das denn bedeutet. Diese kaufen die Katze im Sack. Die Einfachsteuer ist in Wirklichkeit ein hoch kompliziertes Zuschlagsmodell und die Bürger erfahren nicht, wie hoch sie in letzter Konsequenz belastet werden, wenn sie Einkommensteuer plus kommunale Zuschlagsteuern bezahlen. Die einzelnen Bürger und Bürgerinnen erfahren nicht, wie hoch die Steuersätze für sie wirklich sind. Das enthalten Sie den Bürgern vor. - Frau Präsidentin, ich bin sofort mit meiner Rede am Ende.

   Die Rhetorik klingt gut, aber Sie ignorieren die Zusammenhänge. Auch eine Oppositionspartei muss ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung nachkommen, aber da ist bei Ihnen Fehlanzeige.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Kollege Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hans Michelbach (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Niemand hier sollte bezweifeln, dass wir eine Reform der Einkommensteuer und der Unternehmensbesteuerung benötigen, um wieder mehr Wachstum und Beschäftigung zu erzielen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Beifall bei der FDP - Carl-Ludwig Thiele (FDP): Richtig! Auch Frau Scheel nicht!)

Der ausformulierte Gesetzentwurf der FDP nötigt mir Respekt ab. Er bedarf sicher einer vertiefenden und umfassenden Diskussion. Er ist eine gute Grundlage. Darüber darf man nicht einfach locker hinweggehen. Er ist eine Grundlage für die weiteren Schritte in der Steuerpolitik. Der Gesetzentwurf der FDP wirft aber zum heutigen Zeitpunkt - das müssen Sie, geschätzter Herr Kollege Dr. Solms, zugeben - zahlreiche Fragen und Zweifel auf. Insbesondere ist es mehr als fraglich, ob das angegebene Haushaltsvolumen von 17 bis 19 Milliarden Euro einer näheren Überprüfung standhält. Nach ersten Berechnungen unsererseits belaufen sich die Kosten auf über 21 Milliarden Euro. Das ist bei einem strukturellen Defizit des Bundeshaushaltes von heute 60 Milliarden Euro eine große Zahl. Es wird ein steiniger Weg, bis diesem Gesetzentwurf zugestimmt werden kann.

   Wir sollten uns angesichts der angespannten Haushaltslage weder eine Verfassungswidrigkeit der Haushalte noch eine des Steuerrechts auf Dauer leisten. Wir müssen jetzt schrittweise mit Vernunft vorgehen. Meine Damen und Herren von der FDP, auch für Sie gilt: Schalmeienklänge sind von kurzer Dauer, wenn das Instrument gepfändet wird. Das ist die Situation.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ein schönes Bild!)

Die Einhaltung der Verfassung und des europäischen Stabilitätspaktes ab 2007 muss zunächst oberste Priorität genießen. Ohne dass wir konsolidiert haben, werden wir keine Wachstumsziele erreichen und werden wir keine Kraft für die Steuerpolitik haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist die Grundlage. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen. Ein Wolkenkuckucksheim nützt unseren Steuerzahlern nichts; denn die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Das würde letzten Endes auch nicht der Generationengerechtigkeit und der Planungssicherheit unserer Unternehmen entsprechen.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb wird die Mehrwertsteuer erhöht! Super klasse Idee!)

   Haushaltskonsolidierung und Generationengerechtigkeit ist die Gemeinschaftsaufgabe dieses Deutschen Bundestages. Deshalb steht die große Koalition für Realität und Praktikabilität in der Steuerpolitik. Wir haben im Koalitionsvertrag nur das festgelegt, was wir in dieser Legislaturperiode einhalten können. Der Bau von steuerpolitischen Luftschlössern, meine Damen und Herren, kostet Sie zwar nichts, aber die zerstörten Erwartungen sind teuer. Nur Glaubwürdigkeit schafft das notwendige Vertrauen für Wachstum und Beschäftigung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

83 Prozent der Bürger sind heute zuversichtlich, dass es zu einem Wirtschaftsaufschwung kommt. Die verbesserte Stimmung ist auf diese Glaubwürdigkeit, auf diese neue Vertrauensbasis, zurückzuführen. In der Steuerpolitik müssen wir dies nutzen, um einzelne Maßnahmen umzusetzen.

   Alles zu seiner Zeit: Wir werden in dieser Woche das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Das ist von wesentlicher Bedeutung für den beginnenden Aufschwung, für mehr Wachstum und für neue Jobs. Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist der erste machbare Schritt. Vernünftige Steuerpolitik bedeutet, Schritte zu vollziehen, die wirklich nutzen und auch finanzierbar sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Die Regelung zur Förderung der privaten Haushalte als Arbeitgeber, die gezielte Belebung der Investitionstätigkeit, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen, das ist der richtige Ansatz. Hinzu kommen: Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen bei privat genutzten Häusern und Wohnungen, die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen durch eine Änderung der Umsatzbesteuerung - die Umsatzgrenze wird in den alten Bundesländern von 125 000 Euro auf 250 000 Euro angehoben -; die Abschreibungsbedingungen für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens werden durch eine bis zum 31. Dezember 2007 befristete Anhebung der degressiven Abschreibung auf 30 Prozent verbessert. Das sind zählbare Hilfen für den Mittelstand: Er kann möglichst schnell mehr investieren, weil er über mehr Liquidität verfügt. Wir vollziehen einen wichtigen Schritt, um mehr Investitionen durch unseren Mittelstand zu ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Dieser steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung müssen natürlich größere Schritte in der Steuerpolitik folgen. Da sind wir beieinander.

(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) sowie des Abg. Dr. Hermann Otto Solms (FDP))

   Es wird neue Anläufe zur Steuervereinfachung und zur Förderung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit geben. Tatsache ist: Die Steuerbelastung der Unternehmen liegt im EU-Durchschnitt bei 24,8 Prozent und in Deutschland bei 39 Prozent. Diese Differenz ist natürlich nicht tragbar. Wir brauchen einen wettbewerbsfähigen Standort. Wir müssen etwas tun; sonst wandern unsere Betriebe in die mittel- und osteuropäischen Länder ab. Deswegen hat für uns nach der Haushaltskonsolidierung eine Reform der Unternehmensbesteuerung zum Zwecke der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem europäischen Markt oberste Priorität. Das ist unser Ziel; das ist unser Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Ausgangslage ist ein wichtiger Punkt. Wir müssen unser Gesamtkonzept weiterentwickeln. Dieses Gesamtkonzept muss für den Bürger verständlich, ausgewogen und akzeptabel sein. Es muss die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen deutlich verbessern, es muss die kommunale Autonomie stärken und es darf Bund und Ländern allenfalls in der Startphase eine maßvolle Anschubfinanzierung abverlangen. Schließlich muss es für alle Beteiligten nachvollziehbar und berechenbar sein.

   Es lohnt sich, für diese Aufgabenstellung in den nächsten Wochen und Monaten zu arbeiten. Im Koalitionsvertrag mit der SPD hat die CDU/CSU eine grundlegende Reform der Unternehmensbesteuerung zum 1. Januar 2008 fest vereinbart.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Angekündigt!)

