Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 45 / 07.11.2005
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Stefan Braun

Wenige Täter verüben viele Taten

Der Verfassungsschutz bemüht sich um Strategien gegen den Extremismus

"Bekämpft den wahren Feind, er ist ja wohl bekannt. Kämpft für euer Blut, eures Volkes Fortbestand. Vernichtet diesen Virus, der unser Volk befiel. Die Reinheit zu bewahren, das ist unser Ziel." So lautet eine Strophe des Titels "Gefangen im System" der rechtsextremistischen Musikgruppe "Spreegeschwader". Die gesamte CD wurde von der Bundesprüfstelle 2003 auf den Index gesetzt, da sie die Rassenlehre propagiere, verrohend wirke und zu Gewalt aufrufe. Die Begründung führt die Gefahren vor Augen, die gerade für Jugendliche von rechtsextremistischer Musik ausgeht.

Für das Bundesamt für Verfassungsschutz "wirkt Musik als Einstiegsdroge", der Vertreter einer Landesbehörde ergänzt, "dass der Einstieg in die Szene zumeist aufgrund vorheriger persönlicher Kontakte erfolgt". Dass Musik attraktiv wirken und den ersten Kontakt zur gewaltbereiten Szene herstellen kann, haben Rechtsextremisten bereits selbst erkannt. So versuchten sie 2004 im Rahmen ihres "Projekts Schulhof" bundesweit kostenlose CDs an Jugendliche zu verteilen. Im Intro wurden plakativ politische Ziele umrissen: Es vermittelte die bekannten Feindbilder und äußerte sich ablehnend zum demokratischen System. Zudem wurden geschickt angebliche Werte der eigenen Szene dargelegt: "In unseren Reihen sind Freundschaft, Zusammenhalt, Kameradschaft und Gemeinschaft nicht bloß leere Worte. Wir leben, fühlen und handeln danach."

Mit dem Zusammenschnitt von Musik verschiedener Rechtsrockgruppen und politischen Botschaften gelang es, auf der CD ideologische Indoktrination mit Unterhaltung und Erlebnisofferten zu verbinden. Damit stellte sie eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar, die in der Rekrutierungsabsicht der rechtsextremistischen Szene lag. Deren Mittel der Auseinandersetzung mit dem demokratischen Verfassungsstaat reichen von einer anpassenden Legalitätstaktik auf der einen über rudimentäre Theorie- und Bildungsarbeit bis zum offen gewaltbereiten Rechtsextremismus auf der anderen Seite. Mit dem strategischen "Drei-Säulen-Konzept" der NPD ausgedrückt, geht es um den "Kampf um die Parlamente", den "Kampf um die Köpfe" und den "Kampf um die Straße". Gerade für den letzten Bereich eignen sich anpolitisierte, erlebnisorientierte und formbare Jugendliche in besonderer Weise: So sind in Berlin 93 Prozent der tatverdächtigen gewaltbereiten Rechtsextremisten männlich; über die Hälfte zwischen 15 und 20 Jahre alt, weitere 19 Prozent bis 24 Jahre alt. Die Gefahr, die vom aktionsorientierten Rechtsextremismus ausgeht, ist besonders groß, weil Jugendliche von älteren Gesinnungsgenossen sukzessive an das Gedankengut herangeführt werden, ohne sich der Tragweite immer bewusst zu sein. "Die Zugehörigkeit wird durch subkulturelle Codes und Symbole ausgedrückt. Daher spielen Marken, Moden und Musikgeschmack eine so große Rolle in der Szene. Sie dienen der Abgrenzung nach außen und dem Zusammenhalt nach innen", so der Brandenburger Verfassungsschutz. Aus diesem Grunde rief er alle Bürger, insbesondere Jugendliche und Lehrer zu einer Umtauschaktion von CDs mit rechtsextremistischen Inhalten, etwa die durch die NPD vertriebe Schulhof-CD, auf. Als Ersatz bietet die Behörde "Musik gegen Rechts" an, einen Sampler, an dem unter anderem Max Herre, Jeanette Biedermann, Silbermond und die Söhne Mannheims mitwirkten.

