Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 45 / 07.11.2005
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Britta Schellenberg

Kaum Visionen für eine gemeinsame Zukunft

Die Rechten sind auf dem Weg in eine "Nation Europa"

Die Vernetzungsversuche der Rechtsextremen in Europa haben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ständig zugenommen. Schon Ende der 40er-Jahre entwickelte etwa der britische Faschistenführer Sir Oswald Mosley die Ideologie einer "Nation Europa". Sein Ziel: Der Aufstieg Europas zur dritten Weltmacht.

Heute gibt es Verbindungen der extremen Rechten sowohl zwischen den verschiedenen Strömungen, etwa zwischen Rechtsextremen, Rechtspopulisten und Völkischen, als auch auf räumlicher, also überregionaler Ebene. Bedeutsam sind auch die vielen Zeitschriften und Verlage, die rechtsextremen Autoren verschiedener Länder als Sprachrohr dienen, oder das Internet: Durch E-mail und virtuelle Diskussionsforen können die Rechten Kontakte knüpfen. Die extreme Rechte profitiert von dieser "Internationalisierung", sowohl inhaltlich als auch logistisch. Für die Vielfalt der Anknüpfungspunkte der Rechtsextremen in Europa steht der durch seine zentrale Lage begünstigte belgische Vlaams Blok (VB): Während er eine breite Basis im flämischen Belgien besitzt, pflegt er auch Kontakte zu rechtsextremen Parteien und militanten Gruppierungen in Europa und bot auch schon mal straffällig gewordenen Gesinnungsgenossen aus dem europäischen Ausland Unterschlupf. Zudem greift er rechtsextremen Parteien in den Nachbarländern gelegentlich finanziell unter die Arme.

Eine umfangreiche Untersuchung der rechtsextremen Unterstützungsstrukturen und damit der Finanzierungswege des Rechtsextremismus in Europa liegt bislang nicht vor. Einschätzungen zu den Finanzierungsquellen des Rechtsextremismus etwa vom Jahr 2000 für Nordrhein-Westfalen zeigen allerdings, dass neben Umsätzen und Gewinnen von Presse, Verlagen, Vertriebsdiensten vor allem Personenspenden und internationale Geldflüsse zu Buche schlagen.

Doch die Vernetzung der Rechten geht noch weiter: Legalistisch und parteiförmig manifestiert sie sich seit 1984 auf europäischer Ebene, wo unter dem Vorsitz von Jean-Marie Le Pen vom französischen Front National (FN) nach der Wahl zum Europäischen Parlament die Fraktion der europäischen Rechten gebildet wurde. Ihr gehörten zehn Abgeordnete des Front National, fünf des Movimento Sociale Italiano (MSI), ein griechischer Rechtsextremist und ein Abgeordneter der nordirischen Ulster Unionist Party an. Bereits nach den Europawahlen 1989 wurde erneut ein Bündnis geschlossen: die Technische Fraktion der europäischen Rechten. Neben dem FN, der wieder mit zehn Abgeordneten vertreten war, gehörten ihr jetzt die Republikaner (REP) mit sechs und der belgische Vlaams Blok mit einem Abgeordneten der rechten Fraktion an. Der MSI ließ sich diesmal nicht auf eine rechte Fraktion ein, da er den Führungsanspruch Le Pens ablehnte. Die Fraktion verfing sich aber auch ohne MSI in unlösbare Streitfragen: Zum einen prallten nationale Ansichten aufeinander. Zum anderen schworen der völkisch orientierte Vlaams Blok und die REP auf Regionalismus, während der Front National etatistisch und zentralistisch argumentierte. Mit der Europawahl 1994 gewannen die rechtsextremen Parteien deutlich dazu - abgesehen von den REP, die sich vor allem durch interne Streitigkeiten diskreditiert hatten. Eine erneute Fraktionsbildung kam aber trotz gewaltiger Stimmengewinne nicht zustande.

Bei den Europawahlen 2004 konnten rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien Zugewinne verbuchen: Der fremdenfeindliche Vlams Blok gewann zu seinen bisherigen zwei Sitzen einen weiteren hinzu. Auch Jean-Marie Le Pens Front National konnte wieder punkten: Von 5,5 Prozent bei der Europawahl 1999 kam er jetzt auf 9,8 Prozent. In Italien wurden Andrea Mussolini von der faschistischen Alternativa Nazionale und ein Kandidat der ebenfalls faschistischen Fiamma Tricolore in das Europaparlament gewählt, die Alleanza Nazionale schickte neun italienische Abgeordnete. In Griechenland erhielt die antisemitische Partei LAOS einen Sitz. Ebenfalls ein Anstieg war in Dänemark zu verzeichnen: Die fremdenfeindlichen Populisten der Dänischen Volkspartei verbesserten sich von 5,8 Prozent auf 6,8 Prozent. In Großbritannien erhielt die nur teilweise zu den EU-Rechten zuzuordnende Anti-EU Partei, die United Kingdom Independence Party (UKIP), mit 16,1 Prozent sogar 12 Sitze. Osteuropäische Länder wählten 2004 erstmals ihre Kandidaten für das Europaparlament. Darunter waren in Polen die antisemitische Liga der polnischen Familien, die zehn Sitze gewann und die ultrarechte Partei Samoobrona, die mit nunmehr sieben Sitzen im Europaparlament vertreten ist. Auch in Lettland, Slowenien und der Slowakei gewannen rechtspopulistische Parteien insgesamt sechs Sitze. Nur die FPÖ (Österreich) verlor bei dieser Wahl und ist jetzt nur noch mit einem statt wie bisher vier Abgeordneten im Europaparlament vertreten.