Die Modellvorschläge, der Vorschlag der Stiftung Marktwirtschaft und jener des Sachverständigenrates, liegen jetzt vor. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit können diese Vorschläge zu einem gemeinsamen Ergebnis führen. Ich erinnere an den Vorschlag der FDP, an andere Vorschläge und an unsere Vorschläge: Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch eine Reform der Unternehmensbesteuerung oberste Priorität haben muss. Wenn wir diesen Gesetzentwurf in diesem Jahr zustande bringen, dann haben die Unternehmen Planungssicherheit. Das In-Kraft-Treten dieses Gesetzes zum 1. Januar 2008 wäre ein wichtiges Zukunftssignal. Qualität ist immer besser als Schnelligkeit. Das ist der Weg, den wir jetzt beschreiten müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir müssen die vorliegenden Vorschläge und Modelle mit Blick auf das Ziel einer international wettbewerbsfähigen Steuerpolitik in den nächsten Wochen und Monaten unvoreingenommen prüfen.

   Ich kann Ihnen versichern: Bei der Reform der Unternehmensbesteuerung werden uns insbesondere die folgenden Zielsetzungen leiten: die weitgehende Rechtsform- und Finanzierungsneutralität, die Einschränkung von unsauberen Gestaltungsmöglichkeiten, die Verbesserung der Planungssicherheit für Unternehmen und die öffentlichen Haushalte, die nachhaltige Sicherung der deutschen Steuerbasis sowie natürlich als Hauptziel die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Europatauglichkeit des Unternehmensteuerrechts.

   Wir werden diese Reform Schritt für Schritt anpacken, solide finanziert, mit einem vernünftigen Weg in die Zukunft. Unsere Steuerzahler, Wirtschaft und Bürger, brauchen standortfreundlichere und steuersystematisch bessere Bedingungen. Damit werden wir mehr Wachstum und Beschäftigung erreichen. Diesen Weg sollten wir gemeinsam beschreiten. Dafür sollte es in diesem Haus einen breiten Konsens geben. Lassen Sie uns deswegen gemeinsam in der großen Koalition, aber auch mit allen anderen Fraktionen an diesem Weg ganz vernünftig arbeiten.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Als Nächster spricht Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Volker Wissing (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst ein paar Sätze zu Frau Kollegin Scheel sagen. Von den Grünen bin ich ganz schön überrascht. Sie von den Grünen passen ganz gut zur großen Koalition; Sie trippeln da ganz wunderbar mit.

(Beifall bei der FDP - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch! - Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Wer zu spät kommt, den straft das Leben! - Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Das ist ein naturwissenschaftliches Phänomen: Masse zieht an!)

   Diese Debatte hat eines deutlich gemacht: Wir haben Konzepte; Sie haben sie nicht. Wir kämpfen für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger; Sie sorgen für die Belastung.

(Beifall bei der FDP)

Wir wollen ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Sätzen, das die Menschen wieder verstehen; Sie wollen den finanzpolitischen Stillstand.

(Beifall bei der FDP - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Quatsch, Herr Wissing!)

   Ihre kleinmütigen Einwände machen deutlich, woran es Ihnen fehlt: Ihnen fehlt es an Mut. Ihnen fehlt es an der Kraft, Reformen durchzusetzen. Ihnen fehlt es an Konzepten. Ihnen fehlt es an dem Willen, für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes das zu erreichen, was sie dringend brauchen, nämlich steuerliche Entlastung.

(Otto Bernhardt (CDU/CSU): Nicht übernehmen, Herr Kollege! Das ist ein bisschen viel! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!)

   Wir wollen für die Bürgerinnen und Bürger eine Entlastung um 20 Milliarden Euro erreichen und haben dazu einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt. Sie - um Ihnen das deutlich vor Augen zu führen - planen eine Mehrwertsteuererhöhung und wollen die Bürger mit 20 Milliarden Euro zusätzlich belasten.

(Beifall bei der FDP)

Das ist das krasse Gegenteil von dem, was Deutschland braucht. Das ist das krasse Gegenteil von dem, was die FDP will. Das ist das krasse Gegenteil von dem, was wir Ihnen in einem konkreten Entwurf heute vorgelegt haben.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Was Deutschland braucht, ist nicht die FDP! - Gegenruf des Abg. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Doch!)

   Unser Konzept würde die Binnennachfrage stärken. Ihre Mehrwertsteuererhöhung, lieber Kollege, bremst sie. Unser Konzept würde die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen. Ihre Stillstandspolitik belastet die Wirtschaft und bedroht Arbeitsplätze. Die FDP hat Farbe bekannt. Wir haben ein durchdachtes Konzept vorgelegt.

   Nur, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition, wo bleiben denn Ihre Vorschläge? Von der SPD - Sie haben so kräftig dazwischengerufen - ist sowieso nicht mehr viel zu erwarten.

(Zuruf des Abg. Bernd Scheelen (SPD))

Herr Scheelen, Sie haben Ihr finanzpolitisches Profil nach dem letzten Bundestagswahlkampf im Grunde genommen über Bord geworfen. Wenn man eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozentpunkte kategorisch ablehnt und dann eine Erhöhung um 3 Punkte mitmacht, spricht das für sich; dazu braucht man nicht mehr viel zu sagen.

(Beifall bei der FDP - Bernd Scheelen (SPD): Bei Ihrem Konzept müsste man noch zwei Punkte drauflegen!)

   Sie von der CDU/CSU, Herr Michelbach - Herr Bernhardt ist auch noch da -, sagen, alles, was die FDP vorschlage, gehe nicht, sei falsch und völlig abwegig.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das habe ich nicht gesagt!)

Ich möchte Ihnen einmal vorhalten, dass Sie auf Ihrem Parteitag ganz ähnliche Tarife beschlossen haben.

(Beifall bei der FDP - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt! - Hans Michelbach (CDU/CSU): Das haben wir so nicht gesagt!)

Herr Merz ist nicht mehr im Raum. Mit Herrn Kirchhof wollen Sie nichts mehr zu tun haben. Was zurückbleibt, ist eine finanzpolitische Wüste bei der CDU/CSU.

(Beifall bei der FDP - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, das stimmt! - Leo Dautzenberg (CDU/CSU): In der Wüste gibt es auch Oasen, Herr Kollege!)

   Da war eine Bierdeckelsteuer-Kanzlerkandidatin. Da war eine Kopfpauschalen-Kanzlerkandidatin. Daraus ist eine Trippeltippelkanzlerin geworden. Schneller, als Sie das gemacht haben, hat kaum eine Partei in diesem Land ihre politischen Inhalte über Bord geworfen. Von dem, mit dem Sie bei der Bundestagswahl angetreten sind, ist wirklich nicht mehr viel übrig geblieben.

(Beifall bei der FDP - Gabriele Frechen (SPD): Hat die Rede auch einen sachlichen Teil? - Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Der Solms hat doch ganz nett angefangen! Warum machen Sie jetzt solch einen Käse?)

   Sie kritisieren unser Konzept, Frau Frechen, aber Sie übersehen dabei: Wir haben wenigstens eines; Sie nicht.

(Gabriele Frechen (SPD): Aber ein schlechtes!)

Sie können sich gern an uns abarbeiten, aber Sie werden die Verantwortung nicht los. Eine Regierung, die es nicht schafft, eigene Reformkonzepte auf den Tisch zu legen, kann die Probleme dieses Landes nicht lösen. Sie sollten regieren, nicht opponieren.

(Beifall bei der FDP)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten uns gefreut, wenn wir heute einen Regierungsentwurf hätten mitberaten können. Dann hätten wir wenigstens einen Wettbewerb der Ideen. Aber so steht die FDP alleine da mit einem Gesetzentwurf. Es liegt klar auf der Hand, dass Deutschland ein Problem hat: Deutschland hat eine Opposition mit Konzepten und eine konzeptionslose Regierung.