Mit Blick auf den gewaltbereiten Rechtsextremismus werden im Folgenden zwei Bundesländer einander gegenüber gestellt, deren Zahlen an rechtsextremistischen Potenzialen und Straftaten sich stark unterscheiden: Brandenburg und Rheinland-Pfalz. So können sowohl Entwicklungen als auch Strategien der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus dargestellt werden.

Für den Leiter der Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz, Rainer Kuhn, ist es selbstverständlich, dass der Verfassungsschutz eine "offensive, Zielgruppen orientierte Öffentlichkeitsarbeit unter dem Motto 'Prävention durch Information' betreibt. In diesem Sinne werden vor allem für junge Menschen Informations- und Diskussionsveranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus angeboten. Je nach Anlass werden Einrichtungen im Lande vorab informiert. Dies war beispielsweise im Zusammenhang mit der Schulhof-CD der Fall; über diesen Sachverhalt wurden alle Schulen in Rheinland-Pfalz in Kenntnis gesetzt." Bundesinnenminister Otto Schily erklärte bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2004 im Mai dieses Jahres, es sei "nicht allein die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, der Einflussnahme von rechtsextremistischen Aktivisten auf Kinder und Jugendliche entgegenzutreten. Junge Menschen laufen keine Gefahr, in die rechtsextremistische Szene abzudriften, wenn sie rechtzeitig lernen, die Werte der Demokratie und unseres Grundgesetzes zu verstehen und für diese einzutreten. Die Bundesregierung unterstützt daher bürgerschaftliches Engagement, beispielsweise durch das 'Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt'".

Die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und diversen Einrichtungen in Rheinland-Pfalz wird ergänzt durch die enge Kooperation zwischen Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsbehörden. Sie trägt Früchte, so nimmt das Bundesland in puncto Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund mit 0,42 je 100.000 Einwohner den viertletzten Platz im Bundesvergleich ein. Auch das "gewaltbereite rechtsextremistische Potenzial" ist, so Kuhn, "seit mehreren Jahren konstant und umfasst 100 Personen, je zur Hälfte rechtsextremistische Skinheads und Neonazis".

Zunehmendes Ost-West-Gefälle

Die Situation in Brandenburg unterscheidet sich diametral von der in Südwestdeutschland. Mit 4,06 Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund liegt Brandenburg 2004 nicht nur mit weitem Abstand an der Spitze der Gewaltstatistik, es gehört auch zu den sechs Bundesländern, in denen die Zahl der Gewalttaten gegenüber 2003 stieg - sie nahm von 87 auf 105 zu. Steffen Kailitz von der Universität Chemnitz führt aus, dass "Anfang der 90er-Jahre kein Ost-West-Gefälle, sondern ein Nord-Süd-Gefälle feststellbar war. Ab Mitte der 90er-Jahre zeigten sich demgegenüber deutliche Unterschiede zwischen den östlichen und den westlichen Bundesländern." Während sich die östlichen Bundesländer in den Jahren 2003 mit 2,04 und 2004 mit 2,1 rechtsextremistischen Gewalttaten je 100.000 Einwohnern - bei unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Ländern - insgesamt recht stabil hielten, gaben die Zahlen im Westen von 1,2 2003 auf 1,08 im vergangenen Jahr nach.

Für Brandenburg sind nicht nur die jährlich im November stattfindenden Demonstrationen in Potsdam und Halbe ein großes Problem. Für Brandenburg sind darüber hinaus die zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und der linksextremistisch beeinflussten Antifa-Szene ein weiteres Problem. Nicht nur die gewalttätigen Übergriffe von rechten auf linke Extremisten haben im laufenden Jahr zugenommen, auch die Qualität linksextremistischer Gewalt gegenüber Rechtsextremisten veränderte sich: Folgen einer Gewaltspirale, die aus einer verstärkten Anti-Antifa-Arbeit der Rechtsextremisten resultiert.

