Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 32 - 33 / 07.08.2006
Zur Druckversion .

"Er ist nicht kompromissfähig"

Bernd Wulffen über Fidel Castro und seine Zeit als deutscher Botschafter in Kuba

Im Januar 2001 tritt Bernd Wulffen seinen Posten als deutscher Botschafter in Havanna an. Zu diesem Zeitpunkt entwickeln sich die Beziehungen zu Kuba gut. Kulturell und wirtschaftlich soll verstärkt zusammengearbeitet werden. Doch das Klima wird schlagartig eisig, als Fidel Castro im Schatten des Irak-Krieges 75 Dissidenten verhaften und inhaftieren lässt. Die europäischen Botschafter, die dagegen protestieren, werden "eingefroren", Castro erklärt sie für "überflüssig". Nach seiner Rückkehr 2005 hat der Diplomat seine Erfahrungen während dieser "Eiszeit in den Tropen" in seinem gleichnamigen Buch festgehalten.

Das Parlament    Herr Wulffen, Sie sind Fidel Castro in Ihrer Zeit als Botschafter in Havanna mehrfach begegnet. In Ihrem Buch zeichnen Sie ein sehr differenziertes Bild des Máximo Líder. Welche seiner Eigenschaften bewundern Sie am ehesten?

Bernd Wulffen     Zunächst fasziniert mich an ihm, dass er stets seinen Kurs hält. Er ist wie ein Fels in der Brandung.

Das Parlament    Und wo liegt seine größte Schwäche?

Bernd Wulffen     Nun, seine Stärke ist eben auch seine größte Schwäche. Denn wenn man zu starr am eigenen Kurs festhält, verliert man schnell den Bezug zur Realität und die Fähigkeit zum Kompromiss - und Castro ist nicht kompromissfähig. Er ist ein Mann, der seine Linie um jeden Preis durchsetzt, der keine Niederlagen einstecken kann.

Das Parlament    Hat sich das direkt auf Ihre Arbeit als Botschafter ausgewirkt?

Bernd Wulffen     Ja, durchaus. Ich hätte mir gewünscht, dass er die ausgestreckte Hand der Europäer zum Dialog ergreift. Doch dazu war er nicht in der Lage. Mehrere Kubaner haben es mir auch bestätigt: Fidel will keinen Dialog.

Das Parlament    Wie erklären Sie sich, dass die Amerikaner gegenüber Kuba letztlich genauso unbeweglich sind?

Bernd Wulffen     Das Verhältnis zwischen den USA und Kuba gleicht einer kommunizierenden Röhre. Castro arbeitet stark daran, dass das Feindbild USA erhalten bleibt. Und umgekehrt verfügt die Regierung in Washington in der aktuellen innenpolitischen Konstellation kaum über Bewegungsfreiheit. Denken Sie an die Präsidentschaftswahlen 2000, als die Exilkubaner in Florida das Zünglein an der Waage waren.
George W. Bush ist durch ihre Stimmen an die Macht gekommen und fühlt sich ihnen dadurch stark verpflichtet. In den USA denkt man genau wie in Deutschland eben von Wahl zu Wahl. Außerdem verfügen die Exilkubaner im Kongress über eine starke Lobby, vor allem unter den Republikanern. Und das Interessante ist, dass dies zum Teil ja Verwandte von Castro beziehungsweise seiner ehemaligen Ehefrau Mirta Diaz-Balart sind.

Das Parlament    Im Zusammenhang mit möglichen Reformen auf Kuba wird gerne auf das Beispiel China verwiesen - auch Sie tun das in Ihrem Buch. Der Westen macht gute Geschäfte mit den Chinesen, doch die Menschenrechte werden dort genau wie auf Kuba mit Füßen getreten. Die Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen in Kuba fallen jedoch wesentlich heftiger aus als im Falle Chinas. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Bernd Wulffen     Das ist eine Frage, die immer wieder gestellt wird - und die auch berechtigt ist. Das Argument, der Westen lege an Kuba einen härteren Maßstab an als an China, wurde uns europäischen Botschaftern von den Kubanern auch immer wieder vorgehalten. Allerdings hat sich Kuba zur Achtung der Menschenrechte vertraglich verpflichtet. Es ist also absolut legitim, wenn wir die Einhaltung der Menschenrechte von Kuba einfordern. Allerdings sollten wir den Chinesen gegenüber in der Menschenrechtsfrage mit mehr Nachdruck auftreten. Um so glaubwürdiger wären wir dann gegenüber den Kubanern. Die führen ja gerne an, die Europäer täten nur das, was die USA von ihnen verlangen.

Das Parlament    Ist dieser Vorwurf berechtigt? Im Februar 2003, als die deutsch-amerikanischen Beziehungen we-gen des Irak-Krieges extrem angespannt waren, plante Castro auf Einladung von Regisseur Oliver Stone, der seinen Film "Comandante" auf der Berlinale vorstellen wollte, eine Reise nach Berlin - was nach Ihrer eigenen Aussage zu einem diplomatischen Eklat mit Washington geführt hätte. Castro hat auf Ihre Intervention hin auf den Besuch verzichtet. Wie hoch ist denn der Grad der Rücksichtnahme auf die USA?