(Anhaltender Beifall bei der FDP - Abg. Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) begibt sich zum Rednerpult)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das war schon fast der Auftrittsbeifall.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Na, na, na, Frau Kollegin!)

   Der Kollege Reinhard Schultz spricht für die SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme den Beifall für mich nicht in Anspruch. - Herr Solms hatte eigentlich ganz nett angefangen und damit eine Debatte eingeleitet, die für die Kernzeit verhältnismäßig sachlich war. Aber was der Herr Wissing dann nachgeschoben hat, hat diesen Stil gesprengt. Insofern eröffnen sich neue Freiräume für nachfolgende Redner.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Carl-Ludwig Thiele (FDP): Das wollten Sie doch sowieso!)

- Nein, eigentlich neige ich nicht dazu.

   Es ist ja so, dass neue Mehrheiten, neue Koalitionen sich neue Adhäsionsflächen suchen. Das ist für einige - für die FDP, aber auch für andere in diesem Hohen Hause - sicher in hohem Maße gewöhnungsbedürftig. Diejenigen, die über lange Zeit sozusagen in der Opposition Koalitionen gebildet haben und mit anderen gewisse Berührungspunkte hatten, insbesondere im Schnittfeld „Neoliberalala“, wundern sich natürlich, dass der andere, der sozusagen untreu geworden ist, seine Adhäsionsflächen nun bei der SPD sucht und dass die beiden Volksparteien andere Schnittmengen finden als CDU/CSU und FDP, ebenso als SPD und Grüne. So ist das halt.

   Möglicherweise gibt es in der Politik manchmal mehrere vertretbare richtige Antworten zur Lösung eines Problems. Die große Koalition geht, weil sie gemeinsam handeln muss, einen gemeinsamen Weg, der sowohl die Frage der Konsolidierung der Staatsfinanzen als auch die Frage des Wachstums und die Frage eines modernen, wettbewerbsfähigen Steuerrechts für Unternehmen unter einen Hut bringen wird. Das ist ein anderer Ansatz, als andere ihn haben.

   Einige von uns waren gestern Abend Zeugen einer merkwürdigen Veranstaltung des Bundesverbands mittelständischer Wirtschaft,

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die war wirklich merkwürdig; das stimmt!)

bei der Herr Solms viel Beifall bekommen hat, was ich verstehen kann; denn was er gesagt hat, passte hervorragend zusammen: am besten Nullsteuerstaat und 100 Prozent Subventionen; das ist das, was bei einer bestimmten Klientel immer Begeisterungsstürme weckt.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Das hat er aber nicht gefordert!)

   Ich will aber bei dieser Gelegenheit folgenden Eindruck beschreiben; ich finde, auch das muss einmal gesagt werden. Ich rede als Mittelstandsbeauftragter meiner Fraktion sehr viel mit Verbänden. Die meisten sind sachliche Ratgeber und das ist auch hilfreich. Aber wenn so ein Zirkusdirektor wie der Mario Ohoven den stellvertretenden Bundeskanzler, den Herrn Solms und den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU als Punchingball benutzt, nach ihnen redet und sie dann zur Minna macht, nur um selber zu glänzen, dann ist das keine Gesprächsgrundlage mehr. Mit dieser Verbandsspitze werde ich kein Gespräch mehr führen. Da gibt es viele andere, sachliche Ratgeber, die uns in mittelstandspolitischen Fragen weiterhelfen werden.

(Beifall bei der SPD - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Du hast ja gestern mit ihm geredet! - Zuruf von der FDP)

- Das ist ein halbseidener Zirkusdirektor. Ich setze mich auch nicht zu ihm an den Tisch, weil man Angst haben muss, auf ein Pressebild zu kommen, auf dem Handschellen zu sehen sind.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das hat mit Seriosität überhaupt nichts zu tun. Das darf man doch wohl einmal sagen. Ich verstecke mich auch nicht hinter meinem Mandat, sondern sage meine Meinung sehr offen.

   Zurück zu dem Gesetzentwurf. Herr Solms, Sie haben, finde ich, einen strukturellen Fehler gemacht: Sie haben den 25-Prozent-Ansatz bei den Unternehmensteuern auf die privaten Einkommen übertragen. Es gibt aber keine Schnittstelle, wo Sie private Einkommen nach Leistungsfähigkeit besteuern und den thesaurierten Gewinn der Unternehmen unter Wettbewerbsgesichtspunkten niedriger besteuern, sondern Sie setzen das auf einer bestimmten Ebene gleich. Das begründet im Wesentlichen den riesigen Steuerausfall. Das passt nicht zusammen. Wer thesaurierte Gewinne der Unternehmen niedrig besteuern will, der muss erst recht die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit bei den Privaten beachten.

Ansonsten führt er alle in den Staatsbankrott. Unabhängig davon möchte ich erwähnen, dass Sie in Ihrem Finanztableau, das nur aus einer Zeile besteht, viele Punkte, die in Ihrem Gesetzentwurf vorhanden sind, überhaupt nicht benennen.

   Das Kindergeld wurde schon angesprochen. Entsprechende Änderungen werden im Gesetzentwurf und in der Begründung behandelt. Diese Änderungen würden zu einem zusätzlichen Betrag in Höhe von 9 Milliarden Euro führen. Ich weiß auch nicht, was die Vererbbarkeit von Ansprüchen aus der Riesterrente - ein interessanter Gedanke - kosten würde. Aber umsonst ist dies bestimmt nicht zu haben.

   All das sind Bestandteile, die die Wüste, die Sie gerade beschrieben haben, nicht gerade beleben. 46 Jahre Ihrer Regierungsverantwortung bedeuten auch 46 Jahre der Verwüstung des deutschen Steuerrechts. Da darf man sich überhaupt nichts vormachen. Wir alle wissen, dass Steuerrecht zu einem großen Teil Richterrecht ist. Zu versuchen, im Rahmen einer Vereinfachungsorgie die kritischen Punkte erst einzusammeln, um dann von Finanzrichtern sozusagen wieder zurückgepfiffen zu werden, ist nicht ehrlich und nicht seriös.

(Beifall bei der SPD)

   Deswegen würde Ihr Gesetz, würde es jemals im Gesetzblatt stehen, durch Tausende Seiten von Verordnungen unterfüttert werden müssen. Das kennen wir seit Kirchhof.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kirchhof, der große Vereinfacher, hatte erklärt: Nur drei Seiten Gesetz und der Rest wird in Verordnungen geregelt. Diese Regelungen liegen aber außerhalb des Parlaments und tragen nicht zur Transparenz für den Steuerbürger bei. Das finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Carl-Ludwig Thiele (FDP): Stimmt!)

Wenn wir ein gerechtes Steuerrecht wollen, dann müssen die entsprechenden Eckpunkte, in denen die Lebenswirklichkeiten berücksichtigt werden, im Gesetz stehen. Das gilt für die Privaten genauso wie für die Unternehmen.

   Man muss sich schon deswegen aus politisch-didaktischen Gründen mit Ihrem Gesetzentwurf auseinander setzen, weil Sie ein Lehrbeispiel dafür sind, dass Einfachheit manchmal mit Schlichtheit gleichzusetzen ist, in keinem Falle ist sie aber, siehe Steuerrecht, mit Gerechtigkeit gleichzusetzen.