So wurden zwei Angehörigen der linken Szene von gewaltbereiten Rechtsextremisten im Juli 2005 in Potsdam gefährlich verletzt. Beide waren den Tätern durch Anti-Antifa-Aktivitäten bekannt, als sie eine Tram anhielten und die Opfer aus einer Gruppe heraus angriffen - ein Vorgehen, das für gewaltbereite Rechtsextremisten typisch ist. Denn anders als deren markige Propaganda glauben machen will, wird zumeist kein Kampf Mann gegen Mann geführt. Vielmehr agieren 67 Prozent der rechtsextremen Gewalttäter aus der Gruppe heraus - dies ist ein Ergebnis der aktuellen Studie "Rechte Gewalt in Berlin", die Gewalttaten zwischen 1998 und 2003 analysiert. Zugleich lässt der Vorfall einen Blick auf die Typen der Tatbegehung zu: Während im gewaltbereiten Rechtsextremismus die spontane Tatbegehung überwiegt, kommt es vereinzelt zu strategischen Planungen. In Potsdam handelte es sich um eine Mischform insofern, als aufgrund der Ant-Antifa-Recherche die Opfer den Tätern bereits bekannt waren, die Tat selbst jedoch spontan begangen wurde.

Unter der Bezeichnung "Freikorps Havelland" hatte eine Gruppe von zwölf 15- bis 20-Jährigen 2004 sieben Brandanschläge auf türkische und asiatische Lokale verübt. Ihr Ziel war laut Anklageschrift, die Inhaber in einer Weise einzuschüchtern, dass sie ihre Geschäfte aufgäben. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat sie wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu teils mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

Ebenfalls wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung und Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffrecht hat das Bayerische Oberste Landesgericht im Mai den Anführer Martin Wiese und drei weitere Mitglieder der rechtsextremistischen "Kameradschaft Süd" verurteilt. Sie wurden für schuldig befunden, einen Anschlag auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums in München geplant zu haben. In seiner Stellungnahme führte Innenminister Schily aus: "Einige aktuelle Urteile sind geeignet, der Szene deutlich vor Augen zu führen, dass rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten in Deutschland nachhaltig verfolgt und geahndet werden."

Wenn Urteile wie diese auch das Maß an Gewaltbereitschaft innerhalb des Rechtsextremismus offensichtlich werden lassen, kann gegenwärtig doch nicht von rechtsextremistischem Terrorismus in Deutschland gesprochen werden. Zwar stellen auch gewalttätige Einzeltäter ein hohes Risiko für die innere Sicherheit dar, doch fehlen wichtige Komponenten für die Etablierung terroristischer Strukturen: Zum einen führen Verfolgungsdruck und Verbotsmaßnahmen zur Verunsicherung, zum anderen existiert weder eine breite Akzeptanz noch ein notwendiges Unterstützerumfeld für einen aus der Illegalität heraus geführten Kampf gegen den Staat. Ganz im Gegenteil, Gewalt gilt im Rechtsextremismus allgemein als kein strategisches Mittel. Gerade Parteien wie NPD und DVU achten seit ihren Wahlerfolgen peinlich genau auf eine 'friedfertige' Außendarstellung, da sie sich der negativen Publizität durch gewalttätige Ausschreitungen durchaus bewusst sind.

Doch auch Rheinland-Pfalz ist gegenüber Brandenburg keine Insel der Glückseligen. Zwar sind dem Verfassungsschutz gegenwärtig keine Wehrsportgruppen bekannt und die Anti-Antifa-Aktivitäten haben laut Kuhn in den letzten Jahren nicht nennenswert zugenommen, dennoch stellen auch hier Fremde und politisch anders Denkende den Hauptteil innerhalb der Opfergruppe rechtsextremistischer Gewalt. Dieser Befund deckt sich mit Berliner Ergebnissen, nach denen fremdenfeindliche Gewalt in 63 Prozent der Ausschreitungen vorliegt, gefolgt von Gewalt gegen Linke mit 21 Prozent und gegen den Staat mit zehn Prozent. Der Befund überrascht einerseits insofern, als die rechtsextreme Klientel oft darum bemüht ist, ihre Staatstreue zu demonstrieren. Andererseits sind antisemitische Tatbezüge nur in drei Prozent der untersuchten Übergriffe nachweisbar. "Vornehmlich in den Regionen Westerwald, Vorder- und Westpfalz treten die gewaltbereiten Rechtsextremisten in Erscheinung", führt Kuhn aus. Damit zählen strukturell schwache Landstriche ebenso dazu wie die Industriehochburgen der Vorderpfalz, die von Arbeitslosigkeit und Umstrukturierung betroffen sind.