Bernd Wulffen     Es gab einmal einen Moment, das war nach der Verurteilung und Inhaftierung der 75 Dissidenten im Jahr 2003, da hat Washington von uns europäischen Botschaftern verlangt, dass wir den Vertreter der USA auf Kuba, der ja keinen Botschafterstatus hat, zu unseren Versammlungen hinzuziehen. Dem haben wir nicht nachgegeben. Das war eine überzogene und wenig durchdachte Forderung der USA. Mehrere deutsche Politiker haben es bei ihren Kuba-Besuchen zwei Jahre zuvor gegenüber Castro auch ganz klar gesagt, dass wir wahrlich nicht in allen Punkten mit den Vereinigten Staaten übereinstimmen, sondern dass es ganz gravierende Meinungsverschiedenheiten gibt - zum Beispiel beim Klimaschutz, in der Frage des Einsatzes von Landminen oder beim Internationalen Strafgerichtshof.

Das Parlament    Bei der Lektüre Ihres Buches wird deutlich, dass Sie nicht an wirtschaftliche oder politische Reformen unter Castro glauben...

Bernd Wulffen     Er verliert das Spiel seines Lebens...

Das Parlament    Wie schätzen Sie denn die Reformfähigkeit seiner potenziellen Nachfolger ein?

Bernd Wulffen     Zunächst müssen wir natürlich die Frage klären, wer diese Nachfolger sind. Das ist die entscheidende Frage. Nach der Verfassung wird es sein nur um fünf Jahre jüngere Bruder Raúl, der derzeitige Verteidigungsminister, sein. Ihm allein traue ich es nicht zu, dass er das Ruder herumreißt. Zudem verfügt er nicht über das Charisma Fidels. So wie ich ihn einschätze, wird er sich umgeben mit Fachleuten, auch mit Militärs, die ja schon jetzt eine wichtige Rolle in der Wirtschaft - etwa im Tourismussektor - spielen. Und dann wird es ganz entscheidend davon abhängen, wie sich die USA verhalten werden. Wenn Washington bereit ist, den ersten Schritt gegenüber Kuba zu machen, wie dies der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter im Mai 2002 gefordert hat, dann bestehen gute Chancen auf eine positive Resonanz in Havanna und auf eine Öffnung des Landes.

Das Parlament    Der von Ihnen angesprochene Tourismus auf Kuba bringt wichtige Devisen ins Land. Schon heute zerfällt die kubanische Gesellschaft in zwei Teile - jene, die über US-Dollar verfügen...

Bernd Wulffen     ...und Euro...

Das Parlament    ...und jene, die sich mit kubanischen Pesos begnügen müssen, für die es kaum etwas zu kaufen gibt. Könnte sich dieser Gegensatz noch weiter verschärfen und zu Spannungen - auch gewaltsamen - innerhalb der Bevölkerung führen?

Bernd Wulffen     Nein, das ist nicht zu erwarten. In der Bevölkerung ist die Solidarität extrem stark ausgeprägt. Man spricht auch von der "Cubania": Die Kubaner unterstützen sich gegenseitig. Das habe ich in meiner Zeit als Botschafter immer wieder erlebt.

Das Parlament    Im Augenblick spricht nichts dafür, dass Castro freiwillig das Ruder aus der Hand geben wird, seine Herrschaft wird wohl erst mit seinem Tod enden. Wenn die wirtschaftliche Talfahrt des Landes jedoch weiter anhält, könnte ihn dann seine eigene Führungsriege entmachten?

Bernd Wulffen     Völlig auschließen kann man das sicherlich nicht. Solche Fälle hat es ja schon gegegeben. Denken Sie an Tunesien, als Staatspräsident Habib Bourguiba 1987 wegen Senilität abgesetzt wurde. Auf der anderen Seite ist Castro der Bannerträger der Revolution. Wenn er wegfällt - wie auch immer - gerät Kuba in eine ganz schwierige Situation. Ich glaube nicht, dass man Fidel entmachten würde.

Das Parlament    Wäre es denn denkbar, dass das Regime in Havanna durch die eigene Bevölkerung - etwa durch Massendemonstrationen wie 1989 in der DDR - zum Rücktritt gezwungen wird?

Bernd Wulffen     Auch das ist höchst unwahrscheinlich. Die Kubaner haben große Angst vor einer unsicheren Zukunft ohne Castro. Viele ziehen es vor, in einer gewissen Armut, aber in gesicherten Verhältnissen zu leben. Hinzu kommt, dass für die Kubaner Unabhängigkeit und nationale Würde eine sehr große Rolle spielen. Das ist für sie genau so wichtig wie das tägliche Brot. Ich halte die Kubaner für erheblich patriotischer als die meisten anderen lateinamerikanischen Völker. Hinzu kommt die Furcht, dass nach einem Abtritt von Castro Miami und die Exilkubaner über die Wirtschaft wieder eine wichtige Rolle spielen könnten. Das ist vielen Kubanern unheimlich. Sie wollen das Rad der Geschichte nicht wieder zurückdrehen.

Das Interview führte Alexander Weinlein.

Bernd Wulffen: Eiszeit in den Tropen. Botschafter bei Fidel Castro. Ch.Links Verlag, Berlin 2006; 320 S., 68 Abb., 19,90 Euro.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.