   Ich glaube auch, dass die Wettbewerbsfähigkeit beim Unternehmensteuerrecht nicht allein durch den Steuersatz bestimmt wird. In Gesprächen mit der Stiftung Marktwirtschaft und mit dem Sachverständigenrat haben wir eine Menge gelernt. Bis zum Sommer wird es noch eine Reihe zusätzlicher Modelle geben. Aus diesen Modellen, die gegeneinander konkurrieren, können wir lernen. Trotzdem gilt, dass sich ein Unternehmen, das am Standort Deutschland investieren will, mehr anschauen wird als nur einen plakativen Steuersatz. Es wird sich auch die übrigen Rahmenbedingungen - beispielsweise Steuerrecht, Infrastruktur, Qualität der Mitarbeiter, Anzahl der Streiktage - anschauen.

   Steuerrecht ist ein Standortfaktor unter mehreren. Der Steuersatz wiederum ist nur ein Teil davon. Ich bin Unternehmer und weiß einen niedrigen Steuersatz zu schätzen. Ich schätze aber auch beispielsweise vernünftige Abschreibungsbedingungen und die Möglichkeit von Drohverlustrückstellungen. Das heißt, Bemessungsgrundlage und Steuersatz gehören zusammen. Das Schicksal eines Unternehmens ist manchmal genauso wechselvoll wie das einer Privatperson. Daher muss man alle möglichen Situationen, die sich für ein Unternehmen ergeben können, im Hinterkopf haben, wenn man eine Unternehmensteuerreform will, wie man das auch bei Privaten im Hinblick auf die Besteuerung ihrer Einkünfte tut.

   Dieser Gesetzentwurf wird die Debatte bereichern. Er wird die Stoßrichtung aber nicht verändern. Ich warne dringend davor, als könnten Sie nach dem Hase-und-Igel-Prinzip einfach nur große Vereinfachungsfahnen schwenken und den Eindruck erwecken, die Koalition würde ihre Unternehmensteuerreform nicht über die Rampe bringen.

   Nach den Gesprächen in unseren Reihen - die Taktzahl der Begegnungen nimmt ja Gott sei Dank zu - bin ich sehr sicher, dass wir diese Reform hinbekommen werden, weil wir den Willen dazu haben. Aber wir wollen auch eine Unternehmensteuerreform haben, die länger gültig ist als eine Wahlperiode und die nicht durch veränderte Mehrheitsverhältnisse in dreieinhalb Jahren wieder infrage gestellt werden kann. Die große Koalition hat die Chance, etwas zustande zu bringen, das von längerer Dauer ist. Das ist die Planungssicherheit, die die Unternehmen brauchen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die Linksfraktion spricht Oskar Lafontaine.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Der gescheiterte Finanzminister!)

Oskar Lafontaine (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Solms hat für die Freien Demokraten in aller Klarheit die Position dieser Partei dargelegt. Er hat das Steuergesetz mit dem Freiheitsprinzip in der Verfassung begründet. Darauf will ich eingehen.

   Es ist richtig, wenn Sie ein einfaches und gerechtes Steuersystem verlangen. Wer wollte dem widersprechen? Es ist ebenfalls richtig, wenn Sie sagen, die Menschen müssen das Steuerrecht verstehen, damit sie ihre Steuererklärung abgeben können.

   Unser Widerspruch zu Ihrem Gesetzentwurf kristallisiert sich an Art. 14 des Grundgesetzes, den Sie ebenfalls bemüht haben, den Sie aber interessanterweise sehr verkürzt zitiert haben. Worauf Sie immer wieder verweisen, ist die Eigentumsgarantie. Ich lese Ihnen einmal den ersten Absatz vor:

Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

   Was Sie aber in Ihren Reden immer vergessen, sind die weiteren Absätze dieses wichtigen Artikels des Grundgesetzes. Deshalb möchte ich Ihnen einen Auszug daraus vorlesen:

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Eine Enteignung ist … zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.
(Beifall bei der LINKEN)

Zum Verständnis: Damit ist nicht die Enteignung älterer Arbeitnehmer über die Sozialgesetzgebung gemeint. Die Väter des Grundgesetzes

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gab auch Mütter!)

haben vielmehr etwas ganz anderes gemeint. Weil Sie Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes übersehen, ist Ihr Steuervorschlag völlig falsch und inakzeptabel. Denn er greift die derzeitige Entwicklung unserer Gesellschaft überhaupt nicht auf und spiegelt sie nicht wider.

   Im Jahreswirtschaftsbericht steht die schlichte Feststellung der Bundesregierung - ich wiederhole sie an dieser Stelle -: Die Löhne wachsen nicht, die Renten wachsen nicht, die sozialen Leistungen gehen zurück, nur die Einkommen aus Vermögen und selbstständiger Tätigkeit wachsen um 7,25 Prozent. Wie man bei dieser Situation einen Gesetzentwurf einbringen kann, mit dem die Tendenz einer solchen Entwicklung verschärft würde, ist niemandem verständlich. Daher wird er von der großen Mehrheit der Bevölkerung strikt abgelehnt.

(Beifall bei der LINKEN)

   Es wird keine gerechte Steuergesetzgebung in Deutschland geben, wenn wir bei der jetzigen Entwicklung der Vermögen und Einkommen keine ordentliche Vermögensbesteuerung einführen, wie es sie in anderen modernen Industriestaaten gibt. Für die Fraktion Die Linke möchte ich für diejenigen, die heute Zeit haben, uns zuzuhören, einen einfachen Hinweis geben: Das reine Geldvermögen der Deutschen beträgt 4 000 Milliarden Euro. Die Hälfte davon, 2 000 Milliarden Euro, gehören den oberen Zehntausend bzw. 1 Prozent der Bevölkerung. Würde man also nur diese Hälfte mit 5 Prozent besteuern, gäbe es in den öffentlichen Kassen Mehreinnahmen von 100 Milliarden Euro. Dies zeigt, dass die ganzen sozialen Kürzungen der letzten Jahre und die ganze Reformpolitik völlig überflüssig und - wenn man es hart formuliert - ein einziger Schwindel waren.

(Beifall bei der LINKEN)

   Nun weiß ich, dass sich niemand von der Mehrheit dieses Hauses an diese einfache Gesetzgebung wagen möchte. Der Verweis auf andere mit uns konkurrierende Staaten wirft aber die Frage auf, warum eine ordentliche Vermögensbesteuerung in Schweden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten möglich ist

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Vereinigten Staaten haben keine Vermögensteuer!)

und warum sie hier in Deutschland nicht möglich sein soll. Solange diese extreme Schieflage nicht beseitigt ist, gibt es kein gerechtes Steuersystem in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN)

   Ein weiterer Punkt. Wir möchten nicht nur, dass die Verfassung wieder ernst genommen wird. Wir möchten auch, dass die Einkommens- und Lohnentwicklung in Deutschland der lebendigen Arbeit folgt und nicht dem toten Kapital.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich wiederhole diesen Satz: Die Einkommens- und Lohnentwicklung in Deutschland soll der lebendigen Arbeit folgen und nicht dem toten Kapital. Das krasse Gegenteil geschieht seit vielen Jahren. Ich wiederhole die Aussage aus dem Jahreswirtschaftsbericht: Für leistungslose Einkommensbezieher, wenn man so will, ergibt sich ein Zuwachs von 7,25 Prozent, während die große Mehrheit des arbeitenden Volkes in diesem Jahr überhaupt keinen Zuwachs ihrer Löhne bzw. Renten erwarten kann.