Mit der aktuellen Studie "Rechte Gewalt in Berlin" hat die dortige Landesbehörde für Verfassungsschutz jene 336 Delikte, die durch den Staatsschutz als politisch motivierte Gewaltkriminalität von Rechts kategorisiert wurden, analysiert. Die Ergebnisse bestätigen überwiegend die Vorgängerstudien, zeigen aber auch Veränderungen, gerade was Schulabschlüsse, die Zahl der Teilnehmer bei gewalttätigen Ausschreitungen aus Gruppen heraus sowie der Zunahme der allgemeinkriminellen als auch politisch motivierten Delinquenz der Täter anbelangt. Insgesamt ist auffällig, dass 80 Prozent der rechten Gewalttaten einfache und gefährliche Körperverletzungen waren, die in 76 Prozent ohne Waffen, aber in über 60 Prozent aus einer Gruppe heraus begangen wurden. 57 Prozent der Übergriffe erfolgten im öffentlichen Straßenland und 22 Prozent im Umfeld von Bahnanlagen. Sie wurden in über der Hälfte der untersuchten Fälle im Umkreis von weniger als fünf Kilometern zur Wohnadresse der Rechtsextremisten verübt.

Besorgnis erregend im Hinblick auf die Rekrutierungsbemühungen von Rechtsextremisten ist der Umstand, dass nur fünf Prozent der gewaltbereiten Rechtsextremisten ideologisch gefestigt sind, wohingegen 35 Prozent eher als anpolitisierte Polithooligans zu bezeichnen sind. Insofern verwundert es wenig, dass nur bei 21 Prozent der untersuchten Tatverdächtigen keine Vorkenntnisse bezüglich allgemeinkrimineller Delikte vorliegen. Durch den Vergleich der geographischen Räume rechter Gewalt mit denen mit einem hohen Wahlergebnis für rechtsextremistische Parteien ergibt sich eine auffällige Überschneidung. "Dort, wo die rechten Gewalttaten begangen werden, erreichte die NPD die höchsten Wahlergebnisse und befinden sich die meisten Treff- und Wohnorte von aktionsorientierten Rechtsextremisten."

Die Studie bietet eine Grundlage zur weiteren sozialwissenschaftlichen Erforschung des gewaltbereiten Rechtsextremismus und hält Möglichkeiten der konstruktiven Auseinandersetzung mit diesem Phänomen bereit. Auch wenn gegenwärtig keine terroristischen Strukturen bekannt sind und die Zahl der Angehörigen innerhalb der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene leicht rückläufig ist, steigt die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten an. Lag sie 2003 noch bei 10.792, stieg sie im Folgejahr auf 12.051. Bis August 2005 registrierten die Landeskriminalämter 6605 Delikte, 353 davon sind Gewalttaten. Das bedeutet, dass die Zahl der Straftaten auf einem hohen Niveau bleiben und die Zahl der Gewalttaten trotz eines Rück-gangs der Szeneangehörigen steigen wird.

Kurz: Eine kleinere Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten verübt eine größere Zahl an Gewalttaten. Dieses Ergebnis bedeutet jedoch auch, dass die Rekrutierungsmaßnahmen der aktionsorientierten rechtsextremistischen Szene nicht zwangsläufig in die Gewaltbereitschaft führen.


Der Autor ist Politikberater bei "PRGS-Berlin".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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