Infolge der Wahlen kam es wieder zu einer Fraktionsbildung, in die sich rechtspopulistische Parteien integrierten: so die Dänische Volkspartei und die Alleanza Nazionale. Sie formen im Europaparlament mit anderen, schwer einzuordnenden Parteien - wie der irischen Fianna Fáil - die Fraktion der Union for a Europe of Nations (UEN). Die UEN beherbergt einen Teil der in Entwicklung befindlichen Parteienfamilie des Rechtspopulismus. Dennoch: Die meisten rechtsextremen oder -populistischen Parteien partizipieren nicht in der UEN - vielfach, weil sie von den anderen als zu extremistisch empfunden werden. Damit ist die Mehrheit der rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien im europäischen Parlament fraktionslos. Überlegungen zu einer umfassenden Fraktionsbildung der Euro-Rechten existieren allerdings weiterhin. Einige rechte Europaabgeordnete entwerfen bereits die Vision einer gemeinsamen EU-übergreifenden Kandidatur der Euro-Rechten -- nachdem das schon aus rechtlichen Gründen 2004 nicht möglich war, ist diese das neue Ziel für die Wahl 2009.

Noch nie zuvor zogen rechtsextreme und populistische Parteien so zahlreich ins Europäische Parlament ein wie im Jahre 2004. In Bezug auf ihre Entstehung, die Dauer ihres Bestehens, die Organisationsstärke, den Zuspruch der Bevölkerung und ihre ideologische Ausdifferenzierung sind sie allerdings sehr verschieden. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: Wenn es um die Bezüge der Rechtsextremen und Rechtspopulisten zu Europa geht, ist beispielsweise eine deutliche Europa-Skepsis zu beobachten, die aber eher als Ablehnung des Charakters der EU zu verstehen ist, denn als prinzipielle Ablehnung einer übergeordneten Idee "Europa". Betrachtet man die Verwendung des Begriffs bei Rechtsextremen und Rechtspopulisten, wird erkennbar, dass beinahe sämtliche Fraktionen Europa als Kampfbegriff benutzen - als etwas, das bewahrt, verteidigt oder zurückerobert werden muss: Weitgehende Einigkeit besteht in den fremdenfeindlichen und vielfach auch antisemitischen Ressentiments. So wollen alle Parteien und Gruppierungen außereuropäische Zuwanderung verhindern. Dabei rufen die einen zur Verteidigung des "christlichen Abendlandes" auf (etwa die Dänische Volkspartei oder die Liga der polnischen Familien). Andere fordern zum kontinentalen Unabhängigkeitskampf gegen die "raumfremde" Macht USA und die im Westen verorteten Ideen der bürgerlichen Revolution auf. Wieder andere wollen den europäischen Übermenschen oder die "weiße Rasse" aus den Fesseln des angeblich uneuropäischen "Judäo-Christentums" befreien - vor allem militante Neonazi-Gruppierungen.

Obwohl die Vernetzungsbestrebungen der Rechts- extremen in Europa zunehmen, kann man bislang jedoch keineswegs von einem europäischen Rechtsextremismus im Sinne eines politischen Akteurs sprechen. Hinter bestehenden multilateralen Verbindungen ist eine alles überragende, alles vereinende Bewegung nicht zu erkennen. Es kann nicht von einem starken Institutionalisierungsgrad der geeinten Rechten gesprochen werden. Versuche, eine Europäische Rechte zu etablieren sind trotz vorhandener Bemühungen bislang gescheitert. Verantwortlich für dieses bis heute andauernde Versagen sind ideologische Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien, nationalistische Sonderinteressen, divergierende Bündnisstrategien und persönliche Egoismen der verschiedenen Partei-Führer. Recht unbeschwert von solchen Problemen ist derzeit nur der (militante) Neonazismus, der originär am Konzept der "weißen Rasse" festhält und nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, Kanada und Australien tatsächlich gemeinsam gegen die "Feinde aller weißen Völker" kämpft.

Ob die Einigungsversuche der europäischen Rechten in Zukunft gelingen, dürfte von verschiedenen Faktoren abhängen: Zum einen ist auf der personellen Ebene fraglich, wer oder welche Gruppierung die Rolle eines Koordinators und Motors übernehmen kann. Zum anderen wird ein Einigungserfolg auch davon abhängen, ob die rechtspopulistischen Parteien ihre Abgrenzung gegenüber den heute als rechtsextrem geltenden Parteien aufgeben. Zum dritten stellt sich die Frage, wie sich die ideologischen Konkurrenzen zwischen etatistisch-nationalstaatlichen und völkisch-regionalistischen Konzepten entwickeln.

Insofern gilt es für die Zukunft gerade in Hinblick auf eine kohärente Ideologie der europäischen Rechten den Blick zu schärfen: Eine dauerhafte institutionelle Kooperation durch Parteien oder die Herausbildung einer europäischen Dachorganisation ist keineswegs eine notwendige Voraussetzung für die Formierung einer einheitlichen, integrativen Ideologie der "Euro-Rechten".

Eine Kooperation, so stellten die Wissenschaftler Samuel Salzborn und Heribert Schiedel unlängst fest, kann auch den umgekehrten Weg gehen: Eine konkrete politische Zusammenarbeit kann statt Voraussetzung für die Herausbildung einer gemeinsamen Ideologie auch deren Folge sein.


Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für angewandte Politikforschung (C.A.P.) in München.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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