   Auf diese Art und Weise kann es einfach nicht weitergehen. Dem Ganzen wird mit einer solchen Vereinfachung, wie Sie sie hier vielleicht gut gemeint vortragen, die Krone aufgesetzt, wenn die Zuschläge für die Nacht- und Schichtarbeit besteuert werden sollen und die Pendlerpauschale abgeschafft werden soll. Gleichzeitig sagt man aber: Werdet flexibler, werdet beweglicher auf dem Arbeitsmarkt. Das alles passt nicht mehr zusammen. Aus diesem Grund lehnen wir den Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der LINKEN)

   Im Grunde genommen geht es in der entwickelten Volkswirtschaft - wie ein Ökonom, an dem sich heute viele die Schuhe abputzen, die bei weitem nicht an ihn heranreichen, nämlich John Maynard Keynes, schon vor vielen Jahren geschrieben hat - darum, dass es in einem solchen Entwicklungsstadium, in dem wir uns heute befinden, darauf ankommt, die Ersparnisse wieder in Investitionen umzulenken. Das ist das Kernerfordernis einer Volkswirtschaft, wie wir sie heute vorfinden. Gegen das Kernerfordernis, Ersparnisse in Investitionen umzulenken, verstoßen Sie massiv mit Ihren Vorschlägen.

   Es geht darum, durch eine moderne Gesetzgebung in Deutschland wieder eine ordentliche öffentliche Investitionsquote zu erreichen wie in unseren europäischen Nachbarstaaten. Wir werden in Deutschland niemals bei Wachstum und Beschäftigung zulegen, wenn wir nicht zumindest eine ähnlich hohe öffentliche Investitionsquote haben wie die europäischen Nachbarstaaten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiterer Punkt. Solange wir die Ersparnisse nicht in Bildungsinvestitionen und in Investitionen in die Forschung umlenken, werden wir unsere Volkswirtschaft nicht modernisieren können. Unsere Volkswirtschaft wird nicht durch immer neue Steuersenkungsrunden wachsen und modernisiert. Das wurde in den letzten Jahren erfolglos versucht. Wir sollten uns ein Beispiel an Volkswirtschaften nehmen, die wachsen. Das sind etwa die skandinavischen Länder. Ein solches Gesetz, wie Sie es hier vorlegen, hätte in diesen Volkswirtschaften nicht die geringste Chance.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Peter Rzepka.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Peter Rzepka (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten ja gerade das Vergnügen, den größten Finanzpolitiker aller Zeiten hier im Plenum des Deutschen Bundestages zu hören.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Leo Dautzenberg (CDU/CSU))

Sie eröffnen wieder das Gruselkabinett, Herr Kollege Lafontaine, wenn Sie in einer steuerpolitischen Debatte mit Stichworten wie Enteignung und Vermögensteuer arbeiten. Sie treiben mit dieser Argumentation Kapital und Investitionen aus Deutschland heraus und anschließend beklagen Sie sich über Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit, die Not leidenden Sozialsysteme zu reparieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir diskutieren heute über den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion. Ich denke, wir müssen bei dieser Gelegenheit einige Bemerkungen zum Ausgangspunkt machen, und zwar über die andauernden Bemühungen des Steuergesetzgebers, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Das hat das deutsche Steuerrecht letztlich widersprüchlich, unübersichtlich und ineffizient werden lassen. Schließlich ist auch die Steuergerechtigkeit auf der Strecke geblieben, weil nur diejenigen die Möglichkeiten zur Steuerminderung nutzen können, die eine teure Steuerberatung bezahlen können.

   Wir streben daher neben der für das Jahr 2008 geplanten strukturellen Reform der Unternehmensbesteuerung eine Neuformulierung auch des deutschen Einkommensteuerrechts an. Letztere hat das Ziel, die Einkommensteuer einfacher, verständlicher, effizienter und damit auch gerechter zu gestalten. Hierzu halten wir allerdings am linear-progressiven Steuertarif fest. Wir wollen die Zahl der Ausnahmetatbestände reduzieren sowie durch Typisierungen und Pauschalierungen das Besteuerungsverfahren modernisieren und Bürokratie abbauen. Die Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit bleibt allerdings für uns eine wichtige, auch verfassungsrechtlich gebotene Leitlinie steuerpolitischen Handelns.

(Beifall bei der CDU/CSU - Carl-Ludwig Thiele (FDP): Für uns auch!)

Schließlich müssen die Steueränderungen auch sozial ausgewogen realisiert werden.

   Angesichts des internationalen Steuerwettbewerbs hat für uns allerdings die Reform der Unternehmensbesteuerung Priorität. Das neue Unternehmensteuerrecht soll die Steuerbasis in Deutschland nachhaltig sichern, Investitionsanreize setzen, das Wirtschaftswachstum beleben und Arbeitsplätze schaffen. Dabei streben auch wir, wie die FDP, Rechtsform- und Finanzierungsneutralität an. Wir sind allerdings realistisch genug, zu erkennen, dass angesichts des bestehenden Konsolidierungsdrucks in allen öffentlichen Haushalten Nettoentlastungen nur insoweit zu realisieren sein werden, als die ausgelösten Wachstumsimpulse zusätzliche Steuereinnahmen bewirken.

   Die Notwendigkeit einer Reform der direkten Steuern, die die FDP-Fraktion mit ihrem vorliegenden Gesetzentwurf auf den Weg bringen will, ist also unbestritten.

   Lassen Sie mich zu einigen Details des vorliegenden Gesetzentwurfs sprechen. Sie von der FDP-Fraktion schlagen vor, dass Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Rentenversicherung sofort und in voller Höhe steuerlich abzugsfähig sein sollen. Arbeitnehmer, deren Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt, sollen weitere Beträge - und zwar bis zum Höchstbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung - in eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge mit steuerlicher Wirkung investieren können. Außerdem sollen auch Selbstständige Altersvorsorgebeiträge bis zu den Höchstbeiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung geltend machen können. Und Sie versprechen noch mehr: Sonstige Aufwendungen zur Alters- und Risikovorsorge sollen über die gesetzlichen Höchstbeiträge hinaus bis zur Höhe von 2 500 Euro zusätzlich abziehbar sein.

   Demgegenüber sollen die Renten aus diesen steuerfrei gestellten Beiträgen erst zum Zeitpunkt des Zuflusses versteuert werden. Diese Vorschläge verwirklichen zwar konsequent die Zielsetzung der nachgelagerten Besteuerung von Alterseinkünften. Da aber die steuerfreien Einzahlungen in die Rentenversicherung und die dann steuerpflichtigen Auszahlungen viele Jahre auseinander fallen können, ergeben sich für die Zwischenzeit Steuerausfälle in Milliardenhöhe, die kein Finanzminister in dieser Republik vertreten kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ortwin Runde (SPD))

   Allein die steuerliche Abziehbarkeit der Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung würde in den ersten Jahren zu jährlichen Steuerausfällen in Höhe von über 20 Milliarden Euro führen.

(Ortwin Runde (SPD): Hört! Hört!)

Wir alle kennen diese Berechnungen. Die über die Pflichtbeiträge hinausgehende Absetzbarkeit von Aufwendungen für die Altersvorsorge würde weitere Steuerausfälle in Milliardenhöhe zur Folge haben.

   Nach Ihrem Modell sollen Kapitalerträge, die nicht Ausschüttungen von Kapitalgesellschaften sind, mit einer Abgeltungsteuer von 25 Prozent belastet werden. Dieser Abgeltungsteuersatz soll dem Höchststeuersatz für unternehmerische Einkünfte bei Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften von ebenfalls 25 Prozent entsprechen. Die Probleme, die sich bei der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ergeben, sowie die verfassungsrechtlichen Bedenken sind bereits angesprochen worden.

   Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, Sie werden die Diskussion in der Öffentlichkeit darüber bestehen müssen, dass dann der Seniorpartner einer Anwalts- oder Steuerberatersozietät sein hohes Einkommen mit 25 Prozent versteuern muss, während der angestellte junge Anwalt oder Steuerberater sein Gehalt mit bis zu 35 Prozent versteuern muss. Es handelt sich damit bei der dualen Einkommensteuer in Ihrem Konzept um einen Systembruch.

   Wie Sie wissen, haben auch wir trotz der verfassungsrechtlichen Problematik vorgesehen, diese Frage vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbsdrucks zu prüfen. Wir wissen, dass viele andere Staaten Unternehmensgewinne und Kapitalerträge niedriger versteuern.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Richtig!)

Deswegen müssen wir uns über dieses Thema Gedanken machen.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Richtig!)

Wir nehmen Ihre Vorschläge deshalb auf und werden in den Beratungen die vorgezeichnete Frage eines Übergangs zu einem dualen Steuersystem, zu einer dualen Einkommensteuer noch im Detail prüfen.

   Des Weiteren möchte ich auf die im Entwurf vorgesehene Besteuerung aller Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die einer wirtschaftlichen Betätigung gedient haben, eingehen, zum Beispiel auch vermietete Immobilien und Wertpapiere. Mit der in der Begründung Ihres Entwurfs aufgenommenen Formulierung - ich zitiere -

Zur Ermittlung eines eventuellen Gewinns wird als Stichtag der Tag des Inkrafttretens des neuen Einkommensteuergesetzes eingeführt

würden Sie zwar das Problem der Rückwirkung inflationärer Scheingewinne entschärfen, aber erhebliche Bewertungsprobleme neu schaffen. Alle Wirtschaftsgüter, die einer wirtschaftlichen Betätigung dienen, müssen zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes bewertet werden. Wer weiß, dass Bewertungsfragen die am schwierigsten zu bewältigenden Aufgaben im Steuerrecht sind, wird erhebliche Bedenken gegen diesen Gesetzesvorschlag haben müssen.

   Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu der Gewinnermittlung im Unternehmensbereich machen. Für alle bilanzierenden Unternehmen soll nach Ihren Vorschlägen der Gewinn als steuerliche Bemessungsgrundlage maßgebend sein, der von dem Unternehmen auf der Grundlage des Handelsrechts ermittelt wird. Dabei sollen auch die International Accounting Standards anwendbar sein. Die steuerliche Bemessungsgrundlage würde dann von Rechnungslegungsvorschriften bestimmt, die dem Einfluss des deutschen Steuergesetzgebers entzogen sind. Ich denke, dass wir das im Deutschen Bundestag nicht beschließen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Solms möchte eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie das zu? - Bitte schön, Herr Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):

Herr Kollege Rzepka, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir uns vor dem Hintergrund dessen, dass in Europa verhandelt wird, die Rechnungslegungsvorschriften in Europa zu vereinheitlichen, keine neuen Vorschriften dafür ausgedacht haben. Wir haben gesagt, wir bleiben beim geltenden Recht und warten ab, was auf europäischer Ebene vereinbart wird. Wenn wir zu einheitlichen europäischen Bilanzierungsvorschriften kommen, dann werden diese selbstverständlich übernommen. Bis dahin neue Vorschriften zu erarbeiten, ist eigentlich müßig.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Handelsrechtliche!)

Peter Rzepka (CDU/CSU):

Herr Kollege Solms, ich stimme Ihnen völlig zu, dass wir alles versuchen sollten, um in Europa zu einheitlichen Bemessungsgrundlagen zu kommen. Ich denke aber, wir brauchen auch weiterhin eine Trennung von handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Vorschriften, die unterschiedlichen Zwecken dienen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das geht sonst gar nicht!)

Insofern werden wir uns über die steuerlichen Bemessungsgrundlagen noch detailliert Gedanken machen müssen. So einfach, wie Sie es sich in Ihrem Gesetzentwurf gemacht haben, wird es sicher nicht gehen.

   Abschließend sage ich - das ist hier in der Diskussion schon angesprochen worden -: Die Vorschläge der FDP reißen große Löcher in die Kassen der Finanzminister, die durch etwaige Einnahmeerhöhungen aufgrund der grundsätzlichen Anreizwirkung von Steuersenkungen nicht annähernd aufgehoben werden können. Die Steuerausfälle gehen nach meiner Einschätzung weit über die von Ihnen genannten Beträge von 17 bis 19 Milliarden Euro hinaus. Ich gehe von weit über 30 Milliarden Euro aus. Ich habe auf die Auswirkungen der von Ihnen vorgeschlagenen Besteuerung der Alterseinkünfte hingewiesen.

   Fazit: Der Entwurf ist notwendig, weil er die Vereinfachung unseres Steuerrechts und die Reform der Unternehmensbesteuerung auf die Tagesordnung dieses Hauses setzt. Auch wir wollen ein einfacheres Einkommensteuerrecht, eine international wettbewerbsfähige Unternehmensbesteuerung und eine Senkung der deutlich zu hohen Staatsquote. Wir wollen aber auch einen Staat, der über die Einnahmen verfügt, die erforderlich sind, um die Daseinsvorsorge für unsere Bürgerinnen und Bürger sozial ausgewogen zu gestalten.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.

Peter Rzepka (CDU/CSU):

Ich komme zum Ende.

    Ihre steuerpolitischen Konzepte mit dem Ziel der Einführung einer Flat Tax bewirken Einnahmeausfälle auf der Seite von Bund, Ländern und Kommunen, die die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand auf allen Ebenen beeinträchtigen.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Zurufe von der FDP: Kirchhof!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Kollege Bernd Scheelen für die SPD-Fraktion.

Bernd Scheelen (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Lafontaine hat gerade - wie er es gerne macht - ein flammendes Plädoyer für die Einführung einer Vermögensteuer gehalten.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): So flammend war das ja nun nicht!)

Dafür gibt es in der Bürgerschaft viel Sympathie. Auch in diesem Haus gibt es für eine Vermögensteuer sicherlich viel Sympathie.

(Dr. Hermann Otto Solms (FDP): 5 Prozent!)

Er hat allerdings den Eindruck erweckt, als wenn es nur eines Beschlusses dieses Hohen Hauses bedürfe, um eine solche einzuführen. Das ist unredlich. Das zeichnet den Populisten aus.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Er hätte darauf hinweisen müssen, dass es sich bei der Vermögensteuer um eine Ländersteuer handelt. Das heißt, das Aufkommen einer Vermögensteuer steht den Ländern - es sind bekanntermaßen 16 - zu. Dort herrschen andere Mehrheiten. Man muss sich Niederlangen nicht selbst organisieren. Man muss Realitäten, auch bei den Mehrheitsverhältnissen, zur Kenntnis nehmen.

   Zwischen dem Herbst 1998 und dem Frühjahr 1999 hat es einen Zeitkorridor gegeben, in dem Sie das als Bundesfinanzminister hätten machen können. In dieser Zeit waren die Mehrheitsverhältnisse passend. Das haben Sie aber nicht hingekriegt. Deswegen sollten Sie mit solchen Argumenten relativ vorsichtig sein.

(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Der gescheiterte Minister!)

   Wir sprechen im Moment über einen Gesetzentwurf der FDP-Fraktion. Der Titel des Gesetzentwurfs lautet: „Entwurf eines Gesetzes zur Reform der direkten Steuern“.

(Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Einkommensteuer!)

Vor zwei Jahren haben Sie unter dem Titel „Entwurf eines Gesetz zur Einführung einer neuen Einkommensteuer und zur Abschaffung der Gewerbesteuer“ ein Vorläufermodell in den Bundestag eingebracht. Damals waren Sie zumindest im Titel noch ehrlich. Insofern haben Sie hinzugelernt. Die Wörter „Abschaffung der Gewerbesteuer“ stehen nicht mehr im Titel, aber im Text. Am Inhalt hat sich also nicht viel geändert. Insofern sage ich: Alter Wein in neuen Schläuchen; denn auch mit diesem neuen Vorschlag wollen Sie die Gewerbesteuer abschaffen.

   Unter dem Stichwort „Lösung“ fordern Sie ein „neues, einfaches und verständliches Einkommensteuergesetz“. Zum Thema Verständlichkeit lese ich einen Passus aus Ihrem Entwurf vor, damit die Menschen feststellen können, ob das alles tatsächlich so verständlich ist, wie Sie glauben. § 34 lautet:

Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, ist die festgesetzte und gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch mehr unterliegende ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen, die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt.
Die auf diese ausländischen Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ist in der Weise zu ermitteln, dass die sich bei der Veranlagung des zu versteuernden Einkommens - einschließlich der ausländischen Einkünfte - nach den §§ 30 und 31 ergebende deutsche Einkommensteuer im Verhältnis dieser ausländischen Einkünfte zur Summe der Einkünfte aufgeteilt wird. Bei der Ermittlung der ausländischen Einkünfte sind die ausländischen Einkünfte nicht zu berücksichtigen, die in dem Staat, aus dem sie stammen, nach dessen Recht nicht besteuert werden.

   Ich hoffe, Sie alle haben das verstanden.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD - Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Das wurde für den Steuerberater eingebaut! - Zuruf von der FDP: Jawohl!)

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich glaube, hinsichtlich der Verständlichkeit sollten Sie noch etwas nacharbeiten.

   Neben der Forderung nach einem einfachen und verständlichen Steuerrecht fordern Sie unter dem Punkt „Lösung“, dass der normale Steuerzahler seine Steuererklärung demnächst auf einem DIN-A4-Blatt ausfüllen kann; dazu soll er nicht mehr als eine Stunde brauchen.

(Zuruf von der FDP: Frau Höll hat es geschafft!)

Einmal unabhängig von der Frage, wieso man eigentlich für das Ausfüllen einer einzigen DIN-A4-Seite eine Stunde benötigt -

(Heiterkeit bei der SPD)

das haben Sie so formuliert -, darf ich Sie darauf hinweisen, dass es sinnvoll wäre, sich einmal die Internetseite www.bundesfinanzministerium.de anzuschauen. Sie werden feststellen, dass es so ein Formular schon gibt. Es ist ein auf beiden Seiten bedrucktes Blatt. Das ist die vereinfachte Steuererklärung für den normalen Arbeitnehmer. Das Finanzministerium geht davon aus, dass das Ausfüllen dieser Steuererklärung etwa 15 Minuten dauert. Das heißt, das, was Sie vorschlagen, ist eine deutliche Verschlechterung gegenüber geltendem Recht. Schon deswegen können wir das nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Sie haben Ihre Einkommensteuererklärung lange nicht mehr ausgefüllt! 16 Seiten!)

- Oh doch!

   Es ist einfach ein Märchen, dass die Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Hause stundenlang über ihrer Steuererklärung brüte.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Der Steuerberater!)

Das ist nicht der Fall. Mit dieser vereinfachten Form wird die Mehrzahl der Fälle erfasst. Insofern ist in den letzten Jahren schon eine Menge mit Blick auf Vereinfachung geschehen.

   Jetzt komme ich zum Punkt Abschaffung der Gewerbesteuer, den Sie aus dem Titel des Gesetzentwurfs gestrichen haben. Sie begründen die von Ihnen vorgeschlagene Abschaffung der Gewerbesteuer damit, dass die Gewerbesteuer in Deutschland international gesehen einmalig sei, dass es sie nirgendwo anders gebe, dass sie eine Zusatzbelastung der deutschen Wirtschaft sei und den Export belaste, den Import aber nicht. Einmal abgesehen davon, dass wir Exportweltmeister sind, kann es so ganz dramatisch mit der Gewerbesteuer nicht sein. Es stimmt aber auch nicht, dass es in anderen Ländern keine vergleichbaren Steuern gibt. Die heißen teilweise sogar Gewerbesteuer.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Österreich zum Beispiel!)
Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele: In Luxemburg heißt sie Gewerbesteuer. In Österreich gibt es eine Gewerbesteuer, die sich an der Lohnsumme orientiert.
(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lohnsummensteuer!)

Die haben wir in Deutschland bereits vor 30 Jahren abgeschafft.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): So lange ist das noch nicht her!)

- Doch, das war 1971. - In Frankreich gibt es die „taxe professionelle; das ist eine Wertschöpfungsteuer. In Japan gibt es die Enterprise Tax, in den USA die Franchise Tax und in Kanada gibt es - hören Sie einmal gut zu - die Gewerbekapitalsteuer. Die haben wir, glaube ich, 1998 oder 1999 abgeschafft.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): 1998!)

Die Lohnsummensteuer haben wir, wie ich bereits sagte, vor 30 Jahren abgeschafft. Wenn Sie sich die Namen dieser Länder ansehen, dann stellen Sie fest, dass das viele sind - gerade die USA, Kanada und Japan -, die mit uns auf den Weltmärkten im Export konkurrieren. So dramatisch ist die Situation offensichtlich nicht. Dieses Argument würde ich an Ihrer Stelle in Zukunft nicht mehr verwenden.

   Das eigentliche Problem im internationalen Vergleich ist - dazu haben Sie eine Menge beigetragen -, dass Sie zu unseren, wie ich finde, relativ moderaten Unternehmensteuersätzen - mit einer Körperschaftsteuer von 25 Prozent sind wir international durchaus konkurrenzfähig - immer die Gewerbesteuer mit 13 Prozent dazurechnen.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Das muss man ja!)

- Das ist ja auch in Ordnung. Es wäre aber noch mehr in Ordnung, wenn man bei den anderen Ländern die kommunalen Steuern dazurechnen und dann den Vergleich machen würde. Das machen Sie nicht. Das ist unredlich und unverantwortlich. Damit schädigen Sie den Standort Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Abschaffung der Gewerbesteuer - das muss man einmal in Zahlen ausdrücken - betrifft ein Aufkommensvolumen für die Gemeinden von netto etwa 25 Milliarden Euro. Die Zahlen für 2005 liegen vor. Die Gewerbesteuer beträgt brutto etwa 31 Milliarden Euro. 6 Milliarden Euro gehen an Bund und Länder in Form von Umlagen. Es verbleiben etwa 25 Milliarden Euro. Die wollen Sie den Gemeinden erst einmal wegnehmen.

   Dann sagen Sie: Natürlich brauchen sie einen Ersatz. Das ist logisch; das kann man den Kommunen nicht ersatzlos wegnehmen. Aber die Frage ist: Wie sieht der Ersatz, den Sie vorschlagen, aus? Sie wollen ein Zwei-Säulen-Modell: Zuschlagsrechte auf Einkommensteuer und auf Körperschaftsteuer sowie Eigenbeteiligung an der Umsatzsteuer.

   Bei der Einkommensteuer gibt es ein Problem; denn von den Einnahmen aus dieser Steuer erhalten die Gemeinden bereits einen Anteil von 15 Prozent. Das entspricht zurzeit einem Betrag von 22 Milliarden Euro. Nach Ihrem Konzept wäre es schon außergewöhnlich schwierig, diese Einnahmen der Gemeinden in Höhe von 22 Milliarden Euro überhaupt zu erhalten; denn Sie wollen die Einkommensteuersätze senken. Dennoch gehe ich davon aus, dass das eventuell gelingen könnte, wenn nämlich die Kommunen sehr hohe Zuschläge erheben würden. Aber selbst dann bliebe bei Abschaffung der Gewerbesteuer immer noch ein Loch von 25 Milliarden Euro.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, genau!)

   Es bleibt also nur noch die Umsatzsteuer übrig. Den Anteil, der den Gemeinden aus den Einnahmen aus dieser Steuer zufließt, wollen Sie um 9,8 Prozent erhöhen. Das würde 14 Milliarden Euro einbringen. Es bliebe also immer noch eine Differenz von 11 Milliarden Euro übrig, die Sie mithilfe der Körperschaftsteuer ausgleichen müssten. Sie müssen mir einmal erklären, wie das gehen soll.

   Ihren Vorstellungen zufolge sollen sich die Zuschläge für die Gemeinden in einer Größenordnung von 2 bis 4 Prozentpunkten bewegen. Damit die Belastung aus dieser Steuer in Deutschland nicht, wie es mittlerweile der Fall ist, bei 38 Prozent, sondern unter 30 Prozent liegt, wollen Sie einen Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent einführen, ergänzt durch Zuschläge für die Kommunen in Höhe von 2 bis 4 Prozentpunkten. Dann würde die Belastung aus dieser Steuer 27 bis 29 Prozent betragen. Das führt allerdings gerade einmal zu Einnahmen von 2 bis 4 Milliarden Euro, sodass nach wie vor ein Loch von 7 und 9 Milliarden Euro vorhanden wäre. Sie sagen nicht, wie Sie dieses Loch schließen wollen; das können Sie auch gar nicht.

   Berücksichtigt man, dass Sie die Steuersätze insgesamt senken wollen, ist diese Rechnung - ein Minus von 7 bis 9 Milliarden Euro - sogar sehr konservativ und zu Ihren Gunsten ausgelegt. Vermutlich müssten die Kommunen nach Ihrem Gesetzentwurf sogar auf 15 bis 20 Milliarden Euro verzichten. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Frage, wie man optisch niedrigere Steuersätze erreichen kann, haben wir Ihnen vor drei Jahren beantwortet. Damals hat die zuständige Kommission das Modell vorgeschlagen, die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer zu verbreitern und die Steuersätze um 40 Prozent zu senken; darüber könnte man erneut nachdenken. Auf diese Weise sind optisch deutlich niedrigere Steuersätze zu erzielen. Sie geben ja selbst zu, dass Deutschland, was die Steuerbelastung angeht, im internationalen Vergleich gar nicht schlecht dasteht. Das Problem sind die optisch hohen Steuersätze. Dieses Problem lässt sich allerdings auch anders lösen, als Sie es in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen.

   Wenn es um die Abschaffung der Gewerbesteuer geht, bin ich ganz an der Seite meines Finanzministers, der im Januar dieses Jahres im Finanzausschuss gesagt hat: Wir sind offen für alle Modelle, die die Gewerbesteuer ersetzen können; allerdings müssen sie mindestens genauso gut wie die Gewerbesteuer sein. Er fügte hinzu, dass ihm derzeit kein Modell bekannt sei, das diese Voraussetzung erfülle: weder das der Stiftung Marktwirtschaft noch das des Sachverständigenrates noch der Gesetzentwurf der FDP. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Vielleicht arbeiten Sie noch an Ihrem Modell und verbessern es. Dann können wir wieder darüber reden.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Damit schließe ich die Aussprache.

   Zwischen den Fraktionen ist die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/679 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die in der Tagesordnung aufgeführt sind. Abweichend von der Tagesordnung soll die Vorlage an den Haushaltsausschuss ausschließlich gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung überwiesen werden. - Dazu gibt es offensichtlich keine anderweitigen Vorschläge und Sie sind einverstanden.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 c sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 g auf:

24. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. Dezember 2004 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zu dem Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen

- Drucksache 16/914 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. März 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Jemen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Luftfahrtunternehmen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen

- Drucksache 16/915 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Bereinigung des Lastenausgleichsrechts

- Drucksachen 16/916, 16/955 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

ZP 2 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes und des Telekommunikationsgesetzes

- Drucksache 16/521 -

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Luftaufsicht und die Luftfahrtdateien

- Drucksache 16/958 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Tourismus

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Jugendstrafvollzug verfassungsfest gestalten

- Drucksache 16/851 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Zwischenbilanz für Integrationskurse des Jahres 2005 vorlegen

- Drucksache 16/940 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Mit der strategischen Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika Ernst machen und deutsches Engagement ausbauen

- Drucksache 16/941 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Innovationspakt 2020 für Forschung und Lehre in Deutschland - Kooperationen zwischen Bund und Ländern weiter ermöglichen

- Drucksache 16/954 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Ein einheitliches Umweltrecht schaffen - Kompetenzwirrwarr vermeiden

- Drucksache 16/927 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Rechtsausschuss

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Ich komme zunächst zu den Tagesordnungspunkten 24 a bis 24 c sowie zu den Zusatzpunkten 2 a bis 2 f. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Zusatzpunkt 2 g. Die Vorlage auf Drucksache 16/927 soll ebenfalls an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden, jedoch ist die Federführung strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung des Rechtsausschusses, die Fraktion Die Linke wünscht die Federführung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

   Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen, die Federführung dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu übertragen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der großen Koalition gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.

   Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen, die Federführung dem Rechtsausschuss zu übertragen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist mit den Stimmen der großen Koalition gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion beschlossen, die Federführung dem Rechtsausschuss zu übertragen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 j auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen hier keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 25 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 21. Mai 2003 über die strategische Umweltprüfung zum Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Vertragsgesetz zum SEA-Protokoll)

- Drucksache 16/341 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)

- Drucksache 16/899 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Horst Meierhofer
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl

   Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 b:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes

- Drucksache 16/645 -

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)

- Drucksache 16/897 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Gustav Herzog
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

   Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf so zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf bei den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung

Zweiundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung

- Drucksachen 16/361, 16/480 Nr. 2.1, 16/746 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt

   Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 16/361 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung

Einhundertzweiundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste

- Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -

- Drucksachen 16/362, 16/480 Nr. 2.2, 16/747 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp

   Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 16/362 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung

Verordnung zur Umsetzung der Ratsentscheidung vom 19. Dezember 2002 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren für die Annahme von Abfällen auf Abfalldeponien

- Drucksachen 16/573, 16/612 Nr. 2.1, 16/921 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl

   Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 16/573 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung

Erste Verordnung zur Änderung der Zweiundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft)

- Drucksachen 16/574, 16/612 Nr. 2.2, 16/959 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Detlef Müller (Chemnitz)
Michael Kauch
Lutz Heilmann
Sylvia Kotting-Uhl

   Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 16/574 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen.

   Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

   Tagesordnungspunkt 25 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 21 zu Petitionen

- Drucksache 16/828 -

   Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 22 zu Petitionen

- Drucksache 16/829 -

   Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 22 ist bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 23 zu Petitionen

- Drucksache 16/830 -

   Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Tagesordnungspunkt 25 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 24 zu Petitionen

- Drucksache 16/831 -

   Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht bei Gegenstimmen aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Linken angenommen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 25. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 17. März 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16025
Seitenanfang
Druckversion